Etwas aus der Geschichte des Diaconissenhauses Neuendettelsau/Beilage I. Lutherischer Verein für weibliche Diaconie in Bayern

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« §. 1. Erste Anfänge des Anstaltslebens von Neuendettelsau Wilhelm Löhe
Etwas aus der Geschichte des Diaconissenhauses Neuendettelsau
Beilage II. Bedenken über weibliche Diaconie innerhalb der protestantischen Kirche Bayerns »
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|      Beilage I.
Lutherischer Verein für weibliche Diaconie in Bayern.
     In Nr. 12 des vorigen Jahrgangs 1853 dieses Blattes (Correspondenzblatt für innere Mission) findet sich ein „Bedenken über weibliche Diaconie innerhalb der protestantischen Kirche Bayerns,“ insonderheit über zu errichtende Diaconissen-Anstalten. Auf Grund dieses Bedenkens entschloßen sich gegen Ende des vorigen Jahres eine| Anzahl von Männern und Frauen, sämmtlich zur Diöcese Windsbach gehörig, zur Gründung eines lutherischen Vereins für weibliche Diaconie in Bayern. Sie legten deshalb der k. Regierung von Mittelfranken die nachfolgenden Statuten vor:


Statuten.
§. 1.
Allgemeiner Zweck.

     Erweckung und Bildung des Sinns für den Dienst der leidenden Menschheit in der lutherischen Bevölkerung Bayerns, namentlich in dem weiblichen Theile desselben.


§. 2.
Mittel zum Zweck.

1) Gründung lutherischer mit Diaconissen-Anstalten derselben Confession verbundener Spitäler.
2) Ausbildung von Diaconissen der verschiedenen Arten, d. i. solcher, die in Heilanstalten, Missionen und Schulen, und solcher, die in Gemeinden und Familien dienen können.
3) Ausbildung der weiblichen Jugend überhaupt für den Dienst der leidenden Menschheit.
4) Übernahme der Krankenpflege in Heilanstalten.


§. 3.
Ausführung des Zwecks.

1) Erweckung der Theilnahme für die Zwecke des Vereins.
2) Genauere Kenntnisnahme des Standes der Fürsorge für Kranke und Elende in den verschiedenen Gegenden des Vaterlandes, sowie Erforschung der besten Mittel zur Abhilfe etwaiger Gebrechen.
3) Auffindung und Gewinnung der für Ausführung von §. 2, 1–4 nöthigen Persönlichkeiten.
4) Herbeischaffung der nöthigen Geldkräfte.


§. 4.
Mitgliedschaft des Vereins.
1) Mitglieder der Vereins können sowohl Männer als Frauen des lutherischen Bekenntnisses sein, wenn sie regen Antheil an den Vereinszwecken haben und denselben durch eine ihrem Vermögen| angemeßene regelmäßige Unterstützung an Geld oder Naturalgaben bethätigen.

2) Eintritt und Austritt steht frei.
3) Der Austritt kann auch ein gezwungener sein, wenn die Nr. 1. dieses §. angegebenen Bedingungen der Mitgliedschaft aufhören.


§. 5.
Organisation.

     Der Verein besteht
1) aus einer zur Ausführung der Vereinszwecke und Leitung der Vereinsangelegenheit freiwillig zusammengetretenen, sich selbst ergänzenden Muttergesellschaft,
2) aus Hilfsvereinen, welche sich der Muttergesellschaft zur Förderung ihrer Zwecke organisch angeschloßen haben.


§. 6.
Die Muttergesellschaft

besteht
1) aus einem Collegium von männlichen Helfern,
2) aus einem leitenden Frauenvorstand.


§. 7.
Das Collegium von männlichen Helfern.

1) Es ergänzt sich selber und besteht gegenwärtig aus den Endesunterzeichneten.
2) Zu seiner Befugnis gehört

a. die Oberaufsicht über die gesammte Leitung der Vereinsangelegenheiten und in Folge derselben auch regelmäßige Visitation,
b. dass Rechnungswesen des Vereins,
c. die Vertretung des Vereins in allen Fällen, wo dieselbe beßer durch Männer als durch Frauen geschehen kann,
d. Die Bestätigung und Zurückweisung der vom Frauenvorstand gefaßten Beschlüße und vorgelegten Anträge.

