Eine Besteigung des Aetna

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Autor: Ferdinand Avenarius
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Titel: Eine Besteigung des Aetna
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aus: Die Gartenlaube, Heft 19, S. 317–322
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Aufstieg zum Kraterrand des Ätna über Nicolosi
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Eine Besteigung des Aetna.

Von Ferdinand Avenarius.

Die nördliche Wand des Kraters.

Es war zu viel! Gestern erst war ich von Nicolosi, der Vorstation bei der Aetna-Besteigung, muthlos zurückgekehrt: der alte Herr hatte sich so sorgfältig in Wolken eingewickelt, daß man nicht einmal durch ein Löchelchen hier oder dort ein Stück von ihm sah, der Wind so heftig geblasen, daß ich mit meiner schwarzen Maske von vulcanischer Asche wie ein Pulcinell herumlief, und zum guten Schluß war der Regen dazu gekommen, um meine Aschenmaske in Lavaströme zu verwandeln. Don Giuseppe, der Wirth, ist ein braver Mann, aber sein Rindfleisch ist zäh, sein Wein sauer und seine Conversation langweilig – bei Regenwetter wenigstens. So hatte ich die Führer zusammengerufen und nach ihrer Meinung über’s Wetter gefragt: wird’s morgen hell sein? Sie hatten ja gesagt und nein gedacht, und mir war’s nicht entgangen, denn die Leute hier verstehen sich nicht so gut auf’s Lügen, wie die Neapolitaner. So hatte ich mich mit der Hoffnung, dem weißkragigen Raucher einmal auf’s Haupt zu steigen, auf bessere Jahre vertröstet, war gestern noch die vier Stunden nach Catania hinuntergelaufen und saß nun im Wirthshaus am Fenster, guckte hinaus und – ärgerte mich.

Ich hatte auch allen Grund dazu.

Wenn man so ein Jahr lang in Italien herumläuft, wird man allmählich das, was man dort zu Lande einen „Prattico“ nennt, das heißt Einer, der sich selbst von den Italienern kein X für ein U machen läßt. Will Einer zehn Soldi für etwas haben, so biete ich ihm gewiß nur zwei; sagt mir ein Kutscher, das eine von den beiden Gasthäusern im Orte sei das bessere, so gehe ich gewiß in’s andere. Und nun die schönen Wetterregeln vom Scirocco und Maestrale etc. – ich könnte sie an den Fingern herzählen!

Und da guckte mir nun der Aetna in’s Fenster herein, klar, wie aus dem Himmelsblau mit scharfer Linie herausgeschnitten, rauchte gemüthlich, wie ein Philister beim Morgenkaffee, und machte die unschuldigste Miene von der Welt! Und dabei blieb’s noch nicht einmal: nein, wie ich so zu ihm hinüber sah, fing er gar an zu plaudern, und harmlos, als wäre gar nichts Schlimmes dabei und als wären wir die besten Freunde, erzählte er mir behaglich und breit von all seinen Schandthaten.

„Ja, ja,“ sagte er, „wie die Zeiten sich ändern! Du weißt freilich nichts davon, mein Junge, aber ich sage Dir, als noch der Polyphem und die anderen Cyklopen und der Vater Hephaistos hier wohnten, da ging’s lustiger her – das war ein Schmieden und Hämmern den ganzen Tag, daß sie drüben in Calabrien vor den Funken Angst bekamen! Aber der Polyphem verliebte sich in den Backfisch, die Galatea, und dem Hephaistos vertrieb seine Frau, die Venus, mit der Zeit die gute Laune – weiß der Himmel, wo sie jetzt stecken mögen! Da hieß es: selber ist der Mann, und so amüsirte ich mich allein. Bin auch nicht faul gewesen dabei: frag sie nur, die rundum wohnen, sieh Dich nur mit Deinen eigenen Augen um. Sieht’s nicht rund umher wie eine Mondlandschaft aus? Und siehst Du alle die so und so viel Hunderte von Kratern? Das sind meine Jungen – ich sage Dir, sie machen mir alle Ehre! Und siehst Du nach allen Seiten hin die schwarzen, starren Ströme? Ja, damit mache ich mir von Zeit zu Zeit den Spaß, dem Menschengesindel ein paar [318] Meilen und ein paar Dörfer vor der Nase zuzudecken. Du solltest einmal sehen, was für Respect sie dann vor mir bekommen: ein paar hundert Quadratmeilen rings umher merken sie’s, wenn ich mir Motion mache – sie nennen’s Erdbeben und fallen vor Schreck durch einander, und dem kleinen Ding da drüben bei Neapel, dem Vesuv, fährt’s mitunter so in die Glieder, daß er sein bischen Feuerwerkerei hübsch bleiben läßt, bis ich wieder still bin. – Weißt Du was, komm doch einmal zu mir herauf, daß ich Dir’s besser zeigen kann!“

Ich wollte mich nicht fangen lassen, stand auf und lief in den Straßen von Catania herum, um auf andere Gedanken zu kommen.

