Die zehnte Muse (Schmidt-Weißenfels)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Eduard Schmidt-Weißenfels
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die zehnte Muse
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 39, S. 531-533
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1857
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[531]
Die zehnte Muse.




Unter den Vereinigungspunkten der literarischen Geister von Paris gab es bis vor drei Jahren unstreitig keinen liebenswürdigeren, als den Salon der Frau von Girardin, die Muse Frankreichs oder auch die zehnte Muse genannt und die Gemahlin des großen industriellen Genies Emil von Girardin.[1]

Frau Delphine von Girardin war ein feiner, mit unendlicher Liebenswürdigkeit begabter Geist; der Reiz ihrer Unterhaltung hatte etwas Märchenhaftes und schien keine Ermattung zu kennen; alle Welt liebte sie und Niemand konnte ihr grollen, selbst wenn ein feiner Witz ihr entschlüpfte, dessen Stachel oftmals verwunden mußte. Glaubte sie Jemanden gekränkt zu haben, so erheiterte sie bald wieder seine Züge durch den Reiz sinniger Entschuldigungen, daß man denjenigen beneiden mochte, dem die Kränkung ein Recht gegeben hatte, der französischen Muse grollen zu dürfen, und der nun dankbar dafür war, weil so lieblicher Balsam in seine Wunde gegossen wurde. Delphine von Girardin kannte in ihrer Liebenswürdigkeit keinen Unterschied; sie hatte den Ehrgeiz, von Jedermann reizend gefunden zu werden, und auch die Befriedigung, ihren Wunsch in hohem Maße erreicht zu sehen.

Das geistreiche Weib, welches, als ich es 1851 zum zweiten Male wieder sah, bereits in der Mitte der vierziger Lebensjahre stand, durfte immer noch als eine Schönheit erscheinen, von der die Männer augenblicklich entwaffnet sind. Nicht allein die Feinheit und Regelmäßigkeit ihrer Züge bezeichneten sie als eine der Begünstigtsten ihres Geschlechts, sondern der Geist und der hohe Esprit, welcher der edlen Physiognomie aufgedrückt war, legten jenen magischen Reiz um diese Gestalt, der die Frauen sogleich in den Augen der Männer der menschlichen Sphäre entrückt und diesen zur Aufgabe macht, sie mit der Schönheit der von Poesie, umkleideten Göttinnen Griechenlands zu vergleichen. Die Majestät ihres Geistes, die von ihrem Antlitz strahlte, gewann durch die großen blauen Augen mit dem unendlichen Reiz und der innigsten Sanftmuth einen lieblichen Charakter, und dazu ein reiches, prächtiges Haar, das in blonden Locken herabfiel und ihr den Anschein einer deutschen Rittersfrau verlieh. Wenn ich nicht irre, so ist sie in Aachen geboren worden oder doch getauft; ihre Mutter Sophie Gay, welche an einen Generalpächter des Ruhrdepartements verheirathet war, wohnte lange in Aachen, und Frau von Girardin, welche leidlich deutsch verstand, erzählte manches aus jener frühesten Zeit ihrer Kindheit, wo sie in dem Salon ihrer Mutter mancher deutschen Celebrität begegnete; eine besondere Vorliebe schien sie für den Fürsten von Pückler-Muskau bewahrt zu haben, dessen Bekanntschaft sie schon als sehr junges Mädchen machte. Im Grunde so hervorragend durch den Schönheitstypus des deutschen Wesens, mit einer breiten und klaren Stirn, einem zierlich geformten Munde, hinter dem wie zwei Reihen Perlen der weiße Schmelz der Zähne leuchtete, konnte man sich nicht satt sehen an der zarten Weiße ihrer Haut, an diesen schön gerundeten Schultern, die der liebenswürdige Béranger mit denen der Venus verglich, an ihrem sanft anschwellenden Arm und an jenem Reiz des Lächelns, welches Chateaubriand für das eines Engels hielt. Alles, was diesen Vorzügen das glänzendste Licht verleihen konnte, war ihr gegeben; ein Geschmack der Toilette, der in den guten Kreisen häufig nachgeahmt wurde; eine Grazie des Benehmens, welche sich zugleich mit feinem Tact nach den Regeln der Etikette formte, wenn diese durch den Rang einer Person nöthig war, und eine Freundlichkeit des Empfanges, die keine Laune verändern, keine Stunde wechseln konnte.

