Geschichte der Stadt Basel. Zweiten Bandes erster Teil/8. Stadt und Gesellschaft von der rudolfinischen Zeit bis zur Reformation/2. Das Stadtregiment

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Die Nachbarn Geschichte der Stadt Basel. Zweiten Bandes erster Teil/8. Stadt und Gesellschaft von der rudolfinischen Zeit bis zur Reformation
von Rudolf Wackernagel
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Zweites Kapitel.
Das Stadtregiment.




Stadtherr war der Rat. Aber der Erwerb dieser Hoheit ist nicht in ein paar Worten und kurzen Formeln zu geben. Er liegt vielmehr vor uns im ungleichmäßigen, oft gehemmten Verlauf einer hundertjährigen Entwickelung.

Wie die Handfeste dem öffentlichen Recht der rudolfinischen Zeit noch in späten, völlig veränderten Verhältnissen Geltung zu geben schien, so lebten jene Anfangszustände lange auch in einer feierlichen Formulierung weiter, die den Rat, die Zunftmeister, das Domkapitel und die Gotteshausdienstleute als die am Stadtregiment gemeinsam beteiligten Körperschaften nannte.

Aber neben diese allgemeinen, ursprüngliche Zusammengehörigkeit festhaltenden Dokumente des öffentlichen Rechtes tritt zu Ende der 1330er Jahre, in einer Periode bemerkenswerter Klärung und Beruhigung, ein abgegrenztes Bild nur städtischer Verwaltung und Herrlichkeit: die Ordnung von 1339 kennt keine anderen Organe als den Bürgermeister, den Rat, die Zunftmeister, die Siebner die das Ungeld verwalten sowie Archiv und Zeughaushüten, die Bauherren, die Unzüchter, die Schreiber, die Ratsknechte.

Die Brugger Münzkonvention von 1344 sodann läßt erkennen, daß Bischof und Rat nebeneinander Rechte an der Münze haben. Ähnliches finden wir bei der Salzverwaltung. Der Strafgewalt des Vogtes tritt der Rat als Hüter und Richter des Stadtfriedens sowie durch die Unzüchter konkurrierend zur Seite. Autonom benimmt er sich schon frühe bei der Steuer und beim Kriegsaufgebot. Die Stadt beginnt mit einzelnen Usurpationen oder mit Erwerb eines Anteils und schließt mit Verdrängung der ursprünglichen Machthaber. Auf Kosten von Bischofsrecht und Reichsrecht wächst der Begriff des Stadtrechtes.

Schon 1262 hatte König Richard die städtischen Rechte und Freiheiten bestätigt. Es war ein Privileg, das jener wirren Zeit entsprach und in [222] seiner Vereinzelung uns wenig besagt. Spätere Privilegien der Stadt, etwa durch König Ludwig erteilt, sind vielleicht im Erdbebenbrand vernichtet worden. Denn sofort nach diesem, im Frühjahr 1357, finden wir die Bestätigung der jura libertates emunitates et bonae consuetudines Basels durch Karl IV., und dann von Herrscher zu Herrscher, über ein Jahrhundert hin, folgen sich die schönen, oft aufs feierlichste ausgestatteten und mit goldenen Bullen bewehrten Dokumente, in denen Karl Wenzel Ruprecht Sigmund Friedrich Maximilian der Stadt Basel und den Ihren ihre Freiheiten Rechte Gnaden Ämter Pfandschaften Gewohnheiten Privilegien Briefe und Handfesten erneuern kräftigen befestigen bestätigen. Das Konzil tat dasselbe, und 1459 wünschte Basel eine solche Bestätigung auch vom Papste zu erhalten.

Aber so mächtig alle diese Urkunden auch klingen, in ihrer Allgemeinheit bedeuten sie doch weniger als die neben ihnen in großer Zahl hergehenden Verbriefungen einzelner Rechte. Vor Allem der Erwerb mannigfaltiger, meist bischöflicher Rechtsame, aus dem als Hauptstücke hervortreten die Münze, die Zölle, die Schultheißengerichtsbarkeit, die Vogtei. Dazu treten wichtige Einzelprivilegien der Kaiser: sie verschaffen der Stadt einen Zoll auf dem Rheine, das Geleitsrecht, das Steuerrecht, das Recht verrufene Ächter aufzunehmen und zu hausen; sie befreien die Basler von aller Grundruhr auf dem Rheine, geben ihnen das Recht Ritterlehen zu besitzen, befreien sie und ihre Güter von aller Steuer und Schatzung in fremdem Gebiet; sie erklären, daß Niemand einen Basler irgendwohin laden und beklagen und daß kein Basler zu Recht stehen solle als vor seinem eigenen Stadtgericht. In dieser Weise bereichert und stärkt sich der Bestand städtischer Rechte und Freiheiten immer mehr, und als Schluß der Entwickelung mag das Antwerpner Privileg von 1488 gelten, dessen Wert schon erörtert worden ist. Es war das letzte der kaiserlichen Privilegien, an sich selbst auch ausgezeichnet und eigenartig. Kein Zufall, daß die Stadt ein solches Privileg gerade damals zu erlangen sich bestrebte und erlangte. In den Kämpfen mit den Bischöfen Johann und Caspar war beim Rate das Bewußtsein der souveränen städtischen Republik stärker hervorgetreten als je zuvor, mit dem Gefühl eines unter Leiden und Kampf errungenen Besitzes, aber auch mit der festen Überzeugung von der Gerechtigkeit dieses Zustandes.


Um das Jahr 1300 bestand der Rat in der Regel aus vier Rittern und acht Burgern. Zu diesen traten 1337 die Zunftratsherren, 1382 die fünfzehn Meister der Zünfte. Seitdem zählte der Rat unter der Leitung [223] der beiden Häupter zweiundvierzig Mitglieder, und der Kreis war damit geschlossen, die Entwickelung zu Ende.

Aber wie wir schon sahen, hatte dieser Zustand keine Dauer. Die Vertreter des Adels verminderten sich allmählich; auch die Burger füllten ihre acht Plätze nicht immer aus. Dem gegenüber standen, immer gleichbleibend in der Zahl und, wenn auch im persönlichen Bestände wechselnd, doch einen fest abgegrenzten Stand mit Bestimmtheit zur Geltung bringend, die Zünftler.


Wie gelangte dieser Rat auf die Bänke?

Die Häupter und die Ratsherren durch ein Verfahren, das in der Hauptsache auf den in der Handfeste Heinrichs von Neuenburg gegebenen Bestimmungen ruhte; die Zunftmeister durch Wahl ursprünglich der Zunftgemeinden, seit 1401 der Zunftvorstände.

Aber die Vorschriften der Handfeste, teils unhaltbar teils unzureichend, wurden schon im XIV. Jahrhundert geändert, und ein Herkommen bildete sich, das tatsächlich Gesetz war, wenn auch offiziell und formell nur die Handfeste galt.

Hier haben wir es nur mit dieser alten Handfeste zu tun; das zu Beginn des XVI. Jahrhunderts durch Bischof und Stadt geschaffene neue Handfesterecht wird später an seinem Orte zu betrachten sein. Aber wenn in jener alten Handfeste der Bischof erklärte: „ich gebe der Stadt jährlich einen Bürgermeister und einen Rat“ und dann bestimmte, daß diese Wahl geschehen solle durch die zum Teil vom Rat ernannten Wahlmänner (Kieser), so fanden diese Sätze ihre Anwendung in folgender Weise: Aus der Mitte des abtretenden Rates wurden am Morgen des Wahltages zwei Ritter, zwei Achtburger und zwei Zünftler (seit 1337, vorher vier Achtburger) gewählt; diese sechs zogen zwei Domherren zu, und die so gebildeten Kieser wählten dann den neuen Rat, unter Anwesenheit des Bischofs, der das Recht hatte, bei Stimmengleichheit sein Votum zu geben. Vor der Wahl erhielten sie ein Verzeichnis der Nichtwählbaren, z. B.: der Wucherer.

Aber der Handfeste zuwider wählten die Kieser nicht auch den Bürgermeister.

Dessen Ernennung geschah vielmehr durch den Bischof, der dabei nach dem Wunsche des Rates handelte. Schon 1376 war anerkannte Übung, daß der Rat zunächst drei Kandidaten bezeichnete, aus diesen Einen zum Bürgermeister wählte und der Bischof diese Wahl zu der seinigen machte. Er band sich an den Willen des Rates, auch in Zeiten des Streites, weil das Herkommen es so wollte, und durchbrach doch auch wieder, einer die Macht [224] habenden Ratspartei zu Liebe, zu Zeiten das Herkommen durch die Bestätigung der Wahl nichtadliger Bürgermeister oder der Wahl eines Bürgermeisters aus derselben Stube wie der Vorgänger gewesen.

Vom Oberstzunftmeister sagt die Handfeste kein Wort. Er war ursprünglich der Vorsteher der Zunftmeisterversammlung; auch dieses Amt hatte gemäß einer Vorschrift des Bischofs Peter Reich zwischen oberer und niederer Stube zu alternieren. Im Übrigen lag seine Besetzung im Ermessen des Bischofs, und dem Rate stand ein Vorschlag nicht zu. Mit welchen Mitteln aber Einzelne zu Zeiten in den Besitz des Amtes zu gelangen suchten, ist bei Anlaß des Rotberg-Ehrenfelsischen Handels gezeigt worden. Eine Besserung schien nur möglich, wenn der Rat selbst die Wahl in der Hand hatte. Er verlangte daher im Mai 1410 von Bischof Humbert die Einräumung dieser Befugnis, wurde aber abgewiesen. Humbert erklärte, sein Recht nicht preisgeben zu wollen, entsprach jedoch den Wünschen des Rates in der Person durch Ernennung eines Zünftlers. Damit war das Amt der Gemeinde geöffnet, und wenige Jahre später, 1424, gelang dem Rate die Erwerbung selbst. Er kaufte es von Bischof Johann, wiederkäufig, um zweitausend Gulden und stellte dann 1427 den Grundsatz fest, daß es abwechselnd aus Hoher Stube und Zünften besetzt werden sollte. Doch scheint das Amt nur kurze Zeit im Besitze der Stadt gewesen und schon durch Johann von Fleckenstein wieder gelöst worden zu sein. Wir sehen von da an wieder den Bischof wie vordem den Oberstzunftmeister wählen, ohne Vorschlag oder Vorwahl des Rates, und nur daran gebunden, daß er ihn aus dem Rate, abwechselnd von Achtbürgern und von Zünften, zu nehmen hatte. Bischof Caspar verletzte bekanntlich dieses Herkommen durch die Wahl Adam Walchs, und, um die Wiederholung solcher Ungebühr zu hindern, beschloß der Rat 1485, daß, wenn der Bischof je wieder einen Oberstzunftmeister gäbe, der nicht des Rates sei, Häupter und Räte ohne weiteres den Eid verweigern und hinweg gehen sollten.


Für die Ernennung der Häupter und Ratsherren nun galt das Gesetz einer Zeremonie, die in ihrer Feierlichkeit und kunstvollen Pracht das alte Basel durch Jahrhunderte begleitete, jährlich als der große Rhythmus des öffentlichen Lebens wiederkehrend. So unerschütterlich war ihre Macht, daß sie durch die Stadt, auch nachdem sich diese völlig vom Bischof losgesagt hatte, beibehalten wurde und, so vereinfacht entfärbt und ernüchtert sie auch war, die wichtigste Staatssolennität der alten Republik blieb bis an deren Ende.

[225] Neben den ehrwürdigen schönen Formen und Geberden dieses Vorgangs ist die jährlich frische Jugend der Gräser und Blumen, die dabei gebraucht werden, überaus anmutend, und schön überhaupt, wie die ganze sommerliche Poesie und aller Glanz der Jahreshöhe die Feier umgibt.

Die Einleitung geschah, jeweilen zu Beginn des Juni, durch eine Gesandtschaft des Rates an den Bischof mit der Bitte, der Stadt wieder Häupter und Rat zu geben. Der Sonntag vor dem Johannisfeste war der hiefür bestimmte Tag. Am Vorabend, dem Samstag, gingen sodann Bürgermeister Oberstzunftmeister und Räte selbst hinauf in den Bischofshof und wiederholten das Begehren. Sie brachten den Ehrenwein der Stadt und wurden vom Fürsten zur Tafel gezogen. Während sie spiesen, hörten sie, wie draußen die vier Gerichtsamtleute auf den von den Erbämtern hiefür gelieferten Pferden, jeder ein weißes Stäblein tragend, in den Hof ritten und für den nächsten Morgen zur Wahl luden. Dann ritten diese Amtleute weiter und durch die ganze Stadt, den Ruf laut wiederholend; in der späten Nacht, ehe es zu tagen begann, zogen nochmals die Wachtknechte durch die Gassen und geboten mit heller Stimme zur Ratswahlauf dem Münsterplatz.

Vergegenwärtigen wir uns hier die Menschenmenge, die unter dem Geläute der Glocken von allen Seiten heraufzog, über dem Ganzen ruhend das Licht des hellen Sommervormittags, und vor dem mächtigen Münster um den Bischofsthron gesammelt den Glanz der Geräte, die Teppiche, die Kränze, die funkelnden Gewänder, die Linden dabei die in Blüte und Duft standen, — so sehen wir ein überaus reiches Bild.

Vom Augustinerkloster her, wo der Rat an diesem Morgen die Kieser ernannt hatte, kam er in geordnetem Zuge, dann vom Bischofshof unter Vorantritt von Schultheiß und Amtleuten der Bischof oder sein Statthalter. Er ließ auf dem steinernen Throne sich nieder, der vor der Nordwand des Münsters, am Pfeiler der Kapelle des Erzbischofs von Mainz, errichtet war, und die Handlung begann. Mit Verlesung des kaiserlichen Freiheitsbriefes der Stadt durch den Stadtschreiber, dann der Handfeste, dann der Liste der Kieser. Auf der niedern Steinsäule, die vor dem Throne stand, lag über goldener Decke das uralte, einst von Kaiser Heinrich dem Münster geschenkte Plenarium; auf dieses leisteten die zwei Domherren, die Kieser waren, den Wahleid; die Andern schworen ihn mit erhobenen Fingern. Hierauf zogen sie, vom Bischof geführt, in das nahe Haus der Münsterbauverwaltung (heute der Lesegesellschaft), wo in der obern Stube nun durch sie der Rat gewählt wurde, während im Vorsaal der Schultheiß, die Amtleute und die [226] städtischen Werkleute das vom Fabrikmeister bereitete Mahl einnahmen. Ins Freie zu der wartenden Gemeinde zurückgekehrt ließ der Bischof die Namen der Gewählten verlesen und verkündete dann selbst, durch den abtretenden Bürgermeister um die zwei neuen Häupter gebeten, wen er an diese Stellen berufe. Die Krönung mit einem Blumenkranze, den der oberste Ratsknecht den Beiden reichte, bezeichnete den Übergang der Würde. So war das Regiment bestellt, und es folgte die letzte weihevollste Szene: die Eidesleistung der Gewählten. Sie geschah auf das goldene Kreuz des Münsterschatzes, das Partikeln des Kreuzes und des Blutes Christi enthielt; der Subkustos brachte es in feierlichem Aufzug aus der Schatzkammer herbei, und der Eid geschah: Bürgermeister Oberstzunftmeister und Ratsherren schworen, ihrem gnädigen Herrn von Basel, seinem Gotteshause und den Burgern gemeinlich der Stadt Basel beraten und beholfen zu sein, jeglichem zu seinem Rechte, so gut sie es verstünden.

Wir beachten die Teilnahme des Bischofs und den strengen Ritus, dessen Einhaltung von beiden Seiten gefordert wurde. Der Bischof verlangte, daß die Bitte des Rates um ein neues Regiment ihm nicht schriftlich, sondern durch eine Gesandtschaft vorgetragen werde, und der Rat seinerseits wollte nicht dulden, daß bei der Wahl der Bischof sich durch seinen Vikar vertreten lasse; sei er verhindert, so solle statt seiner ein Domherr funktionieren. Daß die Teilnahme des Bischofs unentbehrlich war, solange man sich auch von Seite der Stadt mit der doch zum Anachronismus gewordenen Handfesteverfassung zufrieden gab, liegt auf der Hand.

Aber der Bischof hatte nun das Seine getan, und die Zeremonie lenkte sofort in das rein städtische Gebiet über. Zunächst mit der Einführung des neuen Rates, die zu Augustinern und im Rathause vorgenommen wurde, wie es scheint in unmittelbarem Anschluß an die Szene auf Burg. Auch sie war in bestimmter Weise stilisiert: den Räten wurde der Boden des Sitzungssaales mit Gras bestreut, sie erhielten den Schmuck blühender Kränze und Sträuße; auch das solenne Bankett fehlte nicht. Wichtiger ist der Eid, den die Räte bei dieser Einführung im Rathause leisteten: der neue Rat schwor, daß er dem Bischof, dem Gotteshaus und der Bürgerschaft beraten und beholfen, den Häuptern und Räten gehorsam sein werde; der alte Rat gelobte nur das Letztere.

Sodann die Schwörtage. Für Großbasel war dies der erste auf die Ratserneuerung folgende Sonntag. Samstags zuvor wurde durch öffentlichen Ruf zu dieser Eidesleistung aufgefordert. Am Sonntagmorgen sodann hatten sich Die von der Hohen Stube mit ihren Dienern sowie alle [227] Übrigen, die ohne Zunft waren (mit Ausnahme der Handwerksknechte), nach dem zweiten Glockenzeichen im Rathaus einzufinden und hier den Häuptern und dem Rate Gehorsam zu schwören; nach dem Imbis aber waren die Zünfte in ihren Häusern versammelt und schworen hier samt den Gesellen dem Oberstzunftmeister, der Namens des Rates umging. Wie Vormittags so lautete auch jetzt der Eid, Häuptern und Räten gehorsam zu sein; ganz natürlicher Weise wuchs hier wie dort diese Eidesformel mit der Zeit in eine immer breiter werdende Fassung aus, bei der das Halten aller Gebote, Entrichtung des Ungelds, Geben und Nehmen des Rechts nur vor den Schultheißen usw. gelobt wurde. Gleichen Tags wie dieser Eid geschah auf allen Zünften die Wahl der neuen Zunftmeister durch die Sechser.

Gesondert leistete Kleinbasel den Eid. An einem Sonntag nach dem Großbasler Schwörtag, aber noch vor Mitte Julis. Auch hier begegnen uns die vertrauten schönen Formen. Die Amtleute, die durch Kleinbasel geritten waren, um zur Ratsmahl auf den Münster Platz zu laden, ritten auch jetzt wieder und die Ratsknechte liefen, boten die Kleinbasler Gemeinde zur Eidesleistung auf, - sie trugen dabei die Sommerkränze und warfen Aepfel und Birnen unter die Kinder. In oder vor der Niklauskapelle wurde der Eid durch die Kleinbasler geleistet, und ein Bankett, zu dem eine Deputation des Rates hinüberging, schloß den Tag.


Nur kurz sind hier noch die Stadtregenten zu erwähnen, die in politisch erregter Zeit neben die ordentlichen Häupter traten. Stets ausnahmsweise und höchstens für die Dauer weniger Jahre.

So der praefectus consulum, rector consulum im Jahre 1332. Nur einige päpstliche Briefe nennen ihn, und wir erfahren von ihm nur diesen Titel, der an italienische Zustände anklingt, gleich dem capitaneus et defensor von 1248, aber über die Natur des Amtes uns Nichts sagt.

Ferner der Ammeister, der zweimal, 1385 und 1410, an die Spitze der Stadt erhoben wurde. Wir erinnern an das über ihn schon Mitgeteilte.


Nähere Betrachtung heischen die Zunftmeister. Ihre Anfänge finden wir im XIII. Jahrhundert. Während kurzer Zeit unter Heinrich von Neuenburg wurden sie zum Rate gezogen. Dann ein Jahrhundert lang bildete ihre Gesamtheit mit jährlichem Wechsel alter und neuer Meister das Zunftmeisterkollegium, ein außerhalb des Rates stehendes Organ der Stadtverfassung. Vorsitzender des Kollegiums war der Oberstzunftmeister; es hatte seinen eigenen Schreiber und seinen eigenen Knecht. Für sich allein handelte [228] es in Zunftangelegenheiten, aber mit dem Rate zusammen in allgemein verbindlichen und wichtigen Dingen der Stadt. Consules und magistri societatum, rat und meister, erscheinen als getrennte Körper, aber gemeinsam beratend und handelnd bei militärischen Anordnungen, Steuerbeschlüssen, Bürgeraufnahmesachen, Strafgesetzgebung, privatrechtlichen Erlassen usw. So standen die Zunftmeister, die als solche von den zünftigen Ratsherren durchaus verschieden waren, zwar außerhalb des Rates; aber indem sie bei allen Hauptsachen zugezogen wurden, nahmen sie am Stadtregiment sozusagen dauernd Teil; dem entsprach, daß am Schwörtage schon vor 1382 auch ihnen geschworen wurde und daß auch sie Besoldung von der Stadt erhielten. Dieser Zustand fügt sich in das allgemeine Bild des frühern XIV. Jahrhunderts; wir erkennen die Tendenz zu engem Zusammenschließen der rein städtischen Elemente, von der bei Betrachtung der politischen Verhältnisse schon zu reden war, und ermessen hienach die Bedeutung, die den Zünften schon damals im öffentlichen Leben zukam. Auch während der Jahre der Adelsherrschaft nach der bösen Fastnacht sehen wir die Zunftmeister Mitwirken wie vordem. Aber gerade Erfahrungen dieser Jahre haben sie wohl dazu bewogen, als die 1380er Jahre eine Wendung der städtischen Politik brachten, diese Gelegenheit zu nützen zur Erlangung einer festeren Position. Sie wollten nicht mehr nur zugezogen werden, sondern im Rate selbst sitzen gleich den Ratsherren. 1382 traten sie in den Rat ein.

Von da an haben wir es mit einem einheitlichen Ratskörper zu tun. Aber die Erinnerung an den frühern Zustand lebte noch geraume Zeit weiter in der Titulatur von „Rat und Meister“, und überdies erhielten sich auch tatsächliche Verschiedenheiten: die Zunftmeister wurden nicht durch die Kieser gewählt, sondern durch die Zünfte, und dem Bischof schwuren sie nicht wie die Ratsherren. Der einzige Eid, der sie band, war der, den sie dem Rate selbst leisteten. Ihre Sonderstellung zeigt sich auch darin, daß nur sie den Ammeister ernannten. An ihre auch in den spätern Zeiten weiterdauernde Tätigkeit als Meisterkollegium in Zunftsachen, die mit dem Rate Nichts zu tun hatte, ist hier nur zu erinnern.

Den Gang der Geschäfte regelten die jährlich zweimal, bei der Einführung des Rates und am Weihnachtsabend, proklamierte Ratsordnung und zahlreiche einzelne Beschlüsse.

Dabei ist vor Allem zu beachten, daß neuer und alter Rat schon frühe nebeneinander bestanden und arbeiteten. Ihre Stellung war verschieden, wie ja nur der neue Rat dem Bischof schwor, und verschieden auch ihre Tätigkeit und Kompetenz. Der alte Rat hatte das Recht, von sich aus [229] Anregungen und Anträge vor den neuen Rat zu bringen. Er hielt seine besonderen Sitzungen, und unzählige Geschäfte wurden ihm durch den neuen Rat zur Vorberatung zugewiesen. „Der alte Rat rät, der neue beschließt,“ sagt schon Enea Silvio. Aber wenn auch zu Zeiten getrennt, bildeten sie doch gemeinsam die Regierung, und dem neuen Rate stand die Berufung des alten frei. Jedenfalls saßen sie bei der Gesetzgebung und allen wichtigen Fragen beisammen. Man sprach nicht mehr vom Rate, sondern von den Räten.

Diese Räte hielten jeden Wochentag Sitzung, mit Ausnahme des Freitags, im Sommer um sieben Uhr, im Winter um acht Uhr Morgens. Zur Sitzung riefen die Ratsglocken der Martinskirche; die erste Glocke, die eine Viertelstunde lang geläutet wurde, entbot den neuen Rat; die zweite, mit halbstündigem Läuten, den alten. Hatten die zwei „Zeichen“ verläutet, so begann die Sitzung mit dem Niedersitzen der Häupter, dann dem Appell durch die Kanzlei.

Das Einzelne der Geschäftsordnung, die Verteilung der Geschäfte auf die Wochentage, die Bestimmungen über Zuspätkommen Wegbleiben Austritt u. dgl. können hier nicht erörtert werden. Nur über die Häupter, Bürgermeister und Oberstzunftmeister, deren Titel auf die beiden Gruppen der berechtigten Bevölkerung (Burger und Zünftige) weisen, ist Einiges zu sagen.

