Ein deutscher Fürst im Stillleben des Exils

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Titel: Ein deutscher Fürst im Stillleben des Exils
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aus: Die Gartenlaube, Heft 31, S. 484–487
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Kurzbeschreibung: Erzherzog Stephan von Österreich
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Ein deutscher Fürst im Stillleben des Exils.

Rhein, Main und Lahn, drei Flüsse reich an Wundern und Schönheit, und die auserwähltesten dieser Wunder, dieser Schönheiten gruppiren sich zusammen in dem Herzogthum Nassau. Man wird uns nicht mißverstehen: wir meinen nicht die jetzige Regierung dieses Herzogthums, welche in ihrer Art freilich auch ein Wunder ist. Rhein und Main, die beiden reichen stolzen Flüsse kennt alle Welt; die Lahn, das Aschenbrödel, wird erst bekannter, nicht seitdem es einen goldenen, sondern seitdem es einen eisernen Schuh geschenkt erhalten hat in Gestalt der Lahnbahn. Jetzt erst dringt das reisende Publicum tiefer in das schöne Lahnthal; früher war Ems der letzte Vorposten der eleganten Welt; Ems, die artige Vorstadt von St. Petersburg, berühmt durch seine Bubenquelle. Von Ems fährt man jetzt weiter nach Nassau, dem Geburtsort des Freiherrn v. Stein; von Nassau am Kloster Arnstein und an den Silbergruben von Holzappel vorüber gen Dietz. Da passirt man denn ein kleines Dörfchen am linken Lahnufer, malerisch überragt von der alten verwitterten Ruine Balduinstein. Das Dörfchen führt den gleichen Namen, und man würde diesen sowie die Art seiner Existenz, die Nothdurft der Gegenwart, eingesponnen von dem Epheu bröckelnder Vergangenheit und knapp berührt von dem gewaltigen Flug neuer Zeiten, wohl bald vergessen haben, wenn nicht in den höheren Gebirgszügen, dicht über Balduinstein, ein stolzes, bewohntes Schloß seine Zinnen zeigte. Hohe, zackige Schieferfelsen steigen hier allseitig empor, und weit über sie hinaus ragt ein grünumwaldeter Basaltkegel, geziert mit den schimmernden Zinnen und Thürmen der Schaumburg.

Schloß Schaumburg in Nassau.

Wer noch vor zehn Jahren diesen wenig besuchten Strich des schönen Ländchens Nassau durchwanderte, würde heute kaum mehr die frühere Residenz der Fürsten von Schaumburg erkennen, so sehr hat der gegenwärtige Besitzer der Herrschaft, Erzherzog Stephan von Oesterreich, das alte, einförmige Burggemäuer, die [485] Gärten und Parks umzugestalten gewußt. Tausende von Fremden pilgern während der heiteren Jahreszeit dahin, und wohl wenige verlassen unbefriedigt diese freundlich geöffneten Räume mit ihren Natur- und Kunstschätzen, diese Thürme mit der weittragenden Aussicht.

Steigt der Wanderer den steilen Fußweg von Balduinstein nach Schaumburg hinan, so begegnet er vielleicht oben an der weiten Lindenallee einem hochgewachsenen Manne mit schwarzem Haar und Bart und einfachem grauen Anzuge; vielleicht ist dieser Mann eben beschäftigt, eine Pflanzengruppe zu ordnen oder Farne und Moose in die Mauern aus rohen Steinblöcken einzusetzen. Der Angekommene bittet ihn um Auskunft wegen Besichtigung des Schlosses, und weil eben kein Führer zur Hand ist, verläßt der Arbeitende seine Gewächse und geleitet, bereitwillig die neugierigen Fragen beantwortend, den Fremden hinauf durch das Thor. Hier übergiebt er ihn dem Castellan und kehrt zu seiner Arbeit zurück. Mancher beeilt sich dann mit der Rundschau, um noch einmal diesen freundlichen Führer zu sehen; denn es war, wie man ihm oben sagte, der Erzherzog selbst.

Erzherzog Stephan von Oesterreich.

