Geschichte der Stadt Basel. Zweiten Bandes erster Teil/8. Stadt und Gesellschaft von der rudolfinischen Zeit bis zur Reformation/1. Die Nachbarn

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Geschichte der Stadt Basel. Zweiten Bandes erster Teil/8. Stadt und Gesellschaft von der rudolfinischen Zeit bis zur Reformation
von Rudolf Wackernagel
Das Stadtregiment
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Erstes Kapitel.
Die Nachbarn.



Basels Übergang zur Eidgenossenschaft zog Aller Augen auf sich, war in Aller Munde. Die Stadt war ja nie abseits gestanden, sondern stets im hellsten Lichte und der ganzen Welt gegenwärtig. Aber zu keiner Zeit so sehr wie gerade jetzt. Diese Jahrzehnte waren für Basel, Stadt der Universität, der Künstler und der Buchdrucker, die goldene Zeit, die Zeit europäischen Ruhmes.

Als ein Zurückklingen dieser Wirkung Basels auf die Welt erscheinen die Elogien, die der Humanistenstadt damals in Menge zu Teil wurden und in denen das Bild der inclyta Basilea auch vor uns noch schimmernd aufsteigt. Neben viel allgemein lautendem Lob findet sich in dieser Literatur mit auffallender Übereinstimmung der Preis der Stärke als einer Auszeichnung Basels in seiner vorgeschobenen isolierten Lage.


Wir stellen die oberrheinischen Territorialzustände dieser Zeit dem Bilde gegenüber, das die Karte hundert Jahre früher bot, und sind erstaunt über die Veränderung: geschlossene Formation an Stelle der alten Vielheit und, da die Herzoge und Grafen zum Teil abgelöst sind durch Städte, die jetzt herrschen, ein andres Verhältnis der Kräfte, eine neue Verteilung der Accente. Das für uns Wichtige ist das Vorhandensein eines Basler Gebietes, das, durch Fremdes wenig mehr gelockert, sich bis an die Kämme des Hauensteins zieht.

Aber dieses Territorium hing mit der Stadt selbst kaum zusammen, nur durch ein schmales Band; sie war beinahe völlig von Fremden umgeben.

Wenn Basel sich über seine Lage ins Klare setzte und seine Nachbarschaft musterte, so wurde es inne, eine vereinzelte Stadt mitten zwischen Fürstenland zu sein. Zu diesem bestimmten Gefühl kam die Gewißheit, daß das allgemein übliche, grenznachbarliche Übelwollen auch hier nicht fehle. Und doch in wie Vielem war Basel auf die Nachbarschaft angewiesen; ein großer, in Ländereien und Gefällen bestehender Teil des Basler Vermögens, die Quellen zahlreicher [192] Brunnen Basels, das Wuhr der Kleinbasler Teiche lagen jenseits der Grenze. Auch an die mannigfachen Maßregeln der Basler Stadtwirtschaft ist zu erinnern, mit denen diese über den politischen und stadtrechtlichen Machtbereich hinaus eine Herrschaft geltend zu machen suchte: die Bannmeile, den Neuen Weg, den Rheinzoll in Kleinkems, die Zollwärter zu Eimeldingen und beim Grenzacher Horn usw.

Freilich stand dem gegenüber, daß Basel diesen selben umliegenden Landen in ganz einziger Weise wichtig und unentbehrlich war. Jedem Bauer, der frei werden wollte, galt diese Stadt als das gegebene Ziel seiner Wanderung, als die künftige Heimat. Sie bot jedem Bedürfnisse die Befriedigung, jeder Not die Hilfe. Sie war die starke wohlgerüstete Festung. Aber auch das mächtige Gotteshaus, reich an Reliquien Gnaden Trost und heiligem Prunke, jede Form kirchlichen Lebens gewährend. Überhaupt Alles das, was Größe auszeichnet vor Kleinheit, was ein Stadtwesen heraushebt über das offene rauhe, stets von Entbehrung und Gefahr bedrohte Land. Die Besonderheit Basels aber lag darin, daß diese ganze Summe von Bedeutung hier bestand und anerkannt wurde über Grenzen und Herrschaftsverhältnisse hinweg, daß gleichsam in Verleugnung des geschichtlichen Ganges der alte Anfangszustand noch immer wirkte, da Basel der erste Ort am Oberrhein gewesen war, von ihm aus die ganze Gegend Licht und Leben empfangen hatte. So sehen wir, nicht in Ausführung von Bünden oder Verträgen, sondern Kraft unvertilglichen eigenen Wesens und alten Herkommens Basel zu allen Zeiten, oft dicht neben den leidenschaftlichsten Wirrungen und Kämpfen, dem oberrheinischen Lande Markt Vorrats- und Kaufhaus Werkstatt Schatzkammer Burg sein. Die Untertanen derselben Herren, die Basels Feinde sind, flüchten zur Kriegszeit sich und ihre Familie, ihren Viehstand, ihr Getreide hinter die Mauern Basels. In ähnlicher Weise dient Basel als Refugium auch Herren und Städten dieser Lande, die ihm zu Zeiten ihre Juwelen Prunkgeschirre Zinsbriefe Privilegien u. dgl. in Aufbewahrung geben.

In solcher Weise stand und wirkte Basel in seiner Nachbarschaft. Und wenn es oft vom Gefühle der Exponiertheit, des Vereinsamtseins bedrängt war, so kannte es auch seine Kraft, den Schirm seiner mächtigen Fortifikationen, seines vielbewunderten Geschützwesens, seiner ausgebildeten Regierungskunst.


Umgeben war die Stadt zunächst von zahlreichen kleinen Herrschaften.

Zu beiden Seiten des Rheins saßen Adlige, die in den verschiedensten Formen und Ausdehnungen Herrenrechte übten. Droben in Bettingen [193] regierten die Truchsesse von Wolhusen, die dort die hohen Gerichte vom Basler Bischof zu Lehen hatten; in Grenzach die Bärenfelse; Solche waren Herren auch in Hegenheim; Eptinger geboten in Pratteln und in Hagental als Vasallen Österreichs, in Neuweiler als Vasallen des Bistums, die zu Rhein in Häsingen als Vasallen der Abtei Murbach; in Biedertal und Liebenzweiler finden wir die Wessenberg, in Benken die Schaler, auf den Schlössern des Birstals endlich die Grafen von Tierstein.

Eine vielgestaltige aber unansehnliche Welt ist die Gesamtheit dieser Herrschaften. Politisch fast ohne Bedeutung. Basel hat mit ihnen kaum Andres zu verhandeln, als Dinge des täglichen Verkehrs und der Nachbarschaft. Aber gerade in solchen zeigt sich der Gegner oft am quälendsten und hemmendsten. Und bei der Mehrzahl dieser Herrschaften schimmert allezeit durch ihren Flitter der dauerhaftere tiefere Glanz der großen Gewalten, deren Diener und Getreue sie sind.

Hiebei ist vor Allem an Österreich zu denken. Noch immer, auch nach den glücklichen Territorialerweiterungen Basels, hatte dieses Herzogshaus die Macht am Oberrhein; es war der große Nachbar, mit dessen Vorhandensein Basel allezeit zu rechnen hatte.

Sodann die Markgrafschaft Hochberg-Röteln. Der alte Markgraf Rudolf III., († 1428) war kein großartig wirkender Fürst gewesen, aber klug und geschickt, lange genug lebend um etwas zu erzielen. Nach ihm begann der Niedergang des Hauses. Sein Sohn Wilhelm verlor als überschuldeter Mann Regiment und Land. Bei Rudolf IV., sodann und dessen Sohne Philipp kam das merkwürdige Hereinwirken wälschen Wesens. Schon Wilhelm hatte solche Beziehungen gehabt und war Gesandter des Herzogs Philipp von Burgund beim Basler Konzil gewesen. Markgraf Hugo erscheint zu Brüssel im Gefolge Karls von Charolais. Markgraf Rudolf macht für Deutsche, die den burgundischen Hof besuchen, gelegentlich den Dolmetsch, und unter den Novellenerzählern an der herzoglichen Tafel tut er sich so gut hervor, wie später sein Sohn der Marquis de Rothelin, Philipp, Marschall von Burgund. Dieser wird bei Nancy gefangen; dann dient er dem König von Frankreich gegen Maximilian; seine Gemahlin ist Maria von Savoyen. Zu dem Allem tritt noch der Besitz von Neuchatel, das die Markgrafen von Graf Johann von Freiburg geerbt haben. Nichts Zufälliges, nichts nur Momentanes ist dieser Zustand. Es handelt sich vielmehr um ein starkes tiefgehendes Verhältnis, um eine ganz bestimmte Richtung. Und das Bild der letzten Hochberger gewinnt dabei unleugbar Glanz und fremdartige Feinheit. Aber für das Land war dieses Treiben, das sich nur noch in weiten Horizonten gefiel, [194] ein Verhängnis. Gerade hier an dieser schicksalsvollen, stets bewegten Ecke und gerade jetzt in diesen Jahren stürmischer Entwickelung würde ein Regiment genützt haben wie das des alten Rudolf gewesen war.

In der Basler Politik galt die Markgrafschaft nie als eine gefährliche Macht. Sie imponierte in keiner Weise. Aber man stand im engsten nachbarlichen Verkehre. Ein nie nachlassendes, vielmehr stets wachsendes, tausendfach geformtes Zusammenleben der beiden Bevölkerungen, in wirtschaftlichen und persönlichen Beziehungen aller Art sich bezeugend, waltete seit Jahrhunderten über die Grenze hin und her. Für den Bewohner des Markgrafenlandes war Basel seit Alters „die Stadt“, für den Bauer so gut wie für den Fürsten. Die Markgräfin Katharina, eine geborne Tiersteinerin und Frau des 1353 gestorbenen Rudolf von Hochberg-Sausenberg, verlebte ihre lange Witwenzeit in Basel und fand hier im Münster auch ihr Grab (1385); an der Eisengasse, am Fischmarkt, an der Freienstraße besaßen die Markgrafen Liegenschaften; ihr Absteigequartier lag in der Gasse bei den Augustinern. Reiche Vermächtnisse gab der Markgraf 1423 den Basler Gotteshäusern, unter diesen auch dem Clarakloster, in dem mehrere seiner Töchter den Schleier hatten nehmen müssen und 1419 an der Seuche gestorben waren.

Aber wichtiger war der tägliche Handel und Wandel auf den Gebieten der Gewerbe, der Administration, der Rechtspflege, und der in Ausübung Bestreitung Wiederherstellung Festlegung dieses Grenzlebens sich unaufhörlich bewegende Verkehr der beiden Regierungen.