Als ich acht Monate früher unter dem algierischen Zelt, welches in der Mitte ihres reizenden Gartens stand und in dem sie während des Sommers arbeitete und Besuche empfing, mich von der wohlwollenden Frau verabschiedete, um nach Schleswig-Holstein zu reisen und den letzten Feldzug mitzumachen, machte sie mir arge Vorwürfe, die Sicherheit einer angenehmen Stellung mit dem Ungefähr eines etwas abenteuerlichen Dranges vertauschen zu wollen.

„O ja, Madame,“ entgegnete ich, „in Frankreich glaubt man gar nicht, daß es in Deutschland auch Vaterlandsliebe gebe, und besonders setzt man dergleichen Gesinnungen nicht bei den Personen voraus, welche Frankreich zu bleibendem Aufenthalte erwählt haben.“

„Ah, ah! Sie haben nicht ganz unrecht,“ erwiderte sie; „aber die Schuld liegt bei den Deutschen selber, mon pauvre garçon; sie begeistern sich stets, wenn es zu spät ist.“

„Das mag Erbfehler sein; aber meinen Sie denn, Madame, daß es schon zu spät sei, sich für die deutsche Sache der Schleswig-Holsteiner zu begeistern?“

„Vielleicht.“

„Wie so vielleicht?“

„Mir scheint es, als wenn sich diese Affaire nicht des Opfers verlohne, welches Sie bringen wollen. Der Krieg wird zu Ende sein, noch ehe Sie dort ankommen und, das vermuthe ich wenigstens, er wird Sie sehr abkühlen.“

„Gleichwohl, ich werde hinreisen; mir scheint es ganz, als schlage dort im Norden Deutschlands und bei den alten Friesen das neue Deutschland wieder Wurzel.“

„In diesem Falle wird sich schon Jemand finden, der sie ausreißt.“

„O, wie denken Sie von der Zukunft Deutschlands!“

„O, was sind Sie für ein Querkopf,“ entgegnete sie köpfschüttelnd.

Als eine tête carrée nahm ich damals Abschied von Frau von Girardin, und als ich jetzt wieder der Rue Chaillot zuschritt, um mich der graziösen Frau vorzustellen, machte ich allerhand Glossen über die eingetroffene Wahrheit dessen, was sie damals vorausgesehen hatte. Auch schien sie den Abschied nicht vergessen zu haben und empfing mich mit dem Gesicht eines Menschen, der die Bestätigung seiner Prophezeihung erwartet.

„Eh, Monsieur,“ rief sie bedeutsam aus, nachdem sie mich mit freundlichem Wohlwollen empfangen hatte „Ihr Deutschland ist also ganz todt?“

„Durchaus nicht,“ entgegnete ich ernst.

„Wie, Sie leugnen dies und kehren doch zurück?“

„Ja, ich kehre zurück, aber Deutschland ist ganz regelrecht gestorben.“

„Elle est donc morte, comme je vous disais?“

„Non, madame, elle est mourue.“

Die beiden Empfangs-Salons im Parterre der Villa, welche sonst einem griechischen Tempel von Außen ähnelt, waren noch in demselben Zustande, wie vor acht Monaten. Die Meubles boten nichts von Eleganz und Reichthum, den man sonst in den feinen Salons anzutreffen pflegt; die Tapeten waren dagegen eleganter und von besserem Geschmack, als die früheren. Lächelnd zeigte Frau von Girardin darauf hin.

„Sie wissen, daß ich in meinem Hause nicht zu Hause bin; aber mein Mann hat in guter Laune neue Tapeten gekauft.“

Der speculative Girardin hatte nämlich dies Haus mehrere Jahre früher um ungemein billigen Preis gekauft und lauerte nur auf die Gelegenheit, es mit Gewinn wieder zu verkaufen. In Folge dessen zeigte er sich sehr geizig, irgend Etwas an seine Wohnung zu wenden. Als Besitzer eines der größten Journale und mit Einfluß bei einigen hochgestellten Personen konnte Girardin sehr gut dergleichen Speculationen zu seinen Gunsten dirigiren. Er fing an, in seinem Journal die Nothwendigkeit eines neuen Straßenbaues in der Gegend auszuposaunen, in welcher sich sein Haus befand; sein Einfluß brachte es dahin, daß die Regierung vielleicht in der Nähe eine Fabrik oder eine Anstalt errichtete, so daß der Grund und Boden einer früher öden Gegend bald erhöhten Werth bekam und der schlaue Industrielle alsdann sein Eigenthum mit drei- und vierfachem Vortheil verkaufen konnte. Die Villa der Rue Chaillot war auf diese Weise seit einigen Jahren bereits im Preise gestiegen.

