Eine böse Fee der Alpen

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Titel: Eine böse Fee der Alpen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 51, S. 826–828
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Eine böse Fee der Alpen.


Vor dem Hausthor meines Oheims stand der Reisewagen, der uns vor vielen Jahren, mich und meinen Vater, von Triest nach einer Ferienreise wieder in die Heimath bringen sollte. Noch einmal wurde Abschied genommen, und mein Oheim entließ uns endlich mit dem wiederholten besorglichen Ausruf: „Wenn nur die böse Fee nicht kommt!“

„Diese böse Fee,“ lautete die Antwort auf meine Frage nach ihr, „wohnt da oben unsichtbar auf den Höhen des Karstes, verbirgt sich lange, fast den ganzen Sommer über, in den Höhlen und Spalten des Gebirges; plötzlich aber springt sie hervor, fliegt, Menschen, Thiere, Wagen, ja Bäume und Gebäude vor sich niederwerfend, über die Flächen des Karstes, über Triest in das Meer hinaus, die den Hafen suchenden Schiffe weit hinaus über die Fluthen der Adria jagend und diese selbst zum gefährlichsten Wogentanze aufwirbelnd. Es ist wohl möglich, daß sie heute komme.“

Nun, sie ist wirklich gekommen, die böse Fee, und ich habe sie später gar oft noch und recht gründlich kennen zu lernen Gelegenheit gehabt; sie ist ein so launisches, räthselhaftes Wesen, daß ich den Lesern wohl Etwas erzählen zu dürfen glaube von dieser bösen Fee, der berüchtigten Bora des Karstes.[1]

Der Schauplatz ihrer Thätigkeit hat schon ein eigenthümliches, zum Theil von ihr ihm aufgedrücktes Gepräge. Es ist die südöstliche Abdachung der südlichen Kalkalpen. – Diese unterscheiden sich von den nördlichen durch ihre Wasserarmuth. Während dort die großen Wasserbecken, welche die schönen Seen des Salzkammergutes und Oberbaierns bilden, den Reichthum an Wasser verrathen, fehlen in den südlichen nicht nur die Seen fast gänzlich, sondern sie sind auch überhaupt ärmer an Flüssen, Bächen und Quellen, wie Jeder, der in ihnen herumgewandert, in unliebsamer Weise sich überzeugen konnte; dort jedoch, wo diese Alpen sich zum Meer abdachen, an der Nordküste des adriatischen Meeres, tritt dieser Charakter der Wasserlosigkeit besonders hervor; dort ist die Schichtenstellung des Kalkes eine solche, daß alles darauffallende Wasser schnell in die Tiefe sinkt; dort rauschen in der Tiefe der Erde die Gewässer, die erst weit entfernt irgendwo zu Tage treten oder unterirdisch zum Meere fließen. An der Oberfläche aber, der somit das Lebenselement aller vegetativen Thätigkeit, die Feuchtigkeit fehlt, vergilbt alsbald die spärliche Vegetation; dort breitet sich die Wüste der Alpen aus: der Karst.

Die Bora selbst ist ein heftiger mit sturmartiger Geschwindigkeit wehender Nordostwind, der seinen Namen wohl von dem classischen Boreas ableitet und im Slavischen zum Weibe geworden ist, meist plötzlich aufspringt und einen beschränkten Verbreitungsbezirk hat, vorzüglich aber deswegen merkwürdig ist, weil er so scharf begrenzt ist, daß auf einer Meile Weges völlige Windstille und heftiger Sturmwind zu finden. Die Bora tritt gewöhnlich nach länger dauerndem Siroccal-Regenwetter und gleich mit Heftigkeit auf.

