Etwas aus der Geschichte des Diaconissenhauses Neuendettelsau/§. 1. Erste Anfänge des Anstaltslebens von Neuendettelsau

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Etwas aus der Geschichte des Diaconissenhauses Neuendettelsau
Beilage I. Lutherischer Verein für weibliche Diaconie in Bayern »
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§. 1.
Erste Anfänge des Anstaltslebens von Neuendettelsau.
Verein für weibliche Diaconie.

     Das Gedächtnis des Menschen ist, insonders wenn es in Acht genommen wird, eine gewaltige Kraft, durch welche die Dinge, die sonst schnell entschwinden können, auf lange Zeiten hin erhalten werden. Aber es ist auch nicht zu leugnen, daß, wenn man es nicht pflegt, Dinge ganz schnell entschwinden, die werth gewesen wären, im Andenken behalten zu werden. So ist es auch mit den Anfängen der hiesigen Diaconissenanstalt, über die auch die innigsten Freunde der Sache dermaßen in Ungewißheit und Unwißenheit gerathen sind, daß sie kaum mehr zu sagen wißen, wie alles gekommen und geworden ist.

     Die Diaconissenanstalt Neuendettelsau, nunmehr ein in die Augen fallendes und großes Ganze, das seinen eignen Anfang verloren und in die Vergeßenheit gesenkt hat: – zwar will ich nicht sagen, daß man ein hohes Bedauern deshalb faßen müßte. Manche Dinge haben Anfänge gehabt, an denen nichts gelegen ist, und so mag es auch mit unsrer Diaconissenanstalt gewesen sein. Die Anfänge mancher Sache sind an sich dunkel und unklar, und manchen Menschen und Sachen ist es wie angethan, mit allen ihren Sachen erst allmählich sich selber und andern klar zu werden. Indes wird man sich mit einem solchen Schicksal doch nicht in jedem Fall zufrieden geben| müßen, und hie und da wird man gewiß recht thun, sich seiner Anfänge zu besinnen, oder wenn diese auch fraglich sind, kann es doch zuweilen einigen Nutzen bringen, sich seines Anfanges und seines Herkommens zu erinnern.

     Wir wollen annehmen, daß es auch mit der hiesigen Diaconissenanstalt so sei. Sie selbst, die Diaconissenanstalt, wie sie auch bis jetzt geworden sei, ist doch nicht das Erste und Beste von ihrer Anfangszeit zu nennen. – Ihr selbst voran geht etwas, an das man kaum mehr denkt oder das man wenigstens gar nicht mehr in den rechten Zusammenhang setzt. Der erste Anfang der hiesigen Diaconissenanstalt liegt in dem Vereine für weibliche Diaconie, aus dem heraus die Anstalt geboren und geworden ist. Man könnte sich denken, daß die Anstalt gar nicht entstanden wäre, der Verein für weibliche Diaconie aber so um sich gegriffen hätte, daß eine Anstalt wie die Diaconissenanstalt gar nicht nöthig geworden wäre. Was der Verein gewollt hat, erscheint mir gegenwärtig noch weit größer und bedeutender zu sein, als die Diaconissenanstalt selbst. Oder ist das nicht leicht darzustellen und zu faßen? Wenn es dahin gekommen wäre, daß der Funke, der sich hier entzündete, sich zündend in dem ganzen Lande verbreitet hätte, und daß allenthalben Vereinigungen für weibliche Diaconie entstanden wären und sich ausgebreitet hätten, Ein Feuer der Liebe und der Barmherzigkeit unser Volk ergriffen und umfaßt hätte, wäre das in der That nicht weit mehr gewesen, als wenn eine Diaconissenanstalt, wie es nun der Fall ist, ihr Haupt und Licht nach allen Seiten hin erhoben hätte, während die Bevölkerung zu keinem eigentlichen Vereine für weibliche Diaconie emporgegangen wäre?

