Erinnerungen an Wilhelmine Schröder-Devrient/Nr. 3

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Textdaten
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Autor: Claire von Glümer
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Titel: Erinnerungen an Wilhelmine Schröder-Devrient
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aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 216-217
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[216]
Erinnerungen an Wilhelmine Schröder-Devrient.
Von Claire von Glümer.
III.

Während sich Wilhelmine mit leidenschaftlichem Eifer ihren musikalischen und dramatischen Studien hingab, blieb ihr doch Sinn und Zeit für die kleinen Aufgaben des täglichen Lebens. Sie sorgte für die Pflege der jüngeren Geschwister, für die Ordnung im Hause, und wer sie Abends auf der Bühne bewundert hatte, konnte ihr Morgens zwischen den Körben der Marktweiber begegnen, wie sie emsig nach dem Guten und Wohlfeilen suchte, oder trotz Sonnengluth und Regenschauern große Körbe voll Proviant nach Hause trug, Hier war es dann ihr größtes Vergnügen, die Vorräthe in Keller und Speisekammer auf’s Schönste zu ordnen. „Der Keller war mein Garten,“ erzählte sie oft; „jede Kohl- und Rübensorte hatte ihr eigenes Beet von weißem Sande. Mein Schmerz war nur, daß sich die Mutter so wenig für diese Herrlichkeiten interessirte.“

Auch die Gesellschaft nahm die junge schöne Künstlerin mehr und mehr in Anspruch, und sie gab sich mit voller Jugendlust den Freuden und Huldigungen derselben hin. Sie war die unermüdlichste Tänzerin, sang, so oft sie dazu aufgefordert wurde, freute sich wie ein Kind, wenn sie selbst und ihre Lieder gefielen, und war durch Heiterkeit, Reiz und Anmuth die Seele jedes Kreises, in dem sie sich bewegte.

Aber sie hatte auch schwere Stunden, und was sie quälte, war nicht nur die unbestimmte Sehnsucht, die der Jugend fast immer den Genuß des Augenblicks verkümmert. Eine Schauspielerin kann nicht behütet werden, wie andere Mädchen. Als halbes Kind schon hatte Wilhelmine Leidenschaften und Laster in ihrer häßlichsten Gestalt sehen müssen. Instinctiv bebte ihre reine Seele vor der Berührung mit dem Schlechten zurück, und wo sich diese Berührung nicht vermeiden ließ, wurde sie ihr eine Quelle bittersten Leidens. Auch das Intriguenwesen, das sich um jede Bühne, um jede Berühmtheit der Theaterwelt drängt und in das sie nur zu bald einen Einblick gewann, war ihrer groß angelegten Natur, ihrem durchaus offenen Charakter im tiefsten Innern zuwider. Die Begeisterung für die Kunst erhob sie zwar über diesen Wust, und im Feuer der Arbeit konnte sie ihre Umgebung ganz vergessen – aber es kamen Tage der Ermattung, der Muthlosigkeit, und dann drang alles Schlechte, Häßliche, Unwahre mit erdrückender Gewalt auf sie ein. Das ganze Leben erschien ihr in solchen Momenten wie ein Gewebe von Lüge und Niederträchtigkeit. Sie verzweifelte an sich selbst, an ihrer Aufgabe, fühlte sich von unbezwinglichem Ekel am Dasein, von unerträglicher Angst vor der Zukunft erfüllt und wußte nicht, wohin sie sich retten sollte.

Oft, wenn sie aus den Proben kam, trennte sie sich von den plaudernden Cameraden, um sich verstohlen in die nächste Kirche zu schleichen, wo sie sich zitternd im Schatten eines Pfeilers auf die Kniee warf, das Gesicht verhüllte und weinte und betete. Schon damals erwachte in ihr jene Sehnsucht nach Ruhe, nach einem engbegrenzten, einfachen Leben, die sie wie ein verzehrendes Heimweh bis zum Tode verfolgen sollte, während ihrem Schaffensdrang, ihrem rastlosen Vorwärtsstreben die ganze Welt noch zu eng war. „Wenn ich katholisch gewesen wäre,“ sagte sie oft, „so hätte ich mich damals in ein Kloster geflüchtet.“

Es war anders über sie beschlossen. Sie lernte den Schauspieler Karl Devrient kennen; er war ein schöner Mann, von einschmeichelndem Benehmen, der ihr Herz schnell gefangen nahm. Die Ehe mit dem geliebten Manne, das war das Asyl, die Heimath, nach der sie sich sehnte! Im Sommer 1823 wurde das Bündniß in der Jerusalemerkirche zu Berlin geschlossen, und nach einigen Reisen übersiedelte das Künstlerpaar nach Dresden, wo Beide engagirt waren.

