Ein Besuch im Postamt zu London

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Titel: Ein Besuch im Postamt zu London
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aus: Die Gartenlaube, Heft 7, S. 99–100
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Ein Besuch im Postamt zu London.

Das Postamt in London ist die großartigste Anstalt dieser Art in der ganzen Welt. Im Jahre 1854 wurden durch dieselbe über 200 Millionen Briefe befördert. Der Generalpostmeister steht mit seinem Stabe an der Spitze von mehr als 20,000 Personen, die einander in die Hände arbeiten, wie in einer großen Fabrik.

Einige günstige Umstände machten mir es möglich, diese Wunderanstalt in voller Thätigkeit zu sehen, und ich will nun versuchen, Ihnen ein Bild davon zu entwerfen.

In dem „Büreau für das Inland“ geht es um die Mitte des Tages ziemlich still zu, denn es kommen um diese Zeit so wenige Briefe und Zeitungspackete an, daß nur einige Sekretaire und Sortirer beschäftigt sind. Die englische oder inländische Post nimmt aber 3035 Personen in London in Anspruch, nämlich: 1385 Briefträger (80 Mann mehr als das Sachsen-Coburg-Gotha'sche Bundescontingent); 498 Stadtbriefpostinhaber; 160 Sekretaire, welche die Geldsummen annehmen, die irgendwo im Lande ausgezahlt werden sollen; 992 Sekretaire für die Briefe, so wie Stempeler, Sortirer, Packer u. s. w.

Alle Briefe, die aus London abgesandt werden - gleichviel wohin sie bestimmt sind - gehen zu einer und derselben Stunde ab, nämlich Vormittags um neun und Abends um neun Uhr. Den Tag über sind fortwährend Leute beschäftigt, zu Fuß, zu Pferd, in Wagen Briefe aus den verschiedenen Briefannahmestellen in der Riesenstadt zusammenzuholen. Sogar die Zeitungspackete läßt die Post aus den Expeditionen holen. Sie schickt zu gewissen Stunden Wagen dahin, was den Zeitungsverlegern wie der Post selbst Mühe erspart. Da täglich etwa 150,000 Zeitungsnummern durch das londoner Postamt gehen und diese vier Fünftel der Postsendungen ausmachen, so verursacht das Sortiren und Packen ungeheure Arbeit, die man gern beseitigt, ehe das Sortiren, Stempeln und Packen der Briefe beginnt, das binnen zwei Stunden - von 6 bis 8 Uhr - geschehen muß.

Wenn sechs Uhr Nachmittags herankommt, nimmt die Zahl der Briefabgeber allmälig zu und mit jeder Viertelstunde wächst sie mächtiger an. Die Leute legen die Briefe nicht mehr gemächlich ein, sondern sie rennen an den Kasten und werfen die Briefe hastig hinein. Etwa dreiviertel auf Sechs kommen Männer mit Säcken voll; sie klopfen an einen hölzernen Schieber; ein Sekretair macht ein ganzes Fenster auf, nimmt einen Sack nach dem andern, schüttet ihn aus und wirft ihn hinaus. Kinder, alte Weiber und Handwerker drängen sich durch die Menge vor den Briefkasten, um auch einen Brief hineinzulegen. Innen herrscht unterdeß geschäftige Rührigkeit, die aber fern von Hast und Ueberstürzung bleibt. Anfangs fallen die Briefe einzeln herein, aber immer schneller und immer dichter folgen sie sich, bis es Briefe zu gießen scheint. Die Menge draußen und der Briefregen innen nimmt mit jeder Minute zu. Ein Sekretair an dem Fenster kann die Masse nicht mehr bewältigen; ein zweiter erscheint an einem zweiten Fenster u. s. w. Es fehlen jetzt nur noch drei Minuten an Sechs. Man steckt die Briefe und Packete nicht mehr herein, man wirft sie schon von Weitem durch das Fenster. - Immer noch schneller geht es, immer mehr Briefe kommen. Noch anderthalb Minute! Die Menge draußen drängt sich zu einem wirren Knäuel zusammen; Viele halten die Briefe fest in der Hand hoch empor, um sich dieselben nicht entreißen zu lassen. Noch dreißig Sekunden fehlen und die Menge wächst fortwährend. Ein Mädchen, das sich mit Todesverachtung vordrängt - wahrscheinlich um ein Briefchen an den Geliebten abzugeben - wird fast zerdrückt und schreit jämmerlich. Da schlägt es Sechs und Puff! werden alle Fenster auf einmal geschlossen.