Seit Basel im Jahre 1400 die großen Sisgauer Pläne des Markgrafen Rudolf vereitelt hatte, war dieser ein auf jede Schwäche und jeden Übergriff Basels rasch aufmerkender Nachbar. Wie er zu Beginn der 1420er Jahre Vogtei und Transitzoll zu Basel als Reichspfandschaften an sich zu bringen suchte, ist schon erzählt worden; in denselben Jahren hatte er mit Basel noch andern Streites die Fülle. Ein Vergleich von 1419 hatte nur kurze Rast gebracht. Erst ein Schiedsspruch, am 16. Februar 1422 durch Bischof Hartman von Basel und Boten der Städte Bern und Solothurn ausführlich und sorgsam gefällt, ordnete die Verhältnisse so, daß wir mehrere Jahrzehnte lang nichts Hauptsächliches mehr vernehmen. Der Markgraf war klagend aufgetreten wegen der Rechte zu Kleinhüningen, wegen der Wiesenfischerei, wegen Jagens der Basler in seinen Waldungen, wegen Arrestierung der Seinigen bei Schuldsachen, wegen der Steingrube am Horn usw.; Basel dagegen beschwerte sich darüber, daß die Seinen an Erbschaften im Markgräflichen gehindert würden sowie am Gebrauch der geistlichen Gerichte wider ihre dortigen Schuldner, daß der Markgraf auch den freien [195] Zug hemme, das Wuhr in der Wiese habe zerreißen lassen usw. Lauter Zank aus den Gebieten der Alltäglichkeit und daher niemals untergehend, stets sich erneuernd und mehrend. Alle diese Punkte kamen in der Tat wieder zur Sprache bei den Verhandlungen, die in den 1470er Jahren begannen; neue traten hinzu, wie Weinschlag, Marchung der Grenzen usw.; und erst der große Vertrag vom 26. Juni 1488, ergänzt am 19. März 1490, brachte alle Differenzen in Ordnung.

Es ist untunlich, diese Streitgegenstände hier im Einzelnen darzulegen. Nur von Kleinhüningen muß geredet werden. So wenig abseits diese Ortschaft lag, vor den Toren Basels und neben einer großen Heerstraße, fanden sich dennoch die Urzustände derselben Wald- und Wasserwelt, aus denen Kleinbasel hervorgewachsen, hier spät noch in den Dickichten der Erlengebüsche, in den prachtvollen Eichenwäldern. Nicht nur für das äußere Bild, auch für die Gestaltung des Lebens und des Rechtes war bestimmend das Zusammentreten zahlreicher Gewässer in dieser Gegend, der in mehreren Armen und mit wechselnder Strömung fließenden Wiese, der Bäche die allenthalben in dem feuchten schattigen Gelände aufquollen, der Altwasser die den Rhein begleiteten. Nirgends so häufig wie hier haben die Urkunden zu reden von Fischereien, von Mühlen und Wuhren, von Fähren, von Brücken.

Am Beginn der Geschichte Kleinhüningens stehen die Geschlechter von Tegerfelden und Vorgassen. Von Jenen kommen Rechte 1273 durch Schenkungan das Kloster Klingental; die Rechte der Vorgassen gehen an die von Mörsberg und die Renke über. Hundert Jahre nach jener Klingentaler Donation, 1385, kauft die Gemeinde Kleinbasel von den Edelknechten Walther und Wetzel von Mörsberg ihre Rechtsame, in der Hauptsache gebildet durch die niedern Gerichte und den Kirchensatz je zur Hälfte. Die andre Hälfte steht dem Edelknecht Ulman Renke zu, demselben, der in diesen Jahren Vogt des Markgrafen Rudolf von Hochberg auf Schloß Waldenburg ist. Auch in Kleinhüningen ist er dem Markgrafen verpflichtet, trägt Rechte und Güter von ihm zu Lehen, der überdies die hohen Gerichte und die Herrlichkeit des Dorfes unbestritten allein inne hat. Neben diesen herrschaftlich Berechtigten, dem Markgrafen einerseits, der Stadt Kleinbasel andrerseits, erscheinen zahlreiche Güterbesitzer: die Klingentaler Frauen, die Augustiner, die von Bärenfels Reich Sevogel, der Rat von Basel.

In wiederholten Kontroversen äußern sich von da an die Ansprüche, wobei nun Bürgermeister und Rat von Basel dem Markgrafen gegenüberstehen, da sie mit Kleinbasel auch die Rechte in Kleinhüningen erworben [196] haben. Der Inhalt der Gerichtsbarkeit ist umstritten; die Grenzen, zum Teil durch Wasserläufe bestimmt, sind unsicher. Jahrzehntelang gehen die Streitigkeiten, bis endlich 1488 zwischen Markgraf Philipp und dem Basler Rat eine umfassende Regelung des ganzen Verhältnisses zu Stande kommt: die Grenze wird festgesetzt und durch Bannsteine befestigt; die hohen Gerichte zu Kleinhüningen stehen dem Markgrafen allein zu; die übrige Jurisdiktion soll beiden Teilen gemeinsam gehören, indem diese die Gerichte jeder mit vier Urteilsprechern besetzen und der Vorsitz, — wofür der Kleinbasler Schultheiß und der Vogt von Weil bestimmt werden, — von Gerichtstag zu Gerichtstag zwischen ihnen wechselt, die Briefe von ihnen beiden gesiegelt, die Bußen zu gleichen Teilen zwischen ihnen geteilt werden, das Neue Haus wie bisher Gerichtsstatt sein soll; Zwing und Bann, desgleichen die Allmende Wunn und Weide sind den beiden Teilen je zur Hälfte zugewiesen; für Schatzungs- und Gescheidssachen sollen von jeder Seite je zwei Männer bestellt werden; die Ausübung des Kirchenpatronates soll wie bisher zwischen ihnen alternieren; die Grenze der Fischenzen in der Wiese wird festgesetzt; die Nutzungen des Otterbachs, des Katzenbachs, des Mühlteichs werden geordnet, das „kleine Wieslein“ der Stadt Basel zugeschieden.

Als Sache für sich erscheinen in den Kleinhüninger Streitigkeiten Fähre und Brücke. Auch hier steht zu Beginn die Tegerfeldische Schenkung an Klingental 1273; das Kloster erhielt die Hälfte des Fährrechtes, das in Kleinhüningen sowohl für die Wiese als für den Rhein gilt. Von da an ist dies Recht wiederholt bezeugt; 1429 wird es durch das Kloster dem Markgrafen geliehen; aber schon kurz nachher ist ein Viertel des Rechts Lehen der Junker Friedrich und Hans Rot und geht von diesen durch Kauf 1434 an den Rat über. Es ist dasselbe Jahr, in dem Basel auch die Wiesenbrücke baut. Kräftig sichert sich so der Rat die Transportrechte. Durch den Brückenbau verzichtet er aber keineswegs auf die Fähre; sie bleibt bestehen, und ausdrücklich wird vereinbart, daß die Befreiung der Markgräfischen vom Brückengelde sie nicht auch vom Fährgelde befreie.

Im Verkehre Basels mit der Markgrafschaft hatte der Vertrag von 1488 ähnliche Bedeutung wie im Verkehre mit Österreich die Breisacher Richtung von 1449. Auch er schloß einen langen Streit und schuf Grundlagen, die Dauer hatten. Freilich in wesentlich kleinerem Maßstabe. Die Breisacher Richtung umfaßte sozusagen Alles, was in den Beziehungen zweier Territorien Wichtigkeit als staatliches Leben besaß; hier sehen wir die minutiöse Regelung von Einzelverhältnissen eines beschränkten Gebietes vor uns.

[197] Als Markgraf Philipp diesen Vertrag schloß, waren die Tage seines Hauses schon gezählt. Wie einst hinter Markgraf Rudolf die mächtige Gestalt Bernhards von Baden sich erhoben hatte, so wirkten auch jetzt wieder unaufhörlich die nördlichen Markgrafen über die Hochberger hinweg auf Basel. Von der Tätigkeit Jacobs als Vermittlers war schon zu reden; sein Sohn Karl führte sie weiter. Anderwärts um seines kriegerischen Sinneswillen gepriesen, hatte er für Basel die Bedeutung eines Mediators. Ringsum am Oberrhein wurde er zum Ordnungsstiften berufen, und so arbeitete er auch in den zahlreichen Differenzen, die Basel in den 1460er Jahren mit Nachbarn zu bestehen hatte. Unaufhörlich sind seine Räte hier anwesend, helfen und schlichten; wiederholt kommt er selbst in eigener Person herauf, wird geehrt und bewirtet und hält seine Konferenzen.

Neben der Lässigkeit der letzten Hochberger wirkt das geschlossene kräftige Handeln dieses Fürsten um so lebendiger, und daß sein Haus schließlich Jene beerbte, erscheint wie eine Notwendigkeit. Durch die Erbeinung, am 26. August 1490 zwischen Markgraf Philipp und Karls Sohn Christoph geschlossen, wurde dieser Übergang vorbereitet.


Nun aber das Verhältnis der Stadt zum Bischof.

Vom Herrn der Kirche Basel ist dabei nicht die Rede, an die weltliche Fürstlichkeit des Bischofs nur zu erinnern.

In Basels Nähe waren noch Riehen und Bettingen, Istein und Schliengen, sodann Neuweiler Allschwil Binningen Bottmingen Oberwil Reinach Birseck bischöflich. Auch sonst trat das bischöfliche Regiment noch sichtbar genug hervor, in diesen spätern Zeiten sogar oft wieder mit einem Glanze, dessen es lange entbehrt hatte, und die alte Souveränetät offenbarte sich in Einzelnem noch feierlich genug, z. B. in der durch jeden Bischof neu geschehenden Belehnung des österreichischen Herzogs mit der Grafschaft Pfirt. Auch ist bemerkenswert, wie jetzt die bischöfliche Regierung von der Person des Bischofs sich löst. In früherer Zeit glauben wir Alles von diesem selbst ausgehen zu sehen; als Sekretär dient ihm einer der Domkapläne. Aber neue Staats- und Verwaltungsbegriffe schufen auch hierein neues Beamtentum, und wir vernehmen jetzt zumeist statt des Bischofs seine Räte, sehen vor Allen tätig den Vikar und den Kanzler. Der Letztere ist jetzt nicht mehr Kleriker, sondern Laie, und erweist sich zu Zeiten als interessante Figur. So jener Wunewald Heidelbeck, der vier Jahrzehnte hindurch, unter den Bischöfen Friedrich Arnold und Johann, der Kirche Basel diente; sein Nachfolger und gleich ihm Kanzler dreier Bischöfe war [198] der, wohl durch Bischof Johanns Vermittlung von Speyer herauf gebrachte Jost Keller.

Aber dieser Fürst von Basel besaß in seiner Kathedralstadt selbst die wenigsten Rechte mehr; eines nach dem andern war an den städtischen Rat übergegangen.

Schon Bischof Otto von Grandson, zu Beginn des XIV. Jahrhunderts, hatte der Stadt den Bannwein verpachtet; nach mehreren Erneuerungen der Pacht erwarb ihn der Rat 1350 durch Zahlung von siebzehnhundert Gulden, mit Einräumung des Wiederkaufs um dieselbe Summe. Sodann die Verpfändungen von 1373: um viertausend Gulden versetzte Bischof Johann der Stadt Basel seine Münze und gleichen Tags um zwölftausendfünfhundert Gulden seine Zölle samt allen Zubehörden, auch mit der Frohnwage, dem Müttamte, dem Zollholze, den Zöllen und Nützen vom Salzverkauf Fremder, den Nützen von den gesalzenen Fischen, den Zöllen und Nützen von den Schmieden Kupferschmieden Schuhmachern Käuflern.