Erzherzog Stephan ist eine fürstliche Persönlichkeit im besten Sinne des Wortes; ist es Zufall oder ist es eine Einwirkung seiner Umgebung in einer bewegten, ereignißvollen Zeit, in seinem ganzen Wesen spricht sich neben der vollen Ritterlichkeit jene kindliche Herzensgüte aus, welche die Persönlichkeiten des ungarischen hohen Adels und mehr oder weniger des ganzen Magyarenvolkes so sympathisch charakterisirt und welche, wie man meinen sollte, sehr wohl geeignet sein dürfte, die Kunst, dieses Volk zu regieren, wesentlich zu erleichtern. Unverkennbar in der Person des Fürsten ist die Aehnlichkeit mit seiner ausgezeichnet schönen Mutter, der Prinzessin Hermine von Schaumburg.

Als der Erzherzog Joseph, Palatinus von Ungarn, seine erste Frau verloren hatte, führte er die älteste Tochter des Fürsten von Anhalt-Bernburg-Schaumburg heim; aus dieser Ehe entsprossen Zwillinge, der Erzherzog Stephan und seine im schönsten Alter hinübergegangene Schwester Hermine. Der Tag, welcher den beiden Kindern das Leben gab, der 14. Septbr. 1817, brachte der Mutter den Tod; aber die fürstliche Großmutter zu Schaumburg, eine der gebildetsten Frauen ihrer Zeit, nahm sich der Verwaisten an und führte sie auf ihr Schloß, das heute für den Enkel wieder ein bevorzugter Aufenthalt geworden ist.

Erzherzog Stephan erhielt eine äußerst sorgfältige Erziehung, eine Erziehung, die auf eine ganz bestimmte locale Stellung im österreichischen Staate berechnet war. Es ist eine allbekannte Sache, daß man wegen des Conglomerats von so vielen Nationalitäten des Reichs in keinem fürstlichen Hause mehr Sorgfalt auf die sprachliche Ausbildung verwendet, als in der kaiserlichen Familie. Die sechs Sprachen, welche der Erzherzog Stephan mit derselben Geläufigkeit spricht, wie seine Muttersprache, fallen darum vielleicht nicht so sehr in’s Gewicht, wie das wissenschaftliche Element, das man bei seiner Ausbildung besonders im Auge hatte. Für einen Jüngling von so hervorragenden Talenten handelte es sich vor Allem um specielle Berücksichtigung der bedeutungsvollen Stellung, die er voraussichtlich einnehmen mußte; es handelte sich um eine Erziehung, berechnet auf die Regierung eines Staates. Daß das Vaterland Ungarn mit seinem politischen und nationalen Leben besondere Richtschnur für den klugen Palatinus Joseph in der Ausbildung seines Sohnes wurde, ist darum leicht begreiflich. Die hervorleuchtenden Eigenthümlichkeiten des Erzherzogs Stephan sind insofern echt magyarisch; die bemerkenswerteste darunter ist unbedingt sein eminentes Rednertalent, das heute noch die Bewunderung derer erregt, welche Gelegenheit haben, ihn zu hören.

Für die Ungarn, welche mit außerordentlicher Vorliebe an dem Hause ihres Palatins hingen, hatte es einen besonderen Reiz, zu wissen, daß ihr Prinz Stephan auch ein vorzüglicher Reiter sei, daß er auf der Pußta die halbwilden Pferde zu tummeln wußte, wie der beste Csikos und daß er sich jederzeit bemühte, die Zustände und Bewohner des Landes, wie auch dieses selbst persönlich kennen zu lernen.