Doch überall wurde ich an den Aetna gemahnt. Schon daß ich das Lavapflaster unter den Füßen und die Lavahäuser zu den Seiten nicht los wurde, war fatal genug. Nun ging ich in’s Museum, mich zu zerstreuen: es liegt im Benedictinerkloster – rings starrte mir der gewaltige Lavastrom von 1669 entgegen. Ich ging an den Hafen, den Schiffern zuzusehen – schwarz und trotzig ragte drüben das Vorgebirge aus dem Meer, das, eine halbe Miglie groß, die Lava jenes Schreckensjahres wie ein riesiges Denkmal desselben errichtete, als sie sich endlich in’s Meer ergoß. Ich wandte mich der andern Stadtseite zu – aus schwarzer Lava sah ich Häusertrümmer ragen, die hier vor zweihundert Jahren die Todesumarmung umschloß. Dort, über die alte Stadtmauer hingen, wie ein versteinerter Wasserfall, noch heute die schwarzen Massen herab – sie riefen das Bild vor’s Auge, das der Feuerstrom hier den entsetzten Bewohnern bot, als er vor der festen Mauer höher und höher hinaufquoll, dann aufbäumte und endlich in die Straßen niederfloß, als wollte er sie in Flammen vernichten, wie Sodom und Gomorrha. Wohin ich ging, die Spuren des Aetna!

Und jetzt, da ich auf die lange Straße trat, die ihm entgegenführt, sah er mich wieder unschuldig an. Und wieder war mir’s, als plaudere er mir zu – aber es lag etwas Dämonisches darin. – –

Am nächsten Morgen brach ich von Neuem nach Nicolosi auf.

Es giebt wenig Fleckchen, die Alles, was wir Nordländer „italienisch“ nennen, in so reichem Maße zeigen, wie die Ebene von Catania. Durch Korn-, Wein- und Mandelpflanzungen, zwischen Oliven-, Citronen- und Orangenhainen zog ich lustig dahin. Gerade vor mir, von beiden Seiten fast gleichmäßig in ruhiger Linie zum Kegel ansteigend, lag der Vulcan. Lavamauern begannen die südliche Farbenfülle der Vegetation mit ihren violetschwarzen Streifen zu durchziehen, bald ward das reine Rothgelb vom ersten Anhauch vulcanischer Asche getrübt. Gravina, der Ort, den ich jetzt durchwanderte, hat schon fast alle seine kleinen Häuser aus Lava errichtet; Mascaluccia, ein halbes Stündchen weiter, umrahmt die schwarze Lava seiner Kirche mit weißem Kalk, daß sie freundlicher dreinschaue.

Ich zog weiter: die berühmte Ueppigkeit der Pflanzenwelt begann sich zu mildern. Ein gewaltiger Lavastrom blieb mir, mit Cactus übergrünt, zur Seite. Der sicilianische Ginster, Büsche, ja Bäume bildend, trat immer mehr hervor – dort, jenen Hügel versteckte er fast in das Gelb seiner Blüthen. Der Hügel fiel mir auf, er war rund und oben eingesenkt – der erste Krater war erreicht.

Wie ich weiter wanderte, begann mir die Asche bald lästig zu werden, die dick auf dem Wege lagerte. Das ärmliche Torre di Griso, das ich nun durchzog, zeigte schon den echten Charakter der Aetnadörfer: kleine Hütten aus Lava, ohne Obergeschoß, oft ohne Fenster, Lavapflaster, Lavamauern – Alles schwarz in schwarz, bis auf ein wenig weißen Kalkverputzes, der hier und dort das öde Schwarz erheitern soll und es doch nur düsterer erscheinen läßt. Die Oliven- und Citronenanpflanzungen wurden immer spärlicher und schwanden endlich, nur noch Wein, Getreide und Feige schien angebaut. Sonst sah ich fast allein Cactus und Ginster um mich, ihr Grün aber übertönte das Grau und Schwarz nicht mehr – je mehr ich mich Nicolosi näherte, um so mächtiger herrschte das letztere vor.