Sie präsidierten in den Ratssitzungen, leiteten die Abstimmungen, übten Disziplin. Sie öffneten die einlaufenden Briefe, vollzogen die Ratsbeschlüsse. Eine durch Beschluß erledigte Sache nochmals vorzubringen, war ihnen untersagt. Sie hatten die Repräsentation des Stadtregimentes gegen außen und gegenüber dem einzelnen Bürger; daher sie täglich nach Tisch Jedermann zur Audienzerteilung bereit stehen mußten.

Eigenartig war die Stellung des Oberstzunftmeisters. Ursprünglich nur Vorsteher der Zunftmeisterversammlung und als solcher zum ersten Mal in der Zeit hervortretend, da die Zunftmeister soeben wieder aus dem Rat ausgeschieden waren, unter Bischof Peter Reich, wurde er zum zweiten Haupte der Stadt erst durch den Eintritt der Zunftmeister in den Rat 1382. Aber auch jetzt noch erinnerte Manches an die frühe Zeit der Bildung der Zünfte und die alte bischöfliche Herrschaft. Wie der Oberstzunftmeister durch den Bischof nicht auf Vorschlag oder nach der Vorwahl des Rates gleich dem Bürgermeister, sondern frei gegeben wurde, so war auch die, gelegentlich durch Bischof Caspar ausgesprochene Meinung, daß er an Statt des Bischofs und als dessen Amtmann im Rate sitze. Hiezu stimmt, daß bei Behandlung bischöflicher Sachen mit den Lehnsmannen des Bischofs auch der Oberstzunftmeister austreten mußte. Den Eid auf die Handfeste [230] leisteten dem Bischof Bürgermeister und Rat, nicht auch der Oberstzunftmeister. Aber den Eid der Zünfte am Schwörtag empfing der Oberstzunftmeister als ihr alter Vorsteher, nicht wie Bischof Caspar vorgab als des Bischofs Statthalter. Er war Vorsitzender des Zunftmeisterkollegs bei Zunftgeschäften; an ihn rekurrierte der Zunftmeister, dem ein Zunftbruder den Gehorsam weigerte. Eine Besonderheit endlich noch war seine Funktion als Fürsprech der Parteien vor Rat; Keiner, auch wenn er des Rates war, durfte seine Privatsachen hier selbst vorbringen; Solches konnte nur durch den Mund des Oberstzunftmeisters geschehen.

Bei alledem dürfen wir die Wichtigkeit der Häupter nicht überschätzen. Ihre Bedeutung war im wesentlichen formell und repräsentativ, ihre tatsächliche Macht beschränkt. Wie ganz anders lauten z. B. die Kompetenzen der Dreizehner neben denen der Häupter! Und unaufhörlich zeigt uns die Geschichte selbst, wie nicht Bürgermeister und Oberstzunftmeister, sondern einzelne durch Geist Kenntnisse und Energie vorragende Ratsglieder die Macht besaßen. Der Kreis, aus dem der Bürgermeister genommen wurde, war nie groß gewesen und wurde immer kleiner, so daß man zuletzt die Adligen für dieses Amt gleichsam kaufen mußte. Man wählte den Repräsentanten einer Kaste und nicht das Talent. So erklärt sich, daß die großen Bürgermeister Basels, die dem Amte Glanz gaben und oft wie souveräne Herrscher dastanden, erst der spätern Zeit angehören, die diesen Zwang der Beschränkung nicht mehr kannte.


Das den Häuptern und Räten am nächsten stehende, bei allen städtischen Geschäften in der vordersten Reihe arbeitende Organ war die Kanzlei.

Freilich fehlte noch ein guter Teil dessen, was später auf ihr lastete. Die Schriftlichkeit trat noch weit zurück hinter der mündlichen Erledigung, und überall herrschte das gesprochene Wort: im Verkehr von Behörde zu Behörde und Beamten, namentlich auch im Verkehr von der Behörde zum Volke. Hier bei der täglichen Audienzerteilung, bei dem Hören und Bescheidgeben im Rate selbst, am mächtigsten als „Ruf in den Kornmarkt“, mit dem der Rat von der Treppe oder aus dem Fenster seines Hauses Gesetze Befehle Verbote erließ, Krieg oder Frieden verkündete, in einem Verfahren, das auch spät neben dem Druck der Erlasse noch geübt wurde und sich oft nicht an Basel allein, sondern an die ganze diesen Marktplatz besuchende Nachbarschaft wendete. Was außerdem als Form der Publikation galt, der Anschlag am Rathaus, am Kaufhaus, am Rheinbrückenzollhaus, und die Mitteilung auf die Zunftstuben, ist hier nur zu erwähnen.

[231] Erkennbarer als bei andern Männern des Regimentes ist uns die persönliche Art und Fähigkeit dieser städtischen Schreiber. Sie bezeugen den die Stadtgeschichte schaffenden Geist und Willen durch Korrespondenzen Aufzeichnungen Verträge usw., die alle ihr Werk sind; sie legen die Stadtbücher an, pflegen und mehren sie; sie schaffen eine Registratur; sie ergänzen ihre Kanzleiarbeit durch das Schreiben einer offiziellen Stadtchronik.

Aber ihre Bedeutung liegt nicht nur darin, daß sie Überlieferer und Wortführer für uns sind. In ihrer Zeit selbst war Mancher unter ihnen tatsächlich der erste Mann der Republik, wenn er auch nur ihr erster Diener hieß. Hiezu berechtigte sie vor Allem, daß sie zu einer Zeit, da Vielen das Wissen des Schreibens und Lesens noch fehlte, die offiziellen Schriftgelehrten waren; ihr Ansehen ruhte aber auch auf einer noch viel weiter gehenden Überlegenheit der Bildung, sowie auf einem nicht gewöhnlichen Geschicke des Verkehrs, wozu auch Redegewandtheit gehörte nebst Menschenkenntnis und Klugheit und jedenfalls die Gabe, im richtigen Momente sich selbst auszutilgen und bei voller Bewußtheit der eigenen Macht und Leistung doch nichts Anderes sein zu wollen als der Beamte. Das Übergewicht wurde vollends dadurch erreicht, daß der Stadtschreiber blieb, auch wenn die Regenten wechselten, daß er allezeit auf dem Platze war und die Tradition festhielt.

Aus Solchem erklären sich Einfluß und Ansehen dieser Männer; dementsprechend war die Besoldung des Stadtschreibers in der Regel die höchste im Staate. Auch galten er und der Ratschreiber als die Tauglichsten für Gesandtschaften. Doch sparte man sie für die wichtigsten Fälle, wenn der Stadt „groß Ehaft und Not“ auf dem Spiele stand, um sie ihren sonstigen Geschäften so wenig als möglich zu entziehen.

Bemerkenswert ist bei alledem ihre isolierte Stellung. Sie kommen fast Alle von Außen herein, stehen wie Fremde mitten im Zentrum der Geschäfte, werden oft erst spät in die Bürgerschaft aufgenommen. Ohne Zweifel aus Absicht. Die Stadt will ihren Sekretär von allen hemmenden Beziehungen frei haben; er soll für sein Amt nicht als Bürger, sondern als Person interessiert sein. Statt des Bürgereides bindet ihn der Amtseid und über diesen hinaus noch der viel strengere Eid des Hehls. Es ist ein System, das mit der starken Wirkung von Heimatgefühl und Gemeingefühl nicht rechnet und sich auf Eide, auf Ehrgeiz und Gewissenhaftigkeit verläßt. Daß aber diese Mächte zu Zeiten dem Locken und Lohnen auswärtiger Regierungen gegenüber versagten, zeigen z. B. die in deren Archiven sich findenden Indiskretionen Marquard Müllers und Gersters.

[232] In der langen, mit Johann Parcifal 1302 beginnenden Reihe der städtischen Schreiber stehen Einzelne, die der Beachtung wert sind: Konrad Kilwart, der in den ersten Jahren des XV. Jahrhunderts die Mandatensammlung des kleinen Weißbuchs, die Missivenbücher Rechnungsbücher usw. anlegt und uns damit gleichsam plötzlich ein Fenster auftut in eine neue, aber schon längst vorhandene und belebte Welt hinein; der unruhige Walther Baumgarter, in den verschiedensten Ämtern und Stellungen Basels Österreichs Rheinfeldens umgetrieben, bis er endlich 1468 in der Basler Kanzlei sich zufrieden gibt; der Literaturfreund Niclaus Meyer; dann die Stadtschreiber der großen Zeiten: Konrad Künlin, Gerhard Mecking, Niclaus Rüsch, Johann Gerster, Kaspar Schaller. Jeder unter ihnen ist interessant, aber der bedeutendste Niclaus Rüsch. Im geistlichen Stande, dann in den Schreibereien des Rates und des Gerichtes zu Basel, dann als Mülhauser Stadtschreiber geschult, tritt er im Herbste 1474 an die Spitze der Basler Kanzlei. Im wichtigsten Moment nimmt er hier die Geschäfte in die Hand und führt sie während zweier Jahrzehnte durch den Wechsel aller Schwierigkeiten, in einer Zeit der stärksten Entwickelung. Er hat nicht den Geist des ihm befreundeten großen Berner Kanzlers Thüring Fricker; auch als Lateiner scheint er schwach gewesen zu sein. Aber er gibt durchaus den Eindruck verläßlichster Geschäfts- und Menschenkenntnis; Knebel preist ihn als einen scharfsinnigen klugen Mann. Und was ihn im Besondern auszeichnet, ist seine Teilnahme an der großen Umgestaltung, die sich während der 1490er Jahre in der Basler Politik vollzieht. Diese Teilnahme ist so intensiv, daß er dabei aus dem gegen außen unverantwortlichen Posten des Stadtschreibers vortritt in die Allem ausgesetzte Stellung eines Hauptes. Er wird 1497 Oberstzunftmeister, der einzige unter den Kanzleivorstehern der alten Zeit, der an das Schreiben das Regieren selbst schließt.

Die Organisation der Kanzlei war einfach. Neben dem Stadtschreiberer scheint schon früh, 1339 zum ersten Male beiläufig erwähnt, sein „Schüler“, ein Gehilfe; seit 1382 auch der Unterschreiber, später Ratschreiber genannt, ursprünglich wohl der Sekretär der Zunftmeister, den nun diese bei ihrem Eintritt in den Rat mitbrachten. Der „Schüler“ blieb und erhielt später den Titel des Substituten. Ratschreiber und Substitut waren dem Stadtschreiber untergeordnet. Jährlich beschworene Amtsordnungen regelten die Obliegenheiten dieses Personals in den Ratssitzungen, auf der Kanzlei, bei der Rechnungsführung. Stadtschreiber und Ratschreiber hatten ihre eigenen Häuser; der Substitut sollte auf dem Rathause wohnen.

[233] Von den Verwandten der Kanzlei, den Stadtjuristen, wird später zu reden sein.


An die Kanzlei schloß sich die Ratsdienerschaft.

Seit Beginn des XIV. Jahrhunderts hören wir von vier Knechten des Rates; neben diese treten die Wachtmeister, die Läufer, die Söldner.

Zunächst werden die Kategorieen noch ziemlich klar unterschieden. Die Ratsknechte dienen den Häuptern und dem Rate in deren nächsten Geschäften, tragen ihre Botschaften und Erlasse, bringen den Ehrenwein usw.; sie wohnen auf den Gefängnistürmen und haben hier die Gefangenen zu hüten. Den Wachtmeistern, die im Range tiefer stehen und den Ratsknechten Gehorsam schulden, ist die allgemeine Sicherheit und Polizei befohlen; sie dienen neben dem Rate vorab den Unzüchtern und den Ladenherren: sie versehen die Nachtwachen; sie sind Vorladungs- und Exekutionsbeamte; sie besorgen Binden und Foltern der Gefangenen, führen die Verurteilten zur Hinrichtung; sie werden im Zorne „des Henkers jaghünd“ genannt.

Aber in Manchem sind die Funktionen gemeinsam. Sowohl Ratsknechte als Wachtmeister sollen während der Ratssitzungen vor der Türe warten, haben Steuern anzusagen, Wundtaten, Unfugen, lange Messer, verbotenes Spiel zu rügen usw., und die Begriffe Ratsknechte Stadtknechte Wachtmeister fließen zuweilen unscheidbar durcheinander.

Auch die Zahlen sind nicht feststehend; doch finden wir in der Regel vier Ratsknechte und acht Wachtmeister.

Einzelne haben bestimmte Funktionen, wie das Läuten der Ratsglocken. Aber weder Ratsknecht noch Wachtmeister ist der Heizknecht, und auch derauf dem Rathaus wohnende Beamte, später Richthausknecht genannt, dem die Verwaltung des Hauses obliegt, gehört nicht zu ihnen.

Aus der Schar dieser Diener tritt seit Mitte des XIV. Jahrhunderts hervor der oberste Ratsknecht, Oberstknecht, den andern Ratsknechten übergeordnet und höher als sie besoldet. Seine Stellung ist derart, daß man schon 1424 von ihm sagen kann, „er sei so viel oder mehr denn Mancher der Räte“. Er hat nicht wie die übrigen Knechte vor der Ratstüre zu warten, sondern sitzt im Saale selbst, führt hier die Bußenbüchse und ist für jeden Auftrag zur Hand, vernimmt aber auch Alles, was geredet und gelesen wird, und dies Eine erhebt ihn natürlich weit über seine Genossen. Wie schon die Ratsknechte dadurch, daß sie der höchsten Behörde unmittelbar dienen, ausgezeichnet sind, so noch mehr dieser oberste Knecht. Er ist angesehen genug, um bei Strafgerichtsbarkeit die Obrigkeit selbst zu vertreten. [234] Durch ihn geschieht die Anklage im Blutgericht; er ist „Oberherr“ des Nachrichters, und mit diesem steht dessen ganze Nachbarschaft auf dem Kohlenberg, die Totengräber und das freie Gesindel, unter seiner Gewalt; auch die Frauenwirte und die Nonnenmacher haben ihm zu zinsen; er besorgt die Verweisung von Gebannten und Wundtätern.

Eine Gruppe für sich sind die Läufer, die „geschwornen Boten“ der Stadt. Ihre Zahl beträgt meist vier. Sie haben Meldungen zu besorgen, Briefe über Land zu tragen. Dafür beziehen sie ein Fixum und außerdem für jeden Gang einen Lohn nach feststehendem, den Distanzen entsprechendem Tarif. Ihre Stellung scheint weniger bindend gewesen zu sein als die der übrigen Diener; sie können ein Handwerk treiben, müssen aber stets zur Verfügung sein. Als Auszeichnung und Legitimation tragen sie eine Briefkapsel oder „Büchse“ mit dem Stadtwappen auf der Brust; sie soll ihnen auf ihren Reisen Unverletzlichkeit, auch vom Feinde der Stadt, sichern, und von diesen Läuferbüchsen ist in den Akten und Rechnungen viel die Rede. Ihrer sind zweierlei: silberne und hölzerne; ein Bote mit der silbernen Büchse galt mehr und wirkte auch als Geleitsmann sicherer, als wenn seine Büchse hölzern war. Aber weil es auf die Büchse ankam, nicht auf den Mann der sie trug, so konnte geschehen, daß ein Basler Läufer, der einen Brief des Rates an den Erzbischof nach Köln getragen hatte, nun unter der Kölner Büchse einen Erlaß des Erzbischofs weiter trug und als erzbischöflicher Bote galt, oder daß Basel seinen Boten, als sie 1431 Briefe Sigmunds zu bestellen hatten, Büchsen mit dem Reichsadler gab und 1485 in einer päpstlichen Sache Büchsen mit dem Schilde Innocenz VIII.

Das Weltdurchwandernde, gleichsam Grenzenlose dieses Dienstes, die Vorstellung davon, wie die wichtigsten Mitteilungen den Subalternsten anvertraut waren, der Gedanke an die unzähligen Gefahren der Reisen, — all dies verleiht den Stadtboten einen eigenen Reiz, und wir betrachten die alte Statue im Rathause, die ihre Erscheinung festhält, mit Teilnahme. Aber im Narrenschiffe schildert Brant den Basler Läufer als den säumigen Boten, als den Ausplauderer und Neuigkeitenkrämer. Und noch Anderes wird ihm gelegentlich vorgeworfen: daß er unter dem Schutz seiner offiziellen Büchse private Korrespondenz vermittle. Es scheint dies in der Tat zu Zeiten Brauch gewesen zu sein und konnte zu ernsten Beschwerden führen, so 1467 von Seiten Solothurns, und im kriegerischen Juli 1499 wurde es vom Rate ausdrücklich untersagt.

Sodann die Söldner. Sie gehören nicht zur eigentlichen Ratsdienerschaft, sondern werden nach Bedürfnis angestellt. Aber dieses Bedürfnis [235] ist konstant, und die Söldnermannschaft begegnet uns daher als stehende Truppe. Allerdings in beschränkter Zahl und auch da noch wechselnd; zu Zeiten sind es ihrer nur vier, meist mehr, in der Regel zehn bis zwölf. Sie haben ihren Amtseid. Außerdem schwören sie dem Rate jährlich am Schwörtag Morgens mit den Nichtzünftigen. Sie beziehen einen Wochensold, zu dem bei größern Expeditionen Zuschläge kommen. Daher ihre gelegentliche Bezeichnung als „Wochensöldner“. Sie sind beritten und geharnischt; ihre Waffe ist neben dem Schwert die Armbrust. Auch bei ihnen vermögen wir einzelne Personen zu erkennen: die Edelleute Veltin von Neuenstein und Konrad Münch; dann den oftgenannten Ulrich Mellinger; auch Veteranen sind unter ihnen wie Heinrich Gruber, der bei der Stadt Ulm, und Hans Marstaller, der bei Thomas von Falkenstein Knecht gewesen ist, und die dann noch ein halbes Jahrhundert lang dem Basler Rat als Söldner dienen. Für Streifereien, schnelle Ueberfälle und Exekutionen sind diese Leute dem Rate stets zur Hand und unentbehrlich; bei Kriegszügen ist ihre Truppe vielleicht der brauchbarste Teil des Heeres. In gewöhnlichen Zeiten sichern sie die Landstraßen, z. B. während der Basler Messen; aber auch wenn eine Prozession aus der Stadt hinausgeht, müssen sie Eskorte bilden. Sie reiten mit Gesandten und mit Fremden von Distinktion, wobei es sich so gut um die Sicherheit als um eine Ehrung handelt. Sie üben das Geleite der Stadt. Sie sind gelegentlich auch nur reitende Boten. Den Häuptern dienen sie mit Abwart und Folge. Und diese Verrichtungen treten immer mehr hervor statt des ursprünglichen kriegerischen Berufes der Söldner, je mehr die allgemeinen Zustände sich festigen und klären, die Unsicherheit allmählich schwindet. Diese alten rauhen oft ruchlosen Söldner leben zuletzt aus in den friedlichen Figuren der Herrendiener, der Einspänniger und Ueberreuter.

Endlich ist von den Musikern zu reden, den Pfeifern und dem Trompeter; der Letztere hat auch militärische Bedeutung. Als offizielle Stadtmusikanten, in welcher Eigenschaft sie uns durch ihre Amtseide gezeigt werden, haben sie das Publikum zu unterhalten. Sie sollen gemeiner Stadt dienen und warten wie auch den Leuten, die sie zu Hochzeiten u. dgl. dingen. Im Besondern liegt ihnen ob, alle Sonntage nach der Predigt auf dem Rathause zu spielen und Sommers nach dem Nachtessen auf der Rheinbrücke. Auch wenn der Rat ein „Ehrenmahl“ hält, sollen sie zum und vom Tische blasen. Die Stadt zahlt ihnen einen Wochenlohn und läßt sie das Uebrige bei Privaten verdienen; ihre Anstellung geschieht auf gegenseitige vierteljährliche Kündigung. Aber eine zahlreiche Kapelle ist es nicht; wir hören meist nur [236] von einem Trompeter und drei Pfeifern. Ihre offizielle Würde kommt deutlich zum Ausdruck: im Schwarz und Weiß ihrer Röcke; in den großen goldnen Schilden mit dem Baselstab, die sie auf der Brust tragen; in dem Prunkstück des wappengezierten kostbaren Seidenfähnleins der Trompete; in ihrer Verpflichtung gegenüber dem Rate, ohne dessen Willen sie Basel nicht verlassen dürfen. Als die Stadt Besançon 1508 bei einem Sebastiansfeste die Basler Musiker haben will, muß sie den Rat um Erlaubnis bitten. Auch die Konkurrenz will dieser nicht dulden und verbietet andern Spielleuten, den Zünften an deren Festen zu dienen. 1496 bei einem schlechten Ergebnis der Stadtrechnung wird beschlossen, die Kapelle aufzugeben; aber wie ungerne man dies tut, zeigen die wiederholten Beschlüsse, mit denen der Rat auf die Sache zurückkommt und bald Wiederanstellung bald Abschaffung will. Zuletzt entschließt er sich für Beibehaltung, und wir finden im XVI.Jahrhundert die Stadtpfeifer wie sie vordem gewesen. Auch einige Namen sind uns aus diesem muntern Kreis überliefert: Hans Drübein, Peter Zscheppelin und Herman Gugenhart die Pfeifer 1406, Paulus von Dietrichsbern der Trompeter 1396 eröffnen die Geschichte des offiziellen Musiklebens unserer Stadt.

Zuletzt der Narr. Er ist nicht Angestellter des Rates, hat keine Besoldung von der Stadt. Mit seinen Possen und seinem Dudelsack, wie ihn Jacob Sarbach am Spalentore verewigt hat, dient er Jedermann als lustige Person und lebt von Jedermann. Aber seine Verrichtungen und Verdienste sind offiziell anerkannt; er ist von Amtes wegen der Vertreter des Basler Witzes, der Stadtnarr, und trägt auf seiner Jacke die Ehrenfarben.


Die Tätigkeit des Rates wird durch die Stadtgeschichte gezeigt, so daß sie hier einer zusammenfassenden Betrachtung nicht bedarf. Nur auf Einzelnes ist aufmerksam zu machen.

Zunächst darauf, daß dies Regiment keineswegs nur ein munizipales war, sondern auch zahlreiche, im höchsten Sinne staatliche und politische Aufgaben hatte. Sodann auf das Vorherrschen der Mündlichkeit, die Erledigung vieler Geschäfte nicht durch Schreiben, sondern in persönlicher Verhandlung. Je mehr aber das Eine wie das Andre die Menge und Bedeutung der Ratsgeschäfte steigerte, um so empfindlicher war das Mißverhältnis zwischen der Natur vieler dieser Geschäfte und der Art der zu ihrer Erledigung bestimmten Behörde.

Wie das Leben republikanischer Gemeinwesen überall und zu jeder Zeit durch den Widerstreit individueller Begabung und Initiative mit dem [237] formell ausschließlichen Recht einer Gesamtheit bewegt worden ist und wird, so auch damals und hier. Nur daß dabei das persönliche Regiment nie den Sieg davon trug über das Kollegium, daß Tyrannis und Diktatur bei dieser Menschengattung undenkbar waren. Basel suchte sich auf andre Weise zu helfen: man griff zum Mittel einer durch schwere Eide und Strafen erzwungenen Heimlichkeit und beschränkte die Macht des eigentlichen Regierens auf einen kleinern Kreis von Männern.

Die Geheimhaltung von Beratungen und Beschlüssen war durchaus notwendig bei einer Behörde von solchem Umfange, die zudem unaufhörlich an Verteidigung ihrer Stadt und ihrer Rechte zu denken hatte und in ihren Reihen häufig Standesgenossen Lehnsleute Gläubiger von Feinden der Stadt zählte. Verständlich ist auch, daß nicht nur in politischen und militärischen Dingen Hehl geboten wurde, sondern auch in finanziellen; die Räte sollten ewiglich geheim halten, wie reich oder wie arm die Stadt sei. Aber was hier Vernunft war, wurde systematischer Unsinn, wenn der Rat das Geheimniswesen ins Extreme trieb und bei jeder Kleinigkeit das Hehl gebot. Schwere Strafen wurden auf dessen Bruch gesetzt; Keiner sollte das Votum des Andern ausbringen usw. Jene Verschwiegenheit und Geheimtuerei bildete sich aus, die der Florentiner Ugolini 1482 so verwunderlich fand, und jedenfalls nahm die übertriebene Häufigkeit des Hehlbietens diesem für Manchen den Ernst, so daß auch die Strafdrohungen nicht hemmten, wenn Leichtsinn oder Interesse zum Ausplaudern drängten.

Natürlich aber waren Geheimnisse besser durch Wenige zu hüten, als durch die große und so verschieden geartete Versammlung der vierzig oder gar achtzig Räte. Hiezu kam, daß Viele unter diesen zwar Regenten hießen, aber nicht waren, daß ihnen die Eignung zu manchem Ratsgeschäft und vor Allem zumeist der höhere politische Sinn fehlte. Beides wirkte dahin, daß der Gesamtheit des Rates nicht viel mehr blieb als eine formale und repräsentative Bedeutung, die Macht aber tatsächlich nicht durch sie ausgeübt wurde.