Nach Markt- und Verkehrsrechten die Gerichtsbarkeit: 1385 versetzte Bischof Imer der Stadt die Schultheißenämter in Großbasel und Kleinbasel um tausend Gulden.

Und nach den Hoheitsrechten in der Stadt das Territorium: vom Bischof Humbert erwarb der Rat die Herrschaften Waldenburg Homburg Liestal um zweiundzwanzigtausend, sowie um tausend auf den Bau der Festen Waldenburg und Homburg zu verwendende Gulden.

1404 gingen die Ämter des Brotmeisters und des Vitztums, die der Bischof 1361 dem Jacob Fröwler geliehen, 1380 dem Peter Hans Fröwler und 1388 dem Hugo von Laufen verschrieben hatte, durch Verkauf des Letztern und mit Willen des Bischofs um vierhundert Gulden lösbar an die Stadt über.

Zu diesen Erwerbungen durch Satzung kam 1425 ein Rentenkauf: Bischof Johann verkaufte der Stadt um sechstausend Gulden einen Zins von dreitausend Gulden von den Einkünften des Siegels seines Gerichtshofs zu Basel, von den Biennien in Stadt und Bistum und von seinen Gefällen zu Laufen Delsberg Biel Neuenstadt und im Oberland.

Wir beachten endlich, daß zwischen den einzelnen Verpfändungen wiederholt weitere Darleihen durch die Stadt gegeben wurden, die dann als Erhöhungen zu den verschiedenen Pfandsummen geschlagen wurden; die Stadt erschwerte damit den Wiederkauf und sicherte ihren Besitz. Unter Beachtung dieser Nachträge ergibt sich folgende Übersicht; sie stellt den Zustand der gesamten Pfandschaft um die Mitte des XV. Jahrhunderts dar:

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Gulden Gulden
1350 Bannwein 1700
1373 Zölle 12500
hiezu Erhöhung 1394 2623
   1431 1000
   1437 800 16923
1373 Münze 4000
hiezu Erhöhung 1385 1000 5000
1385 Schultheißengerichte 1000
hiezu Erhöhung 1431 1000 2000
1400 Herrschaften im Sisgau 22000
    für Bau 1000
hiezu Erhöhung 1431 5000 28000
1404 Brotmeister und Vitztum 400
hiezu Erhöhung 1437 200 600
1425 Siegel Biennien usw. 6000
hiezu Erhöhung 1000 7000
1439 Füllinsdorf 1600
62823

Wir bemerken ergänzend, daß auch das Recht des Fuhrweins (Abgabe vom Weinverkauf) von den Bischöfen versetzt wurde, zuletzt 1436 an die Weinleutenzunft um sechshundert Gulden.

Diesem gewaltigen Komplex der als Pfänder weggegebenen Rechte gegenüber steht der kleine Bereich noch geltender Berechtigungen des Bischofs in der Stadt. Sie sind aufs mannigfaltigste geformt, das Einzelne ist geringfügig; in ihnen lebt frühes Mittelalter jetzt noch, spät, inmitten völlig veränderter Rechts-, Wirtschafts- und Gesellschaftszustände.

Das namhafteste dieser Rechte war der Martinszins. Er wurde dem Bischof von den Hofstätten eines Teiles der Altstadt entrichtet; jährlich am Martinstag geschah die Einsammlung durch die Stadtknechte unter Führung von Vogt Schultheiß und Amtleuten des Schultheißengerichts und in Geleit der Beamten des bischöflichen Hofgerichts; das gesammelte Geld wurde an die bischöfliche Kasse abgeliefert. Tags darauf war gerichtliche Verhandlung gegen die in der Zahlung säumig Gewesenen.

Ferner sind zu nennen die den bischöflichen Erbämtern zustehenden Rechte. Das Marschalkenamt gehörte erblich dem Ministerialengeschlechte der [200] Marschalken, seit deren Erlöschen 1414 den von Eptingen; das Kämmereramt je zur Hälfte den Reich und den Münch; das Schenkenamt seit 1377 den von Bärenfels; das Truchsessenamt den von Schönenberg. Lehenbuch und Lehenbriefe zählen die Zugehörigen eines jeden dieser Ämter auf, in feierlicher Redaktion, zum Teil noch mit archaistischer Bildlichkeit der Bestimmungen. Neben Gütern vor St. Johann und Zehntrecht in Kleinbasel bemerken wir namentlich folgende Pertinenzen: wenn eine neue Münze geprägt wird, darf Jeder, der eines der Erbämter hat, einen Griff in die Münze tun und was ihm in der Hand bleibt behalten; vom Rheinbrückenzoll hat er jährlich ein Bestimmtes, teils in Geld teils in Pfeffer, zu beziehen; der Brotmeister ist ihm zu Lieferungen verpflichtet. Hieraus wurden nun infolge des Pfanderwerbs dieser Rechte und Verwaltungen Lasten der Stadt. Den Griff in die Münze freilich suchte sie gelegentlich zu bestreiten; aber die andern Verpflichtungen galten weiter und wurden erfüllt bis ins XIX. Jahrhundert. Alljährlich hatte der Rat den Erbämtern zu entrichten: auf Lichtmeß zwei Pfund Pfeffers oder den Gegenwert in Geld und auf Martini ein Pfund acht Schillinge, beides vom Rheinbrückenzoll; das waren die Zahlungen, die in der spätern Kanzleisprache „Rathauszinse“ hießen. Zu ihnen kamen, gleichfalls den Erbämtern gebührend, die Lieferung von zwei bis drei Ofenbroten durch den Brotmeister; sie sollten so groß sein, daß sie auf der Erde stehend einem Manne bis über die Kniee reichten und der Berechtigte sich ein Morgenbrot oberhalb der Kniee abschneiden konnte. Außerdem hatte der Brotmeister jährlich einzelnen Dienstmannen des Bischofs je fünf Viernzel Roggen zu entrichten, neben den Geschlechtern, die mit den Erbämtern begabt sind, den zu Rhein, den Schaler, den von Flachsland, den zur Sonnen. Wir sehen hier Altertümer vor uns, die zurückweisen auf untergegangene Zustände von Hofhalt und Herrschaft; mit dem Brotmeisteramt gingen sie auf die Stadt über und erschienen dann hier in der Kassenführung als „Brotlaubenzinse.“

Andre Berechtigungen waren die den niedern bischöflichen Ämtern zustehenden. Wir lernen eine große Zahl solcher Ämter und Ämtlein kennen, und das behagliche Bild dieser reichgestalteten Hofhaltung ist uns z. B. in den Rechnungen Johanns von Venningen lebendig dargestellt. Das Speisamt, das „fryampt“, das Maueramt, das Bulgenamt besaßen zahlreiche Güter und Gefälle in der Stadt oder deren Bann, auch bei Hegenheim Schönenbuch usw. Der Bischof verlieh die Nutzungen dieser Ämter, und der Rat behauptete zu Zeiten die Zehntfreiheit der betreffenden Güter. Auch ein Schenkenamt fand sich in dieser untern Schicht, von dem vornehmen Hofamt gleichen [201] Namens zu unterscheiden; ferner ein Kelleramt. Das Besenamt gab das Recht zur Erhebung einer Gebühr von allen Holzwaren (Schüsseln Tellern Löffeln Holzschuhen Spindeln Käfigen Rechen usw.), die auf dem Basler Markt durch Fremde zum Verkaufe kamen. Auf das alte Wechsleramt gründete sich das noch im XV. Jahrhundert geübte Recht des Bischofs, nach seinem Amtsantritt einen Hausgenossen zu Basel zu ernennen.

Neben dem privaten Rechtsverhältnis, demzufolge der größte Teil der Macht der Stadt nur auf einem Pfandrechte ruhte, stand ihre öffentlich rechtliche Beziehung zum Bischof. Tatsächlich ohne lebendige innere Kraft mehr, aber wichtig als große Form, die noch immer den alten Begriff bischöflicher Stadtherrschaft festhielt.

Das Wesentliche hiebei war die Handfeste, die jeder Bischof bei seinem Regierungsantritte der Stadt erteilte. Und zwar bis zu Beginn des XVI. Jahrhunderts ungeändert die alte Handfeste des XIII. Jahrhunderts: mit dem Versprechen, der Stadt jährlich auf Erfordern Bürgermeister und Rat zu geben; mit der Ordnung dieser Ratswahl; mit der Bestätigung aller städtischen Freiheiten und Gewohnheiten und der Zünfte; mit dem Gelöbnis, den Bürgern zu helfen und zu raten wider Jedermann; mit der Zusage, ohne ihre Einwilligung keine Steuer von ihnen zu erheben. Dies Alles beschwor der Bischof bei Erteilung der Handfeste und empfing dagegen den Eid von Bürgermeister und Räten, daß auch sie diese Vereinbarung halten würden.

Durch die Handfeste hatte einst Heinrich von Neuenburg den Beziehungen zwischen Bischof und Stadt den Charakter eines Bündnisses gegeben. Der Gedanke einer Zusammengehörigkeit war damit auch jetzt noch ausgesprochen; aber er besaß seine alte Bedeutung schon lange nicht mehr. Er war zum Gefühl und zur gedankenlosen Gewohnheit geworden. Ein Hindernis bildete er jedoch nicht. Von Episkopat zu Episkopat und von Ratsjahr zu Ratsjahr nahm man das alte Handfesterecht ruhig mit hinüber.

Man hielt auch noch andre, geheiligte, zeremoniell geordnete Bräuche als nicht zu beseitigende Teile dieses internen Basler Staatsrechtes fest: die Schenkung eines Bechers durch den Rat an den neugewählten Bischof; die Darreichung des Ratsehrenweins an den Bischof wenn er hier einritt, den Rat besuchte, im Münster das Hochamt sang; die Teilnahme des Rates an der Bestattung eines Bischofs und an den Jahrzeiten der verstorbenen Bischöfe; die Besorgung der bischöflichen Lande und Festungen durch den Rat in Zeiten von Sedisvakanz.

[202] Merkwürdig kontrastiert mit dem Allem, wie entkleidet der Bischof von wirklicher Fürstenhoheit zu Basel war. In der unter Bischof Gerhard von Wippingen beginnenden Entfremdung zwischen Bischof und Stadt angekündigt, dann durch allerhand Übergriffe des Rates schon vor der formellen Dahingabe vorbereitet, war diese Depossedierung seit Ende des XIV. Jahrhunderts tatsächlich vollzogen. Dem entsprach, daß der Bischof seiner Stadt auch persönlich ferne trat. Als er einmal, durch die Not der Zeit gedrängt, das ganze Jahr 1445/46 hindurch in Basel weilte, fiel dies auf. Der alte Stadtherr war zum Nachbar geworden.

