Geschichte der Stadt Basel. Dritter Band/9. Die großen Jahrzehnte/4. Regiment

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3. Verfassung Geschichte der Stadt Basel. Dritter Band/9. Die großen Jahrzehnte
von Rudolf Wackernagel
5. Die Regenten
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Viertes Kapitel
Regiment




Das System der Regierung haben wir kennen gelernt. Es waren eine Organisation und ein Verfahren, die sich ausgebildet hatten während der bewegten letzten Jahrhunderte.

In diese Formen drang zeitig der moderne Geist. Er brachte ein neues Regierungsgefühl, neue Anschauungen der Administration, ein strafferes Zusammenfassen der öffentlichen Gewalt. Wichtig war dann die definitive Beseitigung des Adels. Von nun an war das Städtertum allein herrschend; es wurde, unter allmählicher Ausscheidung des vornehmen Elementes, immer einheitlicher plebejisch. Und in bemerkenswerter Weise zeigte sich diese demokratische Partei zugleich als die Trägerin des eidgenössischen Gedankens.


Mit dem Zutritte zur Eidgenossenschaft begann Basel einen neuen Abschnitt seiner Geschichte. In diesem Verbande und vom Antriebe der Zeit überhaupt getroffen wurde das städtische Regiment auf eine hohe Stufe geführt, das öffentliche Leben mächtig erregt. Was Frucht jahrhundertelanger Vorbereitung und Schule war, kam unter die Gewalt frischer Erlebnisse und Notwendigkeiten. Jeder Tag wollte einen großen Entschluß und offenbarte in stets neuer Weise Art und Umfang dieser Stadtherrschaft.

Wir fragen, wie die unadligen, mehr und mehr auch unpatrizischen Regenten solchen Aufgaben gewachsen sein konnten. Sie hatten Geschäfte oft universalpolitischer Art zu treiben; sie mußten als Gesandte auch in den Kanzleien und Kabinetten der Großmächte sich zu behaupten imstande sein, ihre Mannschaften gegen die stärksten Heere und Hauptleute der Zeit ins Feld zu führen verstehen. Was diese Zünftler in den meisten Fällen zu solchen Funktionen bildete, war das Leben des Kaufmanns Wechslers [96] Großhändlers mit seiner speziellen Anleitung zu Welt- und Geschäftskenntnis; auch konnte militärisches Geschick bei Vielen sich ausbilden in einer Zeit, die Jeden Waffen tragen hieß und die weiten Möglichkeiten des Reislaufs und der kapitulierten Dienste bot. Im Allgemeinen aber erzog das öffentliche Wesen selbst seine Führer. In jeder Ratssitzung konnten sie die größten politischen Begriffe kennen lernen, und jede Zunftstube war ein Vorplatz des Ratssaales. Die Ereignisse drängten von allen Seiten heran. Die Beziehungen, die sie schufen, und die Wirkungen, die sie ausübten; die Feldzüge; die Reisen; der diese Stadt in nie geminderter Fülle bewegende Fremdenverkehr — Alles vereinigt konnte den zum Regimente Berufenen eine hohe Schule der Staatskunst sein, in der Gedanken und Fähigkeiten reiften. Es waren dabei auch demoralisierende Einflüsse. Sicherlich aber wurden neue Maßstäbe gewonnen, neue Formen des Handelns gelernt, neue Horizonte geschaut.


Einzelnen Führergestalten werden wir noch begegnen. Ihnen gegenüber stand die große städtische Einwohnerschaft. Organisiert in den Zünften und durch deren vereinigte Sechserkollegien umfassend vertreten im Großen Rate.

Wir wissen, daß der Große Rat nicht als unentbehrliche und vor Allem nicht als die ausschließlich legiferierende Behörde galt, daß alles Recht vielmehr beim Rate war und dieser die Freiheit hatte, den Großen Rat zu berufen oder nicht. Aber die allgemeine Richtung der Zeit, wohl auch das Beispiel eidgenössischer Orte, hat den Rat dazu getrieben, die wichtigeren Beschlüsse, an denen diese Jahre reich waren, nicht fassen zu wollen ohne Mitwirkung der im Großen Rate zum Worte kommenden „Gemeinde“. So sehen wir diesen Großen Rat jetzt häufig zusammentreten. Bündnisse u. dgl. bedürfen seines Consenses. Aber auch Anderes kommt vor ihn; namentlich wirkt er mit bei der Feststellung von Gesandtschaftsinstruktionen.

Dergestalt erweitert sich das Bild des politischen Lebens. Die wenigen Ratsgewaltigen sind nicht die einzigen Interessierten. Vielmehr machen wir uns die Vorstellung zu eigen, daß auch die Hunderte der Zunftvorstände Teil haben an den Leistungen der Stadt und daß die Gesinnung, welche die Periode auszeichnet, auch die Gesinnung dieser Vielen und Unbekannten sein kann.

Ein Zug der Größe geht durch die ganze Verwaltung. Reine Äußerlichkeiten schon zeigen uns die Weite des jetzt üblichen Maßes. So die auffallend große und prachtvolle Fensterstiftung des Basler Rates in die [97] Jegenstorfer Kirche 1515 oder kurz nachher, 1519, das herrliche Fenster mit dem Stadtwappen und dem Englischen Gruß im Chore zu St. Leonhard. Auch das in wahrer Profusion zur Austeilung kommende weißundschwarze Tuch gehört zur Fülle dieses Lebens, gleich wie das Prunken mit silbervergoldeten Läuferbüchsen und großen kostbaren Fahnen der Ratstrompeten. Es sind Stimmungen, die sich in Einzelheiten verraten wie dem Golde des Baselstabes, das die ihres Glanzes bewußte Stadt sich 1512 vom Papste, und dem Golde der Baselmünze, das sie sich kurz darauf vom Kaiser bewilligen läßt. Auch die ungewohnt breiten und weihevollen Staatszeremonien dieser Jahre — die Bestattung des Bürgermeisters Offenburg, die Universaljahrzeit für die in den italiänischen Schlachten Gefallenen, der Trauergottesdienst für Kaiser Max — sind Bezeugungen der die ganze Existenz beherrschenden großen Form.

In merkwürdiger Weise wird dem Ruhme des Jahres 1512 ein Denkmal gesetzt in einer die Linde auf der Pfalz umgebenden Steinbrüstung; sie erhält eine von Glarean verfaßte Inschrift in klassischen Metren, die den Reiz des Ortes preist, unter Invocation der erlauchten Namen Julius und Maximilian.

Monumentale und dauernde Verkörperung des in diesem Regimente lebenden Geistes aber ist der Rathausbau.


Auf allen Gebieten des Staatswesens werden höhere Ansprüche und Fähigkeiten wach. Schon im Tone verraten sie sich, den die Schreiben des Rates jetzt annehmen und der jedenfalls auch in Reden seiner Gesandten laut wird. Nicht allein um den Forderungen dieser großen Geschäfte zu genügen; auch unter der Wirkung eines neuen Formgefühles und einer erhöhten Bildung. Der Kanzleibrauch folgt dem Wesen und Wachsen der öffentlichen Dinge überhaupt. Massen von neuen Interessen, von neuen Plänen Obliegenheiten Geschäften nehmen Rat und Kollegien in Anspruch. Wir vernehmen, daß 1513 die Ratsbesoldungen erhöht werden, weil die Arbeit so sehr gewachsen ist. Wir haben vor uns das Anschwellen der Scripturen, und die knappen Rechnungsnotizen lehren, wie häufig die Gesandtschaftsreisen sind. Sie gehen zuweilen bis in die höchsten Regionen der damaligen europäischen Staatenwelt. Und welcher Formenreichtum strömt aus diesem Verkehre noch heute! Neben die unbeholfenen Schreiben deutscher und eidgenössischer Behörden schieben sich stets häufiger die elegant gefaßten und auch äußerlich feinen Briefe aus St. Germain, aus Amboise, aus Mailand, aus Rom. Ihr Gegenstück sind die immer zahlreicher werdenden [98] französischen Missiven, die der Rat hinausgehen läßt, seine nach modernen Mustern redigierten lateinischen Episteln. Schon bisher hat er mit Kaiser und Reichsfürsten oft wie mit Seinesgleichen verkehrt; jetzt sind seine Pairs auch die Könige von England und von Frankreich, die Sforza, der Allerheiligste Vater der Christenheit, die staunenswerte Signorie von Venedig. Basel genießt eines Machtgefühls und im Verbände der Eidgenossenschaft auch wirklicher Macht, wie nie zuvor.

