Garnison- und Parade-Bilder/Ein Tag bei dem „Alten“

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Titel: Garnison- und Parade-Bilder/Ein Tag bei dem „Alten“
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aus: Die Gartenlaube, Heft 45-46, S. 653–656, 674–676
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[653]
Garnison- und Parade-Bilder.
Nr. 3. Ein Tag bei dem „Alten“.[1]

Die zweite reitende Batterie der X. Artillerie-Brigade cantonirte bei W. in magern Quartieren, die aber das Angenehme hatten, daß sie der Haide nahe lagen, auf welcher der genannte Truppenkörper die jährlichen Schießübungen abhielt. Die diesjährige war vor drei Tagen mit einer allgemeinen Besichtigung eröffnet, der sich durch beinahe vier Wochen das lehrreiche Instructionsschießen oder das Exerciren in größeren Abtheilungen in angenehmer Abwechselung anschließen sollte.

Die Mannschaft der bezeichneten Batterie war zum Appell zusammengetreten und erwartete die dienstlichen Anordnungen für den nächsten Tag. Der Batterie-Chef, Hauptmann v. R., erschien vor der Front, wo er von den Officieren empfangen wurde.

„Zur Parol!“ commandirte er kurz. Die Avancirten schwenkten zum Kreise um die Officiere. „Lesen Sie den Brigadebefehl, Wachtmeister!“ Dieser schlug das gefürchtete Befehlsbuch auf und las:

„Die zweite reitende Batterie stellt für den morgenden Schießtag einen gewandten und intelligenten Avancirten, der befähigt ist, meine Befehle richtig aufzufassen und genau wiederzugeben. Derselbe hat sich im ordonnanzmäßigen Anzüge, früh 6 Uhr, bei mir [654] und dem Brigade-Adjutanten zu melden, (gez.) v. T., Oberst und Brigadier.“

Der Capitain wandte seine Augen musternd auf das lustige Völkchen der Bombardiere, um die geeignete Persönlichkeit für dies freilich in mancher Beziehung sehr kitzlige Commando herauszufinden. Er schwankte sichtbar in der Entscheidung, und seine Blicke richteten sich sorgend auf den Wachtmeister.

„Wollen Sie nicht aus unsern Officier-Aspiranten wählen?“ schnarrte der mißliebige Premier-Lieutenant durch die Nase.

„Ich weiß nicht, ob ich es wagen darf, die „jungen Herren“ mit dem „Alten“ in eine so nahe Berührung zu bringen,“ erwiderte der Hauptmann, „doch werde ich kaum eine andere Wahl haben,“ und sich schnell den Bezeichneten zuwendend, fragte er lächelnd:

„Nun, meine Herren, wer fühlt sich von Ihnen angeregt, morgen den Galopin bei dem Herrn Brigadier zu machen?“

Mit einem bescheidenen: „Ich bitte mich zu commandiren,“ trat der Verfasser, der damals die Ehre hatte, die Uniform der Bombardiere der preußischen Artillerie zu tragen, vor die Front.

„Dacht’ ich’s doch!“ brummte der Capitain. „Nun, meinetwegen. Wachtmeister, instruiren Sie den Bombardier L. sehr sorgfältig und sorgen Sie namentlich dafür, daß derselbe in durchaus dienstmäßigem Anzüge erscheint und daß sonst keine Windbeuteleien mit unterlaufen.“

Nachdem der Appell beendigt war, sammelten sich die befreundeten Cameraden neckend um meine werthe Person, der Eine beglückwünschte mich zu meiner Erhebung zum Brigade-Adjutanten, ein Anderer empfahl sich angelegentlichst meiner gewichtigen Protection, während ein Dritter meinte, daß er lieber allein gegen eine feuersprühende Batterie marschiren, als mein Commando übernehmen wolle. Endlich trat auch noch der Fähnrich in unsern Kreis. Der Inhaber dieser vielbegehrten Charge, von welcher man mit Recht sagen kann:

„Und wer’s zum Fähnrich erst hat gebracht,
Der steht auf der Leiter zur höchsten Wacht.“

war ein junger Mann, der bereits das Officier-Examen bestanden hatte und seiner Ernennung mit jedem Tage entgegensah. Er war das Orakel der „jungen Herren“, wie die Officier-Aspiranten von dem Capitain, wenn er bei guter Laune war, gewöhnlich genannt wurden, und vertrat mit großer Selbstverleugnung die vielen dummen Streiche, die freilich meistens unter seiner Mitwirkung und zum großen Theil unter seiner unmittelbaren Anführung gegen Kriegsartikel und Disciplin in Scene gesetzt wurden.

Mit einer Ernsthaftigkeit, die mir an ihm fremd war, trat er heute auf mich zu, indem er sagte: „Welcher Teufel mußte Sie denn reiten, als Sie sich zu diesem Commando meldeten? Wissen Sie denn wohl, was es heißt, einen ganzen Tag an den „Alten“ angeschmiedet und wehrlos dem Kartätschfeuer seiner zarten Redensarten ausgesetzt zu sein? Ich beneide Sie nicht um die Millionen Millionenhunde, die morgen auf Ihren blonden Scheitel niederschmettern werden, und Sie können sich aufrichtig Glück wünschen, wenn Sie mit seiner Riesenfaust nicht in unangenehme Berührung kommen.“

Als der Fähnrich sah, daß ich unter dem Eindrucke dieser Worte unwillkürlich die Farbe wechselte, fuhr er lachend fort: „Doch das kann nun Alles nichts helfen; jetzt heißt es, mit Geschick die Suppe ausessen, welche Sie sich selbst eingebrockt haben, und dazu ist vor allen Dingen die größte Keckheit nöthig, und daran fehlt es Ihnen ja nicht. Uebrigens keinen Faden eigenes Zeug! das rathe ich Ihnen. Der „Alte“ ist nämlich der unantastbaren Meinung, daß der langnasige Brigadeschneider der größte Kleiderkünstler seiner Zeit ist, weshalb er in eine wahre Berserkerwuth geräth, wenn er auf dem Leichnam seiner Artilleristen irgend ein Kleidungsstück entdeckt, das nicht durch die bekrallten Finger dieses obersten Ziegenbockes aller Brigade-Ziegenböcke gegangen ist.“

Nach dieser wohlgemeinten Warnung reichte er mir die Hand zum Abschied, indem er sagte: „Der Alte hat auch seine guten Tage; gebe der Himmel, daß Sie morgen einen solchen treffen!“

Mit tausend Besorgnissen belastet, die meine Cameraden wach gerufen hatten, wanderte ich meinem Quartier zu. Ich durfte mir nicht verhehlen, daß der morgende Tag sehr verhängnißvoll für mich werden konnte. Mit dem Alten war nicht gut Kirschen essen; das kleinste Versehen im Dienste konnte ihn rasend machen, und in solchen Momenten gehörte es nicht zu den Seltenheiten, daß seine riesige Faust centnerschwer auf das Haupt des Unglücklichen fiel, der sich seinen Zorn zugezogen hatte. Ich kannte die hundert Anekdoten, die man sich, um seine nicht zu übertreffende Derbheit zu charakterisiren, von ihm erzählte, und wußte die Kraftausdrücke an den Fingern herzuzählen, mit welchen er seine Umgebung zu regaliren pflegte. Aber aus alle dem sprach eine gewisse soldatische Offenheit, die selbst in ihrer übertriebenen Geradheit kaum verletzen konnte, und so manche Geschichte, die man sich von ihm erzählte, barg die größte Herzensgüte als schönen Kern in rauher Schale.

Mußte das Personal des Brigadestabes doch mit ihm täglich umgehen, warum sollte ich dies denn nicht auf wenige Stunden können? „Der Alte ist so schlimm nicht!“ rief ich mir zu. „Was habe ich zu fürchten, wenn ich seine Befehle mit Aufmerksamkeit vollziehe? Nichts, durchaus nichts! Lächerliche Furcht! ich bin stolz auf mein Commando und werde ihm Ehre zu machen wissen.“

Mit solchen Reflexionen sprach ich mir Muth ein, was mir so gut gelang, daß ich beruhigt mein Quartier erreichte, wo ich meinem Burschen zum nächsten Tage die nöthigen Befehle gab.

