Ein deutscher Freihandelsapostel

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Autor: H. Beta
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Titel: Ein deutscher Freihandelsapostel
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aus: Die Gartenlaube, Heft 17, S. 266–270
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
siehe dazu „Ein deutscher Freihandels-Apostel“ Heft 28, 1878
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Ein deutscher Freihandelsapostel.

Bei Hippel in der Mittelstraße gleich hinter den „Linden“ kneipte in den vierziger Jahren die „absolute Kritik“ und „absolute Freiheit“ der Berliner Literaten in noch ungeschiedener, mostiger Gährung um Bruno Bauer und Max Stirner herum. Ersterer, Märtyrer der Hegel’schen Philosophie und der absoluten Kritik, ein kleiner, gedrungener, knorriger und grober Mann mit einer fabelhaft imposanten Stirn, war der Mittelpunkt, der Tonangeber, die entscheidende Majestät unbarmherzigster, das Kind im Mutterleibe nicht schonender Kriegführung gegen Alles und Jedes, was irgendwie Miene machte, als Berechtigtes oder nur Bestehendes gelten zu wollen. Er hatte für Alles nur eine Kategorie, ein Wort, das man sonst nie aus einem gewaschenen Munde vernimmt und das noch weniger gedruckt oder geschrieben wird. Alles war ihm schon längst verdaut, verbraucht, Excrement. Ich weiß noch, wie ich damals die zum Theil jungen, verständigen und geistreichen Damen, die mit kneipten, als Heldinnen anstaunte, daß sie das Alles ruhig aushielten. Aber sie brachten diese Opfer als Heroinen der Emancipation des weiblichen Geschlechts, die, wie alle mögliche Geistesrichtungen der Zeit, mit vertreten war.

Mir gefiel die ungeschlachte Tyrannei dieses kritischen Absolutisten (der jetzt den feudalen Absolutismus alphabetisch ordnet und als Kreuzzeitungs-Lexikon redigirt) so wenig, daß ich nur selten [267] Abende bei Hippel zubrachte, nachdem ich die Haupthelden kennen gelernt. Von diesen erwähne ich nur noch Max Stirner, Verfasser und Erfinder der Haifischphilosophie: „Der Einzige und sein Eigenthum“, der sein erheiratetes Eigenthum verspielte und verpraßte und endlich selbst verhungerte, dabei aber immer der gutmüthigste und nobelste Mensch gewesen war.

Unter diesen chaotischen Massen von Staats- und Zukunftsgläubigern, die damals bei Hippel für Geld und auf Credit kneipten, zeichnete sich für mich bald ein junger, braver, körperlich und geistig ungemein elastischer Unbekannter durch An- und Uebermuth und unverwüstliche Schlagfertigkeit gegen jeden kritischen und persönlichen Angriff aus, wobei er nie ausfallend, nie persönlich, geschweige grob ward. Er war auch absolute Kritik, aber nur im Dienste wirklicher, praktischer Freiheit, die mir damals als „Handelsfreiheit“ zum ersten Male als neue, reizende, gewaltige Gottheit erschien und mich so packte, daß ich ihr sofort leidenschaftlich zu dienen begann. Ich haschte und packte die hingeschleuderten Blitze des elastischen, südlich-braunen Unbekannten, den sie immer Faucher nannten, mit mehr Eifer als Geschick und machte mir Lanzen daraus, die ich mit aller meiner Kraft in einem Localblatte gegen die Mahl- und Schlachtsteuer, gegen die Stadtmauer (die nun schon seit mehren Jahren wirklich wackelt) und gegen die Schutzzöllner im Allgemeinen so lustig brach, daß die Splitter und Spähne nur so herumflogen. Faucher selbst fing damals schon an, schwereres Geschütz gegen allerlei staatliche Verkrüppelungen der Industrie und des Handels, namentlich gegen das Staatsbanksystem und gegen den verbissenen Schutzzöllner Gustav Julius loszuprotzen, besonders in der Bruno Bauer’schen Literaturzeitung und den Börsen-Nachrichten der Ostsee.

