Für die stillen Tage

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Textdaten
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Autor: Oe.
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Titel: Für die stillen Tage
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aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[818] Für die stillen Tage der kommenden Festwoche empfiehlt die Gartenlaube ihren Lesern dringend ein Buch, welches mit vollem Recht einen Platz neben dem Schönsten und Besten beanspruchen darf, es ist der vierbändige Roman der Frau W. v. Hillern: „ein Arzt der Seele“. Die Verfasserin, eine Tochter der Frau Birch-Pfeiffer, legt in glänzender Weise Zeugniß dafür ab, daß tief- und feingebildete Frauen wohl berufen sind, mit ihrer Kunst sich an die Angehörigen ihrer Nation zu wenden, und wie es E. Marlitt gelungen ist, fast über Nacht die meistgelesene, beliebteste Schriftstellerin des deutschen Volkes zu werden, so wird auch Frau v. Hillern sich rasch einen Leserkreis erobern, der sie lieb gewinnt und bewundert. Zwar Frau v. Hillern besitzt vielleicht nicht ganz jenen poetischen Zauber, der die Marlitt’schen Gestalten umwebt, sie entwickelt nicht so dramatisch, wie es die Verfasserin der Goldelse und der alten Mamsell thut, deren Romane sofort nach ihrem Erscheinen und später noch für die Bühne bearbeitet wurden – aber sie arbeitet und denkt mit einem fast männlichen, durch und durch gebildeten Geist, gestützt auf ein reiches, durch umfassenden Fleiß erworbenes Wissen, begabt mit einer erfinderischen, fesselnden, immer beweglichen Phantasie und erfüllt von der echten, voll hinströmenden Begeisterung für das höchste und herrlichste Gut des Menschen, die Freiheit.

Auch Frau v. Hillern giebt, wie dies jetzt Sitte geworden, den ganzen Lebenslauf ihres Helden, fast von der Wiege an. Ihr Held – wir dürfen wohl so sagen, denn Ernestine kämpft und streitet mit dem Muth, dem Trotz und der Verzweiflung des Mannes gegen eine Welt – tritt mit der hochgeschwungenen Fahne des Geistes und in der vollen Kämpferrüstung der Wissenschaft ein in die Reihe der für ihre Freiheit, für ihre Selbstständigkeit streitenden Frauen; es ist uns natürlich hier nicht möglich, die einzelnen Stadien der mühe- und sorgenvollen Laufbahn zu verfolgen, welche die Autorin ihre Heldin zurücklegen läßt; in geistvoller Weise wird die Lösung des Conflicts durch die Erkenntniß herbeigeführt, daß das Weib berufen sei, die Arbeit mit dem Mann zu theilen, sich zu diesem edlen Berufe würdig heranzubilden, seine fördernde Helferin und Genossin zu sein, aber nicht außer den Schranken schöner Weiblichkeit sich herausfordernd neben ihn zu stellen oder gleich ihm in die Wogen des Lebens zu stürzen, denen gegenüber der stärkste Frauenarm nur schwach und zart ist. Mit dieser Erkenntniß gewinnt Ernestine Ruhe und mit ihr kehrt auch der alte, längst verlorene Glaube in das dem Untergang nahgewesene Herz zurück. Zu den schönsten Figuren des Romans gehört Möller’s, des stattlichen Professors, Mutter, eine würdige, in ihrer Ehrlichkeit und in ihrer Hingebung für den Sohn rührende Erscheinung, dann der blinde Lehrer, und wiederum die hübsche, in den Schlingen der Liebe so rasch gefangene Tochter des verrätherischen Leuthold, der Ernestine, nachdem er ihr das Vermögen gestohlen, auch den Frieden der Seele systematisch zu tödten sucht. Jede der Gestalten ist – ein Vorzug, der Frauenhänden nicht immer eigen sein soll – charakteristisch gehalten, logisch durchgeführt, und wir glauben, ihnen allen – bis auf den schlangenhaften Collegen Möller’s und die in frischen Farben geschilderte, die Emancipation des Fleisches predigende Gräfin – schon irgendwo begegnet zu sein.

Der ganze Roman ist von hohem, sittlichem Ernst durchweht, er tritt streitend in den Kampf des Tages, den Kampf um Frauenberuf und Frauenselbstständigkeit, ein; er löst diesen – für sich – in einer dem innersten Wesen des Weibes angemessenen Weise, und schon darum würde er im höchsten Grade unsere Beachtung verdienen, auch wenn er künstlerisch nicht so durchgebildet und durchgearbeitet wäre, wie er es wirklich ist.
Oe.