Fliegende Blätter Heft 39 (Band 2)

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Titel: Fliegende Blätter Heft 39 (Band 2)
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aus: Fliegende Blätter, Band 2, Nr. 39, S. 113–120.
Herausgeber: Kaspar Braun, Friedrich Schneider
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Erscheinungsdatum: 1846
Verlag: Braun & Schneider
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Erscheinungsort: München
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Quelle: Universitätsbibliothek Heidelberg, Commons
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[113]



Nro. 39.
15. II. Band.
Bestellungen werden in allen Buch- und Kunst- Erscheinen wöchentlich. Subscriptionspreis für
handlungen, sowie von allen Postämtern und den Band von 24 Nummern 3 fl. 36 kr. R.-W.
Zeitungsexpeditionen angenommen. od. 2 Rthlr. Einzelne Nummern kosten 12 kr. od. 4 Sgr.


Der letzte Virtuose.
Eine Phantasie.




1.
Die Taufe.



Es war ein großer Jubel im Hause des Kapellmeisters, Komponisten und ausübenden Künstlers Sebastian Dampf, als seine geliebte Ehefrau, die genugsam bekannte Citherspielerin Luitgarde Dampf, geborne Wagen, von einem Knäblein entbunden wurde. Das Knäblein schien sich einer vollkommenen Gesundheit zu erfreuen, soweit es nämlich die Umstände erlaubten; denn es brachte eine tüchtige Stimme mit zur Welt, von deren Gewalt es bald Zeugniß ablegte. Sein Aussehen glich so ziemlich dem anderer neugeborner Menschenkinder, nur was den Bau der Hände und Füße betrifft, so zeigten sich einige merkliche Abweichungen von dem der fünf bekannten Raçen. Wer das Kind zum erstenmale sah, hätte darauf schwören mögen, seine Mutter habe sich an einer Spinne versehen, so unverhältnißmäßig lange spinnbeinige Finger trugen seine Hände, und fast gerade so wie sie sahen auch seine Füße aus. Sebastian Dampf erkannte an diesen von der Natur gegebenen Merkmalen die große Zukunft seines Sohnes: er war zum Pianisten geboren.

Nachdem die ersten Stunden glücklicher Vaterfreude entflogen waren, kam schon die Sorge angezogen: die Sorge um den Namen des Kindes. Wohl wußte es der Vater, denn er hatte es ja selbst erfahren müssen, daß von dem Namen ein großer Theil des Glückes, des Rufes, des Ruhmes, und der Unsterblichkeit eines Menschen abhänge; Sebastian Dampf, diese beiden Worte waren sein eigen Unglück gewesen, hätte ihm sein Vater einen wohlklingenderen, runderen, romantischen Namen hinterlassen, so wären die Namen Mozart und Beethoven durch den Glanz seines Ruhmes verfinstert worden, aber Sebastian Dampf – das war sein Weltschmerz! So unglücklich sollte sein Sohn nicht werden, der Name Dampf sollte sich von nun an nicht weiter forterben, sein Sohn mußte einen andern Namen erhalten, aber welchen? das war die schwierige Frage.

Ein tiefer Seufzer entrang sich seiner sorgenbelasteten Brust; auch seine Frau seufzte schwer auf ihrem Lager, denn dieselbe Sorge beängstigte auch ihr Mutterherz. – Nur das Kindlein schien von dieser Sorge wenig zu empfinden, denn nachdem es sich ausgeweint hatte, begann es mit den Fingern der Hände und Füße auf die Decke zu trommeln: so frühe fühlte es seine zukünftige Bestimmung.

Der Vater runzelte kummervoll die Stirne, die Mutter ächzte noch immer fort, da erheiterten sich plötzlich ihre Gesichtszüge und sie verlangte nach ihrer Cither.

