Ein Antwortschreiben

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Titel: Ein Antwortschreiben
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aus: Die Gartenlaube, Heft 10, S. 107-108
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Retourkutsche US-amerikanischer Frauenverbände auf britische Vorhaltungen wegen Sklaverei in USA
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[107] Ein Antwortschreiben. Die meisten unsrer Leser werden bereits durch die Zeitungen wissen, daß eine Anzahl hocharistokratischer englischer Damen, gerührt durch die Schilderungen in Onkel Tom ein Sendschreiben an die amerikanischen Frauen erlassen hatten, worin die letztern aufgefordert wurden, all’ ihren Einfluß aufzubieten, die Abschaffung der Sclaverei oder wenigstens eine Milderung des Looses der Sclaven zu erwirken. Die Antwort der amerikanischen Frauen ist vor Kurzem eingelaufen und macht jetzt die Runde durch alle englischen Zeitungen, die für und wider große Leitartikel darüber bringen. Diese Antwort ist ächt amerikanisch – offen, derb, ohne Rückhalt und wahr. Es wird darauf hingewiesen, wie in England dieselbe Sclaverei herrsche wie in Amerika, nur unter andern Namen. „Wir kommen nicht mit Thatsachen“ heißt es, „die von der Phantasie des Novellisten übertrieben, verkehrt und entstellt sind, sondern solchen, die in ihrer nackten Einfachheit in Parlamentsurkunden oder andern statistischen Schriften von anerkannter Geltung vorliegen.“ Es folgt dann eine Aufzählung der Schandthaten, welche sich die Engländer in Süd-Afrika, in Asien, in China und namentlich in Irland zu Schulden kommen ließen. So wird u. A. angeführt, daß in Folge brittischer Mißhandlungen die Bevölkerung Irlands innerhalb der letzten Jahre um 20 Proc. abgenommen habe. Dann fährt das Schreiben fort:

„Von Uebeln auf Eurem eigenen Grund und Boden, in Euren eigenen Gemeinden – von Uebeln, unter denen Ihr täglich lebt und webt, und mit denen Ihr persönlich zu thun habt, sprechen wir jetzt zu Euch. Wir wünschen mit Euch zu sprechen von der unwissenden und mit Armuth geschlagenen und herabgewürdigten Bevölkerung Eures eigenen Landes, und wir wollen es treulich, doch milden Sinnes thun. Schwestern! Euer Land ist mit Sclaven angefüllt – Sclaven der Unwissenheit, Sclaven der Armuth und Sclaven des Lasters. Die furchtbare Wahrheit ist Euch gesagt worden von einem Eurer geachtetsten Autoren, J. Kay vom Dreifaltigkeits-Collegium in Cambridge, am Schlusse seines großen Werks über National-Erziehung, das Euch allen bekannt ist oder sein sollte, – die Wahrheit, daß in England, wo die Aristokratie reicher und mächtiger ist als in irgend einem andern Lande der Welt, die Armen gedrückter, elender, im Verhältniß zu den andern Klassen zahlreicher, irreligiöser und viel schlechter unterrichtet sind, als die Armen irgend einer andern europäischen Nation. Das erste und größte aller volklichen Bedürfnisse in jedem freien christlichen Lande ist das des Unterrichts, und doch hat England kein System der öffentlichen Erziehung, das des Namens werth ist. Der ganze Betrag Eurer jährlichen parlamentarischen Geldbewilligungen für die Erziehung Eures Volkes ist um Tausende von Pfunden geringer, als der jährliche Geldaufwand für diesen Zweck in der einzigen Stadt New-York! Jeder achte Mensch in Eurer Bevölkerung ist ein öffentlicher Armer (a pauper), und die Armensteuer in England während der letzten zehn Jahre hat durchschnittlich 6,000,000 Pf. St. betragen; gleichwohl um für öffentliche Erziehung vorzusorgen und dadurch großentheils dieselbe Verabsäumung zu heilen, die Euch den Fluch dieser schweren und von Jahr zu Jahr wachsenden Bürde aufgeladen, hat eure National-Legislatur in sechs Jahren nur 600,000 Pf. St. verausgabt. Zufolge unsern eben veröffentlichten Volkszählungstabellen genießt ein Drittel der Bevölkerung des Staats New-York regelmäßigen Unterricht in unsern öffentlichen Schulen; zufolge Euren Parlamentsnachweisen genießt nur ein Elftel Eurer Bevölkerung einen ähnlichen Vortheil. – Schwestern! ist das ein christlicher Gesellschaftszustand, welcher für mehrere Millionen Eures Volkes die Entwickelung und Pflege aller jener Fähigkeiten, die den Menschen vom Thiere unterscheiden, nahebei zu einer physischen Unmöglichkeit macht?“