Dabei ist unverkennbar etwas Lichtes Geräumiges, das früher mangelte. Das endlose Detail des fünfzehnten Jahrhunderts findet keine Fortsetzung. Aber nicht Verarmung, sondern Vereinfachung sehen wir. Die alten Rubriken der Ratsausgaben für Gesandtschaften und politischen Verkehr, Zeugnisse einer unsäglichen Mobilität, werden beinahe monoton. Auch in der offiziellen Gastfreundschaft herrscht eine andere Art. Noch immer natürlich finden allerhand Besucher und Supplikanten den Weg ins Basler Rathaus, von den lustigen Musikanten bis zum „Sohne des alten Kaisers von Konstantinopel“, der sich 1613 den Wein schenken läßt. Aber das Gewimmel früherer Zeiten hat aufgehört. Das Rathaus sieht nicht mehr die vielen kleinen Freunde und kleinen Feinde. Auch kaum mehr den Glanz persönlicher Fürstenbesuche. Aber Botschafter der Mächte gehen ab und zu. Am häufigsten wohl die päpstlichen Legaten, als welche Filonardi und Pucci zu nennen sind, namentlich aber der große Kardinal von Sitten Matthäus Schiner. Unter allen Diplomaten, mit denen Basel zu tun hat, tritt diese eine Figur mit unwiderstehlicher Macht hervor. Ob er Pläne entwirft, agitiert, hinreißend redet, Bündnis oder Krieg betreibt, Truppen wirbt und zur Feldschlacht ruft, überall handelt er als der leidenschaftliche Hasser Frankreichs, als maximus protector nationis Germanicae. Dieser „heiße Mensch“ läßt Niemanden zur Ruhe kommen; auch für Basel gehört er zum Leben der gewaltigen Zeit. Mit Bürgermeister Offenburg ist er vertraut, den Jacob Meyer nennt er seinen lieben Freund und Bruder.

Wichtig ist die Wirkung dieses Zustandes auf Basel selbst. Als Schärfung aller Fähigkeiten, als Wachsen aller Kräfte. Es gab natürlich schwere Momente, oft die furchtbarsten Beängstigungen und Sorgen, eine Verantwortlichkeit Weniger für die größten Ansprüche an das Gemeinwesen und den Einzelnen. Es gab auch Versuchungen aller Art, Korruption und Gewalttat. Aber es fehlte auch nicht an Ehre und Triumph.


Wir beachten dabei auch die Wirkung auf die städtischen Finanzen. Die Rechnungen dieser Jahre nennen die gewaltigen Summen, die jetzt [99] breit durch die öffentlichen Kassen zu strömen begannen; zahlenmähig wird in ihnen die Erweiterung und Steigerung des öffentlichen Lebens offenbar. Die Wende der beiden großen Jahrzehnte ist der denkwürdige Moment. In den Einnahmen des Rechnungsjahres 1510/11, in den Ausgaben von 1511/12 steigen die Beträge plötzlich mit einem starken Ruck, um von da an fast stätig noch mehr zu wachsen. Wie reich an Opfern und Mühen das hinter solchen Zahlenreihen stehende Leben war, verstehen wir leicht. Aber wir dürfen uns vorstellen, daß die dieser Generation beschiedene Gesinnung, die zum Unternehmen von so Vielem und Großem trieb, auch die Lasten zu tragen ermöglichte.

Außerdem aber sehen wir, wie diese Politik selbst Hilfen außergewöhnlicher Art darbot; so z. B. die großen Kriegsentschädigungen, die bei den Verträgen mit Mailand 1512 und Frankreich 1516 einbedungen wurden. Besondere Beachtung aber verdienen die Geschenke und Pensionen.

In früherer Zeit haben städtische Gesandte von der Macht, an die sie abgeordnet worden, wohl nichts Anderes erhalten als eine Vergütung der Wirtshauskosten, in ähnlicher Weise, wie Basel selbst die bei ihm beschäftigten auswärtigen Botschafter „von der Herberge zu lösen“ pflegte.

Seit dem Ende des fünfzehnten Jahrhunderts aber zeigt sich der Brauch eigentlicher Geschenke, zuerst von Seite der französischen Diplomatie. Neue offizielle Formen und Zulässigkeiten treten damit auf, und die Stadt bedarf ihnen gegenüber einer grundsätzlichen Haltung. Sie gewinnt diese durch den Ratsbeschluß vom 20. Januar 1508. Er bestimmt, daß die Gesandten die Geschenke, die ihnen anläßlich ihrer Sendung im Geheimen oder öffentlich gegeben worden sind, bei der Heimkehr dem Rat abliefern sollen; wenn der Betrag dieser Geschenke denjenigen der Gesandtschaftskosten übersteige, könne der Rat entscheiden, ob man den Überschuß dem Gesandten lassen wolle.

Von da an gilt die Regel der Ablieferung aller Geschenke zu gemeinen Händen und ihrer Buchung unter den städtischen Intraden. Jahr um Jahr stoßen wir in den Rechnungen auf diese zahlreichen Einnahmeposten. Sie sind voll Leben und Wechsel. Sie lehren uns die Geschenke kennen, die den Gesandten Basels an Konferenzen von den verschiedensten Mächten — Papst Savoyen Württemberg Reich Frankreich Venedig Mailand England Markgräfin von Wälsch-Neuenburg usw. — zu Teil werden. Geschenke vor Allem in barem Geld, aber auch in Samt und Damast ellenweise, in silbernen, in vergoldeten Trinkgeschirren bestehend. Zwischen hinein erhält etwa auch die Frau Bürgermeisterin solche Präsente. Alles aber muß „ans Brett“ [100] abgeliefert werden und wird der Stadt gutgeschrieben, ohne Ausnahme, bis hinab zum Trinkgelde, das der durch den Rat bewirtete Markgraf 1517 in die Küche spendiert.

Wie diese Gesandtengeschenke als eine Vergütung der Gesandtschaftskosten betrachtet und demgemäß in die öffentliche Kasse genommen werden, so gelten die bei den großen Bündnissen einbedungenen Pensionen als Entschädigungen für die Pflichten, die der Stadt durch das Bündnis auferlegt werden.

1. Im Bündnisse der Zwölf Orte mit Papst Julius vom 14. März 1510 verspricht der Papst jedem Ort ein Jahrgeld von tausend Gulden. Das Bündnis mit Papst Leo vom 9. Dezember 1514 bemißt das Jahrgeld jedes Ortes auf zweitausend Gulden; in den zugehörenden Erläuterungsartikeln vom 18. November 1516 wird, wegen des Ausscheidens von Genua aus dem Bündnisse, das Jahrgeld auf fünfzehnhundert Gulden festgesetzt. 2. In der Erbeinigung vom 7. Februar 1511 verspricht Kaiser Maximilian als Vormund seines Enkels Karl von Burgund, daß Dieser jedem Orte der Eidgenossenschaft eine jährliche Verehrung von zweihundert Gulden zahlen solle. 3. Im Bündnisse der Acht Orte (wobei Basel) mit Herzog Karl von Savoyen vom 27. August 1512 verspricht der Herzog, jedem Ort ein Jahrgeld von zweihundert Gulden zu zahlen. 4. Im Bündnisse der Zwölf Orte mit Herzog Massimiliano Sforza vom 3. Oktober 1512 verspricht der Herzog, den Orten jährlich vierzigtausend Dukaten zu zahlen, die sie nach ihrem Willen und Gefallen unter sich teilen mögen. 5. In der Ewigen Richtung der Dreizehn Orte mit König Franz von Frankreich vom 29. November 1516 verspricht der König jedem Ort eine jährliche Pension von zweitausend Franken; im Bündnisse der Zwölf Orte mit ihm vom 7. Mai 1521 verspricht er jedem Ort außer dem Jahrgelde der Richtung noch eine Zuschußpension von tausend Franken.