3) Das Collegium der männlichen Helfer bestellt nach Bedürfnis aus seiner Mitte und auf bestimmte Dauer einen Vorsitzenden, Rechnungsführer und Secretär.


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§. 8.
Der Frauenvorstand.

     Er besteht
a) aus dem Collegium der leitenden Schwestern oder Vorsteherinnen,
b) aus den ihnen freiwillig zur Seite stehenden Helferinnen,
c) aus den Vorsteherinnen der Localvereine.


§. 9.
Das Collegium der leitenden Schwestern oder Vorsteherinnen.

1) Es besteht aus einer durch das Bedürfnis begrenzten Anzahl von Jungfrauen oder Wittwen, welche von dem Helfercollegium nach Vereinbarung mit den Helferinnen und den Vorsteherinnen der Localvereine bestellt werden.
2) Diesem Collegium steht zu

a. die Ausführung der Vereinszwecke,
b. die Leitung aller Vereinsangelegenheiten in organischer Verbindung mit dem Helfercollegium,
c. die Leitung der Vereinsanstalten und ihres Haushalts.
d. die Oberaufsicht und Inspection über die Anstalten der Hilfsvereine,
e. die Correspondenz, insonderheit mit den Vorsteherinnen der Hilfsvereine.


§. 10.
Das Collegium der Helferinnen.

1) Es ergänzt sich selber und besteht gegenwärtig aus dem Endesunterzeichneten.
2) Diesem Collegium steht zu

a. die Berathung und Unterstützung des Collegiums der Vorsteherinnen,
b. die Controle des Haushalts der Vereinsanstalten,
c. gemeinschaftlich mit den Vorsteherinnen Beschluß und Antrag in Betreff des Haushalts und der Versorgung der Vereinsanstalten und des Vereins selber,
d. gemeinschaftlich mit dem Helfercollegium Beschluß und Antrag in Betreff des Wandels und der Amtsführung der Vorsteherinnen, sowie der Berufung und Entlaßung derselben.
3) Das Collegium der Helferinnen tritt selbständig nur zusammen| zur Ergänzung seiner selbst und zum Ausschluß seiner Mitglieder, und wählt zum Behuf des Zusammentrittes eine Vorsteherin und Untervorsteherin.


§. 11.
Die Vorsteherinnen der Hilfsvereine.

1) Sie sind die Mittelglieder zwischen der Muttergesellschaft und den Hilfsvereinen und haben als solche das Referat

a. bei den Hilfsvereinen im Namen der Muttergesellschaft,
b. bei der Muttergesellschaft im Namen der Hilfsvereine.

2) Sie haben das Recht des Antrags in Betreff der allgemeinen Vereinsangelegenheiten, so wie der Amts- und Geschäftsführung und des Wandels der Vorsteherinnen.
3) Im Falle ihrer Anwesenheit haben sie bei den gemeinschaftlichen Conferenzen der Helferinnen mit den Helfern oder Vorsteherinnen eine beschließende Stimme.
4) In Betreff der Berufung neuer Vorsteherinnen soll ihr Gutachten eingeholt werden, wenn sie bei den Versammlungen nicht erscheinen können.


§. 12.
Die Hilfsvereine.

1) Sie entstehen aus dem organischen Zusammenschluß der Vereinsglieder eines abgegrenzten Bezirks.
2) Ihnen steht zu

a. die Erforschung des Bestandes der Fürsorge für die leidende Menschheit in ihrem Bezirk,
b. die Berathung der Mittel zur Hebung und Erweiterung dieser Fürsorge,
c. die Gründung von Localanstalten im Sinne des Vereins,
d. die Unterstützung und Förderung der Vereinszwecke, und insonderheit der Vereinsanstalten.

