Esaias Tegnér

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Autor: Dr. Fr. Winkel Horn
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Titel: Esaias Tegnér
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aus: Die Gartenlaube, Heft 45, S. 747–750
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[747]

Esaias Tegnér

Zu seinem hundertsten Geburtstage.

„Hier seine Wiege,
In Wexiö sein Grab,
Im Liede sein Andenken.“

So lautet die Inschrift auf dem Steine, den man bei der unansehnlichen kleinen Predigerwohnung in Kirkerud in der Landschaft Wermland zum Andenken an Schwedens größten Dichter errichtet hat, zum Andenken an Esaias Tegnér, der dort am 13. November 1782 das Licht der Welt erblickte. Wohl stand in Schweden seine Wiege, wohl hat er auch dort sein Grab gefunden, aber sein Genius gehört der Welt; denn der klanggewaltige und geisteshohe Sänger der Frithjof-Sage lebt in seinen Werken dauernd fort, nicht blos in seinem Vaterlande, nein überall da, wo man die Dichtkunst heute noch liebt und in Ehren hält.

Wie viele Herzen auf dem weiten Erdenrund schlagen höher bei dem Namen: Tegnér! Wie viele zumal in Deutschland! Die Gestalten des schwedischen Dichters, umweht vom eigenartigen, herbmilden Dufte nordischen Empfindungslebens, sind längst deutsches Nationaleigenthum geworden; mit der goldhaarigen Ingeborg weiß die deutsche Jungfrau sich eins im Fühlen und Denken; mit ihr schwärmt sie in „Nordens Hain“ von der Liebe, „die nimmer endet“; mit ihr hebt sie im Geiste „die herzbewegende Klage“ an um den Geliebten, der da draußen schweift auf der dunklen Salzfluth. Dem deutschen Jünglinge aber pochen die Pulse höher, wenn er von Frithjof’s Meerfahrten liest; mit ihm besteigt er Ellide, das flinke Schiff, um mit Wikingern und See-Ungeheuern zu streiten; mit ihm schwingt er Angurwadel, das tapfere Schwert, das dem Starken die Braut erkämpfen soll.

„Ja, Tegnér lebt kraft seines Genius im Herzen aller Culturvölker, und so darf denn auch heute, an seinem hundertsten Geburtstage, das Dichterwort auf ihn angewendet werden und ehrend und preisend von Volk zu Volke klingen: „er war unser“.

Esaias Tegnér, ein Predigersohn – wir können kurz über seine Lebensschicksale hinweggehen – ist im eigentlichsten Sinne des Wortes aus der Mitte des schwedischen Volkes hervorgegangen; sowohl von väterlicher wie von mütterlicher Seite stammt er aus echtem Bauerngeschlecht. Nach des Vaters frühem Tod nahm sich ein Jugendfreund des Letzteren seiner an. Esaias’ Pflegevater war Beamter, und da die guten Anlagen des Knaben schon früh eine vorzügliche Begabung für die Buchführung zeigten, wollte man ihn anfangs für die Comptoirgeschäfte ausbilden. Allein der brave Pflegevater erkannte sehr bald[WS 1], daß „Esse zu gut sei, um Zahlen bei ihm zu schreiben“, und als der Knabe das vierzehnte Jahr erreicht hatte, wurde der Entschluß gefaßt, ihn studiren zu lassen. Freilich reichten die Mittel zum Besuche einer Schule nicht aus, eine Familie aber, bei der einer seiner Brüder Hauslehrer war, nahm ihn bei sich auf und ließ ihn am Unterricht theilnehmen, und als der Bruder ein Jahr darauf eine andere Hauslehrerstelle erhielt, wurde auch Esaias mit hinüber genommen, und sein neuer Pflegevater, der Bergwerksbesitzer Christopher Myhrman, sorgte ebenso liebreich für ihn, wie es der vorige gethan.

Eine besonders schwere Zeit hub indessen für den jungen Tegnér mit dem Beginne der Universitätsjahre, 1799, an. Kampf und Entbehrung war während seiner Studien in Lund sein Loos, bis er im Jahre 1805 zum Adjunct der Aesthetik und zum Vicebibliothekar an der Universitätsbibliothek daselbst ernannt wurde. Nun endlich war seine Lage eine gesicherte, und schon im nächsten Jahre führte er die Tochter seines Wohlthäters, Anna Myhrman, als Braut heim.

