Einsegnungsunterricht 1892/5. Stunde

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
« 4. Stunde Hermann von Bezzel
Einsegnungsunterricht 1892
6. Stunde »
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).
|
Fünfte Stunde. Mittwoch früh.

 O HErr JEsu Christe, der Du den Deinen verheißen hast, daß, was Du anfängst, Du auch um Deines Namens willen wirst zum guten Ende führen, da Du Selbst bist Anfang und Ende, Vollender und Vollführer des Glaubens, wir bitten Dich von Herzen, siehe herab auf alles das, was in Deinem Namen begonnen wird. Laß es in Deinem Namen auch fortgeführt werden, und laß all unser Leben des Glaubens sich dermaleinst verklären in Schauen. Ja, HErr Christe, erbarme Dich unser! O JEsu, gieb uns Frieden! Amen.

 Vers 6: „Ich habe Deinen Namen geoffenbart den Menschen, die Du Mir von der Welt gegeben hast. Sie waren Dein und Du hast sie Mir gegeben, und sie haben Dein Wort behalten.“ Sie haben Dein Wort bewahrt! Herrlichstes Zeugnis, das JEsus einem Menschen ausstellen kann. Daß Er das auch uns ausstelle, ist unser| Gebet. Was aber heißt: „Sein Wort bewahren?“ Es gehört zur Bewahrung Seines Wortes eine bestimmte Uebung, (Askese.) Das deutsche Wort fasten und das griechische Wort Askese haben Einen Begriff. Fasten heißt nichts anderes als bewahren, befestigen. Dazu ist eigentlich ein Objekt nötig: Irgend etwas fasten, befestigen. Damit ist uns die Lehre gegeben, wie allein wir Sein Wort bewahren: In der geistigen Nüchternheit. (Sophrosyne.) Dies Wort ist ein vieldeutiges. Es ist unendlich schwer, dasselbe deutsch nur annähernd richtig wiederzugeben. Der Name Sophronem bedeutet zunächst das gesunde Denken, die Nüchternheit des Denkens, das Fasten, festmachen der Begriffe, was nicht ohne einen gewissen Kampfesprozeß vor sich gehen kann. Sie haben Dein Wort bewahret in einer gesund sich beschränkenden Weise. „Dein Wort ist die rechte Lehre, Heiligkeit ist die Zierde Deines Hauses ewiglich.“ Darum wollen wir Sein Wort bewahren, uns recht zu demselben stellen. Wir stellen uns aber recht zu demselben, wenn wir es einfach und nüchtern fassen. „Einfachheit ist das Zeichen der Wahrhaftigkeit,“ haben die alten Heiden gesagt. Als das ewige Wort der Offenbarung erscholl mitten in ein offenbarungsarmes Geschlecht hinein, da erschien es ganz einfach. Es giebt nur eine einzige Richtung des göttlichen Wortes, und diese heißt: Heil, Gesundheit. Ich bin an sich kein großer Verehrer aller Umschreibung des biblischen Wortes, kein Freund aller sogenannten geistreichen Predigten, aller Predigten, die nach Effekt haschen und damit Sein Wort in die Tiefen unserer sündigen Phantasie ziehen. Ich warne Sie treulich vor all jenen „Bildern aus der heil. Schrift.“ die mehr oder minder ungesund sind, vor einem Ausschmücken der heil. Schrift. Es giebt gewisse Bibelerklärungen, welche, wie Claudius sagt, wohl an den Wolken kräuseln, aber der Mond dahinter hat gute Ruhe. Es giebt allerlei Aufklärungen über Stellen der heil. Schrift. „Ich habe Dein Wort in meinem Herzen“ – das genügt. Es gilt, das Wort in Seiner heilmäßigen Einfachheit wirken zu lassen, ganz subjektiv auf unsere Fälle anzuwenden. Das Ideal ist: „Ein Bibelchrist werden.“ „Daß die Schrift erfüllet würde.“ – welch ein Respekt des| fleischgewordenen Wortes gegenüber dem Schriftworte! „Ich habe Dein Wort bewahret!“ Diesen Gesamtrespekt vor der hl. Schrift in ihrer Universalität müssen Sie sich wahren. Es wird eine Zeit kommen, wo man das Wort wieder meistert und es teuer werden wird im Lande. Man hat es zu lange gut gehabt. Amos 8, 11: „Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HErr, HErr, daß ich einen Hunger ins Land schicken werde, nicht einen Hunger nach Brot, oder Durst nach Wasser, sondern nach dem Wort des HErrn zu hören.“ Diese Zeit kommt. Sie an Ihrem Teil, in Ihrer bescheidenen Sphäre, in dem Berufskreis, in den Sie der HErr gestellt hat, speziell Sie, denen Kinder anvertraut sind, haben die Aufgabe, mit allen Kräften die Ehrfurcht vor dem Worte GOttes zu erhalten, das allein Rettung in schweren Zeiten giebt. Diese Ehrfurcht muß gesund und nüchtern sein, nur kein Enthusiasmus dem Worte GOttes gegenüber. Diese Schwärmer fallen dahin, „eine zeitlang glauben sie, und zur Zeit der Anfechtung fallen sie ab.“ Wir müssen das Wort GOttes nicht als etwas außer uns, sondern als etwas in uns Ruhendes, in unser Leben hinein Gewirktes ansehen. Je mehr wir uns dann in die göttlichen Wahrheiten vertiefen, desto mehr werden wir inne werden, daß die Schrift allein die Gewalt hat, den Abgrund zu schließen, der sich immer mehr öffnet, daß sie allein imstande ist, ein durch Scheingüter betrogenes Geschlecht zu retten. Haben Sie Mitleid mit Ihrem Volk, mit Ihrer Kirche: Mich jammert des Volks, daß sie sollen ungegessen von dannen gehen.“