Akten Quittungen Rechnungsposten zeigen uns dann im Anschluß an diese Vertragsdokumente die Tatsächlichkeit des Pensionenwesens und seine finanzielle Bedeutung. Wir bemessen aber auch seine Wirkung auf die Politik. Beratungen und Beschlüsse standen unter der Macht fremden Geldes. Wenn dabei die „gemeinen“ Pensionen, die dem Ort als solchem zukamen, als Gegenleistung für die von ihm übernommenen Pflichten gelten konnten, so mochte sich das Gemeinwesen ohne Weiteres in eine Verbindlichkeit dieser Art fügen. Anders verhielt es sich mit der Zahlung von Sonderpensionen, Privatpensionen, an einzelne Häupter des Regimentes und Mitglieder der Räte durch dieselbe Macht, die schon dem Gemeinwesen eine Pension gab [101] Sie konnten als eine Mehrleistung an dieses Gemeinwesen behandelt werden, in gleicher Weise wie die Gesandtengeschenke. Sie konnten auch gerechtfertigt werden als besondere Entschädigung dafür, was jene Einzelnen zum Nutzen des Gemeinwesens taten. Sie konnten gegeben werden, ohne daß ein Bündnis bestand, und für sich selbst und allein der Absicht einer Macht dienen, Agenten zu verpflichten, ergebene Anhänger und Parteiführer zu gewinnen. In allen Fällen aber und einer jeden Auffassung gegenüber war das ihnen Eigene, daß sie ihr Geheimnis um sich hatten und eine durch keinen Bündnisbrief und keine öffentliche Autorität gedeckte Privatsache waren.

Es ist bekannt, welchen Erregungen dieses Annehmen fremden Geldes durch einzelne Politiker damals rief. „Heimliche Pension und Eigennutz“, lautete die Formel, unter der sich überall der Unwille zu heftiger Opposition gegen die Machthaber zusammenfand. Das Land und seine Ehre erschienen gefährdet durch die privaten Machenschaften und das „Kronenfressen“ Einzelner. Die zornigen Reden Gengenbachs wider das „heimliche Schmieren“, das „böse Geld“, das Leib und Seele verderbe. Manchen seiner Ehre vergessen lasse, zum Verrat an Land und Leuten führe, waren das Urteil des gemeinen Mannes, aus patriotischem und sittlichem Empfinden geschöpft. Anders gestimmt waren die Regierungen. Wenn auch sie gegen die Sonderpensionen auftraten, so hatten sie vornehmlich die Staatsraison im Auge, die Notwendigkeit geschlossener Kraft und einheitlichen politischen Handelns.

In solcher Absicht erließen die eidgenössischen Orte, durch das Badener Verkommnis vom 21. Juli 1503, ein gemeinsames Verbot an alle in der Schweiz Angesessenen, von fremden Herren Pension oder Dienstgeld anzunehmen. Basel war an diesem Beschlusse beteiligt. Es hatte schon vorher seine Meinung wiederholt ausgesprochen, daß es die „gemeinen“ Pensionen gelten lasse, die „sonderigen“ aber verwerfe, da sie schädlich seien und „vil Unwillens und partheiisch Widerwärtigkeit gebären“. Es empfing die eidgenössischen Gesandten, die hier den Schwur auf die Abrede entgegen- nahmen; Deputierte des Rates gingen ihrerseits in die Landschaft hinaus, um auch die Untertanen darauf zu verpflichten. Der Geschichte dieses Pensionenbriefes in der Eidgenossenschaft haben wir hier nicht nachzugehen, wohl aber festzustellen, in welcher Weise Basel ihn zur Anwendung brachte.

Zunächst sehen wir, daß Frankreich im April 1507 dem Hans Kilchman ein Geldgeschenk machte und eine Pension versprach, im Januar 1508 dem Peter Offenburg ein Geldgeschenk machte. Das letztere wurde in die städtische Kasse abgeliefert; über das von Kilchman empfangene Geld vernehmen wir nichts.

[102] Sodann aber ergibt sich Folgendes: Anläßlich der Allianzen mit dem Papst und dem Herzog von Mailand, später mit dem König von Frankreich wurden außer den offiziellen „gemeinen“ „offenen“ Pensionen noch „sonderige“ „heimliche“, jeweilen einige Hundert Gulden Dukaten Kronen betragend, einbedungen. Die Verhandlungen, die zur Bewilligung der päpstlichen Sonderpension geführt, sind uns nicht bekannt; die mailändische wurde durch Jacob Meyer zum Hasen erwirkt. Das Verfahren des Bezugs dieser Privatpensionen aber war zunächst schwankend. Die frühesten, durch Papst Julius im ersten Jahre des Bündnisses gezahlten Sondergelder wurden als solche behandelt d. h. unter die Ratsmitglieder verteilt; nur ein kleiner Betrag, dessen Annahme einige Ratsherren verweigerten, floß in die öffentliche Kasse. Herzog Maximilian von Mailand sodann hatte am 23. Juli 1512 dem Bürgermeister Peter Offenburg und dem Jacob Meyer zum Hasen für ihre bei Eroberung des Herzogtums geleisteten Dienste je ein jährliches Dienstgeld verheißen; Jacob Meyer war schon einen Monat vorher, aus dem eroberten Pavia, beim Basler Rate wegen dieser Sache vorstellig geworden mit dem Verlangen, ihm das Gleiche zu gönnen, was andern eidgenössischen Hauptleuten gegönnt würde, und in der Zuversicht, daß er solche Gabe mit Leib und Blut um den Rat und gemeine Bürgerschaft verdienen werde. Aber der Rat verweigerte ihm am 1. September 1512 den erbetenen Consens; denn „es sei gemeinem Gut und dem Regimente schädlich und nachteilig, wenn einzelnen Personen des Rates oder der Gemeinde das Annehmen solcher Pensionen bewilligt werde; jetzt und künftig solle daher Niemandem erlaubt sein, von irgend einem Fürsten Herrn oder Staat eine Pension zu beziehen“. Dem entsprach dann auch, daß die vom Herzog von Mailand im Januar 1513 dem Rate zu beliebiger Verteilung unter seine Mitglieder bewilligte Privatpension von fünfhundert Dukaten keineswegs verteilt, vielmehr dem gemeinen Gute belassen wurde. Die päpstlichen Privatpensionen dagegen scheinen wie im ersten Jahre des Bündnisses so auch im nächstfolgenden noch zur Verteilung unter die Mitglieder verwendet worden zu sein. Dann aber brachte das Jahr 1512 auch hier den im Ratsbeschlusse vom 1. September ausgesprochenen Grundsatz zur Geltung.

In denkwürdiger Weise hat seitdem dieser Grundsatz, im Momente höchster kriegerischer und politischer Erfolge aufgestellt, das Pensionenwesen Basels geleitet. Die Stadt hält sich an das Badener Verkommnis von 1503 und will keine privaten Pensionäre bei sich dulden; das Geld der Sonderpensionen bleibt in der Staatskasse. Es ergibt sich dies aus den Akten, mit [103] aller Bestimmtheit zumal aus den Rechnungsbüchern des Rates. Es war ein Analogon zu der bei den Gesandtengeschenken geltenden Praxis. Wie auf diese, so legte das Gemeinwesen Beschlag auch auf die privaten Pensionen. Nicht daß es an Parteigängern im Rate fehlte. Frankreich hatte hier seine Vertreter und Wortführer so gut wie der Papst. Auch mochte unter der Hand Vieles geschehen. Aber eine offizielle Anerkennung der Möglichkeit, solche Parteinahme sich durch spezielle Geldspenden vergüten oder stärken zu lassen, gab es nicht. Der Legat Pucci nennt in seinen Relationen vom Oktober 1517 und September 1518 die hauptsächlichsten Anhänger Roms im Rate mit Namen; er charakterisiert sie und lobt ihren Eifer für die gute Sache. Und im gleichen Atemzuge teilt er mit, daß sie nichts von ihm erhalten, weil die päpstlichen Partikularpensionen im Gesamten direkt an den Rat ausbezahlt werden müssen. Dieses Verfahren, im Jahre 1512 eingeführt, war damals durch Schmer gebilligt worden, der dem Jacob Meyer gegenüber den Wunsch äußerte, „daß es allenthalben auch so zugan möchte“. Es war eine Singularität Basels, die auch durch Pucci anerkannt wurde; die französischen Agenten dagegen billigten sie nicht und verspotteten ihretwegen die Basler als „seltzame lüt“.

