Ein Besuch

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Autor: Friedrich Gerstäcker
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Titel: Ein Besuch
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aus: Die Gartenlaube, Heft 47, S. 753–754
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[753] Ein Besuch. Es ist seit langen Jahren mein Schicksal gewesen, daß ich eine leider sehr große Anzahl von Briefen bekomme, die – sämmtlich, ohne Ausnahme mit der Form beginnen: „Entschuldigen Sie, wenn ein gänzlich Unbekannter“ – etc. – – Es sind das jedesmal oft sehr lange und ausführliche Schriftstücke, die zuerst die Lebensgeschichte des Betreffenden erzählen, dann die Versicherung enthalten, daß sich derselbe vor keiner Arbeit scheue, und zuletzt um einen kurzen Ueberblick der Verhältnisse sämmtlicher Welttheile, wie um Nennung eines bestimmten Punktes bitten, wohin sich der Auswanderungslustige wohl wenden könne, um eine seinen Fähigkeiten entsprechende Stellung zu finden. – Ja nicht selten wird sogar von mir verlangt, ihnen eine solche möglicher Weise nachzuweisen oder ihnen doch wenigstens Empfehlungen nach Amerika oder Australien mitzugeben.

Ich lebe nur von dem, was ich mir mit der Feder verdiene, und wollte ich nur die Hälfte jener Briefe beantworten, so müßte ich die Schriftstellerei vollkommen aufgeben, mir ein paar Secretaire halten, und meine Zeit ausschließlich auf diese Correspondenz verwenden, aber das kann ich nicht. Was ich über Auswanderung weiß, habe ich in meinen letzten Reisewerken dem Publicum vorgelegt. Wer wirklich auswandern will, mag die meinigen und Anderer Schriften darüber lesen, um sich ein eigenes Urtheil darüber zu bilden. Außerdem schicke ich grundsätzlich nie einen Fremden nach einem bestimmten Punkt der Erde, weil ich die große Verantwortlichkeit dafür nicht übernehmen mag. Schildert man auch noch so treu und gewissenhaft, die Phantasie der Europa-Müden malt sich die Sache doch ganz anders aus, und wozu sich unnützer und unnöthiger Weise Vorwürfe holen!

[754] Eine andere Classe von Auswanderungslustigen sind solche, die unglücklicher Weise in der Nähe wohnen und uns in der eigenen Wohnung überfallen. Oft treibt sie noch nicht einmal ein fester Entschluß, sondern erst ein unbestimmter Drang – sie wollen erst Erkundigungen über alle möglichen Welttheile einziehen und sich dann erst entscheiden – oder vielleicht auch nicht. Daß sie mir dabei mitten in meine Arbeitszeit hinein gerathen und mir einen ganzen Vormittag verderben, fühlen sie nicht. Wie der gute Mann, der sich einmal zu mir hinsetzte und mir mit der größten Gemütlichkeit sagte. „Ach bitte, erzählen Sie mir einmal jetzt etwas über Amerika – ich habe g’rade Zeit –“ so haben sie immer Zeit, und ich muß darunter büßen.

Man will doch nicht gern grob gegen solche Besucher sein – lieber Gott, es ist ja auch für sie oft, wenn sie wirklich mit ihren Familien auswandern wollen, eine Lebensfrage, und ich habe noch Niemanden fortgeschickt, aber – ich sitze dabei oft stundenlang auf der Folter, und was ich dabei versäume, vergütet mir Niemand wieder.

Manchmal freilich – leider nur selten – kommt aber auch ein Lichtblick in diesen Besuchen. So erinnere ich mich eines, der mir ewig unvergeßlich sein wird.

Ich saß in Gotha an meinem Schreibtisch, mitten in einem Roman, „Eine Mutter“, und hatte den Kopf gerade voll genug, als das Mädchen herein kam und mir sagte, es sei ein Herr draußen, der mich zu sprechen wünsche – er hätte nicht gut ungelegener kommen können.

„Wer ist es?“

„Ich kenne ihn nicht – er sagt, er wäre ein Buchbinder und müsse Sie sprechen.“

Ein Buchbinder – da war noch Hoffnung und die Sache vielleicht in zwei Minuten abgemacht – er solle nur kommen –

Es dauerte einige Minuten, bis er die Treppe heraufstieg – ich schrieb indessen weiter, als es plötzlich sehr entschieden an die Thür klopfte, und diese, ehe ich nur „herein“ sagen konnte, auch schon geöffnet wurde, und herein trat ein junger Mann von vielleicht vierundzwanzig Jahren, anständig, wenn auch ein wenig auffallend gekleidet, mit einem lichtblauen Frack und einer kirschrothen Cravatte, beide etwas mitgenommen; dazu blonde gelockte Haare und ein äußerst vergnügtes rothes Gesicht, mit dem er mir ein so gut gemeintes und fröhliches „Guten Morgen“ entgegen rief, daß ich unwillkürlich lächeln mußte. Es sah dabei genau so aus, als ob er sagen wollte: ‚Da bin ich, haben Sie schon lange gewartet? aber setzt soll’s losgehn.‘ Es war jedenfalls ein komischer Kauz.