Der Rat hielt allerdings täglich Sitzung; doch wie es scheint nur zur ständigen Kontrollierung des Stadthaushalts, zur Annahme der unaufhörlich eingehenden Schreiben oder Gesandtschaften, der von Mitgliedern gestellten Anträge und Fragen, der zahllosen Begehren Einzelner, und dann zur Überweisung dieser Traktanden an Ausschüsse. Was daneben dem gesamten Rate blieb, waren Beschlüsse über wichtige Angelegenheiten und die Gesetzgebung; aber auch ihnen ging die Vorberatung in einer kleinern Behörde stets voraus.

Wir haben somit den Eindruck, daß der Rat nur in gewissen Fällen als Plenum arbeitete. Die Beratung und Ausführung der meisten laufenden [238] Geschäfte geschah durch Spezialkommissionen, die „Botten“, von denen schon in den 1370er Jahren die Rede ist, und bald wird dann dies Kommissionenwesen überreichlich bezeugt. Für alle möglichen Geschäfte, große und kleine, politische und administrative, namentlich für die an den Rat zur Schlichtung gebrachten Privathändel, wurden Botten delegiert. Allenthalben und zu allen Zeiten sehen wir diese Kommissionen sitzen und arbeiten. Es war eine stets wechselnde Auflösung und Verteilung der Ratsgewalt in Gruppen.

Aber nicht die einzige. Neben der Arbeit der Botten ging noch her die sehr intensive Tätigkeit ständiger Kommissionen.

Die frühest genannte Kommission ist die der Neuner im Kriegsjahr 1406. Ihr Auftrag war, auf der Stadt Feinde zu stellen und von des Kriegs wegen Alles anzuordnen und zu tun, was der Stadt Notdurft fordre.

Wichtiger und dauernder waren die Dreizehner. Schon frühe genannt als vorberatende Behörde des Rates in wichtigen Sachen, auch in solchen z. B. des Gewerbes. Dann aber hauptsächlich als Kriegsrat. So 1425 zur Zeit des Kriegs mit Diebold von Neuchatel. Ebenso zur Armagnakenzeit. Bis die Bewegung, die gegen die lehentragenden Stubenherren ging, auch die Dreizehner beseitigte und durch Neuner ersetzte, im Februar 1445. Aber am 17. Mai wurden auch diese wieder abberufen und statt ihrer neuerdings die Dreizehner erhoben. Sie erhielten die Gewalt eines Kriegsrates und zwar ausdrücklich nur für die Dauer des Krieges. Doch blieben sie nach dessen Beendigung bestehen, nur daß sie jetzt nicht mehr vom Großen Rate, sondern vom Rate gewählt wurden; auch ward ihre Zusammensetzung eine andere. Während 1445 nur zwei Stubenherren (Rot und Schilling) neben elf Zünftlern gesessen waren, bestand das Dreizehnerkolleg jetzt aus dem Bürgermeister, vier Achtburgern, acht Zünftlern und seit 1469 aus den beiden Häuptern, vier Achtburgern, sieben Zünftlern. Zu Zeiten aber finden wir die Zahl dreizehn überschritten und überdies noch Zubotten d. h. Suppleanten zugezogen, woraus sich ergibt, daß jetzt „Dreizehner“ ein vom Zahlbegriff unabhängiger Verwaltungsbegriff und Titel waren. Jedenfalls eine Behörde mit sehr weiter Kompetenz. Sie hatten nicht nur die Ausführung von Ratsbeschlüssen zu besorgen, sondern auch die Beamten beständig zu kontrollieren; auch lag ihnen ob, in allen das städtische Finanzwesen berührenden Sachen, die an sie gelangten, Verfügungen zu treffen, ohne daß ihnen der Rat dreinreden durfte; sie handhabten die Ordnungen der Stadt; sie konnten alle Briefe beantworten, die nicht „der Stadt Ehaften und Herrlichkeiten“ berührten. All dies zusammen ist eine Fülle von Macht. Scharfe Grenzen der Gewalt im Einzelnen fehlen freilich, und die Akten [239] zeigen, daß die Dreizehner etwa auch unwichtige Dinge nicht von sich aus erledigten, sondern vor die Räte brachten. Zeitumstände, persönliche Verhältnisse, Parteiströmungen haben jedenfalls stets mitgewirkt. Doch ist im Großen und Ganzen zu sagen, daß während der zweiten Hälfte des XV. Jahrhunderts das Dreizehnerkolleg, als Ausschuß des Rates sein Bestes an Einsicht und Kraft in sich schließend, der eigentliche Träger der Souveränität war.

Aber die demokratischen Regungen dieser Zeit griffen auch an das Institut der Dreizehner. Der Aufruhr von 1479 führte zur Einsetzung der Fünfzehner am 1. Juli 1479, wobei jedenfalls das Beispiel der in Straßburg als Fünfzehner bestehenden Kontrollbehörde wirkte. Die Sonderstellung dieses Kollegiums im Basler Organismus war dadurch bezeichnet, daß es zwar durch den Rat gewählt, aber in seinem Bestande ihm fremd sein sollte, nicht sein Ausschuß, sondern eine neben ihm stehende Behörde zu Verwaltung des gemeinen Gutes, mit einer über die Befugnis der Dreizehner noch hinausgehenden Vollmacht, dabei ohne Periodizität, ohne jährliche Neuwahl, mit Lebenslänglichkeit der Mitgliedschaft. Es war eine revolutionäre Neuerung, die aber gerade deswegen nie zur Tatsache wurde. Ihre Anhänger vermochten sie nicht durchzubringen. Der Rat schob die Sache hinaus, holte sich auch seinerseits aus Straßburg Auskunft über die dortigen Fünfzehner und fand außerdem Unterstützung bei Bischof Caspar, der die Einsetzung dieser Fünfzehner als der Handfeste zuwider angriff. Im Zusammenhang mit den damaligen Arbeiten für eine Verfassungsrevision wurde zuletzt den Demokraten an Stelle der Fünfzehner eine Umgestaltung der Dreizehner gewährt. Man erweiterte diese 1481 durch starke Beteiligung der Zünftler zu einem Zweiundzwanzigerrate, in dem neben sieben Stubenherren (unter Einrechnung des Bürgermeisters) fünfzehn von den Zünften saßen. Alle aber waren Mitglieder des Rates; jährlich wurden sie gewählt; ihre Ordnung entsprach derjenigen der Dreizehner. Und zunächst blieb auch deren Name, trotz der höhern Mitgliederzahl; erst seit Herbst 1492 hieß das Kollegium auch offiziell Zweiundzwanziger.

Auch hinsichtlich der nun einsetzenden zweiten reformierenden Bewegung erinnern wir an das Gesagte. Die Revisionsarbeit der 1480er Jahre wurde wieder aufgenommen und führte im März 1497 zur Aufstellung einer Kommission. Neun „fromme redliche sorgtragende und vernünftige“ Männer (drei von der Hohen Stube, sechs von Zünften) wurden aus den Räten ausgeschossen, um während dreier Jahre Handhaber und Vollstrecker des neuen Regiments und der Ordnungen zu sein, die sie aus den bisherigen [240] Ordnungen, sofern diese noch taugen, ausziehen oder neu aufsetzen sollten. Den gesamten Stadthaushalt und die Verfassung hatte die Kommission durchzuprüfen; neben der öffentlichen Ordnung und der Sittenpolizei sollte sie auch das Verhältnis zum Bischof und die Änderung der Handfeste beraten. Es war eine aus den Gährungen der Übergangszeit herauserhobene Behörde, durch Ochs nicht mit Unrecht Revolutionsrat genannt, ihre Bestellung und ihr Auftrag ungewöhnlich, ihre Tätigkeit noch über die Zeit des ersten Programms hinaus Jahre hindurch zu verfolgen und von tiefer Wirkung.

Neben ihr trat nun wieder der alte Dreizehner Rat in seine Stellung, in normaler Stärke und als die normale Exekutive. Nur daß jetzt seine Kompetenz schärfer bezeichnet, die „Oberkeit des Rates“ deutlicher gesichert wurde.

Außerdem aber finden wir jetzt auch, zuerst im September 1495, ein anderes Neunerkolleg, mit der Revisionskommission von 1497 nicht zu verwechseln, sondern deutlich als Kriegsrat funktionierend. Diese Kriegsherren, die alten Neuner von 1406 und 1445 wiederholend, blieben von da an ständige Kommission des Rates.

Das stärkste straffste Zusammenfassen der Ratsgewalt in Wenigen zeigen endlich die Heimlicher. Ihre Aufstellung geschah im bewegten Jahre 1373, und deutlich motivierte der Rat: kein Beschluß könne gefaßt werden, ohne daß er den Feinden der Stadt oder denen, um die es sich dabei handle, mitgeteilt werde; daher seien die Heimlicher bestellt worden, um im Kriege zu handeln, was durch sie besser geschehe als durch den ganzen Rat. Ihr Auftrag war, auf die Feinde der Stadt zu stellen und den Sachen nachzudenken, wie wir unsre Feinde schädigen könnten. Sie entsprachen so den Neunern der spätern Zeit. Deren Entstehen beseitigte die Heimlicher nicht. Aber verschärfte ihr Wesen. Statt der frühern fünf waren jetzt nur zwei oder drei Heimlicher. Rüstung und Kriegführung im Allgemeinen waren dem Kriegsrate zugewiesen, den Heimlichern das geheime Auskundschaften der umliegenden Lande und namentlich einzelne Maßregeln, die in ihrer persönlichen Richtung die ganze Härte und Unerbittlichkeit jenes Geschlechtes zeigen. Auf Den und Jenen zu stellen und so gegen ihn zu handeln, daß man ihn los werde, lautete in solchen Fällen der Auftrag. Es war eine Ergänzung des offenen Kampfes durch geheimes Befeinden, das notwendig war, aber dessen Häßlichkeit nicht nur uns verletzt. Die Heimlicherherren freilich waren durch das Amt gedeckt und hatten keine Hand zu regen; aber die „heimlichen Knechte“, die ihre Beschlüsse ausführen mußten, galten als anrüchig und geschändet.

[241] Vergleichen wir die Listen dieser Kollegien mit den Ratslisten, so überrascht uns die Wahrnehmung, daß die Last der Geschäfte und der Verantwortung samt dem Glanz von Macht Rechten und Verdienst auf Wenigen ruhte. In den langen Reihen der Ratsmitglieder waren es stets nur Einzelne, die für alle diese Geschäfte tauglich waren und daher die große Arbeit zu tun bekamen. Denn neben den unaufhörlich deputierten „Botten“ und den ständigen Kommissionen der Neuner usw. bestanden zahlreiche Kollegien für die verschiedenen Gebiete der Administration, die fast ausschließlich ebenfalls mit Gliedern des Rates besetzt wurden. Die Siebner Dreier Deputaten Unzüchter waren durchweg der Räten; ebenso die Kaufhausherren Ladenherren Bauherren Ehebruchherren usw.; in den Kollegien der Fünfer Feuerschauer Schafschauer saßen stets Ratsglieder. Auch Beamte wie die Obervögte der Herrschaften wurden immer, Salzmeister und Lohnherren oft aus dem Rate genommen. Und zu dem Allem kamen die täglichen Sitzungen des Rates selbst, die Arbeit im Stadtgericht, die zahllosen auswärtigen Konferenzen und Gesandtschaftsritte.

Was bei einer solchen Ordnung der Geschäfte möglich war, zeigt uns z. B. der alte Rieher, der 1495 neben seinem Oberstzunftmeistertum noch dreizehn Ämter in Kollegien und Pflegereien inne hatte. Aber wir dürfen keineswegs nur an die Mißbräuche macht- und sportelsüchtiger Kumulation oder an Begünstigung Unfähiger und Ausnützung des gemeinen Wesens durch Koterien denken. Der ganze Zustand kann auch schöne Aufopferung oder edeln Ehrgeiz Einzelner bezeugen und ebenso eine rücksichtslose Verfügung der Stadt über ihre Bürger. Was z. B. in Augsburg Peter von Argon zum Nutzen der Gemeinde aber zum schweren Schaden seiner privaten Interessen tat, mochte sich hier in Basel bei manchem Ratsmitgliede wiederholen, und nur selten kam es, wie bei Meister Henikin 1404, zur Anerkennung ja Vergütung solchen Opfers durch die Stadt.

Eine Leistung Einzelner in öffentlichen Dingen offenbart sich uns, die erstaunlich ist; nicht nur als Summe von Arbeit schlechthin, sondern als Zeugnis einer merkwürdig vielseitigen Begabung und Brauchbarkeit.

Aber unsere Vorstellung wird erst vollständig beim Gedanken an die grenzenlose Kleinarbeit, die täglich hart neben dem Größten zu leisten war. Der Rat hatte formell Alles in der Hand, jedes Detail kam vor ihn, das interne wie das auswärtige, und unter die großen Affären mengten sich stets zahllose oft läppische Einzeldinge, unter die Angelegenheiten des Gemeinwesens die Streitigkeiten Einzelner, Schuldsachen Handelsanstände Familienzank. Der Rat besetzte nicht nur sämtliche Kollegien; [242] er wählte auch alle Beamten, selbst die subalternsten. Das Öffnungsbuch zeigt uns, wie er unaufhörlich zu ernennen hatte, vom Stadtschreiber Schultheiß Landvogt an bis zum Torwart, zum Kaufhausknecht, zum Holzmesser.

So war alle Gewalt im Rate zusammengefaßt, und dem entsprach, daß nur wenige Beamte im modernen Sinne bestanden (neben zahlreichen niedern Angestellten), aber viele Behörden. Überall freilich tritt die Verschiedenheit des Rechtsgrundes zu Tage, auf dem diese ganze Existenz ruhte. Die Stadt besaß viele ihrer Regalien nur als Pfand, war daher in der Verfügung gehemmt. Die Folge war eine große Mannigfaltigkeit der Verwaltungskörper. Aber man behalf sich mit dieser, weil man auch an sich das Bedürfnis geschlossener Administration nicht hatte. Von Kasseneinheit war keine Rede; eine Reihe von Sonderhaushaltungen (Münze Kaufhaus Salzhaus) standen nebeneinander. Und in jeder, auch in der Hauptkasse des Rates herrschte das wunderlichste Durcheinander von Groß und Klein, so daß auf derselben Seite des Rechnungsbuches die Kosten einer Verhandlung mit dem Papst und des Ankaufs einer Rattenfalle für das Rathaus dicht nebeneinander stehen konnten. Wir vermissen aber in diesem reich gegliederten Mechanismus überhaupt eine klare Scheidung einzelner Teile; die Grenzen der verschiedenen Gewalten sind nicht mit Bestimmtheit zu erkennen; die Behörden konkurrieren, und die jeweilige persönliche Besetzung entscheidet wohl, ob ein Geschäft diesem oder jenem Kollegium zuzuweisen sei. Die Behörden haben nicht ihre unveränderlichen Machtbereiche und daher auch nur zum Teil individuelle, solchem Bereich entsprechende Titel. Man begnügt sich mit der nichtssagenden Bezeichnung nach ihrer Mitgliederzahl (Dreier Fünfer Siebner Neuner usw.), wobei auch die Vorstellung mitwirken mag, daß sie im Grunde nur größere oder kleinere Ausschüsse des Rates seien. Auffallend ist auch, wie sie sämtlich auf kurze Fristen gesetzt sind, wie nicht nur Bischof und Rat alljährlich unverdrossen das Stadtregiment in der alten Form wieder für ein kurzes Jahr aufbauen, sondern wie dies Regiment durch alle seine Stufen hindurch für dieselbe Zeitpause erneuert wird. Das erste Geschäft des neuen Rates ist immer, daß die sämtlichen Beamten vor ihn kommen und ihre Ämter aufgeben, damit er sie nach Erfordernis besetze; das Gleiche geschieht mit den Kollegien. Wenn auch die Nachteile, die dieses Verfahren haben kann, durch das faktische Perennieren von Räten Kollegien und Beamten aufgehoben werden, so bleibt doch der Grundsatz des jährlichen Wechsels in Geltung. Nichts Befestigtes, kein Gefühl von Dauer. Man ist auf Alles gefaßt; aus Vorsicht Mißtrauen Opportunität [243] richtet man sich stets nur soweit ein, daß man für Änderungen freie Hand behält.

Aber schon im XV. Jahrhundert bereitet sich ein fester geordnetes Verwaltungswesen mit Scheidung der Kompetenzen, Abstufung der Ämter nach Wichtigkeit und Ansehen, Sonderung von Behörden und Beamten, Lebenslänglichkeit der Stellungen allmählich vor. Am deutlichsten ist diese Entwickelung im Besoldungswesen.

Hier steht zu Beginn die Auffassung, daß eine öffentliche leitende Funktion Ehrensache sei und daß, wenn das Gemeinwesen etwas für solche Leistung biete, dies als Anerkennung geschehe, als Gratifikation, jedenfalls nicht als Löhnung. Bei den vornehmen Ratsmitgliedern, den Rittern, hat sich dies lange erhalten, indem sie noch im XV. Jahrhundert ein kleines jährliches „Spielgeld“ empfangen, die übrigen Räte aber einen Jahrlohn. Auch die Lämmer, obwohl sie ursprünglich nur Entgelt für die offizielle Karfreitagsdevotion gewesen zu sein scheinen, mögen hier genannt werden; sie wurden anfangs in Natur, später im Geldwert den Räten und mit der Zeit sämtlichen Kollegien und Beamten zu Ostern verabreicht. Dagegen sind die Hosen, die der Rat da und dort gibt, deutlich nicht Honorar. Ihrem Empfänger wird nicht die Arbeit bezahlt, sondern für die Kleiderabnützung im Dienst ein Ersatz geboten, ein Sitzungsgeld im wahren Sinne. So dem Ritter, der bei der Ungeldeinnahme sitzen muß, dem Schultheißen für eine Mehrarbeit u. dgl. m.

Denjenigen, die eine Vergütung oder Anerkennung ihrer freien „Arbeit“ erhalten, den Häuptern Räten Siebnern Fünfern, scheint derjenige gegenüberzustehen, der ein „Recht“ auf Entgelt hat, so der Vogt, die Schreiber, der Stadtarzt. Die unverdorbene sinnvollere Sprache der frühern Zeit macht noch diese Unterscheidung. Dann meldet sich das Spätere, daß dem Vornehmen, höher stehenden Besoldeten, der sein „Jahrrecht“ erhält, der Subalterne mit dem „Jahrlohn“ folgt. Bis zuletzt diese Sonderungen untergehen im allgemeinen Begriffe des Lohns, der jedem Arbeiter der Stadt gereicht wird, dem Bürgermeister so gut wie dem Knecht.

In Auszahlung und Buchung wird dieser Lohn als Jahrlohn Fronfastenlohn Wochenlohn geschieden; daneben werden Sitzungsgelder entrichtet sowie Zahlungen für bestimmte einzelne Verrichtungen. Überdies fügen sich an den normalen Besoldungsbetrag oft individuell oder momentan begründete Nebenzahlungen als Prämien Zulagen und Geschenke.

1. Die Besoldung besteht zunächst aus Geld, neben dem Fixum aus zahlreichen Sporteln. Bei einzelnen Beamtungen ist die Spezialität des Badegeldes üblich.

[244] 2. Die Besoldung wird außerdem in Tuch gegeben. Der Rat kleidet seit Beginn seine Schreiber und Knechte, und von da an nimmt die Zahl derjenigen, die jährlich einen Teil ihres Lohnes in Gewandstoff erhalten, stets zu. Unterschiede werden dabei gemacht in der Zahl der Ellen, in der Qualität des Tuches, im Schnitt (mit Lappen oder ohne Lappen), in der Zugabe von Pelzfutter. Diese Gewänder sind ein Teil des Lohnes und gelten als Zeichen der Dienstbarkeit. Daher obere Beamte verpflichtet werden, diese Röcke wenigstens an offiziellen Tagen (Ratserneuerung u. dgl.) zu tragen, und die stolzen Schreiber sie überhaupt sich vom Leibe zu halten suchen, statt ihrer das bare Geld verlangen. Zuweisung von Tuch und Zahlung von „Gewandgeld“, „Rockgeld“, scheint dann nebeneinander hergegangen zu sein.

Erst das XVI. Jahrhundert bringt hierin Änderungen. Zunächst durch Festsetzung des üblichen Weiß und Schwarz als „Stadtfarbe“ auch für diese obrigkeitlichen Röcke, deren Färbung bisher nach Belieben gewechselt hat. Sodann dadurch, daß den niedern Beamten durchweg statt des Rockgeldes Tuch gegeben und außerdem dies weiß und schwarze Tuch in außerordentlich reichem Maß und nach allen Seiten verschenkt wird. Vielfach gar nicht mehr als Amtskleid, sondern als Ehrenkleid, als Auszeichnung. Bezeichnend ist, daß 1515 auch den Gehilfen der Läufer die Stadtfarbe bewilligt wird, weil sie bisher wegen ihrer „beschabten bösen Kleider“ gering angesehen worden seien. Nicht nur Alles, was Lohn und Sold von Basel hat, geht jetzt an den offiziellen Tagen in Weiß und Schwarz, vom Büchsenmeister bis hinab zum Ratsstubenwäscher. Auch wer sonst irgendwie offiziell zur Stadt gehört, erhält ein Kleid in ihrer Farbe. Der Maurer, der dem Rat auf Schloß Farnsburg arbeitet, und der Senn im Schöntal so gut wie die Dirnen, die mit der Basler Mannschaft nach Genua ziehen. Auch die Gaben an die Schützen zu Stadt und Land, Jahre lang in Geld gegeben, geschehen jetzt in weiß und schwarzem Tuch; dies Ehrengeschenk erhält auch Einer von Frutigen, der das Horn (Alphorn?) geblasen hat, usw.

3. Vereinzelt finden sich Wohnungs- oder Hauszinsentschädigungen, an den Stadtarzt, den Stadtschreiber, den Wächter zu St. Martin usw. Auch an die Amtswohnungen (auf den Türmen, im Werkhof, im Karrenhof usw.) ist zu erinnern.

4. Korn und Wein bilden einen Teil der Besoldung nur bei Büchsenmeistern.

5. Ebenso gelten die Mahlzeiten der Siebner, die sie bei der Aufstellung der Rechnungen genießen, als Besoldung; und solcher Art ist auch die jährlich auf Martini dem Sinnschreiber zukommende Gans.

[245] Die frühesten Buchungen der Löhne zeigen uns einen auffallenden Mangel an Geschlossenheit und Methode. Nicht die Art des Amtes scheint die Norm für die Besoldungen zu bilden, sondern diese wechseln nach der Qualität der Inhaber. Aus zahlreichen Einzelbezügen setzt sich das Honorar einer Stelle zusammen.

Erst seit den 1380er Jahren festigt und vereinfacht sich das Verfahren. Doch ist eine Betrachtung dieses Besoldungswesens durch alle Stellen hindurch hier unmöglich. Wir nennen nur Einzelnes.

Bei der Besoldung der Ratsmitglieder kann Stabilität der jährlichen Sätze natürlich nicht erwartet werden. Mutationen im Bestand und zahlreiche einzelne Absenzen wirken auf die Summe. Das Jahresfixum, ohne die Präsenzgelder, beträgt für jeden Ratsherrn und Meister sechs Gulden.

Auch die Häupter erhalten anfangs nicht mehr als diese sechs Gulden, dann schon in den 1360er Jahren erheblich mehr; doch zeigt das Schwanken dieser Besoldung, wie unruhig die Zeit ist, wie umstritten Personen und Ämter sind. Seit 1386 zeigen sich stabil als Besoldungen des Bürgermeisters sechzig Gulden, des Oberstzunftmeisters fünfundzwanzig Gulden; 1429 werden diese Beträge auf fünfzig und zwanzig reduziert, 1448 auf vierzig und zwanzig; nach einer vorübergehenden Erhöhung sinkt die Bürgermeisterbesoldung 1500, anläßlich des Weggangs des letzten ritterlichen Bürgermeisters, auf sechsundzwanzig Gulden und steigt nach 1513 auf zweiundsechzig Pfund; seit 1500 ist ihr die Besoldung des Oberstzunftmeisters gleich. 1531 tritt eine nur dies Jahr anhaltende Reduktion beider Besoldungen auf siebenundvierzig Pfund ein.

Der Ammeister ist beide Male der Höchstbesoldete der Stadt mit hundert Gulden.

Die Schreiber stehen zu Beginn als Diener der Stadt da gleich Ratsknechten und Wachtmeistern. Wie diese erhalten sie Tuch zu ihrer Kleidung, und alljährlich nach der Ratserneuerung müssen sie „von ir notdurft wegen“ um eine Besoldung bitten. Erst 1397 tritt an Stelle dieser Willkür ein System; Stadtschreiber und Unterschreiber erhalten, neben wenigen Extrabezügen, feste Besoldungen, jener von achzig, dieser von vierundvierzig Gulden, und bleiben hiebei bis 1468, da eine Reduktion auf sechzig und dreißig eintritt; von 1480 an gilt dann wieder der frühere Ansatz.