[114] „Ich will meine Seele trunken machen durch die heiligen Klänge der Musik,“ sagte sie, „und wenn der Genius kommt, so wird er mir den Namen nicht vorenthalten.“

„Weib,“ sagte der Kapellmeister, „das war ein großer Gedanke: ich beneide dich darum. Ja, wir wollen sie anstimmen die große Phantasie, jenes Werk, dessen Schöpfung mich den größten Meistern aller Zeiten gleichsetzt, oder vielmehr mich über sie erhebt, und wenn wir im heiligen Feuer emporschweben, wenn unsere Geister frei vom Stoffe nur in Gedanken sich bewegen, dann kann es nicht fehlen, daß durch unsere Ohren das himmlische Wort rieselt, mit welchem wir unser Kind benennen werden.“

Und Sebastian reichte Luitgarden ihre Cither und griff nach seiner Violine und sie begannen ein sanftes Adagio, das aber bald in ein brausendes Furioso überging.



Plötzlich warfen beide Gatten ihre Instrumente zur Seite, und mit dem Ausdrucke: „ich hab's!“ der aus beider Munde zugleich kam, stürzte Sebastian Dampf in die Arme seiner Ehegemahlin Luitgarde Dampf, geborne Wagen. Es war ein unaussprechlich erhabener Moment, als der große Componist die ihn weich umschlingenden Arme seiner Gattin auflöste und mit gen Himmel gerichteten Blicken zurücktretend die Worte sprach:

„Dank dir, o Genius, Dank deiner heiligen Eingebung, die mir das treffendste Wort gelehrt hat, mit welchem ich das Kind benennen soll. Ja so soll es heißen, herbrausen wird es einst wie ein ...“

„Lokomotiv!“ schrie Luitgarde und sank ohnmächtig auf ihr Kissen zurück.

„Ja, Lokomotiv,“ fuhr er fort, „Lokomotiv, welche unendlich geheimnißvolle Kraft liegt in diesem Worte, welch eine unergründliche Tiefe, und zugleich, wie einfach und natürlich, da ich Dampf und meine Frau Wagen heißt. Die Welt wird es ganz natürlich finden, ohne das Große davon zu begreifen: ja, wie ein Lokomotiv wird er einst dahin sausen vorwärts und unaufhaltsam vorwärts; wie ein Lokomotiv wird er Alles zermalmen, was sich ihm entgegenstemmt, was sein Vorwärtsdringen aufhalten will; wie ein Lokomotiv wird er die anderen Künstler an die Schleppkette nehmen, und ein Jeder wird glücklich sein, der ihm folgen darf.“

Und sich zur Wiege hinabbeugend, rief er: „Ja, mein Knabe, du wirst einst groß sein und glücklich, denn dein Name schon wird dir alle Wege ebnen.“

Unterdessen erwachte die Mutter aus ihrer Ohnmacht und stimmte mit ein in den Jubel ihres Gatten. Für den andern Tag wurde die feierliche Taufe festgesetzt und alle Componisten und Virtuosen der ganzen Stadt zur Taufe gebeten. Aus dem Namen des Täuflings machten die Eltern bis zum Augenblicke der Taufe ein Geheimniß; um so größer war dann die allgemeine Ueberraschung, als er genannt wurde. Allgemein bewunderte man Dampfs Muth, der sich über das alte Herkommen, einen Taufnamen aus dem Kalender zu wählen und ihn als ein Vorwort zum Familiennamen zu nehmen, hinwegzusetzen wagte, und fand den Namen höchst originell und für des Täuflings zukünftige Bestimmung bezeichnend. Sebastian Dampf und seine Ehefrau lächelten aber stillvergnügt: es war der erste Triumph, den das Kind ihnen bereitet hatte.



2.
Wie Lokomotiv groß wurde und anfing alle seine Zeitgenossen zu überfliegen.

Wir übergehen einen Zeitraum von drei Jahren, in welchen Lokomotiv die Größe eines achtjährigen Knaben erreicht hatte. Mit dem Beginn seines vierten Lebensjahres begann Lokomotiv erst sein eigentliches Leben; denn an seinem vierten Geburtstage fing er an Clavierspielen zu lernen.

Bis jetzt hatte er seine Zeit mit Spielen mancherlei Art zugebracht, die alle auf seinen zukünftigen Beruf Bezug hatten. Sein Spielzeug bestand in lauter kleinen Instrumenten mit Tasten und Saiten, wobei Vater Dampf vorzüglich Sorgfalt auf die Ausdehnung des obern und untern Fingers seines Sohnes verwendete. Niemals durfte Strumpf oder Schuh an seine Füße, sondern weiche seidene Handschuhe dienten als Bekleidung für dieselben: niemals durfte das Kind weiter gehen, als über das Zimmer; auf der Straße wurde es getragen oder gefahren.