„Dein Wort sei meine Speise,
Bis ich gen Himmel reise.“

 Nehmen Sie diese Speise und brauchen Sie dieselbe auch für andere.

 Lassen Sie mich noch einen Augenblick auf die Askese im allgemeinen eingehen: Bewahrung des Worts in der richtigen Mäßigkeit, Nüchternheit, heilmäßigen Gestalt. „Fasten und leiblich sich bereiten, ist wohl eine feine, äußerliche Zucht,“ aber eine Zucht, die man nicht verwerfen soll, die für eine ganz bestimmte, schlimme Mischung unseres Lebens heilsam ist. Es giebt ein| Fasten in verschiedener Weise. Lassen Sie uns mit dem Somatischen beginnen, – ich will deutsch reden: Es giebt Leute, die bestimmte Lieblingsgerichte haben, bei deren Genuß sie nicht das Maß halten können, das sie halten sollten. Dergleichen wünscht der Heilige Geist nicht. Wer da weiß, daß sein Leib ein Tempel des Heil. Geistes ist, der sollte gerade das, was ihm am meisten mundet, sich abziehen. Wird die Askese nicht geübt, so wird der Leib, der beherrscht werden soll, das Beherrschende. Der Mensch verliert sich an den gewöhnlichsten, ganz gemeinen Genuß.

 Musik ist und bleibt eine Himmelsgabe, aber sie kann auch eine Gabe werden, die zur Hölle führt, wenn sie in Tönen schwelgt, wenn sie von der Pflicht abzieht. Wenn Sie die herrlichste Fuge eines Bach genießen, und Ihre Pflicht leidet darunter, so ist dieser Genuß Sünde für Sie. Und wenn Sie beten, und über diesem Gebet Ihre Pflicht vernachlässigen, so ist Ihnen dies Gebet ein Fluch. Wenn Sie sich in betende Kontemplationen versenken und dabei Ihrer Kinder nicht warten, Ihrer Kranken nicht pflegen, so ist dieses Gebet eine Arroganz. Man dünkt sich zu gut für solch ärmliche Geschäfte. Denken Sie an das Wort Löhes: „Die Füße im Staube der Erde, das Haupt im Sonnenlichte der Anbetung.“