So erscheint das ganze, in Handfeste und Solennitäten festgehaltene Wesen wie eine Unwahrheit, jedenfalls wie ein Anachronismus. Dennoch hielt man es fest. Zum Teil wohl aus Gewohnheit, durch die magische Gewalt des Herkommens gebunden, vielleicht in einem Gefühle von Pietät. Namentlich aber, weil man beiderseits einen Vorteil dabei fand.

Der Bischof jedenfalls. Wenn er Lust und Kraft hatte, konnte er gemäß der Handfeste die Wiederherstellung des Rechtszustandes versuchen, der vor zweihundert Jahren gegolten hatte. Die Erteilung der Handfeste und der jährliche Eid des Rates gaben ihm jederzeit Waffen in die Hände. Daher denn auch die wiederholten Streitigkeiten und dann der große Kampf, der das Ende des XV. Jahrhunderts erfüllt. Wenn aber in ruhigen Zeiten der Bischof die Stadt gewähren ließ und trotz ihrer dem alten Bischofsrecht entgegenlaufenden Entwickelung sich durch die jährliche Ratsgewährung mit Allem einverstanden erklärte, so mochte er das tun, weil er sich unleugbar auf die Stadt angewiesen sah. Denn der städtische Rat war und wurde immer mehr der Schirmer, der Helfer, der Ratgeber, überhaupt der Starke. Mit dieser tatsächlichen Kraft mußte mehr gerechnet werden als mit Prinzipien. Basels Macht gab auch dem Bistum Ansehen und schuf Hilfe in Nöten. Brauchte der Bischof Geld, so fand er es nirgends so leicht als in dieser Stadt. Was er hier vornahm, war zu überblicken, während das Hereinziehen eines Fürsten in die Bistumsangelegenheiten die größten Gefahren barg.

Aber auch die Stadt hatte ein Interesse daran, daß ihre Beziehungen zum Hochstift äußerlich die alten blieben. Es konnte dem Rate zu Zeiten gelegen sein, Basel als eine Stadt des Bischofs auszugeben. Wir haben gesehen, wie er dies gegenüber Frankreich und gegenüber dem deutschen Kaiser tat. Sodann aber kommt in Betracht die Beschaffenheit des Rates selbst, seine Mischung aus Ständen und Parteien. Die Führer waren Führer nicht nur um ihrer Persönlichkeiten willen, sondern auch Dank diesem [203] System der Ratsverfassung. Mit der Handfeste würde die Grundlage ihrer Macht gewichen sein.


Die früheren Bischöfe sind in ihrem Verhältnis zur Stadt schon geschildert worden; wir haben uns nur noch mit der Zeit nach 1450 zu beschäftigen. Gemeinsam ist den Episkopaten dieser Periode, daß keine Verpfändungen bischöflicher Rechte an die Stadt mehr vorkommen; vielmehr wird jahrzehntelang um Recht und Herrschaft gekämpft.

Nur während des ersten Episkopats nicht. Die Zeit war von langen Kriegen ermüdet, hatte ihre Kräfte erst wieder zu sammeln. Dieser allgemeinen Stimmung entspricht auch das Bild der sieben Regierungsjahre des Bischofs Arnold von Rotberg 1451—1458.

Man hat den Eindruck eines durchweg ruhig und ungehemmt sich Vollziehenden. Schon darin, wie Arnold, Sohn des mächtigen Bürgermeisters Hans Ludman von Rotberg und Bruder der großen Donatorin Sophia Zibol, von diesem Ansehen begleitet rasch seinen Weg macht, durch Studien in Heidelberg und Bologna und durch die Würden des Domkapitels bis zur höchsten Stelle. Nach Bischof Friedrichs Tode wurde er am 29. Januar 1451 durch das Domkapitel einstimmig erhoben; am Pfingstsonntag empfing er die Konsekration; wenige Tage später gab er der Stadt die Handfeste und seinen Bruder Bernhard zum Bürgermeister. Hieran schloß sich sofort die schöne Szene des Fronleichnamstages, da Arnold seine erste Messe als Bischof sang, die vornehmsten Prälaten des Domstifts zum Erstaunen der Kleriker ihm am Altare dienten, der Rat ihn beschenkte, bei der Prozession alte angesehene Herren wie der Baron von Ramstein, Hans Rot, Henman Offenburg ihm den Baldachin trugen. Es ist sicherlich nicht Zufall, daß die Chronisten alle diese Einzelheiten melden. Auch ihnen erschien der milde Glanz der Fürstlichkeit und Andacht, der von Anbeginn die Gestalt Rotbergs umfloß, als etwas Überraschendes; Basel hatte schon seit langem nicht mehr einen seiner Bischöfe diese Funktionen verrichten sehen. Als dann Arnold nach wenigen Jahren sanft und unversehens starb, am 6. Mai 1458, hinterließ er die Erinnerung an einen Fürsten, der Allen sympathisch gewesen war. Mit ungewöhnlicher Wärme des Gefühls wurde seiner im Totenbuche des Münsters gedacht so gut wie in der Rats-Chronik, und ein hervorragend schönes Grabmal zeigt uns die Anmut seines Wesens noch heute.

Großes allerdings ist von ihm nicht zu melden, wie überhaupt nur wenige Leistungen überliefert sind: der Bau des Bischofspalastes, die Abschaffung [204] der an gewissen Festen vor dem Münster abgehaltenen Jahrmärkte, die strenge Aufsicht auf den Wandel der Geistlichkeit; mit dem Rate der Stadt war er an Kodifikationen des Basler Rechtes beteiligt und traf eine Vereinbarung über die geistliche Gerichtsbarkeit. Wenn im übrigen Stille um ihn herrscht, so ist dies nicht Zeichen von Untätigkeit. Er übernahm ein vom Krieg schwer getroffenes Bistum und tat nun ohne Geräusch seine Pflicht des allmählichen Heilens und Erneuerns. Daß er dabei auf allen Seiten das Lob eines Friedefürsten, eines frommen und guten Mannes sich erwarb, war doch nichts Kleines und läßt ihn auch zwischen den kräftigeren Gestalten von Vorgänger und Nachfolger mit Ehren bestehen.


Wenige Tage nach Arnolds Tode, am 17. Mai 1458, wählte das Domkapitel einstimmig seinen Dekan Johann von Venningen zum Bischof.

Dieser war schon 1439 mit einem Kanonikat am Basler Münster ausgestattet worden. Vor kurzem, nach dem Tode Johanns zu Rhein, hatte er den Dekanat erlangt; den Domdekanat zu Speyer besaß er schon seit mehreren Jahren.

Wir dürfen fragen, wie das Basler Kapitel dazu kam, diesen Pfälzer zu wählen. Warum nicht einen eingebornen Herrn, etwa den Hatstat oder einen der beiden Andlau? Der Vorgang ist nicht klar. Aber nahe liegt, an Einwirkungen des Enea Silvio zu denken, der damals schon Kardinal und in den deutschen Angelegenheiten Hauptberater des alten Papstes Calixt war. Er hatte Beziehungen zu Basel; ebensolche zu Speyer. Mit Johann von Venningen war er unlängst in Rom selbst zusammen gewesen. Hiezu kommt, daß der Bischof von Speyer, Johanns Bruder Siegfried von Venningen, und das dortige Domkapitel den deutschen Fürsten, die den Verletzungen der Konstanzer und Basler Dekrete durch die Kurie und den Bedrückungen der deutschen Nation durch Zehnten und Ablässe entgegenzutreten erklärten, sich nicht anschlossen. Speyer stand auf der Seite Roms. Nun sollte die Basler Bischofswahl auch dieses Hochstift von der antipäpstlichen Opposition fernhalten, und das geschah am besten durch die Erhebung des Speyrer Dekans Venningen. Ohne Zweifel machte der Basler Domherr Hans Werner von Flachsland, von dem an andrer Stelle noch zu reden sein wird, bei all diesen Verhandlungen den Agenten. Er besaß das Vertrauen des Enea; jetzt in Folge der Wahl Venningens rückte er in die schon früher erstrebte Basler Domdechanie ein. Vor bald vierzig Jahren hatte sein Vater Hans von Flachsland dem Bistum ähnliche Dienste geleistet durch Heranbringen des Johann von Fleckenstein, und wie damals mögen [205] auch jetzt neben den Absichten der Kurie persönliche und örtliche Interessen mitgewirkt haben.

Genug, die Wahl geschah. Am 12. Juli gab der Papst durch Provision seinen Willen dazu; schon vorher, am 17. Juni, hatte Johann als Elekt der Stadt die Handfeste erteilt, seinen Huldigungsritt durch die Diözese getan und diese in Besitz genommen.

Wie einst bei Fleckenstein so sehen wir auch jetzt wieder eine Kraft am Werke, die in Basler Dingen sich noch nicht verbraucht hat, die frei ist von allen Rücksichten; nach der vorbereitenden Tätigkeit Rotbergs konnte Venningen um so zuversichtlicher an die Wiederaufrichtung des Bistums gehen. Eine Reihe wichtiger Handlungen zeichnen sein Regiment aus: die Wiedergewinnung der seit 1386 verpfändet gewesenen Herrschaft Pruntrut, die Kämpfe die er um Hoheit und Recht mit der Propstei Münster und mit den Städten Bern und Basel führte; die Erwirkung großer Indulgenzen des Papstes, die Reformierung des Leonhardsstiftes, die Teilnahme an der Gründung der Universität. Diese Leistungen zeigen, eine wie komplette Persönlichkeit Venningen war, wie gut er die doppelten Regentenpflichten, die Kirche und Welt ihm auferlegten, zu erfüllen vermochte; und daneben bringt eine reiche Fülle einzelner Aeußerungen uns sein tagtägliches Leben nahe bis zum Gemütlichen und zur Liebhaberei. „Er hatte im Ausgeben eine große, im Einnehmen eine glückliche Hand“, rühmte ein Chronist. Dieses Glück des Einnehmens erschien freilich Manchen, auf die er griff, als lästig, so daß der Basler Witz ihm sofort das Wortspiel des Johann von Pfenningen widmete und Knebel über seine Härte schalt. Aber Knebel blieb auch als Kaplan des Münsters der alles ihm Uebergeordnete kritisierende kleine Vorstadtbürger. Wie ganz anders vermochte sein Kollege Gerung den Bischof zu begreifen und zu schildern; und die Herren von St. Ursanne priesen ihn als den Beschirmer des Klerus, als den treuen Hüter des Vaterlandes.