     Was man gegen Ende des Jahres 1853 angestrebt hat, war in erster Linie keine Diaconissenanstalt, wohl aber ein Verein für weibliche Diaconie. Wenn es so gekommen| wäre, wie wir es gewollt haben, so würde man sich zu Einem solchen Vereine mit aller Kraft in unserm ganzen Vaterlande vereinigt haben, überall würde man in den mannigfaltigsten Formen sich zu Werken der Liebe und der Barmherzigkeit vereinigt haben, und man würde sich leicht haben trösten können, wenn nirgends ein Diaconissenhaus entstanden wäre, dagegen aber allenthalben mit Lust und Eifer das geschehen wäre, was Gott und Christo gefallen hätte.
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     Als wir uns gegen das Ende des Jahres 53, Männer und Frauen in der Diöcese Windsbach, zusammenfanden, und an unsre Regierung in Ansbach wendeten, begehrten wir weiter nichts als die Erlaubnis, in unsrem fränkischen Heimathlande einen Verein für weibliche Diaconie zu stiften. Und als wir von der Obrigkeit belehrt wurden, daß das gar kein Bedenken hätte, und daß wir eine staatspolizeiliche Genehmigung erst dann bedürften, wenn es zu Anstalten und Krankenhäusern käme, und der Sinn, den wir hätten, in’s concrete Leben hervortreten würde, da waren wir schon hoch erfreut und rasch constituirte sich ein Verein für weibliche Diaconie in Bayern. Der Name weibliche Diaconie wurde gleich vornherein so gefaßt, daß die Geschäfte sammt und sonders von Frauen geschehen und Männer blos als Helfer zum Gelingen weiblicher Werke herbeigezogen werden sollten. Drei Vorsteherinnen sollten an der Spitze stehen und den innersten Mittelpunkt des Ganzen bilden. Diejenigen Frauen und Männer, die in der Diöcese Windsbach sich zusammenfinden würden, wurden als Muttergesellschaft angesehen, zu der sich allenthalben Zweig- oder Töchter-Vereine in ganz gleicher Weise finden sollten. Die Muttergesellschaft sollte in ihrer Einrichtung und in ihrer Thätigkeit den Zweigvereinen Gestalt und Maß verleihen, und alle Zweigvereine sollten der Muttergesellschaft nachfolgen und nacharten. Das zunächst| wollte man erreichen. Überall sollten sich Zweigvereine gründen, in denen Leben und Puls der Muttergesellschaft schlüge. Aller Orten das gleiche Ziel, die gleiche Absicht, die gleichen Mittel und Wege, die gleichen Formen des Lebens, das war es eigentlich, was beabsichtigt war: es war der Lutherische Verein für weibliche Diaconie in Bayern. Krankenhäuser, Diaconissenhäuser und dergleichen waren blos Mittel zum Zweck, die nicht fehlen sollten, aber keineswegs so an die Spitze treten, daß in ihnen das ganze Leben des Vereins sich ergöße. Wer das nicht faßt, der hat den Anfang unsrer ganzen Sache nicht erfaßt, oder ganz und gar vergeßen.

     Am 13. März 54 trat die Muttergesellschaft dahier zu Neuendettelsau zusammen und constituirte sich. Sie bestand zuerst aus folgenden Helferinnen; denn diejenigen, denen in erster Linie geholfen sein sollte (der Frauenvorstand), existirten gar noch nicht. Nach dem Rechte, welches in der weiblichen Diaconie die Frauen haben mußten, standen folgende Helferinnen voran:

     1) Frau Decanin Bachmann zu Windsbach, Vorsteherin der Helferinnen durch einmüthige Wahl.
     2) Frau Pfarrerin Müller von Immeldorf, Untervorsteherin durch einmüthige Wahl.
     3) Frau Pfarrerin Kündinger zu Petersaurach.
     4) Frau Pfarrerin Emmerling zu Dürrenmungenau.
     5) Frau Inspectorin Hensolt von Windsbach.
     6) Fräulein Sophie v. Tucher zu Neuendettelsau.

