Eröffnung des Kunstschatz-Tempels in Manchester

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Titel: Eröffnung des Kunstschatz-Tempel in Manchester
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aus: Die Gartenlaube, Heft 21, S. 289–291
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1857
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Eröffnung des Kunstschatz-Tempels in Manchester.
(Von einem Augenzeugen.)

Für sieben Schillinge und sechs Pence, also für 21/2 Thaler, hin und zurück. Vierhundert englische Meilen Eisenbahn gefahren für zwei und einen halben Thaler! Das war mir doch, nach Allem, was ich gesehen, das Merkwürdigste, als ich mich zu Hause in London erholt und hingesetzt hatte, um niederzuschreiben, was mir aus der frischen Erinnerung an die mitgemachte „Eröffnungsfeierlichkeit der Kunstschatz-Ausstellung in Manchester“ eben als annehmbar in die Feder kommt. Damit aber diese Merkwürdigkeit kein Unglück in kleinen Geldbeuteln anrichte, füge ich sofort hinzu, daß die Fahrt das Wenigste war. Hätte ich nicht bei einem Freunde logirt und leibliche Nahrung zu mir genommen, wäre ich kaum mit Casse und Credit aus- und wieder nach Hause gekommen. Andere, die auf die Gastfreundschaft der Manchester Hotels angewiesen waren, erzählten mir dämonische Geschichten von Rechnungen für Dinge, die sie gar nicht gesehen, geschweige genossen hatten. Doch genug davon, ohne anzufangen. Die nächste Merkwürdigkeit, die mir in die Feder kommt, ist das Citat einer Dame in einem silbergrauen, rothbesetzten Mäntelchen und mit schweren, brauen, vollblut-englischen Locken. Es wurde natürlich unterwegs und mitten in der Ausstellung, wie überall, viel Maculatur gesprochen, unter Anderem auch über den pädagogischen und moralischen Einfluß der Kunst auf die Natur und Denkungsweise der Menschen. Ein Gentleman in Steifleinen leugnete diesen Einfluß ganz und gar. „Ganz im Gegentheil,“ rief die Dame zwischen ihren braunen Locken heraus; „ich finde in dieser Wirkung der Kunst deren einzige Macht. Bulwer Lytton sagt irgendwo, Niemand könne des großen Thiermalers Landseer Hirsche, Hunde und Pferde studiren, und hernach einen Hund mißhandeln.“

Das ist eine bekannte, schon oft ausgesprochene Wahrheit, aber sie gefiel mir in dieser Form aus einem schönen Munde als Trumpf gegen einen renommirenden Gottesleugner der Idealität und des Schönen ganz besonders. Nun zur Sache.

Ich war früh auf am berühmten fünften Maitag in Manchester, wo der Rauch nie etwas Maigrünes duldet. Aber ich liebte es heute. Dieser Rauch und diese Baumwolle hatten binnen drei Wochen ohne Anregung von Oben oder Unten, aus sich selbst, aus Privatmitteln 75,000 Pfund Sterling zur Errichtung des Kunsttempels gegeben, wie im benachbarten Liverpool ein einziger Kaufmann eine große Bibliothek u. s. w., frei für alles Volk baut. Das ist nobel, wenn noch irgend etwas von wirklichem Seelenadel ist. Ich sah in die sonst grauen, einförmigen Straßen hinaus, in welchen zunächst Barbiere und Haarkünstler, wie steckbrieflich verfolgt, umhereilten, um die vielen Bestellungen an struppigen Männerbärten und seidenen Damenlockenköpfen rechtzeitig auszuführen. Modisten und Schneider liefen mit wirrem Haar, übernächtlich aussehend, mit großen Bündeln unterm Arm, darunter gewiß mit manchem acht- und zehnfach gefalbelten Pluderkleid, welches heute schöne Gestalten häßlicher machen und häßliche in Muster von Abschreckungstheorie und Wolfsschluchtungeheuern verwandeln sollte.