Als Lokomotiv sechs Jahre alt war, vermochte er bereits mit Einer Hand zwölf Tasten zu umspannen, und wenn er mit seinem untern Finger spielte (denn er lernte es mit beiden zugleich) gelang es ihm bis auf 11 Tasten mit Einem Fuße zu greifen, und sein Name war bekannt geworden in seiner Vaterstadt. Er war, wie man sagte, ein Wunderkind. Bis jetzt [115] hatte er die Musik nur mechanisch gelernt, um diese Zeit aber wurde er in die Geheimnisse der Notenwelt eingeweiht. Zugleich lernte er jetzt die Anfangsgründe im Lesen und Schreiben, eine Kunst, in welcher er, beiläufig gesagt, nie große Fortschritte machte, da er sie immer nur als eine Nebensache betrieb, und die er vielleicht gar nie gelernt hätte, wenn die Lieder ohne Worte nicht zu seiner Zeit wieder abgekommen gewesen wären.

Ein geistreicher Klaviermacher erfand für den genialen Knaben ein Doppelinstrument, auf dem er mit Händen und Füßen zugleich spielen konnte, wodurch er die großartigsten Wirkungen hervorbrachte. –

Lokomotiv war neun Jahre alt, als er seine Reise durch Europa, Nordamerika und Westindien machte; an keinem Orte blieb er länger als drei Tage, an vielen nur einige Stunden, so lange man nämlich braucht, um einige Erfrischungen zu nehmen und ein Concert aus vier Pieçen zu geben. Er durfte diese Stücke nicht erst einstudieren, denn er spielte um jene Zeit überall die nämlichen. Die Ankündigungen flogen seiner Ankunft voraus, und wohin er kam, überall war für sein Concert Alles arrangirt. Er hatte nichts weiter zu thun als den ihn an den Stadtthoren empfangenden Municipalitäten in die Salons zu folgen und zu spielen. –

In diesem Jahre ward er endlich seines großen Genius bewußt, und er hörte auf, fremde Compositionen zu spielen: von nun an strahlte er nur im eignen Glanze. –

Als um dieselbe Zeit die Erfindung gemacht wurde, den Luftballon wie das beste Dampf- und Segelschiff gegen Luftströmung und Winde zu lenken, und zugleich eine Aeronautische-Assecuranz-Gesellschaft in´s Leben trat, vertraute er sich und sein Instrument dem Ballon an und machte von nun an alle seine Reisen durch die Luft. –

Auf diese Weise machte er nähere Bekanntschaft mit Peru's Gold und den Diamanten Brasiliens; China und Japan zollten seinem Genius Kostbarkeiten aller Art, und der König von Cochinchina errichtete auf seinen Rath eine Hofkapelle, die aus lauter reisenden Pianisten und Pianistinnen zusammengesetzt wurde; mancher ewiger Jude hat dort Ruhe gefunden in seinem Alter. –

Da Furcht dem Herzen Lokomotivs etwas fremdes war, so wagte er sich überall hin, zum Kan von Bochara wie zu den Englishmenfressern auf Neuseeland, zu den rothen Indianern in Texas wie zu den schwarzen Bewohnern von Mittelafrika, und alle Völker opferten ihm ihre Schätze; viele derselben hielten ihn für einen Gott, der vom Himmel herabkam sie zu beglücken. – Und er liebte es für einen Gott gehalten zu werden; denn um dieses den Wilden glaublich zu machen, ließ er auf seinem Ballon, ehe er dem unbewaffneten Auge sichtbar wurde, solche mächtige Akkorde erschallen, daß die Luft davon erzitterte und die Bewohner vieler Gegenden, die ihn zuvor hörten, ehe sie ihn sahen, auf den Knieen seiner Ankunft entgegensahen. –

Auf allen seinen Reisen wurde er von seinem Vater begleitet, der die Dienste eines Einnehmers, Packers und Spediteurs der Schätze seines Sohnes versah.