Ich wurde unwillkürlich ernster – wie das Leben um mich her dem Tod, so wich die Melodie eines Liedes, die ich vor mich hinsummte, dem Schweigen. Endlich zog ich in Nicolosi ein.

Don Giuseppe begrüßte mich voller Staunen – meine Ausdauer und Wiederkehr verblüfften ihn dermaßen, daß er mich mindestens für einen Engländer hielt. Die Unterhandlungen wegen der Besteigung waren schnell beim Abschluß; hat doch der italienische Alpenclub die Organisation des Führerwesens auch für den Aetna gut geregelt. Don Giuseppe’s Mittagsmahl that ich indeß auch diesmal Unehre – heut, weil ich zu aufgeregt zum Stillsitzen war und es vorzog, noch einmal gegen die Monti rossi hin zu schlendern, von denen aus ich vor ein paar Tagen den ersten Ueberblick über die Aetnagegend genossen hatte.

Als „Monti rossi“ – rothe Berge – kennt das Volk einen Seitenkrater des Aetna, der sich 1669 öffnete und jenen gewaltigsten Verderbensstrom ergoß, dessen riesige Massen ich drunten in Catania bestaunt hatte. Ich ließ in Gedanken noch einmal die Einzelheiten jenes Ereignisses an mir vorüberziehen, dessen Schilderung mich schon oft ergriffen. Es war am 8. März 1669, als sich die Sonne drohend verdunkelte – Vorzeichen kommenden Unheils waren schon lange vorhergegangen. Am 10. März wurden Sturm und Erdstöße so heftig, daß sich die Einwohner von Nicolosi nicht mehr aufrecht halten konnten, gegen Mittag stürzten die ersten Häuser ein, am Abend war der Ort ein Trümmerhaufen. Da, in der folgenden Nacht, um ein Uhr, barst der Boden. Drei Stunden den Berg hinan gähnte, sechs Fuß breit, eine Spalte, die in unheimlichem Lichte glühte. Im Laufe des nächsten Tages öffneten sich noch sechs Krater in ihrer Nähe. Sand- und Rauchsäulen drangen aus ihnen hervor, zwanzig Stunden weit hörte man das Donnern und Dröhnen, dreißig Stunden weit stob Sand und Asche. Neue Spalten brachen auf. Am Ende jener furchtbarsten aber bildeten sich am 23. März die Monti rossi, und wie eine feurige Sündfluth brach aus ihrem Schooße die Lava. Noch in der Nacht wälzte sich ihre Gluth gegen den älteren bewaldeten Krater Mompilieri, die Bäume desselben loderten in Flammen auf, die Lava staute sich, umfloß ihn und plattete sich dann zu einem über eine halbe deutsche Meile breiten Strom aus. Erdbeben und Donner über und unter der Erde begleiteten sie auf ihrem Weiterweg. Nun theilte sie sich, ein Arm erreichte Belpasso, eine Stadt von 8000 Einwohnern, die er im Feuer vernichtete. Der andere Strom wühlte sich durch unterirdische Höhlen fort: als die Lava wieder an’s Licht trat, sank der Hügel, dessen Grund sie geschmolzen, in sich zusammen. Dann kroch sie wie ein feuriger Riesendrache, noch immer mehr als eine Viertelmeile breit, gegen Catania vor, Dörfer und Städte verschlingend und verwüstend, Weinberge auf dem Rücken tragend – „wie ein Schmelzofen“ dampfte ringsum das Land. Dem inneren Gluthenstrom einen Seitenweg zu bahnen und ihn so von ihrer Stadt abzulenken, durchbrachen jetzt besorgte Catanesen seine verhärtete Kruste. Durch den Abfluß weiter oben gemäßigt, wälzte er sich nun langsamer dahin. Im Mai erreichte er dennoch die Mauern, brach verheerungbringend ein, vernichtete einen Stadttheil und stürzte in das Meer.

Der Kampf der beiden Elemente begann: das Wasser – seine Farbe verändert, seine Fische todt – bäumte sich wuthschäumend auf und übertönte mit seinem Prasseln den Donner. Am Himmel auf Wochen keine Sonne, auf Monate kein Blau. In den vierzig Tagen seiner Wanderung soll der Strom die Wohnstätten von 27,000 Menschen verwüstet haben – man sagt, daß von den 20,000 Bewohnern Catanias nur 3000 die Schreckenszeit überlebten. Die Menge der Lava jenes Jahres aber wird auf 760 Millionen Cubikmeter, das begrabene Land auf 3800 Hektare geschätzt. Noch nach acht Jahren rauchte beim Regen die Lava.