In den kleinen Salons der Frau von Girardin versammelte sich noch immer die alte Gesellschaft; fast niemals fand man sie leer, sondern sowohl die Aristokratie des Fauburg St. Germain, als auch die Literatur und Kunst hatten ihre steten Vertreter hierselbst. Victor Hugo und Lamartine gehörten zu den treuesten Besuchern der Salons von Delphine Gay; ebenso Méry, Theophile Gautier, der Baron Rothschild, Balzac und Charles Hugo, der [532] Sohn des berühmten Dichters, der besonders von der „zehnten Muse“ geliebt war.

Um elf Uhr verabschiedete man sich gewöhnlich, denn die graziöse Wirthin pflegte gemeinhin noch eine bis zwei Stunden nachher zu arbeiten; oft aber blieben einige Gäste, besonders wenn es Fremde waren, lange nach Mitternacht zusammen und vermochten alsdann nur ungern sich zu trennen von dem geistreichen Geplauder, bei dem man mit Frau von Girardin die ganze Nacht hätte zubringen können. Es ist selbstverständlich, daß diesem Cirkel der Reiz anderer geistreicher Frauen nicht mangelte.

Frau von Girardin, welche gar nicht, oder doch nur sehr selten ihren Salon verließ, sammelte aus dem Geplauder, welches stets die Abende bei ihr zu einem seltenen Genuß machte, den Stoff zu der pikanten und berühmten Revue, welche sie als Vicomte Charles de Launay in dem Journal ihres Gemahls veröffentlichte. Ihre Pariser Briefe gehörten zur geistreichsten Lectüre, welche damals irgendwie die Feuilletons ausweisen konnten; sie geben einen annähernden Begriff von jenen liebenswürdigen Causerieen, die in ihren Salons gebalten wurden. Diese Feuilletonartikel, welche sie im Jahre 1836 begann und gegen Ende des Jahres 1848 abbrach, bilden ein sehr werthvolles Archiv zur Kenntnißnahme der Louis Philipp’schen Zeit und erschienen gesammelt unter dem Titel: le Vicomte de Launay.

Die literarischen Debüts der Frau von Girardin fielen in jene Epoche, wo die Poesie Frankreichs nach einem dumpfen Schlafe wieder erwachte und in herrlichen Liedern zu singen schien, was sie im Schlummer geträumt. Mit dem goldenen Saitenspiel der Lamartine’schen und Victor Hugo’schen Muse verbanden sich damals die zarten Lyraklänge ihrer Mutter, einer Desbordes-Valmores und Elise Mercoeur, Delphines Poesien erschollen dazwischen und die Gesänge von „Madeleine“ schmückten sie mit dem zarten Lorbeer einer Dichterin. Die Dichtungen, welche nun folgten, besonders nach ihrer Rückkehr aus Italien, und von denen Napoline, Ourika, l’Hymen à Ste. Genéviève, la Druidesse und Le rève d’une jeune fille die bemerkenswerthesten sind, so wie die Grazie, welche Alle bewunderten, die ihr naheten, erhoben sie mit poetischer Galanterie zur Muse Frankreichs, wie man in Deutschland die geistvolle Rahel Varnhagen als Mutter des jungen Deutschlands gefeiert hatte. Und Niemand bestritt ihr diesen schönen Namen; denn in der That gleichen die naiven Gefühle und die reizende Lieblichkeit ihrer Verse ihrem innersten Wesen und dem Eindrucke, den sie auf Jedermann machten.

Die reizenden Erzählungen, welche außerdem von ihr erschienen und wo sie mit der Anmuth ihres Geistes mehr, denn durch die höchst einfache Phantasie unterhält, erwarben ihr weithin reiche Freundeskreise; denn Novellen wie Marguerite und der Marquis de Pontanges mit dem darin sprudelnden Witz und ruhenden Gefühl werden stets Zierden der Literatur bleiben; der Stock des Herrn Balzac, man soll nicht spielen mit dem Schmerz, und andere gehören zu den feinsten Portraits, die eine weibliche Feder jemals von dem Gefühl des Frauenherzens und dem eleganten Leben gemacht hat. Herr von Girardin wollte nach seiner Heirath der Gemahlin die Feder aus der Hand nehmen und hat es nie gern gehabt, wenn man sie in der Literatur feierte; aber selbst diesem Schlaukopf ist trotz mancher bittern Chicanen das Unmögliche nicht gelungen; denn Nichts ist unmöglicher, als daß ein Dichter, mag er die Verse auch noch so oft verschworen haben, aufhört zu dichten – und nun gar erst eine geistreiche Frau!