Im März des Jahres 1838 trat eine für Pesth und Ofen verhängnisvolle Katastrophe ein: die Donau überfluthete bei dem Eisgang die Ufer, drang mit außerordentlicher Schnelligkeit und Gewalt in die niedriggelegenen Viertel von Ofen und überschwemmte ganz Pesth. Tausende von Menschen retteten sich in die oberen Stockwerke der Häuser und waren tagelang von allem Verkehr abgeschnitten; denn die immer steigende Fluth führte die Eisblöcke durch die Straßen, so daß auch die Muthigsten sich nicht in dieses den Untergang drohende Chaos wagten. Jetzt war es der einundzwanzigjährige Prinz Stephan, der trotz aller Abmahnung einen Kahn mit Lebensmitteln füllte und getrost hinaussteuerte in die tosenden Gewässer, um den halbverhungerten, von dem fürchterlichen Elemente gefangen gehaltenen Bewohnern Nahrungsmittel zuzuführen und in Sicherheit zu bringen, was sich aufnehmen ließ. Dieses Vorbild wirkte zündend, und die Cavaliere setzten so gut ihr Leben dran, wie der gemeine Mann, um nicht hinter dem Erzherzoge zurückzubleiben. Selbst dann, als sich die Gewässer verlaufen, hatte die Noth noch nicht ihr Ende erreicht. Hunderte von Häusern waren rein weggeschwemmt und verhältnißmäßig viele total unbewohnbar geworden. Der Palatinus lag krank darnieder, und so war es sein Sohn, der zahlreiche Anstalten zur Unterstützung und Verpflegung der Geschädigten in’s Leben rief und leitete. Diese Unglückstage von Pesth und Ofen haben die Ungarn heute noch nicht vergessen und gewiß auch nicht des hochherzigen Fürsten, dem sie damals aus allen Landestheilen begeisterte Adressen zuschickten und von dem ein Augenzeuge schreibt: „Wie ein aus höhern Regionen gesandter Schutzgeist waltet er unter den Unglücklichen, keine Gefahr, keine Widerwärtigkeiten scheuend. Ihn begleiten auf seinem Rettungszuge der Muth und die Liebe, und ihm nach schweben die Genien des Dankes und der Freude.“

Es ist eine feststehende Thatsache, daß Niemand die auf ihre konstitutionellen Rechte mit eifersüchtigen Augen wachenden ungarischen Großen besser behandeln und leiten konnte, als der Palatinus Joseph. Unter seiner speciellen Aufsicht wurde der junge Prinz in die Geschäfte eingeführt und so mit den nationalen, von den politischen Einrichtungen der übrigen Theile der Monarchie vollständig abweichenden Formen des Königreichs gründlich bekannt gemacht. Die Ungarn, deren Augen damals mehr auf das Haus ihres Palatins, als nach Wien gerichtet waren, setzten darum die ganze Zukunft des Landes auf die Person des Erzherzogs Stephan und sprachen von ihm als von einem specifisch ungarischen Prinzen.

Während der Jahre 1841, 42 und 43 bereiste der Erzherzog Deutschland und Italien. Mit dem Jahre 1844 schlug für ihn die Stunde, wo ihn der Kaiser zum ersten Male zur selbstständigen Verwaltung eines bedeutenden Kronlandes berief: er wurde zum General-Statthalter von Böhmen ernannt. Aufgewachsen in den constitutionellen Formen des Königreichs Ungarn, mochte es der damals 27 jährige Erzherzog kein Leichtes finden, sich in die rein absolutistischen Principien zu schicken, nach denen Böhmen regiert [486] wurde. Der ruhige Scharfblick des Statthalters fand jedoch bald den richtigen Weg, um den alten Feudalherren Böhmens ein erhöhtes Interesse auch für das Allgemeine beizubringen; sie schaarten sich um ihn, und durch sein gewandtes, liebenswürdiges Wesen schuf er sie zu bereitwilligen Mitarbeitern seiner volksfreundlichen Bestrebungen um. Die in alle Zweige der Verwaltung gestaltend eingreifende rastlose Thätigkeit des Erzherzogs Stephan rief in dem Königreiche ein verständig liberales System in’s Leben, dessen Früchte der Bürger bald zu fühlen begann.