So kamen Freihandels-Ideen in die Welt in Formen und wissenschaftlicher Schärfe, wie nie zuvor, und die, welche sie vertraten und für sie kämpften, fanden sich plötzlich einander und bildeten einen „Freihandels-Verein“, in dessen Versammlungen wir viel freier, viel glücklicher und viel solider waren auf unserm festen Boden, als die kritischen Absolutisten bei Hippel. Unser Verein war eine bestimmte, positive Gestalt aus dem Chaos heraus. Wir strichen unsere politischen Forderungen an den Staat und boten ihm im Gegentheil ein reiches, gebildetes, zufriedenes, steuerkräftiges Volk, wenn er nur so gut sein wollte, nicht mehr Leute zu cujoniren und sie ungeschoren arbeiten, verdienen, kaufen und verkaufen zu lassen. Wir baten blos für alle fleißigen Hände um Erlaubniß, ungebunden arbeiten und auch dem Staate viel Geld verdienen zu dürfen, und schenkten ihm dafür gleich im Voraus alle unsere landrechtlichen Ansprüche auf Constitution und Kammern, auf alle die elende, erlogene Freiheit, die nach Hansemann blos viel Geld kostet.

Dadurch unterschieden wir uns wesentlich von allen andern liberalen Bestrebungen und Parteien und waren geradezu überzeugt, daß Alles, was sie verlangten, nicht besser erreicht werden könnte, als auf unserm Wege. Wir wollen und können keine Partei sein. Adam Riese, Arithmetik und Naturgesetze sind weder königlich noch republikanisch. Ich weiß nicht mehr, wie dieser unser Freihandelsverein entstand. Jedenfalls war Faucher der genialste und anregendste Hauptfactor darin. Roback, Director der Handelslehranstalt, personificirte die liebenswürdigste, anekdotenreiche Jovialität und den Humor schutzzöllnerischer Verirrungen, J. Prince Smith, jetzt mit Faucher Mitglied der zweiten Kammer, in Vorträgen und in geharnischten, kurzen, schlagenden Broschüren, die ihm von England her angeborne Thatsachen- und Zahlen-Dialektik gegen die staatlichen Zwangsanstalten, der dicke Stein kladderadatschigen Hohn gegen die Handels- und Industrie-Künstler, die zu einander sagten: „Schlägst Du Deinen Juden, schlag’ ich meinen Juden“ (und das ist das wahre Princip aller Zollmaßregeln zwischen verschiedenen Staaten), Dr. Wiß, jetzt amerikanischer Consul in Amsterdam, die Kritik staatlichen Zwanges, und David, ein Berliner Kaufmann, die Nachtheile und Verwüstungen des Schutzzolls in ganz speciellen Gebieten des Handels. Ich selbst wurde auch nicht für überflüssig gehalten, da ich scharf aufpaßte, um die schlagendsten Thatsachen und Pointen immer gleich als kleine Münzen in Notizen und Correspondenzen unter’s Volk zu schleudern. Doch wir schreiben hier keine Schilderung der Freihandelspersönlichkeiten, sondern nur eine Skizze zu dem Portrait des genialsten und schlagfertigsten Apostels der Gewerbe- und Handelsfreiheit. Sein Leben bis zu der Zeit unseres Freihandels-Vereins ist in wenigen Zügen abzumachen.

Dr. Julius Faucher, Mitglied des preußischen Landtags, ist von Geburt ein Berliner und Franzose. Das erklärt viel in seiner vielfach unerklärlichen Individualität. Er wurde 1820 (den Tag hat er mir nicht genannt, sich wohl auch wenig darum bekümmert) – an der Berlinischsten Ecke geboren, unter den Linden und der Friedrichsstraßen-Ecke der Kranzler’schen Officier-Conditorei gradeüber. Das Haus gehörte, glaub’ ich, seinem Vater, der damals ein bedeutendes Ladengeschäft in Officier-Artikeln u. s. w. darin betrieb. Er gehörte zur französischen Colonie, deren Mitglieder Nachkommen der aus Frankreich vertriebenen Emigranten sind, welche inter Friedrich Wilhelm II. eine bereitwillige Aufnahme in Berlin fanden und eine Menge Cultur, Bildung und Industrie einbürgerten. Die Fauchers waren aus der Provence gekommen und sind noch jetzt in zwei Zweigen, in Berlin und Kassel, vertreten. Leon Faucher und die beiden napoleonischen Generale desselben Namens stammen aus derselben Familie.