 Andere Fragen sind z. B. diese: Dürfen wir Einladungen annehmen, Kirchenkonzerte besuchen? Geringe Fragen unsern hohen Aufgaben gegenüber! Sind Sie gereifte Christen, so gehen Sie nicht hin, und sind Sie ungereifte Christen, dann haben Sie nicht hinzugehen. Sind Sie gereift, so wird es Sie anwidern, die heiligen Geheimnisse „Ich weiß, daß mein Erlöser lebt ff.“ von einer beliebigen Bühnengröße gesungen zu hören. Es wird Sie anwidern, daß diese Chöre von Leuten gesungen werden, die nur bei dieser Gelegenheit in der Kirche erscheinen. „Du Gottesmensch, fleuch solches.“ Und sind Sie nicht gereift, dann haben Sie erst recht nicht hinzugehen, weil Sie nicht klar genug sehen, was Kunstgenuß und was Anbetung ist. ER aber in Seinem schwersten Leiden und Wirken auf Erden will nicht das Objekt des Kunstgenusses werden, ER will Anbetung.| Ich würde es weit ruhiger ansehen, wenn eine Diakonisse in ein weltliches Konzert ginge. Ich würde nicht gerade sehr erbaut davon sein, aber ein gutes Volkslied ist mir weit lieber als ein Choral von ungeweihten Lippen. – Einladungen? Sie wissen, was aus diesen Einladungen meistens erwächst: Entfremdung dem Mutterhause, falsche Stellung zu den Lokal-Vorständen, innere Unklarheit. Ich wüßte auch in der That nicht, was Schwestern von solchen Einladungen hätten. Wird GOttes Wort getrieben, dann ja; wird aber ein höherer Klatsch getrieben, für den GOttes Wort nur als Vorwand dienen soll, dann meiden Sie solches. Ich bin zu sehr Mensch, um nicht zu begreifen, daß dergleichen Artigkeiten den Schwestern wohl thut, aber ich möchte dennoch raten: Setzen Sie sich dieser Gefahr nicht aus. Sobald diese Einladungen zu einem Vorwande der Übertretung des 8. Gebotes werden, so müssen Sie nicht allein als Diakonissen, sondern als Christinnen dagegen sein.

 Daß wir keiner klösterlichen Askese das Wort reden, versteht sich von selbst. GOtt allein weiß es, wieviel edle Naturanlagen in Klöstern durch verkehrte Askese ganz schändlich zu Grunde gerichtet und nutzlos vergraben sind. Alles sei unser! Was für Gaben auch Ihnen der HErr geschenkt hat, es ist der HErr: Musik, Kunst etc. – Brauchen Sie dieselben, aber mit dem Vorbehalt: „Allein GOtt in der Höh sei Ehr.“ Man hat bei der klösterlichen Askese vergessen, daß Er der GOtt aller Gabe, der Vater aller Lichter ist. Das ist das Korrektiv einer wahnwitzigen Askese: Gesunde Askese und NB. das Herz darf Ihnen nicht schwer dabei werden; denn wenn Ihnen das Herz schwer dabei wird und Sie glauben, irgendwelche Vorzüge daraus ableiten zu können, dann gehen Sie lieber hin, wo Sie wollen. Keine kranke, sondern gesunde Askese sollen Sie pflegen, ohne geistlichen Hochmut, ohne Parallelen zu ziehen, bei denen Sie sich Ihrer Vorzüge bewußt werden.