3) Sie bestehen

a. aus einem freiwillig, jedoch unter Bestätigung der Helfer der Muttergesellschaft zusammengetretenen Helfercollegium,
b. aus einer mit Gutheißung der Muttergesellschaft aufgestellten Vorsteherin,
c. aus einem Collegium von Helferinnen,
d. aus den andern männlichen und weiblichen Mitgliedern.
| 4) Das Collegium der Helfer hat innerhalb des Hilfsvereins gleiche Befugnisse und Organisation, wie das Helfercollegium de Muttercollegiums innerhalb dieser.

5) Die Vorsteherin hat

a. die §. 11. angegebenen Befugniße in Bezug auf die Muttergesellschaft,
b. die Aufsicht über die Localanstalten,
c. das Recht die Helferinnen zu Versammlungen zu berufen.

6) Die Helferinnen werden von den weiblichen Mitgliedern unter Gutheißung der Helfer des Hilfsvereins gewählt.
7) Die Helferinnen haben in Bezug auf die Hilfsvereine gleiche Rechte und Pflichten, wie die Helferinnen der Muttergesellschaft in Betreff dieser.
8) Die Helferinnen schlagen, nach Vereinbarung mit den Helfern, der Muttergesellschaft jede neue Vorsteherin vor und beschließen mit den Helfern über etwaige Entlaßung einer bisher im Amte gestandenen Vorsteherin.
9) Zu dem Nr. 8. benannten Behuf treten die Helferinnen mit den Helfern zu einer gemeinschaftlichen von dem Vorsitzer der Helfer geleiteten Versammlung zusammen.
10) Die Hilfsvereine bringen die Mittel zu Localanstalten aus ihrer Mitte auf, ohne der Muttergesellschaft etwas zu entziehen, können jedoch, je nach Befund der Vereinsmittel um Unterstützung der Muttergesellschaft anhalten.


§. 13.
Regie des Vereins.

1) Alle Glieder des Vereins fördern die Zwecke des Vereins unentgeldlich mit Ausnahme derjenigen, deren Hilfleistung Lebensberuf ist, d. i. der Vorsteherinnen.
2) Die Vorsteherinnen werden besoldet, wenn und soweit es ihnen ihre Vermögensumstände nicht möglich machen, dem HErrn Jesus unentgeldlich zu dienen.


§. 14.
Rechnungslegung.

1) Der Verein schließt monatlich seine Bücher.

2) Der Verein legt alljährlich öffentliche Rechnung.
| 3) Revisionsbehörde des Vereins sind einige von den Hilfsvereinen, resp. deren Helfercollegium, erwählte Helfer der Hilfsvereine.


§. 15.
Versammlungen.

1) Das Helfercollegium der Muttergesellschaft hat das Recht je nach Ermessen allgemeine Versammlungen des Vereins anzuberaumen.
2) Ebendasselbe versammelt nach Ermeßen die Glieder der Muttergesellschaft.
3) Die Vorsteherinnen der Muttergesellschaft können nach Ermeßen die Helferinnen versammeln, nämlich in Betreff der den Helferinnen zugewiesenen Aufgaben.
4) Die Helferinnen können Versammlungen der Helferinnen und Vorsteherinnen beantragen.
5) Die Helfercollegien der Hilfsvereine können die Hilfsvereine versammeln.


§. 16.
Abänderung der Statuten

behält sich bezüglich der Muttergesellschaft diese selbst vor; bezüglich der Hilfsvereine kann ohne die Muttergesellschaft und deren Zustimmung nicht geändert werden.

(Folgen die Unterschriften.)

     In dem den Statuten beigelegten Bittgesuch sagten die Bittsteller unter anderem: „Nach dem Vereinsgesetz genügt zur Bildung eines Vereins wohl Anzeige und Statutenvorlage, allein da dieser Verein seine Zwecke ohne Krankenhäuser nicht erreichen kann, zur Errichtung dieser aber die staatliche Genehmigung nothwendig erscheint, so glauben diejenigen, welche zu einem Vereine der bezeichneten Art zusammentreten wollen, auch diesen Verein ohne ausdrückliche Genehmigung und Gutheißung der königl. Regierung nicht gründen zu können.“

     Die königl. Regierung von Mittelfranken legte die Sache dem Staatsministerium des Innern vor, welches unter dem 27. v. M. folgende Entschließung in Betreff derselben erließ.