Die Poesie sucht sich in Frankreich mehr denn anderswo der Bühne zu vermählen, um schlagendere Erfolge zu erstreben. Der Frau von Girardin konnte ein solcher Ehrgeiz weder fremd bleiben, noch durfte er bei ihr überraschen. Indessen waren die ersten Prüfungen auf dieser Laufbahn, zu deren Zielerreichung mehr Glück als Verstand gehört, sehr hart in ihrer Art und bittere Dornen, welche einen muthloseren Geist kaum noch zu ferneren Anstrengungen ermuthigt haben würden. Der Götze Ruhm begehrt gerade hinter den Lampen und hinter den Coulissen ein Glück, an welches gewöhnliche Menschen, die schon beim hellen Tage genug Ohrfeigen des Unglücks erhalten, nur in einer Art von Delirium zu glauben im Stande sind.

Delphine von Girardin’s erstes Stück war: „die Schule der Journalisten.“

Zum Schrecken des journalistischen Gemahls, welcher die Poeterei seiner Ehehälfte überhaupt nur sehr ungern, und eine über die Persönlichkeiten seines Standes nun gar mit bittrem Verdrusse sah, wurde das Stück einstimmig im Jahre 1837 vom Theatre français zur Aufführung angenommen. Der Redacteur der „Presse“ war untröstlich darüber; er glaubte seine Ehre als Deputirter verletzt, seine Geheimnisse des Journalismus, dem er Alles verdankte, verrathen, und da er überdies schon manche starke Versuche gemacht, der Tochter Sophie Gay’s das literarische Handwerk zu verleiden, so ist sehr wohl anzunehmen, daß er die neue poetische Laune seiner Gattin von vornherein durch ein Mißgeschick zu unterdrücken beabsichtigt habe. Genug, die Censur der Regierung untersagte das Stück. Glücklicherweise sind einige Trümmer davon für die deutsche Bühne gerettet worden; denn Gustav Freitag hat mit Hülfe derselben, so wie mit einigen Brocken des Scribe’schen Stückes la camaraderie den ersten Act seines Lustspiels „die Journalisten“ gemacht.

Ein noch bittereres Loos erlebte die Tragödie „Judith“ im Jahre 1843. Trotzdem die Hauptrolle von der Rachel gespielt wurde, die sehr intim mit der Dichterin befreundet war, gefiel das Stück nicht. Der mittelmäßige Erfolg der 1847 aufgeführten „Cleopatra“ überzeugte Frau von Girardin endlich ganz, daß ihr graziöses Talent den tragischen Cothurn nicht zu tragen vermöge und aller Geist und alle sanfte Poesie, die sie besaß, Schiffbruch an der Gewalt des Heroischen nahm.

Weiser wie andere Dramatiker verließ die zehnte Muse das sophokleische Feld und flüchtete mit ihrem Talent in die heimische Sphäre des feinen Geistes zurück. Das kleine, aber reizende Proverbe: „das ist der Fehler des Ehemanns“ entschädigte mit seinem glänzenden Erfolge für alles Mißgeschick der früheren dramatischen Arbeiten und noch mehr das Stück „Lady Tartüffe“, mit welchem sie einen bleibenden Ehrenplatz auf der Bühne errang. In dem folgenden, „Freude und Furcht“, liegt eine unendliche Poesie verschleiert, und Paris konnte sich lange nicht satt sehen an diesem liebenswürdigen Stücke; noch mehr Glück aber machte „der Hut des Uhrmachers“, das, durch seinen prickelnden Witz und sprudelnden Humor, mehr denn hundert Vorstellungen erlebte.