Die Leser erinnern sich wohl einer auch bei uns zuweilen eintretenden Witterungsänderung, die einen schnellen Wechsel von Regen zu kaltem, schönem Wetter in sich schließt. Es heben sich in solchem Falle die Wolken, die, tief herabhängend, warmen Regen niederrieseln ließen, im Westen; es wird da ein lichter Streifen sichtbar, ein frischer Westwind springt auf, der, in Nordwest übergehend, die Wolkenschichten in Haufenwolken auflockernd, diese vor sich hertreibt, später als Nordwind über den reinen Himmel weht und dann immer schönes Wetter und ein starkes Fallen der Temperatur im Gefolge hat. In solchem Falle tritt am Karst die Bora auf. Hier und da erhebt sich nur schwache Bora und weht kurze Zeit ohne Aufheiterung, gewöhnlich aber setzt die Bora schnell mit ganzer Stärke ein und weht, diese festhaltend und den Himmel aufheiternd, ununterbrochen durch drei Tage.

Die Richtung ist anfangs immer Nord, allmählich Nordost, dann in Ostnordost und zuletzt in Ost übergehend. Der Barometer steigt während des Wehens der Bora und zeigt zuletzt sehr hohen Luftdruck an. Die Luftwärme hingegen sinkt, behält aber fast immer noch ein paar Grade über Null. Die Feuchtigkeit der Luft, die früher meist damit gesättigt ist, nimmt rasch ab, und die Luft, die mit der Bora kommt, ist sehr trocken.

Die Stärke der Bora ist die eines heftigen Sturmwindes; sie weht mit ziemlich gleichbleibender Kraft, nur seltenen Intervallen und stärkeren Stößen; zur Zeit des größten Luftdruckes, acht oder zehn Uhr Morgens, nimmt ihre Heftigkeit zu, und es ist ein Zeichen baldigen Erlöschens, wenn dies nicht der Fall ist; sie weht auch nicht überall gleich. In einigen Schluchten und besonders eigenthümlich configurirten Thälern des Karstes scheint ihre Intensität am stärksten zu sein.

Im Observatorium der nautischen Akademie in Triest wird die Geschwindigkeit des Windes durch eigene Anemometer (Windmesser) gemessen. Nach diesen Beobachtungen betrug die Geschwindigkeit der Bora am 13. Januar 1871 68 Kilometer per Stunde, d. h. die Luft legte an diesem Tage in einer Stunde einen Weg von 68 Kilometer oder 9 geographischen Meilen zurück. Bei der starken Bora am 24. März 1870 war die Geschwindigkeit 73 Kilometer oder nahe 10 Meilen per Stunde. Wenn wir bemerken, daß ein Wind von 10 Kilometer per Stunde Geschwindigkeit schon ein recht bemerkbarer Wind ist, so haben die Leser ungefähr einen Maßstab für diese Geschwindigkeiten. Einige andere Beispiele wollen wir noch folgen lassen, die F. Pfeiffer in einer Broschüre über die Karsteisenbahn angeführt hat.

Die mit Steinen von 10 Pfund auf den Quadratfuß beschwerten Hohlziegel der Dächer werden wie Spreu auf die [827] doppelte und dreifache Entfernung ihrer Vollhöhe getragen, was einen Druck von 10 Pfund per Quadratfuß und eine Geschwindigkeit von 80 Fuß ergiebt. Ein mit 80 Centnern beladener Frachtwagen, der dem Winde 100 Quadratfuß Fläche darbot, wurde mit einer Geschwindigkeit von 8 Fuß per Secunde horizontal fortgetrieben; Fensterscheiben von 18 Zoll im Quadrat wurden vom Winde eingedrückt, woraus ein Druck von 22 Pfund per Quadratfuß berechnet wird.