Der Kanonier, welcher die Ehre hatte, mein Pferd zu versehen und meine Armaturstücke zu putzen, diente bereits sieben Jahre. Er war mit Leib und Seele Artillerist, und in Bezug auf den kleinen Dienst das Orakel seiner Cameraden. Bei allem Respect vor meiner Bombardierwürde, glaubte er doch, daß meine militairische Erziehung seiner Leitung anvertraut sei. Jeden Tadel, der mich traf, fühlte er deshalb auch tief mit, und oft wollte es mir scheinen, als fürchtete ich seine stillen Vorwürfe mehr, als die lauten Zornesausbrüche meiner Vorgesetzten.

Heute empfing er mich mit unverkennbarer Verdrossenheit.

„Also morgen Ordonnanz?“ frug er mit einem Gesichte, aus welchem Verdruß und Unwillen sprachen.

„Ordonnanz?“ entgegnete ich mit gereizter Stimme; „hast Du denn beim Appell keine Ohren gehabt? Ich bin als Galopin zur Aushülfe des Herrn Brigade-Adjutanten commandirt, und werde dessen Functionen zu versehen haben, wenn derselbe anderweitig beschäftigt ist. Du wirst begreifen, daß dazu nicht ein Jeder zu brauchen ist, und daß diese Stellung mit den Obliegenheiten einer Ordonnanz in gar keiner Verbindung steht.“

„Dat ist ganz eenjal,“ replicirte mein übelgelaunter Bursche. „Der Herr Oberst wird Ihnen wohl den Unterschied zwischen einem Adjutanten und einem Vice-Bombardier deutlich zu machen wissen. Na, an Ihrem Pferde, der Montirung und den Waffen soll er nichts zu tadeln finden. Darum bekümmern Sie sich nur nicht, das ist meine Sache; aber lesen Sie sich noch einmal recht aufmerksam die Dienstvorschrift durch, damit Sie morgen Bescheid wissen und uns keine Schande machen.“

Nach dieser wohlgemeinten Hinweisung auf den gedruckten Rathgeber in allen Aengsten und Nöthen des dienstlichen Lebens begab der alte Kanonier sich brummend in den Pferdestall, ich aber verzehrte mit ungeschwächtem Appetit mein frugales Abendbrod, und schlief bald darauf mit dem Schlafe der Gerechten dem verhängnißvollen Morgen entgegen.

Am nächsten Tage, früh 5 Uhr, bestieg ich blank und sauber mein wohlgeputztes Pferd, und drei Viertelstunden später hielt ich vor dem ersten Gasthof in W., wo der Oberst während der Dauer der Schießübungen Quartier genommen hatte. Ein Kanonier der ersten reitenden Batterie, welcher als Ordonnanz commandirt war, nahm mir mein Pferd ab.

„Hast Du Dich schon gemeldet?“ frug ich beim Absteigen.

„Zu Befehl!“ entgegnete der Kanonier, und mit einer kurzen Handbewegung nach dem zweiten Stockwerke des Gasthofes deutend, wo der Oberst sein Zimmer hatte, setzte er phlegmatisch hinzu: „Hei ist schlimm upstohen; ich hew min Fett oll weg.“

Bevor ich eine nähere Erklärung dieser mysteriösen Worte fordern konnte, erschien der Brigade-Adjutant, um sich in das zu ebener Erde etablirte Brigade-Bureau zu begeben. Ich machte ihm meine Meldung. Er nahm mich in das Bureau mit, und nachdem er meinen Anzug einige Secunden gemustert hatte, sagte er: „Ich werde heute nicht immer an der Seite des Herrn Brigadier sein können, Sie werden mich in dieser Zeit insoweit vertreten als Sie die Befehle, welche Ihnen der Herr Oberst geben wird, an die bezeichneten Persönlichkeiten zu überbringen haben. Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Sie diese Befehle, wie sonderbar sie auch klingen mögen, wortgetreu wiedergeben müssen. Auch [655] die etwaigen Entgegnungen haben Sie wörtlich, ohne Umschreibung und Auslassungen, dem Herrn Oberst zu überbringen. Uebrigens seien Sie nicht ängstlich; der Herr Oberst liebt eine gewisse Keckheit und soldatische Offenheit. Zeigen Sie ihm keine Furcht, und Sie werden nichts von ihm zu fürchten haben. Sollte er gegen Sie aufbrausen, so seien Sie überzeugt, daß sein „Millionenhund“ oft eine wohlgemeintere Bedeutung hat, als die sarkastischen Höflichkeiten derjenigen Herren Officiere, die da meinen, daß ein rasches Wort nicht zu ihrer classischen Bildung passe. Nun gehen Sie und melden Sie sich bei dem Herrn Brigadier, zweite Etage links; Sie treten ohne Anmeldung ein.“

Mit dem sechsten Glockenschlage der Uhr des nahe gelegenen Rathhauses trat ich in das Zimmer des Alten.

Derselbe war mit einem bereits sehr abgetragenen Uniformoberrock bekleidet und saß auf einem Rohrstuhle, während sich zwei Wachtelhunde der echten Victoria-Race auf dem weichen Polster eines prächtigen Plüsch-Sophas wiegten. Vor dem Sopha stand ein ovaler Tisch, auf welchem sich die Ueberreste eines compacten Dejeuners in malerischer Unordnung präsentirten. Verschleppte Knochen und umhergestreute Fleischbrocken ließen erkennen, daß die Hunde nicht leer ausgegangen waren. Vor dem Couvert, mit welchem der Tisch belegt war, standen zwei kurzhalsige Flaschen, von denen die eine bereits ganz und die zweite beinahe bis zur Hälfte geleert war. In einem mächtigen Glase perlte eine gelbbraune Flüssigkeit, die ich für Madeira hielt. Der Oberst rauchte aus einer kurzen Pfeife und trieb mächtige Rauchwolken gegen die Decke des Zimmers. Sein stark markirtes Gesicht strahlte in allen Farben des Regenbogens. Er war groß, corpulent, überaus kräftig gebaut und sehr wohl conservirt. In seinen grau-blauen Augen funkelten noch alle Leidenschaften des Jünglings.

Ich trat auf drei Schritte an ihn heran und machte meine Meldung. Er musterte mich mit der größten Aufmerksamkeit.

„Kehrt!“ Ich fühlte an dem elektrischen Strom, der mir am Rücken herunterlief, wie seine Augen langsam von der Spitze des Czako’s bis auf die Sporen herunterglitten.

„Front!“

„Wie heißen Sie?“

„L.“

„Wie lange dienen Sie?“

„Sechs Monate und sieben Tage.“

„Hoh, Hoh!“ rief der Alte mit gutmüthigem Lachen, „noch Rekrut und schon die Tressen? Da habe ich also wohl die Ehre, einen der jungen Herren vor mir zu sehen, die auf Officier-Avancement in der Brigade dienen?“

„Ich bin als Avantageur in die Brigade eingestellt, nachdem ich das vorgeschriebene Tentamen bestanden habe,“ erwiderte ich die mit starker Ironie versetzte Frage des Alten.

„O, ich zweifle nicht daran! Was im Civil nicht fortkommen kann, glaubt im Militair noch immer General werden zu können. Auf dem Gymnasium faul und widerspenstig, drei Jahre in einer Classe, mit jedem Semester eine schlechtere Censur und keine Hoffnung, jemals durch’s Abiturienten-Examen zu kommen, da faßten Sie den patriotischen Entschluß, Ihre verkannten Talente dem Militärdienste zu widmen, und das Vaterland gewann die Hoffnung auf einen Feldmarschall. Nicht wahr, so kamen Sie in die Uniform?“

War denn der Alte allwissend! In dieser Voraussetzung lag entsetzlich viel Wahrheit. Das Blut schoß mir in’s Gesicht, ich kämpfte diese verrätherische Wallung aber schnell nieder, richtete mich keck auf und mit einem Selbstbewußtsein, zu welchem mich nur die Noth der Situation forciren konnte, antwortete ich: „Herr Oberst, ich bin aus wahrhafter Neigung Soldat geworden und hoffe, der herrlichen Waffe, der ich anzugehören die Ehre habe, keine Schande zu machen.“

In diesem Augenblick trat der Brigade-Adjutant in’s Zimmer.

