Die zwölfte Stunde des türkischen Reichs

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Titel: Die zwölfte Stunde des türkischen Reichs
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aus: Die Gartenlaube, Heft 24, S. 254-258
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[254]

Die zwölfte Stunde des türkischen Reichs.

So verhängnißvoll auch die Eroberung von Konstantinopel durch Mahomed II. am 29. Mai 1453 im ersten Augenblicke für das ganze christliche Abendland schien, so legte gleichwohl dieses Ereigniß die Keime zu einem Umschwung, an dem die damals so gefürchtete Macht des aus Asien eingedrungenen Volkes mit der Zeit brechen sollte [255] und der in unsern Tagen die Catastrophe herbeiführen zu wollen scheint. Bei all der trostlosen Zerrüttung des griechischen Kaiserreichs in seinen letzten Tagen hatte nämlich Konstantinopel dennoch den letzten Schatz altgriechischer Schulweisheit, Bildung und Kunst zu bewahren gewußt, und die Träger derselben gaben, als nach dem Falle Konstantinopels ihnen, den Flüchtigen, das europäische Abendland eine neue Heimath gewährte, den Anstoß zu einem reichen Geistesleben, welches Europa aus seiner Halbbarbarei aufrüttelte, die Pflege der Wissenschaften hervorrief und Schritt um Schritt jene Civilisation gebar, durch die später das türkische Reich allmälig mindestens eben so erdrückt wurde und noch wird als durch seine politischen Feinde.

Das Dardanellenschloß Kum-Kalesi.

Zwar hatte nach dem Falle Konstantinopels Europa sich noch mehr als zwei Jahrhunderte lang gegen das Anstürmen der wilden Osmanlis unter einer Reihe von kraftvollen Herrschern zu wehren, ehe ihrem letzten Vordringen im Jahre 1683 unter den Mauern Wiens ein Ende gemacht wurde; von da ab zeigt aber das gewaltige Reich in schneller Aufeinanderfolge dieselben Anzeichen innerer Zerrüttung und äußern Verfalles, wie sie nicht anders die letzte Periode des griechischen Kaiserthums bot. Ein und dieselbe Erscheinung wiederholt sich auf ein und demselben Boden, und die unerbittliche Nemesis der Weltgeschichte beginnt.

Das Bosporusschloß Rumili Hissar.

Als der gefährlichste politische Feind des türkischen Reichs trat alsbald Rußland auf, das in stets glücklichen Feldzügen der Pforte eine Demüthigung um die andere [256] zufügte, und doppelt gefährlich war, weil in der europäischen Türkei, als fast rechtlose Unterthanen der Sultane, 11 Millionen griechische Christen leben, die Alles von Rußland hoffen und zu dessen geheimen Verbündeten gezählt werden können. Während der ersten Hälfte des gegenwärtigen Jahrhunderts geht der Verfall der türkischen Macht immer rascher vor sich. In den Provinzen erschüttern rebellische Paschas unausgesetzt das Ansehen der Sultane; der energische und glückliche Mehemed Ali, von seinem Sohne Ibrahim Pascha unterstützt, erhebt sich zum fast unabhängigen Herrn von Aegypten; der Aufstand der Griechen im Jahre 1821, obwohl er eine blutige Christenverfolgung hervorruft (in Konstantinopel allein wurden 30,000 Christen hingeschlachtet), führt zur Unabhängigkeit des alten Hellas; der sich hieran knüpfende Krieg mit Rußland (1828) reißt die Donaufürstenthümer aus ihrem bisherigen Unterthanenverband und macht sie der Pforte gegenüber ebenfalls fast unabhängig; und noch später scheinen neue Verwickelungen mit dem ägyptischen Vicekönig den Untergang des Reichs zu beschleunigen, dessen Zügel, mit dem 1839 erfolgenden Tode Mahmud’s, in die Hände eines Kindes, des jetzigen Sultans Abdul Medschid fallen.