Jetzt sind die Monti rossi, die all das Unheil geboren, ein friedlicher Berg, dem die rothe Farbe ihres vulcanischen Gesteins verbunden mit der Doppelspitze, welche der Kraterrand zeigt, seinen Namen gab. Ginsterbäume und Wolfsmilchsträucher siedeln sich auf ihm an, zu seinen Füßen gedeiht der Wein. Rings umher Schaaren von erloschenen Kratern, bald kreisrund, bald hufeisenförmig, bald hoch, bald niedrig, bald noch kahl, bald schon bewachsen, zwischen ihnen und schwarzbraunen Aschefeldern mit mühsamen Anpflanzungen hindurch die gierigen Polypenarme der Lavaströme, die die Krater umschlingen oder sich an ihnen hinaufklammern.

Hoch über Allem ragt aus schneeigem Gürtel der Gipfelkrater des Aetna hervor, welch letzterer[WS 1] uns hier – wir sind bereits 2700 Fuß hoch – den ganzen Weg zu ihm hinauf schon überschauen läßt. Auf der anderen Seite in wundersamem Gegensatz die mit [319] Ortschaften durchsäete lachende Ebene in so jubelnder Farbenpracht, daß wir fast die schwarzen Verderbensströme übersehen, die auch sie durchziehen. Und darüber die gerade, scharfe Linie des Meeres.

Als ich zurückkehrte, fand ich den Führer und den Maulthiertreiber mit ihren beiden Thieren schon vor dem Wirthshaus. Eine gute Anzahl von Kindern, Weibern und Männern stand herum und sah sich die Abreise an – obgleich eine Aetna-Besteigung durchaus keine Seltenheit ist, so giebt’s doch für die Guten so wenig „Neues“, daß sich’s immerhin lohnen mag, ihr zuzusehen. Zudem klebt dem Fremden, der an so etwas Vergnügen findet, für die Nicolosianer etwas Geheimnißvolles an, etwa so, wie bei uns dem wegtransportirten Verrückten für die Straßenjugend. Es war gegen zwei Uhr Nachmittags, als wir die primitiven Sättel bestiegen hatten und unter den Glückwünschen halb Nicolosis aufbrachen.

So ging’s denn vorwärts.

Jenseits Nicolosi liegt auf dem Aetnagebiet keine Ortschaft mehr: man merkt’s, sobald man das Nest verlassen hat, am Wege, der von nun an der Fürsorge Gottes und des Aetna überlassen bleibt, wenn auch einmal eine heroische Anwandlung vorhanden gewesen ist, ihn noch ein Stück weiter zu bauen. Die Asche liegt einen oder ein paar Fuß hoch darauf, und wer bei dem Worte „Ritt“ an munteres Traben gedacht hat, wird bald eines Besseren belehrt: die Maulthiere waten oft knietief in schwarzem Staub und, während sie zum Erbarmen schnaufen, geht’s doch nur schleichend vorwärts. Doch läßt man sich’s gefallen, weil die umgebende Natur alle Gedanken fesselt.

Zunächst geht’s noch zwischen Weinpflanzungen fort, sie ähneln mit ihren Maulwurfshügeln von Asche, aus deren jedem ein niedriger Stock herausguckt, unseren Kartoffelfeldern – Feigenbäume stehen spärlich dazwischen. Auch Roggen- und Weizenfelder sehen wir zur Seite. Noch ein halbes Stündchen, und wir kommen, immer schärfer bergan reitend, in dem an, was sich mit ererbtem Namen „bewaldete Region des Aetna“ nennt.

Vor dem Wirthshaus in Nicolosi. Von Ch. Speier.

Jetzt ist – zum mindesten an dieser Seite des Berges – von Wald wenig zu finden. Von den uralten Eichen- und Kastanienriesen, die hier einst ihre mächtigen Wurzeln zu unentwirrbarem Netze verschlangen und im sechszehnten Jahrhundert den Cardinal Bembo zu hohem Preisen begeisterten, sieht uns nur selten und vereinsamt eine abenteuerliche Greisengestalt entgegen. Die Ausbeuterei gut sicilianischer Principi hat ihre Genossen gefällt: ihr Holz wird ja so gut bezahlt, und auf dem Boden, welchen sie urbar gemacht haben, kann man es zudem mit Roggenanbau versuchen. In neuerer Zeit baut man auch wieder Kastanien an.