     Neben diesem Collegium der Helferinnen stand folgendes Collegium der Helfer:

     1) Herr Decan Bachmann zu Windsbach, Vorsitzender durch einmüthige Wahl.
|      2) Herr Pfarrer Müller zu Immeldorf, Rechnungsführer durch einmüthige Wahl.

     3) Herr Inspector Hensolt zu Windsbach, Secretär durch einmüthige Wahl.
     4) Herr Pfarrer Kündinger zu Petersaurach.
     5) Herr Pfarrer Emmerling zu Dürrenmungenau.
     6) Herr Pfarrverweser Fischer zu Weißenbronn.
     7) Herr Katechet Bauer zu Neuendettelsau.
     8) Pfarrer Löhe zu Neuendettelsau.

     Diese Muttergesellschaft von sechs Helferinnen und acht Helfern beauftragte den Pfarrer Löhe, an ihre Spitze die folgenden drei Vorsteherinnen: „Jungfrau Karoline Rheineck zu Memmingen, Diaconissin, zu Kaiserswerth gebildet, aber von Kaiserswerth ausgetreten, Jungfrau Amalie Rehm von Memmingen, Kirchenrathstochter von Memmingen, und Fräulein Helene v. Meier, Legationsrathstochter von Nürnberg zu berufen, welches auch am 14. März 54 geschah, wodurch dann die ganze Muttergesellschaft formal gebildet war. Man hatte Helfer und Helferinnen und einen Frauenvorstand von drei leitenden Schwestern oder Vorsteherinnen. Zur Seite der letzteren sollten die sechs Helferinnen, und außerdem die Vorsteherinnen der Localvereine stehen, die noch nicht da waren. Diese Muttergesellschaft gab sich die Statuten, die der kgl. Regierung von Mittelfranken und dem Staatsministerium des Innern vorgelegt wurden und nach dem am 27. Februar 54 ergangenen Ministerialerlaß völlig unbeanstandet blieben. Diese Statuten umfaßen 16 Paragraphen, von denen die 10 ersten sich mit der Muttergesellschaft selbst, §§. 11 und 12 mit den Hülfs- oder Zweigvereinen, §§. 13 bis 15 mit den Formen des gesammten Vereins sich beschäftigen, während §. 16 über die Natur der Statuten handelt. – Die Muttergesellschaft und die Zweigvereine haben einen allgemeinen Zweck (Erweckung| und Bildung des Sinns für den Dienst der leidenden Menschheit in der Lutherischen Bevölkerung Bayerns, namentlich in dem weiblichen Theile desselben). Sie haben auch einerlei Mittel zum Zweck (Gründung Lutherischer, mit Diaconissen-Anstalten derselben Confession verbundener Hospitäler, Ausbildung von Diaconissen, Ausbildung der weiblichen Jugend überhaupt für den Dienst der leidenden Menschheit, Übernahme der Krankenpflege in Heilanstalten). – Ebenso ist auch die Ausführung des Zwecks (§. 3, 1–4) ganz eine und dieselbe und was §. 4 über die Mitgliedschaft und §. 5 über die Organisation gesagt wird, ist gleichfalls vollkommen mit dem zusammengehend, was über die Hilfsvereine gesagt wird. Da diese alten Statuten des Vereins für weibliche Diaconie trotz aller Mühe der Verbreitung ziemlich unbekannt geworden sind, so laßen wir sie hier in extenso abdrucken und überlaßen es den Lesern, sich aus dem Ganzen zu überzeugen, wie hoch bestrebt man von Anfang an gewesen ist, durch den Verein für weibliche Diaconie ganz ein und denselben Sinn und Geist und ganz das gleiche Leben in dem von uns als groß und weit gedachten Ganzen zu verbreiten. Dieses, nicht ein Diaconissenhaus oder dergleichen, war die eigentliche Absicht, die wir am Ende des Jahres 53 und Anfang des Jahres 1854 bei unserm ganzen Emporgehen hatten.


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