Ein Gang durch Meiningen

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Autor: Friedrich Hofmann
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Titel: Ein Gang durch Meiningen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 39, S. 627–629
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Ein Gang durch Meiningen.


Eine unserer kleinen thüringischen Residenzen, die seit Jahren im fleißigen Aufraffen aus alten Zuständen begriffen war, ist mitten in diesem redlichen Streben von einem furchtbaren Verhängnisse ergriffen und in Tausenden ihrer Bürger auf Jahre zurückgeworfen worden: vom Kern der Residenzstadt Meiningen liegt das gewerbfleißigste Dritttheil, die Heimstätte von dritthalbtausend Menschen, in Asche.

Auf drei Millionen Gulden wird allein der Verlust an Wohnhäusern, Seiten- und Hintergebäuden geschätzt. Ein Katastercontroleur berichtet uns, daß die Gesammtzahl aller dieser Häuser und Nebengebäude, Scheunen, Schuppen, Ställe etc. fast sechshundert erreiche; die Summe der verbrannten Wohnhäuser giebt der Meininger Magistrat zu zweihundertsiebenzehn Hausnummern an. Und da die Versicherungsanstalten kaum viel mehr als ein Dritttheil der Verlustsumme decken werden – denn viele der älteren Häuser in den engen Gassen waren unversichert –, so ist es offenbar, daß nicht die Stadt, nicht das Herzogthum, ja nicht die Thüringer Ländchen zusammen, die schon durch die vielbeklagte Vertheilung der Reichslasten unmäßig bedrückt sind, hier allein Hülfe schaffen können. Deshalb wird hier die allgemeine Hülfe zur Pflicht, und daß diese Pflicht in Deutschland gefühlt wird, dafür spricht die Rührigkeit, mit welcher man von allen Seiten mit den Gaben der Liebe herbeieilt.

Ein Unglück dieser Art ist nicht mit Zahlen zu bemessen, sondern nach der Schwierigkeit für die Betroffenen, sich wieder aufzuraffen. Städte wie Hamburg oder Chicago, deren Lage schon eine Reichthumsquelle ist, lassen nach wenigen Jahren, spätestens nach Jahrzehnten keine Spur ihrer Riesenfeuersbrünste mehr bemerken, während unsere kleinen, auf geringe Hülfsmittel der Natur angewiesenen Städte die Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges noch heute nicht ganz verwunden haben. Als die Eisenbahn die Städte des Werrathals an den Weltverkehr heranzog, hatte Meiningen die Einwohnerzahl noch nicht wieder erreicht, zu welcher es sich in der Blüthezeit seines Gewerbefleißes vom Ende des Mittelalters bis etwa 1630 emporgeschwungen hatte. Die Barchentweberei war damals seine ergiebigste Einnahmequelle gewesen. Aus Schutt und Trümmern erhob es sich wieder, aber jeder neue Krieg zehrte das schwer Errungene wieder auf, bis endlich die neue Zeit die alten Hemmschuhe des Fortschritts zerbrach und zu neuen Hoffnungen belebte, die nun wieder einen Stoß erlitten haben.

Jedenfalls hat die Stadt in diesem Augenblicke so viel Theilnahme auf sich gezogen, daß unsere Leser, namentlich in entfernteren Kreisen, gern uns auf einem Gange dahin folgen werden.

Da, wo die Werra aus ihrer bis dahin vorherrschend westlichen Richtung in die rein nördliche umbiegt, liegt in einem engen Thale, wie in einem vom üppigsten Wiesen- und Baumgrün geschmückten Garten, die uralte Stadt. Kaiser Heinrich der Erste war es, der ihr den ersten Mauergürtel umlegte, und desselben Namens der Zweite schenkte ihr die zwei Thürme ihrer Stadtkirche, deren Grundfesten heute noch stehen. Meiningen wird wohl bald sein tausendjähriges Stadtjubiläum feiern können.

Der Ort war offenbar auf einem „durch Bergzüge und [628] Gewässer zwischen Nord und Süd Deutschlands für Krieg und Verkehr wichtig gestellten Punkt“ angelegt und hieß deshalb auch, wie die Veste Koburg die fränkische Krone und die Heldburg die fränkische Leuchte, sonst das fränkische Thor (Porta Franconiae). Einen andern Namen erwarb der Stadt die Grundgestalt ihres alten Kerns, der Altstadt (Wasserstadt oder alte Ringmauerstadt); denn auch eine Neustadt entstand im Norden der alten, wo die Berge mehr zurücktreten und Raum boten für die heutzutage überall üblichen modernen Anlagen breiter und freundlicher Straßen voll geschmackvoller und ansehnlicher Gebäude.