Lokomotiv war vierzehn Jahre alt, als er von seiner aëronautischen Kunstreise nach Deutschland zurückkehrte. Brust, Rücken und Leib waren reich mit Orden geschmückt, unter denen weder die kaiserlich reußischen, noch die fürstlich reußischen fehlten, als er seinen Einzug in seiner Vaterstadt hielt. Man hatte die beiden höchsten Thürme der Stadt durch einen Triumphbogen verbunden, durch welchen der Ballon langsam herabgelassen wurde. Auf der Gallerie der Triumphpforte feierte ein 3000 Mann starkes Musikchor, das aus lauter Blasinstrumenten bestand, in einem Te deum laudamus seine glückliche Zurückkunft. Doch mit ein paar Klängen seines in Hinterindien von ihm verbesserten und vergrößerten Rieseninstruments übertönte Lokomotiv zu gleicher Zeit das schallende Lebehoch und Hervorrufen des harrenden Volks und die 3000 Blasinstrumente. – –

In diesem Momente starb die Mutter des großen Virtuosen den schönsten Tod, den Tod der Freude!

Am andern Tage las man in den Blättern der Residenz: „Der Kaiser aller Pianisten, Lokomotiv, ist im Triumphe in seine Vaterstadt eingezogen; die unendliche Freude über des Sohnes himmelstreifende Größe hat seiner liebenden Mutter das Herz gebrochen, und sie im Augenblicke des höchsten Jubels getödtet. Lokomotiv dadurch in tiefe Trauer versetzt, hat zu beschließen geruht, ein Jahrlang sich von allen Concerten und Festlichkeiten fern zu halten. Wegen dieses Beschlusses hat man in der ganzen Stadt Trauer angelegt und Theater und Tanzsäle bleiben für sechs Wochen gesperrt.“ Es war dieses der 1. Januar im Jahre 19—.

Noch vor der Beerdigung war Lokomotiv in der Stille der Nacht mit seinem Ballon und seinem Vater davon geflogen, um in der tiefen Einsamkeit von Hochasien in der Umgebung von Dawalagiri ungestört der Trauer zu pflegen.

Nachdem er dort ein Jahr in der tiefsten Zurückgezogenheit gelebt hatte, faßte er den Entschluß, seiner Mutter eine Todtenfeier zu bereiten, wie sie unerhört war seit dem Anfange der Welt. Zu diesem Zwecke sandte er seinen Vater nach Europa zurück und ließ alle Musiker der Erde zu einem feierlichen Concerte auf den 17. Januar des zweitfolgenden Jahres nach der Insel Sicilien einladen. Kein Laie, kein Dilettant sollte Zutritt haben, sondern nur die, welche Musik zum Lebenszwecke gewählt. Das Nähere über dieses Concert würde seiner Zeit in allen Blättern bekannt gemacht werden.

Mit der Schnelligkeit des Blitzes durchzuckte diese Nachricht die ganze gebildete Welt, und großer Jubel herrschte unter den Jüngern der tönenden Muse; Viele aber aus andern Ständen gaben ihre Gewerbe auf und widmeten ihr Leben der Musik, um nur Zutritt zu jenem großen Concerte zu erlangen, und die Welt ward in diesen Tagen gereinigt von einer großen Plage: von den Musik-Dilettanten, denn Viele derselben ersäuften [116] sich, und die Andern traten förmlich zu den Musikern von Fach über.

Sechs Wochen waren vorübergegangen, seitdem Vater Dampf seinen Sohn verlassen hatte, und Lokomotiv saß eines schönen Abends tief sinnend auf einem Gipfel des Dawalagiri, wo er sein Riesenperspektiv aufgestellt hatte, und schaute herüber nach Europa, sehnsüchtig auf die Rückkehr seines Vaters harrend. Wegen der Runde der Erde reichte sein Blick aber nicht weiter als bis nach Constantinopel, dessen Minarets im Golde der untergehenden Sonne blitzten. Hoch über der schönen Stadt schwebte aber ein Ballon nach Asien herüber, den er bald für den seinigen erkannte.

