Die rheinischen Hurdy Gurdys in Amerika

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Autor: Theodor Kirchhoff
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Titel: Die rheinischen Hurdy Gurdys in Amerika
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aus: Die Gartenlaube, Heft 20, S. 311–313
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[311]
Die rheinischen Hurdy Gurdys in Amerika.
Noch ein Capitel vom deutschen Menschenhandel.

In Nr. 48 des Jahrgangs 1864 der Gartenlaube steht eine Erklärung der herzoglich nassauischen Polizeidirection, als Antwort auf einen in früheren Nummern der Gartenlaube unter dem Titel: „Deutscher Menschenhandel der Neuzeit“ abgedruckten Artikel.

Ohne auf den Inhalt dieser polizeilichen Erklärung näher einzugehen, erlaubt sich Unterzeichneter, der Redaction der auch in diesem entlegenen Erdenwinkel vielfach gelesenen Gartenlaube ebenfalls eine kleine Erklärung über bestehende sociale Verhältnisse, und zwar aus dem nordamerikanischen Unionsstaate Oregon, zur Benutzung zuzusenden. Die darin angeführten unwiderleglichen Thatsachen werden der Polizeidirection des Herzogthnms Nassau den Standpunkt eines Theils ihrer Landeskinder im Auslande hoffentlich sonnenklar machen – nicht nur, wie er „in einer seit Decennien hinter uns liegenden Vergangenheit gewesen“, sondern noch heutzutage, anno Domini 1865, factisch ist.

Um nun zunächst diese Facta etwas näher zu beleuchten, so muß ich wohl vor Allem erklären, was der Name Hurdy Gurdys eigentlich bedeutet. Jahr aus Jahr ein möchte ich dies Wort über den halben Erdball hinüberrufen, damit Deutschland zur vollen Erkenntniß dieses argen Brandmals am deutschen Namen gelange und die Stimme des Volkes wach werde, um die Missethäter, wer sie auch immer sein mögen, zur Verantwortung zu zwingen; denn nur so kann diesem Schandfleck am deutschen Namen gründlich abgeholfen werden. Ich will es Euch, deutsche Mütter, Euch, Töchter des großen, gebildeten Deutschlands, ganz leise in’s Ohr raunen – wenn auch die Scham ob der Entehrung des deutschen Namens Euch beim Anhören des ungern Gesagten die Wangen blutroth färbt, – ganz leise, damit die hochlöbliche Polizei es ja nicht höre und mir stracks verbiete, den Mund weiter zu öffnen und mehr davon zu reden: Hurdy Gurdys ist der verächtliche Name für deutsche Tanzmädchen in den zahlreichen Minenstädten von Californien, Nevada, Oregon, Idaho, Washington und British Columbia, die wie Waare von grundsatzlosen Menschenhändlern an den Meistbietenden verdingt werden, um den „biederen Goldgräbern“ das Herz und den Geldbeutel leichter zu machen; die jegliches Schamgefühl verlernt zu haben scheinen und doch mit der Tugend kokettiren und die Hauptursache der in besagten Minenstädten fast tagtäglich vorfallenden blutigen Schlägereien, Stech- und Schießaffairen sind, welche nicht selten Mord und Todtschlag im Gefolge haben, – deutsche Tanzmädchen „aus Nassau from the Rhine“, wie ich’s mit eigenen Augen, ohne Brille, in den hiesigen Hôtelregistern in eleganter Originalhandschrift mehrfach gelesen habe. Was sagen die Herren von der Nassauer Polizei dazu? Ist auch das unwahr?

Wenn nun allerdings das Herzogthum Nassau auch den Löwenantheil an der Ausfuhr von Hurdy Gurdys besitzt, so muß ich zur Beruhigung der dortigen Polizeibehörde doch noch erwähnen und der Wahrheit die Ehre geben, daß Darmstadt namentlich in letzten Jahren gleichfalls manche schmucke Hurdys geliefert hat – daß eine Darmstädter Hurdy-Gurdy-Gesellschaft z. B. gegenwärtig in Dalles in Oregon Gastrollen giebt – und der ganze an den Mittelrhein grenzende deutsche Kleinstaatencomplex mehr oder weniger Hurdy-Gurdy-Delegaten nach Amerika sendet. Weder der Ober- noch Unterrhein, weder Süd- noch Norddeutschland liefern Hurdy Gurdys, alle kommen diese vom Mittelrhein, dem gesegnetsten Theile, dem Paradiese Deutschlands.

