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Die politischen Attentate im neunzehnten Jahrhundert

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Autor: Rudolf von Gottschall
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Titel: Die politischen Attentate im neunzehnten Jahrhundert
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 44, S. 746–748
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1894
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Alle Rechte vorbehalten.

Die politischen Attentate im neunzehnten Jahrhundert.

Von Rudolf von Gottschall.

„Das Jahrhundert ist im Sturm geschieden,
Und das neue öffnet sich mit Mord.“

So sang einst Friedrich Schiller. Er ahnte nicht, daß in diesem neuen Jahrhundert der politische Mord eine große Rolle spielen, daß er schließlich in ein System gebracht und die Losung einer ganzen Partei werden würde. Der politische Mord ist ja nicht von gestern oder heute. Fürsten und Staatsmänner und Parteiführer sind zu allen Zeiten meuchlerischen Attentaten zum Opfer gefallen. Aber dem neunzehnten Jahrhundert blieb es vorbehalten, eine Partei hervorzubringen, in deren Lehre der politische Mord einen wesentlichen Bestandteil, ein Mittel der Propaganda bildet.

Oft genug hat man für mildernde Umstände bei der moralischen Verurteilung jener Morde und Mordversuche plädiert, welche von der Gesetzgebung gerade mit den härtesten Strafen bedroht werden: man wollte einen Möros, welcher, den Dolch im Gewande, sich zu Dionysios schleicht, um die Stadt vom Tyrannen zu befreien, nicht in eine Linie stellen mit dem gemeinen Mörder: das Gesetz aber bestraft hier schon den Versuch mit dem Tode. Der Mord aus blindem Fanatismus ist stets verurteilt worden; aber ein Mord aus patriotischem Gefühl, um ein politisches Ideal vor schmachvoller Entweihung zu retten, hat doch seine Anwälte gefunden, selbst bei edeldenkenden Geistern. Wir erinnern nur an Charlotte Corday, zu deren Ehrenrettung sogar ein weichgestimmter deutscher Idealist wie Jean Paul mit begeisterte Hymnen eingetreten ist. Freilich, sie lebte in einer Zeit, in welcher der politische Mord gesetzmäßig organisiert war und eine Schreckensherrschaft mit der stets bereiten Guillotine die widerstrebenden Parteien decimierte. Und von dem blutigen Hintergrunde alltäglich gewordener Greuel hebt sich ihr Bild fast wie eine Idealgestalt ab – die schöne Mörderin neben dem häßlichen widerwärtigen Opfer; und wie oft hat man den blutdürstigen Volksheiligen Marat verdammt und die jungfräulich-reine und edle Charlotte Corday gepriesen!

Der Größenwahn eines Herostrat, der sich einen Namen machen wollte, indem er den Tempel der Diana in Ephesus in Flammen steckte, hat vielen das Messer und das Mordgewehr in die Hand gedrückt, um mit dem Untergang gekrönter Häupter ihren Namen zu verknüpfen und ihm Dauer zu verschaffen. Sehr viele, die den Entschluß zu solcher That aus der eigenen Brust schöpften, litten an solchem Größenwahn; aber auch von denjenigen, die nur als Werkzeuge geheimer Verbindungen, als ausgeloste Vollstrecker eines von jenen gefällten Todesurteils zur Mordwaffe griffen, berauschten sich an dem Gedanken eines Nachruhms, der einem solchen verbrecherischen Heldentum ein dauerndes und bei Gleichgesinnten rühmliches Angedenken sichert.

