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Frau Holle (1812)

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Textdaten
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Autor: Brüder Grimm
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Titel: Frau Holle
Untertitel:
aus: Kinder- und Haus-Märchen Band 1, Große Ausgabe.
S. 106-110
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1812
Verlag: Realschulbuchhandlung
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Erscheinungsort: Berlin
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: old.grimms.de = Commons
Kurzbeschreibung:
seit 1812: KHM 24
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Bearbeitungsstand
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Begriffsklärung Andere Ausgaben unter diesem Titel siehe unter: Frau Holle.


[106]
24.

Frau Holle.

Eine Wittwe hatte zwei Töchter, davon war die eine schön und fleißig, die andere häßlich [107] und faul. Sie hatte aber die häßliche und faule viel lieber, und die andere mußte alle Arbeit thun und war recht der Aschenputtel im Haus. Einmal war das Mädchen hingegangen, Wasser zu holen, und wie es sich bückte den Eimer aus dem Brunnen zu ziehen, bückte es sich zu tief und fiel hinein. Und als es erwachte und wieder zu sich selber kam, war es auf einer schönen Wiese, da schien die Sonne und waren viel tausend Blumen. Auf der Wiese gieng es fort und kam zu einem Backofen, der war voller Brot; das Brot aber rief: „ach! zieh mich ’raus, zieh mich ’raus, sonst verbrenn’ ich, ich bin schon längst ausgebacken!“ da trat es fleißig herzu und holte alles heraus. Darnach ging es weiter und kam zu einem Baum, der hing voll Aepfel und rief ihm zu: „ach! schüttel mich! schüttel mich! wir Aepfel sind allemiteinander reif!“ Da schüttelt’ es den Baum, daß die Aepfel fielen, als regenten sie, solang bis keiner mehr oben war, darnach ging es wieder fort. Endlich kam es zu einem kleinen Haus, daraus guckte eine alte Frau, weil sie aber so große Zähne hatte, ward ihm Angst und es wollte fortlaufen. Die alte Frau aber rief ihm nach: „fürcht dich nicht, liebes Kind, bleib bei mir, wenn du alle Arbeit im Haus ordentlich thun willst, so soll dirs gut gehn: nur mußt du recht darauf Acht geben daß du [108] mein Bett gut machst, und es fleißig aufschüttelst, daß die Federn fliegen, dann schneit es in der Welt;[1] ich bin die Frau Holle.“ Weil die Alte so gut sprach, willigte das Mädchen ein und begab sich in ihren Dienst. Es besorgte auch alles nach ihrer Zufriedenheit und schüttelte ihr das Bett immer gewaltig auf, dafür hatte es auch ein gutes Leben bei ihr, kein böses Wort und alle Tage Gesottenes und Gebratenes. Nun war es eine Zeitlang bei der Frau Holle, da ward es traurig in seinem Herzen und ob es hier gleich viel tausendmal besser war, als zu Haus, so hatte es doch ein Verlangen dahin; endlich sagte es zu ihr: „ich habe den Jammer nach Haus kriegt, und wenn es mir auch noch so gut hier geht, so kann ich doch nicht länger bleiben.“ Die Frau Holle sagte: „du hast Recht und weil du mir so treu gedient hast, so will ich dich selbst wieder hinaufbringen.“ Sie nahm es darauf bei der Hand und führte es vor ein großes Thor. Das ward aufgethan und wie das Mädchen darunter stand, fiel ein gewaltiger Goldregen, und alles Gold blieb an ihm hängen, so daß es über und über davon bedeckt war. „Das sollst du haben, weil du so fleißig gewesen bist,“ [109] sprach die Frau Holle. Darauf ward das Thor verschlossen und es war oben auf der Welt da ging es heim zu seiner Mutter und weil es so mit Gold bedeckt ankam, ward es gut aufgenommen.

Als die Mutter hörte, wie es zu dem Reichthum gekommen, wollte sie der andern schönen und faulen Tochter gern dasselbe Glück verschaffen, und sie mußte sich auch in den Brunnen stürzen. Sie erwachte, wie die andere auf der schönen Wiese und ging auf demselben Pfad weiter. Als sie zu dem Backofen gelangte, schrie das Brod wieder: „ach! zieh mich ’raus, zieh mich ’raus, sonst verbrenn ich, ich bin schon längst ausgebacken!“ die Faule aber antwortete: „da hätt’ ich Lust, mich schmutzig zu machen!“ und ging fort. Bald kam sie zu dem Apfelbaum, der rief: „ach! schüttel mich! schüttel mich! wir Aepfel sind alle mit einander reif“ sie antwortete aber: „du kommst mir recht, es könnt mir einer auf den Kopf fallen!“ ging damit weiter. Als sie vor der Frau Holle Haus kam, fürchtete sie sich nicht, weil sie von ihren großen Zähnen schon gehört hatte, und verdingte sich gleich zu ihr. Am ersten Tag that sie sich Gewalt an und war fleißig und folgte der Frau Holle, wenn sie ihr etwas sagte, denn sie gedachte an das viele Gold, daß sie ihr schenken würde; am zweiten Tag aber fing sie [110] schon an zu faullenzen, am dritten noch mehr, da wollte sie Morgens gar nicht aufstehen, sie machte auch der Frau Holle das Bett schlecht und schüttelte es nicht recht, daß die Federn aufflogen. Das ward die Frau Holle bald müd und sagte der Faulen den Dienst auf. Die war es wohl zufrieden und meinte nun werde der Goldregen kommen, die Frau Holle führte sie auch hin zu dem Thor als sie aber darunter stand, ward statt des Golds ein großer Kessel voll Pech ausgeschüttet. „Das ist zur Belohnung deiner Dienste“ sagte die Frau Holle und schloß das Thor zu. Da kam die Faule heim, ganz mit Pech bedeckt, und das hat ihr Lebtag nicht wieder abgehen wollen.


