Gedicht, Ihro Kaiserlich-Königlichen Majestät der Kaiserin Alexandra Feodorowna von Rußland
[129]
Aus dunklem Quell entspringt die Wissenschaft,
Aus jenem Quell, in dem die Urkraft wohnt,
Die aus des Waizens Korn den schlanken Halm
Und Blüth’ und Aehren ruft zum heitern Licht;
Mit reicher Last empor zum Aether treibt;
Und was an Saat im Grund vergraben liegt
Zu schöner Form sich frei entwickeln läßt.
Aus jener Quelle Kraft entspringt der Trieb
Zu einen und zu bilden zur Gestalt,
Die aufwärts steigen soll zum heitern Licht,
Und Licht verbreiten soll rings um sich her –
Und wie die Schöpferkraft sich mannigfach
Gleich ist am Baum, nicht Halm und Halm im Feld;
So schuf sie auch die Geister, thätig die,
Empfänglich jene, sämmtlich zugewandt
Verschiedner Richtung mit verschiedner Kraft,
Vom Hauch der Wissenschaft durchdrungen sey.
Im Geiste nun, in dem die Thatkraft wohnt,
Entwickelt sich und sprießt empor die Saat,
Ob milder Regenguß sie netzen mag,
Doch soll sie zum vollendeten Gebild
Zu heitern Höh’n, zum vollen Licht gedeihn,
Und Licht austheilen den Empfänglichen,
Dann gnügt nicht mehr der Trieb der innern Kraft,
Die stützen muß den schwanken jungen Baum,
Ihn sorglich pflegen muß und in Verband
Mit Bruder-Bäumen bringen andrer Art,
Die sich aufwachsend fördern gegenseits,
Dann aus den vollbelaubten Zweigen glänzt,
Und immer schöner glänzt zum Gipfel hin.
Wegräumen muß der Gärtner wild Gestrüpp,
Das in der Pflanzung rings den Grund bedeckt,
Nicht bis zum Boden leuchtend dringen läßt;
Das, wild verwachsen, selbst die reife Frucht,
[131] Wenn sie dem Baum’ entfällt, bedeckt, verbirgt,
Daß nicht sie der Bedürft’ge fassen kann.
Die klar erkennen, daß der Staaten Macht
Unsicher, schwankend, ruht auf roher Kraft,
Mit ihrem blinden und verworrnen Trieb;
Und daß nur ihrer Völker klarer Geist,
Dem heil’gen Thron die sichre Stütze beut.
Dies sehn wir schön bewährt in unserm Land,
Dem glücklichen, in dem ein Vater herrscht,
Der glücklich ist in seiner Kinder Glück,
Drum fördert Er mit treuem Vatersinn
Und königlicher Macht die Wissenschaft,
Daß Jeglichem in Seinem weiten Reich,
Ob thätig, ob empfänglich sey sein Geist,
Sein angemessner Theil beschieden sey,
Und nie und nirgend walt’ unseel’ge Nacht.
Und durch das Licht, das Er verbreitet hat,
Sieht Ihn im Licht selbst sein treues Volk,
Gern thut’s, wie Er gebeut – denn es erkennt:
Das Recht’ und Gut’ ist’s nur, was Er gebeut.
Drum liebt’s und ehrt’s die Seinen, die Er mild
Geleitet hat auf seinen eignen Pfad.
Erhabne Herrin, heut wir Deinem Blick,
Der, milden Sternen[WS 1] gleich, auf dieses Land
Von Deinem ersten Seyn geleuchtet hat,
Drob freudig stolz es Dich die Seine nennt.
Voll Würd’ und hoher Anmuth und gezeigt,
Wie Du so mild, was menschlich schön und gut,
Geehrt, geliebt, gefördert und gepflegt,
Noch ist es unvergessen allem Volk,
Dir nachgesehn, als Dich ein groß Geschick
Berief zur Zier dem höchsten Thron der Welt,
Und das mit Wonne Dir entgegenjauchzt,
Wenn ins erhabne Königs-Vaterhaus
Doch wir, die unser Königlicher Herr,
Dein Vater, mild berief, daß im Verein
Wir walten sollten für die Wissenschaft,
Damit auf einem Punkt jedweder Strahl,
Zu einem lichten Glanz vereinigt sey,
Der wärmend leuchte durch das ganze Land;
Wir theilen nicht des Volkes Wonne nur,
Die jubelnd, hohe Herrin, Dich empfängt,
Denn weit hin leuchten will die Wissenschaft
Und mehrt den Glanz, je weiterhin er strahlt.
[133] Und Du, die Du im größten Erdenreich
Den heil’gen Thron mit einem Heros theilst,
Du, nicht vergessend Deines Vaterlands,
Du hast ein neues schönes Band geknüpft,
Das deutsche Wissenschaft verbunden hat
Mit jenem unermeßlich weiten Reich.
Und so, wie deutschen Männern, ihr geweiht,
Auf Ruf vom Thron dort frohe Heimath ward,
So eilen Rußlands Jünglinge herbei
Aus eigner Wahl und auf des Herrschers Wort,
Heil, Alexandra, Dir! Wie Thron und Thron
Durch Dich verbunden sind zu festem Bund,
Zur Macht nach außen und zum innern Glück,
So schlingt durch Dich sich auch ein geistig Band
Von Jahr zu Jahr. Wie Dich die Mitwelt preis’t,
So preis’t die Nachwelt Dich, so hier wie dort,
Und ruft uns nach: Heil, Alexandra, Heil!
[134] [Wikisource: Leere Seite.]
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Sterneu