Mit dem besten Rechte konnte sich demnach Basel wiederholt vor der Tagsatzung darauf berufen, daß es gewissenhafter als andre Eidgenossen das Badener Verkommnis handhabe. Im unruhigen Jahre 1514 war es befugt, laut seine Integrität geltend zu machen: „wir haben uns der heimlichen Pensionen bisher gemüßiget und das Annehmen solcher Gelder beim Eid verboten; sind auch der Meinung, hiebei zu bleiben“. Und als nach dem Unglücke von Marignano der allgemeine Unwille sich neuerdings gegen die Pensioner erhob, wies Basel wiederum darauf hin, daß es die Badener Ordnung nicht nur beschworen, sondern diesen Eid auch gehalten habe; doch werde es nicht fernebleiben, wenn die andern Orte jetzt ihren Schwur erneuern; „Gott wolle, daß er gehalten werde!“ Dann im Sommer 1519 wieder erklärt Basel: „bei uns nehmen einzelne Personen keine Pension; wir würden gerne sehen, daß dies bei andern Orten gleichfalls geschähe“.

Auch gegenüber Frankreich hielt Basel an diesem Grundsatze fest. Neben der vertragsmäßigen „offenen“ Pension erhielt der Rat seit dem Friedensschlusse 1516 vom Könige noch eine „heimliche“ „sonderbare“ Pension; sie war ihm, unter Vermittelung Ulrich Falkners, durch den Luzerner Schultheißen Jacob von Hertenstein erwirkt worden. Sie gelangte, gleich derjenigen die der Papst gab, ohne Weiteres in das gemeine Gut. [104] Bis der Abschluß des Bundes mit Frankreich den Führern Basels Versuchungen brachte, denen auch sie unterlagen; es war ein rasches, sofort wieder gebüßtes Preisgeben bisheriger Unbescholtenheit.

Die Geschichte des Jahres 1521 wird uns diesen Hergang schildern.

Was in solcher Weise an Geschenken und Pensionen zufloß, war eine wichtige Einnahme der Stadt. Welche Bedeutung sie hatte gegenüber den Kosten der ins Große gehenden Politik, wird durch die städtischen Rechnungen in Helles Licht gestellt. Im Jahre 1511/12 z. B. betrugen bei einer Gesamteinnahme von neununddreißigtausendneunhundertundvierzig Pfund die Einnahmen aus Geschenken und Pensionen dreitausendundein Pfund; bei einer Gesamtausgabe von sechsundzwanzigtausendachthundertzweiundzwanzig Pfund die Kosten der Heerzüge viertausendvierhundertsechsundsechzig Pfund. Im Jahre 1512/13 stiegen die Intraden aus Geschenken und Pensionen sowie Kriegsentschädigungen auf zwölftausendachthundertsiebenundvierzig Pfund.

Dabei beachten wir die Korrelationen, nämlich die der Behörde durchaus bewußten Beziehungen dieser Einkünfte zum Gegenstück auf der Ausgabenseite, zu den Kosten der Gesandtschaften und der Heerzüge. Bei der Abrechnung über das Jahr 1511/12 macht der Rechnungsführer geltend, daß die Ausgaben für Gesandtschaften die durch die Gesandten empfangenen Geschenke um dreihunderteinundfünfzig Pfund übersteigen; im gleichen Jahre sind eintausendsechshundertsiebenundsechzig Pfund mehr „verkriegt und verzogen, als die pensiones tragen“. Die finanzielle Wichtigkeit und damit auch eine Rechtfertigung der Pensionenpolitik zeigt sich am reinsten in Basel, weil hier keine persönliche Bereicherung der Regenten aus Pensionen und Geschenken geduldet wurde.

Zum Wesen dieses Regimentes gehören vornehmlich die militärischen Leistungen, mit denen Basel dem Gebote der Zeit zu genügen suchte.

Allgemeine Unruhe und Unsicherheit waren Beigaben der Stadtgeschichte von Anbeginn. Aber stärker als je zuvor machten sich die großen Potenzen, die eine halbe Welt erschütternden Bewegungen der europäischen Politik auch für Basel geltend. Diese hauptsächlich stellten jetzt Aufgaben, hielten die Behörden in Atem. Es war ein rastlos hochgespanntes Leben, dessen Äußerungen auch uns noch ergreifen.

Basel war genötigt, auf seine dauernde kriegerische Bereitschaft zu achten. In Fortifikation der Stadt und der Landschlösser, in Anhäufen [105] Hüten und Mehren mannigfaltigen Kriegsmaterials. Von allen diesen Dingen ist schon geredet worden. Hier nennen wir nur nochmals, als die schönste Einzelheit in diesem Vielerlei, die Besorgung der großen Feld- und Belagerungsgeschütze. Die Artillerie war von jeher eine Sache des offiziellen Ehrgeizes, die Sammlung dieser Kriegswerkzeuge im Basler Zeughaus eine berühmte Sehenswürdigkeit. Die Bereicherung, die sie gerade jetzt erhielt, in den 1514 durch den Straßburger Stückgießer Jörg von Guntheim für Basel angefertigten Geschützen, zeigt die Art der Zeit und die Anschauung der damaligen Behörde deutlich; diese sechs gewaltigen Prachtkarthaunen waren Werke eines hochgetriebenen künstlerischen Sinnes. Im Jahre 1519 folgte der Guß von Schlangenbüchsen durch Meister Hans Koberger.

Zur Rüstung zählen wir auch die Sorge für die allgemeine Wehrhaftigkeit. Wobei von besonderem Interesse die Übung und Ausbildung schon der Knaben in den Waffen war, sodann die von Obrigkeitswegen eingerichteten und aus öffentlichen Mitteln geförderten Fechtschulen. Eine solche Schule bestand hier seit 1485 unter der Leitung des Fechtmeisters Peter Schwizer von Bern; im Jahre 1490 wollte Paulus Krug eine zweite Fechtschule auftun und erbot sich, mit Peter um die Schule zu fechten und ihm „das Schwert abzuhauen“. Doch scheint Peter, durch den Rat geschützt, der einzige Fechtmeister in Basel geblieben zu sein; er trug ein silbernes Kleinod mit dem Stadtwappen. Nachdem er 1518 nach üchtländisch Freiburg berufen worden, versah den Fechtunterricht in Basel Hans Glarner.

Über vorbereitende und rüstende Tätigkeit hinaus ging die Kriegführung selbst.

Im Dienste großer politischer Aufgaben hat Basel zwei Jahrzehnte Kriegsleben von erstaunlichem Umfang und Inhalt durchzumachen. Dieses Leben bringt eine schwere Erprobung aller menschlichen und bürgerlichen Fähigkeiten. Es offenbart aber auch, vermöge der Häufigkeit der sich unausgesetzt folgenden Aktionen und insbesondere durch die Art der Gewinnung der Einzelnen für diesen Dienst, eine bewußte Teilnahme der Gesamtheit an der Politik und ihren Konsequenzen. Dieser großen Tatsache gegenüber kommen Stimmen Einzelner, wie z. B. des Pamphilus Gengenbach, die von der Weltpolitik samt all ihren Allianzen und Heerzügen nichts wissen wollen, kaum in Betracht. Sie waren vereinzelt. Die Gesamtheit der Bevölkerung stand in dieser Zeit da als ein Kriegsvolk; neben dem politischen Interesse riß sie das militärische Abenteuer hin, das Verlangen nach Kampf und Sieg.

[106] Eine gewaltige Erscheinung vorerst ist die Explosion dieser allgemeinen Kriegslust und Fähigkeit im Reislaufe.