Auch unser Auge ruht mit Freude auf der Erscheinung dieses Venningen. Sie zeigt nach keiner Richtung ein Extremes, unter dem das Andre gelitten haben würde. Wie er schon im Aeußern durch Schönheit und stattliche Haltung sich auszeichnete, so ist auch das Bild, das die geschichtlichen Nachrichten von seinem Wesen geben, ein durch und durch gesundes, wobei im Gegensatz zu dem reservierten Arnold von Rotberg so gut wie zu dem ruhelosen Caspar zu Rhein ein Gefühl fürstlicher Würde und wahren kräftigen Behagens über Mensch und Umgebung ruht. Er versah sein Haus aufs beste; er liebte und las Bücher; er erfüllte alle Pflichten am Altar. Aber [206] das Erkennbarste ist sein Herrscherbewußtsein, das auch den Wert äußerer Repräsentation kannte. Wir sehen ihn in wichtigen Momenten mit seinem ganzen Hofstaat und allen Beamten aufrücken; den schlecht ausgestatteten Bischofshof zu Basel füllt er mit seinem Reichtum an Geschirr und Gerät, die Ställe mit seinen starken Hengsten; an die Wand des großen Saales läßt er die Wappen aller Vasallen des Hochstifts, voran des Fürsten von Oesterreich, malen; in Pruntrut und Delsberg errichtet er prächtige Residenzen; er auch ist nach langer Zeit wieder der erste Basler Bischof, der sich draußen an den großen Weltversammlungen zeigt, 1460 am Kongreß zu Mantua, 1471 am Reichstag zu Regensburg, wo er alle Pracht entfaltet die ihm möglich ist. Zuletzt will er auch im Tode noch Herr sein über das Geschehende; die Dinge dürfen nicht gehen nach dem Belieben der Andern; sein Begräbnis, seinen Nachlaß, sein Andenken sichert er bei Zeiten durch Befehle.

Venningens Verkehr mit der Stadt war anfangs ruhig und friedlich. Er ließ sich bei Streitigkeiten des Rates wiederholt als Schiedsrichter gebrauchen, zahlte pünktlich die Zinsen von der Fleckensteinschen Schuld usw. Von Rechtsansprüchen verlautet noch nichts. Nur beiläufig, im Juli 1462, als der Rat vor den Kaiser geladen wurde wegen seiner Verweigerung der Reichshilfe, ließ ihm der Bischof empfehlen, dem Kaiser nicht weiter entgegenzukommen als sich mit des Hochstifts Rechten vertrage; von diesem ja rühre alle Herrschaft in der Stadt her; ihm schwöre der Rat jährlich, dem Kaiser aber gar nicht.

Dies die Vorboten. Vier Jahre später war der Stadt der Streit angekündigt. In umfassender Weise gab Venningen zu erkennen, wie er die Lage ansehe und was er fordere. Die ganze zweihundertjährige Entwickelung der städtischen Freiheit stellte er in Frage.

Was ihn hiezu trieb, war zunächst sein eigener Wunsch, die Verluste des Bistums nach Möglichkeit wieder zu decken. Außerdem ließ ihm das Domkapitel keine Ruhe, drängte ihn, Ansprüche geltend zu machen. Er selbst redete später davon. Wir bemerken, daß gerade in diesem Jahre 1466, da der Streit begann, der tätige Hans Werner von Flachsland als Dompropst an die Spitze des Kapitels trat.

Der Beachtung wert ist aber, daß man, nach den ersten Eröffnungen des Bischofs an die Stadt, einer akuten Entscheidung doch aus dem Wege ging. Man wollte die Angelegenheit nicht vor ein Schiedsgericht bringen, keinen Spruch provozieren; Vertrauensmänner, durch jede Partei aus den Leuten der Gegenpartei gewählt, sollten eine gütliche Verständigung zu bewirken suchen.

[207] Am 12. September 1466 traten im großen Saale des Bischofshofs die Parteien vor diese Vermittler, als welche durch den Bischof bezeichnet Bernhard von Laufen und Hans Bremenstein, durch den Rat bezeichnet Thüring von Hallwil und Heinrich Reich funktionierten.

Bischof Johann brachte seine Anliegen vor, in zweiunddreißig Artikel gefaßt, ausführlich formuliert. Aber mit wenig Ordnung — Begehren kam neben Begehren zum Vorschein — und auch nicht konsequent im Einzelnen, indem er einerseits für die Kompetenz des Schultheißengerichts als seines Gerichts eintrat gegenüber der Gerichtsbarkeit der Unzüchter, andrerseits aber die Rechte des geistlichen Gerichts wahrte gegen die Eingriffe des Schultheißengerichts. Diese Wahrung der Rechte des geistlichen Gerichts nimmt in der bischöflichen Beschwerdeschrift den breitesten Raum ein. Inhaltlich wichtiger ist, daß der Bischof sich selbst als Herrn des Schultheißengerichts geltend macht, daß er zwei Drittel von den Vogteibußen beansprucht, die Wahl des Bürgermeisters durch die Kieser begehrt, der Stadt das Recht zur Ungelderhebung bestreitet. Andre Forderungen treten hinzu: die Freiheiten der Geistlichkeit sollen respektiert werden; zur jährlichen Eidesleistung soll die ganze Gemeinde sich stellen; die Ehrengeschenke an den Bischof und die Feier der bischöflichen Jahrzeiten durch den Rat, die Bezündung der Münsterleuchter durch die Zünfte sollen nach Herkommen geschehen; der Markt soll wieder vor dem Münster gehalten, die Aufstellung von Kramläden am Münster wieder gestattet werden usw.

Dies das Einzelne. Aber welcher Art Gesinnung und Auffassung waren, aus denen alle diese Forderungen flössen, zeigen nebenher geschehende Äußerungen des Bischofs und seiner Räte. „Pro fundamento omnium ponitur die hantvest“; auf der Handfeste, zu deren Haltung sich die Stadt durch Eid verpflichtet, beruht Alles. Und wie der Bischof den Satz des alten Bischofsrechtes über die Gerichtsbarkeit von Vogt und Schultheiß an die Spitze seiner Beschwerden stellt und die Wiederherstellung des Rechtszustandes einer vergangenen Zeit fordert, eben jener Zeit Heinrichs von Neuenburg, der das Bischofsrecht aufzeichnete und die Handfeste schuf, so greift er auch zurück auf die Waffen, die vor hundert Jahren Johann von Vienne gebraucht. Nicht von Ungefähr liegt bei den Akten Venningens die große Aufzeichnung all der heftigen und herrischen Forderungen, mit denen jener Bischof die Stadtherrschaft wieder hatte gewinnen wollen. Der Rat, führt Venningen sodann aus, wisse sehr wohl, daß die Stadt mit Grund und Boden, auch geistlichem und weltlichem Gericht, Besatzung Bürgermeisters Oberstzunftmeisters und Rates, auch Nützen Zöllen Fuhrwein Bannwein [208] Brotmeisteramt und andern Ämtern, Gehorsam der Einwohner und sonstigen Dingen dem Hochstift und Unsrer Lieben Frau, die Hausfrau darin sei, von Recht zugehöre und daß die Stadt ohne Wissen und Willen des Bischofs keine Neuerung machen dürfe.

Geltendmachen des Rechts auf ungeschmälerte Stadtherrschaft und Läugnen der Unabhängigkeit des städtischen Rates ist das Eine; Wahrung der Privilegien des geistlichen Standes das Andre. Diese beiden großen Anschauungen beherrschen das Handeln Johanns.

Der Rat gab auf jeden der bischöflichen Artikel seine Antwort, bei einzelnen die Frage prinzipiell erörternd, bei den meisten aber das Herkommen, die Nützlichkeit, seine eigene gute Meinung und Absicht geltend machend. Dann brachte er seinerseits Klagen über Beschwerungen durch das geistliche Gericht. Aber als das Wesentliche erscheint auch hier die allgemeine Auffassung. „Seit das Hochstift zu Basel steht, sind unsre Vordern und wir von den Gnaden Gottes gegen dies Stift soviel wir pflichtig gewesen gehorsam und löblich mit einander hergekommen, aber daneben nichts destoweniger als eine löbliche Kommune und freie Stadt des heiligen Reiches mit allen Herrlichkeiten Freiheiten Rechten und Gewohnheiten, gleich den freien Städten Köln Regensburg Straßburg und andern, geachtet und gehalten worden von allen Bischöfen von Basel und sonst Männiglich bis auf des jetzigen Herrn von Basel zweifelnde Einrede. Dieser wisse doch, daß über die Pflicht hinaus, die man jährlich schwöre, der Rat von Basel und all die Seinen ihm zu keiner andern Untertänigkeit verpflichtet seien, denn als Christenmenschen ihrem geistlichen Prälaten der Seelsorge halber schulden, und daß keinerlei andere Beschwerung auf ihnen liege als der Martinszins von den Hofstätten.“

So äußerte man sich hüben und drüben. Indem der Bischof auf den Kern der Sache losging und zugleich ihren ganzen Umkreis faßte, zwang er den Rat ein Gleiches zu tun.

Daß man in solcher Weise diskutierte, macht die Bedeutung des Handels aus, der sonst in seinem Verlauf wenig Interesse bietet. Nach Repliken und Dupliken kam endlich, im Jahre 1471, das Ende. Es war wie gesagt nicht ein Schiedsspruch, sondern ein „Ratschlag“ der Tädingsleute, ein Sühnversuch den beide Parteien ins Bedenken nahmen.

Bischof Johann hatte allerdings neben diesem Verständigungsverfahren noch etwas Anderes versucht, nämlich den Kaiser um Hilfe angerufen. Ohne Zweifel galt seine Teilnahme am Regensburger Reichstag diesem Streit mit der Stadt. Schon vorher hatte ein gewandter Basler, der Geschäfte [209] des Rates am Hofe zu Wien besorgte, dort auf dem Kanzleitisch Akten über Verhandlungen mit dem Bischof liegen sehen und verstohlen einen Blick darein getan. Er hatte sich nicht geirrt. Bischof Johann stand in der Tat in Unterhandlungen; ihre Frucht war ein zu Regensburg am 31. Juli 1471 ihm erteiltes kaiserliches Privileg. Es bestimmte, daß der Bischof seine Gerichte üben möge wie von Alters und Niemand ihm daran Eintrag tun solle; daß, wer Anspruch habe an des Bischofs Leute um ihr Leib oder Gut oder um Sachen, die im Gebiete des Bischofs geschehen, sie vor den bischöflichen Gerichten suchen solle. In dieser allgemeinen Fassung schien das Diplom Alles zu gewähren, was der Bischof wünschte; aber gerade, weil es so allgemein lautete, blieb es ohne Wirkung.