Der Altstadt Meiningens standen für ihren Weltverkehr nur zwei Thore offen: das obere Thor, das nach Franken, und das untere, das nach Thüringen und Hessen führte, und beide waren und sind verbunden durch die untere und obere Marktstraße, die beide in das Herz der Stadt, den Markt, münden. Das wiederholt sich in mehreren Werrastädten. Parallel mit dieser Hauptstraße und dem Lauf der Werra durchziehen die Altstadt in ihrer ganzen Länge von Süd nach Nord links die lange Gasse und rechts die untere und obere Freitagsgasse und, vom Markt an, die Schuhgasse, und alle sind wiederum durch meist enge Quergäßchen verbunden. Da nun, noch von Zeiten der alten Befestigung her, gegen Westen die Werra und der Mühlgraben die Stadtgrenze bilden, auf den übrigen Seiten aber zwei parallellaufende Canäle sammt einem mit Kastanien, Obstbäumen und Gärten besetzten hohen Damme bogenförmig die Stadt begrenzen, so stellt dieses Gesammtbild der Altstadt eine Harfe vor, deren Saiten die vier langen Straßen sind, und davon heißt Meiningen die Harfenstadt. Arme Harfe! Von deinen Saiten ist keine mehr ganz, die Brandsturmnacht des fünften September hat sie alle zerrissen.

Wer den Bewohnern eines Ortes in’s Herz blicken will, muß prüfen, wie von ihnen die sie umgebende Natur behandelt wird. Wenn sie jedes Fleckchen Erde zu einem Gärtchen benutzen und jeden Garten auch mit Blumen und Schmucksträuchern zwischen den Obstbäumen und Kohlbeeten ausstatten, dann findet man bei ihnen sicherlich Herzensgüte und Bildung, die auch in Städten ohne Reichthum gar wohl zu Hause sein können. Meiningen ist ein solcher Ort. In seinem Thale und an den Terrassen seiner beiden Bergreihen hinan grenzt Garten an Garten; ich glaube meinem landeskundigen Freunde Brückner auf’s Wort, daß man deren weit über vierhundert zählt, von denen viele ihre Stätte durch Gartenhäuschen und selbst durch reizende Villen kennzeichnen. Und wie dankbar ist die Natur! Sie lockte Schaaren beschwingter Sänger herbei, die Ohr und Herz der Menschen erfreuen; vor Allem aber gesellte in entzückender Menge zur Harfe sich die Nachtigall.

Es ist wohl kein zu kühner Sprung, wenn wir bei solchen Sängern auch an menschliche denken und überhaupt solche Menschen, von denen der Dichter sagt, daß die Stätte, die sie betraten, für alle Zeiten geweiht sei. Wie alle unsere kleinen sächsisch-ernestinischen Residenzen in Thüringen und Franken, erfreut auch Meiningen sich des Vorzugs, mehr als eine solche Stätte zu hüten. Wir dürfen einen Riesenschritt in die Vergangenheit wagen, um beim Ersten zu beginnen. Eine Stunde von Meiningen, werraaufwärts, steht noch das einst glänzende Hennebergische Grafenschloß Maßfeld, in welchem schon 1207 die Dichtkunst Pflege fand, denn damals ward Wolfram von Eschenbach hier zum Ritter geschlagen, und Bitterolf war der Grafen Vasall. Auch später schlossen die Künste und Wissenschaften sich ihrem eifrigsten Pfleger, dem Fürstenhofe, an, der seit 1680, wo einer der sieben Söhne Ernst’s des Frommen das Herzogthum Meiningen stiftete, hier seinen Sitz behielt. Eine Glanzzeit führte, meist ohne andere Lockmittel als die seiner ausgezeichneten Persönlichkeit, Herzog Georg herbei. Zu dem heimischen Dichter Ernst Wagner gesellte sich damals Alles, was zur „Bettenburger Tafelrunde“ gehörte, vor Allen Jean Paul. Der viel zu früh gestorbene Liebling seiner Vaterstadt, der Patriot und Philolog August Henneberger[WS 1], erzählt in einem besondern Schriftchen, das ihm zu Liebe nicht vergessen werden sollte, gar anmuthig das cordiale Verhältniß zwischen dem Fürsten und dem Dichter, wie oft der Herzog ihn vor seiner Wohnung im zweiten Stock des Amthor’schen Hauses in der untern Marktstraße zum Spaziergang abgerufen oder sich zu ihm und seiner liebenswürdigen Frau zu Gast geladen. Wer blickt nicht gern zu einem solchen Fenster empor, aus welchem so oft Jean Paul’s: „Gleich, Durchlaucht!“ erklungen? Jetzt schmückt die eherne Büste des Dichters den schönen Raum, wo einst der Dichter mit dem Fürsten ging. –