Staatsministerium des Innern.
     Der k. Regierung, K. d. J., werden in dem Anschluße die Beilagen des Berichts vom 13./18. v. M. mit der Eröffnung zurück geschloßen,| daß – so lange der von dem k. protestantischen Decan und Stadtpfarrer Eduard Bachmann zu Windsbach und anderen Menschenfreunden beabsichtigte lutherische Verein in Bayern mit seinem allgemeinen Zwecke der Erweckung der Privatwohlthätigkeit für Krankenpflege und der Heranbildung von Krankenpflegerinnen sich befaßt, eine solche Vereinigung nicht nach Maßgabe des Art. 14 et sequ. des Gesetzes vom 26. Februar 1850 – die Versammlungen und Vereine betreffend, – als politischer Verein erkannt werden könne.

     Nachdem der genannte Verein aber auch den besondern Zweck sich gesetzt hat, Bildungsanstalten für Krankenpflege und Krankenhäuser für Arme in der protestantischen Kirchengemeinde Bayerns zu gründen, so versteht es sich von selbst, daß für solche Institute, wenn selbe die Rechte einer öffentlichen Corporation und eigene Rechtsfähigkeit genießen sollen, die staatspolizeiliche Genehmigung und landesherrliche Bestätigung erforderlich ist. Diese ist jedoch erst dann veranlaßt, wenn es sich um die wirkliche Ausführung solcher Anstalten handelt.

     In diesem Falle ist unter Vorlage der bezüglichen Verhandlungen, insbesondere des Programms und der Satzungen der Anstalt, dereinst berichtlicher Antrag zu stellen, und hienach der protestantische Decan und Stadtpfarrer Eduard Bachmann geeignet zu verständigen.

     München, den 27. Februar 1854.

Auf
Seiner Königlichen Majestät allerhöchsten Befehl.
Graf Reigersberg.
Epplen.
 An

die k. Regierung,

 K. D. I.



     Die kgl. Regierung von Mittelfranken theilte diese Entschließung unter dem 3. März dem kgl. Landgericht Heilsbronn mit, von welchem sie unter dem 4. März dem kgl. Decan Bachmann zu Windsbach zugestellt wurde.

     Der erste Theil dieser Entschließung besagt ausdrücklich, daß der Verein nicht für einen politischen zu halten sei, ohne Zweifel, weil die letztere Ansicht statt haben konnte. Zu gleicher Zeit ist aus diesem| ersten Theile offenbar, daß von Seiten der obersten Staatsbehörde der Entstehung des Vereins keinerlei Hindernisse in den Weg gelegt wurden. Deshalb constituirte sich am 13. dieses Monats die Muttergesellschaft des Vereins. An der Spitze des Helfercollegiums desselben stehen: Decan Bachmann zu Windsbach als Vorsitzender, Pfarrer Müller zu Immeldorf als Rechnungsführer, Inspector Hensolt zu Windsbach als Secretär. Vorsteherinnen des Collegiums der Helferinnen sind Frau Decanin Bachmann von Windsbach und Frau Pfarrerin Müller zu Immeldorf.

     Die zusammengetretene Muttergesellschaft eröffnete ihre Thätigkeit mit der Berufung der Vorsteherinnen (s. §. 8. a. der Statuten). Das Geschäft konnte nicht auf der Stelle formal erledigt werden, sowie es aber erledigt ist, wird die Anzeige bei der Polizeibehörde erfolgen und weitere Nachricht gegeben werden.

     Es wäre nun wünschenswerth, daß sich Hilfsvereine nach §. 11 und 12 der Statuten bildeten. Sollten sich hie und da unsere Freunde in dieser Art zusammenschließen wollen, so werden ihnen die Helfer der Muttergesellschaft persönlich und brieflich gerne zu Hilfe sein, und bedarf es deshalb nur eines ausgesprochenen Wunsches.

     Geschenke, durch welche die Angelegenheiten des Vereins unterstützt werden sollen, werden am besten an den Rechnungsführer Herrn Pfarrer Müller in Immeldorf (Post-Expedition Lichtenau bei Ansbach) geschickt werden.