Frau von Girardin war überdies keineswegs so unbekannt mit der deutschen Literatur, wie es gemeinhin die französischen Schriftsteller sind. Vermochte sie auch nur mangelhaft die Sprache selbst zu handhaben, so las sie doch deutsche Bücher mit ziemlicher Leichtigkeit und pflegte manche Stellen darin, die sie nicht ganz verstanden, mit Bleistift anzustreichen, um bei Gelegenheit von mir nähere Aufklärung zu begehren. Der gute Lafontaine war ein Liebling von ihr und ebenso Heinrich Heine, dessen Loreley-Lied und Wallfahrt nach Kevlaar von ihr vor allen andern den Vorzug erhielten; auch hatte sie durch die Lectüre von St. Roche, den ich ihr gegeben hatte, so viele Zuneigung zu den Romanen der Paalzow bekommen, daß ich ihr die übrigen besorgen mußte.

Als sie mir einst eine Sammlung der besten deutschen Dichtungen zurückgab, die mit besonderer Sorgfalt nach den verschiedenen Dichterschulen eingetheilt waren, sagte sie:

„Dies Buch hat mich belehrt, daß die französische Poesie wie eine Palme dasteht, von deren einzigem Stamm sich eine prächtige Blätterkrone entfaltet; die deutsche dagegen einem Kirchenschiffe gleicht, welches viele Säulen und Pfeiler tragen, in dem es Altäre, Kapellen und Nischen gibt, und in dessen weitem Raum die Menge andächtig, aber vor verschiedenen Kreuzen betet.“

Wie schon gesagt, war Victor Hugo Besucher dieses geistreichsten aller Pariser Salons. Seit der Krönung der „Muse von Frankreich“, die mit dem Journal im Anfange der zwanziger Jahre stattfand, war er einer ihrer treuesten Paladine geblieben. Der Dichter von „Notre Dame“ macht, noch ehe man seinen Namen kennt, durch sein tiefes Auge, seine schöne Stirn und gütigen Züge einen herzgewinnenden Eindruck; in seinem Benehmen liegt etwas weibliche Koketterie, aber auch eine Herzlichkeit, die weit über die cordialen Formen der französischen Politesse und Höflichkeit hinausgeht. Dabei fesselt ein sanfter, fast träumerischer Schmelz, der den Blick leicht umflort; die Spiegel der Seele vergönnen reichlich die Geheimnisse eines Dichterherzens abzulauschen, zu deren Verständniß nichts fehlt, als der magische Zauber derjenigen Worte, die Victor Hugo zu Gebote stehen.

Der liebenswürdigste und beneidenswerthe Familienvater, bewahrt er eine rührende Pietät für die so tragisch gestorbene Tochter und ihren Gatten Vaquerie. Noch in der ersten Zeit ihrer glücklichen Ehe, wo die Dornen der Rosenkette noch Niemanden verwundet [533] hatten, befanden sich Beide am Ufer der Seine, zu Villequier, zwischen Havre und Rouen. Man machte eine Wasserpartie auf dem Flusse, als plötzlich der Kahn umschlug, und die Tochter des Dichterfürsten in die Wellen geschleudert wurde. Mit einem jähen Schrei stürzte sich der junge Gatte nach; er ergriff die Besinnungslose, und suchte sie über den Fluthen empor zu halten. Doch die Unglückliche riß sich im Todeskampfe immer wieder von den Armen des Retters los; ihrer Phantasie schien in den letzten Flügen nur noch der Gedanke an den Tod zu Gebote zu stehen, von dessen eisernen Armen sie sich allein umklammert wähnte. Dreimal riß der Gatte sein Weib aus dem verderbenbringenden Element, und eben so oft entwand sich seinen Händen die theure Last, die endlich bleich und todt auf den Grund der Seine sank.

Als Vaquerie die Geliebte rettungslos verloren sah, da warf er einen letzten, langen Abschiedsblick auf die blühenden Ufer, und stürzte sich dann dem ertrunkenen Weibe nach. Eng aneinander gepreßt, in einer letzten Umarmung, fand man Beide an’s Ufer geschwemmt; aber kein Priester der Kirche wollte sich nun finden, um den edlen Selbstmörder in geweihter Erde zu bestatten.