Noch bis 1847 besaß Meiningen das rührendste, ein lebendes Denkmal für Schiller. Wer bis damals am untern Stock des Eckhauses der Schloß- und untern Marktstraße vorbeiging, konnte stets an demselben Fenster eine Matrone sitzen sehen, deren Anblick einen sinnigen Beobachter nicht gleichgültig lassen konnte. Es war Schiller’s Schwester Christophine, die Gattin des Sprachforschers und Bibliothekars Hofrath Reinwald, die am 31. August 1847, neunzig Jahre alt, hier starb. Ihr ganzes Leben, ihre ganze Umgebung war Brudercultus, nicht blos daheim im Stübchen, sondern auch draußen im Berggarten am Marienweg, auf der nördlichen Seite von der Stadt. Dort hat das treue Schwabenherz viele Obstbäume gepflanzt, die aus des Vaters Baumschule auf der Solitüde bezogen waren; die wärmste Pflege aber fand des Bruders Lieblingsbirn, „das Stuttgarter Geißhirtle“. Ganz in der Nähe, am Saume eines Kiefernwaldes, steht ein Berghäuschen, in welchem Schiller mehrere Scenen seines Don Carlos gedichtet, und in dem Häuschen zeigt man noch ein Wandschränkchen mit einer Thür, auf deren Rückseite Schiller selbst eine Scene aus Don Carlos mit Bleistift skizzirt hat. – Lassen wir uns endlich auch einen Gang nach Bauerbach nicht verdrießen, denn dort sehen wir noch wohlerhalten die Stube, in welcher der seinem Herzog Karl aus Stuttgart glücklich entflohene Dichter auf dem Gute der Frau von Wolzogen als „Doctor Ritter“ Sicherheit und Ruhe fand. Seit dem 10. November 1859 schmückt das Haus die Inschrift: „Hier lebte und dichtete Friedrich Schiller vom December 1782 bis 20. Juli 1783.“

Stätten, wo Werke unserer Literatur, wie der „Titan“ und die „Flegeljahre“, „Fiesco“, „Cabale und Liebe“ und „Don Carlos“, theils vollendet, theils vollständig geschaffen, theils begonnen worden sind, verdienen wohl, von allen Deutschen als nationale Wallfahrtsorte geehrt zu werden. – Wir müssen viele Namen verschweigen, die auch auf anderen Feldern, in der Musik, in Malerei und Bildhauerei, in der Tonkunst und in den Wissenschaften, einen guten Klang haben; nur an den Naturforscher Bechstein erinnern wir noch, an die Maler Reinhart und Schröter, an Tonkünstler, wie die beiden Bach, Zöllner und Kummer, an den alpenkundigen Schaubach und an Ludwig Bechstein, der um die deutsche Sagen- und Märchenkunde sich vor Vielen verdient gemacht hat. Jetzt wohnt Friedrich Bodenstedt dort, und häufiger als je hat Meiningen in letzter Zeit für seine „classische Bühne“ die Anerkennung der Presse gefunden.

Aus der Pflege solcher einzelner, hervorragender Größen läßt sich mit Recht schließen, daß auch den Bildungsanstalten aller Art die rechte Sorge zugewandt wurde; und so ist es. Die Gelehrtenschulen stehen in Flor, Alterthums-, naturforschende und andere Vereine regen zu erhöhter Thätigkeit an, und die reichen Sammlungen im Residenzschlosse (Bibliothek, Naturaliensammlung etc.) stehen dem allgemeinen Gebrauche offen. Hinsichtlich der Bürger- und Volksschulen leistet Meiningen selbst für Thüringen Musterhaftes. – Dies Alles konnte auf das bürgerliche Gewerbsleben nicht ohne Einfluß bleiben, und so ist namentlich seit der Vollendung der Werrabahn auch in diese Schichten des arbeitenden Volkes ein neuer, frischer Geist gefahren, der mit den alten Schranken der Vorurtheile gebrochen hat. Nur ein Erbe aus alter Zeit ist der Stadt geblieben und hat viel zu der verheerenden Wirkung des großen Brandes beigetragen. Wie alle Städte in dem fruchtbaren Werrathale, trieb nämlich Meiningen von alten Zeiten her neben den kleinbürgerlichen Gewerben vorzugsweise Ackerbau und Viehzucht und behielt aus alter Gewohnheit die landwirthschaftlichen Gebäude vollständig auch innerhalb der Altstadt bei. Spricht auch das langandauernde Glück, das die Stadt vor jeder größern Feuersgefahr behütet hatte, und der Umstand, daß die Altstadt vom Wasser nicht blos von allen Seiten um-, sondern in allen Längsgassen durchflossen ist, entschuldigend für die alte Gewohnheit, so hat doch die Versäumniß, ohne den Zwang der Noth das gefahrdrohende Uebel zu beseitigen, sich um so fürchterlicher gerächt.