Julius Faucher ist als echter Berliner zugleich noch ein echter Franzose und zwar ein Provençale. Seine Züge, sein Profil, seine Farbe, sein ganzes flinkes, elastisches, impulsives Wesen sind südlich romanischer Art und erinnern mit keinem Atom an deutsche Tugenden und Untugenden. Diese süd-romanische Flinkheit des Geistes und Körpers, unter scharfen Berliner Gamins an der scharfen Ecke aufgewachsen und täglich noch gewetzt und gewitzigt auf dem französischen Gymnasium und durch mathematische Studien auf der Universität, durch weite, übermüthige Ausflüge und Fußreisen, durch zweischneidigen Berliner Witz und die Alles in Grund bohrende absolute Kritik, durch allerhand Häkeleien und Hänseleien junger, übermüthiger Freunde, deren Witz und Spott er durch sein stets schlagfertiges, geniales Wesen auf die Mensur herausforderte und immer mit bewundernswürdiger Schonung und Kaltblütigkeit zu ertragen oder auf die Gegner so zurückzuschleudern wußte, daß es ihnen nicht weh that, – dies Alles und noch mehr, als ich weiß, gehört dazu, um uns diesen merkwürdigen Faucher als Person und Charakter einigermaßen zu erklären.

Damit haben wir aber freilich noch nicht den scharfen, kenntnißübermüthigen, volkswirthschaftlichen Jourualisten und cäsarischen Agitator, der, wo er sich auch hinstellt und den Mund aufmacht, Alles fesselt und mit sich fortreißt, sie mögen wollen oder nicht. Es ist wahr, daß er, von 1843 an in die Bewegung der Geister gerissen und nicht mit deutscher Gemüthlichkeit und Michelei am Boden kleben bleibend, besonders die praktischen Beziehungen verschiedener Völker zu einander mit scharfem Blick in’s Auge faßte, namentlich die Parteikämpfe in England, und dadurch zum Selbststudium der volkswirthschaftlichen Literatur Englands und Frankreichs geführt ward.

Das war just sein Feld und Fach. Das erfüllte und entzündete seine eigenste Natur und seine Specialität. Dazu kam der für die ganze deutsche Freihandelsbewegung günstige Umstand, daß der gediegenste und zugleich populärste volkswirthschaftliche Schriftsteller und Enthusiast, der geborne Engländer John Prince Smith, von Elbing nach Berlin übersiedelte, sich mit Faucher sofort befreundete und um ihn herum der Berliner Freihandelsverein zum freudigsten Leben und tüchtiger Wirksamkeit zusammenschoß. Wenn ich genau sagen sollte, wer ihn eigentlich gestiftet, würde ich mir damit helfen, die Stiftung ganz abzuleugnen. Wir kamen eben zusammen und disputirten und lachten über die ungeheuere Pfiffigkeit der Staatslenker und Handelsminister, die sich immer so fleißig über militärisch-zöllnerische Grenzen hinweg bedrohten und wirklich oft ihre eigenen Juden schlugen, wenn England oder Frankreich seine Juden schlug, d. h. die ihrem eigenen Volke künstlichen Mangel, künstliche Theurung verordneten, wenn die Zöllner und Sünder anderer Staaten ihren Unterthanen die Werte und Waaren anderer Völker vertheuerten. Man nannte das Repressalien, Gegenseitigkeit. Von der Heydt nennt’s am Ende noch so.

Also wir kamen eben zusammen und immer wieder zusammen und wurden ihrer immer mehr, und Noback erzählte in der trockensten, jovialsten Art seine volkswirthschaftlichen Anekdoten, und der dicke Stein machte volkswirthschaftliche Couplets und Kernsprüche dazu, und David sang Psalmen über Callico und Cotton, und John Prince Smith stand zuweilen auf und ereiferte sich und zerlegte mit dialektischer Schärfe irgend einen neuen Schutzzöllner-Unsinn des Tages, und Faucher schoß dazwischen hin und her, theils persönlich, theils mit Bemerkungen, die uns Alle überraschten, und war oft ebenso unerklärlich rasch verschwunden, wie er gekommen. [268] Lauter Witz, Leben, Scharfsinn, substantiellste, mir ganz neue, bezaubernde Wissenschaft, welche ganze Welten von Vorurtheilen und Staatsdoctrinen zertrümmerte und ein Völkerleben des Friedens, der Freiheit, des Wohlstandes und der Bildung eröffnete, wie es keine politische Partei je zu hoffen und zu versprechen gewagt. Und aus diesem Vereine gingen die Zeitungsartikel und Broschüren hervor, welche wirklich und wahrhaftig den Grund zu der volkswirthschaftlichen Massenbildung legten, die jetzt anfängt, Staaten zu regieren und alle schöpferischen Kräfte der Völker für einander zu erlösen.