Am Grabhügel Beider weinte der Dichter von „Notre Dame“ alle Jahre am Todestage. Als man ihn dann in’s Exil geschleudert, da vergoß er die Thränen am Ufer des Meeres, welches ihn von Frankreich und den theuren Gräbern schied, und sandte mit den Wellen seinen stummen Klagegruß hinüber:

„Tu sais, n'est-ce pas, que ce n'est pas ma faute,
Si depuis ces quatre ans, pauvre coeur sans flambeau,
Je ne suis pas allé prier sur ton tombeau!“

Eben so treu ist Delphine von Girardin der andere Dichterfürst Alphonse de Lamartine geblieben. Sein Antlitz, im Jahre 1848 noch überwiegend von edler Sanftmuth, trug jetzt die Furchen mancher Sorge, welche ihm die kurze Herrschaft über Frankreich auferlegt hatte. Der geborene Edelmann und diplomatische Cavalier verleugnete sich keinen Augenblick bei ihm, und sein kleiner, ohne besondern Prunk decorirter Salon versammelte noch stets die vornehmsten Träger der Diplomatie, welche sich dort mit denen der Kunst, der Literatur, der Wissenschaft, des Heeres, der Kirche und Fremden von Auszeichnung Rendezvous zu geben pflegten. Da Lamartine von der Damenwelt geliebt war, so mangelte diesem Cirkel auch nicht der Glanz der Frauen, die bald dem plaudernden Dichter lauschten, bald in Gesellschaft von Madame de Lamartine waren, die, eine liebenswürdige Engländerin, die Honneurs mit allem Takt einer Dame von feinstem Ton machte. Noch vor Mitternacht pflegte Lamartine sich zurückzuziehen, um schon früh am Morgen die gewohnte Arbeit zu beginnen und, auf den Knieen schreibend, nur hin und wieder mit seinen geliebten Windspielen zu kosen.

Durch die Beziehung mit jenem Kreise lernte ich auch Granier, aus Cassagnac in der Gascogne, kennen; aber ich vermochte nie eine unerklärliche Abneigung gegen diesen charlatanischen Federhelden zu unterdrücken, der, wenn auch mit Geist begabt, so unwürdigen Schacher mit den Mannesgesinnungen getrieben hatte. Granier de Cassagnac, wie er sich zu nennen beliebt, einer der routinirtesten Journalisten, und mit denselben Industriegedanken wie Girardin, war damals schon Alles gewesen, was ein Mensch in politischer Hinsicht nur in einem an Parteien so reichen Lande wie Frankreich werden kann; er war Royalist und Republikaner, Legitimist, Fusionist, Orleanist, Doctrinair und Communist gewesen, und gleichwohl hatte seine der jedesmal herrschenden Ansicht dienende Feder ihm nicht zu dem Glück verholfen, welches er so sehnsüchtig anstrebte. Das Schicksal sparte ihn zu einem bonapartistischen Federmenschen auf; nicht allein, um eine Wiederholung von einer seiner frühern Gesinnungen zu vermeiden, sondern auch, um sich dankbar für das reiche Gehalt zu zeigen, welches ihm die Regierung zahlte, wurde denn Granier de Cassagnac ein eifriger Bonapartist. –

Scheidend von dem Salon der zehnten Muse, bietet sich mir ein guter Uebergang zu dem eminentesten Frauentalent der Jetztzeit dar. In dem Geplauder, welches Frau von Girardin einzig in ihrer Art zu beleben verstand, kam auch wohl eine Kritik der hervorragenden Geister vor, und es konnte nicht fehlen, daß die zehnte Muse auch George Sand besprach. Das Merkwürdige ihrer Ansicht über diese bedeutende Frau bestand darin, daß sie dieselbe weniger für eine Dichterin der bloßen Phantasie, als, wenn ich so sagen darf, der Autopsie hielt. Sie gefiel sich darin, anzunehmen, daß George Sand bei der Schöpfung ihrer Gestalten stets nur den Gedanken einer ihr nahe stehenden Person verkörpert habe, und erblickte in dem Kataloge ihrer Werke die ganze Geschichte ihrer Affectionen; so hat sie in dem Werke Sand’s: „die sieben Saiten der Lyra“ z. B. die Person von Franz Liszt herauskritisirt, und eben so in der Gestalt des Herrn von Ramière, einem der Helden des Romans „Indiana“, einen eleganten, aber undankbaren Geliebten der berühmten Dichterin.