Im Jahre 1805 wurde eine Abtheilung der aus Italien sich zurückziehenden Armee auf der Strecke gegen Präwald beim Ansteigen der Höhe von heftigem Borasturme überfallen, so daß buchstäblich Roß und Reiter in den Graben und auf nachrückendes Fußvolk geworfen, jede Hoffnung des Weiterkommens aufgegeben wurde und viele Mannschaft zu Grunde ging. Auf der Strecke der alten Laibach-Triester Poststraße zwischen St. Peter in der Poik bis Divazza bei Canzia wurde der von Triest kommende Postwagen einmal von einem heftigen Boraschneesturme, gegen welchen doppelter Vorspann von Pferden nichts mehr vermochte, in den Straßengraben getrieben und umgeworfen; während der Postillon selbst mit Lebensgefahr in das nächste Dorf zu gelangen und Hülfe zu bringen suchte, war der Conducteur, der den Wagen nicht verlassen wollte (Fleischmann hieß der Brave) von den endlich herbeikommenden Bauern ganz in Schnee begraben, fast erfroren gefunden und konnte erst spät wieder zum Leben gebracht werden. Es könnten noch eine Menge Unglücksfälle, durch die Bora verschuldet, angeführt werden. Die Eisenbahn kann während ihres Wehens nur dadurch in Betrieb erhalten werden, daß sie dort, wo sie ihrem Anprall ausgesetzt wäre, durch starke Holzgalerien geschützt ist.

Der Schauplatz ihres stürmenden Laufes ist im Allgemeinen die Nordküste des adriatischen Meeres, zunächst der Karst, Görz, Istrien, der Quarnero, die dalmatinische Küste und das Meer bis in die Breite von Ancona; sie ist an der östlichen Küste viel stärker als an der westlichen, von Triest gegen Venedig abnehmend, am Quarnero und seinen Inseln oft mit Heftigkeit wehend, während sie in Venedig und weiter hinab wenig verspürt wird.

Das Sonderbarste an ihr ist die scharfe Grenze ihres Verbreitungsbezirkes gegen Nord; sie scheint hier eigentlich auf dem Karstplateau von Adelsberg zu entstehen; sie stürmt gerade da bei Planina und stoßweise selbst noch in Loitsch mit größter Heftigkeit, während in Oberlaibach, Laibach und ganz Oberkrain völlige Windstille herrscht. Die Grenzlinie zieht sich von da gegen Westen über die Höhen bis etwas nördlich von Görz zwischen Udine und Palma hin, wo sie an Stärke abnimmt, so daß dieselbe z. B. in Grado schon viel geringer ist als in Triest und gegen Venedig ihren stürmischen Charakter ganz verliert; ebenso gegen Ost.

Wie ist nun aber diese seltsame Erscheinung überhaupt und vorzüglich der sonderbare Umstand zu erklären, daß sie eine so scharfe Begrenzung zeigt, jenseits welcher regelmäßig auf großen Strecken völlige Windstille herrscht, während diesseits der gewaltige Sturmwind braust? Man hat immer den Gegensatz der bei Regenwetter über dem Meere lagernden warmen feuchten Luft zur kalten trockenen, auf den Alpen ruhenden als die Entstehungsursache der Bora angesehen, konnte aber damit weder die Länge der Dauer oder die Menge der abfließenden Luft, noch die scharfe Grenze derselben erklären.

Eine nach unserer Meinung völlig befriedigende und auch allgemein angenommene Erklärung des verwickelten Phänomens hat die Zeitschrift der österreichischen Gesellschaft für Meteorologie geliefert, die wir den Lesern mittheilen, wobei wir jedoch nicht außer Acht zu lassen bitten, daß die Veränderlichkeit des Wetters unserer Breiten durch den Kampf zweier entgegengesetzten Luftströmungen erklärt wird, der warmen Aequatorial- und der kalten Polarströmung. An den heißesten Stellen der Erde, der Tropenzone, steigen die erhitzten, am warmen Meere mit Dunst gesättigten Luftmassen in die Höhe, fließen zu beiden Seiten des Aequators gegen die Pole hinab, werden auf der Wanderung abgekühlt, lassen ihre Feuchtigkeit als Regen oder Schnee fallen und strömen endlich als kalter trockener Polarstrom (Passatwind) wieder gegen den Aequator hin. Durch die Achsendrehung der Erde erhält der vom Aequator kommende Luftstrom eine südwestliche, der polare eine nordöstliche Richtung. Je nach dem Vorherrschen der kalten trockenen Polar- oder der feuchten Südströmung herrscht also bei uns trockene kühle oder warme feuchte Witterung; der stete Kampf beider bedingt eben die Veränderlichkeit unserer Witterung.