Manchester ist Residenz einer neuen politischen Zukunft, sehr liberal, aber auch sehr loyal. Es liebt, wie ganz England, seine Königin, und hat eine Brücke, Hotels und Straßen nach ihr benannt. So wie Jemand vom Hofe in die Stadt kommen will, springt der Lord-Mayor heraus mit der Geschwindigkeit eines Chausseeeinnehmers. Heute, wo nun der Prinz Albert im Namen der durch Wochenbett abgehaltenen Königin den großen Kunsttempel eröffnen sollte, verrieth schon der nicht grauende, sondern in der Wolle graugefärbte Morgen freudig aufflatternde Zeichen dieser Loyalität. Während die Straßen noch leer und die meisten Rouleaux noch verschlossen waren, wurde es auf unzähligen Dächern lebendig. Menschen, nicht größer wie Katzen auf den ungeheuern Häusern und Magazinen, kletterten umher, um ungeheuere Stangen zu befestigen und schiffssegelgroße Fahnen und Flaggen zu entfalten: Union Jacks und königliche Standarten in allen Größen und Stoffen. In Moseley-Street, wo einige der größten Baumwollenlords wohnen, flatterte und wehrte es so dicht und mächtig von ganz Oben bis ganz Unten, daß Manchem der Hut abgeschlagen ward, während oben im vierten Stockwerk ein Windstoß in den farbigen Kattun blies. Um acht Uhr sah ganz Manchester aus, als hätten alle drei vereinigten Königreiche alle ihre Fahnen und Flaggen zum Waschen hierher gesandt, und die große Nationalwäsche sei eben aufgehangen zum Trocknen. Jede Karre, jeder Wagen, jeder Omnibus flaggte und fahnete; selbst Karren mit Eisenbahn-Packeten flatterten mit baumwollenen Taschentüchern; sogar ein schwerer, schwarzer Steinkohlenwagen donnerte wie ein Erdbeben von der Victoriabrücke her mit je zwei noch nicht zerschnittenen Taschentüchern auf jeder Ecke. Um neun Uhr wurden wir von unserm Thee mit Eiern, Speck, Wasserkresse, Shrimps u. s. w. aufgeblasen. Ein kleines Regiment mit ungeheuern breiten grünen Schärpen, der alte Orden der Wäldler, Waldkundigen („Foresters“) wackelte hinter nationaler Musik her durch die Straßen. Ihnen folgte die nicht minder seltsame Procession einer alten lustigen Gilde, die sich selbst „wunderliche Kerle“ (Odd fellows) nennen, mit grünen Bannern und goldenen Sprüchen darin. Bei dieser Gelegenheit füllten sich auch Fenster, Dächer, Droschkendächer, Omnibusfirsten, alle mögliche natürliche und extemporirt künstliche Erhebungen mit Menschen, besonders kletterelastischen, übermüthigen Jungen, und die Straßen wurden ein Rollen und Knattern von allerhand bewimpeltem Fuhrwerk, von schweren Staats-Equipagen bis zu leicht fliegenden „Broughams“ u. s. w. Droschken und Omnibus raseten so polizei- und lebenswidrig, wie ich es noch nie gesehen. Jeder dachte bei der ersten Fahrt an die zweite und dritte und an das Geld, das heute herauszuschlagen war. Die Gasthöfe und Vermietherinnen möblirter Zimmer erhoben heute ihre doppelten Preise auf’s Dreifache. Bierläden und Hotels erschienen mit neuen, mächtigen Aushängeschildern, welche „Kunst-Schatz-Bier“ drei Pence pr. Pot ankündigten. Eine Restauration nannte sich Kunstschatz-Eßhaus. Gewöhnliche Bretter auf Pfosten, welche die Höhe der Menschen um die eines Tisches vergrößerten, hießen „Kunstschatz-Schauplätze“, einen Penny per „Stand.“