Das Hauptquartier und Centraldepot sämmtlicher Hurdy Gurdys ist in St. Francisco, wohin gelegentlich durch gewissenlose Menschenhändler neue Recruten, direct „from the Rhine“ importirt weiden. Den jungen, lebenslustigen Dirnen am alten Vater Rhein werden von diesen Seelenverkäufern höchst verführerische Bilder von dem freien und ungebundenen Leben und den leicht zu erwerbenden Schätzen in den herrlichen Goldlanden am stillen Meer [312] vorgespiegelt, um sie zum Auswandern zu bewegen, und das Resultat der Unterhandlung ist, daß besagte Menschenhändler es übernehmen, die verführten Mädchen frei bis nach St. Francisco zu befördern, wogegen diese sich contractlich verpflichten, das ihnen vorgeschossene Reisegeld nach Ankunft an den goldenen Gestaden zurückzuzahlen, d. h. abzutanzen. Diese Contracte haben nun allerdings weder in Deutschland noch in Amerika gesetzliche Gültigkeit, werden aber trotzdem ohne Ausnahme von den in der Fremde ganz verlassen dastehenden Mädchen erfüllt.

Vom Hauptquartier in St. Francisco aus werden die Mädchen, welche je nach ihrer Schönheit verschiedene Preise haben, an die Hurdy-Gurdy-Salonbesitzer vermiethet und bleiben so lange an das Centraldepot gebunden, bis sie die ihnen vorgeschossenen Summen, welche sich durch Bekleidung, Beköstigung etc. fortwährend vermehren, abverdient, d. h. abgetanzt haben. Wenn sie endlich auf freien Füßen tanzen können, so reisen sie auch wohl in kleinen Tanzgeschwadern von je drei bis sechs tanzenden Mitgliedern unter dem Commando einer im Handwerk ergrauten älteren Hurdy – von den Goldgräbern mit dem Namen bell mare bezeichnet, d. h. Glockenstute, die einen Zug Pferde anführt – auf eigene Speculation durch’s Land. Zu dieser Classe gehören meistens die in Oregon und Idaho Gastrollen gebenden Hurdy Gurdys, welche sich vom Centraldepot in St. Franciseo emancipirt haben.

Ich habe blutjunge Hurdys gesehen, die kaum zwölf Sommer zählten, und andere in der Blüthe der Jungfrauenjahre, welche die Rosenzeit ihres Lebens buchstäblich vertanzen und späterhin, wenn die Blüthen verwelken und abfallen, auf den Stufen des Lasters schnell Hinuntersteigen in ein Land, von wo keine Rückkehr in ehrliche Gesellschaft mehr ist, falls es ihnen nicht gelingt, durch Extrakniffe so einen halbblinden Goldvogel noch bei Zeiten im Ehenetze einzufangen.

Die Bellmares und Salonbesitzer holen ab und zu frische Zufuhr von St. Francisco, wenn den Goldgräbern die veraltete Waare nicht mehr gefällt, wogegen das Hauptdepot in St. Francisco sich wieder von Deutschland aus ergänzt, und so pflanzt sich dieser schmachvolle Menschenhandel ungestört fort. In St. Francisco ist es den dort ansässigen zahlreichen Deutschen nach unsäglichen Schwierigkeiten endlich gelungen, ein Verbot gegen die Hurdy-Gurdy-Salons in der Stadt – nicht im Staate Californien – zu bewirken. Gleichzeitig wurde das Spielen mit Tambourins auf den Straßen, welches früher von den Mädchen bei Tage als Nebengeschäft betrieben ward, strenge untersagt und ein Verbot gegen die öffentlichen Spielhöllen im Staate Californien durchgesetzt. Die Folge davon ist gewesen, daß sich die Hurdys in St. Francisco in sogenannte „Pretty Waiter Girls“ – hübsche Kellnermädchen, wie sie sich öffentlich annonciren – verwandelt haben, was fast so schlimm ist als ihr früherer Beruf, oder daß die vom Gesetze grausam verfolgten Hurdys nach den angrenzenden Staaten ausgewandert sind, wo öffentliche Spielhöllen und Hurdy-Gurdy-Salons gesetzlich nicht untersagt sind.

