Eisstatuen und Pechmasken

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Autor: V.
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Titel: Eisstatuen und Pechmasken
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aus: Die Gartenlaube, Heft 34, S. 542–543
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Eisstatuen und Pechmasken.
Ein Sittenbild aus dem alten Rußland.

Es gab früher in Rußland zwei Arten, überflüssige Menschen vom Leben zum Tode zu bringen, die an und für sich so originell, national und echt kalmückisch sind, daß sie immerhin unter andern Denkwürdigkeiten eine kleine Stelle verdienen. Beide mögen vielleicht schon von russischen Schriftstellern zu romantischen Effecten benutzt worden sein, aber eine historische Untersuchung über dieselben dürfte für Deutschland wenigstens noch nicht existiren. Ich bin nun viel zu unwissend und „étourdi“, um eine ernste geschichtliche Abhandlung zu schreiben, aber was ich gelegentlich über die beiden Todesarten erfahren habe, will ich hier erzählen. Von den Eisstatuen hörte ich zum ersten Male in Perojaslaw. Ich stand mit einem russischen Militärbeamten am geschlossenen Fenster und wir schauten plaudernd durch die von der Kaminwärme zerfließenden Eisblumen hindurch auf die schneebedeckten Wirthschaftsgebäude und Stallungen des Verpflegungsmagazins hinaus. Die Luft und der Nebel draußen gefroren zu feinen Nadeln, die spitzig gegen die Scheiben raschelten.

„Sehen Sie dort den Baum an,“ sagte ich, „er hat eine förmliche Eiskruste; man sieht gar nichts von einer Rinde. Alles ist Diamant. Alles glänzt und glitzert, er ist dick überzogen und versteinert. Wissen Sie, daß es bei einer solchen Eisluft, wie heute, wo der Hauch im Fluge zu festen Eiszapfen friert, nicht schwer sein müßte, ganze Häuser mit einer solchen Diamantkruste zu überziehen?“ fuhr ich in meinem launenhaften Gedankengange fort. „Man braucht nur immer neues Wasser über das Dach zu schütten, welches jedenfalls im fließen schon frieren würde, und so …“

„O ja, nur ist die Idee leider nicht mehr neu. Man hat hier zu Lande schon aus Allem Eisbilder gemacht. Aus wirklichen Bäumen, Häusern und Menschen.“

Ich lachte. „Aus wirklichen Menschen?“

Pan Ignazy Wladimirowitsch Repin schaute mich mit seinen ruhigen grauen Augen an. „Freilich, aus wirklichen Menschen. Wo bliebe denn sonst der Witz?“

Das war kein Scherz mehr. Ich fragte und erhielt Bescheid.

„In den barbarischen Zeiten der früheren Jahrhunderte hat mancher Herr seinen Sclaven, der eben eine Strafe verdiente, zu seinem Ergötzen oder zur Ueberraschung seiner Gäste auf diese Weise gemordet.“

„So grausam gemordet? Es ist nicht möglich!“ sagte ich, indem ich fröstelnd vom Fenster zurücktrat und mich an’s warme Feuer flüchtete.

„Und doch ist’s so.“

„Wie ging das zu?“

„Sie wollen es hören?“ lächelte Wladimirowitsch mit seinen entsetzlich dicken, echt kaukasischen Lippen. „Sie haben Vergnügen an solchen Geschichten? Ich dachte, Sie hätten ein weiches Herz.“

„O ja, wir Enthusiasten haben alle weiche Herzen. Aber ich höre doch für mein Leben gern Etwas, wobei es Einen gruselt. Je schrecklicher, desto besser.“