Während seiner dreijährigen Statthalterschaft war Böhmen zweimal durch bedeutende Unglücksfälle heimgesucht. Im Winter 1845 überschwemmte die Moldau einen Theil des Landes, besonders die Hauptstadt Prag, und im folgenden Jahre entstand durch eine Mißernte Mangel und Noth, vor allem in den armen Bezirken des Erz- und Riesengebirges. Hier zeigte sich so recht die aufopfernde Thätigkeit des Erzherzogs. Er überzeugte sich an Ort und Stelle von der Ausdehnung des Unglücks, und auf seinen Betrieb flossen die reichsten Unterstützungen zusammen; hauptsächlich aber suchte er durch dauernde Arbeit der Noth für die Zukunft die Spitze zu brechen. Auch den Aufruhr der Fabrikarbeiter in Prag, der einen blutigen Ausgang zu nehmen drohte, stillte er durch sein taktvolles Auftreten.

Leider währte diese segensreiche Wirksamkeit, welche ihm in Aller Herzen ein bleibendes Denkmal setzte, nur kurze Zeit. Denn am 13. Januar 1847 starb der Erzherzog Palatin Joseph. Die Ungarn betrauerten in ihm einen Fürsten, der fünfzig Jahre lang zum Wohle des Landes gewirkt hatte. Den 18. Jan. desselben Jahres wurde Erzherzog Stephan zum Statthalter Ungarns ernannt unter allgemeinem Jubel der Nation. Diese Würde kann der König ohne Zuziehung der Stände verleihen; sie schließt übrigens dieselben Machtvollkommenheiten in sich, wie das Palatinat. Als der neue Statthalter im Sommer 1847 eine Rundreise durch das Land machte, glich dieselbe einem ununterbrochenen Triumphzuge; die Magnaten und das Volk überboten sich an Beweisen der Zuneigung und Verehrung, und es steht fest, daß in der damaligen Zeit selbst in der Residenzstadt Wien kein Prinz bei der Bevölkerung so populär war, wie der Erzherzog Stephan.

Mit dem Tode des Palatins Joseph drängten sich aber auch zum ersten Male alle jene unruhigen Elemente in den Vordergrund, die schon längst zu dem Glauben gelangt waren, sie allein seien die Nation. Im Monat September erschien das königliche Rundschreiben, wornach der Reichstag auf den 7. November zur Wahl des Palatins und zur Hebung der Landeswohlfahrt zusammentreten solle; von dieser Zeit begannen die Agitationen auf eine Weise, von der man in unserm Vaterlande kaum einen Begriff hat. Unmittelbar nach der Rückkehr von seiner Rundreise war der Statthalter nach Wien geeilt, hatte dort in rückhaltloser Darlegung die Verhältnisse Ungarns geschildert und die dringende Nothwendigkeit zeitgemäßer Umgestaltung in vielen Zweigen der Verwaltung derart befürwortet, daß die österreichische Regierung auf dem baldfolgenden Reichstage der Nation die weitgehendsten Zugeständnisse machte.

Aller Blicke waren auf den Erzherzog Stephan gerichtet, mit dem man die Geschicke des Landes innigst verknüpft glaubte; daher die freudige Theilnahme, als er am 18. October, so recht mitten in den Tagen des fieberhaft aufgeregten politischen Lebens von dem jetzigen Kaiser Franz Joseph als Obergespan des Pesther Comitats installirt wurde. Zum ersten Mal seit vielen Jahren klangen hier den Ungarn die süßen Laute ihrer Muttersprache amtlich aus dem Munde ihres künftigen Königs und von den Lippen ihres baldigen Palatins entgegen. Wer mochte ihnen die Genugthuung mißgönnen, die sie darin fanden, daß der Erzherzog Stephan ein geborner Ungar sei! Drei Bezirksstuhlrichter hoben ihn dreimal in die Lüfte unter dem donnernden Zuruf der Menge; so hatten es die Magyaren schon vor tausend Jahren gethan, als sie Alom zum obersten Heerführer wählten.