Tegner’s im Jahre 1810 beginnende Thätigkeit als akademischer Lehrer zu Lund war von außerordentlich großer Bedeutung: Seine glänzende Beredsamkeit, seine tiefe Kenntniß der Fächer, die er vortrug, und überhaupt seine hervorragende Begabung sowie der berühmte Name, den er sich schon damals als Dichter erworben, alle diese Eigenschaften machten ihn zu einer der vorzüglichsten Zierden der Hochschule. Durch seine große persönliche Liebenswürdigkeit erwarb er sich die Gunst der Studenten in hohem Grade, und vermöge seiner geistigen Ueberlegenheit ward er der Mittelpunkt des geistigen Lebens in Lund. So war es denn erklärlich, daß er nur mit schwerem Herzen aus dem ihm so liebgewordenen Wirkungskreise schied, als er 1826 einem Rufe nach Wexiö als Bischof folgte.

Die Thätigkeit, der er sich in dieser seiner neuen Stellung widmen mußte, lag ihm in jeder Beziehung fern. Als Bischof mußte er auf dem Reichstage erscheinen und sich am politischen Leben betheiligen, das ihn noch weniger ansprach, als seine geistlichen Geschäfte. Es ist tief zu beklagen, daß seine Dichtung, die sich während seines langen Aufenthaltes in Lund in reicher Fülle entfaltet hatte, in Wexiö mehr und mehr verstummte; seine Gesundheit wurde schwankend, und endlich zeigte es sich, daß seine Befürchtung, die in seiner Familie herrschende Anlage zu Gemüthskrankheiten habe sich auch auf ihn vererbt, nur zu wohl begründet war. Er folgte dem Rathe der Aerzte, sich ein Jahr (1839 bis 1840) auf der Irrenanstalt zu Schleswig aufzuhalten, und ward hier auch soweit hergestellt, daß er seine Amtsgeschäfte wieder aufnehmen konnte. Bald indessen fiel er wieder in den alten Zustand körperlicher Schwäche und geistiger Schlaffheit zurück, bis ihn am 2. November 1846 der Tod von seinen Leiden erlöste.

Tegnér’s dichterische Thätigkeit fällt, wie schon bemerkt, wesentlich in die Zeit, die er als Universitätslehrer in Lund verlebte.

Es ist bezeichnend für die glänzende, allem Unfertigen und Halben abgeneigte dichterische Eigenart unseres Poeten, daß gleich in seinen ersten Erzeugnissen der große Dichter in seiner ganzen classischen Schönheit fertig dastand; mit hinreißender Macht in Sprache und Rhythmus, mit herzbezwingender Gluth der Empfindung und mit leuchtender Schöpferkraft der Phantasie trat er auf einmal siegreich vor seine Nation, vor die Welt. Der Stern seiner Dichtung ging zu einer glücklichen Stunde über Schweden auf; es war, als ob sein Volk auf den großen Dichter gewartet hätte, der all die Töne, welche damals im nordischen Dichterwalde noch ungeordnet, des inneren Haltes entbehrend, erklangen, zu einer schönen harmonischen Einheit meisterhaft zu verschmelzen wußte. Das neunzehnte Jahrhundert hatte, wie anderwärts, so auch in Schweden, vom achtzehnten eine Dichtung übernommen, die – welch gute Eigenschaften ihr auch sonst innewohnen mochten – weit davon entfernt war, national und original zu sein. Wohl brachte Schweden am Schlusse des achtzehnten Jahrhunderts einzelne Dichter hervor, deren Gesang ein inniger, tief gefühlter Wiederklang war von dem, was sich im Volke regte – einer von ihnen, Karl Wilhelm Bellman (vergl. „Gartenlaube“ Jahrg. 1878, S. 608), war sogar eine der originellsten und tiefsten Dichternaturen, die irgend eine Literatur aufzuweisen hat – allein diese Dichter waren ihrer geistigen Entwickelung und ihrem Gefühlsleben nach noch nicht über die unteren Schichten des Volkes, aus denen sie hervorgegangen waren, hinausgekommen und wurden darum von den in der Literatur und im Geistesleben tonangebenden Kreisen kaum beachtet; denn hier führte der französische Geschmack das Scepter der Alleinherrschaft. Der hochbegabte, kunstliebende König Gustav der Dritte hatte seine Bildung ausschließlich der französischen Schule zu danken, und von dem Dichterkreis, der ihn umgab, galt dasselbe. So war denn die von ihm 1786 gestiftete „Schwedische Akademie“ ganz und gar nach dem französischen Vorbilde zugeschnitten, und nur das, was sich in den steifen Regeln der pseudoclassischen französischen Poetik und Rhetorik bewegte, fand Gnade vor den Augen der Akademiker.

