Ein Lieblingsvogel des Volkes
So sehe ich dich gern, du Liebling des Volkes, du Freund der naturfrohen Jugend, du treuer Gast der Städte und Dörfer, die dir das Bürgerrecht bieten in Würdigung deiner Verdienste um die ackerbautreibende Menschheit: so vom Wonnegefühle der Frühlingsempfindung erregt, schlagend mit den Flügeln und balzend mit schwellender Brust und Kehle im knospenreichen Haselnußgesträuch; so versunken in die sich verjüngende Welt, bist du mir willkommen, schmucker Vogel, heiterlauniger Staar.
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[300] Wie schillert in Grün und Purpur dein Gefieder, und wie hell stechen die weißlichen Fleckchen von der dunklen Grundfarbe ab! Wie hat sich dein Schnabel schön röthlich-gelb herausgefärbt angesichts der Hochzeitsfeier, die du mit Aufsehen begehst und mit Tönen verherrlichst, die, wenn auch oft rauh und heiser, so doch mit Inbrunst die Gedanken verkörpern: wie ist die Welt so schön! und: die Geliebte ist mein, ist mein.
Nun ist alles Winterleid vergessen. Dein sanguinisches Naturell hilft dir rasch über die Unannehmlichkeiten des Lebens hinweg. Die schlechten Zeiten sind ja überstanden. Dein Weibchen ist dir treu ergeben, und wenn Flügelschlag und Balzen noch nicht hinreichend scheinen, um ihre Aufmerksamkeit und Gunst zu erwecken, dann erhebst du dich, liebeseliges Männchen, und schwebst im Sonnenschein langsam mit ausgebreiteten Schwingen durch die Luft. – –
Hören wir dem singenden Staare mit Aufmerksamkeit und geübtem Ohre zu, so finden wir, daß er mit weit mehr Talent zur Zusammenstellung von Melodien und Rufen anderer Vögel begabt ist, als mit der zur Darstellung nothwendigen Ausbildung des Stimmorgans. Zuweilen gelingt es zwar der ringenden Kehle, die Melodie der Amsel oder des Pirols laut und klar wiederzugeben, aber im Uebrigen beschränkt sich sein Vortrag auf den bekannten den meisten Staaren eigenthümlichen Schäferpfiff, auf knappende, balzende, heisere, scheinbar mühsam herausgepreßte Strophen und Andeutungen charakteristischer Weisen der ihn umgebenden oder auf seinen Streifzügen zufällig gehörten Vögel. Seine Stimme hat etwas von einem Bauchredner, und das Ohr täuscht sich daher oft in der Annahme der Richtung, von der die Klänge kommen, wenn der Urheber derselben nicht sichtbar ist. Neben den melodiöseren Tönen des Waldes und Feldes klingen uns, wenn wir den Staar belauschen, auch die dumpfen der sumpfigen Gründe, der Moore und Teiche an’s Ohr. Da einigen sich in der Kehle des kleinen Künstlers die erbitterten Gegner, Freund und Feind, Raubvogel und harmloser Sänger, der Weih mit dem langgezogenen Pfiffe und der Frosch mit seinem Quaken, der Sperber mit dem Gewimmer der Befriedigung beim Forttragen des eben geschlagenen Opfers und der Sperling mit dem behaglichen Locktone, der die Gefährten zur Mahlzeit in den Bauerngehöften einladet. Man hört dem Frühlingsconcerte des Virtuosen an, daß er seine Wanderungen und Bekanntschaften mit Nutzen gemacht, daß er sich dem Einflusse anderer befiederter Völkerschaften nicht verschlossen, sondern neben der heimathlichen auch fremde Sprachen und Dialekte sich angeeignet hat. Und solches Streben nach Vielseitigkeit ist löblich, noch anerkennenswerther aber der Fleiß und die Ausdauer, mit welcher er die Schwierigkeiten zu besiegen sucht, welche ihm seine schwache Stimme und die geringe Geschmeidigkeit seiner Stimmritze bereiten. Arbeitet denn nicht der ganze Vogel, wenn er singt? Drückt nicht selbst der eingekniffene Schwanz den Ton nach oben? Wahrlich, dieser Sänger würde bei der Gabe eines ausgebildeteren Stimmorgans mehr als alle anderen Virtuosen ersten Ranges leisten, denn sein Gedächtniß ist wie Vogelleim, an dem Alles hängen bleibt; dann würde sich auch sein Kunstgeschmack vielleicht mehr in den Formen der echten Classicität bewegen, als in dem barocken Stile der Widerspruchseffecte.
