Englische Kaffeeschenken

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: August Lammers
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Englische Kaffeeschenken
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 17, S. 279-280
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Siehe auch In der Volks-Kaffeeschenke, 1883
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[279]

Englische Kaffeeschenken.

Eine Waffe im Kampfe für die Mäßigkeitsbestrebungen.

So alt die Mäßigkeitsbewegung in England ist, hat sie ihre wichtigste Entdeckung doch erst vor wenigen Jahren gemacht und demnach auch jetzt erst ihr wirksamstes Kampfmittel im Kriege gegen die Unmäßigkeit in Anwendung gebracht. Die neue Entdeckung ist aber die, daß von Haus aus nicht Bier oder Branntwein den Arbeiter in die Schenke lockt, sondern umgekehrt, daß die Schenke ihn an den Genuß von Spirituosen gewöhnt; das hiergegen alsbald angewendete Mittel sind nun Schenken, in welchen weder Branntwein noch Bier, sondern nur Kaffee, Cacao oder Thee und im Sommer kohlensaure Getränke zu haben sind. Der Schnapsschenke tritt die Kaffeeschenke gegenüber und ringt mit ihr um die Herrschaft über die, welche der Schenke nicht entbehren können.

Ich höre fragen: „Warum bleibt der Arbeiter aber nicht zu Hause bei Frau und Kindern?“

[280] „Selbst wenn seine Wohnung behaglich ist,“ antwortet hierauf eine englische Agitationsschrift, „– und nur zu häufig ist ja das Gegentheil der Fall – kann der Arbeiter doch nicht seine ganze Mußezeit in ihr verbringen. Sie besteht vielleicht aus einem einzigen kleinen Zimmer, in welchem er kaum die Beine recht auszustrecken vermag und in dem alle häuslichen Geschäfte vor sich gehen. Lesen ermüdet ihn rasch, auch wenn er es gelernt hat, und andere Beschäftigungen bieten sich ihm daheim nicht dar. Nach einem kleinen Gespräche mit der Frau und einem Spielchen mit den Kindern sucht er daher die Gesellschaft seiner Cameraden auf. Mit ihnen läßt sich über Dinge sprechen, welche ihn angehen und interessiren. Wo aber sind diese zu finden? Im Wirthshause.“

Ohne Zweifel übt auch das Getränk, welches dort genossen wird, eine gewisse Anziehungskraft aus. Es wird sogar leider immer anziehender, immer unwiderstehlicher, je häufiger man es genießt, aber der Hauptmagnet ist es im Anfang durchaus nicht. Diesen bildet für den Arbeiter eben das Zusammentreffen mit Seinesgleichen.

Man muß also Wirthshäuser aufthun, wo der gewöhnliche Mann seine Freunde treffen, mit ihnen schwatzen und rauchen kann, wo sich die Spiele vorfinden, mit denen er vertraut ist, und wo statt der so leicht zum Uebermaß verführenden und dann so verderblichen Spirituosen jene ebenfalls anregenden, heiter stimmenden Gaben der tropischen Sonne ausgeschenkt werden, die weder berauschen noch den Menschen verhängnißvoll herunterbringen. So stellt man seinem freien Entschlusse die Wahl zwischen Nüchternheit und Behagen zur einen Hand, Ausschweifung und Elend zur andern.

Wieviel in diesem Gedanken steckt, hat Großbritannien in den letzten sechs Jahren erfahren. Bis 1876 gab es nur vereinzelte, wenig bekannte Anfänge zu seiner Verwirklichung. Zwischen dem 1. Mai 1876 und dem 17. Juni 1879 aber wurden 156 Actiengesellschaften zur Errichtung von Kaffeeschenken in England und Wales in’s Handelsregister eingetragen, dazu eine auf der Insel Man und eine auf der Insel Jersey. Schottland und Irland wurden dann ebenfalls in die Bewegung hineingezogen, die nun bereits das Meer überschritten und Ausläufer nach Canada und Australien, den Niederlanden, der Schweiz und Schweden und auch nach zwei deutschen Städten entsendet hat.