„Guten Morgen!“ sagte ich, „mit wem habe ich das Vergnügen?“

„Bitte,“ sagte mein fideler Besuch, „ich bin Herr Friedrich Wilhelm Rassel – Buchbinder meinem Beruf nach – aus Eisenach –“

Ich mußte setzt wirklich an mich halten, daß ich nicht gerade hinaus lachte; Herr Friedrich Wilhelm Rassel schien aber mein vergnügtes Gesicht ganz in der Ordnung zu finden und dadurch gar nicht außer Fassung zu kommen.

„Wollen Sie nicht Platz nehmen?“ frug ich und deutete auf einen neben mir stehenden Stuhl.

„Gewiß!“ sagte Herr Friedrich Wilhelm Rassel mit der größten Ruhe und war im Begriff, seinen Hut auf den ihm nächsten Gegenstand abzulegen, als er dort etwas Außergewöhnliches bemerkte.

„Jemine!“ rief er, den Gegenstand genauer betrachtend – es war ein Tigerschädel – „ist das ein Hundekopf? Bombenelement, was der für Zähne gehabt hat –“

„Es ist ein Tigerschädel –“

„I, nun sehn Se mal an – und der war von einem lebendigen Tiger? – den haben Sie wohl mitgebracht? – Und was sind das alles für curiose Dinger?“ fuhr er, an der Wand herumblickend, fort. „Hören Se, was ist denn das da?“

Da ich keine besondere Lust verspürte, die doch nutzlose Arbeit zu beginnen, ihm meine ganze ethnographische Sammlung zu erklären, so unterbrach ich ihn und frug ihn, was ihn zu mir geführt. Die Gegenstände aber, von deren Existenz im Allgemeinen er überhaupt wohl noch keine Ahnung gehabt, interessirten ihn viel zu sehr, um sich indirect und mit Artigkeit davon abbringen zu lassen. Er frug nach jedem einzelnen Stück und hörte kaum, daß das indianische Waffen seien, als er mit der größten Bereitwilligkeit auf die indianischen Verhältnisse übersprang. „Wie sehen sie aus?“ „Fressen sie Menschen?“ „Gehen sie immer nackt?“ „Auch im Winter?“ „Sind sie bös?“ und tausende von derartigen wahnsinnigen Fragen mehr.

„Mein lieber Herr Rassel,“ sagte ich endlich, „ich bin sehr beschäftigt – ich habe nothwendig zu thun und sehr wenig Zeit – eigentlich gar keine. Womit kann ich Ihnen dienen?“

Herr Rassel warf noch einen verlangenden Blick auf die Sammlung. „Ach ne, sehn Se ’mal, das ist ja wohl eine Lanze?“

„Ja – aber was hat Sie zu mir geführt?“

„Und da stechen sie damit?“

Den besten Menschen können solche Fragen zur Verzweiflung bringen und ich hätte ärgerlich werden können; Friedrich Wilhelm Rassel sah aber so vergnügt bei dem Allen aus und war so still in sich befriedigt – ich konnte ihm nicht böse sein.

„Nun kommen Sie, mein guter Herr Rassel,“ sagte ich, „setzen Sie sich jetzt einmal auf den Stuhl – rauchen Sie?“

„Ich habe keine Cigarren bei mir.“

„Hier haben Sie eine – da stehen Schwefelhölzer – so – wenn Sie mich wieder besuchen, erkläre ich Ihnen jedes Stück,“ (ich war fest entschlossen, dem Mädchen strenge Ordre zu geben, daß ich nie wieder zu Hause wäre) „und nun sagen Sie mir, was Sie eigentlich von mir wollen, denn ich muß selber gleich ausgehen.“

„Ja, sehen Sie,“ sagte Herr Rassel, indem er sich die Cigarre anzündete, das Schwefelhölzchen in meine erst halbgeleerte Kaffeetasse warf und sich dann, den Hut neben sich auf die Erde stellend, in dem Armstuhl behaglich niederließ, „ich bin eigentlich Buchbinder – mein Vater war auch Buchbinder und wohnte früher in Eisenach, da aber sein Geschäft dort nicht so recht ging –wissen Sie, es waren zu viel Buchbinder dort, und er hatte eine große Familie. Ich habe noch drei Brüder und vier Schwestern, und wenn wir Alle zusammen waren –“

„Aber lieber Herr Rassel, ich muß wirklich gleich fort und möchte doch so gern vorher –“

„Wo gehen Sie denn hin?“ frug Friedrich Wilhelm Rassel mit der größten Unschuld.

„Ich – habe Geschäfte zu besorgen,“ log ich in aller Verzweiflung.

Herr Rassel sah mich von der Seite an – als ob es ihm selber sonderbar vorkomme, daß ich vorgab, in Gotha Geschäfte zu haben, aber er äußerte Nichts darüber.