„Verfluchtes Maulwerk, dieser knirpsige Millionenhund von Bombardier!“ wandle sich der Alte an denselben. „Er ist kaum so groß wie ein siebenpfündiger Mörser, raisonnirt aber wie ein langer Vierundzwanzigpfünder.“

Und sich an mich wendend, sagte er mit ungemeiner Gutmüthigkeit: „Sie können abtreten, mein Kind. Nehmen Sie sich aber in Acht, daß Ihnen der schwere Säbel, an welchen Sie der Capitain v. R. gebunden hat, bei der Kehrtwendung nicht die noch sehr in der Entwickelung begriffenen Spazierstöcke entzwei schlägt.“

Ich machte nach Vorschrift Kehrt.

„Front!“ commandirte der Alte, und sich an den Adjutanten wendend, sagte er: „Lieber W., schenken Sie dem Kinde ein Glas Madeira ein, denn das hat doch noch weiter nichts im Magen, wie ein Weltmeer von warmem Spülwasser, was sie Kaffee nennen. Schenken Sie man immer den Humpen voll, dem wird es nicht zu viel. Ich kenne die Sorte! das Saufen haben sie aus dem Fundament gelernt und vertragen können sie soviel, wie eine fünfundzwanzigpfündige Haubitze.“

Der Alte zeigte schmunzelnd auf das volle Glas hin.

Ich leerte es, wie vorgeschrieben, mit einem Zuge und setzte es dann auf ein Nebentischchen.

„Brav!“ rief der Alte. „Sie können gehen.“

Es war mir doch um fünfzig Pfund leichter auf der Brust, als ich diese meine erste Vorstellung hinter mir hatte.

Jedenfalls durfte ich mit meinem Debüt zufrieden sein. Ich gewann an Selbstbewußtsein und Sicherheit, und dies mußte sich auch in meiner Haltung aussprechen, denn als ich auf die Straße trat, richtete sich die Ordonnanz, die phlegmatisch an ihrem Pferde lehnte, sofort in jene Stellung auf, die der Untergebene dem Vorgesetzten gegenüber einzunehmen hat. Das Gesicht des Kanoniers war ein großes Fragezeichen; ich wußte mir aber eine so unnahbare Haltung zu geben, daß derselbe es nicht wagte, sich mir mit einer vertrauten Frage zu nahen.

Nach einer halben Stunde wurden die Pferde für den Alten und den Adjutanten herausgeführt.

Das Pferd, welches der Oberst reiten sollte, war ein Fuchs ohne Abzeichen. Das starke, feurige Thier trug die gewichtige Masse seines corpulenten Reiters mit ungemeiner Leichtigkeit und folgte jeder Hülfe willig und leicht. Bevor der Alte es bestieg, betrachtete er das schöne und gut gepflegte Roß mit offenbarem Vergnügen. Er streichelte dessen stolzen Hals, sprach es freundlich an und schwang sich dann mit Leichtigkeit in den Sattel.

Der Ordonnanz gelang dies nicht so gut. Der Mann hatte sein Pferd offenbar zu kurz gezügelt, es war unruhig, und als er den Fuß in den Bügel setzte, um sich empor zu schwingen, gelang ihm dies erst nach dem dritten Versuche, und auch dann noch auf eine wenig graziöse Weise.

Der Betrachtung des Alten war dies nicht entgangen.

„Will der münsterländische Pumpernickelfresser gleich wieder von der Schindmähre herunter!“ rief er mit einer Stimme, die das ganze Stadtviertel alarmirte. „Wälzt sich der Tölpel wie ein vollgestopfter Wollsack auf den Gaul. Ich werde Ihm ein adrettes Aufsitzen lehren.“

Der Kanonier sprang schnell aus dem Sattel und nahm die vorgeschriebene Stellung am Kopfe seines Pferdes ein.

„Ich werde jetzt das Commando zum Aufsitzen geben,“ rief der Oberst, „und wehe Ihm, wenn er wieder wie ein lendenlahmer Schulmeister auf die Mähre krabbelt.“

„Fertig zum Aufsitzen!“ commandirte der Alte mit einer Stimme, die weit durch die Straßen schallte.

„Auf – gesessen!“

Der Mann saß im Sattel und hatte die vorgeschriebenen Tempo’s mit Leichtigkeit und ohne Tadel ausgeführt.

„Warum geht es denn jetzt?“ rief der Alte, und indem er sein Pferd in Bewegung setzte, sagte er zu dem an seiner Seite reitenden Adjutanten: „Ich kenne diese Art schon. Das ist einer von der verlotterten Batterie des Capitains v. C. Landkarten klexen kann der gelehrte Herr schon, aber um den Dienst bekümmert er sich nicht. Das ist zu kleinlich für diese beepauletteten Akademiker. Na, das muß auch noch anders werden, oder ich will nicht T. heißen.“

Der Capitain v. C. war ein höchst wissenschaftlich gebildeter Officier, der sich namentlich gern und viel mit Geographie und Landkarten beschäftigte. Auf dies sein Lieblingsstudium bezog sich die Anspielung des Alten.

Wir näherten uns dem Thore, durch welches die Straße nach dem Schießplatze führte. Die von Infanterie besetzte Thorwache trat in das Gewehr, um dem Brigadier die seinem Grade gebührenden Ehrenbezeigungen zu erweisen. Die Leute hatten noch nicht ihre Morgentoilette gemacht und sahen unsauber, maladrett und verschlafen aus. Der Oberst bemerkte dies und konnte es nicht ungerügt lassen. An den die Wache commandirenden Unterofficier herantretend, sagte er:

[656] „Ihre Leute sehen wie Ferkel aus, die sich soeben aus der Streu eines unsauberen Stalles herausgewühlt haben. Wär’ ich Euer Oberst, ich ließ Euch mit Ziegelmehl scheuern und mit einer Striegel das Haar glatt kämmen. Lassen Sie die westphälischen Schinkenfresser forttreten, sonst kriegen sie Maden, wenn sie die Sonne bescheint.“

Als wir uns außerhalb der Festungswerke befanden, hielt der Oberst sein Pferd an und verlangte nach seiner Tabakspfeife, die sammt der Frühstückstasche der Obhut der Ordonnanz anvertraut war. Der Kanonier überreichte die bereits gefüllte Pfeife dem Alten und beeilte sich Feuer anzuschlagen.

Als er ihm den glimmenden Schwamm reichte, sagte der Alte mit der ganzen Gutmüthigkeit, zu welcher er seine gewaltige Baßstimme moduliren konnte: „Na, so ist es recht. Ein tüchtiger Kanonier muß immer Feuer haben; Feuer im Herzen, Feuer in jeder Bewegung und endlich auch Feuer in der Tasche, um sich, wenn es der Dienst erlaubt, den Glimmstengel anzünden zu können.“

Und indem er die ersten Züge aus seiner Pfeife in dichten Wolken mit Wohlgefallen und sichtbarem Behagen in die klare Morgenluft blies, fuhr er fort: „Ein Soldat, der nicht Tabak raucht, kommt mir wie ein Hund ohne Schwanz vor. Sind Sie nicht auch der Meinung, Herr Lieutenant?“

„Ich bedauere, Ihnen nicht ganz beistimmen zu können,“ entgegnete der Adjutant, indem er sich eine Cigarre anbrannte. „Der österreichische Artillerist darf bekanntlich nicht rauchen, ich habe aber nicht gehört, daß er dadurch an seiner Tüchtigkeit oder militairischen Würde Abbruch erleidet.“