Wir beachten die Reduktionen: 1429 für einen Teil der Gehälter beschlossen zugleich mit dem Erlaß eines Steuergesetzes, wegen der schlechten Finanzlage der Stadt; 1448 „um andre Beladungen ausrichten zu können“; 1531 im Zusammenhang mit der allgemeinen Reform des Stadthaushaltes.

[246] Im Jahre 1513 dagegen werden die Besoldungen der Häupter und Räte erhöht, weil sich ihre Arbeit durch den Eintritt Basels in die Eidgenossenschaft sehr vermehrt habe.

Ganz vereinzelt findet sich der Beschluß einer Teuerungszulage: 1438/39 an die Söldner. Stadtschreibern und Werkmeistern wird auch zuweilen Pensionierung gewährt.


So gestaltet war das städtische Regiment. Eine Fülle von Namen breitet sich vor uns aus in den Kieserlisten Ratslisten Beamtenlisten, und wir fühlen durch sie hindurch den stürmischen Pulsschlag des Lebens, die Erregtheit all dieser Wünsche Pläne Leidenschaften, die dem Gemeinwesen galten. Und doch erscheint das Alles in der Überlieferung als nebensächlich der starren dauernden Form gegenüber, die das Treiben umschloß und tatsächlich jeder Partei als unerschütterlich galt. Man hielt sie fest trotz Allem, und ihre Anwendung wurde zuletzt zur Absurdität, wenn z. B. Kieser und Häupter dieselben Personen waren, wenn für die Besetzung der Adelsbank auf künstliche Weise gesorgt werden mußte, wenn die Fiktion des adligen Bürgermeisters nur noch dadurch zu retten war, daß man einen Statthalter schuf.

Die Handfeste gab einen Wahlmodus, der für ein Geschlechterregiment erdacht war. Sie hinderte ein Mitwirken der Gemeinde bei der Ratswahl. Aber nicht sie allein, auch tatsächliche Bedürfnisse, persönliche Ambitionen, Parteiabsichten waren wirksam. Und diesen stand die Handfeste nicht im Wege; sie hinderte nicht, daß die Art des Regiments schon früh zur Oligarchie wurde.

Das Meiste hiefür tat die Übung, die Mitglieder des abtretenden Rates jeweilen nach einem Jahre wieder zu wählen und neue Räte werden zu lassen. Je mehr Politik und Haushalt der Stadt wuchsen, um so mehr forderten sie ein Eingearbeitetsein, - daher man für die Besetzung des Rates gerne stets auf dieselben Männer griff. Das Geschäft der Kieser wurde dabei zur bloßen Form. Im alten und neuen Rat ging und kam alljährlich ein Kreis von Männern, der sich nur in schwachem Maß änderte und erneuerte. Stabilität finden wir vor Allem bei der Hohen Stube und einzelnen Zünften, deren Vertreter für dauernden Dienst am Gemeinwesen die ausreichenden Mittel, die freie Zeit und namentlich die Fähigkeiten und die Bildung besaßen. Diesen Wenigen gehörte tatsächlich die Macht.

Was beim Rate geschah, wiederholte sich bei den Häuptern, und da als solche auch die Mitglieder des abtretenden Rates wählbar waren, so traf es sich in der Regel so, daß sie Jahr für Jahr die Geschäfte in Händen hatten, das eine Mal als Haupt, das andre Mal als Ratsmitglied.

[247] Alles, auch die fast ausschließliche Besetzung der Kollegien aus der Mitte des Rates, wirkte zusammen, um einen Gegensatz zwischen Rat und Gemeinde zu schaffen, und dieser wurde noch verschärft durch den Beschluß von 1401, der die Wahl der Zunftmeister den Sechsern gab. Die Sechser selbst aber wurden auch nicht durch die Zunftgemeinde, sondern jeweilen die neuen Sechser durch die abtretenden ernannt; die Starrheit des Alternierens herrschte auch hier. Wie der Rat faktisch sich selbst wählte, so galt auch auf den Zünften das Wahlrecht nur für Wenige und im Kreise Weniger.


Dieser Gegensatz von Rat und Gemeinde brachte dem politischen Leben unaufhörliche Bewegung. Er führte dazu, die Gesamtheit der Zunftvorsteher als Großen Rat am Regimente teilnehmen zu lassen; mannigfaltiger und heftiger offenbarte er sich in einer Opposition der großen Masse. Daß diese mit raschem Volkssturm die Politik des Rates überrumpelte, geschah nur selten, z. B. am Tage von St. Jacob und beim Auszuge nach Blochmont; dafür machte sich ein ruheloses Mißtrauen und Unbefriedigtsein in Lästerreden Sticheleien Aufreizungen wider den Rat Luft. Zeugnis eingeborner Bösmäuligkeit, aber auch eines bestimmten politischen Unbehagens, war solche scharfe und andauernde Kritik der Regierung ein nicht zu übersehendes Element des öffentlichen Lebens. Aber täuschen wir uns nicht, so galt die Bitterkeit dieser Befeindung meist einzelnen Personen oder momentanen Zuständen, selten dem Prinzip des Regimentes. Der Kampf ging nicht um die Regierungsform, sondern um den Besitz der Macht innerhalb dieser Form. Das reine Zunftregiment wurde so oligarchisch wie die Geschlechterherrschaft gewesen war.

Die Betrachtung dieser Dinge führt aber auf die Entwicklung der Stadtgeschichte und der städtischen Parteien überhaupt, während uns hier das Dauernde, das System dieses Regierens beschäftigt. Seine Erläuterung finden wir darin, was als offiziell formulierte Auffassung vom Wesen der Herrschaft, von Recht und Pflicht der Herrschenden und der Beherrschten gelten kann. „Einem jeglichen Regierer gebühre, seines Regiments gemeinen Nutz und Ordnung also zu bedenken, daß Regiment und Untertanen an Ehren Tugenden und zeitlichem Gut in beständlicher Beharrung und zunehmendem Wesen gehalten werden“, war das Programm, mit dem der Rat sich seine Ordnung gab.“ Der Stadt Nutz und Ehre zu werben, ihren Schaden zuwenden“ schworen jährlich Rat wie Gemeinde. Und „weil Gehorsamkeit eine Sache ist, davon viel Gutes kommt“, wurde jedes Amtsjahr eingeleitet [248] durch die feierliche Huldigung und Gehorsamgelobung der Einwohner an den Rat. Dieser war der Stadtherr, ein fast souveräner Machthaber, und mit voller Klarheit ist die Gliederung der Gewalten ausgesprochen: dem Bischof schwor der Rat beraten und beholfen zu sein, aber dem Rate schwor die Einwohnerschaft Gehorsam.


Durch Alles hindurch geht das Herrengefühl des Rates. Es ist unabhängig von der Art der Ratsmitgliedschaft, ruht im Begriffe der Ratsherrschaft selbst. Jedenfalls ist es getragen durch das Bewußtsein außerordentlicher Arbeit im gemeinen Dienst, die ja zum Teil dem Willen entspringen mag. Alles in Händen haben zu wollen, aber sicherlich auch unter dem Gebote steht, daß Ehre verpflichte.

Dieses alljährlich in den zeremoniösen Vorgängen der Ratserneuerung gestärkte Bewußtsein von Herrschaft und zugleich höchster Pflicht äußert sich in Allem, vorab in der Stellung des Rates zum Bischof, zu den Beamten und der Gemeinde, zu auswärtigen Potenzen. Auch in Einzelheiten einer immer deutlicher sich ausbildenden Etikette, wie z. B. dem großen Gefolge von Dienenden das den Bürgermeister oder Ammeister zu geleiten hat, in der Verleihung von Ehrenschilden Stadtfarben Wappenfenstern, in der Ausübung offizieller Gastfreundschaft.

Die letztere bestand hauptsächlich in der Darreichung von Ehrenwein, den der Rat durch seine Bedienten dem Gast überbringen ließ, sodann in völliger Bewirtung oder in Gesellschaftleistung bei Tische. Sorgfältig wurde hierüber Buch geführt, und diese Schenkweinlisten haben die Geltung einer wichtigen Geschichtsquelle. Sie belehren ununterbrochen über diesen Verkehr des Rates. Gestalten aus entlegener Ferne zeigen sich neben den unaufhörlich vorsprechenden Nachbarn. Unzählige Gesandtschaften die der Rat empfing, unzählige Konferenzen die hier stattfanden, sind in anderer Weise gar nicht überliefert. Der reiche lebendige Eindruck, den diese Rechnungsposten in ihrer Gesamtheit machen, ist außerordentlich; man sieht und hört das Hin- und Herreisen Reden Verhandeln Vorbringen und Antwortgeben, eine bunte Menge, ein nie aussetzendes vielstimmiges Geräusch.

Aber Schenkwein und Gesellschaftleistung steigern sich, wenn Fürsten einreiten oder gar des Kaisers Majestät selbst kommt, zu mächtigen Darbietungen der Stadt, bei denen es nicht mehr um ein paar Weinkannen und einige Schillinge geht, sondern um schwerbeladene Wein- und Kornwagen, um erlesene Salmen aus dem Rhein, um Herden von Schlachtvieh, um Gold- und Silbergefäße, selbst um Summen baren Geldes.

[249] Der Rat beschenkt jedoch nicht nur Solche, die mit ihm zu tun haben, sondern überhaupt jeden Durchreisenden von irgendwelcher Auszeichnung. Es ist unmöglich, hier auf Einzelheiten einzugehen. Höchstens die große Gruppe fürstlicher Spielleute Sänger Sprecher Herolde und Persevanten u. dgl. ist zu nennen, da diese Leute zumal im spätem XV. Jahrhundert zu einer stehenden Klientel wurden, deren Bettelei bald allenthalben eine Last war, so daß man selbst auf Reichstagen davon redete. Jedenfalls handelte es sich bei ihnen nicht mehr um den Schenkwein, sondern einfach um Geld. Auch sonst fällt oft schwer zu sagen, ob man eine Ehrung oder eine Unterstützung vor sich habe. Die Schar der Empfänger ist überaus vielgestaltig, von den Provinzialen der Bettelorden die periodisch sich hier einstellen, von der sächsischen Herzogin die bei Unserer Lieben Frau zu Einsiedeln gewesen ist, bis zu den vertriebenen Christen von Ellenbogen, dem tauben Doktor, dem armen Ritter aus Lüttich der vom heiligen Grabe kommt usw. usw. Wie mancher solcher Passanten, wohl auch der im November 1479 beschenkte „König von Konstantinopel“, mag ein loser Schwätzer gewesen sein, der den Baslern für ihren Schenkwein eine ganze Odyssee erzählte. Und derselbe Bettler, der als Pilgrim, als Rom- oder Heiliggrabwallfahrer u. dgl. beim Rate vorgesprochen, klopfte dann auch noch an den Bischofshof. In einzelnen Fällen — einem Nachrichter der fromm werden will, einer armen Frau mit drei Siechtagen — ist das Ehrengeschenk unverkennbar zum Almosen degradiert, in andern — einem Mohren, einem gelehrten jungen Knaben, einer Frau ohne weibliche Zeichen — zur Belohnung einer Kuriosität.

Mit dem mannigfach bezeugten souveränen Gefühl ist aber durchaus verträglich, daß dicht neben dem feierlichsten Gebühren ein spontanes vertrauliches, von aller Pedanterie freies Handeln steht. Vor Allem in den Beziehungen des Rates zur Gemeinde. Den Grundsatz, daß der Rat seinen Bürgern in ihren Nöten und Anliegen helfen solle, spricht er selbst schön aus. Dabei hat er nicht nur öffentliche Verhältnisse im Auge, sondern auch die ganz privaten Angelegenheiten des Einzelnen. Als die Obrigkeit eines Gemeinwesens, wo Jeder Jeden kennt, kümmert sich der Rat auch um diese Dinge. Er weist die Bürger nicht einfach an das Gericht, sondern nimmt sich selbst ihrer Beschwerden an, läßt durch die Häupter abhören erkundigen schlichten, zu Güte und Ordnung reden. Und hierüber hinaus sehen wir hundertfältig bezeugt, wie der Rat Freude und Trauer nicht allein seiner Mitglieder mitbegeht, sondern in viel weiterm Kreise solche Erlebnisse, Hochzeit wie Bestattung, durch seine Teilnahme adelt.

[250] Ein sicherer Stil, der Hohen wie Niedern allezeit bewußt blieb, ließ das Ansehen des Regiments durch solche unamtliche, ja familiäre Betätigung keinen Schaden leiden. Er ist es auch, der die mancherlei Zeremonien und selbst die Fröhlichkeiten, von denen die Arbeit der Behörde begleitet war, nicht als etwas Fremdes, sondern als gleichwertige Bestandteile von Ratsordnung und Ratspflicht erscheinen ließ. So natürlich die Feier der Jahrzeiten der alten Bischöfe, die Teilnahme am bischöflichen Leichenkondukt, die Darbringung von Kerzen zum Heiligen Grab im Münster jährlich am Karfreitag. Es waren dies Leistungen, mit denen nicht bloß eine Höflichkeit bezeugt wurde; in ihnen lebte vielmehr noch ein Rest alter Zusammenhänge, so gut wie in den geweihten Kerzen, die das Domstift jährlich auf Lichtmeß allen Gliedern der Stadtverwaltung spendete. Aber auch die Ratsmahlzeiten treten in Akten und Rechnungen mit dem Ernst von Geschäften auf. Wie oft schloß sich an Augenscheine und Konferenzen wenigstens ein Trunk. Gesandte verbündeter Regierungen oder hohen Besuch liebte der Rat zu gastieren und hatte hiefür gewöhnlich eine der Herrenstuben zur Verfügung. Aber auch ohne solchen Anlaß sehen wir namentlich die Häupter beständig zu Tisch geladen, bei Zünften, bei den Schützen, bei einzelnen Beamten, in Klöstern. Oft tafeln die Räte zusammen, wenn ein Hirsch im Stadtgraben erlegt worden ist, oder wenn einer der Landvögte, der Bischof, befreundete Adlige ein Stück Wildpret geschickt haben. Das Gericht hat seine Mahlzeiten, und jährlich am Dreikönigtag ist der Schmaus der Stadtknechte, zu dem der Rat den Wein stiftet. Das „Rechenmahl“ der Siebner ist ein Teil ihrer Besoldung. Wenn die neuen Räte nach Johannis eingeführt werden, haben ihnen die Lohnherren eine „Morgensuppe“ im Rathause zu rüsten; zur selben Jahreszeit findet jeweilen auf der Stube zum Brunnen ein offizielles Fischessen des Rates statt, wenn der Teuchelweiher oder einer der obrigkeitlichen Fischteiche geleert wird; 1521 aber werden diese beiden Mahlzeiten zu einem großen Bankette vereinigt, das von nun an jährlich an Kaiser Heinrichs Tag durch Rat und Gericht gemeinsam im Rathause soll gehalten werden.


Das Gebäude, in dem als im Hauptsitze städtischen Lebens dies ganze mannigfaltige Leben sich gesteigert zusammenfand, wird heute vergeblich gesucht. Das Rathaus des XIV. und XV. Jahrhunderts ist untergegangen, der glorreiche Bau, den ihm das junge eidgenössische Basel anfügte, nur noch in Resten erhalten. Aber was wie damals das erste Haus der Stadt ist, erhebt sich heute an derselben Stelle, über den alten Grundmauern, ist noch belebt durch zahllose Schatten jener Zeit.

[251] Das erste Rathaus, 1257 erwähnt, war an der Ecke von Sporengasse und Marktplatz gelegen und blieb hier bis in die 1340er Jahre. Da zog der Rat auf die andere Seite der Straße, an den Fuß des St. Martins-Hügels; hier finden wir das Rathaus 1354. Im Erdbeben wurde es vernichtet, und der Rat verband mit dem Wiederaufbau eine Vergrößerung; er erwarb 1359 das Nachbarhaus Waldenburg und begann den Bau eines einheitlichen, die Breite beider Hofstätten einnehmenden, von der Straße bis an den Berghang reichenden Rathauses.

Es bestand aus Vorderhaus und Hinterhaus. Jenes erhob sich über einer Halle, die mit drei Bogen geöffnet war. In der Ecke des Hofes führte eine Wendeltreppe hinauf. Das Hinterhaus war durch ein Höflein vom Berge getrennt. Auf der Höhe des letztem lag der Hof der Püliante von Eptingen.

Diese Anlage wurde erweitert: 1438 um eine Stube für den alten Rat; 1462 um ein Archivgewölbe im hintern Höflein; 1482 um drei Archivkammern ebenfalls im Höflein und über dem Gewölbe von 1462.

Die Räte hatten ihren Sitzungssaal im ersten Stock des Hinterhauses; ebendort im Erdgeschoß lag die Gerichtsstube; die Kanzlei scheint im Vorderhause gewesen zu sein, das die 1407 durch Fritscheman Guntrifeier von Ulm verfertigte und der Stadt geschenkte Schlaguhr enthielt.

Wir suchen uns das Leben zu vergegenwärtigen, das in nie ruhendem Verkehr das Haus erfüllte. Die Räte, die Schreiber, die Kollegien trieben hier ihr Wesen; Fürsten wurden hier empfangen; die Beratungen und Entschlüsse der mächtigsten Zeit unsrer Geschichte haben diese Räume zu denkwürdigen gemacht. Und neben dem Großen und Unvergänglichen wie viel Alltägliches Kleines! Der Rathaushof diente als Vorplatz der Gerichts- wie der Ratsstube, an den Pfeilern der Halle waren die Maße für die erlaubte Länge von Schwert und Degen und war das Ellenmaß in den Stein eingelassen, waren Kundmachungen Zitationen Fröhnungen usw., kaiserliche Mandate, Manifeste aller Art angeschlagen; vor dem Hause und im Hofe standen Buden und Verkaufsbänke von Bäckern Wechslern Krämern, der Hof war zu Zeiten nichts Anderes mehr als ein Teil des Marktplatzes draußen; hier wie dort wurde Korn verkauft, standen die Müller mit ihren Mehlsäcken, wogte und lärmte das Gedränge.

Überall frisches Leben. Auch in den obern Geschossen, wo neben dem Ernst der Ratssäle uns ein gemütliches Haushaltungswesen entgegentritt: das Tisch- und Küchengerät für die Mahlzeiten des Rates, sein Silbergeschirr (Schalen und Becher), seine Zimtbüchse, seine Schenkkannen und zinnernen [252] Platten bis zum Thymian Reckholder und Lorboum, mit dem im Winter hier geräuchert wird. In einem Gang oder einer Stube war ein Devotionsplatz mit Heiligenbildern, vor denen beständig eine Ampel brannte.


Dem Komplex des Rates und seiner Kollegien und Beamten gegenüber stand der Große Rat, durch die Zunftvorstände gebildet. Seine Anfänge fallen in die erregten Jahre, da Herzog Leopold Nachbar Basels wurde und Johann von Vienne Bischof war. Deutlich zeigte sich der Wille der Zünfte; eine seiner Äußerungen war nun auch, daß bei wichtigen Fragen der Rat die Sechser sämtlicher Zünfte zusammenrief und beraten ließ. Zum ersten Mal begegnet uns dies im Jahre 1373.

Als Versammlung der Zunftvorstände war der Große Rat Gemeindevertretung, solange diese Vorstände aus der freien Wahl der Zünfte hervorgingen. Aber zum Teil schon im XIV. Jahrhundert ernannten die alten Sechser selbst die neuen Sechser, und es waltete eine Beschränkung auf wenige Wählende und Wählbare, die den einzelnen Zunftvorstand von der Zunft und den Großen Rat von der Bürgerschaft trennte. Dennoch hieß der Große Rat gelegentlich „die Gemeinde“. Aber wie er nicht die Ratsherren wählte, so auch nicht als Großer Rat die Zunftmeister; diese wurden erhoben durch die dann allerdings im Großen Rate sich zusammenfindenden Sechser. So stand die große Behörde da, nach oben und nach unten ohne Verbindung, ohne formulierte Kompetenzen und Rechte, ohne eigene Organe.

Der Große Rat bestand aus den alten und neuen Sechsern der fünfzehn Zünfte, demnach aus hundertachzig Mitgliedern. Zu diesen kamen die Schultheißen beider Stadtgerichte sowie wahrscheinlich diejenigen Mitglieder des Großbasler Gerichts, die nicht der Räten waren, und vier Männer aus den Kleinbasler Gesellschaften. Der Rat als solcher nahm an den Sitzungen des Großen Rates ebenfalls teil. Die Versammlung war mithin so zahlreich, daß sie nur beim Fehlen vieler Mitglieder im alten Rathause Platz fand; ihre Sitzungen wurden daher meist in einem Saale des Augustinerklosters, seit Mitte des XV. Jahrhunderts etwa auch im Predigerkloster abgehalten, bis der Neubau des Rathauses hier einen würdigen Raum schuf; seit 1521 war dieser die Stube des großen Rates.

Der Große Rat war keine unentbehrliche Behörde, vor allem nicht die ausschließlich legiferierende. Das gesamte Recht war vielmehr beim Rate. Der Große Rat konnte sich daher auch nur auf den Ruf des Rates versammeln, und dieser war formell frei, ihn zu rufen oder nicht. Aber es geschah meist in allen wichtigen Fragen. Bestimmte Regeln waren nicht [253] vorhanden und die jeweiligen Umstände maßgebend; zu Zeiten zwang den Rat dazu eine allgemeine Stimmung, zu Zeiten konnte ihm selbst die Berufung auf die Sechser dienlich sein. Aber wie der Rat hiebei frei war, so übte er seine Gewalt auch in den Großratssitzungen selbst, wo er bei Gelegenheit nur Mitteilungen machte, ohne eine Umfrage zu stellen, oder auch nach geschehener Diskussion noch eine Beschlußfassung verhinderte.


Das Gebiet der Stadtherrschaft zerlegt sich vor uns in einzelne Kreise.

Der Kern des Ganzen, die älteste Stadt, äußert sich nur noch in wenigen Spuren: in den Grenzen des Martinszins- und des Heuergeldbezirkes; in einigen Türmen Torbögen Mauerstücken; in den vier „Kreuzgassen“ des Kriminalprozesses, die an Wegscheiden vor der frühesten Stadt erinnern (Rheinbrücke, Fischmarkt, Kreuzung von Hutgasse und Schneidergasse, Einmündung von Münsterberg oder Bäumleingasse in die Freiestraße).

Klar und vollkommen sichtbar dagegen und mit bestimmter Wirkung bestand die Scheidung der Altstadt, der „rechten Stadt“, von den Vorstädten und von Kleinbasel.

Zwischen der Altstadt und den Vorstädten zog sich der innere Stadtgraben, Burggraben, mit Mauer und Toren. Die Anlage war ein Werk des XII. Jahrhunderts und für dieses gewiß eine mächtige Leistung. In den uns beschäftigenden Jahrhunderten aber scheint sie großenteils ein Bild idyllischer Friedlichkeit geboten zu haben. Die Mauern waren meist in den Besitz der angrenzenden Privaten gekommen und in Häuser eingebaut, der Graben auf lange Strecken an eben diese Anwänder vermietet, die hier in der windgeschützten warmen Tiefe Gärtchen anlegten, Reben und Fruchtspaliere an den Mauern zogen, auch kleine Gebäude errichteten. Die Zinse von diesen Parzellen, die sog. Grabenzinse, waren eine Einnahme der Stadt, die sie jährlich durch den Zinsmeister einzog, und aus den Akten hierüber werden uns manche dieser Bezirke völlig anschaulich: der Graben bei St. Peter, wo zahlreiche Abschnitte an die Herren der anstoßenden Ritter- und Patrizierhöfe verpachtet waren und allerhand Erker und Türmlein über dem grünen Gelände aufstiegen; der Graben bei Kunos Tor, wo mehrere Münsterkapläne und als Besitzer des Hauses zum Pantier Heinrich von Beinheim, dann Claus Meyer Stücke nützten, sowie der städtische Büchsenmeister eine Werkstatt stehen hatte. Im Graben zu St. Leonhard war eine Zeitlang der Schießstand der Büchsenschützen, beim Eselturm der Tuchrahmen der Schlüsselzunft. Das Bild wird für uns vollständig, wenn wir beachten, daß bei den Futtermauern und Brüstungen vielerorts Grabsteine von den alten Judenkirchhöfen [254] Verwendung gefunden hatten. Das Ganze ein Altertum und durch das Bedürfnis weit überholt. Von Bedeutung waren nur noch die bei den Straßen und über dem Birsigeinfluß sich erhebenden Türme. Neben den zwei Törlein, die bei St. Leonhard und bei St. Peter zu Überbrückungen des Grabens durchgebrochen waren, bezeichneten und schirmten sie die einzigen Öffnungen der Burgmauer. Sie alle scheinen von Stadtknechten bewohnt gewesen zu sein und Gefängnisse enthalten zu haben. Es waren: Kunostor oder Turm beim Deutschenhaus, später Bärenhaut genannt; dann das innere Eschemertor, mit einem Nebengebäude, das 1475 dem Söldner Veltin von Neuenstein zur Wohnung gegeben wurde; es folgte die umfangreiche Anlage, bestehend aus dem Wasserturm über dem Birsig, dem Eseltürmlein und dem Eseltürlein, einem Mauerdurchgang am Fuße des Hügels von St. Leonhard; weiterhin das innere Spalentor oder der Spalenturm; endlich das selten genannte innere Tor zu Kreuz.

