Geschichte der Stadt Basel. Dritter Band/9. Die großen Jahrzehnte/10. Die Höhe der Zeit

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9. Die Gesellschaft Geschichte der Stadt Basel. Dritter Band/9. Die großen Jahrzehnte
von Rudolf Wackernagel
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Zehntes Kapitel
Die Höhe der Zeit




Das bisher Gesehene gibt uns ein Bild stärkster Spannung, höchster Steigerung. Aber die Entwickelung aller Kräfte und Formen zu diesem Höhepunkte ist weder einheitlich noch gleichzeitig gewesen, der Beginn ihrer Bahn liegt mehr oder weniger weit zurück, die Intensität des einzelnen Verlaufes ist höchst verschieden. So wird auch der Fortgang kein geschlossener und gleichartiger sein; in einigen Linien wird sich schon bald eine Richtung zum Niedergehen zeigen, in andern die Höhe noch festgehalten werden. Alles ist Bewegung, Auf- und Niederfluten um sie her, und zu einem Weitersteigen über sie hinaus scheint es nicht zu kommen.

Um so mehr fesselt uns noch der letzte Moment ganzer Lebensherrlichkeit, die Pracht und Fülle dieses zur größten Erscheinung gehobenen Zustandes.


Wie die Zeit Keinen verschont und Keinen versäumt, so nicht die Stadt Basel. Diese ist alt geworden, aber auch entwickelt.

Zu den ehrwürdigen Bauten vergangener Zeiten ist inzwischen massenhaft Neues gekommen. Das enge Beisammensein alter und frischer Formen, des Bejahrten und des Jungen, bestimmt den Reichtum des Stadtbildes.

Die mächtigen Absichten des Erneuerns offenbaren sich allenthalben. Der Rathausbau, der Bau einer neuen Rheinbrücke, die Anlegung eines weitern Werkhofes usw. zeigen, daß das Gemeinwesen in der überlieferten Knappheit nicht mehr auszukommen vermag. Überall hinein wirkt die große Bewegung und Empfindung, die dem Regimente jetzt eigen ist. Auch den Privatbau trifft ein neuer, mit dem Früheren energisch aufräumender Sinn; der Erlaß über baufällige Häuser 1504 und die Reorganisation des Fünferamtes [291] 1505 sind solche Äußerungen. Nie zufriedene Freude an Bequemlichkeit und Glanz sowie unbegrenzte Fähigkeiten des Bildens und Formens fügen zu dem Allem eine Fülle von Schönheit.

Basel hat keinen Celtis als Darsteller gefunden wie Nürnberg, und die Elogien, die ihm durch seine Humanisten gewidmet werden, ergeben wenig. Lehrreich sind höchstens die Schilderungen durch Glarean Myconius Rhenan Oswald Bär und die Reisenotizen des Antonio de Beatis, der im Sommer 1517 als Begleiter des Kardinals Luigi d'Aragona sich einige Tage in Basel aufhielt. Einzelheiten kommen da zur Sprache wie die aussichtsreiche Rheinbrücke, der Petersplatz, die schönen Gärten des Predigerklosters, die hoch über dem Strome sich erhebende Häuserreihe, das Arsenal mit den Geschützen, das aus vielen Brunnen rauschende süße Wasser, die Sauberkeit von Haus und Straße.

Was in diesen Beschreibungen, aber auch in Briefen, immer wieder laut wird, ist das Gefühl von Fülle und Behagen. Basel ist schon jetzt die „holdselige“ Stadt Fischarts. Ihre amoenitas wird von Jedem gepriesen, aber auch ihre mächtige Erscheinung inmitten der lieblichen und fruchtreichen Landschaft, die reine Luft, das milde Klima. Glarean in Köln sehnt sich täglich von dort nach den klaren Brunnen und dem guten Essen in Basel, und noch ein halbes Jahrhundert später erinnert er sich froh an die uberrima Basilea, die Stadt des Überflusses, in der er einst jung gewesen. Allen erscheint die Lage Basels als singulär, die Lage an der Grenze der Nationen und am Schnittpunkte von Völkerwegen.

Ein Gesamtempfinden all dieser Reize lebt in den damals der Stadt gegebenen Beinamen. Da ist sie die königliche, die erlauchte Stadt, regia regalis basilica inclyta.