Während die Pforte in solche rath- und hülflose Zustände gerieth, war ihr endliches Schicksal schon längst ein Gegenstand hoher Fürsorge für die europäische Diplomatie geworden, und bald mehr, bald weniger drohend für die Ruhe Europas, tauchte von Zeit zu Zeit immer wieder die türkische Frage auf. Die dabei in ihrem Einfluß auf den türkischen Ministerrath, den Divan, in Konstantinopel sich am meisten überwachenden Mächte, waren Rußland und England, welch letzterem sich zumeist auch Frankreich anschloß, und so entstanden, neben den Alt-Türken, Parteien, von denen die eine im Anlehnen an Rußland, die andere im Bunde mit England oder Frankreich oder mit beiden zusammen, den morschen Staat zu stützen hoffte. Es würde uns hier viel zu weit führen, dem an dieses Verhältniß sich knüpfenden diplomatischen Schachspiel in allen seinen Zügen zu folgen, und wir müssen uns mit der allgemeinen Andeutung begnügen, daß die russische Politik im Wesentlichen auf den frühern oder spätern gänzlichen Erwerb der türkischen Besitzungen in Europa hinauslief, während England und Frankreich die Unabhängigkeit der Pforte aufrecht zu erhalten strebten. Daß die Politik der letztern hierbei weniger von Uneigennützigkeit als von Eifersucht gegen Rußland diktirt wird, ist klar, denn für sie handelt es sich vor Allem darum, daß Rußland, neben einem mächtigen Zuwachs an Land und Volk, nicht zugleich mit seinen Flotten das offene Meer erreicht, was bei der Besitznahme der europäischen Türkei die Folge sein würde. Ohne diese sich widerstreitenden Interessen der Großmächte, würde die türkische Macht zur Stunde bereits in Europa vernichtet sein, so aber verzögert sich ihr Fall, freilich wohl nur um eine kurze Spanne Zeit, da es ihr einmal an aller inneren Lebensfähigkeit fehlt, und Frankreich und England, selbst um den Preis eines Krieges, den Russen schwerlich die schon halb verschlungene Beute vorenthalten dürften.

Ein ernstliches Zerwürfniß zwischen der Pforte und Oesterreich und Rußland drohte im Jahre 1849, als die Trümmer der ungarischen Revolutionsarmee sich auf türkisches Gebiet geflüchtet hatten und deren Auslieferung verlangt wurde, auszubrechen, wurde jedoch durch theilweise Nachgiebigkeit von beiden Seiten zuletzt wieder beigelegt, ohne jedoch zwischen den drei Mächten das frühere freundliche Einvernehmen gänzlich herzustellen. Die üble Behandlung, welcher sich österreichische Unterthanen, ja selbst Agenten der Regierung, mehrfach in der Türkei ausgesetzt sahen, wozu verschiedene andere Streitpunkte kamen, veranlaßten im Anfang dieses Jahres zuerst das Erscheinen eines außerordentlichen österreichischen Gesandten in Konstantinopel. Graf Leiningen trat entschieden auf, so daß er den anfänglichen Widerstand des türkischen Ministeriums gänzlich brach und alle im Namen seiner Regierung gestellten Forderungen gewährt erhielt. Oesterreich errang damit jedenfalls einen bedeutenden diplomatischen Sieg in Konstantinopel.

Das kaum verzogene Unwetter sollte sich aber schnell wieder, und zwar drohender, über der Pforte zusammenballen. Bald nach der Abreise des Grafen Leiningen erschien nämlich in der Person des Fürsten Menzikoff ein außerordentlicher Gesandter Rußlands, der eben so sehr durch sein energisches Auftreten, als durch die von ihm überbrachten Forderungen den Stolz der Türken aufreizte und ihre Eitelkeit beleidigte. Die verhängnißvollsten dieser Forderungen bestanden in der verlangten Abtretung eines Küstenstrichs am schwarzen Meere mit dem Hafenorte Batun, um den Krieg in Tscherkessien nachdrücklicher fortsetzen zu können, und ferner in dem beanspruchten vertragsmäßigen Protektorat über die in der Türkei lebenden orthodoxen Griechen und in der Einsetzung eines lebenslänglichen Patriarchats. Die Pforte erkannte bald die hohe Gefahr, die in der Gewährung dieser Forderungen für ihre Hoheitsrechte lag, und nach mehrwöchentlichen Unterhandlungen, bei denen der Einfluß des englischen Gesandten Stratford de Redcliffe nicht zu verkennen war, stellte sie dem Ansinnen Rußlands eine bestimmte Weigerung entgegen. Das zuletzt von Menzikoff gestellte Ultimatum, dessen kriegerische Drohungen, ja selbst die russischer Seits beginnenden bedeutenden Rüstungen und Truppenausstellungen an der türkischen Grenze änderten an dem Entschlusse der Pforte nichts und Menzikoff verließ Konstantinopel unverrichteter Dinge.