„Ja, Dichtungen.“

„Nein, nein, Wirklichkeit.“

„Nun, mein lieber Herr mit dem weichen Herzen, mit Wirklichkeiten können wir Ihnen hier in Rußland dienen, daß Ihnen die Haare zu Berge stehen. Also Sie wollen wissen, wie das zuging. Sie konnten sich an keinen Besseren wenden. Ich habe die Beschreibung noch aus dem Munde meines Großvaters; der hat selber noch einer solchen Execution beigewohnt. Die grauen Zeiten des Mittelalters sind bei uns erst ein hundert Jährchen vorüber. Also, man stellte den zu bestrafenden Leibeigenen mitten in den Hof (es mußte natürlich ein Tag sein, wie dieser, wo die Vögel in der Luft und die Luft selber erfroren) und band ihn an einen Pfahl. Dann goß man einen Kübel Wasser über ihn aus. Der ganze Mensch fing sogleich an zu rauchen, wie ein Schlot. Aber schreien konnte er nicht. Die übergroße plötzliche Kälte preßt den Magen und die Kehle zusammen und erstickt den Schrei. Dann kam der zweite Kübel, dessen Wasser schon hängen blieb und in trägen, dicker werdenden Tropfen über den Körper kroch. Beim dritten Xübel klebten bereits die Augenlider und die Lippen zusammen und alle Glieder waren mit einer dünnen Eiskruste überdeckt. Nun ein Kübel nach dem andern, damit man die häßlichen Züge nicht mehr sehe, bis nur noch ein unförmlicher, abscheulicher, glitzernder, weißdurchsichtiger Klotz übrig war, über dem die Nacht nicht schnell genug hereinbrechen konnte.“

Der Leser, der in der traulichen sommerlichen Gartenlaube diese Schilderung liest, während bunte Schmetterlinge über das Haidekraut flattern und die brennenden Blumen um ihn herum duften, nicht wahr, er schauert trotz seiner Behaglichkeit mit mir und fragt sich, ob es möglich ist, daß es Menschen (Menschen!) gab, die so grausame Strafen ersannen und so grauenhafte Scherze trieben? Aber ich holte mir in den Büchern des Ignazy Wladimirowitsch Gewißheit. Ich rede hier nicht von Romanen oder Sagen, sondern von historisch beglaubigten Begebenheiten, die in ehrwürdigen schweinsledernen Chroniken stehen. So war nach Karamsin im Jahre 1666 der Bauer Kantemirù aus der Ukraine auf diese Art dafür bestraft worden, daß er vom Czaren übel sprach. Im Jahre 1770 wurde ein Edelmann von der Kaiserin Katharina zu einer Geldstrafe verurtheilt und auf Lebenszeit vom Hofe verbannt, weil er einen seiner Leibeigenen mit „kaltem Wasser überschütten ließ, bis er erfroren war“. Die Sache war dadurch herausgekommen, daß der damalige Günstling Lanskoi auf dem Wege nach Nowgorod sich nach dem unheimlichen Klumpen erkundigte, den man auf die Straße geworfen hatte. In den [543] letzten Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde noch ein Hausdieb auf dem Gute Starobjelsk in der Ukraine auf diese Art vom Leben zum Tode gebracht, wie der Chronist Nikititsch Murawiew erzählt. –

Wir kommen nun zu einer andern sarmatischen Art des Sterbens.

Es war ein unfreundlicher, finsterer Herbstabend, als ich in der Rumpelkammer eines Landhauses in Weißrußland zwischen vermoderten Scharteken, mottenzerfressenen Portraits, rostigen Schwertern und zerfaserten Lederwämmsern herumkramte. Der allerälteste Kram des Hauses war da aufgethürmt unter einer dichten Lage von Staub und Spinnweben. Der Vater des jetzigen Besitzers hatte augenscheinlich den schüchternen Versuch gemacht, ein Familien-Antiquarium anzulegen, aber es war beim Versuche geblieben und die letzten Trümmer dieses Versuches kollerten den Mäusen zum Spielzeug in zersprungenen und zerklüfteten Kisten umher.