Am 10. November 1847 trat der neue Landtag zusammen. Gleich in der ersten Circularsitzung beantragte Kossuth, der Deputirte Pesth’s, daß die Schwurformel für den neuen Palatin in ungarischer Sprache abgefaßt sein müsse und daß er laut Instruction seiner Wähler vorschlage, den Erzherzog Stephan so zum Reichspalatin zu wählen, daß zwar die Candidation dem Landtage übergeben, jedoch nicht eröffnet werde. Allgemeine jubelnde Zustimmung begleitete den Redner, als er in erhebenden Worten das Vertrauen, die Liebe und Hingebung der Nation zu dem Erzherzog schilderte. Beide Anträge wurden angenommen. Tags daraus traf der Kaiser in Preßburg ein; umgeben von mehreren Prinzen des Hauses, eröffnete er unter großen Feierlichkeiten den Reichstag, und bei der nun folgenden Wahl wurde der Erzherzog Stephan unter dröhnendem Zurufe des überfüllten Saales einstimmig zum Reichspalatin erwählt.

Die Stände und die Magnatentafel hielten von jetzt an ihre regelmäßigen Sitzungen, in denen sich die bestehenden Parteien nur kurze Zeit bekämpften; die streng conservativen Aristokraten erlagen bald, und eben so schnell gewann die radicale Partei die Oberhand. Kossuth verstand es, die Nationalität überall in den Vordergrund zu stellen und damit die Versammlung freiwillig oder gezwungen vorwärts zu treiben. Das Unrecht, welches man durch die bezüglich der Ausdehnung der ungarischen Sprache gefaßten Beschlüsse den angefügten Ländern wie Serbien und Kroatien zufügte, erbitterte diese auf’s Höchste und machte sie zu activen Gegnern der Ungarn, als dieselben nach den französischen Februarereignissen den Weg der Revolution betraten.

So lange die Thätigkeit des Landtags auf dem Boden der Verfassung blieb, fand sie einen bereitwilligen Förderer an dem Erzherzog Palatin; alle die liberalen Gesetze über Preßfreiheit, Vertheilung der Abgaben und einen besseren Volksunterricht wurden von ihm auf’s Eifrigste unterstützt. Kossuth mit seinem Anhange arbeitete übrigens auf eine völlige Lostrennung von dem Reichsverband hinaus und stürzte eine der alten Verfügungen, welche das Land mit der regierenden Dynastie verknüpften, nach der andern um. Der Palatin suchte Alles aufzubieten, um in diesen verhängnißvollen Zeiten das Amt des Vermittlers zwischen Krone und Landtag auf eine für beide Theile ersprießliche Weise auszuüben, und stellte sich selbst an die Spitze einer Deputation, die dem Kaiser die Wünsche und Forderungen der Nation vorlegte: Vertretung der unteren Stände auf dem Reichstag, Gleichheit vor dem Gesetz in bürgerlicher und religiöser Hinsicht, Volksbewaffnung, Beeidigung des Heeres auf die Verfassung, Entfernung fremder Truppen aus dem Lande und ausschließliche Verwendung der ungarischen Regimenter im Lande selbst. – Als die Magnatentafel ihm die Bitte vortrug, diese Petition selbst zu überbringen, erklärte er, daß er allen seinen persönlichen und selbstständigen Einfluß aufbieten wolle, um die Wünsche der Nation zu verwirklichen. Zwar wurden diese einzelnen Punkte nur mit Vorbehalt genehmigt, aber zugleich ernannte der Kaiser den Erzherzog zum Statthalter mit unbeschränkter Vollmacht.

Auch hier hieß es: „Zu spät!“ Wie eine nicht mehr aufzuhaltende Fluth brauste jetzt die Revolution über das Land hin. Schon während des Aufenthaltes der Deputation in Wien war der Sturm losgebrochen. Denn man erwartete von Wien nichts mehr. Auch der Palatin vermochte nicht mehr den Damm aufzurichten, der einmal durchbrochen war, und bemühte sich nur noch, seinen Einfluß dahin geltend zu machen, daß das drohende Unglück des Bürgerkriegs abgewendet blieb.