Rußland hat zwar mit Krieg gedroht, allein ob es auch jetzt noch, wo allem Anschein nach England und Frankreich zur nachdrücklichen Unterstützung der Pforte entschlossen sind, zu diesem äußersten Mittel greifen wird, ist um so mehr zu bezweifeln, als trotz des schroffen Abbrechens der Unterhandlungen, die Aussicht auf deren Wiederaufnahme in einer mildern Form nicht gerade abgeschnitten sein soll. Wäre dem so, so würde die Krisis noch einmal hinausgerückt sein, ohne daß indessen ein Beweis für die fernere Lebensfähigkeit des türkischen Reiches gewonnen wurde. Nur fremde Hülfe hält den sinkenden Halbmond aufrecht, und die Ueberzeugung von dem nahen Falle Konstantinopels wurzelt selbst unter den Osmanlis so fest, daß die Strenggläubigen sich schon seit längerer Zeit nicht mehr auf der europäischen, sondern auf der asiatischen Seite begraben lassen, damit ihre Gräber nicht vielleicht eines Tages von den Füßen der Christenhunde getreten werden.

[257] Die der Reform befreundete türkische Partei verhehlt sich eben so wenig den Verfall des Staates; gegen seinen Untergang sucht sie aber eben dadurch anzukämpfen, daß sie europäische Civilisation auf das welke Reis des Islam zu pfropfen unternimmt; ein um so schwierigeres Beginnen, als dabei alte nationale und religiöse Vorurtheile verletzt werden, und das Mißverhältniß in den europäischen Besitzungen, wo 3 Millionen Osmanlis, neben 11 Millionen Christen, das herrschende Volk bilden, doch nicht gehoben wird. Da die Türkei im Laufe der beiden letzten Jahrhunderte die überlegene Kriegskunst ihrer Nachbarn mehrfach hatte erfahren müssen, so war es natürlich, daß auf diesem Gebiet zunächst zu Reformen geschritten wurde und eine Umgestaltung der Armee und des Kriegswesens auf europäischem Fuße erfolgte. Dies begann schon unter Sultan Mahmud und wurde unter dem seligen Sultan fortgesetzt, ohne daß jedoch die Wehrkraft des Reichs wesentlich gestiegen zu sein scheint. Die ganze Reorganisation der Armee ist nicht viel mehr als ein künstlicher Firniß geblieben. Angeblich vertheilen sich die Streitkräfte der Pforte wie folgt: Active Armee 160,000 Mann mit 2000 Feldgeschützen; Reserve 150,000 Mann; irreguläre Truppen 60,000 Mann; Hülfscorps von Aegypten, Tunis, Tripolis, Albanien u. s. w. 100,000 Mann. Die Seemacht besteht aus 16 Linienschiffen, 14 Fregatten, 12 Corvetten, 20 Briggs und 18 Kriegsdampfern von 3700 Pferdekraft, zu denen noch einige weitere der Regierung zur Verfügung stehende Dampfer kommen. Wären diese Streitkräfte, welche bei einer ganz anständigen Marine ein Landheer von 470,000 Mann aufweisen, in Wirklichkeit und nicht blos auf dem Papier vorhanden, so müßte die Pforte immer noch zu den Mächten ersten Ranges gezählt werden und könnte allenfalls selbst Rußland gegenüber auf fremde Hülfe verzichten. Aus der eigenen Hülflosigkeit der Pforte erhellt aber zur Genüge, welche Bewandtniß es mit ihrer Streitmacht hat, auf deren Widerstandsfähigkeit sie selbst kein großes Vertrauen setzt.