Wenn wir hier die Reihe der politischen Attentate im neunzehnten Jahrhundert vor uns vorüberziehen lassen, so haben wir von vornherein eine Anzahl solcher auszuscheiden, bei denen keinerlei politisches Motiv dem Angreifer die Hand führte und die nur um deswillen unter den politischen Attentaten aufgezählt zu werden pflegen, weil sie eine hervorragende politische Persönlichkeit zum Ziel hatten. Aus Privatrache schoß der ehemalige Bürgermeister Tschech am 26. Juli 1844 auf König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen, und der Sattlermeister, der am 26. März 1854 den verlotterten Herzog Karl III. von Parma inmitten vieler Zuschauer mit einem Dolche durchstieß, grollte dem Herzog, weil er von ihm öffentlich eine Ohrfeige erhalten hatte. Jener Gaiteau, der am 2. Juli 1881 den Präsidenten der Vereinigten Staaten James Garfield zu Washington mit seinem Revolver auf den Tod verwundete, war nichts anderes als ein mißvergnügter Stellenjäger, der seine Unzufriedenheit am Staatsoberhaupte ausließ. Vollends außer Betracht fallen die fruchtlosen Versuche einiger Irren, die der Größenwahn auf die Glorie des Königsmörders erpicht machte. Angriffe solcher Art hat insbesondere die Königin Viktoria von England eine ganze Reihe erlebt; auch der ehemalige Unteroffizier Sefeloge, der am 22. Mai 1850 die Hand wider Friedrich Wilhelm IV. erhob, war irrsinnig.

Auch wenn wir diese Fälle beiseite lassen, wenn wir ferner absehen von Mordthaten, die in offenem Aufruhr begangen wurden, wie jene, denen der Graf Latour in Wien, der General Auerswald und der Fürst Lichnowsky in Frankfurt, Graf Rossi, der päpstliche Minister in Rom, im Revolutionsjahre 1848 zum Opfer fielen – so ist die Kette von Attentaten, die sich durch das neunzehnte Jahrhundert hindurchzieht, noch immer erschreckend groß. Frankreich, das Land der politischen Umwälzungen, ist besonders reich daran. Das Attentat auf den ersten Konsul Bonaparte am Weihnachtsabend des Jahres 1800 eröffnete den Reigen. Wegen seiner Folgen gehört es mit in unser Jahrhundert. Seine Anstifter sind unter den königstreuen Chouans zu suchen, unter den Landsleuten und Gesinnungsgenossen George Cadoudals, der aber selbst an diesem Attentat nicht beteiligt scheint. Ein früherer Marineoffizier Namens St. Rejant fertigte mit zwei Genossen eine Höllenmaschine an, die aus einem mit Kartätschenkugeln geladenen Pulverfaß bestand. Am Weihnachtsabend, als Bonaparte in die Oper fuhr, um Haydns „Schöpfung“ zu hören, führten die Verschworenen das Faß auf einem mit einem Pferde bespannten Karren an die engste Stelle der Straße St. Nicaire, durch welche der Wagen des Konsuls durchfahren mußte. St. Rejant blieb allein zurück und beging noch die empörende Grausamkeit, das Pferd von einem fünfzehnjährigen Mädchen halten zu lassen. Als der Wagen Bonapartes sich näherte, zündete St. Rejant die Lunte an und entfloh. Doch die Lunte brannte zu langsam und der zufällig betrunkene Kutscher des Konsuls fuhr zu rasch, so daß, als die Explosion erfolgte, der Wagen schon vorbei und durch eine Umbiegung der Straße gedeckt war; nur die Fenster der Karosse zersprangen, das Mädchen und das Pferd aber sowie die nächsten Häuser flogen in die Luft. St. Rejant und der eine seiner Genossen mußten das Schafott besteigen; nur der andere entkam.

Den Versuch, der 1800 mißlungen war, wiederholte Cadoudal persönlich einige Jahre darauf mit ebensowenig Erfolg. Im Jahre 1803 hielt er sich verkleidet in Paris auf, wohin er mit gleichgesinnten Edelleuten und Chouans gekommen war. In seiner Begleitung befand sich Pichegru, ein General der Republik, und auch Bonapartes Nebenbuhler, Moreau, nach jenem der gefeiertste Kriegsheld Frankreichs, wußte von der Verschwörung. Allein Fouché, obschon damals nicht Chef der Polizei und beiseite geschoben, weil er in den Augen vieler anständigen Leute mißliebig war, entdeckte durch seine Agenten die neue Verschwörung, die von einigen eingeschüchterten Genossen verraten wurde. Cadoudal wurde zum Tode verurteilt und hingerichtet (26. Juni 1804); General Pichegru erdrosselte sich selbst im Gefängnis.