„Na, bleiben Sie mir mit den Herren Holters aus dem Tornister,“ erwiderte der Alte lachend. „An Pedanterie und Kleinigkeitskrämerei sind uns dieselben weit voraus, sonst aber habe ich von ihnen nicht viel Erhebliches gesehen.“

Sein Pferd wieder in Bewegung setzend, fuhr er fort: „Da muß ich Ihnen doch eine Geschichte erzählen, die für das, was ich gesagt habe, bezeichnend genug ist.“

Darauf theilte er uns eine Geschichte aus dem Kriegsjahre 1814 mit, die allerdings sehr komisch war und nicht sehr zu Gunsten der österreichischen Artillerie sprach, die aber hier besser unerzählt bleibt. Sie dauerte ziemlich lange, und der Alte hatte sich durch diese Mittheilung aus seinen Erlebnissen, in eine Gemüthlichkeit hineingeredet, welche die Derbheit seiner Züge fast ganz auflöste und die Güte seiner innersten Natur erkennen ließ. Er erzählte viele Schnurren aus seinem vielbewegten Leben, die ihn immer liebenswürdiger erscheinen ließen und außerordentlich unterhaltend waren. Die Zeit war dabei wunderbar schnell vergangen. Die bedeutendste Strecke des öden staubigen Weges hatten wir hinter uns und wir traten bereits in den Schatten des dichten Fichtenwaldes, der den Schießplatz in nicht zu großer Tiefe von allen Seiten umgibt. Der Alte klopfte schon die Pfeife aus und gab sie an die Ordonnanz; nur noch einige Minuten, und wir mußten auf dem Platze sein.

Da schallte uns plötzlich von einem Fußwege, welcher aus dem hohen Holze kam und an der Stelle, wo wir uns gerade befanden, die Chaussee kreuzte, eine kräftige, angenehme Männerstimme entgegen, die das Reiterlied aus Wallensteins Lager meisterhaft vortrug. Der Alte schien angenehm überrascht zu sein. Er hielt sein Pferd an und lauschte mit sichtbarem Vergnügen den wohlklingenden Tönen, die sich melodisch über das dichte Blätterdach der alten Föhren erhoben. Der fröhliche Sänger, der von unserer Gegenwart noch keine Wissenschaft zu haben schien, kam uns mit jeder Minute näher und mußte in der kürzesten Zeit gerade vor dem Platze, an welchem wir hielten, die Chaussee betreten.

Es währte auch nicht lange, so tauchte aus dem dichten Unterholze, welches den Fußweg zu beiden Seiten einfaßte, ein umfangreicher, rother Regenschirm empor. Der Kopf des Sängers ließ sich noch nicht wahrnehmen, weil denselben der Schirm verbarg, mit welchem sich der Mann gegen die schon empfindlichen Strahlen der Sonne zu schützen suchte. Aber ich erkannte mit Entsetzen, daß der Besonnenschirmte die Uniform der Brigade trug, und konnte mir sofort die Scene vergegenwärtigen, welche erfolgen mußte, wenn der Oberst einen Kanonier seiner Brigade in einem so durchaus dienstwidrigen Aufzuge erblickte. Doch uns waren noch weitere Ueberraschungen vorbehalten. Noch immer singend, hatte der Harmlose bereits die Chaussee erreicht, ohne uns zu bemerken. Da donnerte ihm plötzlich ein „Halt“ des Obersten entgegen, welches mit so zornigem Gebrüll ausgestoßen wurde, als käme es aus der Kehle eines Löwen. Dem Kanonier entfiel das unglückliche Sonnen-Parapluie, er brach beinahe zusammen und konnte sich nur zitternd aufrecht erhalten. Er stand unmittelbar vor dem Pferde des Brigadiers und stierte uns mit Entsetzen und Grauen wie gespensterhafte Erscheinungen an.

Aber auch wir, und vor Allem der Oberst, sahen mit maßlosem Erstaunen auf den Kanonier hin. Es war kein gewöhnlicher Anblick, den derselbe darbot. Die Gestalt, die gebannt durch das zornsprühende Auge des Alten bewegungslos vor uns stand, war eckig und klein. Der ungemein große Kopf schien unmittelbar auf den Schultern zu sitzen und war bis zu den Ohren von Vatermördern eingerahmt, die handhoch über den Kragen der sehr abgetragenen Dienstuniform hervorragten. Den kurzen Hals umschlang mehrfach ein weißes Tuch, dessen gestickte Zipfel prahlend im Winde flatterten. Der Kragen und die drei obersten Knöpfe der Uniform waren gelöst und ließen eine rothe Plüschweste bemerken, auf welcher sich ein großer Blumenstrauß wiegte, den der Fuchs des Alten sehr begehrlich beroch. Unter der Uniform ragte die Weste fußlang hervor, aus deren Tasche eine Uhrkette von vierfachen Stahlringen in prahlerischen Windungen über den kugelrunden Bauch hing. Die überaus dünnen und sehr krummen Beine waren mit engen Pantalons von englischem Leder bekleidet, auf dem stark behaarten Scheitel prangte eine mit dem verpönten Sammetstreifen geschmückte schirmlose Mütze, die keck auf einem Ohre saß. Die Hände waren mit schwarzen Handschuhen bekleidet und an den Stiefeln mit auffallend hohen Absätzen glänzten lange neusilberne Sporen. In der rechten Hand trug er den schon bezeichneten Regenschirm, in der linken eine kostbare Pfeife mit langem Weichselrohr und dicken Quasten von Glasperlen.

Der Oberst, der noch in jüngster Zeit geschärfte Befehle gegen das Tragen eigener Uniformstücke erlassen hatte, schien zuerst die maßlose Frechheit, mit welcher hier das „Kleid des Königs“ durch den seltsamsten Aufputz verunstaltet war, gar nicht begreifen zu können. Er starrte diese beißende Carricatur auf die ganze Artillerie mit Ungewissen zweifelnden Blicken an und rief mehrmals: „Ein Chinese, ein leibhafter Chinese!“

Doch bald schien die Sache ernsthafter werden zu wollen. Der Alte hob sich mit ungewöhnlicher Elasticität aus dem Sattel und warf sich auf den armen Kanonier. Er packte ihn mit der linken Hand am rechten Ohre, begrub die rechte in die Falten des weißen Halstuches, drehte dies um seine Finger und schob den Gewürgten einige Minuten mit unwiderstehlicher Kraft hin und her, wobei er unarticulirte Laute der höchsten Erregung ausstieß.

Endlich fand er Worte. „Verfluchter Chinese,“ rief er zornbebend, „Cousin des Mondes und der Sonne, ekelhafter Ratten- und Spinnenverzehrer, wie heißt Du, und wie kommst Du in die Uniform meiner Brigade?“

Der Kanonier konnte nicht antworten, weil ihm die Eisenfaust des Alten die Kehle zuwürgte.

„Antworte!“ schrie dieser, „oder ich reiße Dir die funfzigpfündige Bombe, die Dir als Kopf auf Deinen Krötenrumpf gestellt ist, von den Schultern, so wahr ich T. heiße.“

„Wenn der Mann antworten soll, so werden Sie wohl erst seinen Hals freigeben müssen,“ bemerkte der Adjutant, der vom Pferde gestiegen und der Gruppe näher getreten war.

Der Oberst machte seine Finger aus dem Halstuche frei, gab dem Kanonier einen Stoß, daß er zehn Schritte rückwärts taumelte und dann wie ein Klotz auf die Chaussee niederschlug. Er raffte sich aber schnell wieder auf und machte eine Bewegung, als wenn er fliehen wollte. Der Oberst bemerkte dies, riß den Säbel aus der Scheide und rief: „Kerl, steh’, oder ich spalte Dir Deinen Kürbiskopf mit einem Hiebe!“

Der Adjutant, der das Schlimmste befürchten mochte, sprang auf den Kanonier zu, und indem er ihn beim Kragen faßte, als ob er seine Flucht verhindern wollte, flüsterte er ihm zu: „Mensch, Du bist verloren, wenn Du Furcht zeigst. Melde Dich, als wenn nichts vorgefallen wäre, bei dem Herrn Oberst.“

[674] Der Kanonier richtete sich sichtbar unter dem Eindruck dieser Worte auf. Er schüttelte die Furcht, die bisher jede seiner Bewegungen lähmte, von sich ab, trat dreist bis auf drei Schritte an den Alten heran und meldete, daß er der Sattler K. von der zwölfpfündigen Batterie No. X. sei und von seinem Capitain für den Vormittag beurlaubt wäre, um seine Braut auf einem der benachbarten Höfe zu besuchen.