Gegen das Ende des achtzehnten Jahrhunderts aber begann im Geistesleben Schwedens ein gesunder Wind zu wehen – und da geschah es, daß diese unnatürliche Richtung, die jeder echt nationalen Entwickelung hemmend im Wege stand, zu erlahmen anfing. Es erhob sich, aus dem erwachenden Geiste der Zeit geboren, ein flammender Kampf gegen die Ueberlieferungen der Pariser Literaturschule; man wollte das Flitterwerk höfischer Sentimentalität entfernen und etwas Gehaltvolleres, Wahreres und Echteres an seine Stelle setzen. Aber es liegt nun einmal in der Natur des Menschengeistes wie der allgemeinen Dinge der Welt, daß Großes und Neues, sofern es Dauer haben soll, nicht mit einem Schlage geschaffen werden kann. Ein Frühlingstag kann nicht die Früchte des Sommers reifen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: hald

[748] Man war sich im Allgemeinen wohl bewußt, von woher die Befreiung kommen müsse: die Kant’sche Philosophie, Herder’s Wiederaufnahme der Volksdichtung, Lessing’s und Winckelmann’s Studien über die Antike, Goethe’s und Schiller’s Dichtungen zeigten den Weg, und die neuen Anschauungen, welche dadurch überall hervorgerufen wurden, erregten auch in Schweden eine große Gährung, aber im Ganzen fehlte der Richtung jede zielbewußte Klarheit und kräftige Concentration – es tauchte aus dem gährenden Chaos irrlichterirender Bestrebungen keine geniale Kraft auf, welche aus den zerstreuten Elementen etwas Ganzes hätte schaffen können.

Die Opposition, unklar wie sie war, zerfiel in zwei Parteien, in die „Phosphoristen“ und in die „gothische Schule“. Die Ersteren, die ihren Namen von der von ihnen herausgegebenen Zeitschrift „Phosphorus“ erhalten und deren Führer der junge Peter Daniel Amadeus Atterbom war, repräsentirten die deutsche Romantik in ihrer auf die Spize getriebenen Einseitigkeit, während die gothische Schule unter der Führerschaft Erik Gustav Geijer’s das nationale Banner erhob und sich auf das nordische Alterthum stützte, um, durch seinen Geist gekräftigt, eine volksthümliche Dichtung zu schaffen.

Mitten in die Streitigkeiten hinein, welche zwischen der alten Schule auf der einen und den beiden neuen Richtungen auf der andern Seite entbrannt waren, leuchtete plötzlich der hell aufgegangene Stern Tegnér’s; mitten in das lärmende Kriegsgeschrei der Parteien hinein erscholl die gewaltige Stimme des Predigersohnes von Kirkerud; im Jahre 1809 warf Tegnér seinen „Kriegsgesang für die schonische Landwehr“ in die literarische Bewegung seines Vaterlandes, und mit einem Schlage war die Aufmerksamkeit der ganzen Nation auf ihn gelenkt – Schweden bewunderte seinen großen Dichter.

In der That spricht eine große Energie und Begeisterung, ein bedeutsamer und hoher Geist aus den geharnischten Strophen des Gedichtes, deren einige im Folgenden[1] hier Platz finden mögen:

„Wie die Räuber mit dem Dolche, schleichen
Die Verräther her in stiller Nacht;
Plötzlich weh’n die Kriegeszeichen
Ob dem Volk, noch unbewacht;
Unsre Ernten kamen sie zu mähen,
Treten auf der Ahnen bleich Gebein,
Unsre Weiber frech zu schmähen,
Unsre Söhn’ dem Tod zu weih’n.