 Sie kommen an andere Orte, wo auch katholische Schwestern stationiert sind. Man ist noch in dem süßen Wahn, als ob wir viel gemeinsame Punkte mit der katholischen Kirche hätten, und man pflegt diesen Wahn. –| Begegnen Sie diesen Schwestern irgendwo, so begegnen Sie ihnen im Frieden, in neidloser Anerkennung; aber glauben Sie ja nicht, daß gewisse freundliche Worte schon Anbahnung der unitas ecclesiae wären. Man macht sich zum Gespött mit solcher Fraternität. Danken Sie dem HErrn, wenn Er ein friedliches Zusammengehen giebt, aber glauben Sie doch nicht, daß Er Sie als Werkzeuge zu einer Vereinigung beider Kirchen gebrauchen wolle.
.
 Die Schwesterlichkeit zu den Schwestern gleicher Konfession: Der Christ muß exklusiv sein können im rechten Sinn des Worts. Wo Geschichte ist, – und Ihr Mutterhaus hat seine Geschichte, da bewahre jeder das Seine. Andere Mutterhäuser haben auch eine Geschichte, da bleibe jeder auf dem Seinen. Austausch der Erfahrungen wird schlimm, sobald er sich auf gewisse Gebiete des Mutterhauses bezieht. Gegenüber dem Uebermaß der Vertrauensseligkeit muß ich der Exklusivität das Wort reden. Wir haben nicht das Recht, unsere eigentümlichen Gedanken zu nivellieren, zu verflachen: das geschieht aber durch Aussprechen, zu dem Sie nicht befähigt sind. „Ist es möglich, so viel an Euch ist, so habt mit allen Menschen Frieden,“ und wo es nicht in Ihrer Macht ist, da lassen Sie den Frieden sein. „Eine jede komme der andern mit Ehrerbietung zuvor.“ Ist’s nicht so, daß Schwestern anderer Häuser mehr von den Klagen unserer Schwestern wissen, als das Mutterhaus selbst? Das ist Verrat am Mutterhaus. Hieher hat Sie der HErr gewiesen, hier liegen die Wurzeln Ihrer Kraft, Sie verdanken dem Mutterhaus, daß es Sie bewahrt, zum HErrn führt. Sie sind Ihrem Mutterhause Liebe schuldig. Die Triebfeder aller Askese sei die Selbstzucht, diese Heil und Gesundheit bringende Lehre. Das heißt: „Sein Wort bewahren.“ Der HErr will auch nicht, daß wir ohne Anerkennung durchs Leben gehen. Er schenkt den Seinen je und je Anerkennung. Es klingt sehr fromm, daß man keine Anerkennung verlangt. Es ist ja richtig, Anerkennungsbedürftigkeit ist ein Zeichen von Schwäche, und doch bedarf der Mensch der Anerkennung, um nicht zu erlahmen, und der Anfänger erst recht: „Solchen Glauben| habe ich in Israel nicht gefunden,“ spricht der HErr im Beisein des Hauptmanns, „Sie haben Dein Wort bewahret,“ in Anwesenheit Seiner Jünger. Es giebt eine Demut, die nur feiner Hochmut ist, die nur von Mißerfolg redet, von der unwertesten Magd spricht, – man muß nicht so sehr mit seiner Armut ein Gepränge machen und sie nicht vor jedermann hinbreiten. O nein, wenn mir der HErr etwas gelingen läßt, so freue ich mich von ganzem Herzen, und wenn Ihnen der HErr etwas gelingen läßt, so danken Sie Ihm dafür. ER erkennt Sie an, indem er Ihnen vielleicht ein Kindesherz aufthut, das Ihnen jahrelang verschlossen war. Er giebt wirklich nicht mehr Anerkennung, als Sie vertragen können, Er sorgt dafür, daß sie Ihnen nicht zu schwer wird. Der HErr erkennt uns an mit feinen Zügen. Er will, daß unser Lebensweg nicht bloß durch Dornen gehe, Er will, daß auch Blumen auf ihm erblühen. Die Erde, über die Sein heiliger Fuß geschritten, ist nicht bloß ein Jammerthal, die Erde, aus der ER entsprossen, ist auch eine hochbegnadete.

 Wir wollen keine weltflüchtige, sondern eine weltmächtige Schar von Jüngerinnen JEsu Christi. Durch Weltflucht verliert man jeden Maßstab der Welt gegenüber und ist untauglich für seinen Beruf. „Sie haben Dein Wort bewahret.“ Diese Anerkennung schenke Ihnen der HErr.

 Als Bengel gestorben war, hat sein Biograph Oettinger das schöne Wort gesagt: „Der HErr kennt alle die Seinigen, Seine Heiligen aber rangiert (ordnet) Er, und nicht wir.“

 Mitten in einem unehrerbietigen Geschlecht in heiliger Ehrerbietung gegen Sein Wort, mitten in einem selbstsüchtigen Geschlecht die Selbstzucht, mitten in einem weltförmigen Christentum die Unweltlichkeit, das alles muß hervorgehen aus dem: „Wir wollen Dein Wort bewahren.“ Ja, „Dein Wort ist die rechte Lehre, Heiligkeit ist die Zierde Deines Hauses ewiglich,“ so sei auch Heiligkeit die Zierde Deiner Hausgenossen. Amen.

 O HErr JEsu Christe, heiliger HErr und ewiger Erbarmer, der Du uns das Köstlichste, Dein Wort, gegeben| hast, daß wir es rein und lauter bewahren: verleihe uns die Gnade, daß wir im täglichen Kampf mit der Sünde und bei allen Lockungen der Welt Dir treu bleiben, auf daß wir dermaleinst, allem Leid der Sünde und allem Streit der Welt entnommen, bei Dir zu ewigem Frieden gelangen, den Du auch uns teuer erkauft hast. Ja HErr, bleibe Du uns treu, sei Du uns nicht schrecklich zur Zeit der Not, sondern sende uns Hilfe aus Deinem Heiligtum. Amen.

 Das kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehöret hat, und in keines Menschen Herz gekommen ist, das hat GOtt bereitet denen, die Ihn lieben.



« 4. Stunde Hermann von Bezzel
Einsegnungsunterricht 1892
6. Stunde »
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).