Es waren die glücklichsten Abende meines Lebens. Die ganze Welt wurde mir neu geschaffen und jedes Ding darin in einem neuen, schöneren, kosmopolitischen Lichte gezeigt. Ich erwähne das, weil ich weiß, daß es den Meisten, die sich um Volkswirthschaft nicht sonderlich gekümmert haben und Faucher zum ersten Male reden hören, wie dies neuerdings Tausenden passirt sein muß, ganz ebenso geht. Es sagen zwar hinterher Manche, es war Schwindel, Sophistik mit viel Phantasie und kecker Behauptung, aber sie werden’s nicht wieder los und bemühen sich hernach vergebens, in den gemüthlichen Zustand ihrer Froschperspective zurück zu sinken.

Faucher und der dicke Stein schrieben damals besonders für den „Altvater“ der Handelsfreiheit, die Börsen-Nachrichten der Ostsee. Aber das war Alles nichts gegen das lebendige Wort. Faucher ist seitdem immer Journalist gewesen. Aber Faucher ist weniger Schriftsteller. Faucher muß reden. Dann ist er immer ein Gott, der um und um beschwingte Gott Mercur, dem Minerva und die Musen willig dienen und vor welchem sogar der ungeschlachte Schlachtengott Mars die Honneurs macht und hinter dem abgenommenen Helme flucht, daß er nichts Gescheidtes gelernt habe, um sich davon, wie andere anständige Leute, selbst nähren zu können.

Wir wollen die schriftstellerischen Verdienste Faucher’s durchaus nicht über die Achsel ansehen, sondern meinen nur, daß sie gegen sein lebendiges Wort zurücktreten. Als Redacteur der Stettiner Börsen-Nachrichten von 1846 an wurde er mit seiner Feder allerdings bedeutend genug: er fegte damit ganz Norddeutschland rein von den Ueberresten schutzzöllnerischer Feiglinge und Bettler, die nicht „bestehen“ zu können vorgeben, wenn der Staat keine Armeen an den Grenzen zum Schutze gegen bessere und billigere Waare des Auslandes aufstellt und alle Inländer zwingt, die schlechtere Waare allein zu kaufen und mit jeder Elle Kattun, jedem Viertelpfund Zucker etc. ein Almosen an die Fabrikanten zu zahlen.

Aber er fegte mit der Feder nur in bereits volkswirthschaftlich gebildeten Köpfen. Er kann oder will nicht populär schreiben. Dagegen giebt es nichts Faßlicheres und Fesselnderes als sein lebendig Wort. Er fängt ganz ungenirt und ohne Phrase, ganz leicht und spielend mit irgend einem alltäglichen Dinge an, das Jedem vor der Nase liegt und bekannt ist. Mit einem Satze, einem Blitze zeigt er dann eine allgemein gültige, volkswirthschaftliche Wahrheit ganz handgreiflich, und Jeder wundert sich, daß er sie bisher nie sah. Nun sieht’s auf einmal Jeder, nun packt er’s und ist ganz glücklich darüber und horcht mit gespanntester Aufmerksamkeit, wie der Redner, wie der kecke, gedrungene, flinke Sprecher ohne alle Rednerei spielend, mit dünner, etwas heiserer, nicht einmal wohlklingender Stimme allen Rednerpomp Lügen straft und in ganz gemeinen, kleinen Alltäglichkeiten Gesetze und Wahrheiten nachweist, die sich unerbittlich über die ganze Erde hinweg geltend machen und Jeden bestrafen, der sie verletzt, und Jedem wohlthun, der sie frei walten läßt. In dieser eigensten Specialität macht’s ihm Keiner nach, obwohl wir die jahrelang fortgesetzte, auf einem bestimmten Gebiete verharrende, jetzt mit jedem Tage siegreichere praktische und volksrednerische Thätigkeit eines Schulze-Delitzsch viel höher stellen. Faucher wirke auch in Stettin durch das lebendige Wort im Freihandels-Verein und in Privatkreisen viel rascher und durchgreifender, als mit der Feder. Stettin ist eine bombenfeste Freihandelsstadt geworden.