So groß später der Haß war, den der siegreiche Imperator bei den besiegten und unterdrückten Völkern gegen sich entflammte, so nahte sich ihm doch nur ein einziges Mal die Gefahr, ermordet zu werden. Es war nach den blutigen Schlachten von Aspern und Wagram im Jahre 1809; Napoleon leitete in Schönbrunn die Friedensunterhandlungen mit Oesterreich; da suchte am 13. Oktober ein Deutscher aus Naumburg, der Predigersohn Friedrich Stapß, ein achtzehnjähriger Jüngling, sich in verdächtiger Weise der Person des Imperators zu nähern; man nahm ihn fest und er gestand, er habe Napoleon als den Verderber des deutschen Vaterlandes umbringen wollen. Der Kaiser fragte ihn, ob er ein Narr oder ein Illuminat sei; er erklärte, er sei kein Narr und wisse nicht, was ein Illuminat sei. Napoleon wollte ihm verzeihen und ihm das Leben schenken. „Ich will keine Verzeihung,“ sagte Stapß. „Würden Sie mir nicht danken, wenn ich Sie begnadigte?“ „Ich würde Sie doch zu töten suchen,“ versetzte der Jüngling. Erbittert über diesen Trotz, ließ ihn der Kaiser erschießen.

Während im Westen Napoleons Stern noch im Aufsteigen begriffen war, ward im Osten Europas ein Beherrscher des mächtigen russischen Reiches das Opfer einer Palastverschwörung. Der Zar Paul I. war, obwohl nicht ohne gute Anlagen, unter dem Druck furchtbarer Lebenserfahrungen zu einem Despoten schlimmster Sorte ausgeartet. Jene Mischung von Großmut und Mißtrauen, von hochherzigen Anwandlungen und asiatischen Sultanslaunen, die seine innere und äußere Politik so schwankend und unberechenbar machte, prägte sich am allerpeinlichsten im persönlichen Verkehr aus. Infolgedessen bildete sich eine Verschwörung, deren Haupt Graf Peter Pahlen, damals der einflußreichste Mann in des Kaisers Umgebung, war und deren Fäden bis in die kaiserliche Familie sich erstreckten. In der Nacht des 23. März 1801 drangen die [747] Verschworenen in den Michailowschen Palast, wo der Zar damals residierte, überraschten ihn in seinem Schlafgemach, schienen aber anfangs nur entschlossen, ihn zur Abdankung zu zwingen, bis entweder der Widerstand Pauls oder die Furcht und der persönliche Haß einzelner Verschworenen eine tragische Wendung herbeiführten.

Als nach den Befreiungskriegen, nach dem Sturze der Napoleonischen Herrschaft, die deutsche Jugend der Universitäten sich auflehnte gegen die freiheitsfeindlichen Beschlüsse der Kabinette und gegen die Ueberwachung durch auswärtige diplomatische Sendlinge, da war die Bewegung der Geister so mächtig geworden, daß ein religiös schwärmerischer und patriotisch begeisterter Student zum Dolche griff, um die Achterklärung, die auf einen dieser Agenten geschleudert worden war, zu vollziehen. Wie in früheren Jahrhunderten ein Abgesandter der Feme sein Opfer aufsuchte, um ihm den Todesstoß zu geben, so wanderte der junge Theologe Karl Ludwig Sand von Jena nach Mannheim, wohin sich der russische Staatsrat August von Kotzebue kurz vorher begeben hatte, und stieß ihn dort am 23. März nieder. Die That erregte ungeheueres Aufsehen, man verurteilte den Thäter, aber man bemitleidete ihn. Kotzebue hatte sich in der letzten Zeit als besoldeter russischer Agent im höchsten Grade verhaßt gemacht. Schon beim Wartburgfest hatten die Studenten Kotzebuesche Schriften dem Scheiterhaufen überantwortet, auf dem mißliebige und geächtete Werke verbrannt wurden. Sand stieß sich gleich nach der That den Dolch in die Brust, erlag aber der schweren Verwundung nicht; am 20. Mai 1829 endigte er zu Mannheim auf dem Schafott.