Hier in Oregon bemüht man sich jetzt, dem Beispiele St. Francisco’s zu folgen, namentlich um den Goldgräbern die Gelegenheit zu nehmen, ihr schwer erworbenes Gold gleichsam zum Fenster hinauszuwerfen. Ein directes Verbot gegen die Hurdy-Gurdy-Salons ist jedoch bis jetzt noch nicht erlassen worden, was auch nach hiesigen Gesetzen, die gänzliche Gewerbefreiheit garantiren, nicht gut möglich ist.

Daß das Hurdy-Geschäft ein sehr einträgliches sein muß, ist schon aus der enormen Steuer ersichtlich, welche die Salonbesitzer, die sich natürlich durch die Mädchen wieder schadlos halten, ohne besondere Mühe zu zahlen im Stande sind. Wer jedoch die Extravaganz der hiesigen Minenbevölkerung kennt, den wird es sicherlich nicht wundern, daß das Hurdy-Geschäft eine Steuer von hundert Dollars und auch wohl die dreifache Summe im Monat so leicht aufzutreiben vermag, ohne Bankerott machen zu müssen.

Tausende von Bergleuten arbeiten jahraus, jahrein jede Woche sechs Tage lang vom frühen Morgen bis zum Abend in den Minen, um allnächtlich und namentlich am Sonntag ihr schwer erworbenes Gold in den Hurdy-Gurdy-Häusern wieder fortzuschleudern. Die Folge davon ist, daß, obwohl die meisten dieser Minenarbeiter verhältnißmäßig reich sein sollten, es doch zu einer großen Seltenheit gehört, einen unter ihnen zu finden, der sich eine nur einigermaßen ansehnliche Summe erübrigt; eben weil sie ihr Geld in den Hurdy-Gurdy-Salons so schnell verjubeln, wie sie es verdient haben.

In enger Verbindung mit den Hurdy-Gurdy-Salons sind Trinkstände, an denen die Tänzer ihre Schönen nach jedem Tanze mit einer Herzstärkung tractiren, zu einem viertel oder halben Dollar den Schluck, wovon das Mädchen die Hälfte und der Salonbesitzer die andere Hälfte bekommt. Von den Mädchen erhält also jede einen viertel oder halben Dollar für den Tanz, und außerdem machen sie es sich zur Regel, den in Glückseligkeit schwimmenden Goldgräbern Ringe, Schmucksachen und, wo’s geht, baares Geld abzukosen, so daß sich das Geschäft im Allgemeinen recht gut lohnt.

Dann sind öffentliche Spiellocale in nächster Nähe, wo mit falschen Würfeln und sonstigen scharfsinnigen Schwindeleien den vom Tanz und schlechten Getränken erhitzten Miners der Rest ihres Klein- und Großgelds in der Geschwindigkeit abgenommen wird.

Das Merkwürdigste bei dieser Hurdy-Gurdy-Wirthschaft ist, daß sämmtliche Hurdys „from the Rhine“ sind, und daß die leichtfertigen Schönen anderer Nationalitäten den Nassauerinnen und Hessinnen bei diesem profitablen Geschäftchen nicht in’s Handwerk greifen. Aber so ist es in der That; und die Töchter von Frankreich, von Irland, England, Spanien, Amerika, Mexico und andern Ländern treten bescheiden zur Seite und bedanken sich ganz gehorsam für diesen Ehrenposten.

Man trete einmal hinein in solch einen Hurdy-Gurdy-Salon und man wird zugeben, daß es dem Nationalstolze anderer Völker zur Ehre gereicht, den Deutschen in diesem Geschäfte den Rang nicht streitig zu machen! Halbangetrunkene, rohe Goldgräber, theilweise in Hemdärmeln und mit dem Hute auf dem Kopfe, mit geladenen Revolvern und langen Messern im Gürtel und die Hosen meist in die Stiefelschäfte gesteckt, zerren die Mädchen im Tanze umher und stoßen sich dieselben mitunter gegenseitig zu, trinken mit ihnen vergiftete Getränke, führen schmutzige Reden und erlauben sich alle möglichen handgreiflichen Freiheiten und Frechheiten, wofür sie ja zahlen – zahlen, mit blankem Golde! Goldene Schätze rollen so den Hurdys in den Schooß – selbstverständlich zum größten Theil zum Nutzen der Seelenverkäufer und Salonbesitzer.