Wir kennen ihn. Er hat schon frühere Zeiten bewegt. Jetzt, da Alles gesteigert ist, hat auch das Reislaufen seine Höhe. Unaufhörlich, in fast verwirrender Menge, kreuzen sich diese Reislaufdinge mit denen des offiziell autorisierten Kriegstreibens.

Die Verhandlungen der Eidgenossen hierüber führen schon 1503 zum Verbote jedes eigenmächtigen Reislaufens und jeder unbefugten Werbung für fremde Dienste. Aber, als ob dieser Erlaß nicht bestünde, hat die Tagsatzung all die Jahre hin immer wieder von der Sache zu reden, bis zur großen Aufregung im Frühling 1519, da die dem Herzog Ulrich in dichten Scharen zugelaufenen Knechte dem Heimrufe der Tagsatzung nicht folgen und einige Orte, darunter Basel, sich rüsten, mit Hauptbannern und „eilendem gewaltigem Heerzuge“ die Ungehorsamen wieder nach Hause zu zwingen.

Auch in Basel folgt Verbot dem Verbote. Stets in dem Sinne, daß die Leute still sitzen und der Obrigkeit gewarten sollen, die ihrer jederzeit bedürfen kann. Aber umsonst. Vom Elternhause, vom Handwerk, vom Acker weg läuft die Jugend in den fremden Kriegsdienst. Aus Armut folgt der Eine dem Werber, Schulden halber ist der Andre gebannt und muß aus der Heimat weichen, den Dritten verscheucht das Unglück des Todes seiner Frau u. dgl. m. Das sind einzelne Fälle. Umfassender ist das Ganze. Unergiebigkeil des Bodens und Mangel an Verdienst mögen fort treiben, aber auch die Wanderlust, die Rauf- und Beutegier, der kriegerische Drang, die Ungeduld. „Was sollen wir daheim tun? an den Klauen saugen? die Finger spitzen?“ In Vielem steht eine Notwendigkeit vor uns. Ein Überschuß sucht sich Raum und Bahn. Und wenn die Vaterlandslosigkeit dieses Mutes, das Dahintenlassen und Verwahrlosen einer angestammten Erde mißfällt, wenn nach Gengenbachs Urteil der Reisläufer Land und Leute verrät und ein durch alle Welt streichender Kistenfeger ist, so mag auf der andern Seite erwogen werden, wie manche Unbändigkeit, die zu Hause Übel wirkt, hier im Söldnerleben ein ihr gemäßes Feld findet; auch der Gedanke an das Viele gilt, das den heimkehrenden Reisläufer begleitet und nicht allein Arbeitsunlust ist und Unsitte, sondern auch Erfahrung Weltkenntnis Bildung. Im Reislaufe waltet dieselbe Kraft, auf der die einzige Kriegsglorie der Schweiz dieser Jahrzehnte ruht.

Nicht an niedres Volk nur haben wir dabei zu denken oder an die ohnedies verlornen Existenzen. Auch der Herrensohn, der reiche Herbergswirt, [107] der Tuchhändler laufen in den Krieg; wenn ihre Stunde schlägt, folgen auch sie dem Werber. Zahlreiche Verzeichnisse zeigen uns Basler Reisläuferscharen: viele Landschäftler, viele Städter. Der spätere Bürgermeister Meltinger ist unter ihnen. Manche, die vom Reislaufen nicht lassen können, unabtreibliche Gefolgsleute des Freifähnleins, müssen immer wieder zur Strafe gezogen werden: Hans Locherer der Rebmann, Hans Linder der Tuchscherer, Peter Linder, Hans Stähelin, Heinrich Steinacker genannt Algower, usf. Eine Reisläuferfigur dieser Art ist auch der Gerber Ulrich Schmid, dessen Witwe dann den jungen Hans Holbein heiratet. Matthäus Wenz sodann, erst Tuchscherer, dann Wirt. Aber Beruf und Haus treten zurück, die Akten wissen nur Kriegerisches von ihm. Jahrelang ist er einer der tätigsten Söldnerführer und Werber, dann nehmen ihn die Heerzüge Basels selbst in Anspruch. Vor Genua, im Pavierzug, überall ist er anzutreffen; bei Novara kämpft er mit Tapferkeit, und im gleichen Jahre wieder zieht er mit den Freiknechten vor Dijon.

Diesem gegenüber ist eine niedre Art des Reisläufertums vertreten durch Mathis Heckel genannt Schwertfeger, eine ungewöhnlich vollständig bezeugte Gestalt. Trieb und Drang scheinen in diesem Menschen unzähmbar zu sein; sie verderben ihm in der Tat sein Leben. Er ist Sohn des Schwertfegers Michel Heckel und immatrikuliert sich im Winter 1490/91 an der Universität. 1493 wird er Baccalaureus der Artisten. Bald darauf heiratet er die Agnes Han aus der Glasmalerfamilie; er treibt den Beruf des Vaters. Aber schon frühe dringt Unruhe in dies geordnete Wesen. Heckel gibt 1498 das Bürgerrecht auf, um in fremden Kriegen zu kämpfen. Er dient in Frankreich; er reitet zum Bailli Anton von Baissey; er zieht zu dessen Bruder nach Mailand usw. Wegen „allerley üppikeit“ aus Basel verbannt, kann er erst mit den vom Bellenzer Zug heimkehrenden Hauptleuten wieder hereinkommen. Er wird auch wieder Bürger. Er hat einen Sohn Christoph. In seiner Werkstatt im Hause zur Alten Wage an der Schwanengasse schmiedet er wieder Schwertklingen, immer mit allen Gedanken mitten drin in dem Leben, dem diese Waffen gehören. Daher er auch sein dem Rate gegebenes Versprechen bricht und aufs Neue Frau und Kind verläßt, den Kriegen nachläuft, selbst den Werber macht. Er wird bestraft, sein Hab und Gut gerichtlich inventiert. Aber daß er dann das Handwerk aufgibt und 1509 die Herberge zum goldenen Kopf an der Schifflände, kauft, deutet auf alles Andere als auf Fleiß und Stätigkeit. Er gibt sich mit Dirnen ab und lebt üppig, stolziert in Kleidern aus Samt und Seide [108] mit goldenen und silbernen Zierden Haften Zeichen Borten Seidengeflecht usw. 1517 verkauft er den Gasthof wieder. Endlich bricht ihm die große Werbungssache des Herzogs Ulrich von Württemberg 1519 den Hals; seinem Eid aufs Neue untreu, nimmt er eine Hauptmannschaft an, er führt Bürger und Andere außer Landes, er verlangt vom Herzog eine Pension, er beleidigt in lügnerischem Ausschreiben den Rat von Basel. Bis zuletzt Dieser seiner habhaft wird. Als einen Hochverräter holt er ihn mit Gewalt aus dem Asyl im Johanniterhause, in das er geflohen ist. Aber auf Fürbitte wird Heckel freigelassen und verläßt Basel. Später taucht er in Bern auf, als Feldschreiber des Junkers Ludwig von Erlach; er ist der Mathisli, der 1522 an der Werbungssache des Fierabras von Corbers beteiligt erscheint.

Dies die Lebensdaten. Hinter ihnen liegt Dasjenige, was für uns von Wert ist: Heckels Haltung in den Kriegsdiensten, denen er so beflissen nachgelaufen. Wiederholt begegnet er uns dabei als Schreiber, vielleicht seiner auf der Universität erworbenen Bildung wegen. Er hat den Ruf, einer der gewandtesten Feldschreiber zu sein und daher immer mehr Sold zu erhalten als die Andern. Als Schreiber des Wabrer ist er in die schlimme Sache des Verrats von Novara 1500 impliziert; beim Kriege gegen Venedig 1509 dient er dem Junker Hans von Diesbach als Schreiber, schon früher, in Frankreich, hat er dies Amt versehen. Von überall her aber folgt ihm der Haß der Kriegsknechte. Sie fluchen ihm als einem Schelm, der mit ihnen und ihrem Geld untreu umgegangen sei. Auch den König von Frankreich als Soldherrn soll er betrogen haben, durch Fälschung der Rötel bei der Musterung in Cremona; den Leuten in Frankreich, bei denen er gelegen, habe er die Kisten aufgebrochen, den Weibern die Ringe von den Fingern genommen u. dgl. m. Alles geht bei Heckel in Unrast und gierigem Begehren auf, und die Tüchtigkeit findet keinen Platz mehr. Der Reislauf ist ihm nur Geschäftssache. Voll Neides sieht man ihn viele Kronen, silberne und goldene Ringe aus seinen Feldzügen nach Hause bringen. Aber nach der großen Novaraschlacht, zu der er im Heere Basels mitgezogen, ist die allgemeine Rede, daß er ein Feigling gewesen und von der Wahlstatt hinter die Mauern geflohen sei.