Ein Angriff der Russen auf die Türkei würde mit dem Uebergange des die Grenze zwischen beiden Staaten bildenden Pruth beginnen; ein zweites natürliches Hinderniß bildet die Donau, welche ebenfalls zu übersetzen wäre; zuletzt müßte das steile und rauhe Balkangebirge überstiegen werden, um in der Ebene von Konstantinopel zu erscheinen. In dem letzten russisch-türkischen Feldzuge 1828 bis 1829 brachte die russische Armee das Alles zu Stande, weshalb kaum anzunehmen, daß es ihr ein zweites Mal nicht wieder gelingen sollte, womit indeß durchaus nicht gesagt sein soll, daß es sich hierbei etwa um einen bloßen militärischen Spaziergang handelt, denn sicher wird bei einem Entscheidungskampfe der wilde Muth der Osmanlis noch einmal, wenn auch vergeblich, aufflammen. Ein anderer Weg als der eben bezeichnete führt für die Russen nicht nach Konstantinopel, indem einen etwaigen Angriff von der Seeseite her die Natur selbst vorgebeugt hat, und Werk von Menschenhand während der glücklichen Tage des türkischen Reichs der Natur hierbei noch weiter zu Hülfe gekommen ist. Bekanntlich liegt Konstantinopel (s. das beigegebene Kärtchen) am Marmorameere, das nach Norden mit dem schwarzen Meere, nach Süden mit dem ägäischen Meere (ein Theil des großen mittelländischen Meeres) durch zwei schmale Meerengen in Verbindung steht, von denen die nördliche den Namen Bosporus führt, die südliche als Dardanellenstraße bekannt ist. Beide Wasserstraßen sind ihrer heftigen, von Norden nach Süden gehenden Strömung wegen so schon schwer zu passiren, und die an ihren Ufern angelegten Befestigungswerke schließen den Seeweg nach Konstantinopel noch mehr, und sind somit für dessen Vertheidigung von entschiedener Wichtigkeit.

Der Bosporus ist etwa 4 Meilen lang, während seine Breite zwischen 1400 bis 2200 Fuß wechselt. An seiner schmalsten Breite stehen die sogenannten Hissaren (Schlösser), auf der asiatischen Seite: Anadoli Hissari, auf der europäischen: Rumili Hissari (s. die Abbildung). Letzteres, die stärkere Veste, ließ Mohamed II. im Jahre 1451, also zwei Jahr vor Eroberung Konstantinopels durch die Osmannen, anlegen, halb mit Bewilligung des griechischen [258] Kaisers, halb ihm zum Trotz, und diente sie damals eben so zur Bedrohung Konstantinopels wie jetzt zu seinem Schutz. Rumili Hissar besteht aus fünf dicken, runden, durch starke Mauern unter einander verbundenen Thürmen; seine Gestalt ist im höchsten Grade unregelmäßig, weil dem Willen Mohamed’s gemäß durch die Mauern des Schlosses der arabische Schriftzug des Namens Mohamed dargestellt wurde. Der Hauptsache nach wurde der Bau, der weit fester ist als es, vom Meere aus gesehen, scheint, in dem kurzen Zeitraum von drei Monaten beendet. Das Schloß auf der asiatischen Seite stammt aus etwas früherer Zeit; beide, die auch zu Staatsgefängnissen und heimlichen Hinrichtungen dienten, wurden im Laufe der Zeit noch mehr befestigt, und ihnen an reiht sich eine doppelte Reihe von Festungen und Batterien bis zum Eingange des schwarzen Meeres. Diese Befestigungen und die durch zahlreiche hervorspringende steile Landspitzen veranlaßten heftigen Strömungen und Gegenströmungen des Wassers machen den Bosporus für feindliche Schiffe unzugänglich, und haben ihn wenigstens solche noch nie passirt.