Es ist nicht meine Absicht, hier auf die intimen Lebensverhältnisse der Verewigten einzugehen, deshalb werde ich die Geschichte dieser Ehe nicht näher berühren. Aber wenn es wahr ist, was Wilhelmine Schröder-Devrient so oft tief schmerzlich aussprach – wenn es wahr ist, daß der Künstler unglücklich sein muß, um die volle Weihe des Genius zu empfangen, so ist diese Verbindung eine der mächtigsten Stufen gewesen, auf welcher sie zur künstlerischen Vollendung emporschritt.

Die Ehe war in jeder Beziehung eine unglückliche und wurde schon im Jahre 1828 wieder getrennt. „Ich mußte mich frei machen,“ sagte Wilhelmine, „um nicht als Weib wie als Künstlerin unterzugehen.“ Um frei zu werden, brachte sie jedes Opfer; selbst von den Kindern, die sie leidenschaftlich liebte, riß sie sich los, aber von den Erinnerungen an jene Zeit hat sie sich nie befreien können; bis zur Todesstunde haben sie einen tiefen, dunkeln Schatten über ihr Leben geworfen.

Auch die Freude an ihren Kindern – zwei Söhne und zwei Töchter waren ihr geschenkt – hat sie nicht so rein genießen dürfen, [217] wie andere Mütter. Ihr ältester Sohn war kaum ein paar Monate alt, als sie ihn fremden Händen anvertrauen mußte, um den Gatten auf einer Kunstreise zu begleiten, und das wiederholte sich auch bei den andern Kindern. „Wie oft habe ich damals mit mühsam verhaltenen Thränen gesungen!“ sagte sie, und nach so langen Jahren noch wurden ihr bei der Erinnerung daran die Augen naß. Das Schrecklichste aber war, daß ihr jüngstes Töchterchen, die kleine Louise, der unachtsamen Wärterin vom Arme fiel, während die Mutter in den Proben war. Sie fand das arme kleine Wesen in Convulsionen liegend, in denen es, dem Anschein nach unter entsetzlichen Qualen, verschied. Dies Unglück hätte jede Mutter treffen können; aber Wilhelminens verdüstertem Gemüth erschien es wie ein Fluch ihres Standes, und jahrelang verfolgte sie das Bild des sterbenden, wie sie sich ausdrückte, „für ihre Kunst gemordeten“ Kindes.

Trotz ihrer Berufspflichten that sie übrigens mehr für ihr Haus und ihre Kinder, als tausend andere Frauen. Wer sie damals gekannt hat, spricht noch heute mit Bewunderung von ihrem unermüdlichen Fleiße, ihren häuslichen Talenten, ihrer zärtlichen Sorgfalt für die Kleinen. Da sie während ihrer Ehe zu großer Sparsamkeit gezwungen war, verrichtete sie selbst die gröbsten Arbeiten, um ihrem Hauswesen jene Sauberkeit zu erhalten, die ihr so nothwendig war, wie Luft und Licht. Die pedantische Ordnungsliebe, die sie vom Vater geerbt hatte, steigerte sich bei ihr zu einer Art von Fanatismus. So freigebig sie später große Summen hingab – wegwarf, darf man wohl sagen – so genau berechnete sie die kleinen Ausgaben des täglichen Lebens, und der Gedanke, um einen Groschen betrogen zu sein, erregte ihren höchsten Zorn. Die Haarnadeln, die sie trug, hatte sie seit mehr als dreißig Jahren. Sie zeigte sie mit einer Art von Zärtlichkeit und sagte dabei: „Wäre mir jemals, während ich als Euryanthe oder Vestalin mit aufgelöstem Haar auf der Bühne stand, der Gedanke gekommen, diese Nadeln könnten in der Garderobe weggeworfen werden, so wäre ich nicht im Stande gewesen, weiter zu singen,“ und oft hat sie uns erzählt, daß sie selbst in den Zeiten ihres angestrengtesten künstlerischen Schaffens nicht im Stande gewesen wäre, sich niederzulegen, ohne sich vorher zu überzeugen, daß Alles am bestimmten Orte lag und stand. Die Gläser mußten im Schranke nach dem Muster geordnet sein, die Küchenhandtücher nach der Nummer über einander liegen. Noch in den Tagen der letzten schweren Krankheit habe ich sie oft ein vom Kammermädchen gereichtes Taschentuch zurückweisen sehen, weil diese Nummer noch nicht an der Reihe war. „Wie hätte ich wohl die Ruhe und Sammlung finden können, die dem Künstler unentbehrlich ist,“ pflegte sie zu sagen, „wenn ich um mich her Unordnung geduldet hätte?“