Schon lange hatten jedoch die mit dem Königreich verbundenen Nationen der Serben und Kroaten voll Grimm die Verhandlungen der beiden Tafeln verfolgt; die offenkundige Geringschätzung der Ungarn gegen sie trieb sie zum letzten Schritt, zur völligen Losreißung. Und so brach denn der Bürgerkrieg wirklich aus. Wir können die nun folgenden Ereignisse aus jüngstvergangener Zeit als unsern Lesern bekannt voraussetzen. In allen seinen Plänen zur Rettung Ungarns gehemmt, mußte der Erzherzog endlich machtlos dieses Feld der Zerfahrenheit überblicken. Im Königreich selbst eine vollendete Anarchie, heraufbeschworen durch die ultramagyarischen Radicalen, vor deren zerstörender Macht das beste Gesetz nicht über Nacht Stand hielt; bei der Regierung in Wien die weitgehendsten öffentlichen Zugeständnisse, im Geheimen aber schleunige Gegenminen, Aufreizen und Vorwärtstreiben der mit den Ungarn verbundenen Nationen: dies Alles mußte die besten Kräfte lahmlegen. So verließ denn der Erzherzog ein Land, das für ihn in seiner Stellung keinen Fuß breit Boden mehr zeigte, um sich den vernichtenden Gewalten entgegenzustemmen. Er legte seine Würde in die Hände des Kaisers nieder und zog nach dem Schlosse Schaumburg an der Lahn.

Bewegte sich die Thätigkeit des Erzherzogs Stephan auch nicht geradezu in den Bahnen eines gekrönten Hauptes, so war sie doch unzweifelhaft von derselben Bedeutung. Seine Persönlichkeit, seine [487] liberalen Grundsätze, seine Stellung in der kaiserlichen Familie machten ihn zu einem der ersten Männer der Monarchie. So lange er öffentlich zu wirken berufen war, bekundete er die ausgezeichneten Eigenschaften seines Herzens und Geistes auf die wohlthätigste Weise. Er war einer der Wenigen, welche vor den Tagen der Revolution den Begriff von Volk in anderer Weise auffaßten, als man es in den obersten Kreisen gewohnt war, der in ihm den Hauptkern des Staates erkannte und darnach seine Thätigkeit einrichtete. Der Frühling des Jahres 1848 zog jedem Gewaltigen der damaligen Zeit den Boden unter den Füßen weg; es ist darum ein sprechendes Zeugniß für ihn, daß in der größten Aufregung der politischen Parteien die Ungarn immer mit Anhänglichkeit und Achtung zu ihm aufblickten und daß diese Sympathien selbst den Schrecken der blutig unterdrückten Revolution überdauerten. Die Ereignisse haben ihn wohl aus dem Vaterlande entfernt, aber demselben nicht entfremdet. Heute sind die Verhältnisse des Königreichs noch nicht so weit geordnet, daß darauf die Hoffnung auf die günstigste Zukunft für das Land gegründet werden könnte. Wer aber die politische Wirksamkeit des Erzherzogs in Böhmen, wer seine Vertrautheit mit dem Charakter und den Bedürfnissen der ungarischen Nation, wer seine freisinnige und ausdauernde Thätigkeit vor dem unglückseligen Kriege im Lande kennt, wird gewiß die Ueberzeugung hegen, daß kein anderer österreichischer Prinz so wie er geeignet ist, die Angelegenheiten der Ungarn zur Ausgleichung zu bringen, wenn sie überhaupt auf diesem Wege ausgeglichen werden sollen. – Mit dem Tage seiner Ankunft in Schaumburg begann für den Erzherzog Stephan ein neuer Lebensabschnitt. Die friedliche Einsamkeit des alten Schlosses inmitten der Berge und Wälder, die ländliche Bevölkerung mit ihren ganz anderen Bedürfnissen und Anschauungen, dies Alles mußte einem von Natur thätigen Charakter eine vollständig neue Richtung anweisen. So treffen wir denn den Erzherzog bald nach seiner häuslichen Niederlassung in Schaumburg umgeben von Hunderten von Arbeitern. Die alten Mauern des einförmigen, geschmacklosen Burgbaues sinken eine nach der andern in den Staub, und aus den Ruinen empor steigt ein neuer Bau, mit hohen Thürmen und Zinnen, der innerhalb fünf Jahren vollendet wurde.

