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Ein Abend mit William Thackeray

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Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Ein Abend mit William Thackeray
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 8, S. 141-142
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[141] Ein Abend mit William Thackeray. (Aus den Lebenserinnerungen einer Matrone.) Wer mit vollem Behagen sich an dem köstlichen Romane „Vanity fair“, wohl dem Meisterwerke von Thackeray, erfreut, wird es kaum glaublich finden, daß der Autor sich lange mit dem Gedanken getragen: er sei vorzugsweise für die Malerei begabt und habe in der Ausübung dieser Kunst seinen eigentlichen Lebensberuf zu finden.

Es war im Jahre 1835, als Madame Firmin in Paris, die Wittwe eines Advocaten, an welche wir empfohlen waren, meine Eltern und mich zu einer kleinen Abendgesellschaft einlud und den Zusatz machte: „Sie werden bei mir einen jungen Engländer aus bester Familie finden, der sich bereits zwei Jahre hier aufhält, um Studien im Louvre zu machen. Es ist ein sehr geistvoller Mann, der sicherlich sich einen Namen als Maler machen wird.“

Ich war damals achtzehn Jahre alt, Thackeray vierundzwanzig, und als die beiden Jüngsten in der nur aus acht Personen bestehenden Gesellschaft näherten wir uns mit der Unbefangenheit der Jugend. In Thackeray’s Auftreten lag nichts von dem gewöhnlich etwas steifen, förmlichen Wesen der Engländer. Er war viel auf Reisen gewesen, hatte Menschen und Sitten kennen gelernt und gab sich mit der ruhigen Sicherheit eines fein gebildeten Gentleman der Unterhaltung hin. Seine Zurückhaltung war nicht größer, als die jedes geistig vornehmen Mannes, der sich vor zudringlicher Annäherung zu schützen sucht. Thackeray sprach zuerst – wohl aus Artigkeit einer Deutschen gegenüber – von seinem Aufenthalt in Weimar im Jahre 1831 und von Goethe, den er noch glücklicher Weise gesehen und gesprochen, und der wunderbar leuchtende Augen gehabt, die schönsten, in welche er jemals geblickt. Wir kamen dann [142] auf Eindrücke aus der Kinderzeit zu sprechen, und er hob als den mächtigsten den hervor, welchen er von Napoleon empfangen. „Nicht als Imperator, nicht als Besieger von Fürsten und Völkern, nicht als genialer Mann, der das Chaos der Revolution geschlossen und die Geschicke eines der geistvollsten Völker in seine starke Hand genommen, steht er vor mir da, sondern – als Menschenfresser.“

Erstaunt sah ich Thackeray an.

„Ja, ja, so ist es in der That.“ lachte er. „Ich war sechs Jahre alt, als die Meinen mit mir von Indien die Rückreise nach England antraten. Auf einer einsamen Insel im Meere legten wir an und ein alter Diener trug mich einen langen Weg über Feld bis zu einem umzäunten Garten, in welchem ein Mann promenirte. ‚Das ist Bonaparte, das Ungeheuer; jeden Tag frißt er drei Schafe und soviel Kinder auf, wie er bekommen kann,‘ raunte er mir zu.

Nie werde ich vergessen, welch gemischte Empfindungen bei diesen schrecklichen Worten sich in mir regten. Ich glaube der erste Keim von Haß wurde in mir wach und wendete sich gegen meinen Führer. Wie durfte er mich der Gefahr aussetzen von dem fürchterlichen Manne verspeist zu werden? Und dennoch schlang ich – so viel Falschheit ruht selbst in einem Kinderherzen – meine Arme um den Hals des alten Dieners und flüsterte ihm zu, nicht: er möge mich sofort aus der Nähe des Grausamen bringen, sondern: mir thäte der Kopf weh; ich wünsche mich niederzulegen. – Noch heute steht Alles so lebendig vor mir da; ich könnte die Scene zeichnen –“

„Thun Sie es!“ bat ich. „Madame Firmin hat uns bereits gesagt, daß Sie ein Künstler, ein Maler sind.“

Thackeray zog eine Art von Notizbuch hervor, das in seiner Größe die Mitte zwischen einem Album und einer Brieftasche hielt, nahm einen Bleistift zur Hand, und mit wenigen Strichen entstand der Garten, der wandelnde Mann, der Diener mit dem Knaben auf seinem Arme.