Es war dies im Grunde eine nothwendige Folge ihres empfindlichen Schönheitssinnes. Etwas Häßliches, Unharmonisches in ihrer Umgebung verursachte ihr ein Unbehagen, das sich bis zum physischen Schmerze steigern konnte. Prunkliebend war sie gar nicht. Das Einfachste genügte ihr, wenn es sich harmonisch zum Ganzen fügte, und zur Herstellung einer solchen Harmonie besaß sie ein seltenes Talent. Sie brauchte nur ein Möbel anders zu rücken, einen Vorhang in ihrer Weise zu drapiren, ein paar Blumen zusammen zu stellen, und das kahlste chambre-garni wurde behaglich und war vom Hauch der Individualität durchweht.

Nach der Scheidung, als sie ihr Leben nach eigenem Geschmacke gestalten konnte, war die Einrichtung ihrer Zimmer berühmt; aber sie glänzten nicht durch blendende Farben, kostbare Stoffe, Vergoldungen oder jene Anhäufung moderner Spielereien, die eine Wohnung zur Raritätenbude macht, in der wir kaum zu athmen wagen. Da war Raum für Luft und Licht und freie Bewegung; ein künstlerisches Auge hatte die Farben zum wohlthuendsten Einklang vereinigt, jeden Hausrath in schöner Form gewählt und jedem Dinge den rechten Platz gegeben, so daß es eben so zweckmäßig, als schön erschien. Selbst die Bilder und Statuen, die Blumengruppen und Epheulauben erschienen nicht wie ein zufälliger Schmuck, sondern wie nothwendige Bestandtheile des Rahmens, der das häusliche Leben der Künstlerin umschloß.

Auch ihr Anzug war immer in diesem künstlerischen Geschmack gewählt; immer in Schnitt und Farbe ihrer Persönlichkeit angemessen; immer – selbst wenn er prächtig sein mußte – so einfach, daß er nur als Fassung für ihre Schönheit, nie als ein prunkendes Zurschautragen von Schmuck oder modischem Putz erschien. Eine unschöne Mode, selbst wenn sie allgemein verbreitet war, nahm sie nicht an. So war es ihr Stolz, daß sie nie eine Crinoline getragen hatte. Mit komischem Entsetzen schilderte sie die Gefahren großer Gesellschaften, „in denen man sich mit den Reifröcken die Augen aussticht“. Auch zu einem Kopfputz von Band oder Spitzen konnte sie sich nicht verstehen. Sie wußte, daß ihr Kopf nur für den Kranz oder das Diadem gemacht war. „Und für eine Dornenkrone“, fügte einer ihrer Freunde hinzu, in dessen Gegenwart sie dies aussprach.

Ihre Straßentoilette war von gesuchter Einfachheit; im Hause trug sie in der letzten Zeit vorzugsweise dunkle Farben, schwere Stoffe ohne allen Ausputz und wenig einfachen Schmuck. Selbst in der Krankheit war ihr Anzug schön. In einem weiten, weißgrundigen Peignoir lag sie auf ihrem Ruhebette, und nie habe ich dies Gewand zerdrückt oder gar befleckt gesehen. Es war als ob das Unschöne, Unreine äußerlich so wenig wie innerlich an ihr haften könnte.