Geben wir aber auch zu, daß dieser Winkel der Erde, welchen sich der Erzherzog ausgesucht, ein schöner und lachender ist, so muß er doch Jemandem, der große Königreiche regiert und so unruhige Zeiten erlebt hat, klein und still vorkommen. Wir wollen nicht untersuchen, warum der Erzherzog Ursache hat, Ungarn, oder Wien, oder Oesterreich überhaupt zu meiden, aber so viel ist gewiß, daß sein Aufenthalt in Schaumburg viele Aehnlichkeit mit einer Verbannung hat.

Sein Stillleben ermangelt zwar nicht der Anerkennung und der Huldigungen, welche ein Fürst in seiner Stellung schwer ganz entbehren kann. Bei dem nassauischen Hof, der im Winter in Wiesbaden, im Sommer in Bieberich residirt, ist er ein oft und gern gesehener Gast. Ebenso besucht er öfters die Höfe in Oldenburg, Weimar u. a. – In Limburg an der Lahn hat der katholische Bischof, Peter Joseph Blum, eine Hauptstütze der episkopal-ultramontanen Partei, seinen Sitz, und man kann sich denken, daß er und seine geistlichen Räthe, Domherren, Domcapitulare, Regens und Subregens, Vicare und Kapläne und wie der zahlreiche geistliche Hofstaat sonst noch heißt, es an Aufmerksamkeiten nicht fehlen lassen gegenüber einem Prinzen, der dem Hause Oesterreich angehört und einem Lande, welches das beste aller Concordate erzeugt und trotz des gegenwärtig dort herrschenden Constitutionalismus noch nicht wieder abgeschafft, ja nicht einmal in einem Jota geändert hat. Und der Erzherzog muß natürlich diese Aufmerksamkeiten erwidern und zuweilen in Limburg erscheinen, namentlich wenn der protestantische Herzog von Nassau, der in dem römischen Klerus die Stütze seines Throns erblickt, dort erscheint, und wenn große Kirchenfeste feierlich begangen werden. Welche dieser verschiedenen Solennitäten dem Erzherzog das größte Vergnügen macht, wissen wir nicht. Bei einigen derselben, versichern uns glaubwürdige Leute, soll er zuweilen ermüdet und gelangweilt aussehen. – Mitunter erhält er Besuch aus Oesterreich, aber nicht oft. Dann mag er begierig der Kunde lauschen aus dem fernen Lande und der alten Zeit und, den langen gewundenen Schnurrbart drehend, seinen Erinnerungen sehnsüchtig nachsinnen. Denn er hat doch Großes erlebt und in der Tiefe seines Herzens liebt er sein altes Ungarn gegenwärtig noch ebenso sehr, wie damals, als ihn unter dem „Eljen“ der Menge die drei Bezirksstuhlrichter dreimal in die Luft hoben.