Nun aber das obrigkeitlich geordnete Kriegsleben.

Sein Zentrum ist die Tagsatzung. Durch sie wird der Heerzug beschlossen, jedem Orte die Stellung von so und soviel „Knechten“ zugewiesen. Von diesem Beschlusse geht die kriegerische Aufregung durchs [109] ganze eidgenössische Land. Und dann beginnt, was Geschäft des einzelnen Ortes ist.

Die reinste Form der Kriegführung ist der in eigener Sache unternommene Zug, wie z. B. der nach Dijon. Oder die Obrigkeit kann einem fremden Herrn die Mannschaftswerbung im Lande gestatten; Solches war 1476 zu Gunsten des Herzogs Renat von Lothringen geschehen und wird später wieder üblich werden. Die häufigste Form unsrer Zeit aber ist: Bereitstellung der Knechte durch die Obrigkeit für den fremden Herrscher, auf dessen Kosten sie dienen, gemäß dem mit ihm geschlossenen Vertrag über Söldnerlieferung und Jahrgeld. Es ist ein Solddienst, aber in Anlehnung an das Milizsystem. Die Werbung oder die Aushebung geschehen offiziell durch den Rat und im Rahmen der Milizeinheiten, der Zünfte usw.

Wir suchen das Verfahren im Einzelnen kennen zu lernen. Es ist in den meisten Beziehungen immer dasselbe.

In der ersten Zeit teilt der Rat jeder Zunft und Gesellschaft mit, daß laut Tagsatzungsbeschluß „Basel mit seinen Eidgenossen dem Papst eine Summe Knechte auf seiner Heiligkeit Besoldung zuschicken werde. Ist Jemand unter Euch lustig und dem Rate zu Ehren gewillt, solchen Zug zu tun, der soll sich in Schrift angeben. Welche ziehen wollen, sollen sich mit Kleidung Harnisch und Waffen versehen und Dienstag nach Laurenz zum Abzuge gerüstet sein“. So 1510 beim Chiasser Zug. Ähnliche Aufforderungen ergehen in die Landschaft; jedem Landvogt wird befohlen, in seinem Amte kund zu tun, daß, wer zu ziehen Lust habe, sich in Basel melden solle. Dieses Verfahren eines gewissermaßen offiziell organisierten Reislaufs scheint sich nicht bewährt zu haben. Bald tritt an seine Stelle die eigentliche Aushebung für den fremden Dienst. Seit 1511 ist in den Zünften von Denen die Rede, die „usgeleit“ „hinweggeschickt“ werden; in der Landschaft wird jedem Amt eine bestimmte Anzahl Knechte zu stellen auferlegt.

Am stärksten beteiligt sind unter den Zünften Safran Rebleute Schmiede Schuhmacher und unter den Kleinbasler Gesellschaften der Greif. Unter den landschaftlichen Bezirken steht das große Farnsburger Amt immer an der Spitze. Wir finden aber nicht, daß diese Landämter mehr Mannschaft aufbringen als die Stadt.

Durch alle Körper hindurch geht nun die Erregung. Das kriegerische Hochgefühl, die Erwartung, die Unruhe und die Sorge. Die solche Züge schon mitgemacht, sehen neben sich Andre, die Dasselbe zu erleben begehren. Klar steht vor uns, wie mit diesen Wälschlandzügen ein neues Leben in [110] die Zünfte fährt. Wie die Ferne sich ihnen öffnet. Wie sie neben der Dürftigkeit von Werkstatt und Trinkstube nun auch Großes erleben. Jetzt können sie in ihren Archiven buchen, daß sie ausgezogen seien „zu Rettung des Herzogs von Mailand“; daß „die Schlacht geschach zu Navaren in der Lombardy wider den Frantzosen und gewonnen wir die Schlacht, Gott sy gelobt!“ u. dgl. m. Die Kriegsrötel und Reisbüchlein, die überall in den Zünften jetzt angelegt werden, sind Dokumente dieser stürmischen und mächtigen Zeit. Nur Listen zeigen sie uns; aber die Tatsächlichkeit des ganzen Ereignisses, die jeden einzelnen Vorgang begleitende Empfindung kommen uns heute noch aus ihnen entgegen, in manchen Namen von uns wohl bekannten Künstlern Buchdruckern Kaufleuten Gelehrten usw. Wir suchen das Leben überhaupt uns vertraut zu machen, das in den jährlich wiederkehrenden Aushebungswochen Stadt und Land erfüllt. Weil Kriegszeiten sind, so ist Betreibungsstillstand. Mancher macht vor dem Abmarsche sein Testament. Im Banne Stehende dürfen nicht Dienst tun; aber auf Verlangen des Rates läßt der Bischof Solchen jetzt die Absolution geben, damit sie ziehen können.

Auch die mancherlei Nötigungen und Stimmungen gehören hiezu, die Einzelne zurückhalten. Sobald es sich nicht mehr um freiwilligen Dienst, sondern um Ausgehobenwerden handelt, ist Raum für Stellvertretung. Zwar soll nur Derjenige, der eidlich dartut, „lybs halb“ nicht selbst dienen zu können, einen Söldner stellen dürfen. Aber dieser Grundsatz hält nicht stand, und die Aushebungsrötel der spätern Heerzüge sind angefüllt mit Vertretungen dieser Art, durch alle Klassen hindurch vom vornehmen Kaufherrn bis zum Handwerker. Im Dijonzug z. B. haben von zweihundertvierundzwanzig ausgelegten Städtern einhunderteinundvierzig Ersatzleute angemeldet; im zweiten Marignanoaufgebot sind einhundertsiebzig Söldner auf zweihundertachtundsechzig Zünftler und Gesellschafter. Auch in den Ämtern der Landschaft kommt diese Stellvertretung zuweilen vor. Von besonderem Interesse ist das Verhalten der Stubenherren. In den Zügen der frühern Zeit (Bellenz Genua Chiasso) haben stets einige Edelleute als Angehörige der Hohen Stube Dienst getan. Im Dijonzug sodann sind ihrer vier ausgelegt; aber von Diesen sind drei durch Söldner ersetzt, und der vierte, einzig persönlich dienende, ist der Hauptmann des Zuges Grieb. In den drei Marignanoheerhaufen aber kommen auf die zehn von der Hohen Stube Ausgelegten acht Söldner!

Welcher Art sind die Stellvertreter? Sie stammen zum Teil aus der Basler Landschaft, zum Teil aus schweizerischen Gebieten; auch Basler selbst [111] finden sich darunter, wie Pauli Bilger, Jörg Caramellis u. A. Im zweiten Marignanoaufgebote ziehen „vil redlicher handwerchsgesellen“ als Söldner mit, um sich dadurch das Bürgerrecht zu verdienen.

In solchen Söldnern haben wir vielleicht den kräftigsten Kern der Truppe zu suchen. Sie sind die Entschlossenen, die Alles wagen, und bei denen das Kriegführen schon zum Berufe geworden ist. In ihren Reihen vor Allem finden sich die Prachtfiguren der Zeichnungen und Glasgemälde, die namenlosen Helden, die in unsrer Phantasie diese Züge ziehen und diese Schlachten schlagen. Dasselbe Volk geht auch die Wege des Reislaufs in alle Welt und bildet außerdem im geordneten Heere die Scharen der freien Knechte.