Durch die Dichtungen George Sand’s und die mannichfachen Mittheilungen über ihr früheres Leben hatte ich mit Hülfe der Einbildungskraft, die so gern große Gegenstände nach ihrem Gefallen auszuschmücken liebt, mir eine eigenthümliche Vorstellung von der Verfasserin so vieler Romane mit ehefeindlicher Tendenz gemacht. Ich hielt sie für einen Typus des Excentrischen, für einen Blaustrumpf, der alle Weiblichkeit und, trotz der vielfachen Intimitäten mit geistreichen Männern, wie Jules Sandeau, Alfred de Musset, Lamennais und Anderen, stets eine gewisse Bitterkeit gegen sie an den Tag lege. Ihre Memoiren existirten damals noch nicht, und neben vielen Irrthümern über die Vergangenheit und die Erfahrungen ihres Lebens hatten sie tausenderlei Gerüchte mit einem ebenso mystischen als dichten Dunstkreis umhüllt. Ich vermuthete in ihr eine Amazone, die in ihrem ganzen Wesen nichts von Weiblichkeit verrathen werde, ein überspanntes Geschöpf mit der sonderlichsten Attitüde und dem Habitus einer Emancipirten: genug, es konnte keine eigenthümlichere Vorstellung von der Chatelaine zu Nohant geben, als ich sie besaß.

Aber wie zerbrach dies von der Phantasie geformte, bizarre Gebild beim Anblick des Originals! Ich fand in der Schloßfrau von Nohant, ihrem Gute, eine so einfache und natürliche Frau, daß ich mich viel eher einer guten bürgerlichen Hausfrau Deutschlands, denn der berühmten Dichterin Frankreichs gegenüber zu finden glaubte. Ihre ganze Umgebung war voller Einfachheit, und kein Möbel verrieth mit feinem guten Geschmack eine Spur von der geahnten Excentricität, die oft so überwältigend aus ihren Romanen herausblitzt. Madame George Sand nähte im Gegentheil sehr emsig an einem Costüme für ihr kleines Haustheater im Schlosse Nohant, auf dem sie, wie man sagt, in Gemeinschaft der Bauern des Dorfes, ihre Stücke aufzuführen pflegt. Ueberdies gab es mannichfache Gelegenheit, eine tüchtige Hausfrau mit aller nur denkbaren Prosa in ihr zu erkennen, und keine Spur verrieth in ihrem ganzen durch und durch mütterlichen Hausfrauwesen eine gefeierte Berühmtheit, noch eine Dichterin, noch gar ein bizarres Frauenoriginal.

Ebenso stand die Vorstellung von ihrer persönlichen Erscheinung vollständig im Widerspruch mit dem Original; es war nichts Phantastisches, nichts Literarisches an ihr; im Gegentheil machte ihre Physiognomie einen so simplen Eindruck, daß die gesammte frühere Erwartung davor in’s Erstaunen gerieth. Fast könnte man sagen, George Sand sehe zu nüchtern für eine geistreiche Schriftstellerin aus; eine liebevolle Gutmüthigkeit, wie sie bei Bürgerfrauen gefunden wird, lagert auf allen Zügen; das ganze Gesicht, mit einer hohen Stirn, einer ziemlich starken Nase und in länglicher Form, sieht so sanft, bescheiden und einfach verständig auf den Besucher, daß man sich gewissermaßen erst vergewissern muß, in der That im Schlosse Nohant bei der George Sand zu sein.

Bald aber fühlt man sich durch das graziöse Benehmen und die weiche Stimme der Dichterin behaglich in ihrem Salon; auch wird man bald gewahr, wenn erst die Unterhandlung begonnen, daß man einen durchdringenden Geist und ein reiches Gemüth vor sich hat. Die kleine, wohlbeleibte, in Schwarz gekleidete Frau, mit einfach gescheiteltem Haar, wirft dann so belebte Blicke auf den Besucher, daß man förmlich das immer reger werdende Spiel ihres Geistes beobachten kann; man sieht die Lichter in ihrem Kopfe anstecken und nur, wenn ihr lieblich lächelnder Mund schweigt, blickt ihr großes Auge sanft, etwas melancholisch und echt weiblich herab, um alles Vertrauen und alle Innigkeit zu ihr aufzumuntern.

So zertrümmerte das Original von George Sand die zahlreichen Portraits, welche von ihr entworfen waren. – Als ich die Chatelaine von Nohant verließ, sann ich darüber nach, wie doch die menschliche Einbildungskraft uns die boshaftesten Streiche spielt, und wie zur tieferen Erkenntniß eines Schriftstellers auch dessen persönliches Kennenlernen für nothwendig befunden werden müßte.

E. Schmidt-Weißenfels.




  1. Siehe das Portrait: Ein Parvenu der Presse in Nr. 28. der Gartenlaube.