Das Thal uns ernähre,
Der Fels mach’ uns stark!
Im Herzen lebt Ehre –
Die Knochen voll Mark.
Wir thun uns zusammen,
Zu schützen das Land;
Die Brust ist voll Flammen,
Von Eisen die Hand.

Manch’ gestohl’ne Krone setzte
Seiner Stirn’ der Sieger auf;
Schwache Völker blutig hetzte
In den Tod sein Henkerhauf;
Doch kein Zelt hat aufgestecket
Je der Feind an unsrem Strand,
und kein feindlich Roß gelecket
Einen Quell im Gotenland;
Unsre Mädchen zum Altare
Führt noch frei die eigne Hand;
Nordens Stern, der ewig klare,
Leuchtet auf ein freies Land.

Die Herzen sind muthig;
Der Wille bleibt warm.
Wir heben den Arm
Und rächen uns blutig. –
Wir werfen, mag ziehn
Der Däne, der Russe,
Dem Schicksalsschlusse
Den Handschuh hin.

– – – – – – – – – – –
Droh’n die Vermess’nen mit schmachvollem Eisen
Uns, die nichts fürchten, uns, die nicht flieh’n –
Eher vom Himmel die Sterne sie reißen,
Eh’ sie dem Lande ein Dorf nur entziehn.
Doch sie sind zahllos – die Erde mag schlürfen
Zahlloser Blut; frei bleibt ihr Schooß.
Zahllos? – die Streiter nicht zählen wir dürfen,
Die Erschlagenen zählen wir blos.
– – – – – – – – – – –“

„Diese kriegerische Dithyrambe,“ sagt mit Recht Tegnér’s Biograph, „hallte wie eine Sturmglocke in allen vaterländisch gesinnten Herzen wieder. Töne, die zugleich so trotzig und rein waren, hatte man noch nie von der schwedischen Lyra gehört. Dieser elektrisirende Gesang flog wie ein Lauffeuer durch Land und Reich, als ein Zeugniß dessen, daß der Norden seinen Tyrtäus habe.“

Noch mächtiger war der Erfolg des Tegnér’schen Gedichtes „Svea“, vor dem sich selbst die Akademie beugen mußte, indem sie ihm 1811 ihren Preis zuerkannte. Es ist dies eine ergreifende, großartige Dichtung, gleich ausgezeichnet durch mächtigen, phantasievollen Inhalt, wie durch die schöne, kühne Form. Mit gebietender Kraft wendet sich der Dichter an sein schwächliches Zeitalter, zeigt ihm wie in einem Spiegel das thatenreiche Leben der Vorfahren und fordert es mit feurigen Worten auf, in die Fußstapfen Jener zu treten, ihm als Lohn dafür eine große und herrliche Zukunft verheißend. In höchst charakteristischer Weise tritt in der Form des Gedichtes der Bruch mit den alten Regeln hervor. Es beginnt nämlich in den traditionellen Alexandrinern, denen Tegnér indessen einen ganz anderen Schwung zu verleihen versteht als seine akademischen Zeitgenossen und Vorgänger, weil sie bei ihm einen wirklichen Inhalt bergen und nicht wie bei Jenen nur die innere Hohlheit und Leere verdecken. Aber bald wird ihm die traditionelle Form zu eng. In schwellender Fülle sprudeln die mächtigen Gedanken hervor und machen sich Luft in freieren Rhythmen. Durch dieses Gedicht ward Tegnér’s Ruhm begründet, ja, es war sogar von entscheidender Bedeutung für die Entwickelung der gesammten poetischen Literatur Schwedens, indem es einerseits die Nation für die Vorzüge eines wirklich poetischen Inhalts, der mit der tiefsten Sehnsucht und den geheimsten Gedanken des Volkes im innigsten Zusammenhange steht, empfänglich machte und andererseits zeigte, daß es dichterische Formen gäbe, in denen ein großer und bedeutungsvoller Stoff in ganz anderer Weise zu seinem Recht gelange, als in den akademischen, die bisher als die allein zulässigen betrachtet worden waren. Mit „Svea“ hielt die neuere Dichtung, welche bisher meistens nur in den gedachten beiden Schulen eine Zufluchtsstätte gefunden hatte, einen glorreichen Einzug beim schwedischen Volke.