Als echter Höhlenbrüter verschmäht es der Staar, ein solides, kunstvolles Nest zu bauen. Hätte ihn die Natur angewiesen, im Freien vor den Augen der Welt seine Hütte zu errichten, dann würde die Zerstörung drohende Macht der Elemente erfordern, daß er eine dauerhafte Arbeit unternehme. So aber darf das Material in der dunklen Höhle lüderlich durcheinander liegen. Unser Staar greift zum Theil ohne besondere Auswahl zufällig dargebotene Stoffe auf, und bei dieser Gelegenheit schont er ebenso wenig die Kunstwerke seiner befiederten Nachbarn, wie der rohe Krieger die edelsten Baudenkmäler. Baumeister Fink muß es nicht selten mit tiefer Betrübniß und Entrüstung sehen, wie von dem Vandalen Staar sein mustergültiges Kunstgebilde zerstört und in Fetzen in die Höhle getragen wird. Das beraubte und beleidigte Finkenweibchen protestirt vergeblich mit erregtem Geberdenspiele und lautem „Fink“; der freundnachbarliche Sperling zankt umsonst, seiner eigenen Frevelthaten gegen Frau Schwalbe nicht gedenkend; der kleine Zaunkönig richtet auch nichts aus, wenn er mit über die senkrechte Stellung hinaus erhobenem Schwänzchen und mißbilligendem „Zerr“ in die Nähe des Schauplatzes des Gewaltstreichs heranrückt, und die Bücklinge des neugierig zuschauenden Hausrothschwanzes dürften, wenn der Dieb sie überhaupt zu deuten vermöchte, von ihm eher als Zeichen der Aufmunterung und Schadenfreude, denn als Kundgebungen der Mißbilligung betrachtet werden. Sicherlich ahnt dieser Rothschwanz nicht, daß später ein viel tieferer und schmerzlicherer Eingriff in sein Familienheiligthum von Seiten des Staars vielleicht zu erwarten steht. Und solche Eingriffe kommen in der That vor; denn ich habe gesehen, daß junge Stärlinge von den Alten mit nackten jungen Rothschwänzchen gefüttert worden sind.
Eigentlich sollte ich nicht so viel Nachtheiliges von dem allbeliebten Vogel ausplaudern, damit er nicht in der Achtung und Werthschätzung der Leser verliere, aber ich will alles Schlimme seiner Thaten in einem Athemzuge berichten, um mich nachher der Schilderung seiner Vorzüge desto freier und ungestörter hingeben zu können.
Nehmen wir, um das Sündenregister des Staars voll zu machen, zuerst die Besitzer der Kirschbaumwäldchen oder die Pächter der Kirschbaumalleen in Verhör! Sie zeugen laut gegen den angeklagten Plünderer, der in Gesellschaft seiner Kinder, seiner Ehehälfte, seiner Vettern, Basen und sonstigen Seitenverwandten gierig die Früchte anfällt und weit mehr derselben nur anbeißt und zu Boden wirft, als gänzlich verzehrt, gegen welchen Unfug aber alle Mittel zwecklos sind, denn Klappern, rothe Lappen und Popanze aller Art werden von dem frechen Diebe gar bald als ungefährliche Mittel zu seiner Einschüchterung erkannt. Als weitere Zeugen treten die Weinbauern auf, welche sich seiner nicht erwehren können, wenn die Trauben zur Reife gelangt sind, es sei denn, daß sie zu dem energischen Mittel des Schießens schritten und blutige Exempel statuirten. Endlich tritt der Kunstgärtner als Zeuge auf; er sagt dem Staar nach, er reiße die edelsten Blumenstöcke und jungen Pflanzen aus dem Boden.