Ach und das Gedränge und Gegapse und Gelaufe, als wir uns endlich der Ausstellung näherten! Manche schwitzten schon triefend und fluchten, als sie sich mit dem bereits gestohlenen Taschentuche den Schweiß abtrocknen wollten. Weiber mit Körben und Männer mit Kindern auf jedem Arm und noch andern an den Rockflügeln (in England trägt immer der Mann die jüngere Nachkommenschaft) wurden auseinander gerissen und schrieen oder klammerten sich fest an einander, entschlossen, nur über ihre Leichen Jemanden durchzulassen. In Stretford Road, der großen Hauptstraße zum Kunsttempel, hatten sich drei- und vierfache Wagenreihen festgefahren. Die Fußgänger wurden von Bier- (Nessel-Bier-) und Samenkuchenbuden und Baukünstlern mit Brettern und Stühlen (die noch „Schauplätze“, 1 Penny per Stand, bauen wollten) verbarrikadirt. Das ist überall die Folge zu großer Eile. Es ging schrecklich langsam. Ich studirte dabei in mehrere Equipagen hinein: Damenhüte und die Gesichter weit davor. Die Hüte hängen nicht mehr am Hinterkopfe, sondern sind blos Dachtraufe ganz unten am Nacken geworden. In Old Trafford, der Ausstellung ziemlich nahe, waren die Häuserfronts und Dächer mit Köpfen bepflastert. Selbst leere Häuser mit Zetteln: „zu vermiethen“ zählten mehr Einwohner, als Platz fanden. Endlich hieß es: Nun sind wir gleich da, da ist er! Wer? Der Kunsttempel! Wo? Die Wagen waren alle größer, als der Kunsttempel, der so niedrig breit und lang gestreckt da lag, wie ein auf die Nase gefallener Thurm, wie ein langer, breiter Eisenbahn- oder Güterschuppen. Es war die auf die Erde, unter die Massen des Volks niedergesenkte Erhabenheit der alten, zum Himmel emporstrebenden gothischen Dome. –

Mein Freund, ehemals von Profession verdorbener Assessor ohne Gehalt in Berlin, jetzt Orakel und Lehrer der Baumwollen-Lords-Jugend in Manchester, hatte nicht nur Freibillets, sondern auch privilegirte Freibillets, welche uns Zutritt in das für Prinz Albert feenhaft decorirte Zimmer am Eingange verschafften: rothseidene Damaststühle mit luftballonartigen, weichen Schwellungen selbst an den Lehnen, goldener Tisch, Sammetgardinen, goldenes Schreibzeug mit einem Malachitschnitzwerk u. s. w., daneben ein Ankleidezimmer (falls der Prinz im Negligée gekommen sein könnte) mit einem marmornen Cupido, der ein Waschbecken hält, Haarbürsten, Kämmen, Nagelscheeren, Nagelbürsten, Nagelfeilen, 5 bis 6 [290] Seifenkugeln, Pomade und ein Dutzend geschliffenen, „wohlriechenden Fläschchen.“ Die Gelehrten sind noch nicht darüber einig, ob auch ein Stiefelknecht drin war.

Der erste Eintritt in das Innere des Kunsttempels macht den überraschendsten Eindruck angenehmer Täuschung. Von Außen liegt der Kunsttempel lang, niedrig und breit. Inwendig wölbt und dehnt er sich in blaudämmernd verschwindende Ferne mit reichen Lichtern und Farben und architektonischen Linien und Formen. Er hat’s in sich. Durch die Mitte der Dachwölbung oben läuft ein langer Streifen von Himmelslicht durch’s Glas. Die übrigen Theile der Wölbungscurve sind architektonisch gefeldert und bläulich-grau gefärbt mit rothen Einfassungslinien. Dagegen heben sich die Eisenbalken und Säulen in grünlicher Bronze mit Goldkanten ab. Die bläulich-graue Farbe des großen Dachbogens gibt Leichtigkeit, Höhe und Erhabenheit.