Zwei Tage darauf lag Vater Dampf in seinen Armen und brachte die besten Nachrichten aus der Heimath. Darauf hin beschloß Lokomotiv an das große Werk zu gehen und verließ bei aufgehender Sonne seinen jetzigen Wohnort. Alle Kräfte des Ballons wurden in Bewegung gesetzt, so daß er mit der Sonne fast gleichen Schritt hielt, und vor ihrem Untergang im atlantischen Oceane sich auf Sicilien herabsenkte.


3.
Das letzte Concert.

Lokomotivs Plan bestand darin, den Aetna, der seit einem Jahrhunderte sich ruhig verhalten hatte, abzugraben und mit der Ebene gleich zu machen, den Krater aber mit einem Kamine zu umgeben und an diesen angelehnt eine große Halle zu erbauen, in welcher das Coneert stattfinden sollte; denn da die Feier jedenfalls am 17. Januar sein sollte, so war eine gleichmäßige Erwärmung des Concertsaales nothwendig, denn selbst in Sicilien friert es Manchen um diese Zeit an die Finger. Die Wälder waren aber um jene Zeit rar geworden in Europa, und es war daher pure Menschenliebe, daß Lokomotiv den Vulkan als Kamin benützen wollte; denn die Heizung der eine Quadratmeile großen Halle auch nur für Einen Tag, hätte unendlich viel Holz gekostet.

Von Sicilien aus erließ Lokomotiv ein Ausschreiben an alle Baumeister der Erde, und lud sie ein, in kürzester Frist ihre Pläne für diese Halle einzusenden und sich sodann bei ihm persönlich einzufinden. Nach sechs Wochen schon wimmelte es auf der Insel von Bauleuten aller Art, und Lokomotiv nahm die tüchtigsten Meister in seinen Sold. Dazu miethete er hunderttausend Arbeiter, die mit Hilfe von einigen tausend Dampfmaschinen den Aetna der Erde gleich machten. Nach acht Monaten war dieser Theil der Arbeit vollendet, nun galt es aber den zweiten und schwierigern Theil des Baues in Angriff zu nehmen. Noch fehlte es ihm nicht an Reichthümern, um auch ihn zu vollenden.

Mit der Erbauung des Kamins rings um den qualmenden Krater fing man das Werk an; derselbe wurde aus sechs Schuh dickem klar durchsichtigen Krystall aufgeführt. Viele Arbeiter erlagen dem Rauche und der Hitze und fanden ihren Tod in der unergründlichen Tiefe des Kessels. Der Tod der Arbeiter hindert aber bekanntlich keinen unternehmenden Mann an der Ausführung eines Vorhabens, durch das man reich oder berühmt werden kann. Lokomotiv sorgte wenigstens für die Wittwen und Waisen der Verstorben; es ist zwar auch Etwas, aber sehr wenig für ein Leben.

Der krystallene Kamin wurde 800 Schuh hoch und reichte um mehr als 200 Schuh über das übrige Gebäude hinaus, das rings um denselben in der Form einer Rotunda gebaut wurde. Das Dach ruhte auf 1000 Säulen, die außerhalb der Mauer standen. In der Wand waren keine Fenster, die schon deswegen unnöthig waren, weil genug Licht durch das Dach, das ebenfalls Krystall war, in die Halle fiel.

Binnen Jahr und Tag war endlich der kolossale Bau vollendet, und Lokomotiv konnte für die Ausstattung sorgen. Viel Sorge machte ihm noch der Dirigent, der in der meilenlangen Halle unmöglich von allen gesehen werden konnte. Er hatte seinem Vater das Direktorium des Concerts überlassen, und wollte ihm anfänglich einen Platz hoch oben an der Decke nächst dem Kamine erbauen; aber er sah bald ein, daß auch das nicht hinreichend wäre, ihn allen Künstlern sichtbar zu machen. Nach vielem Hin- und Hersinnen kam er endlich auf den Gedanken, einen hundert Schuh hohen Automaten als Kapellmeister zu benützen, der durch eine Uhr zu allen nothwendigen Bewegungen und Andeutungen aufgezogen werden konnte. Und so geschah es denn auch.