Es ist vor Allem das Basel der Gelehrten, das Basel der Buchdrucker, ein Ort geistiger Tätigkeit und Herrschaft. In ihm wohnt eine Bürgerschaft, die sich und der Welt die Universität gegeben hat und deren Gesinnung die gerühmte humanitas ist, die seit den Zeiten des Konzils hier heimische peculiaris civilitas, die diesen Städtern eigene Weltbildung und Feinheit. Basel wird gepriesen als die wahre Pflegemutter der Wissenschaften, als die Wohnstätte der Musen, die zu allen Zeiten den Gelehrten liebste Stadt und der Ort, wo sie eine Heimat finden.

Auf dem so zubereiteten Boden kann der in seiner Art einzige Zustand von Konzentration wichtigster Gelehrtenarbeit, stärkster geistiger Erregung, ausgedehntester Mitteilung des hiebei Gewonnenen gedeihen, den Erasmus [292] in einer herrlichen, volle Befriedigung atmenden Schilderung festgehalten hat. Ein Zustand, dem vor Allen er selbst einen durch die Welt leuchtenden Glanz verleiht. Basel strahlt im splendor erasmicus.


Aber das erasmische Basel ist auch ein holbeinisches.

Seine Bedeutung für die Wissenschaft wird uns durch eine Gruppe, durch eine Minderheit nahe gebracht. Ihre Zeit selbst sieht lieber nach Anderem hin, und auch für uns löst sich dieses Andere noch begreiflicher aus der Überlieferung.

Nicht nur um Holbein handelt es sich. Auch außer ihm steht jenem gelehrten Basel ein Kreis zahlreicher Künstler mit starken Kräften gegenüber, und um diese einzelnen Gestalten her, sie erregend und durch sie geschaffen, geht die Macht künstlerischen Wesens durch das ganze Leben der Stadt. Seine Voraussetzungen sind Orts- und Stammesart, traditioneller Kunstsinn, unaufhörliches Eindringen frischer Kräfte, neue Sitten und Bräuche, und im Einklange hiemit die Mehrung jedes Lebensgefühles durch Leidenschaft und Verlangen. Nie ist Basel so reich an Reizen gewesen, nie so bewegt wie damals.

Es ist die Zeit, da aus Akten und Bildern und Dichtungen eine festliche Stadt und Menschheit vor uns aufsteigt. Eine Fülle von Können, ein Glücksgefühl und eine Genußfreude, die das Dasein wie ein heiteres Schauspiel erscheinen lassen. Der entschiedene Schönheits- und Formensinn, der Alles meistert, lebt überall im Tausenderlei der Geräte und des Schmuckes, in der Phantastik der Buchdekoration, im Fabel- und Farbenglanze der das gemütliche Wandaltertum illusionär in eine große Prachtform wandelnden Fassadenmalerei usw. Er kleidet auch die Menschen. Über die bunte Tracht hinaus, die schon vor fünfzig Jahren das alte dunkle Basler Kleid beseitigt hat, kommt jetzt eine neue Steigerung. Die Mode verlangt die „neuen Kleidungen gleich wie in Italia geprucht“; sie erfindet auch noch andere Zierden und nötigt die Schneider, Seide Samt Gold Juwelen „uf das scherpfest noch der welt louf ze verwerken“. Das Schlitzen und Puffen der Wämser und der Hosen, die erstaunliche Farbigkeit der Gewandung überhaupt wird uns allenthalben gezeigt. Durchweg verkündet sich die „kecke Freude am Leben und am Leiblichen“.


Wir lernen ein Geschlecht kennen, das seiner Kraft bewußt ist und sie genießt. Neben den geistigen Gewalten dieser Zeit herrscht unbefangen die Sinnlichkeit. Wie sie in der Kleidung sich verkündet, so überall, im Kunstwerk, im geselligen Verkehr, in Scherz und Brauch.