Der Oberst nahm diese Meldung mit vieler Ruhe entgegen. Indem er den Säbel in die Scheide brachte, wandte er sich an den Adjutanten und sagte: „Denken Sie sich, Lieutenant W., es ist kein Chinese, es ist wirklich ein Kanonier von meiner Brigade, Na, ich werde dem Millionenkerl funfzig Eimer kaltes Wasser über den borstigen Schädel gießen lassen, das wird ihm das verrückte Gehirn wohl wieder in Ordnung bringen.“ Und indem sein Zorn sich in ein leises Brummen verlor, fuhr er fort: „Haben Sie gehört, daß dies Monstrum eine Braut hat? Na, die möchte ich kennen lernen. Wir wollen hoffen, daß der liebe Gott ein Einsehen haben und die Race sich nicht weiter ausbreiten lassen wird.“

Er begleitete diese Worte mit einem Lachen, von welchem die Gipfel der Bäume sich bewegten.

„Aber was machen wir denn eigentlich mit diesem hanswurstigen Millionenkerl?! hob er nach einigen Augenblicken wieder an. „Dem Capitain H. will ich doch auch die Freude gönnen, das Pflänzchen, welches er sich großgezogen hat, in diesem Ausputze zu sehen.“

Er dachte einige Augenblicke nach und fragte dann den Kanonier, der seinem Schicksale mit bewunderungswürdiger Resignation entgegensah: „Deine Braut erwartet Dich?“

„Zu Befehl, Herr Oberst.“

„Gut! meine Kanoniere sollen galant sein. Du begibst Dich jetzt zu der Dame Deines Herzens, verweilst dort eine Stunde und verfügst Dich dann auf den Schießplatz, wo Du Dich auf der Parkwache als Arrestant zu melden hast. An Deinem Anzuge änderst Du nicht das Geringste. Auf der Wache erscheinst Du mit dem chinesischen Sonnendache, Pfeife, Vatermörder etc. Wehe Dir, wenn an dem Blumenstrauße auch nur ein Blatt fehlt! Das Weitere wird sich finden. Und nun Kehrt! Marsch!“

Der arme Sattler ließ sich dies nicht zum zweiten Male sagen; er beeilte sich, aus der gefährlichen Nähe des Brigadiers zu verschwinden.

„Nun, Lieutenant W.,“ brummte der Alte, indem er sich den Schweiß von der Stirn trocknete, „ich hätte nicht geglaubt, daß solche Abscheulichkeiten noch in meiner Brigade vorkommen könnten. Aber wie der Herr, so der Diener. Der Hauptmann H. liebt solche Windbeuteleien. Ich muß einmal wieder dazwischen fahren, wie Ziethen aus dem Busch, sonst wird der Unfug doch zu arg.“

Sich nach der Ordonnanz umdrehend, fuhr er fort: „Um den Skandal zu verdauen, denke ich, trinken wir ein Glas. Mir liegt der Chinese wie ein Pfund Seife im Magen. Ordonnanz, eine Flasche und ein Glas!“

Der Kanonier überreichte das Geforderte. Der Alte trank ein volles Glas und gab hierauf die Flasche an den Adjutanten, dem der starke Madeira nicht zusagen mochte, denn er füllte sein Glas kaum bis zur Hälfte.

Hierauf bestiegen wir wieder unsere Pferde und eilten, um die verlorene Zeit einzubringen, im Galopp dem Kanonendonner entgegen, der uns einladend von den bereits in Thätigkeit begriffenen Batterien entgegenschallte.

Als wir den Schießplatz erreicht hatten, hielt der Oberst sein Pferd an, um in seiner Gesammtheit das Bild aufzufassen, das sich mit so vielen Abwechselungen vor seinen Augen entfaltete.

Die öde Haide bot an diesem Morgen einen sehr belebten Anblick dar. Im Vordergrunde und uns zunächst exercirte die gesammte reitende Artillerie unter dem Commando eines Stabsofficiers an den bespannten Geschützen. Von dorther tönten die schmetternden Trompeten-Signale und das Gerassel des über den harten Haideboden in der schnellsten Gangart dahinsausenden Fuhrwerks entgegen. Die schnelle Gangart, die Leichtigkeit und Sicherheit, mit welcher die verwickeltsten Bewegungen ausgeführt wurden, imponirte ungemein. Weiter zurück schoß ein Theil der Fußartillerie mit Kugeln und Kartätschen nach der Scheibe. Der Donner der Kanonen wechselte mit den Horn-Signalen ab, durch welche sowohl die verschiedenen Bewegungen als auch das Feuer geleitet wurden. Man hörte den dumpfen Schlag, mit welchem die Kanonenkugel beim Rollschuß mehrere Male, bevor sie die Scheibe traf, den Boden berührte, und sah, wir sich der Pulverdampf mit dem Staube mischte, den die hüpfende Kartätsche unter sich aufwirbelte. Im Hintergrunde wurde aus drei Batterien gegen ein Polygon gefeuert, welches in angegriffenem Front eine Festung vorstellte. Da zogen die Bomben und Granaten ihre feurigen Bogen und warfen Garben von Sand auf, wenn sie in dem getroffenen Werke crepirten. Es war ein effectvolles Bild, dessen Gesammteindruck der Oberst mit sichtbarer Freude in sich aufnahm.

In seiner stillen Betrachtung wurde er durch den Adjutanten gestört, der sich hier von ihm beurlaubte. Ich trat in diesem Augenblick in dessen Functionen und kam auch sogleich in Thätigkeit.

Der Alte schickte mich nach der Parkwache, Um dem Officier derselben mitzutheilen, daß sich der Sattler K. als Arrestant melden werde und daß dafür Sorge zu tragen sei, daß dessen Ausputz wohl conservirt bleibe.

Als ich mich mich einiger Zeit mit dem kurzen „Bestellt, Herr Oberst!“ zurückmeldete, befand er sich auf dem rechten Flügel der reitenden Artillerie, wo er soeben den Rapport des commandirenden Stabsofficiers entgegennahm und dann an der Front der Batterie hinunterritt. Er bemerkte jede Schnalle, die falsch lag, und fand auch die geringsten Fehler auf, die hinsichtlich der Beschirrung der Pferde oder in der Ausrüstung der Geschütze gemacht waren.

Vor dem zweiten Zuge der zweiten Batterie hielt der uns schon bekannte Fähnrich. Aus seiner Uniform hing eine goldene Uhrkette im koketten Bogen heraus, was den Alten zu indigniren schien.

„Stecken Sie die Baumelei weg, Herr Windbeutel!“ sagte er mit mehr Ruhe, als sich vermuthen ließ. „So was erinnert mich immer an die Syrupsjungen aus den Krämerläden, wenn sie des Sonntags mit gewichstem Kopf und ungewichsten Stiefeln auf den Promenaden herumlaufen und die Luft mit Heringsgeruch und Moschusgestank verpesten.“

„Dem Fähnrich stieg das Blut in das Gesicht, und er schien nicht übel Lust zu haben, irgend eine Entgegnung zu wagen. Der Oberst hatte sich aber schon von ihm weggewandt, indem er den Capitain v. R. rief.