Ein Jahr nachdem Tegnér diesen großen Sieg errungen, kam er nach Stockholm, wo er außerordentlich gefeiert wurde; sowohl die Phosphoristen, wie auch die gothische Schule suchten ihn für sich zu gewinnen. Er schloß sich zunächst der letzteren an, wobei er jedoch unerschrocken und scharf sowohl die Einseitigkeit dieser Schule, wie diejenige der Phosphoristen kritisirte und andererseits es nicht unterließ, die Vorzüge, die er bei den Männern aus Gustav des Dritten Zeit fand, gebührend hervorzuheben; dies that er namentlich in einem seiner berühmtesten Gedichte, einer in Versen abgefaßten Rede aus Anlaß des fünfzigjährigen Jubiläums der Akademie. Diese seine Stellung zwischen den Parteien zog ihm natürlich oft literarische Streitigkeiten zu. Besonders energisch trat er dabei gegen die Phosphoristen auf, deren Einseitigkeit und Unklarheit er mit beißendem Witz geißelte.

Er trug in der That sehr viel dazu bei, daß die Phosphoristen allmählich ihre hyperromantischen und überspannten idealistischen Tendenzen aufgaben, was in erster Reihe seinen eigenen poetischen Erzeugnissen, namentlich seinen größeren Dichtungen zu verdanken war; denn diese, die vom Volke mit Begeisterung aufgenommen wurden, ließen die Schwächen und Verkehrtheiten, die der alten und den beiden neueren Schulen anhafteten, nur um so stärker hervortreten.

Die erste von Tegnér’s größeren Arbeiten ist die religiöse Idylle „Die Abendmahlskinder“, die 1820 erschien. Dieses Gedicht zeichnet sich ebenso sehr durch tiefen religiösen Ernst, wie durch schöne stimmungsreiche Naturschilderungen aus und ist wohl dasjenige von Tegnér’s Gedichten, in dem er die höchste Meisterschaft bewiesen, weil der Stoff so ganz besonders mit seinem eigenthümlichen

[749]

Esaias Tegnér.
Nach einem Kupferstiche auf Holz gezeichnet von Adolf Neumann.

Talent harmonirte, das hier reiche Gelegenheit fand, sich in seiner ganzen rhetorischen, aber von einem wirklich poetischen Inhalt getragenen Pracht zu entfalten. In den drei wunderbar ergreifenden Reden des alten Predigers, die den Hauptinhalt des Gedichtes bilden, erreicht dieselbe ihren Höhepunkt.

Noch größere Bewunderung und Begeisterung erregte das Gedicht „Axel“, das zwei Jahre später erschien und von den Zeitgenossen als das vorzüglichste Erzeugniß der schwedischen Literatur angesehen wurde. Die Nachwelt wird kaum dieses Urtheil zu dem ihrigen machen. In „Axel“ finden sich Stellen von großer Schönheit, aber als Ganzes betrachtet ist das Gedicht allzu sentimental.

Den Gipfel seines Ruhmes erklomm alsdann Tegnér mit seiner „Frithjof’s-Sage“, einer Dichtung, welche so große Vorzüge hat, daß es sich leicht begreifen läßt, wie sie sofort auf die Zeitgenossen eine förmlich bezaubernde Wirkung üben konnte und noch heutigen Tages sowohl in Schweden wie auch anderswo lebhafte Bewunderung erregt; ohne Zweifel ist die „Frithjof’s-Sage“ dasjenige Werk Tegnér’s, durch welches sein Andenken am längsten bewahrt bleiben wird. Sie besteht bekanntlich aus einem Romanzencyclus, der seinen Stoff der altnordischen Sage desselben Namens entnimmt. Der Dichter erhält dadurch Gelegenheit, eine Mannigfaltigkeit wechselnder Bilder vorzuführen, welche alle mit blendender Farbenpracht gemalt sind und von den schönsten Rhythmen getragen werden.