Wohlthuender scheint ihm jedoch die treuherzige Huldigung des Volks zu sein. Die nassauischen Bauern sind ihm wegen seiner Leutseligkeit und seiner Mildthätigkeit aufrichtig zugethan. Sie lassen sich sogar gefallen, daß er sie à la grand-seigneur „Du“ nennt, während sonst unsere Bauern doch zu selbstbewußt und zu eifersüchtig auf Gleichberechtigung sind, um sich einen solchen einseitigen „Schmollis“ gefallen zu lassen. Allein der Herr ist ja eigentlich fremd hier, und sein gemüthliches österreichisches Plaudern klingt so schön, daß man ihm am Ende diesen Verstoß gegen die demokratischen Sitten des alten „Einrich-Gau“ verzeihen kann; und er meint es auch ohne Zweifel gut, denn er kennt jeden Burschen und jedes Mädel bei seinem Vornamen und kümmert sich angelegentlich um ihre kleinen Leiden und Freuden. Ja, er verherrlicht sogar zuweilen eine Dorfkirchweih mit seiner Gegenwart und sieht dann viel aufgelegter aus, als wenn er bei einer großen bischöflichen Ceremonie in Limburg paradirt. Ein großes Verdienst hat er sich um den Volksunterricht auf dem flachen Lande erworben. Er ist ein aufrichtiger Freund und Gönner des von weltlicher und geistlicher Seite gleich sehr geplagten Standes der Volkslehrer. Den Dorfschulen widmet er seine volle Aufmerksamkeit. Zur Zeit der Frühjahrsprüfungen sieht man ihn von Dorf zu Dorf reiten, um denselben beizuwohnen. Dabei ist er überhaupt ein großer Freund der Kinder und bereitet denselben zuweilen auf seinem Schlosse Festlichkeiten und Freuden. Regelmäßig veranstaltet er eine große Weihnachtsbescheerung. Tage lang vor derselben sind die Säle des Schlosses der Welt unzugänglich. Denn drinnen haust ein stark beschnurrbartetes „Christkindchen“, das Kisten und Kasten Kinderspielzeug und dergl. von den heranziehenden Kaufleuten in Empfang nimmt und deren Inhalt mit weiser und gerechter Hand abtheilt für die Kleinen, die den bunten Kram demnächst jubelnd in Empfang nehmen, fast in ihrer Freude nicht achtend des in ihrer Mitte stehenden schlanken, blassen, männlich ernsten Wohlthäters, der doch in diesem Augenblick vielleicht noch glücklicher ist, als die von ihm Beglückten.

Die Zeit, welche nicht in Anspruch genommen wird von solchen wohlthätigen und gemeinnützigen Bestrebungen, widmet der Erzherzog wissenschaftlichen Studien und der Verwaltung seiner Kammergüter. Seine Beamten und Diener rühmen seine Kenntnisse und seinen Fleiß. Kein irgend erheblicher Gegenstand in seiner Verwaltung wird erledigt ohne seine persönlichste Mitwirkung. In den Verwaltungsacten findet man vieles von seiner eigenen Hand geschrieben. Seine Schrift ist fest, groß, fließend und klar, hat aber jenen kanzleimäßigen Charakter, dem wir so oft bei österreichischen Handschriften begegnen.

Im Schloß befindet sich eine Bibliothek von 30,000 Bänden und eine große Mineraliensammlung. Die letztere wird, abgesehen von den Sammlungen öffentlicher Anstalten, in Deutschland schwerlich ihres Gleichen haben. Mancher Gelehrte pilgert nach Schaumburg und findet dort gastfreundliche Aufnahme. Auch der naturwissenschaftliche Verein wurde, als er in Bad Ems tagte, von dem Schloßherrn auf Schaumburg eingeladen und fand in demselben nicht nur einen freundlichen Wirth, sondern auch einen tüchtigen Mineralogen.

Als Besitzer der Herrschaft Schaumburg ist der Erzherzog Stephan auch „gebornes und erbliches standesherrliches Mitglied“ der ersten Kammer von Nassau. Nach der nassauischen Verfassung haben aber die Standesherren das Recht, statt selbst zu kommen, Stellvertreter in die Kammer zu senden. Die meisten fragen zuvor bei dem Herzog, wer ihm genehm sei, und ertheilen dann diesem Manne, welchen sich die Regierung selbst zum Controleur gewählt hat, ihr Mandat. So kommen denn Kammerherren, Hofdiener, Jagd-Bedienstete etc. in das nassauische Herrenhaus. Der Vertreter des Erzherzogs ist ein Herr von Breidbach, der früher Hofstallmeister und jetzt Adjutant des Herzogs ist. Jedenfalls würde der Erzherzog, wenn er sich um die öffentlichen Zustände in Nassau selbst kümmern wollte, manchen Mißstand abstellen können. Denn von ihm würden wohl selbst die officiellen und klerikalen Stimmen nicht behaupten, er sei ein Feind des nassauischen Throns, wie sie es von jedem Andern thun, der den Muth der Wahrheit hat.