In demselben Jahre wurde in Frankreich ein politischer Mord begangen, welcher geeignet schien, der ganzen Dynastie der Bourbons, die seit 1815 wieder die Krone dieses Landes trug, den Todesstreich zu versetzen. König Ludwig XVIII. hatte keine Kinder, sein Bruder, der spätere König Karl X., zwei Söhne, von denen der älteste, der Herzog von Angoulême, kinderlos war, so daß die ganze Hoffnung der Dynastie auf dem zweiten, dem Herzog von Berry, ruhte, der nur eine Tochter hatte. Als der Herzog am 13. Februar 1820 aus der Oper kam, wurde er von einem gewissen Louvel, einem Sattler des königlichen Marstalls, mit einem großen Messer erstochen. Der Mörder hatte die That aus fanatischem Haß gegen das bourbonische Regiment vollbracht. Louvels Berechnung erwies sich übrigens als verfehlt; die Herzogin von Berry gebar nach dem Tode ihres Gatten einen Thronerben, Heinrich V., der allerdings nie den Thron besteigen sollte.

Wo sich wie in Frankreich Revolutionen und Staatsstreiche in rascher Folge ablösten, da mußten auch die Attentate auf die Staatsleiter sich öfters wiederholen. Am meisten war das unter der friedlichen Regierung Louis Philipps der Fall, die eine größere Masse von Zündstoff aufhäufte als selbst die Regierungen der volksfeindlichen Bourbonen. Nicht weniger als acht Mordanfälle sind auf den „Bürgerkönig“ gemacht worden, ohne daß ein einziger sein Ziel erreicht hätte.

Am raffiniertesten durch die Art der dabei verwendeten Höllenmaschine und am furchtbarsten in seiner Wirkung war das Attentat Fieschis am 28. Juli 1835. Bei der fünften Feier des Julifestes ritt der König zur Musterung der Nationalgarde und der regulären Truppen mit großem Gefolge die Boulevards entlang, als aus einem kleinen Hause sich eine Explosion entlud, ein ganzer Hagel von Flintenkugeln, welche dicht hinter dem König den Marschall Mortier und eine ganze Anzahl weiterer Personen des Gefolges – im ganzen 18 – töteten und über 20 verwundeten. Dem König streifte eine Kugel die Stirne, eine zweite verursachte eine Quetschung des linken Arms, eine dritte durchbohrte den Hals seines Pferdes. Die neue Höllenmaschine bestand aus einer Verbindung von angeblich mehr als hundert Flinten (nach anderen Zeugnissen sollen es nur 24 gewesen sein), die hinter einem Fensterladen angebracht waren und gleichzeitig losgefeuert wurden. Der Urheber des Attentats war der Korsikaner Fieschi, ein ziemlich verkommener Abenteurer, der bei dem unglücklichen Landungsversuch Murats an der neapolitanischen Küste sich beteiligt hatte, dafür zum Tode verurteilt, aber wieder begnadigt worden war, später wegen Urkundenfälschung zehn Jahre im Zuchthaus gesessen hatte und zuletzt aus einer Anstellung bei der Polizei wegen Veruntreuungen entlassen worden war. Er wurde sofort ergriffen und dann samt zwei Spießgesellen hingerichtet.