Die politischen Kämpfe von 1848 scheinen ihn wenig oder nur unangenehm berührt zu haben: politisches Parteigezänk hatte keine Ohren für die staatswirthschaftlichen Bedingungen wahrer und wirklicher Freiheit für alle Menschen über politische Grenzen des „Zwangsstaates“ hinaus. Er ging in die Paulskirche, nicht um einen Kaiser machen zu helfen, sondern die „Tariffragen“ zu bewachen. Später finden wir ihn thätig, um einen Kongreß der Handelsstädte für Vertretung volkswirthschaftlicher Bildung zu Stande zu bringen. Er agitirte dafür in Hamburg und Bremen und vertrat auf dem Kongreß selbst Elbing.

Als der militärische „Zwangsstaat“ in Berlin und Frankfurt aller Volksvertretung und Volkswirthschaft mit Säbeln und Bajonneten ein Ende gemacht und den noch nicht beendeten Bürgerkrieg gegen Natur- und Menschenrechte als „Staatsrettung“ gegen die Interessen, von denen dieser Staat lebt, begonnen hatte, kam Faucher nach Berlin zurück und erklärte dem ganzen Principe des „Zwangsstaates“ den Krieg durch Gründung der „Berliner Abend-Post“. Auch die größten Feinde dieser radicalsten und zugleich friedlichsten aller Zeitungen, die je in der Welt erschienen sind, können, wenn sie sonst nur gebildete Menschen sind, ebenso stolz auf diese Erscheinung sein, wie auf deren philosophischen Vorgänger, die Halleschen und Deutschen Jahrbücher von A. Ruge. So etwas war eben nur auf Grund der abseitigsten und tiefsten wissenschaftlichen Bildung und Kritik möglich, und die Abend-Post nur in Berlin, wo die absolute Kritik dem absoluten Zwangsstaate in’s Gesicht ihre Feste und Siege gefeiert hatte und nun durch die Abend-Post alle Positionen in allen Stadien der alltäglichen Wirklichkeit zergliedert und zersetzt wurden.

Wir widerstehen der Versuchung, diesen kritisch-volkswirthschaftlichen Radicalismus hier erklären zu wollen. Nur so viel, daß er nichts weiter verlangte, als ehrliche, volle Freiheit in Angebot und Nachfrage, in Production und Verwerthung aller Bedürfnisse und Lebensbefriedigungsmittel, also z. B. in Bezug auf den Staat selbst und seine Zwangsmittel für Selbsterhaltung, daß nur der für den „Staat“ bezahle, der ihn brauche, und je nach Leistung und Gegenleistung, und nur der zum Militärbudget beitrage, der für geleistete Soldatendienste nach dem Marktpreise etwas schuldig geworden sei. Man müsse sich Staat, Soldaten etc. je nach Bedürfniß kaufen können, etwa von Compagnien, die uns ja auch je nach Bedürfniß mit Gas, Wasser, Kohlen etc. versorgen.

Dies sieht, so plötzlich in den Zwangsstaat hineingestellt, mehr komisch als gefährlich aus; aber es ist weder das Eine, noch das Andere, wie wir das Princip in einzelnen praktischen Richtungen ja bereits in England sehr ruhig, wohlthätig und großartig wirken sehen. –

Die Abend-Post wird als besonderes Organ des volkswirthschaftlichen Radicalismus und somit als eine vorher kaum geahnte, geschweige versuchte wissenschaftliche Schöpfung eine ewige Merkwürdigkeit bleiben, wenn auch nur als Curiosität der Presse, wiewohl ich für meinen Theil immer noch hoffe, daß er später einmal die Menschheit wirklich von aller „Zwangsstaaterei“ erlösen werde. Die Abend-Post erschien im „Bullenwinkel“, dicht am Hausvoigtei-Platz, wo die Redacteurs und Mitarbeiter Abends „kneipten“. Das waren glückliche, geniale Abende, obgleich bald Dieser, bald Jener vermißt und als ausgewiesen oder eingesteckt gemeldet ward. Dabei fürchteten wir uns weder vor Hinckeldey, noch Manteuffel und meinten, wir würden sie unbedingt überleben, wie’s denn auch wirklich gekommen ist. Verbot, Confiscation, Postdebits-Entziehung, Ausweisung, Preß-Processe, Gefängniß – darauf waren stets Alle gefaßt, und namentlich mich empfingen sie Abends oft mit Vorwürfen, daß ich noch nicht eingesteckt oder über die Grenze gebracht sei. Aber ich kam nur einige Monate später in England an, als die beiden Abend-Postillons Faucher und Meyen.