Nur ein Briefkasten bleibt noch offen, über dem steht: „Frankirte Briefe, die eine Freimarke mehr haben und vor halb sieben Uhr hier eingelegt werden, gehen noch mit der heutigen Post ab.“ Andere Kasten sind für Briefe bestimmt, die nicht mit der nächsten Post abgehen sollen, und diese bleiben immer offen.

Jetzt wollen wir sehen, wie es innen zugeht.

An einem hohen Pult sitzt der Direktor, der von seinem Platze aus Alles übersehen kann. Zu unterst befinden sich die Sortirer und Stempler, beinahe 500. Von da, unter der breiten Halle hin, in welcher das Publikum die Briefe abgiebt, führt eine unterirdische Eisenbahn, auf welcher Briefe und Packete auf Karren zu dem gegenüber befindlichen londoner Stadtpostamt durch Dampf befördert werden. Die Dampfmaschine hebt aber auch durch eine besondere Vorrichtung die Zeitungen aus dem Erdgeschosse in das zweite Stockwerk des Gebäudes hinauf, wo sie, abgesondert von den Briefen, sortirt und gepackt werden. Wir lassen uns zuerst mit da hinaufziehen und sehen die Hunderte von Säcken mit Zeitungen, die von einigen hundert Personen geordnet werden. Von da lassen wir uns hinunter in das Stadtpostamt bringen, wo es von Leuten in rothen Röcken wimmelt, die roth angestrichene Karren fahren, aus welchen sie die Tausende von Briefen ausschütten, die aus den Stadtpostannahmestellen geholt worden sind.

Jeder Brief muß durch zehn bis vierzehn Hände gehen, und es ist ein Wunder, daß so wenige Irrthümer und Versehen vorkommen. Aus Körben werden die Briefe zuerst auf eine sehr große Tafel geschüttet, bis sie mehrere Fuß hoch darauf liegen. Funfzehn bis zwanzig Mann sind bei dem Aufschichten beschäftigt, die Briefe zu stellen, und zwar mit der Adresse nach der rechten Seite. Die großen Briefe und die unfrankirten werden in besondere Körbe geworfen, weil sie eine eigene Behandlung erfordern. Von der Tafel weg werden sie zu den Stemplern getragen, die so geübt sind, daß Einer in einer Stunde lesbar 7 bis 8000 Briefe stempelt. Die Stempel sind von leichtem Holze, weil diese die Hand weniger ermüden und die Schwärze besser halten als metallene. Einmaliges Schwärzen des Stempels reicht für zehn Briefe aus. Jeder Stempler zählt seine Briefe, und nach jedem Hundert drückt er seinen Stempel einmal auf einen Bogen Papier, der neben ihm liegt. Das Kissen, worauf das Stempeln erfolgt, besteht aus mehrern Tuchschichten und zieht sich über die ganze Tafel hin. Der Stempel mit Jahr und Datum wird auf die eine Briefseite gedrückt. Man hat aber noch einen andern, der aus Buchstaben oder aus Buchstaben und Zahlen besteht und jeden Tag geändert wird. Dieser Stempel wird auch täglich in ein Buch eingetragen, und Jahre vergehen, ehe einmal derselbe Geheimstempel wieder vorkommt. Er soll Betrügereien verhindern. - Poststempel und Freimarken werden nämlich nicht selten nachgemacht als Zeugnisse bei wichtigen Prozessen. Hat nun der Fälscher nicht zufällig ein Briefcouvert genau von dem Tage, an dem sein nachgemachter Brief abgegangen sein soll, so kann er nicht wissen, welchen Geheimstempel die Post gerade an diesem Tage [100] brauchte. Fehlt dieser Stempel oder ist er falsch, so erkennt man sofort den Betrug.

Sind die Briefe gestempelt und gezählt, so gelangen sie zu den Sekretären, die nachzusehen haben, ob sie genug Marken zum Frankiren haben. Es geschieht dies mit bewundernswürdiger Geschwindigkeit, und auf jeden Brief, der nicht richtig frankirt ist, wird das Strafgeld notirt. Die richtig befundenen wandern zu Andern, welche einen Stempel auf die Freimarken drücken.

Das Nächste ist das Sortiren. Die Briefe kommen auf große Tafeln, welche Abtheilungen haben mit Aufschriften, meist von Eisenbahnen, z. B. Great Western, Southeastern etc., und in jede dieser Abtheilungen legt man die Briefe, welche auf der bezeichneten Eisenbahn befördert werden sollen. Eine andere Abtheilung heißt „Schottland,“ eine andere „Irland“ eine andere „Ausland,“ in welche die für Schottland, oder Irland oder das Ausland bestimmten Briefe kommen.