[293] Die großen festlichen Zusammenfassungen und Bewegungen des Lebens an den Kirchweihen zu Basel Liestal usw., am Haltinger Tag u. dgl. m., sind nichts Neues. Aber jetzt glauben wir Alles auf einer höhern Linie zu sehen. Breit und mächtig ausgebaut, von brausendem gesundem Leben übervoll sind diese Veranstaltungen alle, die eidgenössischen Fastnachten, die Urner Kilbe 1517 usw. Auch daß im Januar 1514, da der Rhein zufriert, das Volk auf der Eisdecke tanzt und spielt und bankettiert, ist ein nur jetzt möglicher Einfall. Es ist dieselbe derbe frohe Laune, die in Winternächten mit Fackellicht und Lustjauchzen durch die Gassen Schlitten fährt, unbekümmert darum, ob von den fliegenden Funken Häuser in Brand aufgehen. Wir denken auch an die großen Festtage der Zünfte, die jetzt mit erhöhtem Pompe begangen werden; an die dramatischen Spiele auf Straßen und Plätzen; an die wilden Fastnachtszenen auf der Höhe beim Steinentor.

Alles erscheint zusammengefaßt in dem Gesinntsein und Handeln, das als „ungestümes Leben“ die Stadt erfüllt.

Wir haben aus der Art der Zeit heraus zu begreifen, wie neben der festen Ordnung des Gemeinwesens und des Hauses, neben Ruhe Arbeit Gehorsam Friede auch die Unrast, die Gier, die Ausgelassenheit, der Genuß in einem bis dahin undenkbaren Maße berechtigt sein wollen und Raum begehren. Akten aller Art zeigen uns, wie es dabei zugeht; sie zeigen auch die an diesem Treiben Beteiligten: Allen voran die Reisläufer Söldner Landsknechte mit ihren Dirnen; „Glück hilf“ heißts bei ihnen, wo beständiges Auf und Nieder ist, rascher Wechsel von Lust und Leid, und alle wilde Zuchtlosigkeit des Lager- und Landstreicherlebens. Aber auch Handwerksgesellen sind dabei und Meister, der Haupttaugenichts Adelberg Sorger der Kartenmaler und die leichtsinnigen Goldschmiede Eigen Öder, zumal Urs Graf, der Typus des diesem Leben widerstandslos hingegebenen Künstlers. Am kenntlichsten sind die Bürgerssöhne und jungen Kavaliere; wie die Anführer des ungestümen Lebens erscheinen sie: Hans Öuglin, Eucharius Stähelin, Hans Caramellis, Martin und Bonaventura Bär, Damian Irmi usw., eine Jugend, die in ununterbrochener Lustigkeit dahinlärmt, mit Festen Liebesabenteuern Tänzen, aber auch grobianisch und roh mit Prügeleien, mit verwüstendem Jagen, mit Unfläterei und Gewalttat.

Kneipe Badstube und Bordell sind durch dies Leben unaufhörlich erregt. Nie so häufig waren sie bisher genannt; jetzt schießt ihrer eine Fülle auf und damit eine Fülle der bewegtesten Szenen.

Die große obrigkeitliche Antwort auf dies Wesen ist die Stadtfriedensordnung von 1516, deren Anwendung uns dann durch zahllose Einträge [294] bezeugt wird. Aber Akten und Bußen geben nur ein unvollkommenes Bild. Ergänzend, auch berichtigend tritt ihnen an die Seite und stellt Alles in freieres Licht, was Dichtkunst und Bildkunst uns Mitteilen. Unvergleichliche Urdokumente geben uns Künstler durch ihre Bilder aus dem ungestümen Leben. Gedankenreicher ist, wie sich die Literatur der Sache annimmt. Was Gengenbach seine „Zehn Alter“ dem Einsiedler beichten läßt, ist nichts Andres als dies ungestüme Leben. Dieselbe tiefe Teilnahme lebt in Gengenbachs „Gäuchmatte“; lebendig schildert diese Dichtung, wie dem Rufe der Venus folgend die verbuhlten Toren, die Gäuche, auf die Gäuchmatte bei Basel laufen und da durch die Dienerinnen der Göttin in Armut und Krankheit gebracht werden. Thomas Murner läßt sein gegen dieselben Weibernarren gerichtetes, gleichfalls Gäuchmatte betiteltes Gedicht 1519 hier im Druck ausgehen.