Fast ebenso häufig wie Louis Philipp wurde der dritte Napoleon von mörderischen Angriffen bedroht, besonders im Anfange seiner Regierung. Der „Mann des 2. Dezember“ war in seiner Jugend ein Schwärmer für die Freiheit und Einheit Italiens gewesen, ganz wie später die Anhänger Mazzinis, und als der Kaiser nicht hielt, was einst der Prinz verheißen, da galt er in den Augen der früheren Brüder als strafwürdiger Abtrünniger; mancher mochte auch wohl noch hoffen, daß Bedrohung seines Lebens ihn zu einem entscheidennen Schritt zu gunsten des „jungen Italiens“ drängen könnte. Kurz, die Zahl der italienischen Femboten ist keine geringe. Keiner aber hat so schreckliche Arbeit gemacht wie der Graf Orsini – auch er freilich traf das gesuchte Opfer selbst nicht, wie er gewünscht hatte. Das Bombenattentat Orsinis vom 14. Januar 1858 ist das blutigste, das je gegen ein gekröntes Haupt verübt worben ist. Man zählte 141 Tote und Verwundete, darunter 30 von der Polizei. Einer der Verwundeten hatte sich in eine Apotheke begeben und dieselbe rasch wieder verlassen; bald darauf fragte ein Fremder ängstlich nach ihm – es war Gomez, der Diener des Grafen Felice Orsini, der sich inzwischen in sein Versteck zurückbegeben hatte, dort aber verhaftet wurde. Orsini zeigte eine so edle Begeisterung für die Freiheit seines Vaterlandes, daß man den Mörder, der über hundert Unschuldige dem Tode geweiht hatte, fast darüber vergaß.

Aus der italienischen Einheits- und Freiheitsbewegung war dieses Attentat hervorgegangen, und wie es in der Natur solcher Zeiten staatlicher Umwälzungen liegt, hat auch in Italien selbst der politische Mord seine blutige Rolle gespielt. Von dem Ende des Grafen Rossi zu Rom und dem des Herzogs Karl III. von Parma ist schon oben in anderem Zusammenhange die Rede gewesen. Rein politischer Natur war das Attentat des Soldaten Milano auf König Ferdinand II. von Neapel am 8. Dezember 1856. Hier sollte ein tief verhaßter Gegner der Einheitsbestrebungen getroffen werden. Milano, der den König nur am Schenkel verwundete, erreichte mittelbar doch seinen Zweck. Ferdinand wollte von der Wunde kein Aufhebens machen, und durch ihre Vernachlässigung zog er sich ein schweres Leiden zu, dem er nicht ganz 21/2 Jahre nachher erlag.

Mit der italienischen Bewegung hing auch das Attentat auf Kaiser Franz Josef von Oesterreich am 18. Februar 1853 zusammen. Kurz vorher waren dem großen Komplott in Mailand viele österreichische Soldaten zum Opfer gefallen; es waren revolutionäre Aufrufe Mazzinis und Kossuths erschienen, und aufgehetzt von diesem gemeinsamen Ansturm auf die schwarzgelbe Monarchie, war der junge Ungar Libenyi auf den Kaiser, der auf dem innern Wall der Stadt Wien spazieren ging, mit einem großen Messer eingedrungen und hatte ihn im Nacken verwundet. Der Mörder wurde von dem Adjutanten des Kaisers und einem zufällig hinzukommenden Wiener Bürger zu Boden geworfen. Die Wunde war nicht ganz ungefährlich. Der Mörder wurde zum Tode verurteilt und gehenkt.

Als die italienische Einheit schon fest begründet und auf ihren Gründer, König Viktor Emanuel II., dessen Sohn Humbert gefolgt war, machte ein radikaler Fanatiker, der Koch Passanante, am 17. November 1878 in Neapel einen Mordanfall auf den König; doch der mit im königlichen Wagen sitzende Minister Cairoli lenkte den Dolch des Mörders ab, so daß der König nur eine leichte Verletzung erhielt, Cairoli aber schwerer am Beine verletzt wurde. Passanante wurde zum Tode verurteilt, aber zu lebenslänglicher Zwangsarbeit begnadigt.