Denn trotz den wiederholten Verboten der Tagsatzung nehmen an diesen Heerzügen neben der „ausgeschossenen“ „aufgebotenen“ „ausgelegten“ Mannschaft noch Freiwillige teil, „freie Knechte“. Oft in Menge. Sodaß z. B. unter den dreißigtausend Mann, die gen Dijon ziehen, vierzehntausend Freiknechte sind, mit den fünfhundertneunundachzig ausgehobenen Baslern zweihunderteinundachzig Freiknechte marschieren. Im Pavierzuge hat der Basler Haufe vierhundert ausgehobene und zweihundert freie Knechte gezählt; aber nicht schon zu Beginn. Sondern erst unterwegs, da die Basler Hauptleute vernehmen, daß alle andern Orte eine Menge Freiwilliger angenommen haben, finden sie, daß Basel dies auch tun solle, „um den andern Orten gleich zu sein und seine Macht zu mehren“, und nehmen sofort in Chur hundertfünfzig „hübscher Knecht“ an; auf dem Weitermarsche stoßen noch mehr zu ihnen.

Das ist, was „nebenher läuft“. Diese Freiwilligen müssen zum Fähnlein schwören; doch geben die Hauptleute ihnen weder Sold noch Verpflegung; sie sollen „uf iren Pfennig ziechen“. Ohne Ansehen der Person. Das gleiche Freiknechtenrecht gilt für sie Alle, auch für die „edeln und namhaftigen“ Herter von Efringen von Löwenberg Schaler Truchseß von Wolhusen, die neben Basler Raufbolden vom Schlage des Matthäus Wenz und neben den von allen Seiten her kommenden Freiknechten unter dem Fähnlein Basels wider Dijon ziehen. Mit einer Schar solcher Knechte, aus Brugg und der Herrschaft Schenkenberg stammend, hat dann Basel noch jahrelang Streitigkeiten wegen ihrer Soldprätensionen.

Eine Spezialität des Basler Kontingents endlich sind die Mülhauser. Das Bündnis dieser Stadt mit Basel 1506 hat auch sie in den „Zirkel der Eidgenossenschaft“ gebracht. Dies begründet ihre Teilnahme an den Heerzügen, jedoch durchaus in der Gefolgschaft Basels. Das Verfahren ist, [112] daß Basel jeweilen Mülhausen benachrichtigt, wenn die Tagsatzung einen Zug angeordnet hat, worauf Mülhausen den Zuzug beschließt „zu Erzeigung unsres herzlichen Willens, den wir zu euch und gemeiner Eidgenossenschaft haben“. Es ist stets nur eine kleine Schar, etwa zwanzig Mann, die von Mülhausen herauf kommt. Sie wird dem Basler Haufen „angehenkt“ und zieht unter dem Feldzeichen Basels; im Musterrotel rangiert sie gelegentlich neben den aus den baselischen Ämtern Ausgelegten. Bei keinem der großen und berühmten Züge der Eidgenossenschaft fehlt dies Mülhauser Häuflein.

In solcher Weise bildet sich das Heer. Keine Heeresmacht in modernem Sinne. Wie die Eidgenossenschaft damals ihre Taten vollbringt mit einer Armee von nicht viel mehr als zwanzigtausend Mann, so hat kein einziges Aufgebot Basels die Zahl neunhundert überschritten. Daß nach mehreren Aufgeboten zuletzt sechzehnhundert Basler die Schlacht von Marignano mitgefochten haben, ist die stärkste kriegerische Leistung der damaligen Stadt.

Aber was können uns die Zahlen sagen? Sie bedeuten an sich nichts. Sie erhalten Leben und Wert nur aus der Umgebung. Die Basler Schar ist ein Teil des eidgenössischen Heerhaufens; er mag so oder anders gebildet, größer oder kleiner sein, dem Ausland ist er „das Volk in Waffen“, bestaunt durch einen Mann wie Machiavell, als unüberwindlich berühmt, den Kriegerscharen der Antike vergleichbar.

Die an äußere Maße nicht gebundene, vielmehr durch die Tüchtigkeit und das Selbstvertrauen des Einzelnen bedingte Größe der Erscheinung hat ihre Verherrlichung gefunden in Hans Holbeins Schlachtbild; das leidenschaftliche Fühlen der Mithandelnden lebt kühn und unvergänglich in Liedern weiter. Es sind die Jahre, in denen Alles Krieg führt. Und so greift die Phantasie noch über die Zeitlichkeit hinaus in jenem Wandgemälde des Muttenzer Beinhauses, im Jahre der Schlacht von Novara, wo vom allgemeinen Kriegsrufe geweckt auch die Ahnen als ein Totenheer sich aus den Grüften heben und gegen die Feinde stürmen.

Die Mannschaft wird unter das Kommando ihres Hauptmanns gestellt. Wobei aber nicht mehr wie früher der Bürgermeister von Amtes wegen als Kommandant gilt. Die persönliche Befähigung wird erwogen. So sind jetzt Hauptleute die Oberstzunftmeister Kilchman (1507) Grieb (1513) Trutman (1515), die Stubenherren Offenburg (1511 1515) und Meltinger (1513 1515), Meister und Ratsherr von Zünften Meyer (1510 1512) und Stolz (1513).

[113] Dem Hauptmanne beigegeben ist der Stab, bestehend aus dem Lütener, dem Fähnrich und dem Vorfähnrich, den Zugeordneten vom Rate, den zum Geschütze Geordneten, den Lieferherren; in weiterem Begriff noch Figuren umfassend wie Schreiber Dolmetsch Furier Weibel Boten Trabanten Spielleute. Auch der Scherer fehlt selten, und als Feldkaplan reitet ein Mönch des Augustinerklosters mit. Außerdem sind zu nennen der Koch, die Trotzknechte, und die als amtlich bestellte Begleiterinnen der Mannschaft bei keinem Heerzuge fehlenden Dirnen, die vom Rate mit Schuhen und weißschwarzen Röcken ausgestattet werden und nach der Heimkehr sich ein Trinkgeld aus der Stadtkasse holen dürfen.

Akten und Bilder in Menge vermitteln uns die Anschauung des ausgerüsteten Heeres. Dabei erscheinen der Bellenzer Zug 1603 und der Zug nach Dijon mit besonderer Sorgfalt hergerichtet. Jedenfalls wird deutlich das allmähliche Wachsen aller Ansprüche, namentlich der Herren des Stabes, und unverkennbar legt der Rat Wert darauf, daß „wir unsern eidgenossen glichformig und nit minder geachtet werden“. In der Ausstattung des einzelnen Mannes ist Basel ohnehin den andern voran; beim Novarazug z. B. ist die Rüstung der Eidgenossen dürftig; von den „nacketen Knechten“ wird geredet; außer den Baslern und Schaffhausern haben die Wenigsten einen Harnisch.

Nur bei einzelnen Zügen (Winterzug Pavia Dijon) wird Geschütz mitgeschleppt. Die Bespannung dieser Schlangen und Büchsen sowie der Troßwagen ist durch die Klöster und das Spital zu stellen.

Als Seele des Ganzen aber gilt das Feldzeichen Basels, das Fähnlein. Alle diese Züge sind im Sinne städtischer Kriegsordnung kleinere, nicht „mit ganzer Macht“ geschehende. Wollen wir uns diese Basler Kontingente auf dem Marsch oder in der Feldschlacht vergegenwärtigen, so denken wir nicht an die schweren rauschenden Banner, nicht an die dämonische Beseelung des gewaltigen Fahnentuches der Fenner Urs Grafs. Sondern über der Mannschaft weht das Fähnlein in den Stadtfarben schwarz und weiß, ohne das Ehrenzeichen des Baselstabs.

Im Werkhofe wird die Truppe gemustert. Dann zieht sie aus der Stadt, durch eine Delegation des Rates nebst Wachtmeistern Ratstrompetern und Söldnern bis über die Birs geleitet. Drüben, außerhalb des Stadtbannes, schwört die Mannschaft den Häuptern den Feldeid und dann, losgelöst von der Heimat, tritt sie den Marsch an, dem Süden, dem Kampfe, dem Ruhme zu.