Es liegt nun in der Natur der beiden Ströme, daß der Südwestpassat (Aequatorialströmung) als der wärmere, somit leichtere in der Höhe der Atmosphäre, der polare aber als der kalte schwere an der Erdoberfläche hinströmt; es kann auch gar wohl, und dies ist nicht so selten der Fall, an derselben Stelle einer über dem andern hinziehen. Treffen sie also irgendwo ein Gebirg als Hinderniß, so wird der Südwest über dessen Gipfel ziehen, sie erwärmen, während im Thale noch die kalte Luft des Nordpassates ruht. Daher die in vielen Fällen in der Schweiz und regelmäßig in Kärnthen beobachtete Erscheinung, daß vorzüglich im Winter die Höhen viel mildere Temperatur haben, als die am Thalboden liegenden Orte. – Zieht aber der kalte Polarstrom über eine gebirgige Gegend, so wird er durch die Gebirge aufgehalten und gezwungen, über ihre Kämme und Gipfel aufzusteigen, darüber wegzuziehen und nur dort in die Thäler zu dringen, wo niedrige Sättel und lange Thalbildungen ihm dies erleichtern und möglich machen. An solchen günstig gestalteten Passagen wird, wo die Luftmassen durch die nachrückenden und theilweise von der Seite eindringenden hindurch gepreßt werden, der Wind zu starkem Sturm sich steigern. Wo aber das Gebirge zur Ebene sich abdacht, werden die darüber wegströmenden Lustmassen in einer ihrer Geschwindigkeit entsprechenden Entfernung von demselben mit Gewalt zu Boden stürzen. Die Erscheinung gleicht dann ganz im großen Maßstab einem Stauwerke (Wasserwehre), über welches das Wasser mit großer Geschwindigkeit dahinfließt und in parabolischem Bogen zu Boden stürzt. Die freilich mit viel größerer Geschwindigkeit bewegte Flüssigkeit ist hier die kalte Luft, die, eben durch ihre Geschwindigkeit, weit dem Gebirge zu Thale stürzt, hier Sturm erzeugt, während dicht am Fuß der Berge (wie bei dem Wehre) die Luft ganz ruhig bleibt. Es kann somit sehr wohl von den Berggipfeln und in besonders gestalteten Thalbecken stürmen, während in andern, nahe liegenden Windstille herrscht.

Daß dem auch wirklich so sei, haben auch die Beobachtungen dargethan. Gerade in der Nähe des Boragebietes haben wir ein Gebirgsland, das, wie kein anderes, mit zahlreichen und sorgfältig gepflegten Beobachtungsstationen versehen ist, nämlich Kärnthen, das deren noch viel mehr als die Schweiz besitzt. Die dort seit einer langen Reihe von Jahren fortgesetzten Beobachtungen haben gezeigt, daß an Berggipfeln und am Fuße der Pässe der Tauernkette sehr häufig Nordwind mit boraartiger Heftigkeit weht, während sonst im Thale Windstille herrscht. Ein solcher Beobachtungsort befindet sich am Berge Obir, der in der zwischen Kärnthen und Krain gelagerten Gebirgskette der Karavanken und so gelegen ist, daß man von ihm sogar bis in das Gebiet der Bora sehen kann. Nur zweihundertunddreißig Fuß unter dem Gipfel des sechstausendsiebenhunderteinundfünfzig Fuß hohen Berges liegt ein Bleibergwerk und Knappenhaus, wo durch die Grubenvorsteher schon seit 1846 regelmäßige Beobachtungen gemacht und aufgezeichnet werden. Eben so finden sich an den Pässen der Nordalpen solche Stationen, so St. Peter am Fuße des Katschberges, über den die Straße nach Salzburg, Mallnitz und Oberkellach nahe dem Mallnitzertauern, über den ein Saumweg nach Gastein führt. Dort in Oberkärnthen nennt man den zu Zeiten mit Heftigkeit auftretenden Nordwind den Tauernwind, da er von dem Gebirge der Tauern herabkommt.