Der ganzen Ringlinie dieser Gräben entlang, vom Kunostor bis zum innern Kreuztor, führte auf der äußern Seite schon früh eine Straße. Und dann kamen die Vorstädte.

Diese waren entstanden durch ein allmähliches Städtischwerden des offenen Landes, ein eroberndes Hinausgreifen der Stadt über ihre Grenze. Kräfte und Wünsche von beiden Seiten trafen aufeinander: der Landbewohner suchte die sichere warme Nähe der Stadt, der Städter drängte hinaus zu Luft und Licht. So wuchs Haus nach Haus aus dem bisher offen gewesenen Gelände: Gartenhäuser Keltern Scheunen Ställe, aber auch Wohnungen und Gewerbe. Anfangs in Gruppen geballt bei den alten Niederlassungen St. Alban und St. Johann, dann auch hier sich längs den zur Stadt führenden Straßen in Reihen scharend, wie dies an den großen Heerwegen des Spalentors und Äschentors geschah.

Unentbehrlich war dann eine Befestigung dieser Wohnplätze. Auch hiebei gingen die Enklaven von St. Alban und St. Johann voran; eine Ummauerung der Spalenvorstadt mit mehreren Toren wird schon am Ende des XIII. Jahrhunderts erwähnt; bei Äschen und Steinen zeigen sich Tore in der ersten Hälfte des XIV. Jahrhunderts. Aber diese Fortifikationen bestanden getrennt für unzusammenhängende Häuserhaufen; erst die zweite Hälfte des XIV. Jahrhunderts faßte diese Vielheit in Eins zusammen.

Seit 1362 sehen wir die Stadt in gewaltiger Tätigkeit für die Befestigung. Der frische Mut, der nach der ungeheuern Katastrophe des Erdbebens das gemeine Wesen erfüllte; der von einer Alles drohenden Zeit unaufhörlich erregte und zu den stärksten Anstrengungen getriebene Geist; [255] die Finanzkraft der Stadt und ihrer Bürger — Alles äußert sich in diesem mächtigen Bauunternehmen. Es verband die einzelnen Körper der Vorstadt; die weitgezogene Linie dieses Mauerrings umspannte jetzt auch die freien hellen frucht- und grastragenden Flächen, die noch zwischen den Vorstädten sich breiteten. Die Anlage bestand aus Graben und Mauer und zahlreichen Türmen. Auf der Stadtseite der Mauer wurde ein Rondenweg vorbehalten, der Raum zwischen der Mauer und den Friedekreuzen draußen mit einem Bauverbote belegt.

Ein Jahrzehnt lang wurde an dieser Stadtwehr gearbeitet. Nicht bis zur Vollendung der Mauer. Aber die Türme standen; als der Rat 1374 eine Wachtordnung erließ, hatte er die einundvierzig Türme schon vor sich, die wir auch später wieder finden. Die Jahre des Kampfes mit Herzog Leopold brachten eine Pause. Doch das verjüngte Basel der Ammeisterzeit, des schwäbischen Städtebundes, der Sempacher Schlacht griff das unvollendete Werk frisch wieder auf. Am 30. Juli 1386 ernannte der Rat den Heinrich Puer zum Bauherrn; im Herbst gleichen Jahres begannen die Arbeiten an der Ringmauer aufs Neue, um nun nicht mehr abgebrochen zu werden. 1398 waren sie vollendet. Von Rhein zu Rhein zog sich nun eine Fortifikation von einundvierzig Türmen und tausendneunundneunzig Zinnen um Großbasel. Wagdenhals Guckindasnest Schadegarte Luginsland Torimaug sind lebensvolle Benennungen solcher Türme; von den Anwändern trugen den Namen Eglolfs Tor, der Sürlin Turm, Breitschedels Turm, von bewohnenden Stadtdienern Bösingers Turm, Rintschuchs Turm, des Brunnmeisters Turm; einzig den St. Thomasturm am Rhein bei St. Johann hatte die Andacht benannt und mit dem Standbilde des Heiligen geschmückt.

Unter den alten Stadttoren, die von nun an Bestandteile eines einheitlichen Systems waren, trat das die große Sundgaustraße aufnehmende Spalentor bedeutend hervor. Daher die mächtige Gestaltung, die es im Anschluß an den Mauerbau um die Wende des XIV. und XV. Jahrhunderts erhielt: die ganze Toranlage wurde neu aufgeführt, als viereckiger Torturm mit zwei diesem zur Seite stehenden Rundtürmen. So entstand ein Bau, der mehr war als nur Prunkbau, als nur Auszeichnung eines Haupteinganges der Stadt. Er sprach die Größe aus, die diesen Jahren der Stadtgeschichte innewohnte, den Jahren der Erwerbung des Territoriums, des Bundes mit Bern und Solothurn, der Vorbereitungen zum Kampfe mit dem letzten großen Feinde der Stadt, mit Österreich. Ähnliches gilt von seiner Erweiterung sechzig Jahre später; ein Blitzschlag, der am 26. Juli 1468 den Turm schwer beschädigte, gab den Anlaß, nicht nur diesen wieder herzustellen; auch ein [256] Stück angrenzender Mauer wurde erneuert und sodann im Herbst 1473 durch Jakob Sarbach das Vortor errichtet. Nicht aus Laune. Dieser zierliche geschmückte Bau war eine der Rüstungen Basels für den Kampf mit Herzog Karl von Burgund.

Der weitgespannte Mauerring gab der Stadt viel zu tun. Vielleicht war die Arbeit zu rasch gemacht worden; der Unterhalt blieb eine dauernde schwere Last. Große Herstellungsbauten scheinen in den 1480er und 1490er Jahren ausgeführt worden zu sein; 1495 lag die Errichtung eines Bollwerkes auf der Höhe neben dem Steinentor im Plane; 1531 sodann kam es zum Bau der großen Bastionen vor der Neuen Vorstadt und bei St. Clara.

Eine Belagerung erlebten die Fortifikationen nie, mit Ausnahme vielleicht der nur schwach bezeugten durch Herzog Leopold 1374; Enea Silvio urteilte, daß sie eine solche überhaupt nicht aushalten würden, und ein im August 1444 in Basel anwesender Rotweiler fand die Mauern kaum zwei Schuh dick. Aber Basel hatte gefahrvolle Zeiten genug, in denen es, weil eine Belagerung wenigstens drohte, die Tore schließen, die Türme und Mauern besetzen mußte, wobei es oft empfand, wie sehr diese Ausdehnung der Enceinte die Verteidigung erschwerte. Im Übrigen aber war ein stilles Leben um diese Mauern. Da und dort kam es zu Usurpationen der Anwohner, mit Überbauung des Rondenwegs usw. In den breiten Gräben wuchs Gras, wucherten Nesseln und Dornen, standen Bäume, weidete das Vieh, so daß der Rat von Zeit zu Zeit mähen und säubern ließ. Außerdem dienten sie als weitgedehnter Tiergarten; in früher Zeit scheint die Stadt einmal Bären gehalten zu haben, seit Beginn des XV. Jahrhunderts hielt sie hier stets Rotwild.


Der Mauerring zog sich so weit, daß er durch Jahrhunderte dem Wachstum der Stadt genügte, und somit war von jetzt an der Begriff der Vorstädte ein bleibender. Aber in mancher Beziehung dem Begriffe der rechten Stadt entgegengesetzt.

Schon im Äußern unterschieden sich die Vorstädte als großenteils offene, locker überbaute Gebiete. Nach dem Erdbeben 1356 waren, da die Marktgegend in Trümmer und Asche lag, hier draußen Baracken für den Warenverkauf errichtet. Hafner- und Ziegelöfen Gießereien Backöfen Brennöfen wurden allmählich aus der dicht bebauten Altstadt in die Vorstädte gewiesen.

Sodann die alten Sonderrechte bei Martinszins und Bäckergewerbe. Daß nur die Vorstädte den Weidgang verwalteten, während doch das Vieh [257] zum Teil auch in der innern Stadt eingestallt war, erinnerte vielleicht an alte Feldgenossenschaften. Huren durften ihr Gewerbe nur in den Vorstädten treiben. Bei Ausklagung wegen Geldschulden und in der Exekution geschah Verbannung aus der Stadt in die Vorstadt und umgekehrt. Dabei galt auch nach der Vereinigung der Vorstädte hinter der gemeinsamen Stadtmauer noch immer jede Vorstadt als ein separater Bezirk, so daß es möglich war, den Ausgeklagten oder Bußfälligen aus einer Vorstadt in die andre zu jagen.

Die einzelnen Vorstädte waren in der Tat auch an Wesen und Bestand verschieden:

St. Johann, lang hingezogen zwischen dem Rhein und schwach bebautem Gartenland, großenteils von Fischern bewohnt.

Spalen und Äschen, Einmündungen großer Straßen, beide dicht bebaut, reich an Gewerben und von lärmendem Leben erfüllt. Hier wohnen viele Sattler und Schmiede als die dem Fuhrmann und Reisenden unentbehrlichsten Handwerker, liegen auch alte Herbergen.

Höchst charakteristisch sodann die Steinenvorstadt, aus der Straße zwischen Birsig und Kohlenberghügel und der auf der andern Seite des Birsigs außerhalb des Steinenklosters zum Tor führenden Straße bestehend. Ihr Bild zum Teil merkwürdig hell durch die offene sonnige Lage, die Wasserläufe, die zahlreichen Bleichen, ja selbst das Weiß der Klosterfrauen. Das Ganze eine Anlage auf ursprünglicher Allmend; alljährlich zieht der Rat Zinse von diesen Hofstätten Gärten Bleicheplätzen, auch von dem mit Weiden bewachsenen Gelände zwischen Kloster und Birsig. Die Bewohner sind in der Hauptsache Weber, die sich von ihrem frühem Quartier bei St. Leonhard in diese stille abgelegene Vorstadtgegend herab gezogen haben.

Keine der Vorstädte aber stand so sehr vom Allgemeinen separiert wie St. Alban. Keine auch ist uns so bekannt wie sie. Der alte Bifang von Kloster und Mühlen war allerdings schon im XIII. Jahrhundert mit der Stadt durch eine Mauer verbunden worden; im XIV. Jahrhundert wurde ein Ummauern auch der äußern, über den Mühlen gelegenen Straße und der Bau eines äußern Tores nötig. Nach 1362 sodann kam es zur Verbindung dieses Komplexes mit der Äschenvorstadt durch die neue große Stadtmauer. Aber ehe dies Alles geschah, hatte das Klosterdorf St. Alban schon Jahrhunderte lang wie eine Welt für sich gelebt, und dieser Zustand blieb vielfach auch jetzt noch. Er ruhte auf der entschiedenen Sonderexistenz der Wassergewerbe, die ja auch topographisch ganz abgeschlossen waren, auf der Grundherrschaft des Klosters und auf seiner erst 1383 an die Stadt übergehenden Gerichtsbarkeit. Zwar die Freiheit von der städtischen Heerpflicht [258] Pflicht, von der noch um die Mitte des XIII. Jahrhunderts hatte geredet werden können, galt schon hundert Jahre später nicht mehr; auch waren in der Vorstadt die Fünfer, die Unzüchter, der Brotmeister kompetent. Aber daneben doch noch welche Vielgestaltigkeit eigenen Lebens. Im engen Kreise der Lehen am Teich die Rechte der Lehenleute und die Befugnisse des Propstes; im ganzen Bezirke der Vorstadt sodann und darüber hinaus bis ans Birsufer und die St. Jacobsstraße das Amten der fünf Feuerschauer, der fünf Einungmeister (die über Feldfrevel und Beschädigungen zu entscheiden, den Weidgang und Herbst, den Hirt, den Bannwart, den Zuchtstier zu besorgen hatten), der fünf Gescheidleute für Grenzstreitigkeiten. Die Wahl dieser Beamten geschah durch den Propst mit dem Rate der Vorstadtleute. So noch zu Beginn des XV. Jahrhunderts. Aber 1473 werden die Einungmeister durch die Vorstadtgemeinde gewählt, und daß sie jetzt mehr Vertreter der Gemeinde sind als Beamte des Klosters, zeigt ihr Auftreten im Weidgangstreit der Gemeinde mit den Lehenleuten 1488.

Die Zustände von St. Alban, wo eine einheitliche Grundherrschaft war, dürfen nicht ohne Weiteres auf die andern Vorstädte übertragen werden. Bei diesen erscheint Vieles sich selbst überlassen, formloser, nur allmählich heranwachsend. Die umfassende Regelung von oben herab fehlte, und statt ihrer haben wir eine gewisse Autonomie der Bewohner anzunehmen; ein sich Verständigen der Ansiedler, die zu Vorstadtleuten wurden; ein gemeinsames Ordnen der Benützung von Straße und Brunnen, der Feueraufsicht, des Weidgangs u. dgl. Eine Besorgung von Dingen also, die ganz und gar lokal waren, nur den Einzelnen hier draußen berührten und für das Gemeinwesen wenig Interesse besaßen. Anderes dagegen, wie die Gewerbepolizei, das Recht, die Bauordnung, war natürlich auch in der Vorstadt Sache des Rates. Ebenso die wichtigen Angelegenheiten der Mauerbewachung und des kriegerischen Alarms. Wir werden sehen, in welcher Weise diese letzteren geordnet wurden, wie seit 1392 eine separate Wachtorganisation für jede Vorstadt bestand. Die alte Sonderwirtschaft in jenen Einzelheiten wurde dadurch nicht berührt; sie dauerte weiter und fand festere Formen in der Organisation von geselligen Vereinigungen der Vorstadtleute, von Stuben oder Gesellschaften.

Nach der Mitte des XV. Jahrhunderts finden wir solche Vorstadtgesellschaften bezeugt: 1465 Meister und Gesellen von Krüz (St. Johannsvorstadt); 1469 die Gesellschaft auf der Stube ze Kreygenberg an den Spalen; 1475 Meister und Gesellen der Gesellschaft zum Rupf in der Vorstadt Eschemertor.

Sie alle haben ihre Verfassung; neben die Geselligkeit, die durch sorgfältige Vorschriften geleitet wird, völlig dem Stubenwesen der Zünfte [259] entsprechend, treten die Befugnisse der kleinen Polizei, des Weidgangs usw. daß mit den Vorstädten und mit der Entwickelung des öffentlichen Lebens überhaupt die Bedeutung dieser Vorstadtgeschäfte gewachsen ist, daß sie Teile der städtischen Verwaltung geworden sind, zeigt jetzt die wiederholte Beteiligung des Rates; er bestätigt Gesellschaftssatzungen, er vermittelt zwischen den Vorstadtleuten und sondert die Kompetenzen.

Wir nehmen ein allmähliches Hervortreten und Anerkanntwerden der Vorstadtgesellschaften wahr. Nur zu St. Alban zeigt sich ein andrer Verlauf. Auch hier bestand eine Gesellschaft, die Gesellschaft zum Esel; aber sie umfaßte nur die Gewerbsgenossen des Mühlenquartiers und war wohl lediglich geselliger Natur. Die Vorstadtleute auf dem Berge dagegen scheinen ohne ausgebildete eigene Organisation in der Art der andern Vorstädte gewesen zu sein, vielleicht weil die Grundherrschaft Solches nicht hatte aufkommen lassen. Aber mit der alten Macht dieser Grundherrschaft war es in der zweiten Hälfte des XV. Jahrhunderts vorbei; das Kloster lag tief darnieder. Die Wirkung hievon zeigte sich sofort in der Vorstadt: die Gemeinde zog die Wahl der Einungmeister an sich, sie stritt mit den Lehenleuten wegen des Weidgangs, die Leute im Mühlenrevier stritten mit den Leuten auf dem Berge über ihre Befugnisse, die Einungmeister stritten mit dem Gescheid usw. Alles bewog den Rat, einzugreifen. Er verfügte 1489, daß sämtliche Vorstadtleute von St. Alban, zu Berg und Tal, zusammen eine einzige Gesellschaft bilden sollten, und wies dieser als Gesellschaftshaus den von ihm dafür hergerichteten Lindenturm über dem Lindenbrunnen an, der am Mühlenberg, in der Mitte zwischen den beiden Gebieten gelegen war. Zum Unterschied von den übrigen Vorstadtgesellschaften scheint diese Gesellschaft, die „Stube zum Lindenbrunnen“, zunächst lediglich geselliger Verband gewesen zu sein; diese Geselligkeit regelte eine 1492 durch den Rat erlassene Ordnung. 1494 finden wir die Gesellschaft schon nicht mehr im Lindenturm, da dieser Ende 1492 durch Brand zerstört worden war, sondern weiter oben im Hause zum Hohen Tolden untergebracht und den Namen dieses Hauses tragend. Neben ihr bestanden die alten Ämter der Feuerschauer und der Einungmeister weiter; erst 1524 gingen sie nebst dem Gescheide durch Verkauf vom Propst an die Stadt über, womit die Möglichkeit gegeben war, nun auch in St. Alban gleich wie in den andern Vorstädten den Weidgang usw. durch die Gesellschaft besorgen zu lassen.

Das XVI. Jahrhundert zeigt uns die Entwicklung der Vorstadtgesellschaften in einem einheitlichen Zustande abgeschlossen: die Gesellschaft hat über Sauberkeit von Gasse und Brunnen zu wachen, den Weidgang zu ordnen, mit einem Vertreter des Rates die Feuerschau zu üben; zu ihr gehört, wer [260] in der Vorstadt wohnt; ihr durch die Vorstadtgemeinde gewählter Vorstand besteht aus Vorstadtmeister Stubenmeister und einigen Beisitzern; er hat die Weisungen des Rates entgegenzunehmen, führt alle Vorstadtgeschäfte und ist die Ungehorsamen zu strafen befugt. Der neben ihm stehende Hauptmann ist nicht Vorstadtbeamter, sondern Teil der alten städtischen Wacht- und Alarmorganisation.


Zahlreiche Angaben lassen uns den Zustand des um die Vorstädte sich ziehenden Gebietes erkennen. Zwischen Hügeln und dunkeln Wäldern ruht die Ebne, zum Teil Garten Rebgelände Wiese Saatfeld, zum Teil Weideland und Wildnis. Erhebliche Änderungen in der Kultur kommen jetzt kaum mehr vor; der Forst, der noch im XIII. Jahrhundert einen Teil der Gegend zwischen St. Albanvorstadt und St. Jacobsstraße bedeckt hatte, ist ausgerodet und seine Bezeichnung Hart haftet nur noch an Äckern; die einzige nennenswerte Änderung ist die Einführung des Safranbaus, die aber nur für wenige Jahrzehnte anhält. Zwischenhinein freilich zeigt sich etwa, wie nahe der Stadt auch jetzt noch die alte Wildnis ist: in einer Nacht dringt ein Rudel Wildschweine dem Rheinufer nach durch das Claustor in Kleinbasel ein; oft haben die Hirten, die das Vieh der Bürger vor den Mauern hüten, sich der Wölfe zu erwehren; 1421 läuft ein solcher durch die Stadt; unaufhörlich zahlt der Rat Prämien für Erlegung dieses Raubzeugs. Auffallend ist die starke Parzellierung der Flur in zahlreichen kleinen Gütlein, Acker- und Gartenstücken. Manche Namen, die wir da finden, des Gärtners Großpeter 1407, der Rebgüter im Nauen und im Heymen 1422, des Rennfeldes 1458, der Güter der Gnadentalnonnen vor dem Spalentor 1461, der Äcker in der Kuchi 1487, des Langgäßleins 1488 usw. tönen noch heute. Mannigfach gestaltet ist bei alledem das Bild dieser Flur, reich belebt durch Flüsse Bäche Weiher, den Verkehr auf den großen Straßen, die weidenden Herden, das Beizen und Jagen, die Vogelstellerei. Auch die zahlreichen Andachtsorte übersehen wir nicht; die Stadt ist wie umhagt durch Kreuze Heiligenbilder Kapellen.

Doch beschäftigt uns hier die rechtliche Gestaltung des Gebietes.

Zunächst der Bezirk der Kreuzsteine. Daß diese wiederholt vor der Stadt haben weichen müssen, wurde schon erwähnt. Um die Mitte des XIV. Jahrhunderts aber war der Zustand fest: eine mit Bauverbot belegte Zone lag rings um die Stadt zwischen den äußern Mauern und den Kreuzsteinen.

Solche Steine werden oft erwähnt; doch ist meist ihr Standort nicht mehr mit Sicherheit nachzuweisen. Vor dem St. Albantor stand ein Stein [261] wahrscheinlich da, wo der Neusatzweg von der Gellertstraße abzweigt; vor dem Äschentor wahrscheinlich am Rande des Gundeldingerplateaus bei der Eisenbahnunterführung.

Der Kreis dieser Steine bezeichnete das Stadtfriedensgebiet und bis zu ihm galten die Strafgesetze (Einungen) von 1339 und 1352; er war Grenze auch bei den Verboten von Spiel und Waffentragen. So erklärt sich auch, daß der Rat 1395 einige Blotzheimer Bauern zur Strafe zog, die „inwendig unsern crützen“ einige Michelbacher verwundet hatten, und daß er 1420 dem Hans Wilhelm von Girsperg in dessen Rechtshandel mit einem Basler das Gericht am Kreuzstein wollte halten lassen; dem Girsperger war die Stadt und ihr Friedegebiet verboten. Vor Allem aber erklärt sich aus der Bedeutung der Kreuzsteine die übliche Strafe der Leistung, der Verbannung vor ihren Kreis im Falle von Totschlag Verwundung Unfug; wer den Stadtfrieden brach, sollte seiner auch selbst nicht genießen, sondern aus dem Friedebezirk weichen.

Ferner Zwing und Bann. Seine Grenze lief „vom Rhein die Birs hinauf bis nach Brüglingen, von da zu dem Stein wo sich Basler und Münchensteiner Bann scheiden, von da über den Berg ins Bottminger Tal und längs dem Oberwiler Allschwiler Hegenheimer Bann zum Eptinger Gut und an den Rhein“. Später schieden Binningen und Bottmingen aus, sodaß dann Zwing und Bann dem heutigen Großbasler Stadtbann entsprach. Dies Gebiet, in dem wir den alten bischöflichen Zwing und Bann, den Bezirk der Vogtei erkennen dürfen, war jetzt, seit dem Erwerb dieser Vogtei durch die Stadt, der Bereich des obrigkeitlichen Befehls, des Gebotes und Verbotes, der städtischen Gerichtsbarkeit, der städtischen Herrschaft. Ein Bezirk, in dem der Rat Souverän war, über die Stadtmauern hinausreichend, aber als Stadtgebiet wieder vom Gesamtterritorium unterschieden. Als der Rat 1543 die Märchen und Bannsteine um dies Gebiet beschreiben ließ, nannte er es „Twing und Bann und Oberkeit“, und 1468 im Streite mit den Tiersteiner Grafen nahm er die „hohe Herrlichkeit“ so weit in Anspruch, als sein Zwing und Bann reiche.

Drittens die Bannmeile. Sie war kein festumgrenztes Gebiet, sondern eine nach Bedürfnis wechselnde Zone. Nicht Stadtfriedensbezirk wie der Bereich der Kreuzsteine, nicht Herrschafts- und Gerichtsbezirk wie der Bann, sondern Marktfriedensbezirk Geleitsbezirk. Daher das Bischofsrecht bestimmte, daß der Bischof in der Bannmeile Jedem Frieden verschaffen, ihn geleiten solle, eine Pflicht erfüllend, die seinem Rechte als Marktherr entsprach. Daher auch das Fernhalten aller Schädigung des Marktverkehrs in den Bestimmungen, [262] daß die Bürger, die Privatfehden hätten, diese nicht in der Bannmeile führen sollten. Daher gelegentlich die schwere Ahndung einer Verletzung dieses Bannmeilefriedens, wie 1406 gegenüber den Tiersteinern. Daher namentlich die wirtschaftspolizeilichen Ordnungen für die Bannmeile mit Verbot von Handwerksbetrieb Markt Fürkauf.

Es lag in der Natur der Sache, daß die Bannmeile kein feststehender Begriff war, sondern nach Bedarf und Verhältnissen wechselte. Die Angaben über ihre Ausdehnung sind in der Tat verschieden. Das Bischofsrecht zog ihre Grenze vom Birsausfluß auf der rechten Seite bis zum Stein jenseits der Brücke, dann über das Bruderholz nach Hagental Buschweiler Kreften (zwischen Hegenheim und St. Ludwig) und von da bis zum Spital in der Krutenau d. h. hinab nach Kembs. Der Stadtfriede des XIV. Jahrhunderts hielt diese Grenze fest bis Kreften, zog sie dann aber, unter Weglassung des langen Ausläufers nach Kembs, hinüber nach Hüningen; dafür fügte er eine Umgrenzung auf dem rechten Rheinufer hinzu, die längs der Wiese bis zur Holzmühle und dann hinüber zum Hornfelsen ging. Spätere Bestimmungen erstreckten sie hier sogar bis Märkt und Haltingen.