In einer von den Anpflanzungen der letzteren liegt, etwa 4000 Fuß hoch, die Casa del Bosco. Sie sah uns freundlich an, wollten wir doch in ihr auf ein paar Stunden Halt machen. Den Feldhüter, der die Hütte bewohnt, hatten wir schon durch einen Schuß aufmerksam gemacht; er trat uns grüßend entgegen und lud ein zum Eintritt. Wir tranken von seinem Cisternenwasser und nahmen einen Imbiß, dann stiegen wir auf einen nahen Hügel, dem Untergang der Sonne zusehend.

In mildem Roth lag unter uns das Land. Dort unten, auf der heißen Ebene, über die mein Blick jetzt träumend hinwegschweifte, war’s glühender Sommer, hier oben war’s Frühling. Die leise wogenden niedrigen Kornfelder um mich her, das erste frische Grün der Kastanien, die unseren Buchen glichen, endlich ein Finke, welcher lustig seinen Triller schlug – mir war es, als träfe mich in all dem Fremden ein traulicher Heimathsgruß. Der Führer mußte mich lange mahnen, eh’ ich wieder zur Hütte zurückstieg.

Schon aber begann die gefürchtete Aetnakälte in ihren ersten Schauern zu spuken. Sie ist’s, die die Gefahr beim Besuch des Vulcans ausmacht, weit mehr, als die Schwierigkeit der eigentlichen Besteigung, von der ja Einer, der im Alpensteigen bewandert ist, überhaupt nichts bemerkt. Der enorme Temperaturunterschied aber zwischen dem halbtropischen Catania und dem eisigen Aetnagipfel hat schon Manchem böse mitgespielt, beträgt er doch schon im Durchschnitt dreiundzwanzig Grad. Meine Leute zündeten ein tüchtiges Reisigfeuer an und machten mir eine Lagerstatt zurecht. Von Schlafen war aber nicht die Rede, ich freute mich von meiner Ecke aus an dem malerischen Bilde, das sich mir bot. Die drei rauhen Gesellen, in ihre Felle gehüllt, um’s flackernde Feuer lagernd, wie sie so halb laut vor sich hin schwermüthige sicilianische Weisen summten, der Rauch, der an der Decke der erbärmlichen Bude entlang schlich und in die Ritzen und Spalten der schwarzgeräucherten rohen Balken und Bretter hineinkroch, vertrieben mir die Zeit im Fluge.

Um zehn Uhr brachen wir wieder auf. Ich stülpte mir eine mächtige Pelzmütze über den Kopf und schlug den schweren calabrischen Radmantel um die Schulter, um so, nordpolmäßig ausgerüstet, dem Froste besser trotzen zu können. In langsamem, schweigendem Ritt zogen wir dahin – in einem Ritt, den ich nie vergessen werde. Ueber Stein und Laven, oft knapp zwischen Schlackenblöcken hindurch, ging’s hinein in die Nacht, mühsam, die schnaubenden Nüstern am Boden, suchten die Maulthiere ihren Weg, oft steil hinanklimmend, dann wieder ein Stückchen jäh abwärts, ohne Rast der schwankenden Laterne nach. Da stieß der voranschreitende Treiber mit der Laterne an – sie zerbrach und erlosch. Aber Schritt für Schritt tastend und schnobernd, fanden die Thiere doch immer den Stein zum Tritt. Ueber uns der Sternenhimmel in einer Pracht, die Keiner zu denken vermag, die wir nur sehen können.

Die Kälte ward schneidender. Nach ein paar Stunden erreichten wir den Schnee. Wir stiegen ab. Der Maulthiertreiber zündete ein Feuer an, um hier mit den Thieren bis zu unserer Rückkehr zu warten. Zu Fuß ging’s weiter – Gott sei Dank, denn die Bewegung konnten wir brauchen, war’s doch so kalt, [320] daß die erstarrende Hand kaum den Alpstock umklammern konnte. Wir durchzogen eine todesstille, nächtige Winterwelt. Noch zwei, noch eine, noch eine halbe Stunde bis zur Casa inglese, dem Alpenclubhause – so machten wir uns Muth – und dann Feuer und Glühwein! O weh – die Casa inglese lag so tief im Schnee, daß an ein Eindringen nicht zu denken war. Vergebliche Versuche, uns am Feuer einiger Halme Stroh zu erwärmen, die wohl noch vom vorigen Jahr her hier oben liegen mochten....