     Die erste Diaconissen-Anstalt soll zu Neuendettelsau entstehen. Die Muttergesellschaft wird demnächst der königlichen Regierung von Mittelfranken das Programm und die Satzungen derselben zur Vorlage bei dem Staatsministerium des Innern und zur Genehmigung einsenden und seiner Zeit theilnehmenden Freunden in diesen Blättern weitere Nachricht geben.

     Der Herr, welcher zu einem gesegneten Anfang der Sache die Herzen so gnädig gelenkt hat, wird sie auch ferner zu seiner Ehre und zum Heile der luth. Bevölkerung von Bayern, ja wohl auch zum zeitlichen Segen aller unserer Nächsten gedeihen und es ihr an Liebe, Rath und Hilfe der Glaubensgenossen nicht fehlen laßen. Ihm sei seine eigene Sache befohlen!


     Selbstverständlich konnten wir nicht voraussehen, in welchem Maße unser Beispiel und unsre Aufforderung Anklang| finden würde. Unsre Verbindungen im Lande und unsre Verhältnisse waren von gedoppelter Art: einestheils hatten wir keinen Zweifel zu glauben, daß wir Vertrauen und Nachfolge finden würden, anderntheils aber trugen wir von alten Zeiten her die Schmach Christi, Mistrauen und Argwohn begegneten uns allenthalben mit lähmender Kraft. Demgemäß waren auch unsre Erfahrungen von zwiefacher Art. Gleich in der ersten Zeit schloßen sich schnell hinter einander Zweigvereine an und zwar zu allererst, bereits am 30. März 54, der Zweigverein Nürnberg, sodann am 20. April 54 der Zweigverein Hersbruck, am 10. Juni 54 der Zweigverein Memmingen, am 6. September 54 der Zweigverein Altdorf, am 17. Dez. 54 der Zweigverein Nördlingen, am 26. Mai 56 der Zweigverein Neuendettelsau, am 17. Mai 61 der Zweigverein Fürth, und zuletzt, erst im Sommer des Jahres 69, bekam der Zweigverein Wendelstein seine volle Gestaltung. Mehr Vereine aber, als die genannten sind es bis jetzt nicht geworden, und wer dieses Maß von Gelingen mit unsern anfänglichen Wünschen und Hoffnungen vergleicht, der hat alle Ursache, sich für enttäuscht zu halten und wird zu dem Bekenntnis genöthigt, daß wir auch in Sachen der weiblichen Diaconie, wenigstens in unsern heimathlichen Kreisen, den Anklang nicht fanden, den wir gehofft hatten. Wir waren und bleiben ein geringer Haufe, fanden überall Hindernis und fast nirgends die freudige Theilnahme und Arbeit, aus die wir gehofft hatten. Die erwählten Vorsteherinnen der Zweigvereine kamen zwar alljährlich an oder um Laurentii in Dettelsau zu einem Vereinstage zusammen, aber man konnte nirgends die einschlagende Wirkung wahrnehmen, auf die man gerechnet hatte. Die Theilnahme war kühl und man hatte fast jedes Jahr zu fürchten, daß sie noch kühler und geringer werden könnte. Dennoch aber lebten die Vereine fort, und| wenn man alljährlich die Frage erhob, ob es etwa an der Zeit wäre, die Thätigkeit der einzelnen Vereine, oder gar des gesammten Vereines abzuschließen, so war doch dazu niemand willig, sondern im Gegentheil, neue Anstrengungen wurden gemacht, und je länger je mehr wuchs doch das Vertrauen, daß die etwas schwache Pflanze des Vereins für weibliche Diaconie in Bayern noch einmal auskränkeln und noch dahin kommen könnte, mit Kraft und Freudigkeit emporzugehen. Der Hersbrucker Verein brachte es zwar nur zu einer Suppenanstalt, und sein Lichtlein löschte bald völlig aus. Auch der Memminger Verein verlor zwar nicht das Leben, aber den Zusammenhang mit der Muttergesellschaft, so daß am Ende nur eine Krippenanstalt übrig blieb, die unter der Obhut und Pflege einer Dettelsauer Schwester stand und steht. Die andern Zweigvereine aber erhielten