Wir fragen aber, ob Bischof Johann überhaupt je so lebendig und persönlich an der ganzen Sache teilgenommen habe, wie später Bischof Caspar tat. Er handelte offenbar mehr nur aus Grundsatz, aus einem Gefühle der Pflicht gegen das ihm anvertraute Bistum. Zugleich in der Kraft der allgemein wirksamen Tendenz jener Zeit zur Ausbildung und Formulierung der landesherrlichen Macht, einer zentralisierten fürstlichen Verwaltung, und als Beispiele solchen Handelns sah er den Markgraf, die Herzoge von Bayern, namentlich aber seinen Zeitgenossen auf dem Speyrer Bischofsstuhl, den kräftig eingreifenden und herrschenden Mathias Ramung. Dementsprechend trägt seine Auseinandersetzung mit dem Rate weniger den Charakter des Streites als einer mächtigen theoretischen Debatte. In denselben Jahren, da Bischof und Rat so große Worte über Herrschen und Gehorchen wechselten, verkehrten sie miteinander in zahlreichen Beziehungen, friedlich und ruhig, von Macht zu Macht, mit der Präsumtion voller Gleichberechtigung. Sie schlossen Verträge; der Bischof beriet in wichtigen Bistumsangelegenheiten die Stadt; in seinem damals aufgesetzten Testamente empfahl er das Bistum dem Rate zu getreuer Hut. Wenn neben diesem Allem her der Bischof seine Libelle gegen die Stadt erließ, so folgte er allerdings nicht nur den Aufstachelungen des Domkapitels, sondern tat, was er selbst als seine Schuldigkeit empfand. Aber von Anfang an ohne jede Illusion; schon da er seine ersten Forderungen erhob, sprach er aus, daß er nicht mächtig genug sei, um den Uebergriffen der Stadt Widerstand zu tun.

Für diese Stimmung ist auch bezeichnend, daß er damals, 1466, den Gedanken eines Rücktritts vom Bistum bewegte. Die Wittelsbacher Herzoge waren bereit, ihm die Last abzunehmen. Aber er ließ den Plan wieder fallen auf Zureden des Kapitels und der Landstände, sowie des Rates von Basel selbst.

[210] Johann blieb und führte die Sache mit der Stadt weiter. Dem Sühnvorschlage von 1471 folgten Entgegnungen von beiden Seiten. Eine Vereinbarung kam nicht zu stande; man geriet in weitere Diskurse über einzelne Artikel.

Aber die Gefahr eines Uebergangs des Bistums in andre Hände bestand noch immer. Statt der Bayern trat jetzt Herzog Karl von Burgund hervor und begann seit dem Sommer 1470 mit Bischof Johann zu unterhandeln; im Winter 1473, bei Karls Anwesenheit im Elsaß, meldete sich der Plan aufs neue.

Aber dann absorbierte der große Krieg Alles, auch den Streit zwischen Bischof und Stadt. Sie traten 1474 in der Niedern Vereinigung zusammen, der Kampf gegen Burgund verband sie jahrelang. Johann saß meist auf seinem starken Schlosse zu Pruntrut, auch jetzt wieder zu Zeiten mit Demissionsgedanken beschäftigt, und es dauerte drei Jahre, bis ihn Basel wieder zu sehen bekam, im November 1476.

Er fand sich zu den vom Legaten Merander begonnenen Friedensunterhandlungen ein. Aber statt am Frieden zu arbeiten, ward er sofort in einen Streit mit der Stadt hineingerissen, der diesmal wirklich Streit war und über alles Bisherige weit hinausging.

In einer nächtlichen Schlägerei zu Basel hatte der Theologiestudent Gilg Sonntag einen Familiaren des Bischofs, einen Kaplan, verwundet; er war durch den Rat festgenommen, dann aber der Universität, die ihre Gerichtsbarkeit geltend machte, ausgeliefert und von ihr freigelassen worden. Alles entgegen dem Willen des Bischofs, der den Sonntag als Kleriker des Bistums seinem Gericht übergeben sehen wollte.

Die Antwort des Bischofs auf diesen Affront war zunächst, daß er als Kanzler die bevorstehenden Examina an der Universität suspendierte. Aber den Examinanden gelang es, mit Hilfe der in Basel liegenden eidgenössischen Söldner die Abhaltung der Examina zu erzwingen. Es war dies eine nochmalige Niederlage des Bischofs, und leidenschaftlich brauste es nun in ihm auf gegen die Stadt, die auch in diesem Handel sich ihm widersetzt hatte.

Der Anlaß war ja unbedeutend genug. Aber doch ein tatsächlicher Vorfall. Seine Aktualität, seine Sinnlichkeit, ganz andrer Art als das bisherige ganz theoretische Wesen, riß den stolzen Bischof hin. Soweit, daß er den Rat schwer beleidigte, dessen Ehrenhaftigkeit in Frage stellte. Damit aber hatte er von vornherein verloren, einer Stadt gegenüber, die soeben den Karl von Burgund hatte besiegen helfen und sich Nichts brauchte bieten zu lassen.

[211] Venningen beschuldigte öffentlich die Räte, daß sie die Eide nicht hielten, die jährlich dem Hochstift von ihnen getan würden. Der Rat verlangte Abbitte. Statt dieser erhielt er den Besuch des Bischofs selbst, am 23. Dezember 1476. Mit mächtigem Gefolge trat er auf, aber nicht um Frieden zu machen. Vor versammeltem Rate wiederholte er die Beschuldigung des Eidbruchs, bestritt dem Rate das Recht unabhängigen Regimentes, kam mit allen Forderungen und Vorwürfen wegen Nichtachtung des bischöflichen Hofgerichts, Verletzung der geistlichen Freiheiten, Einführung neuer Steuern usw. Und wie zur Bekräftigung dieser Demonstration ließ er sodann öffentlich die Rede herumbieten, daß die Stadt ohne Mittel ihm gehöre und keinen Herrn habe als ihn.

Dies war erklärter Krieg. Wir werden dem Leidenschaftlichen und Gesteigerten dieser Vorgänge gerecht, wenn wir uns klar machen, was Alles sie umgab in diesen Tagen, da das Kriegsvolk für den Lothringer Zug in Basel zusammenströmte, die Gesandten aus- und einritten, die größten Hoffnungen und Befürchtungen Alle bewegten. Das stürmische Leben, das ringsum war, wirkt spürbar auch auf diesen Basler Hausstreit; wir sehen auch Einflüsse von allen Seiten, die Umtriebe der Domherren, die Einflüsterungen Heslers und Oswalds von Tierstein, die Mahnungen Ratschläge Zusprüche der Herren aus der Niedern Vereinigung und der Eidgenossenschaft; wir sehen auch den alten Zank der Orden und des Weltklerus sich an diesen Händeln neu entzünden. Von überall her getrieben aufgereizt beobachtet stehen die beiden Kämpfer sich entgegen.

Mit Sorgfalt und Umsicht bereitete der Rat seine Entgegnungen vor; auch verlangte er, daß der Bischof diese Antwort persönlich und am selben Orte vernehme, wo er die Ehre des Rates geschändet. Johann verweigerte dies. Zuletzt mußte er sich doch bequemen, und am 11. Februar 1477 haben wir im Ratssaale diese große Szene vor uns. Alles war versammelt, was hier Name Kraft Bedeutung hatte; die Gedanken über die letzten gewaltigen Weltereignisse, das Bewußtsein des Anteils, den jeder der Anwesenden an ihnen gehabt, begleiteten die Verhandlungen mit vibrierendem Leben.

Ausführlich ließ sich der Rat vernehmen, empfing die Gegenbemerkungen des Bischofs und erwiderte diese noch gleichen Tags, nach dem er sich über Mittag beraten hatte. Ein prächtiges Selbstgefühl waltet in jedem seiner Worte. Er gründet seine Unabhängigkeit weniger auf urkundliches Recht als auf das Herkommen und die Macht der Tatsachen. Nicht Kaiser und Bischof, ruft er aus, sondern wir selbst und unsre Vordern haben bis auf diesen Tag die Stadt Basel als eine Freistadt hergebracht, wie es auch mit Gottes Hilfe ferner geschehen soll.

[212] Zu einer Verständigung kam es natürlich nicht. Der Rat stellte das entschiedene Begehren, daß der Bischof die Beschuldigung widerrufe, sonst werde die Stadt ihre Pflicht gegen das Hochstift abkünden. Da der Fürst sich weigerte, griffen die Unterhändler und Beschwichtiger ein. Es waren bewegte Tage, und eine Einzelheit aus ihnen, die wir freilich nicht verstehen, ist, daß der bischöfliche Kanzler Heidelbeck auf Befehl des Rates in seiner Wohnung dem Schürhofe interniert und durch Stadtknechte bewacht wurde. Der Bischof suchte seinerseits Hilfe bei den Vasallen des Bistums. Da schrieb der Rat dem Herzog Sigmund, dessen Beamte oder Landsassen die Belehnten zumeist waren, er möge dafür sorgen, daß diese Edeln sich stille hielten, da sonst Basel sie und das österreichische Gebiet mit Krieg angreifen würde. Und mit dieser Erklärung schuf er Ruhe. Der Bischof entschloß sich, nachzugeben. Der Rat kam ihm seinerseits dadurch entgegen, daß er sich bereit finden ließ, zur Entgegennahme der Revokation in die Residenz des Legaten bei den Barfüßern zu kommen. Hier am 21. März 1477 widerrief Bischof Johann die geschehene Anschuldigung.

Mit diesem Akt schließen die Beziehungen der Stadt zu Johann von Venningen. Am 20. Dezember 1478 starb dieser. Alles nun Folgende hatte er selbst angeordnet: von der Bekleidung und Ausstattung seines Leichnams, bei der auch die Provisionsbulle des Papstes Calixt nicht fehlen durfte, bis zu dem feierlichen Kondukt nach Basel, der Beisetzung im Münster, der grandiosen Totenfeier die in allen Kirchen und Klöstern der Stadt und durchs ganze Bistum gehalten wurde. Johann von Venningen ist der letzte Basler Bischof, der seine Ruhe in der Kathedrale gefunden hat.


Am 4. Januar 1479 wählte das Domkapitel den Kustos Caspar zu Rhein als Bischof; nachdem Papst Sixtus ihn providiert hatte, geschah am 30. Mai die Konsekration.

Ein denkwürdiger Episkopat begann. Nicht so sehr denkwürdig für die Bistums-, wie für die Stadtgeschichte. In zahlreichen Erlassen genügte Caspar den Forderungen der devotionell erregten, mit Ordnung und Erneuerung des kirchlichen Lebens unaufhörlich beschäftigten Zeit. Wie unter seinem Vorgänger Venningen die Herrschaft Zwingen als ledig gewordenes Lehen an das Hochstift gefallen war, so unter ihm die Herrschaft Hasenburg, da die Freiherren ausstarben. Er gewann Franquemont. Im Verkehre mit Bern, mit Solothurn, mit den Stiftern Münster und St. Ursanne erwies er seine herrische, keinem Kampf aus dem Wege gehende Art. Mit [213] Mülhausen hatte er schon als Domkustos heftig gezankt; sein „hitziges und anzikiges Gemüt“ war allen Gegnern bekannt.

Uns beschäftigen nur seine Beziehungen zu Basel. Als einen streitbaren Rektor der Universität hatte ihn der Rat 1461 kennen gelernt; jetzt sah er ihn als Fürsten der Kirche vor sich und erlebte hiebei Jahre, die in der Geschichte der Bischofsstadt entscheidend waren. Denn sie brachten die letzte Auseinandersetzung mit dem alten Herrn über Recht und Hoheit. Was später geschah, war eigentlich nur noch einseitige Abschüttelung.