Um unseren Lesern einen Begriff von der Raschheit des Brandes und dem Umfange seiner Verheerung zu geben, müssen sie uns auf einem Gange durch die Stadt vor dem Ausbruche desselben begleiten. Wir gehen vom obern Thor durch die obere [629] Marktstraße auf den Markt und nehmen an der nordwestlichen Ecke der Stadtkirche, die frei auf der untern Hälfte der östlichen Seite desselben steht, festen Stand. Hier sehen wir in der Mitte zwischen der Kirche und der nördlichen Markthäuserfronte den Marktbrunnen, von einem Kranze von Akazien schön umgeben; die westliche Seite schmücken das große Landschaftsgebäude (Ort der Landtagssitzungen) und daneben das stattliche alte, mit dreizehn Erkern und gothischem Schmucke verzierte Rathhaus. Zur Linken desselben öffnet sich die Schlundgasse, welche zur (oben bereits genannten) langen Gasse führt; eine Apotheke bildet ihr Eckhaus nach der Marktseite. Dem Chore der Kirche gegenüber mündet östlich die Caplaneigasse auf den Markt, im nordöstlichen Winkel des Marktes gehen nach Osten die Salzmannsgasse, nach Norden die lange Schuhgasse aus, mit welcher parallellaufend uns gegenüber die untere Marktstraße sich ausdehnt, während im nordwestlichen Winkel des Marktes die Metzengasse beginnt und sich westlich zur langen Gasse hinzieht.

Der Markt wie die beiden Marktstraßen gewähren den wohlthuenden Anblick mittelstädtischer Wohlhabenheit, denn hier stehen, außer den genannten und anderen öffentlichen Gebäuden, die großen Geschäftshäuser der Kaufmannschaft, Kaufläden, Buchhandlungen, Apotheken, Gasthöfe und die ansehnlichsten Privathäuser; dagegen umfaßt der ganze große Complex östlich von der untern Marktstraße und nördlich von der Salzmannsgasse die Hunderte von kleineren Häusern, nach denen Alles drängt, was auf billige Wohnung halten muß. Hier wohnt der kleine Handwerker, welcher seine Werkstatt wo möglich in der Familienstube haben kann, und der Bauhandwerker, welcher früh auf die Arbeit geht, dem die Frau oder ein größeres Kind das Mittagsessen im Henkeltopf zur Werkstelle trägt, und der erst wieder am Abend des Anblicks der Seinigen froh wird. Hier wohnen Hunderte, denen Stube, Kammer und Küche das gesammte Hab und Gut birgt, Handarbeiter, Eisenbahnbedienstete, Lehrer, Zöglinge der verschiedenen höheren Schulen, Subalternbeamte, Briefträger etc. Wer von diesen Allen kann an die Versicherung seines Mobiliars etc. denken? Und doch verlieren sie Alles, wenn sie Das verlieren, was ihr Stübchen birgt. Und dieses Schreckensbild thut sich nun vor uns auf.

In der zweiten Hälfte der nördlichen Seite der Schlundgasse, nach der langen Gasse hin, brach am Sonnabend, den 5. September, spät Nachmittags zwischen vier und fünf Uhr in einem Bäckerhause das Feuer aus – und ergriff sofort eine danebenstehende und von unten bis oben gefüllte Scheune. Diese furchtbare Brandstoffmasse entfaltete im Nu eine Flamme, welche die Hintergebäude des Rathhauses und des Landschaftshauses ansteckte und so mit einem Schlag die Lohe bis zum Markte trug. Die tüchtige Meininger Feuerwehr stand anfangs allein im Kampf gegen das Feuer, das schon bis zur Metzengasse Herr war, ehe die nächste Nachbarhülfe herbeikam.