Sie waren wegen Postdebits-Entziehung und mehrerer eingeleiteten Preß-Processe 1850 hinübergegangen. Ich folgte ihnen im Mai 1851 auf einem Hamburger Schiffe, wo die damals österreichische Polizei in Hamburg mich und zwei ungarische Officiere vergebens gesucht hatte, da wir zwischen zwei Schafheerden auf dem Deck unter Stroh staken.

Der Erste, der mir in London von alten Berliner Leidens- und Freudensgenossen entgegenkam, war Faucher. „Kommen Sie morgen früh nur gleich in die Redaction und fangen Sie an!“ sagte er. „Vorläufig giebt’s nur 25 Schillinge wöchentlich, aber Sie können leicht mehr verdienen.“

Er saß schon mitten in der gewaltigsten Arbeit als Berichterstatter über das damalige Weltereigniß, den ersten kosmopolitischen Tempel der volkswirthschaftlichen Religion, die große Ausstellung. Dazu hatte er eine deutsche Ausgabe der „Illustrated London News“ begründet und alle möglichen literarischen Kräfte dafür engagirt. Unter diese führte er mich gleich den folgenden Morgen ein. Leider wurde sie durch das Ungeschick eines ganz unfähigen Redacteurs noch vor Beendigung der Ausstellung verdorben.

Wir kletterten an diesem ersten Tage in London auf den „Top“ eines Omnibus und fuhren nach seiner Privatwohnung. [269] Er hatte sich schon ganz hübsch häuslich eingerichtet. Die junge Frau saß auf einem echt englischen Bequemlichkeitsstuhl, die in Deutschland noch immer Seltenheiten sind, die zweijährige „Lucy“ saß spielend auf dem Teppich daneben und sah mich mit großen, verwunderten Augen an. Für mich hatte dies Bild deutscher Häuslichkeit nach langem Umherirren und begrabenem eigenen Haus- und Herzensfrieden etwas ungemein Rührendes. –


Julius Faucher.

Da wir weiter keine Gelegenheit haben, Faucher’s Familienleben in dieser Skizze zu berühren, bemerken wir hier nur, daß er sich in Berlin 1845 mit Fräulein Karoline Sommerbrod verheirathet und Lucy das einzige Kind am Leben geblieben ist. Später wohnte er in eigenen hübschen Villa’s zu London. Bis 1855 correspondirte er hauptsächlich für deutsche Zeitungen und importirte damit ein reiches Material von Aufschlüssen über alle mögliche englische Verhältnisse, die bisher uns räthselhaft erschienen. Während der Zeit hatte er tüchtig Englisch gelernt, besonders in den Discussions-Clubs, in denen er hernach selbst oft genug als hinreißender Redner in englischer Sprache von den beredtesten Engländern bewundert und mit Beifall überschüttet ward, wie ich es selbst oft genug als Augen- und Ohrenzeuge erlebt habe. Im Jahre 1855 wurde er durch Codden’s Einfluß Mitredacteur der von der Freihandels-Partei mit großartigen Mitteln ausgestatteten, täglich zweimal erscheinenden Zeitung: „Morning and Evening Star“ (Morgen- und Abendstern). Also der deutsche Journalist und Redacteur sitzt plötzlich mitten in der City von London im eigenen Zimmer, im eigenen, großen Palaste der Partei, welche die Kornzölle abgeschafft und England jetzt zum durchgebildeten Freihandelsstaate erhoben, als Mitredacteur ihrer Zeitung! Eine Wandelung und eine Situation, wie sie nicht so leicht zum zweiten Male vorkommen wird.