Die genaue Durchsicht der Beobachtungen der angegebenen Orte hat nun gelehrt, daß nicht nur die mittlere Stärke des Windes an diesen Orten viel größer als an den übrigen, sondern daß fast ohne Ausnahme an den Tagen, wo in Triest die Bora stürmt, an den Berggipfeln, wie Obir, und an den Tauernpässen (St. Peter etc.) stürmischer Nord- oder Nordostwind herrsche, daß das Eintreten der Bora fast genau mit dem des Tauernwindes zusammenfalle und auch die Dauer dieses mit dem Wehen jenes übereinstimme.

Diese beobachteten Thatsachen nöthigen uns anzuerkennen, daß die Bora und der Tauernwind nicht blos locale, durch locale Bedingungen erzeugte Luftströmungen sind, sondern daß [828] sie eine gemeinsame allgemeine Entstehungsursache haben müssen, daß sie nur locale Modificationen einer und derselben Erscheinung sind: die Bora wie der Tauernwind sind eben nur der in den warmen Südwestwind eindringende kalte Polarstrom, durch locale Bodengestalt verstärkt und modificirt.

Die Bora ist demnach das Widerbild der Erscheinung, wie sie der Südwestpassat an manchen geeigneten Stellen der Südalpen in der Schweiz als gefürchteter Föhn hervorbringt.

Wird nun die Bora, wie der Tauernwind, als locale Erscheinung des Nordpassates betrachtet, so können die besonderen Eigenthümlichkeiten dieses Sturmwindes leicht und ungezwungen erklärt werden. Wie dieser dringt sie meist plötzlich und stürmend in den längere Zeit wehenden Südwestpassat (Sciroccalwetter) in rascher Winddrehung von West durch Nord gegen Ost. Das Lichten der Wolken im Nordwest, die allmähliche Aufheiterung, das Steigen des Luftdruckes, das Fallen der Temperatur etc. sind ihr wie dem Nordpassat zukommende Eigenthümlichkeiten, wie auch ihre Dauer und ihr allmähliches Erlöschen nach allgemeiner Aufheiterung des Himmels. Wir brauchen uns auch nicht mehr zu verwundern, daß ein Wind mit solcher Heftigkeit durch mehrere Tage wehen kann, da wir nun wissen, daß nicht blos local vom Gebirge ober den Ebenen Ungarns, sondern weit von Norden die Luftmassen hergeführt werden.

Die größere Heftigkeit, mit welcher die Bora, so wie der Tauernwind an manchen Orten weht, erklärt sich durch die Gebirgsgestaltung; die Luft wird ja am Gebirge gestaut und stürzt gewaltsam in’s Thal, wo sie noch durch Gebirgsflanken oder durch etliche Arme gepreßt und zusammengeengt wird. Dazu kommt noch immer der bei der Bora als wesentlich betonte Gegensatz der starken Erwärmung der über dem Meere lagernden feuchten zur Kälte und Trockenheit der vom Gebirge kommenden Luft. Die eigenthümliche scharfe Grenze von Sturm und Windstille hat eine dem Zuge der Gebirge und der daraus gefolgerten Erklärung vollkommen entsprechende Krümmung; es ist eben die Linie, wo die Luftmassen, ihrer Geschwindigkeit entsprechend, in das Thal gelangen können und dort besonders wuchtig niederstürzen; bei genauer Untersuchung der Gebirgsconfiguration lassen sich sehr wohl die Stellen bezeichnen, wo sie, besonders zusammengepreßt, den Wind verstärken müssen, während sich andererseits leicht erklären läßt, wie die westlicheren Gegenden, durch die Gebirge theilweise geschützt, weniger oder nichts von der Bora spüren und auch diese gegen die östlichen hin allmählich in den gewöhnlichen Nordostpassat übergeht.