Mit der Bannmeile zusammen hing das merkwürdige Verhältnis des „Neuen Wegs“. So hieß, wohl zum Unterschied von der alten, von Kembs an noch vorhandenen römischen Rheinstraße, das obere Stück der Straße längs dem Rheine, die sich vom Basler St. Johannstor nach Kembs zog. Diese obere Strecke bis Kembs entspricht der Begrenzung der Bannmeile im Bischofsrechte, und diesem Bannmeilerecht gemäß hatte der Herr der Bannmeile sowohl die Pflicht des Straßenunterhaltes als das Recht zur Erhebung eines Weggeldes. Mit dem Marktrechte und den Zöllen, deren frühester Rodel schon dieses Weggeld nennt, gingen Pflicht und Recht auf die Stadt Basel über. Ihre Rechnungen zeigen die Einnahmen vom Neuen Weg und die Ausgaben für seinen Unterhalt; beim Streit mit Österreich wurde auch dieses Recht Basels angefochten, aber die Breisacher Richtung 1449 bestätigte das überlieferte Verhältnis und setzte fest, daß die von Basel den Neuen Weg ferner in Ehren halten und von ihm wie bisher ein bescheidenes Weggeld erheben sollten. Hiebei blieb es. Die solchergestalt Basel zugewiesene Straßenstrecke reichte bis zum „Stich“ oberhalb Kembs; 1488 und 1508 stellte sie der Rat mit großen Kosten wieder her.


Eigenartig steht auch jetzt wieder Kleinbasel da.

Seine öffentlichen Zustände dauerten aus der rudolfinischen Zeit in der Hauptsache unverändert weiter bis zur Vereinigung mit der größern [263] Nachbarin. Wir sehen die Bischöfe dem Städtlein die Handfeste erteilen; sie haben die Gerichtshoheit, auch in Kriminalsachen, und üben Recht und Gericht bis zur Mitte der Rheinbrücke; sie haben die Steuergewalt, den Zoll, die Rechte des Bannweins und Fuhrweins. Erst zuletzt tritt eine Änderung ein: 1375 gibt Bischof Johann diese ganze Stadtherrschaft an Herzog Leopold zu Pfand, und dieser bis 1386 währende Pfandbesitz durch Österreich ist der Schluß der bischöflichen Periode Kleinbasels.

Aber unter dem Stadtherrn steht eine selbständig handelnde und berechtigte Korporation. Gemeindeleben und Gemeindegefühl sind stark ausgebildet, so stark, daß es 1342 zum Aufruhr der Bürger gegen den Bischof kommt, vielleicht erregt durch den Streit zwischen Kaiser und Papst und seine Folge, das Interdikt. Wichtiger ist die dauernde kommunale Tätigkeit der Gemeinde. Ihr Führer ist der Schultheiß, der in Rat Gericht und Fünferamt präsidiert. Die Gemeinde besitzt Liegenschaften, hat eine Allmend, kauft und verkauft. Sie erwirbt auch Fischenzen in der Wiese, den Patronat zu Schallbach, 1386 sämtliche Mörsbergerrechte zu Kleinhüningen. Die Anlegung einer Sandgrube, der Erwerb von Teichwasser, die Sorge für Kirche und Pfarrhaus, die Besoldung eines Schulmeisters sind Einzelheiten dieser Gemeindeverwaltung. Daneben stehen auswärtige Beziehungen, z. B. zu Straßburg. Und das Größte ist der schöne Freiheitsbrief, den nicht der Bischof, sondern sie die Gemeinde 1365 vom Kaiser erhält.

Das dritte Element ist auch jetzt noch und ist immer mehr das Hereinwirken Großbasels. Eine Kraft, die auf tausend Wegen strömte, an tausend Punkten traf. Was hierüber schon gesagt wurde, ist nicht zu wiederholen.

So klar gefaßt und gesondert im bischöflichen Rechte die Stellung Kleinbasels war, — als einer Landstadt gleich denen im Birstal und eines von der größern Stadt verschiedenen Gebildes, — so leicht kam doch auch der Bischof dazu, aus Gründen der Kürze und Bequemlichkeit diese Ansiedelung über der Brücke nur wie eine Vorstadt Basels zu behandeln.

Aber gerade hierin zeigte sich, wie unhandlich auf die Dauer dieses Verhältnis war. Dazu kam seit 1375 der Pfandbesitz Kleinbasels durch Österreich, für Großbasel die allerdeutlichste Demonstration einer Gefahr in nächster Nähe. Daß daher der Rat schon damals an einen Erwerb der kleinen Stadt dachte, ist ersichtlich. Innere und äußere Nötigung wirkten zusammen. Der Verfall des Hochstifts wies den Weg; zuerst gingen Schultheißentum und Steuer durch Pfandlösung an Basel über; dann kam Sempach. Am 13. Oktober 1386 traten Leopolds Söhne ihre Pfandschaft Kleinbasel [264] an den Rat ab, und nach mühsamen Verhandlungen, bei denen Basel das Geld nicht sparen durfte, kam am 6. April 1392 die Abrede zu Stande, durch die das Hochstift Kleinbasel eines steten festen ewigen Kaufes an Bürgermeister und Rat überließ.

Es war ein großer Schritt über die bisherigen Grenzen hinaus und eine dauernde Sicherung der Rheinstadt. Für Kleinbasel aber kein Wechsel der Herrschaft. Nicht Herrschaft wollte Basel, sondern Vereinigung mit der kleineren Stadt, völlige Aufnahme dieser in den eigenen Organismus. Das Städtchen, das bisher nicht mehr gewesen war als tausend andere und Ansehen genossen hatte nur weil es den Namen der großen Stadt auch trug und durch ihr Leben mitbewegt wurde, fühlte sich nun mit einem Schlag als gleichberechtigter Teil ihres Wesens zu ihr hinaufgehoben; es empfand sofort die Förderung in einem starken Wachstum seiner Einwohnerschaft. Aber sein Eigenes mußte es preisgeben; der Rat verschwand; was hier bisher Hoheit Verwaltung Eigentum gewesen war, ging im Ganzen auf.

Kleinbasel würde hienach nur eine Vorstadt geworden sein, und hie und da wurde diese Auffassung in der Tat laut. Aber von den Vorstädten, die aus Nichts sich gebildet hatten, war Kleinbasel geschieden durch seine Geschichte und das von ihm Mitgebrachte.

Vor Allem ist das Gericht zu nennen. Aus dem Pfandrechte des Rates am Kleinbasler Schultheißenamt wurde durch die Uebergabe Eigentum; es konnte mit dem der großen Stadt, das nur verpfändet war, deswegen nicht vereinigt werden und blieb daher bestehen.

Der Schultheiß war der Erste in der Kleinbasler Welt; ihm lag ob, „minren Basel von unsern Herren wegen ze besorgende“. Er hatte dieselben Anfänge wie der Schultheiß in Großbasel, als Hauptbeamter des Stadtherrn. Aber drüben wurde er ausschließlich Gerichtsvorsteher, hier behielt er die doppelte Funktion, wobei bemerkenswert ist, daß im XIV. Jahrhundert, nach Überwindung der ersten Zeiten, bei Gemeindegeschäften nicht mehr der adlige Inhaber des Schultheißenamts vernehmbar wird, sondern stets der Nachschultheiß. Dieser urkundet, wie tatsächlich auch nur er, der Eingeborne Ansässige, in den Gemeindesachen handelt. So scheidet sich die gerichtliche Tätigkeit von der administrativen; zu Gericht sitzt der Nachschultheiß an des Amtsherrn Statt, aber als Gemeindevorsteher zeigt er sich allein. Wir verstehen hienach, daß die Verpfändung 1385 ausdrücklich nur das „amt des weltlichen Gerichts ze Minder Basel“ betrifft; die Gemeindeverwaltung wurde dadurch nicht berührt, und erst das Jahr 1392 brachte Beides wieder zusammen. Aber jetzt zeigte sich, wie der Kleinbasler Schultheiß als Vorsteher [265] einer kleinen Gemeinde subaltern geblieben war, während den Großbasler Schultheiß die Beschränkung auf die Jurisdiktion emporgehoben hatte; nur so ist zu erklären, weshalb nicht dieser, wohl aber der Kleinbasler Schultheiß gleich Schreibern und Knechten das Kleid in der Stadtfarbe erhielt und tragen mußte.

Ein Doppelamt hatte auch der Schreiber, der Gerichtschreiber und zugleich Stadtschreiber war, aber nur den letztern Titel trug. Er besorgte die Schreibereien der Kleinbasler Gemeinde, führte die Feder am Gericht, und war außerdem Schaffner des Rates für die in Kleinbasel und in Kleinhüningen fallenden Zinse, entsprechend dem für die Großbasler Zinse bestellten Zinsmeister.

Aber auch die Gemeinde brachte bei der Vereinigung Ansprüche Gewohnheiten Fähigkeiten, die stark genug waren, um sie innerhalb des großen Stadtorganismus eine Sondergemeinde sein zu lassen.

Zwar eigene Zünfte hatte Kleinbasel nicht. So gut wie andre Herrschaftsstädte konnte auch dies Städtlein ohne solche auskommen; das zur Ordnung des Gewerbes Nötige geschah durch die Obrigkeit, und außerdem scheinen die Kleinbasler schon in der bischöflichen Zeit den Zünften Großbasels angehört zu haben. Hüben und drüben war derselbe Stadtherr; auch mochte es im Interesse der Großbasler Gewerbe liegen, mittelst Zunftzwangs die Kleinbasler in der Hand zu halten. Wir erinnern uns an die Bäckerordnung, an die gemeinsame Verfügung über Bannwein und Fuhrwein beider Städte, an Ordnungen der Weinleutenzunft, an die nachweisbaren Eintritte von Kleinbaslern in die Tuchleutenzunft zum Schlüssel schon vor 1386 usw. Nur daß mit dieser Zugehörigkeit zu den Zünften nicht auch die politischen Rechte erworben wurden. Die Kleinbasler wurden erst jetzt in den Rat wählbar.

Jetzt auch treten in Kleinbasel die Gesellschaften hervor, als Organisation der Bevölkerung und ihre Repräsentanz in sondergemeindlichen Dingen.

Schon in der bischöflichen Zeit finden sich Spuren dieser Gesellschaften; aber wir können nicht ersehen, ob sie Verbände lediglich geselliger bruderschaftlicher Natur waren oder auch militärische und polizeiliche Funktionen hatten. Am frühesten erwähnt wird die Gesellschaft zur Hären, 1384, in welchem Jahre sie ihr Gesellschaftshaus an der Rheingasse vom Klingental geliehen erhält. 1404 geschieht die erste Nennung des Rebhauses an der Riehentorstraße; in den kriegerischen Jahren 1409, 1412, 1425 werden die drei Gesellschaften zur Häre, der Rebleute oder zum Rebmesser, zum Baum wiederholt nebeneinander aufgeführt. Die letztere hatte ihr Haus an der [266] Utengasse; nach 1429 und vor 1444 erwarb sie ein neues Haus an der Burgergasse, von dem sie seitdem den Namen zum Greifen führte.

Während jede der Großbasler Vorstadtgesellschaften in ihrem Bereiche das Organ für Wacht Polizei usw. war, hatte in Kleinbasel die einzelne Gesellschaft eine abgeschlossene Existenz nur für ihre internen Geschäfte; gegen außen wirksam waren stets die drei Gesellschaften insgesamt als Vertretung der Kleinbasler Gemeinde.

Das Sonderwesen dieser Gemeinde zeigt sich uns vielfach. Weil sie nicht nur topographischer Begriff, sondern ein Organismus für sich innerhalb des Staatsganzen war, delegierte sie ihren Schultheiß und einige Vertreter der Gesellschaften in den Großen Rat. Sie schwor jährlich, ihrem Schultheiß und den Gesellschaftsmeistern gehorsam zu sein von des Rates wegen. Sie hatte ihr Gericht sowie ihren Stock und Galgen. Den jährlichen Eid am Schwörtag leisteten die Kleinbasler nicht mit der übrigen Bürgerschaft auf den Zünften, sondern abgesondert und an dem für sie reservierten Tage zu St. Nicolaus. Ihnen galten die Zünfte nur als gewerbliche Verbände; für alles Übrige, die allnächtliche Scharwacht, das Kriegsaufgebot, die Einteilung im Heere, die Steueranlage waren sie auf ihren Gesellschaften zu suchen, deren die Großbasler Vorstadtgesellschaften weit überragende Bedeutung hiebei erhellt. Bis ins Einzelne läßt sich dies separate Leben verfolgen, bis zu den offiziellen Kleinbasler Mahlzeiten am Fronleichnamstag und am Schwörtag zur Hären, bis zu der Kondolenz die der Rat 1480 der von Hochwasser beschädigten mindern Stadt durch eine Gesandtschaft über den Rhein bezeugen ließ. Und so finden wir zuletzt auch Geschäfte, die durch Kleinbasel ganz allein, als reine Gemeindesache, ohne Zutun des Rates besorgt werden: kirchliche Angelegenheiten, Weidgangssachen, die Ernte von den Nußbäumen der Allmend, die jährliche Weinlese. In allen diesen Dingen ist die Kleinbasler Gemeinde tätig und autonom; ihre Vertreter dabei sind der Schultheiß und die Gesellschaftsmeister.

Die Wurzeln dieser Existenz reichen jedenfalls zurück bis zur Gründung der kleinen Stadt, und eine psychologische Betrachtung ist versucht, neben dem Sonderrecht auch eine Sonderart des Lebens und der Menschen selbst nachweisen zu wollen. Aber was ist hier Ursache und was Ergebnis? Schon in den Urkunden des XIII. Jahrhunderts trägt die Kleinbasler Gesellschaft ihre eigene Physiognomie, und daß sich dies auch politisch manifestierte, zeigt die Haltung der Kleinbasler z. B. beim Blochmonter Zug 1449, in den Unruhen der Reformationszeit, beim 1691er Wesen.

Das Zentrum des öffentlichen Lebens in Kleinbasel war die Straßenkreuzung bei der Brücke, wo das alte und das neue Rathaus, die Niklauskapelle, [267] die Fleischbänke standen. In oder vor der Kapelle leisteten die Kleinbasler jährlich den Eid; im Rathause saßen der Schultheiß und das Gericht, waren die Gefängnisse, vor seiner Tür geschah der Malefizprozeß. Seit 1289 stand das Rathaus, das nach 1392 in der Hauptsache nur noch Richthaus war und auch so hieß, an dieser Stelle; 1461 wurde es durch Jacob Sarbach neu gebaut oder umgebaut.

Die Stadt war begrenzt durch den Mauerring, der vom XIII. bis ins XIX. Jahrhundert im Großen und Ganzen derselbe geblieben ist; Änderungen oder Erweiterungen geschahen nur wenige. Solcher Art war die Verstärkung des obern Stadtabschlusses zwischen Riehentor und Rhein, wozu der Krieg mit Österreich und in gleicher Zeit der Bau der Karthause den Anlaß bot, in den Jahren 1409 ff.; damals entstand der sogenannte Isteinerturm und wurde der Eckturm am Rheine gebaut. Aber auch später noch erschien dieser Teil der Fortifikation stets als der schwächste. Daher 1443 hier noch ein Turm hinzugefügt und auf der Rheinseite ein Wehrgang angebracht wurde; im selben Jahre, das auch Vortore vor dem Riehentor und dem Bläsitor entstehen ließ. In den Jahren 1492—1494 sehen wir den Rat neuerdings bemüht um die Errichtung eines Bollwerks bei der Karthause.

Auch außerhalb Kleinbasels finden wir Kreise verschiedenen Rechtes.

Vorerst den Bezirk der Kreuzsteine. Deutlich werden sie in den Urkunden von den Marchsteinen unterschieden; jene stehen der Stadt näher, sämtlich in einer Entfernung von ca. 1700 m (1/3 Wegstunde) vom Riehentore. Auch sie bestimmen das Gebiet des Stadtfriedens; aber es ist nicht mit Bestimmtheit zu sagen, ob lediglich eines kleinbaselischen oder auch desjenigen der großen Stadt.

Ferner der Bann, „der kleinen Stadt Herrlichkeit“ bezeichnend. Seine Grenze gegen Kleinhüningen und Weil wurde zum Teil durch die Wiese gegeben und war schwankend, da der Lauf dieses Flusses wechselte. Wiederholt, 1388 und 1422, wurde hierüber gestritten und verhandelt, die Grenze durch Bäume Pfähle Steine gesichert; erst die großen Verträge von 1488 schufen auch hier Ordnung, durch Setzen definitiver Marken. Der Lauf der Grenze gegen Riehen dagegen scheint in unserm Zeitraum niemals vertraglich festgestellt worden zu sein. In der Hauptsache mag diese alte Banngrenze dem heutigen Umkreis des rechtsrheinischen Stadtbannes entsprochen haben.

Eine Bannmeile bestand auch auf diesem Ufer; aber sie scheint kein Kleinbasler Begriff gewesen zu sein, sondern zur Marktherrlichkeit des Bischofs, dann des Rates der großen Stadt gehört zu haben.

[268] An den Stadtbann Großbasels schloß sich als weiteres Gebiet die Landschaft zwischen Birs und Jura. Wir erwähnen sie nur, ohne auf eine nähere Behandlung von Rechten und Zuständen dieses Territoriums einzutreten.


Mannigfaltige Gewässer durchfurchen sondern und beleben das städtische Gebiet.

Vor Allem „aus wunderreicher Ferne, von alten Burgen und ewigen Wäldern kommend der Strom vergangener Zeiten und unvergänglicher Begeisterung, der königliche Rhein“. Von jeher und für alle Zeiten das mächtigste Element im Basler Stadtbild; ein Träger nicht nur des Verkehrs, sondern auch der Gedanken und Wünsche; ein Eröffner der weitesten Fernen für den Einzelnen so gut wie für das gemeine Wesen.

Was bei Betrachtung des Stadtplanes auffällt: das Verhältnis dieser gewaltigen Wasserfläche zu der sie einrahmenden Stadt, das wirkte damals um so stärker, je kleiner noch der städtische bebaute Boden war. Diese Wirkung wurde aufs Höchste gesteigert in jenen ganz kalten Wintern 1431, 1462, 1491, 1514, da eine Eisdecke das Wasser schloß und Stadt mit Stadt verband; mächtiger noch in den häufigen Hochwassern, mit denen der brausende Strom über Ufer und Mauern trat und die Brücke zerriß. Aus den Jahren 1302, 1340, 1343, 1374, 1378, 1408, 1421, 1451, 1511 werden solche Hochwasser gemeldet, als die schrecklichsten diejenigen vom Juli 1424 und vom Juli 1480. Der Schaden, den das letztere anrichtete, war unermeßlich; sein Gedächtnis ist in zahlreichen Akten und Chroniken festgehalten, und Sebastian Brant, der von seinen Fenstern in der Augustinergasse aus das Unheil sah, verhieß diesem Neptun, dem Bedränger der milden Ceres, der Faune und Dryaden, als Strafe das ewige Feuer.

Das Schlimmste bei diesen Katastrophen war die Beschädigung der Rheinbrücke, wobei öfters die Einrichtung einer Fähre als Ersatz der weggerissenen Brückenteile nötig wurde; so 1374 und 1480.

Aber diese Brücke verlangte auch in gewöhnlichen Zeiten unausgesetzte Pflege. Ihr Unterhalt ist ein stehender Posten der Ausgabenrechnung; einzelne Intraden wie die Einungsbußen und Bürgerrechtsgebühren wurden ausdrücklich für sie bestimmt. Es handelte sich dabei stets um dieselben Arbeiten, Erneuerung der hölzernen Joche, Auswechslung von Balken u. dgl., so daß es in der Tat etwas Großes war, als man sich 1457 dazu entschloß, die Steinjoche um ein neues zu vermehren. Dieser ungewohnte, mit den Schwierigkeiten des Fundamentlegens und Mauerns im fließenden Strom [269] verbundene Bau erschien als ein Ruhm Basels, und der Rat ließ ihn „zu ewigem Gedächtnis“ im Stadtbuche beschreiben. Mühsam, anfangs mit Ungeschick ging die Arbeit von statten, endlich im Mai 1458 war sie vollendet. Der Name des Bürgermeisters gab dem Joche den Namen „Bärenfelserjoch“.

Umfassend war sodann die Erneuerung der Brückenholzteile 1511 bis 1514, infolge des großen Hochwassers. Der frisch angestellte Zimmermeister Martin von Rapperswil erhielt als ersten Auftrag diese Arbeit, war aber nachlässig und lief dem liederlichen Leben nach, so daß sich der Bau lange hinauszog. Das Holz hatte die Stadt in der Eidgenossenschaft schlagen lassen; Uli Stucky von Luzern lieferte Stämme aus dem Eschenbacher Forst.

Zum Bilde des Rheines gehören seine Halden und Mauern.

Jene galten als Allmend, und ihr Unterhalt war Sache des Rates. Er ließ sie aber da und dort durch Anwänder gegen Zins benützen.

Wo diese Halden des Großbasler Ufers nicht schon durch ihre Steilheit die Stadt sicherten, waren seit Alters Mauern gebaut. Wiederholt ist dann von Ausbesserung dieser Rheinmauern die Rede; so z. B. in den 1480er Jahren von den Mauern bei St. Alban, womit im Zusammenhange stand die Herrichtung des Lindenturms für die Vorstadtgesellschaft. Häufig genannt sind auch die Türen und Törlein, die diese Mauern durchbrachen, die einen als öffentliche und zu Recht bestehende Ausgänge — ein Verzeichnis von ca. 1500 nennt ihrer neun —, die andern der Bequemlichkeit oder Laune von Anwohnern zuliebe. In Kriegszeiten war ihre Verwahrung immer eine der ersten Sorgen; aber auch sonst hatte sich der Rat viel mit ihnen zu beschäftigen. Namentlich da, wo eine eigentliche Befestigung fehlte und die Häuserreihe selbst als Stadtmauer diente, wie in der St. Johannsvorstadt.

Ein ausgezeichneter Punkt des Großbasler Ufers war der Einschnitt beim Auslaufe des Birsigs; hier trafen sich die Leben des Stroms und der festen Erde am unmittelbarsten; hier war das Zentrum des Verkehrs. Eine Mehrzahl jener kleinen Ausgänge fand sich hier nahe beisammen, und hier erhoben sich auch beherrschend zwei mächtige Türme: der Salzturm, ein Bau wohl noch des XI. Jahrhunderts, 1478 mit einem neuen Helme geziert und von Gold und Farben funkelnd; und das 1363/64 gebaute oder erneuerte Rheintor. Dieses galt als der stärkste Turm der Stadt. Das Gefängnis, das in ihm sich befand, unter der Obhut des dort wohnenden Gerichtsknechts, war eine alte, schon in frühen Aufzeichnungen des bischöflichen Rechts erwähnte Haft. Auch später diente das Rheintor meist als Schuldturm. Es war eine stattliche Anlage mit doppeltem Torbau; Rheintor und niederes Rheintor standen nebeneinander; unter und vor diesen Bögen [270] drängten sich Buden und Bänke von Drechslern Krämern Buchbindern Schuhflickern Messerschmieden u. dgl. Aber die aller Welt bekannte Auszeichnung des Rheintors war der Lällenkönig; seit 1440 trug es ein Gemälde, das den Einzug der Husiten am Konzil 1433 darstellte.

Eine vollkommene Befestigung am Rheine besaß dagegen das durch keine Halden geschützte Kleinbasel. Ein doppelter Mauerzug war hier vorhanden: vor der eigentlichen Stadtmauer erhob sich eine zweite, weniger hohe Mauer; der Raum zwischen beiden hieß der Zwingolf oder Zwingelhof; außerhalb der Vormauer lief ein schmaler Strand. Aber private Usurpation griff schon früh in diesen Zustand ein; Türen und Fenster, Wasserkänel, Anbauten aller Art gaben dem Rat unaufhörlich zu schaffen. Daneben bestanden die anerkannten öffentlichen Ausgänge, deren sechse genannt werden; die wichtigsten waren Lessers Türlein neben der Karthaus und das St. Clausen Tor unter dem Gesellschaftshause zur Häre.


Von dem in seinem Bette gleichmäßig dahinströmenden, nur zu Zeiten durch vermehrte Wasserfülle ängstigenden oder verheerenden Rheine verschieden war der Birsig. Noch im XVI. Jahrhundert verdiente er den Namen eines Wildwassers. Ungeregelt wechselnd grub er sich bald rechts bald links tiefer, war wie nach Laune schmäler oder breiter, versiegend oder überflutend.