Es ist hier nicht der Ort, diese Wirksamkeit zu schildern. Aber nicht unterlassen kann ich, wenigstens zu erwähnen, was es immer für ein Fest für mich war, mit Faucher durch dieses unerschöpflich geheimnißvolle Ungeheuer London zu flaniren. Die unentwirrbarsten Labyrinthe, das unabsehbarste Gewinde und Getöse des betäubenden Welt- und Kleinverkehrs, Menschen, Trachten, Physiognomien, Gebäude, Straßen, Stadtteile – Alles verrieth ihm auf den ersten Blick Geheimnisse und Erklärungen dazu, wie sie Niemand vorher geahnt oder gesehen und wie sie hernach Jeder als schlagend richtig und ganz wesentlich findet. Das ist seine Specialität, sein Dämon. Sein Auge ist ein volkswirthschaftliches Genie, ein culturgeschichtlicher Hellseher.

Im Jahre 1860 besuchte er einen volkswirthschaftlichen Congreß in Deutschland. Angeregt durch dieses neue Leben gab er mit dem 1. Jauuar 1861 seine sehr anständig und fest honorirte Wirksamkeit in London auf und verbreitete sofort die volkswirthschaftliche Bewegung in Süddeutschland, wo er, von Ort zu Ort eingeladen, rasch hinter einander Köln, Fraukfurt, Offenbach, Hanau, Wiesbaden, Darmstadt, Dietz, Dillenburg, Herborn, Mainz, Kassel, Karlshaven, Fulda, Heidelberg, Worms, Karlsruhe, Heilbronn, Stuttgart, Göppingen, Reutlingen, Ludwigsburg, Ulm, Kirchheim, Nürnberg, Würzburg etc. besuchte und überall mit dem größten Erfolge volkswirthschaftliche Vorträge hielt und praktische Anregungen hinterließ.

Daß er auf den drei volkswirthschaftlichen Congressen zu Köln (wohin er von England eingeladen worden war), Stuttgart und [270] Weimar nicht fehlte und es nicht an sich fehlen ließ, versteht sich. Seinen norddeutschen Feldzug (Hamburg, Lübeck etc.) begann er im Mai 1862. Dann folgte im Herbste der schlesische durch Breslau, Kattowitz (diese neue Wunderstadt der Industrie), Neiße, Glogau, Liegnitz, Waldenburg, Freiburg etc.

Am Abend des 30. März trat er in der Centralhalle zu Leipzig, umgeben von den Fahnen sämmtlicher Zollvereinsstaaten und einem dichtgedrängten Publicum, als erster Redner zur Feier des vor dreißig Jahren vollzogenen Beitritts zum Zollverein auf; einige Tage später mit demselben glänzenden Erfolge in Chemnitz. Die sächsischen Zeitungen berichteten darüber wie über einen Cäsar, der „kam, sprach, siegte“. „Das ist eine bedeutende Persönlichkeit“ heißt es in einem Privatberichte aus Leipzig. „Ich habe selten einen glänzenderen, kenntnißreicheren Redner gehört, als diesen Mann. Nur noch zwei, drei solche Kräfte, und die Bewegung ist da.“

Welche Bewegung? Spitzen nicht schon die Spitzel die Ohren? Brauchen sich keine Mühe zu geben. Die Bewegung für volkswirthschaftliche Bildung und den Zollverein und die praktische Einheit Deutschlands und aller Völker kann und soll Niemand mehr hindern. Dafür ist Faucher da und Schulze-Delitzsch und Max Wirth und sind die Früchte da, die sie gesäet und die jede fleißige, gebildete Hand wieder und weiter sät, um Früchte daraus zu zeitigen. Faucher wird hoffentlich seine Feldzüge fortsetzen. Die von ihm begründete „Vierteljahrschrift für Volkswirthschaft und Culturgeschichte“ ist allerdings nicht für’s Volk, aber sie soll und wird eine feste Burg der strengen, unerbittlichen Wissenschaft für die Männer von Fach sein.

Als Mitglied des preußischen Landtags (gewählt von Delitzsch) hat Faucher selten und wenig gesprochen. Dieser Constitutionalismus ist nicht sein Feld und Fach. Es wird ihm wahrscheinlich sehr gleichgültig sein, ob wir ’n Bischen mehr oder weniger von der Freiheit kriegen, die blos Geld kostet, das Andere für deren Unterdrückung mißbrauchen. Faucher muß seine Feldzüge fortsetzen. Auch wird er mehr thun. Sagte er doch neulich erst, er sei noch ein Anfänger.

H. Beta.