„Allerliebst,“ sagte ich, als Thackeray mir das schnell entworfene Bild überreichte, „aber weshalb haben Sie allen Personen eine solche Stellung gegeben, daß sie dem Beschauer den Rücken zuwenden?“

„Das ging nicht anders zu machen. Wo Sie sind, ist Sonne, da konnte ich meine Gestalten nicht hinblicken lassen – sie wären geblendet worden.“

Diese Worte wurden in einem Tone gesprochen, von einem seinen Lächeln und Mienenspiele begleitet, die jeder Beschreibung spotten. Sie schienen mit Grazie und Humor sagen zu wollen: „Bilde Dir nicht allzuviel auf meine Schmeichelei ein: sie soll hauptsächlich das Eingeständniß verdecken, daß die Aufgabe, drei charakteristische Köpfe in wenigen Minuten auszuführen sich mir als allzuschwierig erwies.“

Die Unterhaltung wurde bald eine allgemeine und man besprach die neueste französische Literatur und vor Allem Victor Hugo’s Werke, der sich durch seine „Feuilles d’automne“ und „Notre-Dame de Paris“ bereits einen europäische Ruf begründet. Einer der anwesenden Herren sprach seine Meinung dahin aus, daß dem Dichter, dem Schriftsteller, ein viel schöneres Loos beschieden sei, als dem Maler, dem Componisten, dem Bildhauer. Seine Werke erreichten den Thron und die Hütte, durcheilten alle Länder, während der Componist den großen Apparat eines Sängerpersonales und Orchesters, der Maler und Bildhauer die Salons und Kunstinstitute bedürfe, um seine Schöpfungen dem großen Publicum zugänglich zu machen.

Thackeray entgegnete schnell. „Nur der Maler, der Bildhauer ist der wahrhaft freie, unabhängige Mann. Hat er ein Werk geschaffen, so stellt er es aus; er bedarf, um dessen Wirkungsfähigkeit zu erproben, der Beihülfe keines anderen Menschen. Niemand kann davon etwas abnehmen, Niemand etwas hinzuthun. Schlechter steht der Operncomponist, der mit einer großen Zahl widersprechender Elemente zu rechnen hat, über welche er keinerlei Gewalt zu üben vermag. Das schlimmste Loos ist aber dem Dichter beschieden. Nehmen wir an, ich hätte ein Meisterwerk – meine Erstlingsarbeit – verfaßt und das Glück gehabt, mit einem Buchhändler von hoher Intelligenz und Redlichkeit einen Verlagscontract zu unterzeichnen. Da stirbt der Edle ganz plötzlich; sein Geschäft wird verkauft und ich – ein an Händen und Füßen gefeselter Sclave – gehe an einen neuen Herrn über. Mein jetziger Gebieter ist filzig, flößt mir die größte Antipathie ein. Ich protestire gegen seine Rechte auf mein Werk und erreiche nichts weiter. als daß er einen grimmen Haß auf mich wirft. Was kann er Alles thun? Er druckt mein Meisterwerk auf Löschpapier und mit so winzigen Lettern, daß nur ein Falkenauge zwei Seiten davon hinter einander zu lesen vermag, ohne Schmerzen in seinem Sehorgane zu empfinden. Bei pathetischen oder besonders rührenden Stellen werden Druckfehler angebracht, welche den Sinn meiner Worte in’s Lächerliche verkehren und selbst das Zwerchfell eines Menschenhassers erschüttern müssen. Noch mehr: mein Herr erwirbt das Machwerk eines literarischen Handlangers, kündigt es lobpreisend an und empfiehlt gleich darauf meine Arbeit mit den mich als Schriftsteller vernichtenden Worten: ‚es gereicht mir zu besonderer Freude, dem Publicum ein gleich classisches Werk, den Roman von Herrn X., übergeben zu können.‘ Keine Waffe bleibt mir, um abzuwenden, was über mich hereingebrochen; voll Ingrimm fordere ich den schändlichen zum Zweikampfe; er tödtet mich, wie er meine Schöpfung umgebracht, und keine Menschenseele erfährt, daß ein Genie gelebt und gelitten."

Alle Anwesenden wurden durch diese mit köstlicher Laune vorgetragene Skizze von den Leiden eines Schriftstellers in die heiterste Stimmung versetzt, und worüber Thackeray sich auch äußerte, man empfing den Eindruck, mit einem der liebenswürdigsten und begabtesten Männer zu verkehren. –

Als ich spät am Abende in meinem Reisetagebuche fixirte, was ich gehört, sprach ich dies ebenfalls mit allem Enthusiasmus des Jugendalters aus.

Dreizehn Jahre später erschien „Vanity fair“ und wies Thackeray seinen Platz unter den ersten Schriftstellern des Jahrhunderts an. Wie erstaunte ich, daß der Mann, dessen Namen ich lange Zeit vergeblich unter den neu auftauchenden hervorragenden Malern Englands gesucht, nun plötzlich als ein Autor von hoher Bedeutung sich kund gab! Je öfter ich mich aber an jenen Abend in Paris erinnerte, je deutlicher erkannte ich in allen Aeußerungen von Thackeray die Blüthe des liebenswürdigen Humors, dessen Reife einst so viele Menschen entzücken sollte.