Noch hielt man sich jenseits des Marktes und im ganzen Nordosten der Alstadt für sicher, und Alles half, wo es konnte. Vor Allem wurden die werthvollen Sachen, Archiv- und Actenstücke aus Rath- und Landschaftshaus nach der andern Seite des Marktes in die Häuser zwischen der Salzmanns- und Caplaneigasse geborgen und auch anderes geflüchtete Gut dort und auf dem Markt niedergelegt. Aber während der Telegraph nach allen Seiten hinaus Hülfe rief und Extrazüge der Eisenbahnen die Feuerwehren der Werrastädte von Coburg bis Eisenach in stürmischer Hast herbeitrugen, hatte das Flugfeuer schon drei Straßen übersprungen und hinter einem Eckhause der engen Metzengasse seine ausgiebigste Nahrung gefunden: die ebenfalls vollgefüllten Scheunen und Stallungen der Hofmetzgerei.

Bis zu diesem Augenblicke wäre es für die Bewohner des nordöstlichen Stadttheils noch möglich gewesen, ihre fahrende Habe zu retten. Aber noch immer hielt man sich dort für sicher, bis das neue Flugfeuer seinen vernichtenden Lauf begann. Viele dort wohnende Beamte halfen eifrigst und völlig unbesorgt um das Ihre in ihren Bureaux mit bergen, während ihre Wohnungen schon in hellen Flammen standen; ja, es kam vor, daß die Leute zum Fenster heraus nach dem Stand des Feuers fragten, indeß ihnen das Dach über den Köpfen zu brennen anfing. Denn als nun jene Scheunen aufloderten, hatte die Gluth längst den Südwestwind, der das Verderben weiter tragen sollte, zum Sturm verwandelt, der Feuerregen fegte über die Dächer dahin, und wo er ein offenes Bodenloch fand, da fand er auch neue Nahrung, sodaß das Feuer bald allwärts wie vom Himmel zu fallen schien. Da machte die Sorglosigkeit plötzlich der gräßlichsten Verwirrung Platz, und es begann die allgemeine Flucht mit dem Einzigen, was noch zu retten war: mit dem nackten Leben.

Jede Vorausberechnung verhöhnend, sprang das Feuer nicht nur aus der Metzengasse zur linken und von da sofort zur rechten Seite der untern Marktstraße, sondern über den breiten Markt hinüber zu den so sicher geglaubten Häusern der östlichen Marktseite, und nicht nur alles auf den Markt gerettete Gut, sondern all die aus dem Rath- und Landschaftshause geborgenen, zum Theil unersetzlichen Schätze an Urkunden und anderen landes- und stadtgeschichtlichen Kunst- und Werthsachen gingen vollständig zu Grunde. Und als nun auch die nördliche Häuserreihe der Salzmannsgasse aufleuchtete, stand der Verheerungsweg in den Nordost-Stadttheil offen und war dessen Schicksal besiegelt.

Von da an konnte es für die herbeigeeilten Feuerwehren der Werrabahn-Städte von Coburg bis Eisenach nur noch gelten, das wüthende Element auf den Herd zu beschränken, den es sich erobert hatte, ein Kampf, den sie mit echtem Heldentrotze bestanden. Und welchem Feinde waren sie gegenüber gestellt! So intensiv war die Hitze des sturmdurchwühlten Flammenmeers, daß dreistöckige Häuser zu reinen Aschenhaufen zusammengefressen wurden, aus deren Mitte die Schornsteine als schauerliche Denksäulen emporragten.

Das sind die Schlachten, die das Verhängniß der Bürgerwohlfahrt liefert: alle Schrecken des Kriegs mitten im Frieden. Schwerlich haben die „Zweiunddreißiger“, das Regiment des Landes, auf allen Zügen der „zweiundzwanzigsten Division“, von Wörth bis Sedan und von Orléans bis Le Mans, eine wildere Verwüstung vor Augen gehabt, als ihre Garnisonstadt sie ihnen zeigt – jetzt nach ihrer Heimkehr von den Manövern.

Ja, es ist ein Stück Krieg des Schicksals, und so wird die Kriegsentschädigung aus den treuen Händen des in Kampf und Sieg geeinten deutschen Volkes auch hier nicht fehlen. Und wer jenseits der Meere mit uns sich des neuen deutschen Reiches freut, wird das deutschgebliebene Herz auch für diese Kriegsgeschädigten sprechen lassen. Wohl hat die schamlose Feder eines deutschen Correspondenten in amerikanischen Zeitungen die Deutschen als „fechtende Handwerksbursche“ beschimpft, „die überall nur bettelten und nie selber gäben“; diese Lüge ist zu offenbar, um Männer zu täuschen. Diese werden stets Den verachten, der seine eigene Nation schmäht, und eine Nation achten, die sich so, wie die deutsche, die Achtung der Welt errungen hat.

Friedrich Hofmann.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: August Henneberg