[117] Es war am 17. Januar um die vierte Stunde des Nachmittags, als sich die hunderttausend Gäste in der Halle einfanden und die schon bestimmten Plätze einnahmen. Durch deutliche Inschriften über den Pulten waren die Plätze für ein jegliches Instrument angewiesen. Um die fünfte Stunde der Todesstunde der Luitgarde Dampf, sollte das Concert mit einer großen Symphonie, deren Abdruck zum Einstudiren früher schon überallhin versandt worden war, beginnen. Während des Stimmens der Instrumente wurden einige hundert Virtuosen vollkommen taub von dem fürchterlichen Lärmen; übrigens war ihnen diese Taubheit kein Hinderniß, das Concert dennoch mitzumachen.

Endlich schlug die Stunde und der Automat gab das Zeichen zum Anfange; es war ein Getöse, wie wenn zwei Welten aneinanderstießen, und aus der Mitte der brausenden, zischenden, schmetternden, donnernden Instrumente tönte das mächtige Instrument Lokomotiv´s heraus. Der Automat hatte eben Fortissimo angezeigt, und es brauste, als ob die Erde sich öffnen wollte, da sprang plötzlich der Kamin auseinander, und Krystallstücke fielen hinab in den Krater, aus dem sich eine Riesengestalt erhob, furchtbar schön anzusehen, mit blonden Locken, die ihren Rücken umflatterten, grüne Lorbeerzweige um die Stirne gewunden und eine Cither in der Hand: es war Apoll. Eine Thräne perlte in seinem Auge, als die Musik sanfter wurde und die Trauer eines liebenden Sohnes aus ihr klagte.

Bis jetzt hatten die Musiker seine Gegenwart nicht bemerkt: erst als der erste Satz zu Ende war, sahen sie was sich zugetragen.

Apollo aber neigte sich zu ihnen herab und sang: Der Geist des Vaters ist groß geworden in seinen Kindern, sie jubeln und rasen in heiligen Tönen, und haben das Größte, das Höchste vollendet; sie haben's erreicht zurückzukehren, und dürfen nun singen zu seinen Füßen im hohen Olymp: doch Einer von ihnen, der Erste, der Beste, er ruhe mir zur Seite auf goldenem Sessel, und begleite mein Lied mit den schwellenden Tönen des Doppelclaviers.

So sang er und griff mit der Rechten nach Lokomotiv und stampfte mit dem Fuße, und in Rauch und Flamme stürzte das Gewölbe zusammen, und es gab keine Virtuosen mehr auf Erden.






Geschichten, wie man sie sich in Pommern erzählt.
Vierte und fünfte Geschichte.



Menagerie in Damm. (Pommern.)

Cicerone.      Dieses, meine Herren, ist ein Basilisk, wen dieses Thier anblickt, der muß sterben.

Bauer.      Schlag! blio he mi damit vom Liew![VL 1]

Cicerone.      Fürchten Sie sich nicht, dieses Thier sitzt ja in Spiritus!

Bauer.      Kann he denn dat verdragen?


Anmerkungen der Vorlage

  1. Bleibe er mir damit vom Leibe.





Pferdemarkt zu Gützkow. Da wird nur Wein getrunken. Der Wirth hat nur eine einzige aber eine Riesenflasche mit Wein. Nun fragt er die Gäste, was sie haben wollen, sauren oder süßen? Auf erstere Bestellung schenkt er sanft ein, auf die zweite schüttelt er die Flasche heftig. Verlangt dann aber Jemand wieder sauern, so muß er warten, bis der Syrup sich gesenkt hat.



[118]

Großes keroplastisches Kabinet.
(Fortsetzung.)


Antonia della Roccini,

die furchtbare Seeräuberkönigin, geboren in Palermo, blühte um 1690. Zeitgenossin Eugens und Newtons.

Aus dem berühmten altadelichen Hause della Roccinia Valdro, war sie als jüngste Tochter der Familie zum Klosterleben bestimmt, widmete sich aber ihrer eigenen Neigung gemäß schon frühzeitig dem Räuberstande. Berühmt durch ihre unendliche Schönheit aber auch unmenschliche Grausamkeit, war Antonia mit ihrer zahlreichen und gut organisirten Bande das Schrecken des ganzen südlichen Italiens und hat nach und nach mit eigener Hand zwischen 115 und 116 Menschen ums Leben gebracht. Sie gab sich zuletzt selbst den Tod.