Also weiter, weiter! War das nicht schon ein erster Geruch von Schwefel? Dann werden wir bald dort sein, wo die heißen Dämpfe den Schnee gethaut! Im Osten ward’s ein wenig heller – die schmale Sichel des abnehmenden Mondes tauchte herauf.

Ich blieb stehen. Ich schien mir auf einen fernen, fernen Planeten entrückt, den die Sonne aus ihrer unendlichen Ferne nicht mehr erwärmt, den sie kaum noch mit mattem, träumerischem Dämmerschein überhaucht. In lautloser Majestät herrschte rings nur der Tod; mir war’s, als würde kein Wort aus meinem Munde erklingen können, auch wenn ich den Versuch wagen wollte, es zu sprechen. Soweit ich, was ich sah, unterscheiden konnte, sah ich nur Eis und Schnee, hier und dort starrte stumm, wie ein verschneites Grabmal vergangener Titanengeschlechter, ein Fels daraus hervor. Doch was war das? Hoch oben vom Himmel herab ergoß sich ein breiter Schimmer bläulich silbernen Lichtes, matt, kaum viel stärker, als das Leuchten der Milchstraße in südlichen Nächten.

Es dauerte eine Weile, bis es mir klar wurde, daß, aus dieser Höhe gesehen, das Meer so hoch am Horizont hinaufsteigt, daß jener Schein ein Wiederglanz des Mondes auf seinem Spiegel war. Vom Lande drunten erkannte ich nichts, nur hier und dort glomm es wie Phosphorstückchen; nur so schimmerte der Glanz über den von Laternen erleuchteten Städten herauf, die tief unten schlummerten.

„Weiter, Signor, weiter – es wird bald dämmern!“

Der Zuruf des Führers schreckte mich wie aus einem Traume auf. Wir schritten vorwärts. Allmählich ward es heller.

„Signor, blickt dorthin – seht Ihr den Kraterrand?“

Ich blickte aufwärts. Wie eine breite, weiße Wolke wogte es über mir – die erste Bewegung in dem erstarrten Bilde um mich her.

„Und hört Ihr, Signor?“

Wie leises Zischen kochenden Wassers klang’s vor mir aus dem Boden.

„Wir sind am Krater, Signor! Muth, jetzt gilt’s das Schlimmste, aber dann sind wir oben!“

Ritt auf den Berg. Von Ch. Speier.

Da lag, selbst noch wie ein mächtiger Berg, der Gipfelkrater vor mir, der, von der Ebene aus gesehen, wie ein qualmendes Räucherkerzchen erscheint. Der Schnee reichte kaum bis an seinen Fuß, er selbst war frei davon – ich sah weshalb: an hundert Stellen stiegen aus dem steilen Abhang kleine Dampfwölkchen verschiedener Farbe hervor, schlängelten sich aufwärts und verflogen an der Luft. Da galt’s nun hinanzuklettern. Mühsam ist’s immer, heute aber war’s gefährlich, denn wo keine Gase ausströmten, war die Wand mit Glatteis überzogen, und wo wir Dämpfe passiren mußten, waren sie heute so stark, daß wir kaum athmen konnten – bei der Anstrengung des Steigens und der Dünne der Luft hier oben doppelt lästig. Hätten wir die Dämpfe immer gesehen, so wär’s noch angegangen, so aber kam ich mir vor wie von Kobolden geneckt, wenn ich aus einer gefärbten Dampfwolke in eine farblose, unsichtbare Gasquelle gerieth, aus deren Bereich ich eben nur durch Zufall entweichen konnte. Indessen ward es heller und heller; immer krampfhafter arbeiteten wir uns hinan, die Spitze noch vor Sonnenaufgang zu erreichen.

Coraggio! Muth! Muth!“ schrie der Führer mir und sich selbst ein über’s andere Mal zu. Dann fragte er mich wieder, ob mir Blut in den Mund käme, das erste Zeichen der durch die Höhe hervorgerufenen Aetnakrankheit. Und nun wieder zur Abwechselung ein herzhafter Fluch über die Dämpfe – der aus Luftmangel im Halse stecken bleibt. Ich hätte für einen Zug reiner Luft mitunter mehr gegeben, als für den Genuß, der mir bevorstand.

Endlich, endlich sehe ich, daß der Abhang sich über mir umbiegt – wie durch einen Zauberschlag strömen mir neue Kräfte zu, im Nu bin ich oben und trotz Gasen, Dämpfen und Brustschmerzen jauchze ich von seinem höchsten Rande einen jubelnden Jodler in den Krater hinab.