„Wie sind Sie mit der dienstlichen Führung des Fähnrichs zufrieden?“ fragte er. „Verspricht der junge Mann ein guter tüchtiger Officier zu werden? ich meine einen solchen, der mit unwandelbarer Loyalität an dem Könige hängt, stets seinen Dienst thut, der Ordre gehorcht und nicht über seine Vorgesetzten raisonnirt; oder gehört er zu den mir wohlbekannten Demagogen der Brigade, die von Freiheit und Constitution faseln, weder Pflicht noch Gehorsam kennen und am liebsten mit der Majestät, ihrem obersten Kriegsherrn Arm in Arm auf dem Divan sitzen und mit ihm Cigarren rauchen möchten? Na, so lange diese gelehrten Systemmacher die Uniform meiner Brigade tragen, werde ich sie schon in der rechten Constitution zum Könige und zu ihren Pflichten zu erhalten wissen. Ich hoffe, sie wissen, daß ich T. heiße.“

Der Oberst hatte sich in eine bedeutende Aufregung hineingeredet, [675] geredet, die erst nachließ, als der Capitain die auf den Fähnrich Bezug habende Frage beantwortete.

„Der Fähnrich v. B,“ entgegnete der Hauptmann, „ist ein durchaus tüchtiger Soldat und wird einst der Officier-Uniform gewiß keine Schande machen.“

„Dann wollen wir sie ihm heute auch noch anziehen,“ sagte der Oberst lachend, und indem er sich mit einer gewissen Feierlichkeit nach dem Fähnrich zurückwandte und dabei salutirend die rechte Hand an den Federhut legte, sagte er: „Seine Majestät haben die Allerhöchste Gnade gehabt, Sie zum Lieutenant zu ernennen. Reiten Sie nach Hause, ziehen Sie die Uniform Ihres Grades an und beeilen Sie sich, sich dem Officier-Corps als neuer Camerad vorzustellen. Nehmen Sie meine Glückwünsche mit auf den Weg.“

Während der Glückliche im Galopp nach seinem Quartier jagte, um den Fähnrich auszuziehen und in die längst bereit gehaltene Officier-Uniform zu fahren, vollendete der Oberst die Ocular-Inspection seiner Lieblingswaffe, der reitenden Artillerie. Die Bewegungen, welche er ausführen ließ, beurtheilte er haarscharf und bis in die kleinsten Details, wobei er namentlich die Führung der Züge der schonungslosesten Kritik unterwarf. Die gespannteste Aufmerksamkeit konnte die Herren Officiere gegen die Rügen des sachkundigen Vorgesetzten nicht immer schützen. Dabei übersah derselbe aber auch die Fehler der Unterofficiere und Kanoniere nicht. Ein Stangenreiter, der bei den Kehrtwendungen das Handpferd nicht stark genug anziehen ließ, mußte absitzen und den Kantschu und das Scheuerleder, welches die Stangenreiter um den rechten Fuß tragen, um das Bein gegen die Reibung und die Stöße der Deichsel zu schützen, an ihn abgeben. Damit ausgerüstet bestieg der Oberst das Stangensattelpferd, ließ die getadelte Bewegung wiederholen und lenkte das Geschütz zur Instruction des Fahrers durch mehrere Minuten, wobei es freilich diverse „Millionenhunde“ regnete und der dicke Kantschu das Haupt des Unachtsamen vielfach bedrohte. Es war kein gewöhnlicher Anblick, den alten Herrn mit den schweren Epaulettes und dem schwankenden Federhut als Fahrer agiren zu sehen.

Die anstrengenden Exercitien wurden durch mehrere Stunden und bis zur vollständigen Ermüdung der Leute und Pferde fortgesetzt. Endlich schien der Oberst das Bedürfniß der Restauration an sich selbst zu fühlen. Er winkte die Ordonnanz heran und ließ sich die bekannte Flasche reichen.

„Lassen Sie Kehrt machen, Major B.,“ befahl er.

Nachdem diese Bewegung ausgeführt war und bevor er die Flasche an den Mund setzte, rief er mit seiner Donnerstimme, die auf der ganzen Front deutlich vernommen wurde: „Der Millionenkerl, der sich umsieht, dem drehe ich den Hals um!“ Er sog die Flüssigkeit mit langen Zügen ein, wobei seine Augen forschend über die lange Linie der Batterie glitten, um zu erspähen, ob es Jemand Wagen würde, sich gegen seinen Befehl nach ihm umzusehen.

„So, Herr Major, nun lassen Sie Front machen und dann rühren, damit die Leute frühstücken können.“

Die Inspicirung war hier zu Ende. Während die reitenden Artilleristen einen heftigen Angriff auf die vollen Körbe der zahlreichen Marketenderinnen machten, begab sich der Oberst nach der Aufstellung der drei zwölfpfündigen Batterien. Dieselben waren auf 1600 Schritt von der Scheibe, welche die Breite einer Bataillonsfront hatte, aufgestellt. Nach einer kurzen Besichtigung der zu einer Abtheilung zusammengezogenen achtzehn Geschütze stellte sich der Alte an dem rechten Flügel derselben auf, wo er weniger von dem Pulverdampfe belästigt wurde, der in dichten Wolken vor den Geschützen lagerte. Die Abtheilung feuerte mit einer seltnen Sicherheit. Schuß auf Schuß traf das Ziel, und nur selten setzte eine Kugel im flachen Bogen über die Scheibe hinweg. Als die durch Brigadebefehl festgestellten Schüsse auf dieser Distance abgegeben waren, ging die Abtheilung einige hundert Schritt vor und richtete ein lebhaftes directes Feuer gegen die Scheibe. Auch von hier aus wurde gut geschossen, so daß sich die Zufriedenheit des Alten mit jedem Schusse erhöhte. Man ging zuletzt in noch näherer Entfernung zum Kartätschenfeuer über, dessen Wirksamkeit sich aus den vielen Holzsplittern abnehmen ließ, welche die streifenden Kugeln von der Kugelwand losrissen. Als nach Beendigung dieses Schießens die Bedienungsmannschaften der Geschütze an die Scheibe geführt wurden, um ihnen das Resultat ihres heutigen Schießens zu zeigen, sprach der Oberst seine volle Zufriedenheit gegen die Officiere und Leute aus. Er schloß mit dem Befehle: die Fahrer mit den Pferden in die Quartiere zu entlassen, den übrigen Theil der Mannschaft nach der Parkwache zu führen, wo er denselben nach Schluß der heutigen Uebungen noch einen seltenen Vogel zu zeigen habe.

„Und nun wollen wir frühstücken. Herr Major, Sie sind mein Gast,“ sagte er zu dem Officier, der die Zwölfpfünder commandirt hatte. Und sich an mich wendend, setzte er hinzu: „Lassen Sie auskramen, was wir bei der Sorte haben. Die Sonne zeigt stark auf Mittag und mein Magen hängt gewaltig schief. Jener Faschinenhaufen kann als Tisch dienen.“

Die Ordonnanz schleppte eine Ledertasche herbei, deren Umfang die angenehme Vermuthung zuließ, daß sie einen reichlichen Vorrath an Speise und Trank enthalte. Wir öffneten dieselbe mit großer Eilfertigkeit, wobei ich meiner Galopinwürde nichts zu vergeben glaubte, wenn ich dabei hülfreiche Hand leistete.

Zuerst förderte ich einige saubere Damast Servietten, Gabel und Messer in mehreren Paaren, einige Weingläser, drei gekapselte Flaschen Bordeaux und eine Flasche Rum an’s Tageslicht, darauf folgte kaltes Geflügel, Sauerbraten, Schinken, Käse, Butter, Brod und mehrere Sorten Kuchen. Mit solchen Vorräthen ließ sich schon ein Tisch serviren. Ich ließ den Faschinenhaufen mit den Damasttüchern bedecken, deren Zipfel mit zehnpfündigen Granaten belastet wurden, die uns zahlreich zur Hand lagen. Zwischen diese richtete ich symmetrisch die Flaschen und Gläser ein und postirte zuletzt die genannten Speisen mit der möglichsten Koketterie auf die improvisirte Tafel. Endlich ließ ich noch zwei leere Pulvertonnen heranrollen, welche als Sessel dienen sollten, worauf ich melden konnte, daß angerichtet sei.