Wir aber sind verpflichtet, den wirklichen Wert Manches dieser wie im Taumel dahintreibenden Menschen in Gedanken an seine Haltung überhaupt zu bestimmen. Bonaventura Bär fällt als ein Tapferer bei Bicocca, Damian Irmi in der Schlacht am Gubel; auch ihre Freudengenossen Wentz Baumgarter Graf Caramellis u. A. sehen wir im Waffendienste dieselbe Kraft erweisen wie im übermütigen Zeitvertreib und Genuß zu Hause. Den richtigen Maßstab geben überhaupt nur das Tempo des damaligen Lebens, die Art und Stimmung der Zeit selbst.

So vorherrschend in dieser ganzen Erscheinung für den ersten Blick die Unsitte ist, in das ungehemmte Waltenlassen jedes Triebes, in das überlegungslose Dahinstürmen mengt sich auch das geistvoll Phantastische, die festlich gehobene Wirklichkeitsfreude und zumal Alles was Jugend und Frische und resolutes Leben ist.


Aber diese verführerisch bewegten Gestalten bilden nur eine Gruppe im Ganzen. Zudem eine nebensächliche. Ihr Leben ist keineswegs das Leben Aller, sondern nur eine besondere Form von Explosion der vorhandenen Kraft. Ganz anders geartete Äußerungen dieser Kraft haben wir in Menge vernommen; sie füllen weiteren Raum und haben stärkere Rechte, jede in einem andern Träger städtischen Wesens.

„Die Geister wachen auf“. Alles regt sich, wie vom Sturm ergriffen, getrieben weniger durch eigenen Willen als durch die gewaltige Zeit. Die Zeit, die aus neuen Meeresräumen neue Erden aufsteigen läßt und allenthalben hin Umgestaltung und Werdelust bringt. Ein renasci ist durchweg, nicht als Wiedergeburt des Altertums, sondern als Wiederverjüngung der [295] gegenwärtigen Menschheit selbst. Eingespannt in dieses sich wandelnde Weltbild erlebt auch Basel den Übergang von Zeitalter zu Zeitalter, erfährt auch Basel die Macht des Geistes der Befreiung von Altem, von Zwingendem und Verhüllendem. Dieser Geist ist am Werke, wenn das städtische Regiment gegen Bischofs- und Priestermacht sich erhebt; wenn eine mündige Wissenschaft und in weitern Kreisen eine freie Bildung um ihren Platz kämpfen; wenn Skepsis hier, persönliche Religion dort der Kirchenlehre widerstreben; wenn die Kunst frische Kräfte des Schauens und frische Formen des Bildens gewinnt; wenn Rebellion der Beherrschten sich regt usw. usw.

Wir machen uns klar, daß alle diese Bewegungen und Aspirationen eines neuen Lebens, seit Langem vorbereitet, jetzt nebeneinander laut werden. Wir machen uns aber auch klar, wie ihrer jede dem Widerstande derjenigen Macht begegnet, gegen die sie sich richtet, dem Widerstande der Ratsgewaltigen, der starken Kaufmannschaft, der Kirche usw. So vervielfacht sich das Ganze zu einem leidenschaftlich erregten Komplexe von Angriff und Gegenwehr. Und wenn vor unsern Augen rings um diesen Streit her sich Herrlichkeit und Glanz städtischen Lebens breiten und schöpferische Kraft freudig emporsteigt, jede Kapazität in stärkster Bewegung ist, so verbindet sich Alles, Kampf und Glück, zum überwältigenden Bild eines von Energien und Spannungen und Schönheiten überfüllten, zur größtmöglichen Steigerung gereiften Daseins von Basel auf der Höhe der Zeit.


Aber indem so große Veränderung geschieht, sollte nach dem unruhigen Empfinden Vieler noch weit Mehr anders werden. Das Feld der Möglichkeiten erscheint dem Hoffenden wie dem von Sorge Gequälten als ein grenzenloses.

Wie notwendig gehört zum Wesen dieser gewaltigen Epoche, die alle Schranken niederwirft, daß sie auch die Fähigkeit zu Ruhe und Sättigung nimmt. Zum Hochgefühle müssen sich gesellen die Schauer der Höhe, die Ahnungen von Schrecken und Weltuntergang, während das Gefühl des Ungenügens und die Sehnsucht sich gierig zu glänzenden phantastischen Bildern einer verklärten Erde, eines Reiches der Gerechtigkeit und des Friedens drängen. Und es erwachen wieder die Fragen: „Wann wird es geschehen? und was wird das Zeichen sein?“ Die so fragen sind nicht beruhigt im Glauben der Christen. Das Vertrauen auf göttliche Lenkung hat neben sich zu dulden die uralte Dämonenfurcht, die Beugung vor der Macht der Gestirngötter als der mitleidlosen Mitwisser des Schicksals.