Die Räume füllten sich sehr rasch, besonders die Reihen rother Stühle auf Teppichen mit kostbar gekleideten Damen, welche lachten, daß die schelmischen, großen Augen sich wie Knopflöcher zusammenschlitzten, als die seltsam kostbar costümirten officiellen Personen hereinschritten, steife Herren in großen, rothen Uniformen, besetzt mit Silber-Flecken und geschmackloser Arabeskenstickerei, mit aufgekrempelten martialischen Hüten und Brillen darunter, in weiten Purpurmänteln, mit weiten schwarzen Sammetröcken mit großen schwarzseidenen Säcken auf dem Rücken hinunterbaumelnd, eine Menge Lord-Mayors mit hellziegelrothen, Augen schmerzend stechenden Schlafröcken und dreieckigen Hüten, wie Diplomatenkutscher auf den Böcken, Herren mit weißtaffetnen Kniehosen und ungeheuer langen, gestickten Westen und rothen Strümpfen u. s. w. Neben diesen Civiluniformen noch wunderlichere militärische mit Säbeln, aufgekrempelten Hüten, Federbüschen und Orden quer über die Brust, so dicht wie Uhren in dem Schaufenster eines Uhrmachers, die noch seltsameren der verschiedenen Gesandten und Diplomaten, in denen auch zum Theil merkwürdige Persönlichkeiten eingeknöpft waren, z. B. Dallas, Gesandter der vereinigten Staaten mit dem bedeutendsten Kopfe unter Allen, durch volles, schneeweißes Haar auszeichnet, neben welchem sich der schwarze, gigantische Vertreter des Kaisers von Hayti, Baron Damier, sehr effectvoll und „historisch“ vielleicht hervorhob. Als sich der schwarze Gigant mit den lachenden weißen Zähnen der Gruppe näherte, aus welcher das weiße Haar des Herrn Dallas hervorstrahlte, kehrte Letzterer dem Schwarzen den Rücken und stellte sich später immer mit dem Rücken gegen ihn, blos manchmal vorwurfsvolle Seitenblicke auf den schwarzen Riesen werfend. Ja, er ist ein riesiger Vorwurf eurer ekelhaften Sclavenpolitik in den weißen Republiken. Witterte das weiße Haupt die Nemesis derselben in dem gigantischen Neger mit den furchtbar weißen, vollen Zähnen und den athletischen Muskeln? Das Benehmen des alten Dallas fiel offenbar auf: es war eben so knotig als kindisch. Nur Baron Van der Weyer, der Herr mit dem überaus klugen Gesichte und etwas aufgestülpter Nase, Vertreter des kleinen, gefürchteten Belgiens, sprach unbefangen und lange mit dem seltsamen Schwarzen, dem größten Manne unter allen Diplomaten, was besonders neben dem untersetzten, kurzen Belgier auffiel.

