Eine arme Spinnerin baut dem Herrn das Haus

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Autor: unbekannt
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Titel: Eine arme Spinnerin baut dem Herrn das Haus
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aus: Wünschelruthe - Ein Zeitblatt. Nr. 10, S. 37-38.
Herausgeber: Wilhelm Grimm (Text), Heinrich Straube und Johann Peter von Hornthal (Zeitschrift)
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1818
Verlag: Vandenhoeck und Ruprecht
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Erscheinungsort: Göttingen
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung: 'Der Heller der armen Frau', Mirakelerzählung aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts (²VL 3 (1981), Sp. 971f.), hier wiedergegeben nach UB Heidelberg, Cpg 341, Bl. 70vb-70va Handschriftencensus
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[37]
Eine arme Spinnerin baut dem Herrn das Haus.
Mitgetheilt von Wilh. Grimm.

Künde ich ein mere getichten
mit guoter rede berichten,
daz ez gar lobebere
unde guot ze horen were,

5
unde daz ez wol mochte bestan,

unt daz mich ein wiser man
darumbe nicht solde strafen;
ich wil der sinne waffen
daruf vil gerne slifen.

10
künd ich als der von Nifen

den frouwen singen suzen sanc,
des sagten si mir billich danc;
nu kan ich leider harte kleine.
min kunst diu sol doch sin gemeine

15
den frouwen unt den geerten,

die hochen pris ie merten.

Ez waz ein kunic also gemuot,
der hete wisheit unde guot,
er wolt ein munster machen,

20
von lobelichen sachen,

Got ze lobe unt ze eren;
daran begonde er keren
sin herz unt sine sinne
durch die Gotes minne.

25
daz munster daz waz volbracht

recht als er sin hete gedacht;
der kunic tiuwer daz verbot,
bi sinen hulden uf den tot,
daz ieman daran solde geben,

30
recht als liep im were daz leben;

daz lon wolde er eine han,
daz waz an im ein tumber wan.
do daz munster waz bereit
mit harte grozer richeit,

35
der kunic hiez daran ergraben

mit guldinen buochstaben,
daz ez were sin eines tat
unt nieman daran gegeben hat.
sin name wart des nachtes abgetan

40
unt stuont ein ander name daran

einer armen frouwen nam,
die hete daz munster lobesam
allentsamt volbracht.
dem kunige sere daz versmacht,

45
er hiez den namen tilien sider

unt sinen namen schriben wider;
daz geschach aber in der nacht
als ez Got selbe hete gedacht,
daz aber der frouwen name da waz.

50
do man die buochstaben gelaz,

daz si were mit sinne
des munsters stifterinne,
ir name wart dristunt abe getan,
man sach in ie hinwider stan.

55
der kunic erkante sich in Got,

daz ez were von Gotes gebot;
er hiez fragen der mere,
wer diu frouwe were?
diu frouwe wart funden do,

60
des wart si truric unt unfro,

si muoste fur den kunic gan,

[38]

er sprach: „frouwe, nu sag an,
diu mere sint gar wunderlich:
durch Got! du solt bescheiden mich,

65
wie ez hiezuo si bekomen.

hast du darumbe icht vernomen?
oder hast du ie darzuo icht gegeben?
daz sage mir bi dinem leben.“
si sprach „genade, herre min,

70
ich bekenne uf die genade din,

ich bin ein vil armez wip:
ich muoz stete minen lip
mit mime spinnen erneren
unt mich damit des hungers weren.

75
do verdient ich einen helbelinc,

darnach stuont aller min gerinc,
den hete ich gerne geben daran,
do vorcht ich, herre, dinen ban
unt darzuo din vil groze dreu:

80
damite kouft ich ein kleinez heu,

daz streut ich uf die strazen
den ochsen, daz siz azen,
die die steine zugen hin.“
daz waz der frouwen reiner sin,

85
Got nam der fronwen reinen muot

fur des richen kuniges guot.
der kunic erkante rechte daz,
daz ez Gotes wille waz:
er machte die frowen riche

90
an guote sicherliche;

Got hat in ouch gewarnet wol,
ein ietslich man daz wizzen sol:
swer Got einen sulchen dienest tuo,
der gönne alle der werlde darzuo,

95
daß si lr sunde ouch gebüzen;

welle er Got furbaz grüzen
so koufe er eigen unt erbe daran,
so wirt er ein vil selic man.
der kunic sin dienst nicht verlos,

100
Got in darumbe ze friunde erkos.

nu helfe uns allentsamt Got,
daz wir behalden sin gebot.
nu sprechet alle amen,

104
die daz mere vernamen.

Anmerkung. Aus der Heidelberger Handschrift Nr. 341 S. 70 u 71: verglichen und benutzt ist eine andere, mir zugehörige, wo es sich gleichfalls in einer Sammlung kleiner Gedichte (Nr. 46) befindet, so wie es auch in jener Coloczer (Nr. 37) vorkommt.

Das Ganze scheint in einer Volkssage begründet, wenigstens ist jene noch gangbare, wornach ein vor Wien stehendes, zweihundert Jahr altes Heiligenbild von dem mühsamen, lang ersparten Verdienst einer armen Spinnerin aufgerichtet worden (S. unsere deutsche Sagen Nr. 178) nah verwandt. Crusius (ann. suev. III 387) bemerkt, daß zwischen Calw und Zabelstein an der Straße ein steinernes Kreuz stehe, in das ein Spinnrocken und die Jahrszahl 1447 eingehauen sey. „Ein 70 jähriger Mann erzählte, einst von einem mehr als hundertjährigen gehört zu haben: es wäre eine arme Spinnerin gewesen, allda im greulich tiefen Schnee erstickt.“. Ueberhaupt ward das Spinnen (Schaffen, Wirken) als eine bedeutende und fromme Arbeit betrachtet; die hl. Elisabeth ist auf einem Holzschnitt spinnend dargestellt, welches Gailer von Kaisersperg (S. das Bild und die Stelle aus dem Buch Granatapfel in Arnims Trösteinsamkeit S. 173.) geistlich zu erklären weiß.

[37] V. 9. daruf, dazu, dafür. – 11. beide Handschriften lesen zwar der frouwen, dennoch scheint die Verbesserung nöthig. – 13. harte, sehr, wie V. 34 – 14. gemeine, gemeinschaftlich, zugehörig. – 16. deren Lob immer wuchs, die an Tugenden immer zugenommen. – 20 aus löblichem Grund; sache heißt hier Ursache. – 26. wie ers ausgedacht hatte. V. 29. niemand sollte etwas zu dem Bau geben, beitragen. – 44. versmacht dem kunige,',verdroß ihn. - 45. tilien, tilgen (wie Lilien und Lilgen). sider, hernach. – 49. aber, zum zweitenmal. – 51. mit sinne, ohne Zweifel, in Wahrheit gesagt. – 54. ie immer. – 55. sah ein, erkannte durch Gott. – 60. truric und unfro, vgl. Armer Heinrich V. 566. [38] V. 75. ein helbelinc, ein halber Pfennig. – 76. gerinc Streben, Ringen. – 79. dreu, Drohung. – 85. Er achtete höher, zog vor. – 94. der laße jeden daran Theil nehmen. – 96. Furbaz grüzen, weiter ehren, ihm dienen. – 97. so kaufe er der Kirche Eigenthum und Erbe. – 99. der König ward belohnt. – 102. behalden, halten.