„Still, still, um Gotteswillen still – ’s ist der Teufel, Signor, der dort unten wohnt; Maria Santissima, ruft ihn nicht!“

Blaß vor Entsetzen rief mir’s der Führer zu. War’s der Aberglaube allein, der aus ihm sprach, oder die Erfahrung, daß schon ein lauter Schall die durchgrabenen Wände des Kraters zum Einsturz bringt? In hundertstimmigem höhnendem Echo hallte währenddem mein Jubelruf zurück. Ich verstummte und staunte in die Tiefe.

Ein gigantischer Felsenkessel liegt der Krater vor mir, drei Viertelstunden im Umfang, groß genug, um eine Stadt in sich zu bergen – und ohne Ende, ohne Grund, denn die Tiefe drunten, die sich erst dem Auge des weit Uebergebeugten zeigt, ist ein brodelndes Dampfmeer. Aber nur auf Secunden zieht sich’s soweit in sich zusammen, wie ich’s jetzt sehe – sonst ist’s ein rastloses Wogen, Kochen, Bäumen, Emporschießen, Zurückstürzen und zischendes Wiederaufschnellen. Und doch ist es diese Hauptmasse der Dämpfe nicht, die mich am gewaltigsten fesselt – ungleich mehr bannt der Anblick, den der furchtbare Schlund als Ganzes bietet.

Aus allen Ritzen seiner Wände kriechen Wölkchen hervor, tausende, tausende. Von anderen Gasen und Dämpfen aber, die unsichtbar zwischen die sichtbaren hineinspielen, werden sie zum wunderbarsten Tanze getrieben. Ich mag mich sträuben, soviel ich will, ich muß in diesen zahllosen bleichen Gestalten, die der Schwerkraft durch eigenen Willen zu spotten scheinen, unheimliches Leben sehen. Wie sie jetzt rings hervorlugen und hervorkriechen, jetzt aufschweben, jetzt niedertauchen, sich nun umschlingen, jetzt zusammenschmelzen, sich wieder lösen und umkreisen und trennen,

[321]

Der Aetna vom Ufer des Simeto gesehen.
Originalzeichnung von A. Metzener.

[322] und nun plötzlich im Augenblick verwehen – Geisterschaaren sind’s, die nach dem Pfeifen des höllischen Musikanten drunten tanzen! Und das Alles über dem Wogen des Gischts, der die unheimlich ausgelassene lustige Schaar bald emporjagt, bald erreicht, bald hinabzieht, bald ein Weilchen mit ihr mitspielt und mittollt, während kleine Flämmchen ihn dann und wann durchblitzen oder wie Irrlichter hin und her huschen. Das ist der echte Hexentanzplatz – kein Dichter hat ihn so dämonisch fesselnd geschildert, wie ich ihn sehe.

„Die Sonne kommt!“

Und nun den Blick zur Aussicht.

Sie, die großartigste Europas, ist oft geschildert worden. Ich habe für die Aufzählung von Ortschaften und Bergspitzen keinen Sinn – was sind mir Namen, wo ich genießen will! Tief unter mir liegt ganz Sicilien, nur ein Stückchen im Westen erreicht den Horizont, sonst fließt, wie der Fluß Okeanos um die Erde, ringsum das ewige Meer. Wie eine langgestreckte Insel taucht das Festland Italiens daraus hervor, wie ein ferner Punkt im Süden Malta, im Norden – ein märchenhafter Anblick – verloren in der Fluth die rauchende Pyramidendreizahl der liparischen Vulcane.

Und jetzt glüht die Sonne empor: ihr erster Gruß trifft unter vielen Millionen heute mich. Und nun röthet sich unter mir der Schnee, nun glühen die Aetnafelsen purpurn herauf, violett die Ströme der Lava. Und nun regt sich’s im weiten Berggebiete – wo ich bisher nur grau gesehen, da hauchen Farben und wieder Farben über’s Land. Nur die Ebene liegt noch in tiefer Ruhe – nein, jetzt erwacht auch sie: das gewaltige Dreieck, das der Aetnaschatten umschließt, ist allein noch gebannt. Alle Einzelfarben aber scheinen in einem flammenden Purpur zu schmelzen, in Purpur auch das Meer. Was frag’ ich jetzt, wo Syrakus liegt und Malta und Stromboli – ich schaue hinab und hab’ nur das eine Gefühl: das ist die Welt! –

Ich mußte aufbrechen, ich mußte scheiden, denn immer wilder drangen die Dämpfe empor, und bald brannten mir Brust und Hals glühend. Bitter empfand ich’s, daß auf Erden nichts vollkommen ist und kein Genuß voll.