Denselben Charakter trägt die 16 Stunden lange und 1/2 bis 2 Stunden breite Dardanellenstraße, der Hellespont der Alten. Die eigentlichen (alten) Dardanellenschlösser, Killid-Bahar in Europa und Boghaz-Hissar oder Sultanieh Valessi in Asien, ließ derselbe Mohamed, der Rumili Hissari am Bosporus erbaute, nachdem er Konstantinopel erobert hatte, an der schmalsten Stelle der Meerenge anlegen. Die Schlösser stehen nur etwa 2000 Schritt auseinander und sollte ursprünglich die Wasserstraße an dieser Stelle noch mit Ketten gesperrt werden, hauptsächlich zum Schutze gegen die Flotten der damals noch mächtigen italienischen Handelsrepubliken. Später wurden an der Einfahrt aus dem ägäischen Meere die beiden neuen Dardanellenschlösser, auf der europäischen Seite Sitil-Bahar, gegenüber Kum- oder Kanah-Kalesi auch Hissar-Sultani (s. d. Abbildung) angelegt, an welche sich die ganze Meerenge entlang eine Reihe von Befestigungswerken und Batterien schloß, die bei gut unterhaltenem Zustande die Durchfahrt feindlicher Schiffe schlechterdings unmöglich machen, da der Weg an mehr als 800 Feuerschlünden (1 bis 1600 Pfündern) vorübergeht. Mit dem allgemeinen Verfall des türkischen Reichs waren indeß auch diese wichtigen Festungswerke in Verfall gerathen, und so konnte im Jahre 1770 der russische Admiral Elphinstone zwei türkische Linienschiffe die Dardanellenstraße entlang verfolgen, ohne auch nur von einem einzigen Schusse getroffen zu werden. Dieses, die Türken überraschende Ereigniß veranlaßte zwar eine umfassende Wiederherstellung der Befestigungswerke, welche aber von so geringer Dauer war, daß hinwiederum der englische Admiral Duckworth mit acht Linienschiffen, vier Fregatten, nebst einer Anzahl Brander und Bombardierboote am 19. Februar 1807, ebenfalls ohne Verlust zu erleiden die Dardanellenstraße passirte, und folgenden Tages, um den zwischen der Pforte und England schwebenden Unterhandlungen Nachdruck zu geben, vor Konstantinopel erschien. Die von den Türken unter der Leitung des französischen Gesandten Sebastiani schnell ergriffenen Vertheidigungsmaßregeln bestimmten jedoch den englischen Admiral zur Umkehr, die er am 2. März antrat, und dabei die Dardanellenschlösser bereits so weit wieder hergestellt fand, daß er die Durchfahrt nicht ohne Verlust bewerkstelligen konnte, ja seinem eigenen Geständnisse nach einige Tage später verloren gewesen sein würde. Dies war das letzte Mal, wo eine feindliche Flotte die Dardanellen passirte, und in neuerer Zeit mögen europäische Ingenieurs die Befestigungen in einen Zustand versetzt haben, der Konstantinopel auch von dieser Seite her gegen einen Angriff zur See vollkommen sicher stellt.

Den Bosporus zu passiren wurde von feindlichen Schiffen nie ein Versuch gemacht, wohl aber durchsegelte ihn, von der Pforte zu Hülfe gerufen, im Februar 1833 eine russische Flotte, und schiffte auf der asiatischen Seite ein Heer von etwa 20,000 Mann aus, um dem siegreichen Vorwärtsdringen Ibrahim Paschas und seiner Aegyptier Einhalt zu thun. Zum Lohn für die geleistete Hülfe brachte Rußland damals den Vertrag von Unkiar Skelessi zu Stande, wornach ihm das Recht zukam, über die Oeffnung oder Schließung der Dardanellen mit zu verfügen, und der deshalb von Frankreich und England nicht anerkannt wurde. Nach Ablauf dieses auf 8 Jahre lautenden Vertrags schlossen im September 1841 die fünf Großmächte Rußland, Oesterreich, Preußen, England und Frankreich mit der Türkei einen gemeinsamen Vertrag, demzufolge die Dardanellen für Kriegsschiffe jeder fremden Nation geschlossen blieben. Die Großmächte machten sich ferner anheischig, keine Gebietserweiterung auf Kosten der Pforte zu unternehmen, keine Gunst, deren nicht alle gleich theilhaftig, zu beanspruchen, und schon diesen Bedingungen gegenüber liefen mithin Rußlands jüngste Forderungen auf einen Bruch des Vertrags von 1841 hinaus.

Die Erfahrung hat bewiesen, daß dieser, offenbar zur Aufrechthaltung der Pforte geschlossene Vertrag dem zerrütteten Staate so gut wie nichts gefrommt. Von offener Gewalt wird zwar Rußland jetzt vermuthlich absehen, weil sonst die englische und französische Flotte der Pforte zur Hülfe doch im schwarzen Meere erscheinen könnte, und dann die russische Flotte, Odessa und die übrigen Niederlassungen der Russen an der Küste gefährdet wären. Dem aber wird sich Rußland schwerlich aussetzen wollen, und eher der Zeit und den Umständen überlassen, sich den in der Auflösung begriffenen Osmannenstaat als Beute in die Hände gespielt zu sehen.