  1. Darum sagt man in Hessen, wenn es schneit: die Frau Holle macht ihr Bett.

Anhang

[XVII]
Zu der Frau Holle. No. 24.

Von diesem Märchen gibt es noch eine andere Erzählung: Es war einmal eine Frau die liebte nur ihre rechte, nicht aber ihre Stieftochter, hielt diese immer hart und suchte sie los zu werden. Eines Tags setzte sie beide Töchter an einen Brunnen, da sollten sie spinnen: „wer mir aber den Rocken hinunter fallen läßt, den werf ich hinten drein,“ sagte sie und band ihrer Tochter den Rocken fest, der Stieftochter aber ganz lose Kaum hat diese ein bischen gesponnen, fällt ihr der Roken hinab und die Stiefmutter ist unbarmherzig genug und wirft sie hinterdrein. Sie fällt tief [XVIII] hinunter, kommt in einen herrlichen Garten und in ein Haus, wo niemand ist, in der Küche will die Suppe überlaufen, will der Braten eben verbrennen und der Kuchen im Backofen eben schwarz werden. Sie setzt die Suppe geschwind ab, gießt Wasser zum Braten, und nimmt den Kuchen heraus und richtet an; so hungrig sie aber ist, nimmt sie doch nichts davon außer ein paar Krümchen, die beim Anrichten vom Kuchen herabgefallen sind. Darauf kommt eine Nixe mit furchtbaren Haaren, die gewiß in einem Jahr nicht gekämmt waren, und verlangt, sie solle sie kämmen, aber nicht rupfen und nicht ein einzig Haar ausziehen, welches sie endlich mit vielem Geschick zu Stande bringt. Nun sagt die Nixe, sie wolle sie gern bei sich behalten, sie könne aber nicht, weil sie die paar Krumen gegessen habe; doch schenkt sie ihr einen Ring und andere Sachen, wenn sie den Nachts drehe, wolle sie zu ihr kommen. Die andere Tochter soll nun auch zu der Nixe, und wird in den Brunnen geworfen; sie macht aber alles verkehrt, bezähmt ihren Hunger nicht, und kommt dafür mit schlechten Geschenken zurück.

Nach dieser Recension ist das Märchen in der Naubertischen Sammlung I, 136-179. bearbeitet und in der Manier der andern, aber recht angenehm, erweitert. In der jungen Amerikanerin oder Verkürzung müßiger Stunden auf dem Meer. Ulm 1765. Th. 1. ist, auch dies Mährchen benutzt. Das Murmelthier (Ciron), so heißt das Stiefkind, muß die gröbste Arbeit verrichten, die Schafe hüten, und dabei eine gegebene Zahl gesponnener Faden mit nach Haus bringen. Das Mädchen setzt sich oft an einen Brunnenrand, eines Tages will es sich das Gesicht waschen und fällt hinein. Als es wieder zu sich kommt, befindet es sich in einer Cristallkugel unter den Händen einer schönen Brunnenfrau, der es die Haare kämmen muß, dafür bekommt es ein kostbares Kleid und so oft es seine Haare schüttelt und sich kämmt, sollen glänzende Blumen herausfallen und wenn es in Noth ist, soll es sich herabstürzen und Hülfe bei ihr finden. Dann giebt sie ihm noch einen Schäferstab, [XIX] der die Wölfe und Räuber abwehrt, ein Spinnrad und einen Rocken, der allein spinnt, endlich einen zahmen Biber, zu mancherlei Diensten geschickt. Als Murmelthier mit diesen Gaben Abends heim kommt, soll die andere Tochter sich gleiche erwerben, und springt in den Brunnen hinab, sie geräth aber in Sumpfwasser, und wird wegen ihres Trotzes begabt, daß stinkendes Rohr und Schilf auf ihrem Kopf wächst, und wenn sie eins ausreißt, wächst nur noch viel mehr. Nur Murmelthier kann den häßlichen Schmuck auf 24 Stunden vertreiben, wenn es sie kämmt, das muß es nun immer thun. – Hierauf folgt die weitere Geschichte des Murmelthiers, wozu wieder andere Märchen benutzt sind, es soll allzeit etwas gefährliches ausrichten, aber durch Hülfe seiner Zauberdinge, vollbringt es alles glücklich. Einige Aehnlichkeit im Ganzen mit diesem Märchen hat auch das erste in der Braunschweiger Sammlung, und eins im Pentamerone.