In den heimischen wie auswärtigen Fortgang dieser Mäßigkeitsbewegung griff es kräftig befördernd ein, daß am 21. Juni 1877 unter dem Vorsitz des Herzogs von Westminster eine eigene Gesellschaft zum Betriebe der Gründung von Kaffeeschenken in’s Leben gerufen wurde, die seit dem November desselben Jahres auch ein besonderes Monatsblatt herausgiebt. Man schätzt jetzt die Zahl der Kaffeeschenken im Lande auf 3000, in London auf 300, in Liverpool auf 50. Für die kurze bisher verstrichene Zeit ist dies bei einer ganz auf freiwillige Annahme hinauslaufenden Bewegung geradezu beispiellos.

Es wäre aber auch sicher nicht entfernt an solchen Erfolg zu denken gewesen, hätte man die neuen Schenken dem ihrer bedürfenden Volke gewissermaßen schenken wollen. Das Geld, obgleich es in dem reichen, wohlthätigen England für philanthropische Zwecke leichter und massenhafter zusammenzubringen ist als anderswo, würde schon wegen der Vielgestaltigkeit der sich ihm aufdrängenden oder einschmeichelnden Verwendungen selbst in viel längerer Zeit zur Begründung dieser Zahl von Kaffeeschenken nicht hingereicht haben. Aber die Urheber der Reform wendeten sich vielmehr an all das Capital, welches für gute, sichere Zinsanlage zu haben ist. Sie machten ihre Kaffeehäuser einträglich und verschafften ihnen dadurch eine Vervielfältigungsfähigkeit, die, praktisch betrachtet, in’s Unendliche geht.

Nach einer Uebersicht der im vorigen Jahre bekannt gemachten Geschäftsergebnisse von siebenunddreißig Kaffeehaus-Actiengesellschaften gaben nur sieben keine Dividende, während der Durchschnitt der von den übrigen dreißig Gesellschaften gezahlten Dividenden 8 ⅓ Procent betrug. Was kann der Capitalist heutzutage, wo die Geschäftsgewinnste im Allgemeinen stetig abnehmen, mehr wünschen?

Nicht alle Gesellschaften zwar floriren. Von den in London arbeitenden scheint im vorigen Jahre nur eine einzige an ihre Actionäre Gewinn vertheilt zu haben. Ueberhaupt breitet sich in dieser Riesenstadt die Kaffeehaus-Unternehmung zwar immer mehr aus, aber ohne so gesund zu gedeihen wie in den nächstgroßen Städten Englands, Liverpool, Birmingham, Leeds, Bradford etc. Einige schlecht begründete oder schlecht geleitete Gesellschaften sind bald wieder eingegangen. Zahlreiche Kaffeeschenken befinden sich auch in Privateigenthum, und das sind nicht die mindest blühenden, zumal wenn der Inhaber sammt seiner Familie selbst die Gäste bedient.

Besonders wichtig ist die neue Einrichtung für die zahlreichen Dockarbeiter Liverpools geworden. Längs der sieben englischen Meilen, in denen sich die Docks am Merseyflusse erstrecken, sind 15,000 Arbeiter täglich beschäftigt, deren leibliche Erquickung früher mehr als 100 Schnapskneipen sich angelegen sein ließen. Bei der großen Entfernung von Hause pflegt der Dockarbeiter seine Hauptmahlzeit morgens gleich fertig mitzubringen. Er kann dazu nun, wenn er will, Kaffee oder Cacao statt Schnaps oder Bier trinken, und wie der Correspondent eines zu Toronto in Canada erscheinenden Blattes versichert, der am letzten 4. August die Liverpooler Docks besuchte, kommen jetzt Zehn auf Einen, die Jenes vorziehen. In allen Kaffeeschenken der Gesellschaft sind an einem bestimmten Tage nicht weniger als 35,000 Gäste gezählt worden, und ihre Einnahmen beliefen sich im Jahre 1880 auf 1,240,000 Mark.

