Für das Studium unserer neueren Literatur

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Titel: Für das Studium unserer neueren Literatur
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aus: Die Gartenlaube, Heft 16, S. 268
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[268] Für das Studium unserer neueren Literatur. „Wenn dieses Werk dazu dient, der geistigen Entwicklung unserer Nation in diesem Jahrhundert einen rühmlichen Denkstein zu setzen, wenn es das Interesse der Gebildeten, das sich an einzelnen Erscheinungen zersplittert, auf die Gesammtheit unseres literarischen Lebens und ihre Bedeutung hinzuweisen und dem Stolze der Nation auf ihre geistigen Schätze, der sich mehr an die Vergangenheit wendet, auch für die Gegenwart einen sichern Halt zu bieten vermag: so ist sein Zweck vollkommen erreicht. Mag der Verfasser in einzelnen Urtheilen geirrt haben, er weiß, daß persönliche Zuneigung oder Abneigung nicht seine Feder führten, sondern nur der Ernst der Ueberzeugung und die Begeisterung für das nimmer alternde geistige Leben seiner Nation!“ Mit diesen Worten schloß Rudolf Gottschall im December 1854 die Vorrede zu seinem literargeschichtlichen Werke „Die deutsche Nationalliteratur des neunzehnten Jahrhunderts“. Seitdem hat das umfassende (von Trewendt in Breslau verlegte) Buch zwei weitere, jedesmal erheblich vermehrte Auflagen erlebt und dadurch schon den Beweis geliefert, daß es in der That mit seinem Inhalte einem Bedürfnisse großer Leserkreise entgegengekommen ist und durch die Art seiner Darstellung eine über die engere literarische Sphäre hinausgreifende Anziehungskraft geübt hat.

Nicht immer freilich sprechen solche äußere Erfolge für den inneren Werth eines Produktes, aber sie fallen doch stark in’s Gewicht, wo es sich um Arbeiten von ernsterem und wissenschaftlichem Charakter handelt. Gewinnen derartige Erscheinungen nicht blos die Theilnahme eines zahlreichen Publicums, sondern wissen sie auch viele Jahre hindurch sich dauernd in der Gunst desselben zu behaupten, so läßt sich schon annehmen, daß in ihnen keine auf flüchtigen Eindruck berechnete Fabrikwaare, sondern ein positiver Gehalt, ein tüchtiger und solider Kern geboten ist. Auch Gottschall’s Literaturgeschichte haben wir neuerdings wiederholt darauf angesehen und bei reiflicher Prüfung eine ganze Reihe von Punkten gefunden, welche uns die günstige Aufnahme des Buches erklärlich machen. Ein Volksbuch allerdings in einem begrenzten Sinne dieses Wortes ist es nicht. Wer aber von einer höheren, schon gereifteren Bildung aus eine emsig in’s Detail gehende Uebersicht unserer deutschen Geisteskämpfe und Literaturströmungen seit dem Anfange des laufenden Jahrhunderts erlangen will, der findet sie hier unter der Leitung eines kenntnißreichen und vielseitig gebildeten Schriftstellers, der mit Hingebung von frühester Jugend an alle Kraft seines Denkens und Schaffens diesen Studienkeisen gewidmet hat, der edle Wärme, Ernst und Schärfe der Gesichtspunkte mit farbenvoller Anmuth schöner Darstellungsform verbindet und unzweifelhaft einer unserer vorzüglichsten Prosaiker ist.

Damit wollen wir nicht gesagt haben, daß der Leser auf jedes Wort des Verfassers schwören, alle seine persönlichen Auffassungen theilen und jedes seiner Urtheile unterschreiben soll. Der Werth der Gottschall’schen Literaturgeschichte, die man als eine lange Reihe von verbundenen Essays und Abhandlungen bezeichnen kann, liegt eben nicht in jeder dieser verschiedenen, bald schwächeren, bald außerordentlich vortrefflichen Partieen, er liegt überhaupt nicht allein in dem großen Reichthume der mannigfach ja verbesserungsdedürftigen Einzelnheiten, sondern vor Allem in der lichtvollen Gruppirung, der glänzenden Bewältigung und ordnenden Gestaltung eines ungeheuren, noch in chaotischem Flusse begriffenen Stoffes. Wie es da im Ganzen vor uns sich entfaltet, ist es wirklich ein gedanken- und lebensvolles, in großem Stile entworfenes Gemälde zeitgenössischen Strebens und Schaffens, von dem wir überzeugt sind, daß es bereits förderlich und befruchtend auf den Fortschritt der nationalen Bildung gewirkt und daß es in Zukunft eine reiche und ernste Anregung, eine Erweiterung des Wissens und eine Ausfüllung wesentlicher Bildungslücken noch Vielen bieten wird, die es vielleicht in dieser unserer Hinweisung zum ersten Male genannt sehen.