[296] Die Zeit kommt dieser Erregung der Geister durch eine bunte Literatur von Prognostiken entgegen, in der alte Astrologie und neue Weissagung sich zusammenfinden. Allem dient diese Literatur, jeder Frage und jeder Ahnung, der Geneigtheit das Geahnte als ein Mögliches und dann als ein Notwendiges hinzunehmen, der verwegenen Fabulierlust wie dem Überzeugtsein.

Auch Basel nimmt Teil an solcher Tätigkeit. Es druckt die Revelationen des Methodius, die Practica aus das Jahr 1516, die sibyllinischen Weissagungen. Für besondere Leser auch die Utopia des Morus. Brilinger sammelt Vaticinien. Namentlich aber enthüllt Gengenbach in seinen Dramen große Zukunftsbilder: vom Adler, der aus Deutschland daher fliegen und Rom in Trauer bringen wird; vom Kaiser, der aus tiefem Schlaf erwachen, die Kirche reformieren, das heilige Land erobern wird, usw. Sein Nollhart ist voll von Prophetien.

Doch Basel vermag noch mehr; es hat neben die Hofastrologen dieser Zeit seine eigenen Sterndeuter zu stellen: den Jörg Gleser von Horw und den Caspar Kolb von Würzburg. Von Gleser, der nach Beginn der 1520er Jahre zuerst in Akten auftritt, amtlich als „Sternenseher“, als astrologus bezeichnet, erfahren wir, daß er mit seiner Sternbefragung den Leuten um „Arztlohn“ dient. Der mathematicus Kolb erteilt hier dem Genueser Anton de Insula Unterricht in Astrologie und Astronomie; da die Beiden wegen des Honorars in Streit geraten, entscheidet das Gericht auf Grund eines Gutachtens der „Doctores und Gelehrten, so dieser Künsten bericht sind“. Alles deutet so auf eigentliche Berufsausübung der Sternkundigen. Als stadtbekannte Figuren begegnen sie uns in Gengenbachs Gäuchmatt und in den holbeinischen Todesbildern; zu ihrem Kreise gehört z. B. auch der Mülhauser Niklaus Bruckner, durch den Bruno und Bonifaz Amerbach sich ihre Nativitäten berechnen und deuten lassen.

Daß diese durch so Vieles erregten Menschen auch auf Schatzgraben und Geisterbannen verfallen, ist natürlich. Die Werkzeuge Husenecks, Beschwörungsbüchlein und Teufelskreis, haben wir kennen gelernt; wir vernehmen auch von einer wirklichen Schatzgräberei hinter Wattenschnees Haus, und gelegentlich gibt der städtische Rat selbst seine Autorität zu einem derartigen Unternehmen.

Ruhig Denkenden freilich mögen alle jene Verheißungen und Deutungen wenig bieten, und es ist fraglich, ob Gengenbach selbst sie ernst nimmt; „es stot allein in gots gewalt“ sagt in der Gäuchmatte der Narr zum weissagenden Astrologus. Aber auch der Jovistochter Fortuna stellt [297] Mancher sich und sein Gedeihen anheim, oder der flüchtigen Göttin Gelegenheit. Während der Schreiber des Appellationsgerichts 1620 einen neuen Band seiner Protokolle resigniert mit dem Mahnspruche beginnt: fata regunt homines. In Allen lebt das dumpfe Gefühl der Unabwendbarkeit, der sich der Mensch zu fügen hat. Was ist der Mensch? Was ist die Höhe der Zeit? Was ist Glanz und Kraft und aller Genuß der Fülle? Um die laute Tafelrunde von Genossen des ungestümen Lebens läßt der Künstler die höhnisch grinsende Klapperfigur des Todes tanzen; ähnliche Gedanken und Visionen leben in Holbeins Todesbildern; auch das große Gemälde des Weltgerichtes an der Rathaustreppe, damals entstanden, mahnt Jeden an seinen jüngsten Tag.