Die Dockarbeiter Liverpools haben offenbar rasch herausgefunden, was eine andere Gattung schwer und anhaltend beschäftigter Leute schon vor ihnen wußte: daß die kraftvermehrende augenblickliche Wirkung des Branntweins kurz dauert und sich durch verdoppelt nachfolgende Müdigkeit rächt, während Kaffee anspornt, ohne so nachtheilige Folgen der erhöhten Anstrengung zu hinterlassen. Von jeher haben deshalb jene Hochseefischer, die mit dem schweren Grundnetz, Kurre oder Trave genannt, über den Boden des Meeres hinwegschleifen, ihre keine willkürliche Unterbrechung duldende Arbeit nicht mit Schnaps, sondern mit Kaffee gefördert. Die deutschen Unternehmungen dieser Art, welche nach der Gründung des norddeutschen Bundes in den Hansestädten entstanden, leider ohne sich zu halten, gaben ihren Leuten nur Kaffee an Bord, und die Mannschaft war damit sehr zufrieden.

Daß von den Getränken der neuen Schenkengattung insbesondere der Kaffee mit dem Branntwein und dem Bier an Wohlfeilheit rivalisiren kann, ist außer allem Zweifel. Die Londoner Schenken geben die kleine Tasse Kaffee oder Cacao von ½ Pint (= ¼ Liter) Inhalt für 1 Penny oder gar für ½ Penny, das heißt für 8 bis 9 oder 4 bis 5 Pfennig unseres Geldes, die große Tasse dann, je nachdem, für 1 ½ oder 1 Penny. Thee ist theurer: die kleine Tasse kostet allemal schon 1 Penny, die große 2 Pence. Dies erklärt, weswegen das in England sonst soviel weiter verbreitete, beliebtere Getränk der Chinesen dem der Araber und Türken in der Volksversorgung den Vorrang hat abtreten müssen. Eine gedruckte Anleitung zur Errichtung von Kaffeeschenken, welche von dem englischen Kaffeehausverein verbreitet wird, empfiehlt den allerbesten Kaffee zu nehmen, nämlich feinen ostindischen, der theurer ist als Plantagenkaffee von Ceylon; von Thee räth die Anleitung eine Mischung aus China- und Assamsorten an, wie solche in diesem Handel ohnehin längst üblich ist.

Was Deutschland betrifft, so existiren in Berlin seit den letzten drei bis vier Jahren drei Kaffeehäuser, in Bremen seit Mitte Januar dieses Jahres eins. Es sind Schöpfungen der Nächstenliebe, nicht allein in dem Sinne, wie es die ganze englische Agitation für Kaffeeschenken ist, sondern auch der Einrichtung und Wirthschaft nach. Das eigentlich schöpferische Princip, aus welchem allein die Concurrenz in Massen mit den Branntweinschenken und Bierhallen hervorgehen kann, haben wir uns folglich noch nicht entschieden angeeignet. Man darf indessen auch nicht übersehen, daß in England diese kräftig gedeihende junge Pflanzung auf dem durchgearbeiteten fruchtbaren Boden einer fünfzigjährigen großartigen Mäßigkeitsbewegung steht, während unsere deutschen Enthaltsamkeitsvereine seit einem Menschenalter bis auf einige zerstreute Reste wieder verschwunden sind.

Soll das britische Beispiel also nachgeahmt werden, so wird vielleicht zu allererst ein Ersatz für diese Vorbedingung des drüben erreichten Erfolgs zu schaffen sein: es muß ein starker moralischer Eindruck auf das Publicum hervorgebracht werden, welcher darthut, daß dergleichen Kaffeeschenken nützlich, gut und nothwendig sind, daß ferner damit Niemandem ein Unrecht geschieht und dem Arbeiterstande, ohne ihm Zwang aufzuerlegen, eine große unschätzbare Wohlthat erwiesen wird, woraus dann die Stimmung entstehen würde, welche die Voraussetzung bilden muß zu den ersten Versuchen auf umfassender Grundlage und mit durchschlagenden Mitteln und Kräften. Das Bedürfniß an sich wird auch in Deutschland nicht leicht ein unbefangener Kenner der Volkszustände in Abrede stellen können.

A. Lammers.