Die deutsche Revolution von 1848 hat zwar blutige Aufstände, Kämpfe, Belagerungen und militärische Hinrichtungen in großer Zahl aufzuweisen, doch kein politisches Attentat im eigentlichen Sinne. Erst als König Wilhelm I. den preußischen Thron bestiegen, entsprang aus der Enttäuschung eines überspannten Gemüts ein Mordplan. Der junge Student Oskar Becker glaubte eine weltgeschichtliche Sendung zu erfüllen, als er am 14. Juli 1861 in der Lichtenthaler Allee in Baden-Baden auf den König beide Läufe eines scharfgeladenen Terzerols aus nächster Nähe abfeuerte, wobei der Fürst nur unbedeutend verwundet wurde; Becker wollte die That mit seiner Ueberzeugung begründen, der König sei den Umständen nicht gewachsen und nicht fähig, die Einigung Deutschlands herbeizuführen. Er wurde zu zwanzigjährigem Zuchthaus verurteilt, 1866 aber auf Fürsprache des Königs von Preußen von der badischen Regierung begnadigt.

Als dann König Wilhelm nach unvergänglichen Großthaten die deutsche Kaiserkrone trug, da schoß der Klempnergeselle Hoedel [748] am 11. Mai 1878 einen Revolver auf ihn ab, glücklicherweise ohne zu treffen. Hoedel war früher ein Kolporteur sozialdemokratischer Blätter gewesen, dann aber von der Sozialdemokratie selbst von ihren Rockschößen abgeschüttelt worden; er wurde hingerichtet. Inwieweit dann das Attentat, das Dr. Karl Eduard Nobiling am 2. Juni 1878 auf den greisen Kaiser verübte, mit bestimmten politischen Motiven zusammenhing, konnte nicht ermittelt werden, da derselbe sich gleich darauf mit einem Revolver in den Hinterkopf schoß und später nur ganz kurze Zeit vernehmungsfähig wurde. Auf den Mitbegründer des Deutschen Reichs, den Ministerpräsidenten von Bismarck, wurde, als er an der Schwelle jener großen Ereignisse stand, welche die politische Weltlage gänzlich wandeln sollten, in Berlin am 7. Mai 1866 ein Attentat verübt. Ferdinand Cohen-Blind schoß „unter den Linden“ in Berlin auf den Minister. An demselben Tage noch öffnete sich Blind im Gefängnis zu Potsdam die Pulsadern. Bismarck war damals der bestgehaßte Mann in Preußen; der Konflikt mit dem Landtag hatte seinen Höhepunkt erreicht; Adressen aus allen preußischen Städten bestürmten den König, er möchte ein neues Ministerium wählen. Da glaubte sich offenbar der junge Blind berufen, die Achtserklärung der öffentlichen Meinung zu vollziehen, den „Feind der Freiheit und des Friedens“ zu vernichten. Etwa acht Jahre später, nach des Deutschen Reiches Gründung, in der Zeit des Kulturkampfes, schoß der Böttchergeselle Kullmann zu Kissingen am 13. Juli auf den Reichskanzler, „um der Kirchengesetze willen“, und verwundete ihn leicht an der Hand.

Auch in den andern europäischen Ländern fehlte es keineswegs an verwegenen Köpfen, die politische Wirrnisse mit der Mordwaffe im eigenen Sinne zu lösen suchten. Insbesondere häuften sich im revolutionsreichen Spanien die Anschläge gegen Könige und Staatsmänner. Schon 1852 war die Königin Isabella von dem fanatischen Priester Merino angefallen worden; General Prim, der allmächtige Ministerpräsident, erlag im schicksalsreichen Jahre 1870 den Wunden, die ihm von meuchlerischen Händen beigebracht waren, König Amadeus sowohl wie König Alfons waren wiederholt bedroht.