Man wird an dieser ganzen Küste kaum eine Minenstadt – a mining camp – finden, in der es nicht eins oder zwei, oft drei bis vier solcher Hurdy-Gurdy-Häuser giebt – hier in Dalles gegenwärtig drei – was der Verfasser dieser wahrheitsgetreuen Schilderung nicht blos von Hörensagen weiß, sondern mit eigenen Augen gesehen hat, da er nicht nur in Oregon, sondern auch in Californien und Nevada ziemlich weit herumgekommen ist. Wie groß die Zahl solcher verwahrlosten Mädchen an dieser Küste ist, läßt sich schwer ermitteln; doch würden die nassauischen und hessischen Polizeibehörden höchst wahrscheinlich die Augen vor Erstaunen weit aufthun, wenn sie die nackte Wahrheit zu hören bekämen!

Die einzige Möglichkeit, dieser den deutschen Namen schändenden Hurdy-Gurdy-Wirthschaft zu steuern, ist, die neue Zufuhr von Mädchen aus Deutschland zu verhindern. Den Mädchen, die, leider Gottes, einmal hier sind, kann nicht geholfen werden. Man hat es wiederholt versucht, dieselben als Hausmädchen mit einem Monatslohn von dreißig bis vierzig Dollars zu engagiren; das wilde Leben ist ihnen aber so zur andern Natur geworden, daß sie alle derartige Anerbieten rundweg abgeschlagen haben.

Die Mitglieder eines Comites in St. Francisco, welches dieses zu bezwecken suchte, sind zum Dank für ihre menschenfreundlichen Bemühungen sogar wiederholt von den Seelenverkäufern nächtlicher Weile verfolgt, niedergeschlagen und gemißhandelt worden, so daß man zuletzt alle ferneren Schritte zum Wohl der Mädchen, als gänzlich nutzlos, eingestellt hat und die Menschenhändler ihre Schandwirthschaft nach wie vor ungestört treiben, mit der schon gedachten alleinigen Ausnahme, daß die Hurdy-Gurdy-Häuser in St. Franciseo selbst unterdrückt sind.

Da die Tanzmädchen jedoch sämmtlich in kurzer Frist durch Alter und das allnächtliche Schwärmen abgenutzt sein werden, so müßte die ganze Hurdy-Gurdy-Wirthschaft allmählich von selber aufhören, wenn nur der ferneren Zufuhr von Deutschland Schloß und Riegel vorgeschoben werden könnte. Und dieses ist es eben, worauf der Verfasser dieser ungeschminkten Enthüllungen die betreffenden [313] deutschen Regierungen und das deutsche Volk selber hinleiten möchte, daß sie nicht die Hände in den Schooß legen und über die Schlechtigkeit der Welt lamentiren, sondern zur That schreiten.

Hier im goldenen Oregon würde man einen solchen Seelenhändler, der von hier aus amerikanische Mädchen als Tanzwaare exportiren wollte, wegen beleidigter Nationalehre ganz einfach „lynchen“, theeren und federn, todtschießen, todtstechen, aufhängen, todtprügeln – je nachdem. Wenn diese bewährten Mittel nun allerdings für Deutschland nicht zu empfehlen sind, so giebt es doch wohl noch andere, um dergleichen Schurken unschädlich zu machen.

Genug aber von dieser Schmach des deutschen Namens, die jedem ehrlichen Deutschen, den sein Lebensloos auf diese Scholle fremder Erde geworfen, die Schamröthe in’s Gesicht treibt! Möge diese wahrheitsgetreue Darstellung von Thatsachen, die wahr bleiben, trotz aller ihnen widersprechenden „Erklärungen“, endlich den sie betreffenden deutschen Regierungen die Augen öffnen, damit sie energische Schritte thun, diesem Menschen- und Seelenhandel ein Ende zu machen; denn aufhören wird er und aufhören muß er, oder Deutschland wird die Achtung im Auslande, mit der es leider einmal nicht eben glänzend bestellt ist – Dank sei es der inneren Zerrissenheit und der ungenügenden nationalen Vertretung in fremden Ländern – mit der Zeit noch gänzlich verlieren.

Dalles im Staate Oregon, Ende Februar 1865.

Theodor Kirchhoff.