Es ist ein Schauspiel, fast menschlich ergreifend und zugleich, neben der großen Wandelung baselischer Politik in diesen Jahrzehnten, historisch von der stärksten Wirkung, wie Caspar der letzte Bischof ist, der die Waffen erhebt gegen die Stadt, wie er sich umsonst bemüht, die verlorne Macht des Hochstifts wieder zu erringen. Er will fortsetzen, was Venningen unternommen hat; er trägt schwer an der Demütigung, die sich Jener hat müssen gefallen lassen. Aber er zieht aus diesem letzten Vorgang durchaus nicht die Lehre, die er geben kann. Seine Heftigkeit führt ihn sofort tief hinein. Er ist nicht nur der Bischof, der für die Kirche ficht, sondern auch der stiftische Adlige, der geborne Verächter dieser Bürger, der Sohn eines Hauses das seit Jahrzehnten sich der Stadt entfremdet hat.

Von solchen Gesinnungen erfüllt begann und führte er den Kampf. Nicht in der fürstlich lässigen Art Venningens, sondern leidenschaftlich hastig zornig. Dem gegenüber waltet in der Haltung des Rates ein tiefer Ernst, das klarste Bewußtsein von dem Umfang und der Wucht dieses Kampfes, ein volles ruhiges Gefühl von der innern Wahrheit und Notwendigkeit seiner Stellung, das sich auch durch formelle Berechtigungen nicht irren läßt, sondern die Tatsachen zum Gesetz macht.

Vom Streite Venningens unterscheidet sich dieser auch äußerlich. Dort nur eine Debatte der beiden Beteiligten, in der Form eines geschlossenen Verfahrens. Hier ein Hereinwirken und Dreinreden zahlreicher Anderer, eine Mehrheit von Instanzen beteiligt, und die eigentlichen Prozeßschriften überflutend eine große Korrespondenz.

Der Verkehr der beiden Mächte war zu Beginn der Ordnung gemäß. Basel leistete bei Sedisvakanz und Wahl das Übliche, und der Bischof gab am 15. Juni 1479 die Handfeste.

Aber schon Tags zuvor hatte er seine Gesinnung offenbart, indem er feierlich vor Notar und Zeugen in seiner Residenz zu Basel erklärte, daß er die Wiedergewinnung aller dem Hochstift entfremdeten Rechte und Güter für seine Pflicht halte; wenn er sie nicht ganz vollbringe, so geschehe dies [214] nicht aus freiem Willen, sondern wegen der Dürftigkeit seiner Mittel. Sofort schritt er an die Ausführung dieses Entschlusses.

Zuerst bei Istein. Er lieh den Berg dem Herman von Eptingen, der nun dort den Bau eines Schlosses begann. Der Rat erhob Einsprache, machte geltend, daß Basel vor siebzig Jahren den Fels Istein erobert habe; seitdem stehe er der Stadt zu. Caspar behauptete, er gehöre dem Hochstift. Das ganze Jahr 1479 hindurch zog sich dieser Streit; auch Dritte, wie z. B. Zürich, redeten darein; zu einem Entscheide kam es nicht.

Das Zweite war eine Klage Caspars beim Kaiser. Die durch den Tumult im Sommer 1479 erzwungenen Zugeständnisse des Rates, namentlich die Aufstellung der Fünfzehner, dann die damals auftretenden Gedanken einer Verfassungsrevision beunruhigten den Bischof als Zeichen unzulässiger „großer Änderung“. Einzelnes kam dazu, wie die Heranziehung der Witwe des bischöflichen Schmieds zu Steuer und Wachtpflicht, die Inventierung des Nachlasses eines Priesters Konrad durch das Stadtgericht u. dgl., was der Bischof als Verletzung seiner Rechte empfand. Er erhob beim Kaiser Klage, daß die Stadt ihn an seinem Herkommen schädige, und am 25. Mai 1480 lud Friedrich den Rat zur Verantwortung.

Sodann, im Januar 1481, folgte ein kräftiger Schlag: Caspar hinterlegte die auf dem Schultheißenamt stehenden zweitausend Gulden bei dem Wechsler Hütschin und forderte den Rat auf, unter Bezug dieser Summe die Pfandbriefe und das Amt herauszugeben. Es war dies etwas Unerhörtes, und der Rat konnte daran seinen Gegner kennen lernen. Aber er blieb fest. Er verweigerte die Lösung des Schultheißenamts, erst mit allerhand Ausflüchten, dann bestimmt mit der Erklärung, er sei gar nicht dazu verpflichtet, und wäre ers auch, so würde daraus nur Irrung und Widerwärtigkeit erwachsen. So stand Wille dem Willen gegenüber, und die Bemühungen Martins von Staufen, der sich als Vermittler antrug, blieben ohne Frucht.

Vor ihm ließ der Bischof am 14. März 1481 seine Klagschrift eingeben, in nicht weniger als vierzig Artikeln. Beinahe durchweg waren es die Venningenschen Beschwerden und Forderungen; die Wiederholung zeigt, wie wenig jene beim Rate gewirkt hatten. In ausführlicher Deduktion, unter Beigabe zahlreicher Dokumente, antwortete der Rat und erhob seinerseits Gegenklagen. In zahlreichen Terminen zog sich der Prozeß hin. Aber ohne Aussicht auf ein Ergebnis. Denn der Bruch war unheilbar, seit Caspar am 26. März unumwunden erklärt hatte, oberster Herr der Stadt in geistlicher wie weltlicher Verwaltung zu sein; unter der Sonne sei kein andrer Herr [215] über Basel, auch der Kaiser nicht, und die Stadt nicht befugt, Ordnungen und Statuten zu machen und Steuern zu erheben ohne des Bischofs Erlaubnis. Schwere Beschuldigungen, im Stile der letzten Invektiven Venningens, folgten, und empört griff der Rat wieder zu dem alten Mittel der Brandmarkung im Stadtbuche; die ganze Auseinandersetzung des Bischofs ließ er da einschreiben „ihm und seiner Stift des künftig wissen zu gedenken“.

Bei solcher Lage der Dinge waren alle Vorschläge des Vermittlers vergeblich. Was galt Einzelnes, wo der Angriff dem ganzen Umfange der staatlichen Existenz Basels galt und die bischöflichen Juristen mit einer alles Geschehene und Bestehende durchaus leugnenden Geschäftigkeit Liste nach Liste entwarfen mit Aufzählung der „Herrlichkeiten und Gerechtigkeiten, so ein Bischof von Basel in der Stadt daselbst hat“. Uns sind diese Niederschriften schätzbare Quellen der Geschichte des Basler Staatsrechts, Dokumente der alten bischöflichen Stadtherrschaft. Aber sie bezeugten nicht Zustände, sondern Traditionen, und führten Altertümer auf, die man zum Teil gar nicht mehr verstand. Alles erfüllt vom Geiste des vor zweihundert Jahren redigierten, schon damals zum Teil antiquiert gewesenen Bischofsrechtes. Und so handelte auch Caspar wieder als mittelalterlicher Stadtherr, da er am 14. Mai 1481 den Schneidern eine förmliche Bestätigung ihrer Zunft erteilte, worauf allerdings der Rat sofort mit einem Protest sowie einem dem Zunftvorstand erteilten kräftigen Verweis antwortete. Dieses Privileg Caspars für die Schneider war nur eine Einzelheit aus den Wühlereien, die er sich erlaubte. Unwillig redete der Rat zu den Sechsern davon, wie der Bischof die Gemeinde mit Vorspiegelungen zu gewinnen trachte, ihr Befreiung verheiße und sie gegen den Rat aufzuhetzen suche. Was ein Bischof unter solcher Befreiung der Gemeinde verstehe, habe man zu Mainz und an andern Enden sehen können; auch hier würde die Folge nicht allein Unterwerfung, sondern geradezu Zerstörung sein. Und mit schönem Gefühl appellierte der Rat an das Beispiel der Vorfahren, die „ihrem Leib und Gut bisher weh getan haben, um sich und ihre Kinder und Nachkommen dem Bistum nicht unterwürfig zu machen“.

Es war nur natürlich, daß jetzt auch gute und schlechte Nachbarn sich meldeten und Vermittler sein wollten. Dieses Zerwürfnis war so groß, daß es auch für Außenstehende Interesse bekam. Im Auftrage Sigmunds mühte sich der Landvogt Wilhelm von Rappoltstein; die Eidgenossen suchten Abrede mit Bischof Caspar und empfingen auch die Eröffnungen der Stadt, die ihre Boten bei allen Orten herumreiten ließ sowie dem Herzog und den Städten der Niedern Vereinigung die Sache vorlegte.

[216] In der Tat schien diese allgemeine Beteiligung zu wirken. Im November 1481 wurde von nichts Geringerem als einer ewigen Richtung zwischen Bischof und Stadt gesprochen; ein Entwurf ist erhalten, der das gegenseitige Verhältnis als dasjenige guter Verbündeter regelt, den jetzigen Besitzstand der Stadt an Rechten in der Hauptsache anerkennt und ihr ein weiteres Darleihen an den Bischof von zwanzigtausend Gulden auferlegt. Urheber dieses Entwurfes scheint der Landvogt gewesen zu sein. Aber der Bischof wollte nichts von einer Verständigung dieser Art wissen. Er berief die Niedere Vereinigung im Januar 1482, verlangte, daß von ihr aus Basel angehalten werde, sich ihm zu fügen. Die Gesandtschaften wichen vor einer Beschlußfassung zurück; sie ließen Konferenz auf Konferenz folgen und wünschten auch die Eidgenossen dabei zu beteiligen. Im Einzelnen war davon die Rede, daß die eventuelle Lösung nicht nur des Schultheißenamts, sondern auch der andern Pfandschaften geregelt werden sollte; ein von den Streitenden bestelltes Kollegium von Sechsen machte darüber im Dezember 1482 seine Vorschläge: die Lösung aller Pfandschaften (in der Stadt um fünfundzwanzigtausendzweihundertdreiundzwanzig Gulden, außer der Stadt um neunundzwanzigtausendsechshundert Gulden) sollte durch den Bischof erst nach einigen Jahren und dann nur samthaft oder in zwei Raten geschehen können, nach der einen Meinung unter Nachlaß der dem Rat auf dem Siegel usw. stehenden siebentausend Gulden, nach der andern unter Schlagung dieser siebentausend auf die Pfandschaften.

So rechnete man und versuchte alle Mittel, indessen der Rat, der Fruchtlosigkeit dieser ganzen Arbeit gewiß, schon einen neuen Weg eingeschlagen hatte. Er brachte seine Sache vor den Kaiser, er nun als Kläger, nachdem das durch den Bischof vor zwei Jahren dort angehobene Recht von diesem vernachlässigt worden war. Der Rat schrieb an Friedrich und sandte als Botschafter seinen erprobten Heinrich Zeigler. Er klagte, daß er durch den Bischof geschmäht und beschuldigt worden sei, und verlangte Recht vor dem Kammergericht; er wiederholte seine Vorstellungen durch andre Gesandtschaften, den Lienhard Grieb, den Niclaus Rüsch, und beschloß ausdrücklich bei diesem Recht vor königlicher Majestät beharren zu wollen und sich weder durch die Eidgenossen noch die Niedere Vereinigung vertädingen zu lassen. Am 15. Oktober 1482 lud Kaiser Friedrich den Bischof vor sich zur Verantwortung auf die Klage Basels. Und kurz darauf erhielt der Rat, als Lohn für sein Verhalten in der Sache des Andreas von Krain, auch die Unterstützung des Papstes Sixtus, der ihm den Besitz der bischöflichen Pfandschaften bestätigte und für den Fall von Justizverweigerung durch das bischöfliche Gericht einen Gerichtshof päpstlicher Konservatoren einsetzte.