Wie während dieses Marsches zu Haus in Basel Alles erregt ist, zeigen die Korrespondenzen. „Neue Mähren“ melden sich, Reisende [114] Kaufleute Rompilger Priester bringen die mannigfaltigsten Gerüchte Vom Heere selbst kommen die Rapporte der Hauptleute, die Boten laufen, oft mit derselben Meldung verschiedene Boten zur gleichen Zeit „auf beiden Straßen“. Dennoch ist der Rat immer ungeduldig, er „dürstet“ nach Briefen, er ist besorgt und unruhig und schilt die Hauptleute um ihre Lässigkeit. Er schickt Geld. Er wünscht Sieg und glückliche Heimkehr. Im Sommer 1515 steigern sich Not und Spannung aufs Höchste. Der Rat ist sichtlich voll schwerer Sorge. Neue Töne kommen in seine Schreiben; er tadelt die Mängel der Heerführung; er schickt Warnungen, die ihm wegen der Franzosen geworden sind; er mahnt zur Einigkeit; er mahnt, die Ehre Basels zu wahren. Und dabei immer aufs Neue wieder das ungeduldige Verlangen nach Berichten. „Uns wundert, daß ihr Tinte Papier und Feder schonet. Andrer lüt schriber schlofen nit.“

So ist die Stimmung im Rathause. Das marschierende Heer aber hat unterdessen allerlei Reisenot durchzumachen, Unfälle, Erkrankung von Führern, schlimme Wege u. dgl. Namentlich geben zu tun die Fragen des Soldes und der Verpflegung.

Die Kosten der Heerzüge 1503 (Bellenz) und 1513 (Dijon) fallen durchaus der Stadt zur Last. Anders ist das Verhältnis bei den auf Verlangen und Mahnung des Papstes usw. geschehenden Zügen. Da soll grundsätzlich die Verproviantierung der Mannschaft dieser selbst obliegen, wofür sie ihren Sold vom Papste usw. erhält und sich außerdem an Feldfrüchten Vieh usw. im Feindeslande sättigt. Auch die Angehörigen des Stabes haben ihren Sold vom Papst usw.; ihre Verpflegung („Lieferung“) ist Sache Basels. Daß aber auch hierüber hinaus noch die Stadt erhebliche Kosten hat, ist verständlich.

Zu den Beschwerden des Heerzuges gehört noch Anderes. Diese in den Krieg ziehenden Knechte stellen gelegentlich eine Macht dar, um deren Gesinnung und guten Willen sich der Rat sehr zu kümmern hat. Es sind zuchtlose Elemente in der Schar. Der Gegensatz der Städter zu den Leuten aus den Ämtern, die hier nebeneinander denselben Dienst tun, führt oft zu Hader und Unruhe. Und daneben tritt der weitere Gegensatz der Ausgehobenen, die gerne bald wieder heimkehren, zu den Söldnern und den Freiwilligen, denen eine lange Dauer des Krieges willkommen ist. Aufgeregte Bilder aus diesem Treiben geben uns z. B. die Meldungen vom Pavierzug 1512: die Knechte weigern den Gehorsam; mit Trommelschlag rufen sie zu „Gemeinden“, um den Hauptleuten die Meinung zu sagen wegen des Ausbleibens der Soldgelder, wegen des Heimmarsches usw. [115] Die Sommerhitze in der lombardischen Ebene ist furchtbar. Krankheiten wüten im Heere. Die Krawalle wiederholen sich, ganze Haufen sondern sich ab und ziehen auf eigene Faust heimwärts. Es „fallen seltzame Worte“, der Unwille ist allgemein, so nachdrücklich auch die Hauptleute dem Kriegsvolke zu verstehen geben, „daß wir nicht um Geld zu verdienen, sondern in der Obern Gehorsam ausgesandt sind, der Stadt Basel und unser Aller Lob Nutz und Ehre zu werben“.

Mannigfaltiges wildes Leben füllt das Wesen dieser Heerzüge, dieser Märsche. Bis endlich die Basler die Vereinigung finden mit den andern Eidgenossen und zuletzt das ferne Feld betreten, wo die Schlacht ihrer wartet.

Allgemeine Bedeutung hat als Frucht dieser kriegerischen Taten die militärische Erziehung des Einzelnen und der Gesamtheit, sowie das Bewußtsein Basels, ein kriegerisches Gemeinwesen zu sein, das Jahr um Jahr seine Truppen ins Feld schickt. Wie der Rat die Siegesbotschaft von Novara empfängt und in einem Brief an die Hauptleute erwidert, führt uns mitten hinein in eine Stimmung, die dem Rathause nicht oft beschieden gewesen ist. In diesem siegberauschten Basel ist dann das Novaraschlachtlied gedichtet worden. Und auch die einzelnen Tapfern dieses glorreichen Tages kommen da zu ihrem Rechte: Matthäus Wenz; Martin Springinklee; Jerg Trübelman, dem die Eroberung eines feindlichen Fähnleins mit einer lebenslänglichen Pension belohnt wird; Hans Nickly von Ziefen, der in der Schlacht die Rechte verloren hat, worauf ihm der Rat durch den Stadtschlosser Hertisen eine eiserne Hand anfertigen läßt.

Aber nicht nur der Tag von Novara hat seine Helden. Die ungewöhnliche Kraft dieser Zeit lebt auch in Theodor Brand, der die drei großen Schlachten von Novara Marignano Bicocca mitmacht. Henman Offenburg und Heinrich Meltinger kämpfen bei Marignano in der vordersten Reihe und werden Beide schwer verwundet. Dasselbe Schlachtfeld sieht die Kühnheit des Hans Linsi und des Fridli Hersberg, die französische Feldzeichen gewinnen. Und ebendort findet Hans Bär den Ruhm des Unterganges.

Wir gedenken noch einiger Einzelheiten, die zur Erscheinung dieser Politik und dieser Kriege gehören.

Die päpstliche Garde, als Palast- und Leibwache 1503 für Papst Julius angeworben, war gebildet durch zweihundert Schweizer, und schon frühe finden wir auch Basler in ihren Reihen. „Am höchsten Hofe der [116] heiligen Christenheit“, wie der Rat schreibt, waren Gardisten aus Basel: Lienhart Hüglin, 1513 Theodor Kösy, 1520 Bernhardin zum Luft. Der Letztgenannte, ein Neffe des Professors und Domherrn Arnold, hatte zu Haus eine Kaplaneipfründe am Münster.

Weniger bedeutend, nur eine Episode, war der schweizerische Gardedienst in Mailand, der nach der Gewinnung des Herzogtums durch die Eidgenossen eingerichtet wurde. Er währte nur wenige Jahre, bis 1515. Balthasar Meyenberg, Joder Zwilchenbart, Hans Trucher fanden von Basel her Eintritt in diese Garde. Daneben dienten Johannes Locher von Basel dem Herzog 1514 als Büchsenmacher und im Hofstaate selbst 1513 Friedrich von Eptingen, 1514 Lorenz Sürlin als clientulus und curialis.

Dieselben paar Jahre 1512—1515 hindurch bestanden auch die schweizerischen Besatzungen der Schlösser Mailand und Cremona. Dem Protektorate der Eidgenossen über das Herzogtum als Stützen dienend wurden auch sie durch Kontingente der Orte gebildet, und ein Platz in einem dieser „Zusätze“ war jederzeit ein Gegenstand eifriger Bewerbung. Als Basler Rottmeister in Mailand werden uns genannt Hans Graf, 1514 Konrad Meyer, 1515 Benedict Hirtlin,

Reich an Bewegung und Wechsel, schließen sich um das heimatliche Kriegswesen alle diese fernen Stätten eines Soldatendaseins, wie man es zu Hause niemals hatte, mit dem lockenden Garnisonsleben in den Kastellen Wälschlands, mit dem Dienst in fürstlichen Vorzimmern und an Palastportalen.

Wir denken auch an die Besatzungen der Tessiner Schlösser, an die Besatzungen zu Yverdon und Neuchâtel, an die königliche Garde in Paris. Daneben ist die Größe der Heerzüge Schlachten Belagerungen. Alles zusammen gibt uns den Begriff einer einzigartigen kriegerischen Erweiterung der Welt.