O wie weit kann sich die Tugend von ihrem Pfade verirren! ruft man hier unwillkührlich aus.

Antonia war Meisterin der Mandoline und mit einer herrlichen Stimme begabt. Noch wimmelts in Italien von Liedern die von ihr herrühren. Wir fügen hier eine Strophe ihres Lieblingsliedes in gelungener Uebersetzung bei, auch aufgenommen in die Sammlung von 200 der schönsten Räuber-Lieder. Für die reifere Jugend und zum Hausgebrauch bearbeitet von****

Leipzig und Quedlinburg 1845.


Hinaus eilt der Bandit in finstrer Nacht!
Ha was genirts ihn wenn der Donner kracht!
     Bei Sturmgebraus und Blitzesschein,
 Wenn beben Krüfte.
 Wenn zittern Klüfte
     Steigt er im Schloß zum Fenster ’nein:
Er raubt der Gräfin einen Kuß –
Pumps! hinter ihm da fällt ein Schuß;
     Vom Leder zieht er schnell, thut seine Pflicht,
     Nein, die Banditen diten zittern nicht!


(Wie ihr Lebenswandel – so ist auch die Schriftprobe, die wir hier von ihr geben, nicht ohne Flecken, und es bewährt sich hiedurch neuerdings der Ausspruch jenes großen Geistes, daß man aus der Schriftart den Charakter des Menschen selber erkenne. Gegenwärtiges Facsimile ist ein Postscript aus einem zärtlichen Briefe della Roccinis an ihren geliebten Guido, und stammt aus der äußerst reichhaltigen

     „Sammlung von Liebesbriefen aller Zeiten und Nationen (Autographieen) des

 Duca Torrresini in Palermo."





(Zu gegenwärtigem Facsimile kamen wir ganz zufällig. Ein Bäckergeselle, Namens Kleierl aus Ellwangen, der an der Moskitoküste vor 2 Jahren Schiffbruch litt, und dort von den Eingebornen gebraten werden sollte, entkam wie durch ein Wunder. Kurze Zeit nach seiner Rückkunft schrieb Kleierl im Ochsen in Merseburg, obwohl etwas betrunken, doch ganz geläufig, aus der Erinnerung auf den Wirthstisch mit Kreide die Hand Xakchwachchs nach, so wie wir sie hier in Copie treu wieder geben. Diese Schrift enthält die Namenszüge des Moskitokönigs, das übrige ist eigentlich das Rezept, wie die Auswanderer am schmackhaftesten zubereitet werden.

Kleierl war schon auf dem Roste gelegen: man sah noch ganz deutlich auf seinem Nacken einen Brandflecken, der beinahe eine Gestalt hatte wie ein lateinisches F.)


Hachcheriochoquul Xakchwachch,

jetziger König der Mosquitoküste, geboren am 19. Dezemb. 1822.

Genoß eine sehr gewählte und sorgfältige Erziehung in dem Edelknaben-Institute seines Herrn Vaters seligen, Majestät [119] wo er mit mehreren talentvollen jungen Cavalieren des Landes unterrichtet wurde. Er ist jetzt ganz ausgewachsen und wiegt 146 Pfund.

Das preußische Rhederblatt hält er sich eigens, um zu sehen, wann frische Zufuhren von deutschen Auswanderern zu erwarten, da das Fleisch derselben dort als Delicatesse betrachtet wird.

Xakchwachch ist hier im schönen National-Costüme abgebildet, wie er harrend an der Küste nach Osten blickt, ob kein Schiff kommt. (Die Figur ist nämlich von der Westseite aus aufgenommen.)

(Fortsetzung folgt.)




