Ein Stückchen Faustrecht aus neuerer Zeit

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Rudolf Scipio
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Ein Stückchen Faustrecht aus neuerer Zeit
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 42, S. 691–692
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[691] Ein Stückchen Faustrecht aus neuerer Zeit. In einer der schönsten Gegenden des an Naturschönheiten so reichen westfälischen Sauerlandes liegt das durch seine Draht- und Eisenindustrie, sowie durch die trefflichen dort gefertigten Gold- und Silberwaaren bekannte Städtchen Altena. [692] In früheren Jahrhunderten war die Bedeutung Altenas als Industriestadt eine verhältnißmäßig noch größere, als heute. Weit über die Grenzen Deutschlands hinaus wurden damals die Arbeiten seiner Messer- und Panzerschmiede gesucht, und noch der große Kurfürst hatte, um die hier betriebene Kunst zu ehren und zu fördern, den Bewohnern von Altena Befreiung vom Militärdienste zugesagt und dieses Recht für Kinder und Kindeskinder feierlich verbrieft. Diese Gnade, auf welche die wackern Altenaer nicht wenig stolz waren, sollte etwa ein Jahrhundert später zu einem höchst eigenthümlichen Vorfalle Veranlassung geben.

Noch während des Siebenjährigen Krieges hatte man jenes Recht geachtet, und außer einigen patriotischen jungen Burschen, welche in der Stunde der Noth freiwillig zu den Fahnen des großen Königs geeilt waren, hatte kein Altenaer dessen Rock getragen.

Bald nach Beendigung des Krieges sollte jedoch das alte Privilegium gewaltsam angetastet werden. Einer von den Kampfgenossen des großen Königs, der General von Wolfersdorff, ein gewaltthätiger, rücksichtsloser Mann, ein Haudegen von der alten Schule, war nach beendetem Kriege als Regimentscommandeur nach Hamm versetzt. Bei einem Besuche in Altena hatte er mit Wohlgefallen die kräftigen Gestalten der Altenaer Bürgerssöhne gesehen und dabei die Aeußerung gethan: „Schöne Leute; das wären Soldaten für mein Regiment!“

Die Altenaer machten sich, als sie diesen Ausspruch des Generals vernahmen, darob wenig Sorgen; denn sie vertrauten auf ihr altes Recht.

Nicht gering war deshalb ihre Verwunderung, als trotzdem eines schönen Tages die Kunde sich verbreitete, daß der General auf dem Wege fei, um ihre Söhne mit Gewalt zu Recruten zu pressen.

Mochte anfangs auch Mancher über diese Nachricht lachen, so verging doch der Scherz, als man den General hoch zu Roß an der Spitze einer Compagnie Grenadiere in der Richtung von Iserlohn her auf die Stadt losrücken sah.

Einen Augenblick standen die wackeren Altenaer bestürzt da ob des seltsamen Anblickes, der sich ihnen bot; aber auch nur einen Augenblick; dann war ihr Entschluß gefaßt, und man war darüber einig, daß man sein gutes altes Recht wahren und Gewalt mit Gewalt vertreiben müsse.

Die Glocken, welche seit jenem Tage, wo hundert Jahre zuvor der Oberst Barbisier, einer der Henkersknechte Ludwig’s XIV., die Stadt mit Plünderung bedroht, nur noch zu friedlichem Werke geläutet hatten, ließen in gellenden Schlägen ihren Nothruf durch das Thal erschallen, und sie hatten nicht vergebens gerufen. Von allen Seiten strömten Jung und Alt, Mann und Weib eilends herbei, um dem Feinde den Einzug zu wehren.

Schnell wurden die Thore geschlossen und in den engen Straßen des Städtchens entwickelte sich ein gar seltsames, emsiges Treiben. Ueberall in den Werkstätten und Häusern, wie auf offener Straße sah man die Bürger große Feuer anzünden und Wasser, sowie mächtige Eisenstäbe herbeitragen.

Die Aufforderung des inzwischen herangekommenen Generals, die Thore zu öffnen, wurde abgelehnt, und als Wolfersdorff mit Gewalmaßregeln drohte und seine Soldaten zum Sturme vorgehen ließ, begann der Kampf.

Während die Männer mit glühend gemachten Eisenstangen auf die Stürmenden losschlugen, gossen die Frauen von den Stadtmauern heißes Wasser auf die Anstürmenden herab, welches die Kinder aus den Häusern ihnen zutrugen.

Die armen Soldaten, welche, eines solchen Empfanges nicht gewärtig, keine Kugeln mit sich führten und lediglich auf den Gebrauch des Kolbens und des Bajonnets angewiesen waren, befanden sich den glühenden Eisenstangen und den heißen Wassergüssen der zornigen Altenaer gegenüber sehr im Nachtheil, wurden aber trotzdem von ihrem über einen solchen Widerstand aufgebrachten Führer immer auf’s Neue zum Angriffe vorgetrieben.

Nachdem man so mit äußerster Erbitterung von beiden Seiten nahezu zwei Stunden lang gekämpft hatte, mochte der General doch wohl einsehen, daß sein Bemühen vergebens fei. Eine große Zahl seiner Soldaten hatte, wenn auch nicht gerade gefährliche, so doch sehr schmerzhafte und schwer zu heilende Verwundungen davongetragen. Er entschloß sich endlich zum Rückzuge, welcher denn auch alsbald unter dem lauten Jubel der Altenaer angetreten wurde.

Während Wolfersdorff in Hamm seine Verwundeten heilen ließ und mit Grimm seiner Niederlage gedachte, veranstalteten die Altenaer am nächsten Sonntage ein feierliches Dankfest.

Der Pfarrer hatte den Text aus Jesaias 37, 29 genommen, wo der Herr zu Sanherib, dem Feinde Israel’s, spricht: „Ich will dir einen Ring in die Nase legen und ein Gebiß in dein Maul und dich den Weg wieder umführen, den du gekommen bist.“

Mit dieser originellen und für Wolfersdorff wenig schmeichelhaften Dankfeier war die Sache jedoch noch keineswegs für diesen abgethan. Die Bürgerschaft hatte nicht unterlassen, den Vorfall nach Berlin zu berichten, und Friedrich II., welcher in solchen Dingen keinen Spaß verstand, sandte seinem General folgenden kräftigen Verweis:

„Mein lieber General von Wolfersdorff!

Es ist officiell rapportirt worden, welche Disturbationen Er in dem Städtchen Altena gemacht hat. In Erwägung seiner sonstigen Meriten will Ich diese mauvaise Geschichte für diesmal pardonniren, werde Ihn aber, wenn Er sich nochmal eine solche Abnormität zu Schulden kommen läßt, nach Spandau schicken.“

Das Privilegium der Befreiung vom Militärdienst ist nun mit so manchem Anderen längst erloschen; der stolze, unabhängige Bürgersinn aber, welcher sich in dem hier erzählten Vorfalle ausspricht, ist den Bewohnern von Altena bis zur Stunde geblieben.

Im Uebrigen wird man im Gegensatze zu der sogenannten „guten alten“ Zeit, in der solche Dinge sich ereignen konnten und in der nur zu oft die Willkür und die rohe Gewalt an die Stelle des Rechtes traten, die unsrige doch wohl als die bessere neue bezeichnen dürfen.

Rudolf Scipio.