sich, zum Theil mit großem Segen. Ein Paar Zweigvereine, und zwar nicht die unbedeutendsten, hatten ernste Prüfungszeiten, so daß man auch daran dachte, die aus ihnen entsproßenen Anstalten mit der Muttergesellschaft ganz zu vereinen, und derselben Eigenthum und Verwaltung zu übergeben. Der Herr aber schaffte dann wieder Zeiten des Glücks und des kräftigen Gedeihens, so daß gerade diese Vereine wieder flammend emporschlugen und gegenwärtig kein Mensch mehr daran denkt, ihr Licht als ein erlöschendes zu betrachten. Der Zweigverein Nürnberg ist so groß und kräftig geworden, daß er eine Pflegeanstalt für Töchter, eine Krippenanstalt, eine Mägdeanstalt besitzt und zugleich mit einem Krankenvereine ein Kinderhospital aufrecht erhält, in neuester Zeit kam eine Krankenwartanstalt und eine Kinderbewahranstalt dazu, und mit allen seinen Zweiganstalten unverkennbare Zeichen auch des äußeren Gedeihens an sich trägt. Ebenso hat sich auch der Zweigverein Altdorf emporgeschwungen, ist zu Vermögen gekommen, hat eine Rettungsanstalt, eine| Kinderschule und denkt daran, sich noch weiterhin mit Segen auszubreiten. Der Zweigverein Fürth hat längere Zeit eine Mägdeanstalt getragen und hat auch jetzt noch eine Pflegeanstalt und eine Krankenwartstation. Der Zweigverein Nördlingen hat eine gesegnete Krippenanstalt, neben welcher unter 2 Dettelsauer Schwestern in denselben Räumlichkeiten eine große Kleinkinderschule erblüht ist. Ebenso hat sich in Heidenheim am Hahnenkamm unter dem kräftigen Vorgang des dortigen Zweig-Vereins eine wohlgethane Kinderschule entfaltet. Der Zweigverein Wendelstein freut sich gleichfalls einer gesegneten Kinderschule, und der Zweigverein Neuendettelsau geht unter reichem Segen neben der Muttergesellschaft in mancherlei guten Werken einher. Man kann gewiß den verschiedenen Zweigvereinen des Vereins für weibliche Diaconie nicht nachsagen, daß es ihnen an Leben und Wirkung fehle, sondern an ihnen kann man deutlich sehen, welche reichen und seligen Früchte der Anschluß an die Muttergesellschaft bringt. Besonders aber seitdem jeder Zweigverein zu seiner besondern Pflege sich einen eignen Moderator gewählt hat, der jährlich ein oder mehrere Male die Leitung des Ganzen und den Gang der entstandenen Anstalten visitirt und prüft, kann niemand den ruhigen Fortschritt und die reifen Früchten der Zweigvereine miskennen. Auch der Zusammenhang mit der Muttergesellschaft nimmt zu und tritt je mehr und mehr in das Bewußtsein und Gewißen ein. Alle wißen, daß sie aus einer und derselben Wurzel entsproßen sind, dieselben Werke wirken und denselben hohen Namen mit ihrem Leben und Dasein preisen. Dazu gibt es auch im Lande hin und her noch andere Vereine, die, wenn auch nicht gliedlich mit dem Vereine für weibliche Diaconie, zusammenhängen, so doch sich seiner Nachbarschaft und Verwandtschaft nicht schämen, wie davon die Magdalenenvereine von Augsburg und München kräftiges Zeugnis geben. Der| Verein für weibliche Diaconie gleicht einem reichen Lande voll würziger Kräuter, die zu Gottes Preis und Ehre und zum Heile der Menschheit allezeit blühen und in Kränzen und Sträußen neben dem siegreichen Wege des Erlösers niedergelegt sind. Die Gärtnerinnen und Pflegerinnen aber, die allenthalben der Blumen, Kräuter und Früchte warten, sind lauter Mädchen und Diaconissen von Neuendettelsau, deren Freude es ist, alles das duftende und fröhliche Leben zu pflegen, was man nun seit bereits fünfzehn Jahren unter uns zu Gottes Preis gewollt und erstrebt hat. Alle menschlichen Werke leiden an Unvollkommenheit und nie und nirgends erreicht man, was man sich vorgenommen und zum Ziele gesetzt hat. Das aber wißen wir dennoch ganz gewiß, daß man hier so lange Jahre nichts gewollt und nichts erstrebt hat, als daß die Barmherzigkeit des Herrn in mancherlei guten Werken gepriesen und gerühmt werde. So Muttergesellschaft wie Zweigvereine gehen von je her einen und denselben Weg.