Die Zeit zu weiteren Beobachtungen der Herren, denen man oft nachsagt, daß sie ihren respectiven Ländern durch gegenseitiges Ueberlisten dienten, war vorbei. Ein Mann stürzte sich athemlos auf dem langen rothen Teppich, der sich durch’s Schiff zieht, heran und rief der großen Armee des Orchesters zu, anzufangen, wenn sie eine „rothe Fahne“ (die Polizei blieb ganz ruhig dabei) am Ende des Schiffes schwingen sähen. Dann eilte er eben so schnell zurück und Alles stand auf und machte lange Hälse über einander weg. Einige Damen kreischten im höchsten Discant auf über die Kanonen, die irgendwo in der Nähe abgeprotzt wurden. Die Kanonen wirkten Wunder. Weiße Rosen und weiße Hüte und unendliche Massen säuselnder Seide, Bänder, Schleifen, Millionen von Blumen und Blümchen an feinen umwickelten Drahtfädchen, goldene, flachsige, braune und schwarze Locken rauschten und wogten wie eine üppige Wiese voller Blumen im windigen Junimorgen kurz vor dem Mähen. Gläser in allen Größen blitzten tausendweise nach dem Ende des Schiffes, wo am äußersten Ende in dämmernder Ferne die „rothe Fahne“ wehte, aber nicht „über ganz Europa“, wie früher einmal die „Neue Preußische“ prophezeihete, sondern klein wie ein Mohnblatt. Die Policemen glänzten mit ihren lackirten Hüten eifrig Spalier drängend. Ueber sechshundert Blaseinstrumente und Geigen, Pauken und Cymbeln schmetterten God save the Queen durch die gloriosen Räume und Menschenohren hindurch. Die Sprachorgane schrieen jauchzend: Hurreh! Hurreh! Hurreh! und alle männliche Bevölkerung nahm die sonst festsitzenden Hüte ab. Die feierlichen Herrschaften in rothen Mänteln, in Sammet-Roben und seidenen Kniehosen und rothen Strümpfen stellten sich um die Stufen des Thronhimmels in der Mitte des Central-Schiffes. In der Ferne gingen brandrothe Uniformen auf, in deren Mitte der große, schöngewachsene Prinz Albert freundlich hervorschritt und auf den Thronhimmel geführt ward. Nach der Musik trat ein alter, stattlicher Herr mit rothscheinender Glatze auf und las dem Prinzen etwas von einem großen Papierbogen vor. Es war Lord Overstone, Präsident des Ausstellungs-Rathes, einer der wenigen Lords, die officiell zugegen waren. Die übrige Aristokratie hatte ihre Kunstschätze geschickt, war aber selbst weggeblieben, wie überall, wo Prinz Albert als Vertreter der Königin auftritt. Die regierenden Classen der Aristokratie sind eifersüchtig auf den Prinzen: sie meinen, er lasse den Thron nicht Null genug sein ihren, nicht den Interessen des Landes gegenüber. Außerdem ist er wirklicher präsidirender Genius der Bildung, Cultur, Kunst und Schönheit des Lebens, was man in England der demoralisirenden auswärtigen, England niederbrechenden Einbrecher- und Räuberpolitik gegenüber sehr gut brauchen kann. Er hat Dutzende von goldenen Maurerkellen, womit er Bildungs- und Culturinstituten den Grundstein befestigte. Das ist denn allerdings den Interessen der „privilegirten“, gegen Volk und Thron feindseligen regierenden Classen zuwider. So mögen sie überall wegbleiben, wo Culturinteressen gefeiert werden und endlich ganz und gar verschwinden, wenn England auf den Wegen, wo sie den Prinzen Albert und die Königin ohne Parlament finden, wirklich vorwärts kommt.

Der Prinz erwiderte auf die ihm vorgelesene Adresse mit einigen Worten, aber nicht laut genug, als daß ich etwas davon hätte verstehen können. Es wurde noch einige Male vorgelesen und darauf erwidert, was denen, die nichts davon hörten, sehr langweilig war, wie ich vernehme, noch mehr denen, die’s mit anhörten. Bei solchen Gelegenheiten wird officiell selten ein neuer, schöner Gedanke oder überhaupt etwas Substantielles gesprochen. Die Convenienz ist hier ein Censor, der strenger ist, als irgend einer in redeunfreien Ländern.

Das Gerede schloß mit einem Gebete des Bischofs von Manchester in ungeheueren weiten weißen, crinolirten Aermeln, wobei ein Herr in einer violetten Robe so weit aufgähnte, daß man mit einer Droschke in seinem Munde hätte umlenken können. Der Lord-Mayor von Dublin hob während der Zeit mühsam den rechten Handschuh auf (der vom Schicksale doch dazu bestimmt ist, immer allein verloren zu gehen) und bildete dabei eine Figur, wie sie die Jungen machen, wenn sie über einander „Hopp-Frosch“ wegspringen.