Ich wendete schon seit einer Viertelstunde einen unenträthselbaren Gegenstand zwischen den Händen bin und her und wurde doch nicht klug daraus. Es war ein schwarzes, hartes unförmliches ausgehöhltes Ding. Endlich nahm ich es entschlossen unter den Arm und ging auf die Thür zu, um Herrn Wassylkoff in seinem Billardzimmer aufzusuchen und ihn über diese hieroglyphische Familienreliquie zu examiniren. Denn neugierig bin ich wie eine Elster. Ehe ich aber noch die Thür erreichte, stolperte ich über den Bedienten, den ich zu meinem Cicerone ernannt hatte, der aber in einem Winkel der Rumpelkammer eingenickt war. Der Alte war eine echte Hauseule. Er wußte jeden Stein des Hauses zu legitimiren, er war ja da geboren worden. Und er erbot sich, mir jede erforderliche Auskunft zu geben über das schwarze Ding, welches nichts anderes war als eine Pechlarve.

„Pechlarve, zu welchem Zwecke?“ Und ich wollte sie probiren. „Da erstickt man ja darunter?“

„Das soll man eben.“

„Wie so, das soll man? Unsinn!“

„Jawohl. Die Pechlarve drückt man den Personen über’s Gesicht, die man ersticken will.“

„Die man … Davon habe ich ja mein Lebtage nichts gehört. Und am Ende ist unter dieser Maske schon jemand ..?“

Der Alte schaute sich bedächtig um. „Das will ich meinen. Das ist eine Reliquie. Der Großonkel des gnädigen Herrn ist damit von seinem Bruder erstickt worden.“

Rußland ist ein seltsames Land. Man tritt da mit jedem Schritte, den man in die Vergangenheit thut, in eine Blutlache. Ich drehte das unheimliche schwarze Ding noch zwei Secunden hin und her und legte es dann zart, aber eilig in die Kiste zurück. Unter dieser dunklen Masse war ein Todesschrei erstickt worden, Todesschaum hatte an der inneren hohlen Seite geklebt! Ich wischte mir die Hände an meinem Rocke ab, daß sie brannten, obwohl sie nicht beschmutzt waren. Und der alte Jordaki erzählte mir in seiner naiven Weise: „Wenn man Jemanden ermorden will, wartet man, bis er schläft. Dann drückt man ihm die Larve über’s Gesicht, aber sie muß frisch sein, damit sie überall anklebt und nicht etwa durch krampfhafte Gegenwehr entfernt werden kann. Es giebt da nur ein Zucken und höchstens einen dumpfen Seufzer, ehe der Mund verpicht ist. Man braucht kein Schreien zu fürchten, und es bleibt keine Spur.“

Der alte Jordaki beschrieb dies mit dem Gleichmuthe eines ausgelernten Gurgelabschneiders, und ich bin überzeugt, der gute Alte hat in seinem Leben keiner Fliege einen Flügel geknickt.

Abends fragte ich Herrn Wassylkoff über die Pechlarven, von denen ich früher nie Etwas gehört hatte. Er bestätigte mir, daß diese Art des Mordens zwar selten, aber schon dagewesen sei. Vor einigen Jahren noch sei in Jassy ein interessanter Rechtsfall dieser Art vorgekommen. Ein halbruinirter Handelsherr hatte seine reiche Mündel, deren einziger Verwandter er war, mit einer Pechlarve erstickt, um sie zu beerben. Die Sache war durch einen mitschuldigen Knecht an’s Licht gekommen, welcher mit seinem Blutlohne nicht zufrieden war und seinen Herrn durch die unverschämtesten Forderungen zur Verzweiflung getrieben hatte. „Aber wie kommen Sie eben heute auf die Pechlarven?“ fragte mich Wassylkoff zuletzt. „Sie haben gewiß beim Herumkramen die alte Maske unten entdeckt. Nicht?“

„Jawohl.“

„Ja, die ist merkwürdig genug. Durch sie ist dieses Gut auf meinen Zweig der Familie übergegangen,“ sagte Herr Wassylkoff, indem er den Rauch seiner Cigarre behaglich in die Luft blies.

V.