Bei Nicolosi.0 Von A. Metzener.

Diesmal ging’s, des Glatteises wegen, eher langsamer den Kratergipfel hinab, als schneller, wie’s natürlich sonst im Vergleiche zum Aufstiege der Fall zu sein pflegt. An der verschneiten Casa inglese machten wir Halt, um uns an Speise und Trank zu stärken. Dann besuchten wir die Torre del Filosofo. Es sind die Trümmer eines alten Baues, den die römische Kaiserzeit errichtet haben soll, man glaubt, zum Schutzhause und zur heiligen Stätte, von der die Besucher des Aetna zu den Göttern flehten. Das Volk nennt sie den Thurm des Zauberers und bringt sie mit Geschichten in Verbindung, die unschwer ihren Ursprung aus der Tradition vom Tode des Empedokles erkennen lassen. Soll sich doch der alte Herr, um seine Leiche vor dem Auffinden zu bewahren und um somit möglichst wunderbar von der Welt verschwunden zu erscheinen, in den Aetna gestürzt haben – der aber war nach Lucian indiscret genug, bei der nächsten Eruption durch Auswerfen eines recognoscirbaren Pantoffels unseres Philosophen Geheimniß zu verrathen. Vielleicht war’s auch hier, wo Hadrian, der kaiserliche Tourist, den damals schon berühmten Sonnenaufgang vom Aetna genoß. Jetzt ragen nur noch ein paar Mauerreste melancholisch aus der Oede hervor. Kein Epheu umwuchert sie mit seinen blühenden Armen, aber mit gespenstischem blassem Finger umtastet den todten Stein die Sage.

Weiter – wir blicken vom oberen Rande schaudernd in die Valle del Bue hinab, in das „großartigste Amphitheater der Welt“, aber auch das grauenvollste. Eine Kluft von zwei und einer halben Stunde im Umfang, von senkrecht herabstürzenden Wänden gebildet, mit nur einem Ausgange liegt vor uns. Drei rothe Krater brechen in der Tiefe aus dem gezackten Schwarz hervor. Der leise Rauch, der aus dem größten derselben noch aufdringt, ist das einzige Bewegte, sonst Todesstarre ringsumher.

Weiter, weiter – wir sehnen uns nach Leben, nach Vögeln in der Luft, nach Pflanzen auf der Erde, nach Stimmen, die uns verstehen. Wir verlassen den Schnee, wir begrüßen den ersten grünen Schimmer, der erste Strauch löst endlich unsere Zunge wieder zur Plauderei. Und da sind ja auch unsere Maulthiere – nun schnell, Meister Langohr, hinunter, daß wir etwas Warmes zu essen bekommen und etwas Kaltes zu trinken.

„Gute Rückkehr!“

„Ah, Sandro, da seid Ihr – hier Euer Trinkgeld für den Mantel!“

Der Hüter der Casa del Bosco reicht uns erst einen frischen Trunk, dann die Hand zum Abschiede. Bäume um uns her – wir können schon ihren Schatten brauchen, denn es wird schnell wärmer. Wieder Gehölz, wieder Lava, Felder, Gehölz, Felder, dort vor uns liegt es ja schon: Nicolosi!

Mich aber fesselte mehr als je die Aetnawelt, die mich umgab, sie, dieser gewaltige Riesenkessel, der bald hier, bald fünf Meilen davon einen neuen Krater, oder zwei, oder ein halbes Dutzend derselben aus dem Boden emportreibt. Noch einmal genoß ich mit ganzem Auge dies gewaltigste Bild des Kampfes zwischen Leben und Tod. Auf diesen selben furchtbaren Massen, die heute tiefschwarz, zerzackt und zerklüftet starren – wer weiß, ob nicht auf ihnen schon nach ein paar Jahren der Cactus mit seinen schneidenden Wurzeln frischem jungem Leben den Pfad gebahnt haben wird? Der Mensch aber baut sich aus demselben düstern Steine, der seine alten Dörfer vernichtete, seine neuen Dörfer auf, und dieselbe Asche, die seine Eltern begrub, nährt seinen Kindern den Wein. Wer freilich weiß, wann ein neuer Ausbruch den Weinberg – wieder zum Krater macht?

Nach kurzer Rast und Mahlzeit verließ ich Nicolosi wieder und wanderte nach Catania hinab. Die Sonne des Tages, die mir über Schnee und Eis aufgegangen, ging mir hinter Limonen, Palmen und Bananen unter.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: letzerer