Der große amerikanische Bürgerkrieg, der mit der Niederlage der Südstaaten endete, hatte ein blutiges Nachspiel in der Ermordung des würdigen Präsidenten Abraham Lincoln durch John Wilkes Booth, der ihn am 14. April 1865 im Theater in Washington erschoß. Der Mörder, ein Bruder des berühmten Schauspielers Edwin Booth und selbst Schauspieler, ein fanatischer Anhänger der unterlegenen Sklavenhalterpartei, entkam auf seiner Flucht bis Virginien, wurde aber dort entdeckt und von seinen Verfolgern erschossen.

In der Geschichte des politischen Mordes trat aber eine bezeichnende und bedeutsame Wendung ein, als derselbe in ein System gebracht und geheimbündlerischen Bestrebungen dienstbar gemacht wurde. Dies geschah in den letzten Jahrzehnten durch den Nihilismus und den Anarchismus, die beide gegenwärtig als furchtbare im Hintergrund lauernde Mächte die politische Weltlage beunruhigen und bedrohen. Die gemeinsamen Wurzeln beider sind in Rußland nachzuweisen. Der Stammvater des einen wie des andern ist Michael Bakunin, der in deutschen, österreichischen und russischen Kerkern gesessen, aus Sibirien über Japan entkommen, mit den Revolutionären in aller Herren Ländern die nächste Fühlung genommen hat und die Brandfackel schwang, die Vernichtung alles Bestehenden predigend; er ging sogar der Internationalen zu weit, die sich von ihm lossagte. Sein Schüler Netschajew zog dann die letzten Folgerungen seines Systems; er lehrte die „Propaganda der That“, die sich um ihre Opfer nicht kümmert, und pries alle Gewaltmittel, die dem Werke der Zerstöeng dienten.

Es würde zu weit führen, wollten wir alle nihilistischen Anschläge, die sich durch die letzten Jahrzehnte der russischen Geschichte hindurchziehen, hier einzeln aufzählen – von dem Attentat eines Dimitrij Karakasow gegen Alexander II. (16. April 1866) bis zu den aufgerissenen Schienen bei Borki, welche den Bahnzug mit Kaiser Alerxander III. zur Entgleisung brachte (29. Oktober 1888), ja bis herab zu dem teuflischen und glücklicherweise rechtzeitig vereitelten Plane, die Einweihung der Gedächtniskirche in Borki zu einem neuen Attentat zu benutzen (Juni 1894), bilden sie eine furchtbare Kette, der Regierenden Leben mit steter Todesdrohung verdüsternd, aller Ueberwachung und blutigen Unterdrückung spottend. Und am 13. März 1881 hat denn auch der Nihilismus einen traurigen Triumph erlebt – an diesem Tage endigte Alexander II., von einer platzenden Bombe schwer verstümmelt, sein Märtyrerdasein. Es war das sechste Attentat, das gegen den Kaiser persönlich gerichtet war.

Wenn der Nihilismus im Osten das Erbe Bakunins gleichsam nur mit Vorbehalt angetreten hat, so hat der Anarchismus das Evangelium der Zerstörung um jeden Preis, wie es Bakunins Schüler verkündigte, rückhaltlos angenommen. Die Nihilisten haben noch ein politisch-sociales Programm; die Anarchisten bekämpfen jedes Programm, in welchem noch das „Gespenst einer gesetzgeberischen Macht spukt“; sie verwerfen jede Herrschaft. Nicht bloß die Lenker der Staaten, auch die friedlichen Bürger, die ein Besitzrecht haben und damit eine Herrschaft ausüben, sind ihrem Hasse verfallen. Wohin die Mordwaffe treffen mag, sie mordet im Dienst der „guten“ Sache.