[217] So gingen mehrere Aktionen neben einander her: in Rom, am kaiserlichen Hofe, und hier vor den Eidgenossen, die sich vom Bischof getrieben der Sache angenommen hatten. Am 18. Juni 1483 zu Baden setzten sie den Parteien Tag auf den 24. August, ihnen auferlegend, in der Zwischenzeit Nichts gegeneinander vorzunehmen.

Dennoch erlaubte sich Bischof Caspar sofort eine dreiste Provokation, indem er bei der Ratserneuerung am 22. Juni als Oberstzunftmeister den Adam Walch ernannte.

Auch dieser war ein Herbergswirt, gleich manchen Andern, die damals eine Rolle spielten. Wie dieser Beruf Verbindungen der mannigfaltigsten Art gab, so scheint er auch dem Walch zu ungewöhnlichen Gönnern verholfen zu haben, die ihn stützten. Im Übrigen trug ihn seine eigene Energie und Arroganz. Er kam aus Ranspach nach Basel, wo er sein Leben lang Hintersaß blieb. Seit Mitte der 1470er Jahre Wirt zur Krone geriet er in Schulden und wurde wegen Unordnung gerügt; als die Verschwörung der Bischoff 1482 ruchbar, bald darauf die Münchensteiner Machenschaften des Konrad Münch entdeckt wurden, erfand sich Walch überall als beteiligt. Er kam ins Gefängnis des Rates und wurde nur auf Urfehde wieder freigelassen.

So der Walch, den der Bischof begünstigte. Er nannte sich einen Edelmann und war doch noch immer der Sundgauer Bauer, als der er nach Basel gekommen war; nicht einmal durch Reichtum gehoben und der stolzen Ratsgesellschaft gegenüber legitimiert; dazu ein anrüchiger Parteigänger und Verschwörer; durch kein Bürgerrecht verpflichtet. Daß Bischof Caspar es wagte, mitten ins Regiment der Stadt Basel hinein, an die zweitoberste Stelle des Staates einen Solchen zu setzen, mußte als böse Beschimpfung empfunden werden.

Der Vorgang am Wahltage selbst, auf dem Münster Platz, ist uns anschaulich geschildert: wie die Ernennung Walchs verkündet wird, die anwesenden Ratsherren, von dem Vorfalle verblüfft, vielleicht auch seine Bedeutung momentan gar nicht fassend, den Gewählten im Kreuzgange, wo er bei einigen Prälaten wartet, abholen, ihm den Kranz aufsetzen, ihn mit schwören lassen, dann Arm in Arm und unter Pfeifengetön ihn zur Mahlzeit in die Stube zum Brunnen führen. Erst hier kam man zur Besinnung. Zeigler Iselin Grieb Meltinger u. A. begannen über diesen Oberstzunftmeister zu murren; die „Gewaltigen“ steckten die Köpfe zusammen, und nun verständigten sie sich rasch. Sie ließen den Zünften sagen, daß Nachmittags beim Umgang dem Walch keine Ehre erwiesen werden dürfe. [218] Dann an den folgenden Tagen, in Sitzungen der Dreizehner, des Rates, des Großen Rates wurde die erstaunliche, in ihrer Frechheit und Anstößigkeit immer deutlicher werdende Sache besprochen, und man beschloß, den Walch, der dem Rate nicht angehöre, nicht Bürger und überdies verurfehdet sei, nicht als Oberstzunftmeister anzunehmen. Würde er sich zur Einführung des Rates stellen, so sollte man ihn wegweisen: „Adam, geh hin, wo her du gekommen bist.“

Dazu kam es freilich nicht. Walch hatte nur dazu dienen müssen, einen Moment lang, allerdings den offiziellsten Moment des Jahres, dem Rate die ganze Summe von Verachtung und Herrscherwille des Bischofs zu zeigen. Die Stelle selbst trat er gar nicht an. Was wir in der Folge von ihm erfahren, sind unaufhörliche Streitigkeiten mit dem Rate, und genau zehn Jahre nach dieser Oberstzunftmeisterwahl erhält ein heimlicher Häscher des Rates den Befehl, dem Walch als einem Feinde der Stadt nach dem Leben zu stellen.

Jetzt aber, im Sommer 1483, nach diesem empörenden Vorfalle, beschwerte sich der Rat beim Kaiser, und dieser erließ am 31. Juli ein scharfes, von Verwarnungen und Drohungen begleitetes Schreiben an den Bischof.

So von allen Seiten getrieben wuchs die Erbitterung und sah keine Schranke mehr; man kann sagen, daß die ganze Sache eigentlich schon jetzt entschieden, ein Wiederzusammenkommen der Beiden unmöglich mehr zu erwarten war.

Daß der Bischof sich als Herrn des weltlichen Gerichtes zu Basel benahm und dem Schultheißen Befehle gab, war nur ein Einzelnes aus seiner ganzen Auffassung, die er bei jeder Gelegenheit, in jeder Konferenz mit Heftigkeit vortrug. Er hatte rein Nichts gelernt und gab auf die Erwiderungen des Rates so wenig wie auf die Befehle des Kaisers. Ungerne willigte der Rat in eine nochmalige Verhandlung. Man wollte dafür in Basel selbst zusammenkommen. Aber als die Eidgenossen dem Bischof für den Besuch dieses Tags ihr Geleit und ihren Schirm zusagten und damit nun auch ihrerseits den Rat beleidigten, ihre Gesinnung in diesen Händeln offenbarten, da war es um die eidgenössische Vermittelung geschehen. Und die politisch denkwürdige Wendung vollzog sich, von der schon die Rede gewesen ist. Mit Freude betrachten wir die feste und strenge Haltung des Basler Rates allen Anfechtungen gegenüber. Um die Forderungen des Bischofs, die der Stadt Freiheiten berühren, will er zu Recht stehen vor kaiserlicher Majestät, um das Übrige nur vor seinem eigenen Schultheiß; auf gütliche Vermittlung will er nur hören, wenn der Bischof seine Prätensionen einer [219] Stadtherrschaft aufgebe, die Vorwürfe der Eidgenossen, daß er über ihre Mediationsversuche hinweg an den Kaiser gelangt sei, weist er zurück; ja er setzt nun das Zeremoniell für den Empfang eidgenössischer Gesandtschaften von der bisher üblichen Gesellschaftsleistung herab auf bloße Beschenkung mit Wein; er versagt von jetzt an dem Caspar das Prädikat „gnädig“ in der Korrespondenz. Deutlich offenbart sich die Lage in den durch die Eidgenossen unterstützten Bemühungen Mülhausens, das bischöfliche Hofgericht von Basel weg dorthin zu ziehen, und in den Verhandlungen, die dann am 31. Juli 1484 im Bündnis Caspars mit den Eidgenossen perfekt werden.

Der Verkehr der Stadt mit dem Bischof und ihr Streit war damit noch nicht aufgehoben. Wir lesen die gereizten Schreiben, die sie wechselten. Auch Wilhelm von Rappoltstein bemühte sich wieder als Vermittler. Dazwischen verhandelte man über das Verfahren bei der jährlichen Ratserneuerung, und da die Handfeste ja nach wie vor galt, so kam im Oktober 1485 der Bischof sogar dazu, unter Berufung auf sie den Rat zum bewaffneten Zuzug vor Pfäffingen zu mahnen, im Kriege des Bischofs mit den Grafen von Tierstein. Dieser ungewisse Zustand wurde am kaiserlichen Hofe begleitet durch ein sehr konstantes Verfahren. Indem Basel seine Sache der Beurteilung durch das Kammergericht anheimstellte, wollte es ohne Zweifel sie auf die lange Bank schieben. In der Tat wurde die Behandlung seiner Klage von Termin zu Termin vertagt. Dennoch war der Rat stets auf seiner Hut. Den Gesandten, die er in diesen Jahren unaufhörlich zum Kaiser zu schicken hatte, gab er regelmäßig auch die Weisung, auf den Stand dieser bischöflichen Sache zu achten. Und im Antwerpner Freiheitsbrief vom 19. August 1488 erhielt er neben andern wichtigen Gewährungen auch die Befugnis, alle in der Stadt seßhaften Leute zu besteuern und jederzeit Satzungen und Ordnungen über der Stadt Nutzen zu machen. Die Wirkung dieses Privilegs zeigte sich schon bald: auf Seite des Rates in dem Beschlusse, bei weitern Verhandlungen mit dem Bischof die großen „merklichen“ Stücke als gar nicht mehr diskutierbar auszuscheiden und sich nur noch zu Besprechung der unerheblichen Artikel herbeizulassen; auf Seite des Bischofs aber in einer bittern Resignation, im Verzweifeln an seiner Sache, die er nur noch dem allmächtigen Gott und der hochgelobten Königin Maria empfehlen könne.

Von da an beschäftigte sich der Rat nur noch gelegentlich mit dem Streit, meist durch Erwirkung neuen Aufschubs beim Kammergericht. Die politischen Ereignisse nahmen Alles in Anspruch; bei den neuen Bünden der Niedern Vereinigung 1493 standen Bischof und Stadt nebeneinander.

[220] Aber 1495 ließen konkrete Vorfälle die alten Gluten neu aufflackern. Caspar beschwerte sich darüber, daß der Schultheiß gegen einige Amtleute und Diener des geistlichen Gerichts eingeschritten sei; aus dieser kleinen Sache erwuchs mit einem Schlage wieder der große umfassende Kampf um Herrlichkeit und Gewalt. Mit zahllosen Worten, aber ohne die Leidenschaft der frühern Jahre. Caspar war müde geworden, und der Rat behandelte die ganze Frage läßlich. Zu einer Erledigung gedieh auch dieser Streit nicht.

Der Episkopat Caspars zu Rhein endet trübe. Der Bischof vermag nicht nur gegen die Stadt nicht mehr aufzukommen; er taugt überhaupt nicht mehr zum Regiment und muß sich eine Vormundschaft des Domkapitels gefallen lassen. Uns ergreift es, wie er den Streit für Ehre und Recht des Hochstifts, der seine ganze Regierung erfüllt hat, jetzt den Himmlischen befiehlt, da die Erdenkräfte versagen, den Administratoren und Nachfolgern aber alles Paktieren mit der Feindin Basel feierlich verbietet. Er scheidet unversöhnt und will, daß auch nach ihm nicht Friede sei. Am 8. November 1502 stirbt er und wird nach seinem Willen außerhalb Basels, im Kloster Lützel, begraben.