Was wollen nun aber diese Belastungszeugen gegen die Menge der Entlastungszeugen ausrichten? Tausende von Obstbaumzüchtern können die Wirksamkeit des Staars als Feind der schädlichen Raupen und Käfer, namentlich der Maikäfer, nicht genug rühmen. Tausende von Wiesenbesitzern sehen den emsigen Vertilger der Nacktschnecken und Würmer auf der kaum geschorenen Wiese mit erstaunlichem Erfolge seine Thätigkeit entwickeln. Tausende von Ackerbauern kennen ihn als steten treuen Begleiter hinter dem Pfluge, wo er mit Raben-, Saat- und Dohlenkrähen im Auflesen der bloßgelegten Engerlinge und sonstigen Insectenlarven, der Schnecken und Würmer wetteifert. Tausende von Weinbauern haben ihn wenn auch als Traubendieb, so doch auch als den besten Vertilger der Weinbergsschnecke erkannt und beobachtet. Und wenn er eine Pflanze mit dem Schnabel mißhandelt, so geschieht das wahrlich nicht aus Muthwillen, noch viel weniger aus etwa vermutheter Neigung zu derartiger Nahrung; vielmehr ist das Ziel seiner Bestrebung ein Wurm oder eine Schnecke oder eine Insectenlarve an der Wurzel der Pflanze. Nun ja, es kommt zur Zeit der Jungenpflege im Neste auch hier und da vor, daß er anstatt eines frischen, zarten Baumblattes ein Pflänzchen aus der Rabatte in seine Höhle zur kühlenden Unterlage der Jungen trägt, die er möglichst reinlich zu halten liebt.
Ja, mit Recht, nutzenspendender Staar, baut man dir Brutstätten auf Bergen und im Thale, am Hause, im Hofe und Garten; mit gutem Grunde ruft man dir zu: sei fruchtbar und mehre dich! Denn wie man am Verbrauche der Seife den Culturgrad eines Volkes bemessen kann, so darf man getrost nach der Bevölkerungszahl der Staare einer Gegend, wie überhaupt nach der Hege und Schonung unserer nützlichen Thiere, das Gedeihen und die Erträgnisse der Acker-, Wiesen- und Gartencultur, abgesehen von sonstigen in Rechnung zu ziehenden Einflüssen, bemessen. Vom frühen Morgen, wenn im Thaue der Wurm und die Schnecke sich lüstern nach der Pflanze dehnen, bis zum Strahle der untergehenden Sonne bist du den aufstrebenden Garten- und Felderzeugnissen dienstbar. Die Ruhepausen sind der Toilette und dem Gesange gewidmet, doch beide treten zurück, wo die Pflichten des Familienlebens unausgesetzte Arbeit und den Ernst der Versorgung erfordern.