„Ihr, die wir hier anreden, wohnt in allen Gegenden [108] Englands, aber überall, in der Hauptstadt, in den Fabrikstädten und auf dem Lande seht Ihr rings um Euch die kläglichste Entblößung und Herabwürdigung. In London allein, hören wir, gibt es mehr als eine Million unsterblicher Wesen, die man niemals im Hause Gottes sieht und welche praktisch als Heiden denken und leben. Der Zustand eines großen Theils der Arbeiterbevölkerung jener ungeheuren Stadt läßt sich aus der Thatsache beurtheilen, daß von ihren 20,000 Schneidergesellen 14,000 durch vierzehnstündige Arbeit täglich, mit Einschluß des Sonntags, kaum die armseligste Lebensnothdurft erringen können; und daß die 33,000 Näherinnen, welche London enthält, täglich vierzehn Stunden arbeiten und im Durchschnitt nur 41/2 Pence verdienen. 50,000 Menschen in London suchen ihren Lebensunterhalt auf der Straße, und Henry Mayhew, eine Autorität, die Ihr nicht in Zweifel ziehen werdet, sagt von ihnen: „Wenn man sich die religiöse, sittliche und geistige Herabwürdigung der Mehrheit dieser 50,000 Menschen deutlich vorstellt, so erschrickt man bei dem Gedanken, welche Summe von Laster, Unwissenheit und Elend sich im innersten Herzen unsers Landes beisammen findet. Nicht 3 unter 100 von ihnen haben jemals eine Kirche betreten, und von zehn kann kaum einer lesen. Dabei sind unter zehn Paaren, die als Mann und Weib zusammenleben, erst eines ordentlich verheirathet.“ Eure Manufacturstädte sind nicht besser. In Glasgow z. B. sind 60,000 Weiber in den Fabriken oder als Näherinnen beschäftigt, deren durchschnittlicher Verdienst 7 bis 8 Schilling die Woche nicht übersteigt. (Folgen Details über die dortige geringe Vorsorge für die religiösen Bedürfnisse der Armen, mit Berufung auf das Zeugniß Dr. Patersons aus Glasgow.) Ebenso steht es mit Eurer Ruralbevölkerung. Ein sehr großer Theil Eurer Landleute lebt in schmutzigen und überfüllten Hütten, wo die Geschlechter Tag und Nacht in enger und gefährlicher Berührung sind, so daß die Anständigkeit schwer, die Behaglichkeit unmöglich ist.“

„Aber, Schwestern! wir haben nun genug gesagt, und wir fordern Euch nun auf, ernstlich nachzudenken und mit Gott zu Rathe zu gehen, inwiefern ein solcher Stand der Dinge im Einklang ist mit seinem heiligen Wort, dem unveräußerlichen Recht unsterblicher Seelen, und dem reinen und erbarmungsvollen Geiste des Christenthums.“ –

Es wird dann in einer längern Nachschrift darauf hingedeutet, was die englischen Frauen den Armen ihres Landes gegenüber zu thun und wie sie es anzugreifen haben dem Elend ein Ende zu machen. „Wir rufen Euch auf,“ schließt das Schreiben, „als Schwestern, als Gattinnen und als Mütter, erhebt Eure Stimmen vor Euren Mitbürgern und Euer Gebet zu Gott, daß Englands Schande in der christlichen Welt getilgt werde.“ –