„Sieh, wie niedlich der Blitzjunge unser Frühstück arrangirt hat!“ bemerkte der Alte in der besten Laune. „Ich glaube, das Kind hat einige Talente.“

Dies unverdiente Lob, welches der Oberst mir spendete, konnte nicht den Appetit unterdrücken, mit welchem mein siebzehnjähriger Magen nach einem so langen Fasten nach leiblicher Nahrung verlangte.

„Na, treten Sie man auch heran,“ sagte der Alte in der freundlichsten Weise, nachdem er seinem Gaste vorgelegt hatte. „Bringen Sie für sich einen Teller und ein Glas her und langen Sie ungenirt zu. Schneiden Sie aber zuvor für die Ordonnanz ein tüchtiges Stück Brod ab, belegen Sie es mit einer doppelten Lage Schinken und schenken Sie ihr dazu aus der Rumflasche einen vollen Humpen ein, denn der arme Kerl ist gewiß so hungrig, daß er Kartätschen verschlingen und Schanzkörbe anfressen möchte.“

Ich entledigte mich schnell dieses Auftrages und versäumte es dann nicht, meinen Teller mit den verschiedenen Fleischsorten reichlich zu bepacken.

„Doch mit des Geschickes Mächten
Ist kein ew’ger Bund zu flechten,
Und das Unglück schreitet schnell.“

Ich hatte mich kaum in aller Bescheidenheit aus der Nähe der beiden Officiere zurückgezogen, um die mächtige Collation, die ich mir vorgelegt, mit Ruhe und Gemüthlichkeit zu verzehren, als der Oberst von seinem Sitze aufsprang, nach der in unserer Nähe befindlichen Demontir-Batterie hinzeigte und mit Zorn und Aerger in der Stimme ausrief: „Ist das nicht zum Verrücktwerden? die verdammte Batterie trifft ja mit keinem einzigen Schuß das Polygon. Sehen Sie, Herr Major, schon wieder drüber weg, und wieder und wieder. Sind denn da lauter blinde Maulwürfe bei den Geschützen?“

Und sich an mich wendend, befahl er: „Reiten Sie schnell nach der Demontir-Batterie, die der Capitain F. mit seiner Compagnie besetzt hat, und sagen Sie demselben, ich ließe fragen, ob er glaube, daß die Munition, die er nutzlos verschwende, dem Könige kein Geld koste. Wenn seine Leute nicht richten könnten, so würde ich gleich zur Stelle sein, um sie und ihn ein Bischen auf meine Manier zu unterrichten.“

Ich schob noch schnell einen Rebhuhnflügel in den Mund, empfahl der Ordonnanz, auf meinen Teller Acht zu haben, sprang auf mein Pferd und jagte der unseligen Batterie zu.

Den Auftrag des Obersten richtete ich wörtlich aus. Der Capitain F., eine kleine untersetzte Figur mit tückischen Augen, sah mich wüthend an, als er entgegnete: „Sagen Sie dem Herrn Oberst, daß ich der Meinung sei, daß eine gute und genaue Richtung noch nicht immer einen Treffer bedingt. Den in Aussicht gestellten Unterricht im Richten würde ich mit pflichtmäßiger Achtung entgegennehmen. Dies meine Antwort!“

[676] Ich flog davon, erreicht den Oberst, der wieder gemüthlich auf der Pulvertonne Platz genommen hatte, in wenigen Minuten und rapportirte die Entgegnung des kleinen Capitains.

„Ho, ho!“ rief der Alte aufspringend, „den zungenfertigen Herrn werde ich in seine Stellung zurückweisen.“ Nach seinem Pferde fragend, setzte er hinzu: „Lassen Sie sich nicht stören, Herr Major. Sie müssen mich entschuldigen, ich bin da drüben durchaus nöthig, sonst nimmt der Unsinn überhand. Ich kenne den Mann, das ist ein Leuteschinder, aber auch weiter nichts.“

Noch einen Blick voll tiefer Wehmuth warf ich auf das für mich verlorene Frühstück hin, dann sprang ich mit Resignation in den Sattel, um dem eilig davonjagenden Brigadier zu folgen.

Als wir der Demontir-Batterie bis auf Gehörweite nahe gekommen waren, rief der Oberst dem Capitain F. ein vernehmbares „Halt“ zu. Das Feuer schwieg. Der Capitain trat meldend auf den Brigadier zu.

Dieser ließ ihn nicht zu Worte kommen. „Hauptmann F.,“ fuhr er ihn an, „ Sie müssen die Geschütze mit Maulwürfen besetzt haben, sonst könnten Sie unmöglich mit solcher geschickter Ungeschicklichkeit das Polygon fehlen.“

Nachdem er vom Pferde gestiegen war, fuhr er fort: „Aber ich weiß schon, woran das liegt. Da richtet zuerst der Bombardier, dessen Richtung der Unterofficier mit den vom Branntwein gerötheten blöden Eulenaugen verbessert, dann hilft der Herr Lieutenant, obgleich er in Folge der vielen nächtlichen Studien ohne Gläser kaum zehn Schritte weit sehen kann, und endlich gibt der Herr Hauptmann den letzten Senf dazu, und dann geht die Kugel auch richtig haushoch über das Ziel hinweg. Viele Köche verderben den Brei! Lassen Sie den Mann, der dazu bestimmt ist, allein richten und Sie werden auch Treffer haben. Ich werde Ihnen den Beweis sogleich liefern. Lassen Sie laden. Aber daß sich Niemand einfallen läßt, die Richtung des Bombardiers verbessern zu wollen.“

Die Batterie chargirte und feuerte demnächst. Schuß auf Schuß traf das Ziel.

„Na, wer hat nun Recht?“ rief der Oberst triumphirend. „In den Tag hineinschwatzen kann jedes alte Weib, aber die Sache beim richtigen Ende anzufassen, versteht nicht ein Jeder. Die schlimmsten Raisonneure sind stets, das weiß ich aus langjähriger Erfahrung, die unfähigsten und energielosesten Patrone.“

Der Capitain wollte eine Entgegnung wagen. „Schweigen Sie,“ rief der Alte mit einer Stimme, in welcher sich der heftigste Zorn aussprach. „Wenn Sie meinen, daß ich Ihnen zu viel gesagt habe, so steht Ihnen der Weg der Beschwerde offen; hier aber muß ich um Gehorsam bitten. So lange ich diese Epaulettes trage, werde ich meinem Grade Achtung zu verschaffen wissen, und wer es wagen wollte, sich dagegen zu vergehen, dem sollen Millionen Donnerwetter in den Magen fahren. – Lassen Sie laden.“

Der kleine Capitain bebte vor Zorn, wagte aber kein Wort der Erwiderung. Das Commando zum Laden wollte kaum aus der durch die gewaltige Erregung zusammengepreßten Kehle heraus und klang so heiser, wie das Bellen eines kleinen Hundes.

Die Batterie feuerte, und abermals wollte es der Zufall, daß ein jeder Schuß das Polygon traf. Der Capitain bebte vor Wuth. Er konnte diesen Zustand der fürchterlichsten Aufregung nicht länger ertragen, sondern zog es vor, sich krank zu melden, um dadurch für heute vom Dienste enthoben zu werden.

„Gehen Sie,“ sagte der Alte, „und lassen Sie sich eine tüchtige Dosis Brausepulver reichen, das soll gegen gewisse Zufälle ganz außerordentliche Dienste leisten.“

„Ich muß Sie bitten, Herr Oberst, Ihren ärztlichen Rath so lange zurückzuhalten, bis ich Sie darum ersuchen werde,“ bemerkte der kleine Mann mit Ingrimm, indem er sich mit militairischem Gruße verabschiedete.

Der Oberst übergab lachend das Commando an den Premier-Lieutenant und ließ das Schießen fortsetzen. Es wurden auch fernerhin gute Resultate erzielt. Der Alte, dessen Zorn sich nach der Entfernung des Capitains sichtbar abgekühlt hatte, äußerte darüber seine Zufriedenheit und setzte dabei auseinander, wie himmelweit Diensteifer und Pedanterie von einander unterschieden seien.