Es lassen sich viele, an und für sich berechtigte Einwendungen gegen diese Dichtung erheben, aber alle müssen sie verstummen, wenn man sich in dieselbe vertieft und sich von den wunderbar schön gebauten Versen und der bald kernigen, bald weichen und schmelzenden Sprache wiegen läßt. Aber nicht darin allein ist der Zauber zu suchen, den die „Frithjof’s-Sage“ seit ihrem ersten Erscheinen und bis auf den heutigen Tag ausgeübt hat; denn daß tiefer liegende Ursachen der allgemeinen Anerkennung vorhanden sein müssen, dafür spricht der Umstand, daß die Dichtung auch in der Uebersetzung, also wenn ihr das einschmeichelnde Gewand der Ursprache genommen ist, denselben oder doch annähernd denselben Effect ausübt, wie im Original. Das ist begreiflich: hat doch der Dichter bei seiner idealisirenden Schilderung von der Liebe Frithjof’s und Ingeborg’s in allgemein menschliche Stimmungen so tief hineingegriffen, daß Niemand das Gedicht zu lesen vermag, ohne in seinem innersten Herzen den vollsten Wiederklang der angeschlagenen Saiten zu empfinden.

Die „Frithjof’s-Sage“ ist es, die Tegnér’s Ruhm über die ganze civilisirte Welt getragen hat, aber außer dieser und den von uns besprochenen größeren Dichtungen hat er eine große Menge ausgezeichnet schöner lyrischer Gedichte geschaffen, unter [750] denen die Gelegenheitsgedichte, namentlich aber seine in Versen abgefaßten Reden, die vorzüglichsten sind; hier erzielt die unserm Dichter eigenthümliche rhetorische Bilderpracht eine große und gewaltige Wirkung.

Bis zu einem gewissen Grade mag der durchgängig rhetorische Charakter der Tegnér’schen Dichtweise ein Erbe der alten schwedischen Schule gewesen sein, allein andererseits wurzelte er tief in der eigenen Persönlichkeit des Dichters und trug wesentlich dazu bei, daß sein Volk mit so großer Liebe an seinen Werken hängt; denn es ist eine Eigenthümlichkeit der schwedischen Nation, die hier ihren schönsten und vollsten Ausdruck gefunden hat.

Tegnér schloß sich, wie gesagt, keiner der bestehenden schwedischen Literaturschulen unbedingt an. Es war keiner von seinen geringsten Vorzügen, daß er es verstand, sich das Gute und Tüchtige, was er bei jeder derselben fand, anzueignen und es mit seinem eigenthümlichen geistigen Wesen zu verschmelzen. Eben dadurch ward er, ohne eine eigentliche Schule zu gründen, der hervorragendste Führer der schwedischen Literatur.

Aber auch in seinem Verhältniß zur Literatur des übrigen Europa bewährte er die Gabe eines feinsinnigen geistigen Aneignungsvermögens. Auf vielen Punkten zeugt seine Dichtung von seiner seltenen Empfänglichkeit für das Gute und Schöne, das er bei den Fremden fand, und von der großen Geschmeidigkeit seines Geistes. So verrathen die „Abendmahlskinder“ ein gründliches Studium Goethe’s, namentlich von „Hermann und Dorothea“; „Axel“ zeigt unverkennbar Byron’schen Einfluß und die „Frithjof’s-Sage“ die Einwirkung der Oehlenschläger’schen Dichtungen. Aber stets ist bei ihm das Fremde so völlig und selbstständig durchgearbeitet und von seiner Individualität so tief und warm durchdrungen, daß es ganz und gar sein Eigen geworden ist. Kein Dichter ist so ausgeprägt schwedisch wie Esaias Tegnér.

Dr. Fr. Winkel Horn.
  1. Diese Strophen wurden einer dankenswerthen deutschen Festgabe zu dem hundertjährigen Jubiläum des Dichters entnommen, dem soeben erschienenen kleinen Buche: „Esaias Tegnér, sein Leben und Dichten nebst einem Blüthenkranz aus seinen lyrischen Gedichten von Eugène Peschier“ (Lahr, Schauenburg). Wir ergreifen mit Vergnügen die Gelegenheit, die Aufmerksamkeit unserer Leser auf diese Publication hinzulenken, welche ihnen neben einer gehaltvollen Biographie und Charakteristik des nordischen Sängers eine Reihe seiner schönsten Gedichte in gewandter und stilvoller Verdeutschung bietet.
    D. Red.