Nach dem Gerede kam brillante, gloriose Musik mit den berühmtesten Sängern und Sängerinnen. Die Dame im schwarzen Kleide mit einfachen Maiblümchen im Haar sang einen ganzen Engelshimmel voll Töne, welche den schönen, irdischen Gesichtern junger Damen einen reizend frommen, seligen Ausdruck aufhauchten. Es war Madame Clara Novello, gegen welche sich der Prinz nach Vollendung ihres Gesanges mit einem leichten, anerkennenden Lächeln kaum merklich, aber als unverkennbares Zeichen herzlicher Anerkennung verbeugte, so daß die Sängerin roth ward bis in die Stirn hinauf. Sie konnte wohl stolz auf ein solches Beifallszeichen sein, nicht weil es vom Prinzen kam, sondern von einer anerkannten Autorität in solchen Dingen und so nobel, so leicht und herzlich, gegenüber der in allen englischen Concerten und Theatern überschwenglichen, rohen Händehauerei und Füßetrommelei als Beifallszeichen.

Während der Procession des Prinzen und alles officiellen Personals durch die weiten Räume des Kunsttempels wurden die Damen rebellisch und machten Revolution gegen die Polizei, welche den Thronhimmel schützen wollte. Eine gottlose Schönheit mit stolzen, großen Augen und blaugestreiftem, achtfalbeligem Kleide drängte Bresche sechs Ellen weit, da der Policeman zu artig war, den künstlichen Umfang ihres kostbaren Crinoline’s zu knittern. Andere folgten: der Thron war in höchster Gefahr; nur ein Gewaltstreich konnte ihn retten. So griffen mehrere Policemen die Thronhimmeltreppe hinauf und faßten derb zu, einige Damen blos bei den Säumen, andere aber gerade zu bei den zarten Beinen. Das zog.

Mit einem Wehen des Federbuschhutes erklärte der Prinz nach Rückkehr von der Procession den Kunsttempel für geöffnet. Jetzt drängten 6000 Personen nach einer polizeibesetzten, halbgeöffneten [291] Thür, welche zu den „Erfrischungen“ führte. Die umfangreichsten Crinolin’s knackten und rissen und brachen zusammen. Bänder und Schleifen und einzelne Handschuhe bedeckten den Boden, als man ihn wieder sehen konnte. Wie glücklich sahen die „unabhängigen“ Leute darein, welche ihr Butterbrot, und ihr Büllchen aus der Tasche zogen! Als sich die Massen zerstreut und vertheilt hatten, verwendeten wir unsere letzten Kräfte, um rasch und flüchtig die einzelnen Abtheilungen des Baues und die, seit die Welt steht, zum ersten Male zu diesem großen Congresse aller Culturen, Zeiten und Schönheits-Phasen vereinigten Kunstschätze zu überblicken. Man denke sich über 30 Original-Raphael’s, jedes eine Reise von hundert Meilen werth, über eintausend Originale von alten Meistern ersten Ranges, viele tausend Meisterwerke von anderen Malern, Tausende von Modellen für schöne Industrie und Kunstproduction zur Veredelung, Läuterung und Erheiterung unserer Umgebungen in Haus und Heimath, zur Erleichterung unserer Siege über die Natur und Eroberung ihrer Schätze – und man wird eine Ahnung bekommen, daß die Eröffnung dieses Cultur- und Schönheitstempels nobler, segensreicher und wichtiger sein mag, als die Eröffnung China’s mit Bomben auf Grund feiger Vorwände und frecher Lügen. Wohl mag die Aristokratie Englands Grund haben, den Prinzen Albert mit der Maurerkelle und auf dem Throne freiwilliger Culturtempel ohne Säbel und Waffen zu fürchten, denn alle ihre Kriegsschiffe und Bomben sind am Ende nicht so mächtig, als der Prinz Albert mit seinen die Grundsteine für Friedens- und Culturtempel weihenden goldenen, ihm geschenkten Maurerkellen.