Aber die Kraft, die hier lebte, wurde dienstbar gemacht nicht nur dadurch, daß das Wasser aus dieser Unordnung in feste Läufe gefaßt und auf die Räder von Gewerben geleitet wurde. Ein Teil der Stadt selbst entstand erst aus der Bekämpfung dieser Willkür, auf den Borden Inseln Kiesflächen die dem Fluß abgewonnen wurden. Sie bildeten die weite Allmend, auf der im XIII. Jahrhundert das Spital, das Barfüßerkloster, das Maria Magdalenakloster sich gründeten, draußen an den Steinen zahlreiche Private ihre Häuser bauten. In den untern Stadtteilen war die ursprüngliche Gestalt des Birsigs schon früher geändert worden. Das Tal selbst war hier enger. Die dichte Bewohnung sodann, das Bedürfnis von Brücken und Plätzen zwang zum möglichsten Eindämmen, streckenweise zum Ueberdecken des Flußbettes.

Ueber solche Regelung hinaus geschah den ganzen Lauf des Birsigs in der Stadt entlang ein unaufhörliches Schmälern und Stören des Wasserweges durch Einbauten und Ueberbauten. Schon früh trat die Behörde solchem Unwesen entgegen, ohne Erfolg. Alles ja schien hier möglich und in diesem versteckten Gebiete erlaubt zu sein.

[271] Neben den Abtritten usw. der Anwohner hatte der Birsig zahlreiche Dohlen aufzunehmen. Die große Kloake der Stadt heißt er bei Enea Silvio. Aber er war Schlimmeres: ein mächtiger stinkender Pfuhl, eine die ganze Stadt durchziehende Pfütze, in die nach Belieben Alles geworfen wurde, was man auf Straßen und in Häusern nicht dulden wollte: Schutt und Abgang aller Art, tote Katzen Hunde Schweine u. dgl.

Dies war der Zustand des Birsigs durch Jahrhunderte. Nur daß er von Zeit zu Zeit gestört wurde durch ein plötzliches Losbrechen des Flusses in gewaltigen Hochwassern. So 1339; die sorgfältige Bezeugung verrät, wie großen Eindruck dies Ereignis machte, bei dem der Birsig den Kirchhof der Barfüßer aufwühlte und die Begrabenen aus ihrer Ruhe davon riß. Dann die Birsiggrößen von 1374, 1446, 1491, 1519 bis zu den furchtbaren Verheerungen vom 14. Juni 1529 und 4. Juli 1530, die schon durch ihr rasches sich Folgen ausgezeichnet waren und deren zweite zudem prachtvoll geschildert ist. Sie bewirkten, daß das Birsigbett vom Steinentor bis hinauf nach Binningen korrigiert und am 4. April 1531 die Wasserordnung erlassen wurde, die erste systematische Organisation der Hilfe für die Fälle von Hochwasser.

Die alten Birsigbrücken beim Barfüßerkloster, bei der weißen Gasse und beim Hause zum Rüden finden wir auch jetzt wieder, die letzte von dem auf ihr stehenden Kuttelhause den Namen Kuttelbrücke tragend; außerdem ist nun die Neue Brücke bei der Brotlaube bezeugt. Sie trägt, gleich den Brücken zu Venedig und Florenz, Verkaufsbuden, die wohl zugleich mit der Brücke durch die Stadt errichtet worden waren; der Rat vermietete sie an Schuhflicker usw. Auch an den Steinen war jetzt eine Brücke, in der Verlängerung des Klosterbergs; statt der frühern Furt verband sie die beiden Ufer, leitete den vom Eselstörlein kommenden Verkehr zum Steinentor.


Neben dem Birsig strömt der aus ihm genommene Gewerbekanal, „Teich“, erst in später Zeit Rümelinsbach, früher oberer oder hinterer oder kleinerer Birsig geheißen. Ausdrücklich erwähnt wird er zuerst 1279; aber schon geraume Zeit vorher ist von Wasserleitung und Walkmühle die Rede; ein Hugo zur Walke wird 1193 genannt; wir dürfen annehmen, daß der erste Kanal aus dem Birsig im XII. Jahrhundert erstellt worden sei.

Wohl durch die Gemeinde selbst, auf ihrer Allmend, im Zusammenhang mit den Arbeiten für Korrektion und Verwertung des Birsigs. Die Ausdehnung des Kanals, das Planmäßige seines Baus deuten darauf, daß er als ein öffentliches Werk, aber im Interesse privater Nutzung, entstanden ist.

[272] Das Eigentum am Bache stand der Stadt zu, die seine Benützung den an ihm bestehenden Wasserwerken einräumte — vielleicht nachdem die Eigentümer dieser Parzellen den Bau des Kanals verlangt und durch Geldleistungen unterstützt hatten — und dafür ihnen die Pflicht überband, Teich und Wuhr zu unterhalten.

Diese Gemeinsamkeit von Rechten und Pflichten verband die Inhaber der Gewerbe zu einer Korporation; schon 1280 besorgten sie als Einheit eine Verlegung des Teichbettes. Die einzelnen Gewerbe hießen Lehen, wie an den beiden andern Teichen; sie wurden durch verschiedene Eigentümer geliehen, und dementsprechend war ihr Kreis nicht geschlossen; ihre Zahl wechselte. Ursprünglich wohl nur Mühlen und Walken, wandelten sie sich mit der Zeit zum Teil in Schleifen Stampfen Öltrotten Panzerschmieden usw.

Die Inhaber dieser Lehen leiteten in ihrer Gesamtheit die Geschäfte des Baches, zuletzt gemäß einer Ordnung, die der Rat 1459 durch seine Fünfer zur Beilegung bestehender Streitigkeiten erlassen hatte. Sie wählten jährlich zwei Wassermeister, die Wuhr und Teich zu beaufsichtigen hatten; die Instandstellung geschah unter ihrer Kontrolle durch die Lehen gemeinsam; jährlich am Pfingstmontag hatten sie den Bach abzulassen und darauf zu achten, daß jeder Anwohner das Bett vor seiner Liegenschaft reinigte und in rechter Breite erhielt; auch in andern Dingen, wie Werfen von Schutt u. dgl. in den Bach, unterstanden nicht nur die Lehen, sondern sämtliche Bachanwänder der Gewalt der Wassermeister.

Wir wissen nicht, ob der Bach schon ursprünglich bei Binningen oder damals erst weiter unten gefaßt wurde. Im XV. Jahrhundert ist vom Binninger Wuhr die Rede.

Das Meiste vernehmen wir von den Zuständen vor der Stadtmauer, auf der „Au“. Hier zog sich der Kanal am Raine des linken Ufers hin, höher als der Birsig, und wiederholt, 1280 und 1316, geschahen Änderungen dieses Laufes. Später gaben namentlich die Wässerungen viel zu tun; mit mehreren Generationen des Metzgergeschlechtes Mörnach, das Wiesen auf der Au besaß, mußten die Lehen deswegen streiten. Die am frühesten genannten Gewerbe dieser Gegend waren Klostermühlen, von St. Alban, St. Clara, Gnadental. Auch das Leonhardsstift hatte hier 1281 eine Mühle, später eine Schleife. Neben den beiden großen Gruppen der Wassergewerbe zu St. Alban und in Kleinbasel lag hier draußen die dritte, während Ähnliches im Innern der Stadt nicht bezeugt ist. Mit der Zeit lösen sich einzelne Gewerbe aus der Masse, werden für uns sichtbar in Handänderung und Umgestaltung. Ein Mühlwerk gehört 1453 dem Anton Gallizian und [273] ist die früheste Großbasler Papiermühle; dann wird es Hammerschmiede, zerlegt sich weiter in zwei Eisengewerbe (Keßler und Messerschmied), fällt zuletzt wieder vereinigt 1530 an den Barettmacher Watro. Ein andres Mühlwerk gehört 1482 dem Hans Flach; ein benachbartes dem Buchdrucker Martin Flach; dieses wird dann Walke von Wollenwebern und gelangt 1531 ebenfalls an jenen Watro. Eine Hammerschmiede endlich wird 1496 durch den Rat aus dem Konkurs des Keßlers Hans Bischer erworben und als Balliermühle für den städtischen Waffenschmied eingerichtet.

Dies sind die Gewerbe des obern Birsigs vor dem Steinentor. Einen zweiten Komplex finden wir vor der alten Stadtmauer am Fuße des Kohlenberges. Hier stand schon 1262 eine Walke; später wurden dicht dabei Badstube und Gewürzstampfe eingerichtet.

Durch ein „Wasserkar“ war der Bach über den Stadtgraben ins Innere der alten Stadt geführt, wo er wiederum dem Fuße des Berges nach und die Halde hinab sich zog, zuletzt bei der Schol in den Birsig zurückkehrte.

Auf dieser innern Strecke waren die Gewerbe weniger zahlreich; zu nennen sind die Badstube zum Mühlestein, die Rümelinsmühle, die Stampfe in der Kuttelgasse, endlich in der Sattelgasse die Schleife zu Hinderars sowie ein kleines Harnischergewerbe im Hause zum Lorbeerbaum (Nr. 20). Außerdem aber diente hier das Wasser den längs dem Bach angesiedelten Gerbern, und dazu kam noch eine Vielheit einzelner kleiner Kanäle, „Rünse“ und „Teuchel“, in denen Bachwasser dahin und dorthin zu Häusern Werkstätten Badstuben geleitet wurde.

Von den Bürgerweibern und Mägden, die an diesem Bache knieen und ihre „buche ußweschen“, namentlich längs der Strecke an den Steinen und unter St. Leonhard, geben die Kundschaften lebensvolle Bilder (1424, 1450, 1481).


Ein kleines Gegenstück zu dem weitverzweigten Wesen des Rümelinbachs war auf dem rechten Birsigufer der Steinenklosterbach, der eine Mühle im Klosterhof trieb. Schon 1342 wird er erwähnt. Auf der Au wurde das Birsigwasser gefaßt und durch „Sturgow“ zur Mühle geleitet. Ausdrücklich wird gesagt, daß diese Wasserentnahme geschehe auf Kosten des Rümelinbaches, und wiederholt hatten Fünfergericht und Rat zu entscheiden in Streitigkeiten des Klosters mit den Lehen am Bach oder mit dem das Wasser auf seine Wiesen leitenden Lienhard Mörnach.


Die Birs begrenzte Zwing und Bann Basels. Aber die große Weltstraße, die Basel mit Nord und Süd verband, durchbrach diese Grenze; [274] wie sie jeden Einzelnen hinüber führte, so wies sie der städtischen Politik hinter dem Flusse das künftige städtische Territorium, weckte den Willen, diese Grenze Basels zum Flusse Basels zu machen. Noch im XIII. Jahrhundert begann die Stadt, dies auszuführen; zu Beginn des XVI. war die Aufgabe getan.

Neben solchen Absichten aber, die ins Unbestimmte griffen und mit der Zeit nicht rechnen durften, standen Interesse und Bedürfnis jedes Tags und seines Verkehrs, denen sofort gedient werden mußte und in wechselnder Form durch Furt (Fähre) und Brücke gedient wurde. Seit dem XI. Jahrhundert ist von einer Birsbrücke bei St. Jacob die Rede. Sie war kaum mehr als ein Steg; wer fuhr, hatte das Flußbett zu passieren. Dieser Steg zerging; Ende des XIII. Jahrhunderts bestand nur das Furtrecht, das 1295 durch Kauf an Basel kam und mit ihm das ausschließliche Recht zum Brückenbau zwischen Münchensrein und dem Rheine. Der Rat übte dieses Recht sofort, errichtete wieder einen Steg. Für Lastwagen blieb auch jetzt noch der Weg durch das in zahlreichen Armen zwischen Inseln zerteilte Wasser, und dieser Zustand, bei dem zeitweise der Steg gebrochen war und nur die Furt bestand, dauerte von da an weiter.

Aber neben den Steg von St. Jacob trat eine zweite, stattlichere Brücke. Durch die mächtigen Impulse des Konzils ins Leben gerufen. Wie der kleine Edelherr Hans Thüring Münch auch seinerseits dies neue Leben zu Nutzen wünschte und unterhalb Münchensteins eine Brücke schlug, das Monopol Basels verletzend, so war dieses selbst nicht müßig gewesen. Sofort nachdem das Konzil in Siena 1424 die Abhaltung einer neuen Synode beschlossen und als ihren Ort Basel bestimmt hatte, war der Rat um Verbesserung dieser Zugänge bemüht. Bei der Wiese wie bei der Birs. Er legte auf diese eine Brücke, die nun fahrbar war. Nicht an der Stelle des Steges, sondern weiter unten, beim Birsfeld an der großen Straße nach Rheinfelden Zurzach usw. Das war die „neue Birsbrücke“, die „niedere Birsbrücke“ der folgenden Zeiten.

An die Birs schließt sich das eigenartige Institut ihres in die Stadt strömenden Gewerbekanals, des St. Albanteiches. Dieser begleitete nicht wie der Rümelinbach den Fluß, aus dem er stammt, und an ihm fanden sich nicht wie dort schon außerhalb der Stadt Gruppen von Gewerben, die von ihm lebten. Er war vielmehr eine vom Flusse weg gerichtete Leitung und deren Ziel eine geschlossene Ansiedelung hinter den Stadtmauern.

Nur in der frühesten Zeit lagen Mühlen draußen an der Birs selbst; das Kloster St. Alban erhielt bei seiner Gründung mit dem übrigen Gut [275] auch diese Mühlen. Aber die Mönche führten einen Wasserarm zu ihrem Kloster, legten in dessen Nähe Mühlen an und ließen die alten Werke am Fluß eingehen. So entstand um die Mitte des XII. Jahrhunderts der St. Albanteich, und die Verfügung über das Birswasser für diesen Teich wurde dem Kloster ausdrücklich zugestanden durch Graf Werner von Homberg 1301. Diese Anerkennung schuf ein seitdem geltendes Recht; ihm vermochte weder Hans Thüring Münch, dessen Leute 1440 das Birswuhr zerstörten, noch Graf Hans von Tierstein etwas anzuhaben; nur soviel erhielt Tierstein 1449 zugestanden, daß Flößerei und Fischgang unter dem Wuhre nicht leiden sollten.

Mehr zu sagen ist über die von diesem Teich lebende Gewerbewelt zu St. Alban „in den Mühlen“. Bei den Gewerben des Rümelinbachs haben wir das Gefühl des Lockern, zufällig zu und von einander Tretenden; hier dagegen ist Geschlossenheit, Gebundensein unter gemeinsamem und klar formuliertem Recht, und dieser Zustand besteht ungemindert und unverdorben durch unsre ganze Periode hindurch.

Es lebt in ihm der Geist der alten Grundherrschaft, freilich nicht ausschließlich.

Im Vordergründe stehen die zwölf Lehen, die auf Grund und Boden des St. Albanklosters, längs dem ihm gehörenden Teich, in dem tiefen Revier zwischen Kloster Berg Stadtmauer und Rhein gelegen sind. Ihre Inhaber sind die Lehenleute, die Meisterschaft. Jeder dieser Meister empfängt sein Gewerbe vom Kloster geliehen; ein ihnen gemeinsam erteiltes Erblehen sind die Herrenmatten und Weiden zwischen Teich und Birs und die Matte zwischen Teich und Rhein.

Was diese Lehenleute zusammenhält und auszeichnet, ist vorerst ihr Verhältnis zum Propst des Klosters. Dieser empfängt von jedem neu auf ein Lehen ziehenden Meister den Eid; er ist den Meistern insgemein und jedem insonders beholfen in allen die Lehen angehenden Sachen; er hat die Gerichtsbarkeit über sie; auch nach Abtretung seiner Jurisdiktion an die Stadt 1383 bleibt ihm die Befugnis, bei Streitigkeiten der Lehenleute, die ihre Lehen oder deren Zugehörden betreffen, mit Zuzug der Meisterschaft Recht zu sprechen; er erhält jährlichen Zins von der Meisterschaft für die gemeinen Matten und von jedem Meister insonders für dessen Lehen; dem Säumigen darf er die Räder stellen und die Mühleisen ausheben; er kann die Meisterschaft jederzeit vor sich zitieren; er gibt ihr eine Ordnung.

Weiterhin die Befugnisse der Lehenleute: sie wählen die zwei Wassermeister und mit des Propstes Willen die zwei Büchsenmeister. Diese haben [276] das Geld in der gemeinen Büchse zu verwalten, Jene für Teich und Wuhr zu sorgen; ihr Untergebener ist der Wasserknecht. Die Lehenleute haben das Recht der Nutzung des Teiches und dementsprechend die Pflicht, Wuhr und Teich zu unterhalten; sie tun dies gemeinsam unter Leitung der Wassermeister und brauchen dazu die Weiden der gemeinen Matten; sie haben die Fischenz im Teich; sie ordnen das Floßgeschäft mit den Flößern; sie sollen sich untereinander in allen Lehensachen beholfen sein.

Wichtig ist, daß diese zwölf Lehen den Teich „in den Mühlen“ innerhalb der Stadtmauern ausschließlich Nutzen; kein anderes Wassergewerbe besteht in diesem Revier, die ganze Benützung ist hier konzentriert, außerhalb der Mauern besteht kein Gewerbe.

Aber neben den Lehen leben noch Andere im Mühlengebiet, sitzen gleich ihnen auf Klosterboden und entrichten dem Kloster Eigentumszinse von Häusern Scheunen Ställen Gärten. Bei Säumigkeit in der Zinszahlung kann ihnen der Propst die Türen aushängen; bis 1383 unterstehen sie seiner Jurisdiktion. Unter ihnen verdienen die Flößer und Schindler nähere Beachtung.

Seit früher Zeit sind solche im St. Albantal ansässig. Sie folgten dem Teich, wie sie der Birs folgten. Sie bringen das Juraholz nach Basel; weil sie einem Bedürfnisse dienen und dies nur hier tun können, erlangen sie Einlaß ins Mühlengebiet und ein Recht auf Benützung des Wassers. Schon 1301 ist von ihnen die Rede; das Flößen wird vorbehalten, aber auf die Vesperzeit Samstags, beschränkt. Ihre Ware lagern sie auf den Schindelhöfen. Es ist ein Betrieb, der dem Interesse der Müller nicht entspricht, so daß immerfort gestritten wird: über die Beiträge der Flößer an die Kosten des Teichunterhalts; über die Pfähle, die zum Flößen in den Teich geschlagen werden; über die Länge der Flöße; sogar über die Nutzung der im großen Schindelhof stehenden und über den Teich hängenden Nußbäume. Da es sich dabei nicht um interne Dinge von Lehen und Grundherrschaft handelt, so entscheiden der Rat, der Schultheiß, die Fünfer; der Propst schreibt seinerseits den Lehen ihr Verhalten vor.

Im Übrigen erfahren wir wenig von den Zuständen „in den Mühlen“. Das Bestehen einer Stube oder Gesellschaft und das gelegentliche Lautwerden einer Antagonie der Tal- und Wasserleute gegenüber den Bewohnern der obern Vorstadt zeigen, wie abgeschlossen diese Welt war. Einzelheiten von einigem Wert werden uns nur aus dem Bereiche der zwölf Lehen bekannt: die Sonderung der vordern und der hintern Lehen an den beiden Teicharmen; die Namen der Meister; der Erwerb von Lehen durch das Spital, [277] die Klingentaler Frauen, die Safranzunft, den Rat. Wir vernehmen auch, wie die Natur der Gewerbe wechselt, wie neben den Mehlmühlen die Schleifen Sägen Hammerschmieden Drahtzüge Gewürzstampfen laut werden und vor Allem das denkwürdige Gewerbe der Papierer sich hier festsetzt.


Daß der Wiesenfluß zum Teil Grenze des Kleinbasler Bannes war, wurde schon gesagt. Ebenso, daß die Regellosigkeit seines Laufes wiederholt zu Streit Anlaß gab. Aber all dieser Zwist und die ihn endenden Verträge hatten nur lokale Bedeutung. Man zankte sich um Dorfgrenzen und Dorfinteressen. Wir werden dabei aufs neue inne, wie das rechtsrheinische Gebiet Basels durch alle diese Jahrhunderte hindurch gleichsam im Halbschatten abseits lag, indes auf dem andern Ufer stets das heftigste Leben herrschte. Ueber die Wiese ging kein starker Verkehr; Jahrhunderte lang begnügte man sich mit einer Furt, bis das Konzil zum Bau einer Brücke zwang. 1432 errichtete Basel mit Bewilligung des Markgrafen die Wiesenbrücke oberhalb des Dorfes Kleinhüningen.

Was die Wiese den Baslern wert machte, waren ihre Fischenzen und namentlich der aus ihr in die Stadt fließende Gewerbekanal, der Kleinbasler Teich.

Dieser war kaum ein durchweg künstlicher Kanal, sondern Fassung und Gestaltung eines natürlichen Wasserlaufes oder Wiesenarmes. Auch über den frühesten Ort der Ablenkung aus der Wiese kann Nichts gesagt werden. Jedenfalls lag das Wuhr inmitten desselben Gehölzes wie heute; nur um seinetwillen hatte die Müllerkorporation die Erlenwaldung unter dem Hellrain nötig, die wir neben dem der Stadt gehörenden Allmendwald schon früh als ihr Eigentum finden.

Deutlicher erkennbar ist der untere Lauf des Teiches. Sein Ziel war die alte Mühle zu Allenwinden (heute Riehenstraße 3), von der er ursprünglich wohl in gerader Richtung, der frühesten Stadt vorbei, zum Rheine floß. Im XIII. Jahrhundert geschah sowohl seine Ablenkung längs der Nordfront der Stadt als die Abzweigung aus ihm, die der „neue“ Teich hieß und vor der Stadtmauer neben St. Clara mit dem alten Teich wieder sich vereinigte; beim Eintritt in die Stadt teilte sich das Wasser neuerdings in zwei Arme; wenig später wurde hier noch eine weitere Leitung abgezweigt, so daß der Teich in drei Kanälen die untere Stadt durchströmte. Dieser Zustand des XIII. Jahrhunderts hat bis heute gedauert.

Aber wer war Herr des Teiches? Und wer schuf ihn? Eine sichere Beantwortung der zweiten Frage ist unmöglich. In historisch klarer Zeit [278] aber erscheint nicht der Bischof, nicht die Kleinbasler Gemeinde, nicht ein Kloster als Herr des Teiches. Niemand tritt hervor als die Genossenschaft der Teichinteressenten selbst. Wir begegnen diesen in ausdrücklicher Erwähnung schon 1294; als ihre Organe werden die zwei Wassermeister zuerst 1310 genannt.

Es sind zunächst Mühlen und Sägen, deren Inhaber die Korporation bilden; später Schmieden und Hämmer verschiedener Art, Schleifen Ölen usw. Unter diesen neuen Gewerben treten die von Großbasel herübergekommenen Messerschmiede anfangs als geschlossene Gruppe auf; um die Mitte des XIV. Jahrhunderts verschmelzen sie mit den Altangesessenen, nicht ohne Widerstand dieser.

Gemeinsames Handeln und Berechtigtsein der „Müller gemeinlich“, „derjenigen die Lehen auf dem Teich haben“, „derjenigen die an dem Teich teilhaft sind“, ist in so verschiedenen Richtungen bezeugt, daß wir das Bestehen einer organisierten Genossenschaft schon in früher Zeit nicht verkennen können. Sie wählen ihre Wassermeister; sie besorgen nach Anordnung dieser den Bau und Unterhalt von Wuhr und Teich; sie sind Eigentümer des Weihers vor der Stadtmauer, von Wald beim Wuhr und von Matten am Teich; sie gestatten dem Kleinbasler Rate den Bezug von Teichwasser; sie ordnen die Wässerung der am Teich gelegenen Matten mit deren Besitzern; sie schreiten ein gegen unbefugte Eingriffe in den Teich. Das ist Tätigkeit einer Einheit, einer Korporation, und der Wille dieser ist einzig maßgebend; wir vernehmen Nichts von einer Ordnung der Teichangelegenheiten durch eine höhere Instanz, wie zu St. Alban und am Rümelinbach geschieht.

Allerdings ist wie dort so hier von Lehen die Rede. Eigentümer der einzelnen Gewerbe sind Adlige Bürger Klöster Kaplaneien, und von ihnen gehen sie zu Erblehen. Es besteht eine Mehrzahl von Lehnherren, nicht ein einziger Lehnherr wie zu St. Alban, der zugleich Eigentümer des Teiches ist und ihn durch seine Lehen benützen läßt. Näher läge daher der Gedanke an die Verhältnisse des Rümelinbachs, wo die einzelnen Lehen gleichfalls von verschiedenen Eigentümern geliehen werden, der Kanal aber, dessen Benützung diesen Lehen zusteht, Eigentum der Stadt ist.

Hiezu ist es in Kleinbasel wohl deshalb nicht gekommen, weil Teich und Teichbenützung in die Zeiten vor Entstehung einer Kleinbasler Stadtgemeinde zurückreichen, weil an dieser Benützung eine Korporation der Benützenden sich bilden konnte, die um des Gesamtinteresses willen die Ordnung rationeller Verwertung der Wasserkraft in die Hand nahm, ehe die städtische Gemeinde hiezu im Stande war.