Während ich dich im Frühlingsrausche beobachte und deinen Wandel vom jungen Grün bis zum falben Herbstlaube [301] an mir vorübergehen lasse, gedenke ich eines deiner Brüder, dessen Leib nun wohl längst in Staub- und Dunstatome zersetzt ist. O, das war ein Erzstaarenmännchen, ein Goethe unter den Dichtern, ein Mozart unter den Componisten, ein Bismarck unter den Diplomaten. Beleckt von der Hochcultur, hatte er sich doch die liebenswürdigen Eigenschaften des Naturkindes erhalten, die bei ihm oft recht rührend und entzückend zum Durchbruche und zur Geltung kamen. Früh von einem Mainzer Schuster aus dem Neste genommen und als Waise mit der besten Gefangenenkost gefüttert, wuchs der zartfläumige Staarenknabe zum dichtbefiederten Jünglinge heran. Sein Herr, der Schuster, wurde sein Lehrmeister. In ununterbrochener Reihenfolge sprach ihm der mit chronischem Stockschnupfen behaftete Meister Pfriem folgende Worte vor: „Halt! Wer da? Jakob, hol’ die Wacht! Du Spitzbub’! Marie, koch’ den Kaffee! Gretchen, mach’ die Thür zu! Babettchen, steh’ auf! – Ja! Lottchen, küß’ mich! (nun folgte ein täuschendes Schmatzen) Röschen, Julchen! Schön Staarchen!“
Der Lehrling ahmte getreu Betonung und Charakteristik des Vortrages nach und lernte in wenigen Monaten einzelne Theile, bis zum kommenden Frühjahr sogar sämmtliche Sätze musterhaft sprechen. Der kostbare Vogel kam durch Zufall in meinen Besitz, und ich hatte die Freude, in ein wahres Freundschaftsverhältniß zu ihm zu treten. Täglich öffneten wir ihm die Thür des Käfigs und ließen ihn ein Bad in einem Schüsselchen mit frischem Wasser nehmen. Hinderten wir ihn an dem Hineinsteigen mittelst der Hand, so hackte er leidenschaftlich darauf los und warf höchst possirlich die erlernten Worte durcheinander. Selbst Abends bei Licht, wenn wir ihn aus dem Schlafe weckten, konnten wir ihn zu einzelnen Worten bewegen. Die klangen allerdings gar schläfrigmüde, und unter dem Flügel, wenn er den Kopf bereits geborgen, tönte manchmal noch leise einer der Mädchennamen oder „schön Staarchen“ wie im Traume nach. Hätte nicht jedes Mal nach dem Vortrage der Worte der scharfe, ohrzerreißende Schäferpfiff den wohlthuenden Eindruck beeinträchtigt, wir würden den unterhaltenden Schwätzer gewiß nicht in die einsame Stube verbannt haben, wo er eines Tages bei offenem Fenster in das Freie entkam.
So lange man das Schätzenswerthe besitzt, würdigt man es zu wenig – das sollte sich nun bewahrheiten. Wir empfanden den Verlust tief und boten Alles auf, den Entflohenen wieder ausfindig zu machen. Doch vergeblich musterten wir die wilden Brüder auf den Dächern und Bäumen; vergeblich lauschten wir, ob nicht ein Wort des liebenswürdigen Plauderers aus der Höhe zu uns niedertöne. Der ganze Ort war auf den Beinen und forschte spähend und horchend, denn der Vogel war populär geworden, und die Leute aus der Umgegend hatten, von dem Wundervogel in Kenntniß gesetzt, Ueberlandmärsche unternommen, um sich selbst zu überzeugen, daß er sprechen könne. Da regte sich denn auch in dem einen oder anderen Bauer die Phantasie, und es lief der Bericht ein, der entflohene Staar habe mitten unter seinen uncultivirten Brüdern und Schwestern wie ein belehrender Missionär gesessen, und die erstaunten Naturkinder hätten vor Verwunderung die Schnäbel aufgesperrt und wie versteinert zugehört. Aber ihr wilder Pfiff sei ihnen doch lieber gewesen, und stets, wenn der „Missionär“ den Schäferpfiff oder sonst einen Naturlaut habe hören lassen, seien sie hocherfreut gewesen und hätten lustig in den erquicklichen Ton eingestimmt. Schließlich seien sie seiner herzlich müde geworden und hätten ihn als zudringlichen Störer ihrer gewohnten Ordnung weggebissen und von dannen gejagt.
Beruht der Bericht auf Wahrheit, so geht daraus eine treffliche Lehre hervor: „Eines schickt sich nicht für Alle“ und insbesondere für unseren Staar im Haselnußstrauche die Anregung zu einer Hymne auf die unersetzlichen Güter der Natur und der Freiheit.