Auch ihre Handarbeiten waren, wie Alles was ihr angehörte, geschmackvoll und von höchster Sauberkeit. Sie machte die feinsten russischen und türkischen Stickereien, und nie habe ich schönere Strickereien gesehen, als die von ihrer Hand – derselben Hand, die so oft Romeos Degen gezückt und Armidens Fackel geschwungen hatte. Mit der peinlichsten Ordnung ging sie dabei zu Werke; ich werde nie vergessen, wie eifrig sie wurde, als wir sie eines Abends zum Ausgehen abholen wollten und nicht gleich einsahen, daß sie ihre Tour fertig stricken müsse, ehe sie den Strumpf zusammenlegen konnte. Daß die Handarbeit nicht nur ein Zeitvertreib war, den sie in den letzten Jahren zur Ausfüllung müßiger Stunden hervorgesucht hatte, geht aus einem Briefe des Großherzogs Georg von Mecklenburg-Strelitz vom Jahre 1845 hervor, worin es heißt:

„Also alle Talente sind Ihnen eigen, liebe Schröder-Devrient! Ist denn das recht, und muß denn die Muse auch das noch besitzen, was sonst nur zum Schmuck der gewöhnlichen Erdenkinder gehört? Aber so sind die Götter. Wen sie einmal zu ihrem Liebling erkoren, über den gießen sie die ganze Fülle ihrer himmlischen Gaben aus, als wenn sie davon nicht genug zu geben hätten, und so umgekehrt: wer einmal das Unglück hat ihr Stiefkind zu sein, der steht umsonst am Eingang des Olymps, es fällt kein göttlicher Strahl auf ihn herab. Dies sind die Gedanken und Gefühle, die mich durchströmten, als nach Lesung eines unendlich liebenswürdigen Briefes der Anblick eines ebenso unendlich schönen Geschenkes mich beglückte. Es vereint in der That Alles, was der feinste Geschmack und die geschickteste Hand nur liefern können, und ich wiederhole es, nie würde ich geglaubt haben, daß die Muse, die ich so hoch verehre und liebe, auch in Führung der Nadel zu excelliren vermöchte.“

Wilhelminens fürstlicher Freund hatte Recht: sie besaß jedes Talent. Obwohl sie niemals Unterricht im Zeichnen gehabt hatte, warf sie während einer Rheinreise die reizendsten landschaftlichen Skizzen auf’s Papier, indeß das Dampfschiff sie stromaufwärts trug. Nach zweistündigem Unterricht im Modelliren war sie im Stande den Fuß einer Venus nachzubilden. Die Lieder, die sie componirt hat, athmen die ganze Wärme ihrer Empfindung, und fremde Sprachen machte sie sich im Fluge in Klang und Geist zu eigen.

Wenn ihre Freunde diese Gaben bewunderten, gab sie immer traurig zur Antwort: „Es ist ja nichts in mir ausgebildet; ich habe niemals Zeit zum Lernen gehabt, und so habe ichs in allen diesen Dingen zu nichts gebracht.“ Um die ganze Bescheidenheit dieses Ausspruchs zu verstehen, mit dem es ihr völliger, schmerzlicher Ernst war, muß man sie persönlich gekannt, muß ihr nahe gestanden haben. Ihre Bildung war eine ganz außergewöhnliche; ihr reicher Geist umfaßte das Große wie das Kleine, nichts lag ihr zu fern oder zu unbequem, und was sie einmal interessirte, das riß sie mit einer Art von Ungestüm an sich. Sie wurde dazu – wie zu ihrem künstlerischen Streben – durch ein unabweisliches Bedürfniß ihrer Natur getrieben. Ihr ganzes Leben war ein Suchen nach Wahrheit. In einem ihrer Tagebücher sagt sie darüber: „Das Forschen des Geistes nach Klarheit und Wissen ist die Erleichterung der Seele, damit sie die Kerkerthüren des Körpers mit weniger Mühe sprengen kann und durch ihre Schwerfälligkeit nicht dem Körper Unterthan wird. Bei dummen, geistig ungebildeten Menschen, denke ich, muß die arme Seele wie angeleimt sein, darum kann sie sich auch nicht gleich zur selben Höhe schwingen, wie die Seelen derer, die durch Geist und Wissen schon mehr Durchsichtigkeit und Klarheit erhalten haben. Jene muß erst noch durch reinigende Elemente durchgehen, indessen diese sich, wie ein leichter Luftballon, in reinere Sphären aufschwingen.“