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     Bei alle dem aber dürfen wir doch nicht verleugnen, daß wir vom Anfang an als Mittel zum Zweck und Weg zum Ziele auch Bildungsanstalten und, wenn man will, geradezu Diaconissenhäuser zum Ziele genommen hatten. Noch existirt ein in den Anfangszeiten nach allen Seiten hin verbreitetes Blatt von 8 Octavseiten, welches den Titel trägt: „Bedenken über weibliche Diaconie innerhalb der protestantischen Kirche Bayerns, insonderheit über zu errichtende Diaconissenanstalten.“ Möge es uns hier gestattet sein, dieses Blatt in seinem gesammten Umfange zur Erinnerung wieder abzudrucken. Man wird demselben abmerken, daß wir es von Anfang her nicht auf ein Diaconissenhaus abgesehen hatten, wo man in moderner Nachahmung der alten klösterlichen Zeiten einen Haufen Arbeiterinnen und deren Bildung in die Absicht genommen hatte, die| dann in ferne Weiten gehen und lehren sollten, wie man Barmherzigkeit üben solle. Uns lag wie bei dem Vereine für weibliche Diaconie, so bei den Diaconissen-Anstalten die weibliche Jugend des platten Landes und deren Ausbildung für die Werke der Barmherzigkeit im Sinn. Unsre Leute, für unsre eignen nächsten Bedürfnisse wollten wir heranbilden, und hatten dazu weit weniger im Sinn, uns zu dem Ende in größeren Städten anzusiedeln, sondern im Gegentheil suchten wir stille Orte, wo wir die Töchter des Landes faßen und für die Stillung der nächsten Bedürfnisse erziehen könnten. Nicht für immer, sondern nur einstweilen wollten wir uns in Neuendettelsau selbst setzen und mit einer kleinen Anstalt für weibliche Angefochtene und mit einer kleinen Anstalt für schwachsinnige Kinder den Anfang zu einer Thätigkeit suchen, die aus kurzem Wege unsrem eignen Volke zu Nutz und Dienst kommen sollte. Es ist freilich alles anders geworden unter Gottes besonderer Führung, aber was nun geworden ist, haben wir eigentlich nicht gewollt, sondern etwas weit einfacheres und volksmäßigeres, wie es eben in dem nachfolgenden Bedenken dargelegt ist. Man kann wohl sagen, daß uns unser eigner Weg von vornherein nicht völlig klar war. – Wir sind, wie schon gesagt, nach der Wahrheit suchen gegangen, und es wäre uns weit lieber gewesen, wenn wir unsern eignen Gedanken treuer und eng anschließender hätten nachgehen können. Wir haben gethan, was wir nicht laßen konnten, und legen gerne mit unserm wiedererneuerten Bedenken vor dem Herrn unser pater peccavi nieder. Wir haben mit dem Plane unsres Vereins uns zu Großes vorgenommen und auch unser eignes Bedenken nicht hinausführen können. Mögen unsre Leser aus den Statuten des von uns gewollten Vereins und aus unserm Bedenken unsre Fehler erkennen und uns gütig beurtheilen,| wenn wir dann nach diesem Eingang einfach erzählen, wie alles und alles bei uns geworden ist. Hier also folgt zunächst unser Bedenken.


« §. 1. Erste Anfänge des Anstaltslebens von Neuendettelsau Wilhelm Löhe
Etwas aus der Geschichte des Diaconissenhauses Neuendettelsau
Beilage II. Bedenken über weibliche Diaconie innerhalb der protestantischen Kirche Bayerns »
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