„Ja,“ bemerkte er nach einer kleinen Pause, „eigentlich wollte ich nach Amerika und – da Sie doch schon einmal ein Buch darüber geschrieben haben, so wissen Sie gewiß, wie es dort aussieht. Ist da eine gute Stelle für Buchbinder?“

Amerika – oben im Norden decken weite Eisflächen das Land; dort breiten sich die weiten Seen und Prairien; auf schäumendem Roß jagt der wilde den Büffel; rege Städte, reges Treiben; Sümpfe; wildverwachsene Palmendickichte; endlose Llanos und riesige Ströme; Wildniß so weit das Auge reicht; fruchtbare Hänge und Triften; weite Pampas mit zahllosen Viehheerden und Rudeln von Wild bedeckt; und wo er in’s Meer ragt, der ewige Fels, da schäumt die Brandung dagegen und stürmt ihn vergebens mit den eisigen Riesenwogen.

„Ist da eine gute Stelle für Buchbinder?“

„Platz genug haben sie,“ erwiderte ich ihm, „und ich wüßte Länder, wo Sie auf hundert Meilen keinen Concurrenten finden.“

„Donnerwetter,“ sagte Herr Rassel, „und wo ist das?“

„Wohin in Amerika wollen Sie denn eigentlich?“

„Ja, das weiß ich selber noch nicht,“ lautete die Antwort, „wenn ich nur gleich irgendwo einen Meister wüßte. Bei den Indianern ist wohl nischt?“

Ich warf ihm einen mißtrauischen Blick zu, denn unwillkürlich kam mir der Gedanke, daß er mich zum Narren haben wolle – aber Friedrich Wilhelm Rassel war „eine Seele von einem Menschen“, er trug kein Falsch in seinem Herzen.

„Nein,“ sagte ich, „bei den Indianern ist nichts zu verdienen. Sie müßten sich wohl einen civilisirteren Theil der Erde aussuchen, vielleicht Rußland.“

„Hm,“ sagte Herr Rassel, „daran habe ich auch schon gedacht, aber meine Sehnsucht zieht mich nach Amerika. Glauben Sie, daß ich seekrank werden würde?“

Ich bejahte diese Frage auf das Entschiedenste. Der Mann machte mir den unabweisbaren Eindruck, als ob er in diesem Augenblick schon seekrank wäre, oder wirbelte nur mir der Kopf so?

„Hm,“ sagte er, „Amerika ist das Land der Freiheit und Brüderlichkeit. Jeder kann hingehn und dem Präsidenten die Hand geben, und sie schmeißen ihn nicht hinaus – und ich kann arbeiten und verzehren, was ich will, und die Polizei nennt alle Leute Sie. Nordamerika, mein’ ich, wo die Deutschen alle über Bremen und Hamburg hinfahren. Dort möchte ich ein Geschäft gründen, dann braucht man sich von keinem Meister mehr schinden zu lassen, aber erst möcht’ ich eine Stelle haben, damit man sich vorher ein bischen umsehn und Kunden finden kann, und darum wollte ich Sie bitten mir eine hübsche Stadt in Amerika aufzuschreiben wo noch kein Buchbinder ist.“

„Aber dort finden Sie dann auch keinen Meister.“

„Hm – ja – das ist wahr – aber das schadet am Ende Nichts; dann fange ich gleich so an.“ Er nahm dabei seine Brieftasche aus der Tasche, um sich die betreffende Adresse zu notiren. –

„Aber, lieber Freund, was hilft Ihnen das? wo kein Buchbinder ist, läßt auch kein Mensch Bücher einbinden und Sie bekämen doch keine Kundschaft!“

„Ueberlassen Sie das mir,“ sagte Herr Rassel, mit seinem vergnügt lächelnden Gesicht, „darin kenne ich mich aus – kennen Sie keinen Ort?“

„Ich könnte Ihnen Hunderte nennen, aber in Ihrem Geschäft finden Sie dort auch keine Beschäftigung – wer läßt in der Wildniß binden?“

„Bitte nur um eine solche Stadt – das Uebrige ist meine Sache.“

„Schön,“ lachte ich, „dann gehen Sie nach Perryville in Arkansas, dort ist nicht allein kein Buchbinder, sondern ich kann Ihnen auch die Versicherung geben, daß Keiner daran denkt dorthin zu ziehen.“

„Perrywill,“ schrieb Herr Rassel nieder – „schreiben Sie ‚will‘ mit einem f oder einem w?“ –

„Mit einem v.“

„Schön – in Arkansas – wo liegt das?“

„Weit im Westen.“

Sehr schön,“ sagte Herr Rassel, schob die Tafel zurück und ergriff seinen Hut, „ich bin Ihnen sehr dankbar. Wissen Sie, Herr Gerstäcker, ich werde Ihnen über Alles schreiben – einstweilen leben Sie wohl!“ Dann machte er die Thür von draußen zu und stolperte die Treppe herunter.

Ob er nach Perryville gegangen ist? ich weiß es nicht, jedenfalls wird er nicht mit Bestellungen auf Brockhaus’ Conversations-Lexikon oder Geibel’s Gedichte überschwemmt worden sein.

Fr. Gerstäcker.