Ob und in wie weit die vielfach gemachten Vorschläge diese böse Fee des Karstes zu verjagen oder ihr Wüthen abzuschwächen, wirklichen Erfolg haben können, wird der Leser nach dem Vorausgegangenen selbst zu beurtheilen im Stande sein. Da die Bora keine blos locale Erscheinung ist, sondern dem allgemeinen Windsystem unseres Erdtheils angehört und ihre locale Heftigkeit durch den mächtigen Gebirgswall bedingt wird, der ihr Gebiet im Norden umgiebt, so kann wohl selbstverständlich von Versuchen, sie ganz aus demselben zu vertreiben, nicht die Rede sein und diese können sich einzig nur darauf beschränken, ihre locale Heftigkeit theilweise zu mäßigen. Die Wiederbewaldung des Karstes wird als das dazu dienende Mittel häufig in Vorschlag gebracht. Die jetzt so dürren, wasserlosen Einöden sollen ja einmal die schönsten Forste getragen und daraus die Venetianer ihr Schiffsbauholz bezogen haben, aber dabei freilich zu schonungs- und vorsichtslos vorgegangen und so die Veranlassung der kläglichen Verwüstung dieser Erdstriche gewesen sein. Es ist uns nicht bekannt, ob dies überhaupt urkundlich nachgewiesen oder auch nur untersucht worden ist; einigermaßen zweifelhaft schien es uns aber immer, ob bei der durchweg sehr steilen, häufig senkrechten Stellung der Kalkschichten so viel Feuchtigkeit und Humus sich erhalten und bilden konnte, als zur Bildung eines Waldbodens vorausgesetzt werden muß; doppelt zweifelhaft und schwierig aber ist sicherlich das Unternehmen jetzt, wo der Ansiedlung fruchtbarer Erde auch die Wut unserer Bora so oft und nachhaltig entgegenwirkt. Wenn es aber gelingt, hier wieder Waldbestände dauernd zu erhalten, so werden sie nicht nur die Macht des Sturmes ein wenig mäßigen, jedenfalls Schutz dagegen gewähren, sondern überhaupt die klimatischen Bedingungen günstig modificiren und unter ihrem Schutz mannigfacher Cultur wieder eine bleibende Stätte geben. Dann wird man einmal schauerliche Sagen und Märchen zu erzählen wissen von dem einstigen Wüthen der bösen Fee des Karstes.



  1. Obwohl wir diesem interessanten Gegenstande bereits im Jahre 1865, S. 168 ff. einen Artikel gewidmet, so glauben wir doch angesichts der neuen Ereignisse noch einmal darauf zurückkommen zu dürfen, zumal unser heutiger Artikel die eigenthümliche Naturerscheinung in einer sehr ansprechenden und instructiven Weise schildert. Dem Wiener Blatte „Osten“ berichtet man nämlich aus dem kroatischen Küstenlande: „Seit acht Tagen wüthet hierorts eine ungewöhnlich starke Bora, welche Menschen und beladene Wagen zu Boden schleudert, so daß man sich kaum aus dem Hause wagen darf. Auf dem Meere haben wir beständige Stürme, so daß auch die Dampfer nicht fortkommen können, und so mußte die Localfahrt zwischen Zengg und Fiume seit acht Tagen unterbrochen werden. Wer die Gewalt der Bora selbst nicht an Ort und Stelle kennen gelernt, der kann sich kaum einen Begriff davon machen. In den Häusern, deren Fenster nicht durch andere Gebäude gedeckt und geschützt sind, rumort es gewaltig durch alle Räumlichkeiten und ist man nicht im Stande, Fenster und Thüren so festschließend zu machen, daß die Bora nicht ein etwa im Zimmer angezündetes Licht ausblasen würde. In Folge dessen hat hier in dieser Gegend aller Verkehr aufgehört, so daß die ärmeren Leute, deren es mehr als genug giebt, bald hungern werden.“
    D. Red.