Die Abnormitäten-Sammlung.
Letzte Skizze von Mich. Veith.[VL 1]



Wollen Sie meine Abnormitäten-Sammlung sehen, Herr Erber? – spazieren Sie herein. –

Das Non plus ultra, und großartigste derselben ist unstreitig dieser famose Kümmerer Nro. I. Derselbe hatte fünf Frauen, und schon bei der zweiten hat er nicht mehr abgeworfen. Das Geweih hat fünf Klafter im Durchmesser, und wiegt gegen 3 Centner. In der letzten Zeit ging er sehr gebückt. –

Ah! Ah!

Ein Exemplar einzig in seiner Art ist hier Nro. II. die Dulderin, welche, nachdem ihr Gemahl mehrere Jahre in einem zarten Verhältnisse mit einer Münchener Kellnerin stand, vier Jahre vor ihrem Ende eine Riegelhaube mit ungrad zehne aufsetzte; dessenungeachtet nahm die stille Dulderin Besuche theilnehmender Tröster an, und daraus ging das famose Exemplar ihres Mannes sub Nro. III. hervor. –

Ah! Ah! Ah!

Die Nro. IV. ist ein kolossaler amerikanischer Urhirsch mit ausgestreckten Vierzehn in Form eines Schubkarrens. –

Ach! Herr Gott, dös is nit zum aushalten.

Erlauben Sie Ew. Gnaden, ist das der Bock mit dem normenten G’wicht? –

Ja Herr Erber, Nro. V. er hat unregelmäßig auf, aber regelmäßig zum Mittagessen. –

Herr Gott, ein ganzes Besteck, es fehlt nur die Scheid’. –

Haben Sie auch schon einen Antvogel mit ung’rad Sechse gesehen? –

Ach der Tausend, das sind Raritäten, die wird man in der ganzen Welt nicht antreffen, da könnte man Tage lang mit Schauen zubringen; wo nur Ew. Gnaden alle die wunderseltsamen Muster aufgetrieben haben?? –

Ja mein Lieber! es hat mich Mühe und Geld genug gekostet, dagegen ist es auch die einzige Sammlung in der Welt.


Anmerkungen der Vorlage

  1. Mehrere öffentliche Blätter meldeten bereits den am 6. März d. J. erfolgten Tod des Malers Michael Veith. Er war einer unserer talentvollsten Mitarbeiter; seine Jagdabenteuer in Nro. 32 dieser Blätter wurden in ihrer frischen humoristischen Auffassung gewiß von allen unsern verehrlichen Lesern willkommen geheißen. In den nächsten Nummern werden wir noch zwei Jagdabenteuer und einen Cyclus von sieben größern Bildern „Die Hasenpastete“ von Michael Veith bringen. Zu obiger Darstellung lieferte der Künstler auch den Text, den wir unverändert beisetzen.
    Die Redaktion der fliegenden Blätter.

[120]

Ungewöhnliches Evenement in zwei Theilen.


Erster Theil. Zweiter Theil
Er. Sie.

Der Mond, der scheint so helle,
Es glühn die Sternelein,
Er steht mit seiner Zither
Vor ihrem Fensterlein.

Der Mond, der scheint so helle,
Es glühn die Sternelein,
Sie sieht ihn mit der Zither
Vor ihrem Fensterlein.

Er steht mit seiner Zither
Vor ihrem Fensterlein;
Der Mond, der scheint so helle
Es glühn die Sternelein.

Sie sieht ihn mit der Zither
Vor ihrem Fensterlein;
Der Mond, der scheint so helle,
Es glühn die Sternelein.

Die Sternelein die glühen,
Es scheint der Mond so hell,
Er steht mit seiner Zither
Noch an derselben Stell.

Die Sternelein die glühen,
Es scheint der Mond so hell;
Sie sieht ihn mit der Zither
Noch auf derselben Stell.

Er steht mit seiner Zither
Noch auf derselben Stell,
Die Sternelein, die glühen,
Es scheint der Mond so hell.

Sie sieht ihn mit der Zither
Noch auf derselben Stell;
Die Sternelein die glühen,
Es scheint der Mond so hell.

P.S. Sobald die Umstände sich günstig zeigen, wird vielleicht der dritte Theil folgen.


Redaction: Caspar Braun und Friedr. Schneider. – München, Verlag von Braun & Schneider.
Kgl. Hof- und Universitäts-Buchdruckerei von Dr. C. Wolf & Sohn in München.