Es giebt aber auch blinde Briefe, d. s. Briefe, auf denen die Adresse nicht sofort gelesen werden kann. Diese wandern zu dem blinden Mann, der die Kunst versteht, die unlesbaren Adressen zu entziffern und dann den richtigen Namen darauf schreibt. Die „blinden Männer“ gehören zu den wichtigsten Personen in der Postanstalt, und es giebt wenige Adressen, die auch von ihnen nicht entziffert werden können. Sie leisten in der That Unglaubliches. Es kommt z. B. ein Brief mit der Adresse „Sromfredevi,“ und nach einigem Nachdenken schreibt „der Blinde“ die richtige Adresse: „Sir Humphrey Davy.“ Auf einem andern steht: „Jonsmeet ne Weasal pin Tin.“ Was soll das heißen? Nichts anderes als John Smith, Newcastle upon Tyne. Kommen Briefe an Geistliche, Aerzte, Adelige, adressirt: „Auf dem Lande,“ „in der Stadt,“ ohne Angabe des Namens des Dorfes oder der Stadt, so werden die Verzeichnisse der Geistlichen, Aerzte etc. im Lande nachgeschlagen, die „der Blinde“ immer neben sich hat, der Name des Adressaten aufgesucht und der Name des Wohnorts zugeschrieben.

Uebrigens ist mir bekannt, daß auch in dem Postamte zu Leipzig ein ähnlicher Wundermann beschäftigt ist, der es durch seine außerordentlichen Local-, Namen- und Personalkenntnisse möglich macht, in den Messen die eingehenden Briefe an die Unzahl der Levi, Simon, Itzig und Meier aus dem Volke Israel in den verborgensten Winkeln des Brühls an den rechten Mann zu bringen.

Nach den Abtheilungen nach Eisenbahnen, Ländern etc., werden die Briefe weiter sortirt; erstens z. B. nach den Zweigbahnen, die von der Haupteisenbahn abgehen; zweitens nach Bezirken, und endlich nach den einzelnen Städten. Die nicht weiter zu sortirenden werden dann in besondere Beutel oder Säcke gepackt. Dadurch daß man die nicht frankirten und die großen amtlichen Schreiben von den andern Briefen sonderte, kann man die letzteren viel schneller und sicherer handhaben.

Es rückt nun die achte Stunde heran, und die Arbeiter alle eilen mehr und mehr, um fertig zu werden, denn um acht Uhr gehen die Wagen nach den Bahnhöfen ab. Das Letzte ist das Verpacken in Beutel oder Säcke. Die recommandirten Briefe begleitet ein Verzeichniß, und an jeden Postmeister geht die Angabe der Summe mit, welche das Briefgeld für die unfrankirten Briefe beträgt, die er erhält. Für diese Summe wird er von dem londoner Postamte belastet.

Mit dem Schlage acht Uhr klopft der die Aufsicht führende Director mit seinem Hammer, und der letzte Briefbeutel muß fertig sein, denn die Zeit ist abgelaufen. Bisweilen werden bis siebzehn Wagen, mit Briefen und Zeitungen beladen, nach den Bahnhöfen gesandt. Es sind diese sogenannten „Eilwagen“ große Omnibusse, die früh zugleich die Briefträger mit auf ihre Stationen nehmen.

An dem Abende, an welchem wir eben zusahen, wurden, wie uns der Director mittheilte, 216,457 Briefe abgesandt.

Im Durchschnitt beträgt eine solche Abendpostsendung in London dem Gewicht nach:

 220 Centner Zeitungen,
  27 Cen„      Briefe,
  6 Cen„      Bücher,
  27 Cen„      die Säcke oder Beutel.

Die Frühpost ist meist nur ein Viertel so stark wie die Abendpost. Im Durchschnitt aber werden täglich von London 267,521 Briefe abgesandt, während täglich 283,225 ankommen.

London versendet im Jahre etwa 54 Millionen Zeitungsblätter. Für jedes muß ein Penny (1 Ngr.) Porto bezahlt werden. Häufig versucht man, solche Zeitungsblätter unter Kreuzband zu legen, um dem Empfänger ein paar Worte mit zu schreiben. Das ist aber verboten und kostet Strafe - 4 Pence (4 Ngr.) für je zwei Loth Gewicht der Zeitung. Da nun die englischen Zeitungen bekanntlich groß und auf starkem Papier gedruckt sind, so wiegt eine Nummer gewöhnlich 4-6 Loth, und das Strafporto kommt also ziemlich hoch.