Nachdem die Batterie die ihr überwiesene Munition verschossen hatte, erhielt der Lieutenant den Befehl, die Leute zusammen zu ziehen und nach der Parkwache zu führen.

Der Alte wandte sich hierauf an mich und sagte: „Um das Frühstück sind wir gekommen, das hat die Ordonnanz gewiß bis auf den letzten Knochen verschlungen. Ich kenne den Appetit dieser münsterlandischen Jungens. Auch den Rum hat er ausgesoffen, aber es wäre immer möglich, daß er den Wein verschmäht hat. Der schmeckt „suer“, und was der Bauer nicht kennt, das frißt er nicht! Es verlohnte sich wohl der Mühe, einmal nachzusehen. Reiten Sie und versuchen Sie es, ob sich noch ein Tropfen für uns retten läßt.“

Ich warf mich mit der bereitwilligsten Eilfertigkeit auf das Pferd, forcirte es zur schnellsten Gangart und flog über die Haide dahin, als hätte ich die wichtigsten Befehle auszuführen.

Die Ordonnanz lag betrunken an dem Faschinenhaufen, die geleerte Rumflasche noch in der Hand haltend. Von den Fleischspeisen war der bei weitem größte Theil aufgezehrt; der Bordeaux war aber der allgemeinen Vernichtung entgangen; es waren noch ein und eine halbe Flasche vorhanden. Erst nach langer Anstrengung gelang es mir, den berauschten Menschen wieder auf die Beine zu bringen und ihn zu vermögen, das gebrauchte Geschirr einzupacken.

Mit dem geretteten Rothwein ritt ich vorsichtig nach der Demontir-Batterie zurück, wo der Alte auf einer Lafette saß und meiner Rückkehr sehnsüchtig entgegensah. Er forderte für sich die volle Flasche und überließ mir den Inhalt der halben, womit ich den Kuchen hinunterspülte, den der Westphale als „to söt“ verschmäht hatte.

Nach zehn Minuten war der Oberst mit seiner Flasche fertig. Er warf das leere Gefäß in den Graben und rief nach seinem Pferde.

„Na, nun noch die Geschichte mit dem Chinesen,“ brummte der Alte, während er sich in den Sattel hob.

Wir eilten nach der Parkwache, wo der Oberst von den Leuten, die an den heutigen Uebungen Theil gehabt hatten, bereits mit großer Sehnsucht erwartet wurde. Niemand wußte, warum die Mannschaft zurückbehalten wurde und nicht, wie dies sonst gebräuchlich, nach Beendigung der betreffenden Uebungen in die Quartiere entlassen worden sei. Dies Räthsel sollte sich bald lösen.

Von dem wachhabenden Officier empfing der Oberst die Meldung, daß der Sattler K. der zwölfpfündigen Batterie Nr. X. sich nach Befehl in Haft befinde. Der Oberst stieg langsam vom Pferde und befahl, den Arrestanten unter Begleitung von zwei Mann der Wache herauszubringen. Gleichzeitig ordnete er an, daß die Musik der Brigade vor der Wache zusammentreten sollte. Nachdem dies geschehen war, wurde der Sattler, eingeschlossen von zwei Mann mit gezogenen Seitengewehren, herausgeführt. Derselbe war noch ganz in dem Ausputze von heute Morgen. In der rechten Hand trug er den rothen Regenschirm, in der linken die lange Pfeife mit den gewichtigen Troddeln, der ungeheure Blumenstrauß prangte zwischen Uniform und Weste und die ungeknickten Vatermörder ragten in tadelloser Steifheit handhoch über den Kragen der Uniform heraus. Der ganze Ausputz war mit sichtbarer Sorgfalt conservirt.

Nachdem der Oberst dies mit Wohlgefallen bemerkt hatte, ließ er den Arrestanten mit aufgespanntem chinesischem Sonnendach, wie er den harmlosen Regenschirm noch immer nannte, unter Vortritt der Musik an der langen Front der erstaunten Artilleristen hinabführen. Die monströse Figur wurde mit schallendem Gelächter empfangen und mit lautem Hohngeschrei begleitet. Nach diesem Golgathagange wurde der arme Sattler vor die Mitte seiner Compagnie zurückgebracht. Die Musik mußte hier schweigen, und der Oberst stellte dies saubere Pflänzchen ihrer militairischen Erziehung, wie er sich auszudrücken beliebte, dem Capitain und den Compagnie-Officieren vor. Der Empfang war sehr warm. Der Aermste wurde mit Vorwürfen und Drohungen überschüttet, die er mit fatalistischer Gleichgültigkeit hinnahm. Hieraus ließ der Oberst die Brigade zum Kreise schwenken und setzte den Leuten das in seinen Augen unverantwortliche Verbrechen des Sattlers auseinander.

„Ich müßte den siebenfachen Millionenhund jetzt eigentlich krumm schließen und in das tiefste Loch zu seinen Vettern und Cousinen, den Kröten und Molchen, einsperren lassen,“ schloß er seine geharnischte Rede, „aber ich bedenke dabei, daß dieser chinesische Spinnenfresser eine gar herrliche Stimme hat, die in der unterirdischen Wohnung wahrscheinlich stark leiden möchte. Und das will ich denn doch nicht, denn der Kerl kann singen, daß einem vor Vergnügen das Herz im Leibe hüpft. Ihr werdet hören.“

Und sich an den Gefangenen wendend rief er: „Singe, Hanswurst! in Deiner Kehle liegt Deine Rettung.“

Der Sattler ließ sich dies nicht zum zweiten Male lagen; er stellte sich in Positur und intonirte mit unbefangener, klarer und schöner Stimme das Reiterlied aus den Wallensteinern. Schon beim ersten Refrain fielen mehrere Stimmen mit ein, und beim Schluß des zweiten Verses sang Alles mit, was nur einen Ton in der Kehle halte. Selbst der Oberst brummte mit, endlich fiel auch die Musik ein und begleitete die sich immer kräftiger erhebende Stimme des Arrestanten bis zur letzten Strophe des viel beliebten Soldatenliedes.

Der Oberst rieb sich vor Vergnügen die Hände. Der Zorn war verraucht und erstarb gänzlich in der allgemeinen Fröhlichkeit, mit welcher die Leute den singenden Chinesen umtanzten.

„Na, ist es nicht eine Schande,“ ließ sich der Alte zum Schluß noch einmal vernehmen, „daß ein Mensch, dem der liebe Gott eine solche Kehle gegeben hat, sich zum hanswurstigen Chinesen herabwürdigt und unsere einfache, schöne Uniform durch Troddeln, Lappen und Blumen zum Harlekinkleide macht?“

Sich an den Gefangenen wendend, setzte er gutmüthig hinzu: „Dies Mal sollst Du mit einem blauen Auge davon kommen. Herr Hauptmann H., schicken Sie ihn drei Tage in Mittelarrest. Wenn er diese Strafe überstanden hat, soll Alles vergeben und vergessen sein; kein Nachtragen, keine Neckereien mehr, das bitte ich mir aus. Und nun entlassen die Herren Hauptleute die Leute in die Quartiere. Es ist uns heute etwas spät geworden.“

Auch ich wurde hierauf von dem Alten gnädig verabschiedet und meinem Capitain als ein „kluges, talentvolles Kind“ zur väterlichen Ueberwachung empfohlen. In dem Kreise der mir befreundeten Cameraden hieß ich seit dieser Zeit „der Brigade-Adjutant“. Der Sattler K. wurde, so lange er in der Brigade diente, „der Chinese“ genannt.





Verlag von Ernst Keil in Leipzig – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
  1. Wir geben in obiger Skizze die Erinnerung eines älteren Militairs, die neben der frischen Darstellung zugleich das Verdienst der strengsten Wahrheit für sich hat. Sie bezieht sich auf den bekannten Artillerie-Oberst von Tuchsen, den Hackländer in seinem Erstlingswerke: „der Soldat im Frieden“, mit talentvoller Feder, aber nicht ganz treu geschildert hat.
    D. Redact.