Trotz dieser Lehre waren die anarchistischen Mordanschläge in den romanischen Ländern nicht alle ohne einen bestimmten Zweck; Ravachols erstes Dynamit-Attentat am 11. März 1892 richtete sich gegen den Präsidenten eines Schwurgerichtshofes, der Anarchisten verurteilt hatte, ein zweites am 28. März galt dem Untersuchungsrichter Buloz. Und als Ravachol am 25. April 1892 vor Gericht gestellt werden sollte, da erfolgte, um dieses einzuschüchtern, am 25. April die Explosion im Restaurant Very, wo Ravachol verhaftet worden war. Es handelt sich also hier um die Verfolgung ganz bestimmter verhaßter Personen, um ganz bestimmte Racheakte. Der Bombenwurf des Anarchisten Pallas gegen den spanischen General Martinez Campos am 24. September 1893, die Unthat Vaillants, der am 9. Dezember 1893 seine Bombe in den gefüllten Sitzungssaal der französischen Abgeordnetenkammer schleuderte, um die französischen Gesetzgeber zu zerschmettern, der Revolverangriff Paolo Legas auf den italienischen Ministerpräsidenten Crispi am 16. Juni 1894 und endlich der ruchlose Dolchstoß Caserios, der am 24. Juni 1894 den unglücklichen Präsidenteu Carnot durchbohrte, wie jener andere zu Livorno, der am 1. Juli den Zeitungsverleger Bandi tötete zum Lohne dafür, daß er in seinem Blatte gegen Carnots Mörder geeifert, – sie tragen noch die Spuren einer Art von Zweckgedanken an sich. Ein vollkommen sinnloses Bubenstück aber war das Attentat Henrys im Terminus-Hotel (12. Februar 1894) und ebenso dasjenige von Pauwels in der Madeleinekirche (14. März 1894) zu Paris, wie die Schandthat Salvators, der im Teatro Liceo zu Barcelona am 7. November 1893 gegen hundert Personen tötete und verwundete.

Wenn man behauptet, der Anarchismus sei in Deutschland bisher noch nicht zur „Propaganda der That“ geschritten, so vergißt man den entsetzlichsten aller anarchistischen Mordversuche, dem gegenüber die Kaffeehausbomben der Pariser Mordgesellen als Kinderei erscheinen: das beabsichtigte Attentat am Niederwald. Von dem deutschen Anarchisten Reinsdorf ging der furchtbare Plan aus, bei der Einweihung des Denkmals auf dem Niederwalde am 28. September 1883 den Kaiser und seine Paladine, zahlreiche deutsche Fürsten und Generale, den Vorstand des Reichstags, alle hervorragenden Träger des Reichsgedankens mit einem Schlage in die Luft zu sprengen. Der Regen bewirkte, daß die Zündschnur der Dynamitlegung versagte. Erst später wurden diese neuen Herostrate, die Schriftsetzer Reinsdorf und Küchler und der Sattler Rupsch, dingfest gemacht, von dem Reichsgericht verurteilt und die beiden ersten am 13. Februar 1885 in Halle enthauptet. Auch die Ermordung des Polizeirats Rumpf zu Frankfurt a. M. durch Lieske (Januar 1885) ist eine anarchistische Greuelthat auf deutschem Boden. In der That haben die Theorien Bakunins den Weg von Rußland nach dem Westen über Deutschland genommen und leider hier – wir verweisen nur auf den Buchbinder Joh. Most – fanatische Apostel gefunden.

Von Stapß zu Caserio – welch ein Abstand! Dort der schwärmerische Predigersohn, der auszieht, die Seufzer und Thränen von Millionen zu rächen, das heilige Vaterland vom fremden Unterdrücker zu befreien, – hier der vaterlandslose Geselle, der ein durchaus friedlich gesinntes Staatsoberhaupt ersticht, nur um die Welt, soweit sie in staatlicher Ordnung sich wohl fühlt, aufzuscheuchen in jähem Schreck. Welch abgrundtiefe Kluft anscheinend zwischen beiden! Und doch steht nur der eine am Anfang, der andere am Ende einer verhängnisvollen schiefen Ebene, einer sittlichen Entartung, in deren Verlauf sich das schwärmerische Jünglingsantlitz in eine höhnisch grinsende Grimasse verwandelt.