[279] Auf solche Weise mag sich das Eigentum der Genossenschaft, der Kleinbasler Teichkorporation, am Teich erklären. Es bestand und war in einer ausschließlichen Leitung der Teichangelegenheiten wirksam, während die einzelnen Gewerbe, deren Inhaber die Genossenschaft bildeten, im Eigentum verschiedener Dritter sich befanden und das Recht der Benützung des Teiches hatten.

Reich bezeugt ist der Zustand der einzelnen Gewerbe; aus der Menge dieser Nachrichten können wir nur Weniges herausgreifen.

Eines der ältesten Gewerbe war die Mühle zu Allen Winden, außerhalb der Stadtmauer auf dem rechten Teichufer gelegen (heute Riehenstraße 3). Wir finden sie 1304 im Eigentum des Edelknechts Gerhard von Utingen, dann des Claus und des Johann Helbling usw. Auf dem gegenüberliegenden linken Ufer steht schon 1312 eine Schleife, und diese wird 1422 durch Hans von Straßburg in eine Säge umgebaut. Von Hand zu Hand gehen die beiden Werke, nicht mehr Interesse bietend als hundert andre, bis durch eine völlig neue Industrie diese Stelle am Kleinbasler Teich mit einem Male aufleuchtet. Auch hier wirken Kräfte des Konzils. 1440 wird die alte Mühle für Fabrikation von Papier eingerichtet durch den Ratsherrn der Safranzunft Heinrich Halbisen, der dann auch die gegenüberliegende Säge erwirbt. Dies ist der Anfang der Basler Papierindustrie. Wenige Jahre später wird das Gewerbe nach Großbasel vor das Steinentor, dann in das St. Albantal verlegt, und die beiden Lehen zu Allen Winden kommen 1470 durch Verkauf an den Rat; seitdem finden wir hier die Stadtsäge.

Eine Besonderheit des Teichs zu Allen Winden war, daß durch ihn die Wiesenflöße ihren Weg nahmen, soweit sie nicht die Wiese ganz hinab gingen bis zur Ausmündung. Das Durchlassen dieser Flöße geschah durch den Inhaber der Schleife; die Umänderung der Schleife in eine Säge lag daher nahe. Von Allen Winden zum Rheine schwammen die Flöße durch den Stadtgraben außerhalb St. Theodors und der Karthause.

Einen Komplex von Gewerben finden wir am neuen Teich unmittelbar vor dessen Eintritt in die Stadt. Schon früh ist von dem hier gelegenen „Weiher“ die Rede, wohl einer breiteren Strecke des Teichs. Er steht im Korporationseigentum. An ihm siedeln sich auf Grundeigen des Claraklosters eine Reihe von Gewerben an, durchweg Eisenwerke: Schleifen Kupferschmieden Messerschmieden Hämmer. 1414 entscheidet das Gericht, daß diese auf dem Weiher Sitzenden gleich andern Lehen bei Arbeiten am Teich mitzutun verpflichtet seien.


Die Straßen wurden gewiesen durch Bodenbeschaffenheit, das Bedürfnis eines mehr als nur lokalen Verkehrs, planmäßige Absichten des Stadtherrn, [280] Willkür Einzelner. Ein durch diese Kräfte geschaffenes städtisches Straßennetz war schon im XIII. Jahrhundert vorhanden und ist von da an in der Hauptsache bis heute dasselbe geblieben. Ausbau und Änderung geschah zunächst im Vorstadtgebiet, wo die Besiedelung sich nur allmählich vollzog. Aber auch in der innern Stadt treffen wir Solches: so den schon früh ausgeführten Straßendurchbruch zwischen Fischmarkt und Herbergberg und die Führung einer Straße über den Birsig zwischen Eisengasse und Schneidergasse (Neue Brücke). Sodann die Erweiterung des Marktplatzes. Der alte Kornmarkt lag auf dem linken Birsigufer, von der untern Freienstraße durch einen Häuserblock getrennt; da verheerte 1377 ein Brand diesen Stadtteil und gab dem Adelsregiment Gelegenheit, das Gedächtnis der kurzen Jahre seiner Macht durch eine große Maßregel festzuhalten. Denn als solche hat die vom konzentrierten Marktverkehr geforderte Schaffung eines großen Marktplatzes zu gelten; er erhielt damals den Umfang, der fünf Jahrhunderte lang gedauert und dem stets wachsenden Leben genügt hat. Indem der Rat die Liegenschaften der verbrannten Häuser an sich brachte, anstoßende Gebäude erwarb und niederlegte, den Birsig wohl jetzt überwölbte, entstand der weite Platz. Der Verkauf des alten Münzhauses 1378, die Erneuerung des Brunnens 1380, dann noch 1395 der Abbruch des alten Rathauses waren Teile dieser Korrektion.

Die Geschichte des mittelalterlichen Straßenwesens ist uns überliefert beinahe nur durch die Erwähnung solcher Fälle, in denen die Behörde gegen private Usurpation zu kämpfen hatte.

Vor allem in Wahrung der zahlreichen im Innern der Stadt gelegenen Allmenden. Sie waren unaufhörlich in ihrem Bestande gefährdet, und der Rat wehrte sich dadurch, daß er von Zeit zu Zeit Listen der ärgsten Uebergriffe fertigen ließ und seinen Beamten zu erledigen gab. Wo versteckte Winkel und Örtlein waren, bei den Ringmauern, an der Rheinhalde, im Birsigbett, in den zu diesem führenden Gängen, griffen die Nachbarn mit Einbauten Überbauten Mauern Verhagungen über ihre Rechte; zwischen Aeschen- und Spitalscheuervorstadt, zwischen Steinenvorstadt und Kohlenberg mauerten sie öffentliche Verbindungswege zu und schlugen das Areal zu ihren Liegenschaften.

Ähnlicher Art waren die Bemühungen des Rates um Offenhalten und Säubern der Straßen. Was wir hierüber vernehmen, zeigt mit Deutlichkeit, daß die Stadt aus den Zuständen des frühen Mittelalters, die wir uns in ihrem wahren Wesen nie werden völlig vergegenwärtigen können, sich allmählich herausarbeitete zu einem Zustande, der heute wenigstens als [281] erträglich gelten könnte. Nicht allein das Bedürfnis wächst, in einer ordentlichen und reinlichen Stadt zu wohnen, sowie der Wunsch, sich den Gästen mit Ehre zeigen zu können, sondern es handelt sich in starkem Maß auch um die Ausbildung des wesentlich städtischen Gefühls, daß die Verwendung des öffentlichen Bodens für Geschäfte des Einzelnen eine Grenze haben müsse.

Bei den Verkaufsbuden blieben solche Bestrebungen am längsten erfolglos. Schon deswegen, weil hier der Rat selbst beteiligt war, durch die Vermietung zahlreicher auf der Allmend und unter den Toren stehenden Gaden und Bänke. Neben diesen sehen wir allenthalben in den verkehrsreichen Quartieren die privaten „Stellinen“, in denen Handwerker und Händler feil boten.

Entschiedener griff der Rat bei Anderm ein, indem er die Ausübung des Handwerks selbst und das Lagern von Handwerksmaterial auf den Gassen untersagte, an verschiedenen Stellen der Stadt öffentliche Abtritte, „gemeine heimliche Gemache“, einrichtete, das Lagern von Mist und sonstigem Unrat sowie das freie Laufenlassen der Schweine Gänse Hühner verbot, die Schweineställe überhaupt aus der innern Stadt fort und in die Vorstädte wies, 1466 den Hausbesitzern eine allsamstägliche Straßenreinigung vor ihren Häusern befahl. Der Schmutz wich doch lange nicht. Daher bei festlichen Einzügen das Bestreuen der Gassen mit Gras, das Legen von Teppichen. Auch die häufige Wiederholung dieser Verbote zeigt, daß sie immer wieder von nöten waren. Dennoch ist eine Entwickelung unverkennbar. Sie hängt zusammen mit der allgemeinen Steigerung der Lebensart und mit der Ausbildung des Sinnes für äußere Ordnung, der langsam immer mehr Gegenstände unter seine Wirkung zwang, z. B. auch das Halten von Hunden, so daß 1512 der Rat erklärte, das Herumlaufen der „vielen alten schäbigen unnützen“ Hunde in der Stadt nicht mehr dulden zu wollen, und sie zu schlagen befahl.

Die kräftigste Leistung dieser Art war aber die Straßenpflästerung. Nachdem schon im XIV. Jahrhundert einzelne Anfänge waren gemacht worden, begann der Rat in der Mitte der 1410er Jahre damit auf systematische Weise. Das „Besetzwerk“ ist von da an ein stehender Posten der Stadtrechnung, bei den Ausgaben oft mit erheblichen Summen, bei den Einnahmen mit Buchung der Beiträge, die jeder Hausbesitzer, vor dessen Haus gepflastert worden war, zu leisten hatte. Von Gasse zu Gasse ging das Werk weiter, unter beständiger Abrechnung der Dreierherren mit dem Besetzermeister, alle wichtigen Stadtteile berührend, so daß Konzilsgäste den stattlichen Steinbelag bewunderten, den sie in Basel trafen. Doch war die Arbeit damals natürlich nicht zu Ende. Der Besetzer fand immerfort zu tun, mit Weiterführung [282] Ausbesserung Erneuerung des Pflasters, und empfing von der Stadt seinen Lohn sowie das nötige Material an Steinen und Sand.

Von Straßenbeleuchtung ist in dieser Zeit noch keine Rede. Öffentliche und in jeder Nacht brennende Laternen scheinen nur unter den Toren gewesen zu sein. Die Stadt lag im Dunkeln und erhielt Licht nur in außergewöhnlichen Momenten, bei Kriegsgefahr und Feueralarm, da dann in den hin und wieder an Eckhäusern angebrachten eisernen Pfannen harziges Holz oder Pechkränze angezündet wurden; die Eigentümer der Häuser, an denen sich solche Leuchter befanden, waren zu diesem Dienste verpflichtet.

Wie die Stadt sich um Ordnung und Sauberkeit ihrer Straßen bemühte, so tat sie schon frühe Manches auch durch Hinzufügen eigentlichen Schmuckes. Als ein solcher galten zunächst Bäume, daher wir nicht nur die Linden auf Burg und bei den Barfüßern sowie den schattigen Hain des Petersplatzes finden, sondern auch vereinzelte Bäume wie den Maulbeerbaum am Bäumlein, die Gerichtslinden beim Gerberbrunnen und auf dem Kohlenberg, die Linde am Lindenberg in Kleinbasel. Namentlich aber ist dabei an die Brunnen zu denken.


Hier sehen wir das Bedürfnis den Anlaß geben zu einer von Jedermann bevorzugten Zierde. Das Eigentümliche liegt aber in dem unausgesetzten, über alle Notdurft hinaus verschwenderischen ewigen Strömen dieser Wasser; so erscheinen die Brunnen in der Tat wie ein Element unversieglichen Lebens, wie die stets wache Seele der Stadt, und sind als Heiligtümer des Gemeinwesens jedes Schmuckes würdig.

Bemerkenswert ist der Brunnenreichtum. Es waltete sichtlich eine dauernde Vorliebe für diesen Teil des Stadthaushaltes, ein allgemeiner Wunsch der Bevölkerung, überall möglichst nahe Wasser bei der Hand zu haben.

Die ersten großen Zuleitungen geschahen im XIII. Jahrhundert. Die alten Quellbrunnen des Birsigtals genügten nicht für die Stadtteile auf den Hügeln; 1266 wurde daher durch das Domstift, schon früher durch das Leonhardsstift Wasser herbeigeführt. In die Münsterleitung flossen Quellen des Bruderholzes; sie kam von St. Margarethen, die Leonhardsleitung vom Holee her in die Stadt. Das waren die beiden „Brunnwerke Münster und Spalen“, deren Lauf und spätere Ausdehnung aus den großen, kurz nach 1500 durch den Brunnmeister Zschan gefertigten Rissen ersichtlich ist. Auf ihnen und den Quellen der untern Stadt ruhte das ganze Mittelalter hindurch die Wasserversorgung Basels, deren Fülle selbst dem an Rom und Viterbo gewöhnten Besucher imponierte.

[283] Die Verwaltung dieses Brunnwesens war ein Teil der öffentlichen Geschäfte, seitdem die beiden Stifter, denen Basel die erste Herbeileitung verdankte, in den Befugnissen über diese Wasser durch den Rat abgelöst worden waren. 1316 übernahm er förmlich den Brunnen auf Burg und dessen Leitung, die wohl jetzt oder später um eine Zuleitung vom kleinen Gundeldingen her verstärkt wurde. 1317 erneuerte er die Leitung zu St. Leonhard, unter Beihilfe des Stifts, aber in der Hauptsache auf städtische Kosten; in zahlreichen Brunnstuben wurde das Wasser der Höhen hinter dem Holee gesammelt; bei Eglolfs Turm (Brunnmeisters Turm) trat die Leitung in die Stadt ein. Daß der Rat später überall völliger Herr war, beweist seine Verfügung z. B. über das Abwasser des Münster Platzbrunnens und 1446 seine Kassierung des Brunnens zu St. Leonhard als Strafe einer Steuerverweigerung sowie 1456 sein Vertrag mit diesem Stift, der die Leitung bis zur Grenze des Stiftshofs ausdrücklich als städtische Sache erklärte.

Wie im Einzelnen die Leitungsnetze geführt wurden, dann allmählich wuchsen, ersehen wir nicht. Erst die großen Pläne des XVI. Jahrhunderts lassen uns den Lauf der beiden Werke verfolgen vom Quellgebiete bis zur letzten Ausflußröhre. Bei jedem der beiden Werke zählen wir fünfzehn öffentliche Brunnen, neben ihnen beim Münsterwerk elf, beim Spalenwerk zwölf private Brunnen. Eine Zusammenstellung der 1440er Jahre nennt vierzig öffentliche Brunnen, wobei die Quellbrunnen des Birsigtals mitgezählt sind, und zweiundzwanzig Brunnen in Klöstern, im Spital und in Privathäusern.

Der städtische Beamte, dem dieser ganze Geschäftskreis unterstand, war der Brunnmeister; er hatte seine Amtswohnung in einem Stadtmauerturm bei Spalen (Eglolfs Turm), neben dem die Leitung in die Stadt eintrat.

In derselben Gegend lag draußen der vom Dorenbach gespeiste Teuchelweiher (später Schützenmattenweiher genannt und 1873 aufgefüllt): wohl derselbe, der schon dem Leonhardsstift zur Lagerung der Brunnteuchel (hölzernen Röhren) gedient hatte, und der neben dieser Hauptbestimmung dem Rate auch zur Fischzucht diente.

Sein Gegenstück war das Teuchelhaus, zu St. Alban im Schindelhof am Teich gelegen. Der Rat erwarb diese Liegenschaft 1388. Hier wurden die Baumstämme zu Teucheln gebohrt, die Basel in den Wäldern der Propstei Münster zu fällen das Recht hatte und auf Birs und Teich hereinflößte.

Nicht nur die Leitungsröhren, auch die Brunntröge und Brunnstöcke waren hölzern, wie die auszeichnenden Meldungen der Chronisten vom Aufstellen steinerner Brunnen und mit aller Deutlichkeit die Brunnwerkplänes selbst zeigen.

[284] Aus der großen Zahl dieser Straßenbrunnen sind hier einige wenige zu nennen:

Der Brunnen auf dem Münster Platz, 1266 errichtet, 1382 in Stein erneuert. Die statua lapidea dieser Erneuerung war wohl schon der Ritter St. Georg, den 1426 der Maler Lawelin anstrich, 1503 einige Priester und Studenten bei einem Nachtunfug demolierten. 1504 wurde ein neuer Stock angefertigt, wiederum mit dem Bilde des heiligen Georg, einem Werke des Bildhauers Hans Thurner.

Der Kornmarktbrunnen, schon früh bestehend, durch die Leichtigkeit und Güte seines Quellwassers vor allen andern Brunnen Basels ausgezeichnet, 1380 bei Anlaß der Marktplatzerweiterung in Stein erneuert. Da er, zum Nutzen des unmittelbar angrenzenden Weinmarktes, als Sinnbrunnen diente, mit dessen Wasser die Fässer gesinnt wurden, so war seine Reinhaltung besondere Pflicht. Jährlich am Tage des Großbasler Bannritts trug er den Schmuck einer Tanne oder Linde, und auf seiner Säule stand ein Bild des heiligen Christophorus. Dieses ging 1529 beim Birsighochwasser samt dem ganzen Brunnen in Stücke und wurde ersetzt durch einen von Meister Martin dem Bildhauer gearbeiteten „köstlichen gewapneten Harnischmann“. Aber das Hochwasser schon des folgenden Jahres 1530 zerbrach auch diesen. Die wie es scheint erst 1547 an dessen Stelle tretende und ihn wiederholende Statue, ein Werk Hans Tobells, ziert heute den Brunnen bei St. Martin.

Der Fischmarktbrunnen. Der einzige, den der Venetianer Gatari in seiner Beschreibung der Konzilsstadt neben dem „sehr schönen“ Brunnen des Marktplatzes erwähnt; er spricht von seiner Grütze und den Bildern der Madonna und zweier Heiliger, die ihn schmücken. Wohl diese drei Statuen sind es, die wir noch heute sehen; die sie tragende Säule dagegen wurde durch Jacob Sarbach gefertigt, im Frühjahr 1468, mitten in der allgemeinen Aufregung, die dem Mülhauserkriege voranging.

Der Gerberbrunnen. Vom alten Gerichte des Propstes zu St. Leonhard trug er den Namen Richtbrunnen, den Manche nicht mehr verstehen mochten; auch sonst umgab ihn Geheimnis und mythischer Ruhm: in seiner Tiefe sollte einst der Basilisk gelebt haben, von dem die Stadt ihren Namen zu haben glaubte. Wiederholte Fünfersprüche, 1410, 1420, 1456, ordneten Benützung Reinhaltung Unterhalt dieses Brunnens.

Die Mitte des XV. Jahrhunderts ist durch eine Mehrzahl von Brunnenbauten ausgezeichnet: 1448 wurde der Brunnstock am Blumenrain mit dem Bilde St. Urbans aufgerichtet, 1453 der Brunnen in der Äschenvorstadt von der rechten Seite der Straße an seine heutige Stelle herüber verlegt [285] und mit der Statue des heiligen Jacobus bekrönt. 1456 ließ der Rat den „Affenbrunnen“ beim Spital durch Meister Hans von Konstanz erneuern; die Ausgabenposten für „antlitter“, eiserne Scheiben, Schmiedwerk usw. deuten auf die Art der Ausführung.


Eine Sache für sich natürlich war die Kleinbasler Wasserversorgung. Sie wurde erst sehr spät in modernem Sinne geordnet; denn bis zum Ende des XV. Jahrhunderts war die kleine Stadt auf ihr Grundwasser angewiesen und behalf sich mit Sodbrunnen. Ausgaben für die Eimer Seile Ketten usw. dieser Zisternen, ihr Ausräumen und Säubern begegnen unaufhörlich in den Stadtrechnungen, am regelmäßigsten für den Brunnen vor dem Richthaus, den St. Clausbrunnen, der als offizieller Sod galt.

Aber die höhern Bedürfnisse einer Zeit, die allgemein vorwärts ging, meldeten sich auch auf diesem Gebiete der öffentlichen Einrichtungen und auch in Kleinbasel. Sie verlangten Herbeiführung von Quellwasser, und im Jahre 1492 gab der Rat dem Drängen nach. Eine Kommission wurde bestellt, das große Unternehmen im Herbst 1492 begonnen und bis zum Frühjahr 1493 durchgeführt. Das Wasser mußte außerhalb des städtischen Gebietes gefaßt werden; es kam von Riehen her.


Bei Überblicken des weiten Gebiets öffentlicher Bautätigkeit ist vorweg zu beachten, daß das Meiste in Regie ausgeführt wurde, wenigstens in der frühern Zeit. Die massenhaften Anschaffungen von Baumaterialien und Werkzeugen durch die Stadt deuten hierauf; nur was in den Rechnungen spezifiziert wird (Malerarbeiten, Grabarbeiten der Friese, Kupferschmiedarbeiten, Skulpturen usw.), war Verdingwerk. Aber 1462 beschloß der Rat, zur Ersparung von Kosten seine Bauarbeiten so weit als möglich in Verding zu geben.

Im Übrigen sehen wir die allmähliche Ausgestaltung und Organisierung des Stadtbauwesens. Es zerlegt sich in scharf getrennte Abteilungen: Zimmerwerk Mauerwerk Schmiedwerk Bruckwerk Brunnwerk Fuhrwesen.

Am frühesten, 1388, wird der Werkmeister des Zimmerwerks genannt, dem dann der Maurerwerkmeister, der Stadtschmied oder Stadtschlosser, der Bruckmeister, der Brunnmeister, der Karrer in den Akten folgen. Ihre Amtseide und zahlreich erhaltene Anstellungsurkunden lassen uns die Stellung dieser Beamten erkennen: der Rat nimmt sie auf Lebenszeit in seinen Dienst und verspricht ihnen einen festen Jahrlohn, außerdem den Taglohn für alle Arbeitstage, ferner Rockgeld, ferner freie Wohnung in einem der [286] Werkhöfe, endlich für den Fall der Arbeitsunfähigkeit Pensionierung; nur dem Schmiedmeister wird diese letztere nicht zugesagt. Jeder der Werkmeister arbeitet mit einigen Knechten. Die tägliche Arbeitszeit beträgt dreizehn Stunden. Ausdrücklich verboten ist das Arbeiten für Andre als den Rat.


Zwischen Petersplatz und Gnadentalkloster lag der Werkhof, wo die Meister mit ihren Knechten werkten und zum Teil ihre Wohnung hatten, wo Baumaterial lagerte und ursprünglich auch die Pferde und Wagen des Fuhrwesens standen. Außerdem befand sich hier das Arsenal; Werkhof und Zeughaus waren eins. Aber auch die Fruchtvorräte lagen hier in dem 1439 erbauten Kornhause. Der Werkhof war überhaupt der Alles fassende Vorrats- und Lagerplatz, der größte geschlossene Raum, über den die Stadt verfügte; daher dort z. B. die Burgunderbeute gesammelt und vergantet sowie gelegentlich, z. B. 1515, auch Kriegsmannschaft gemustert wurde u. dgl.

Eine Filiale dieses Werkhofs war zeitweise das Werkhaus auf Burg, das dort im Winkel hinter der St. Johannkapelle (heute No. 4 und 5) lag. Schon 1342 erscheint es als Eigentum der Stadt; sie verwahrte dort Bauholz Feuerleitern usw. 1466 hatte sie es an den Zimmermeister Hans von Thann vermietet, den Verfertiger des Münsterdachstuhls, 1484 an den Zimmermann Hans von Muspach. Den Ursprung dieses städtischen Eigentums kennen wir nicht. Auch blieb es nicht unangefochten. Bischof Johann von Venningen behauptete, daß die Liegenschaft ein alter geweihter Kirchhof sei, und verlangte ihre Räumung; später wiederholte das Domkapitel diese Reklamationen. Aber der Rat gab nicht nach, sondern bewilligte nur, daß der mit der Liegenschaft belehnte Hans von Muspach 1495 sie an die Münsterbauverwaltung übertrug, und erneuerte dieser 1513 die Leihe.

Eine zweite Ergänzung war der Kleinbasler Werkhof an der Rebgasse (No. 32/34); 1522 wurde er um eine Nachbarliegenschaft vergrößert.

Endlich die Liegenschaft Veldenberg beim Spalenschwibogen (Roßhofgasse 9 und 11 und Spalenberg 62). Der Rat erwarb sie schon vor 1392 und verwendete sie dann als Marstall. Karren und Rosse des Fuhrwesens, wohl auch die viel zahlreicheren Pferde für städtische Gesandte, für Eilboten und Söldner waren hier untergebracht, bis 1531 der Pferdebestand des Fuhrwesens reduziert und der Reitmarstall aufgehoben wurde. Der Karrer und ein Werkmeister hatten hier ihre Wohnungen.


Obwohl Basel nach 1400 auf seinem Territorium mehrere Steinbrüche besaß, zog es auch jetzt noch die Steine der Schwarzwaldberge vor. Im [287] Wiesental hinter Röteln wurden seit Alters die „roten venstersteine“ gebrochen, die man hier liebte, und den Hornfelsen bei Grenzach hatte die Stadt schon 1262 vom Kloster Wettingen zu Erbrecht empfangen.

Den Steinbruch, den der Rat an diesem Hornfelsen betrieb, verzinste er dem Kloster jährlich auf Lichtmeß; Reklamationen des seine Hoheit geltend machenden Markgrafen konnten mit Berufung auf den Wettinger Titel jeweilen zurückgewiesen werden.

Ein zweiter Bruch am Hornfelsen, die sogenannte „Hintere Grube“, stand gleichfalls im Besitze Basels; der Rat entrichtete Zins von ihm an die Geschwister Gügellin von Rheinfelden, seit 1469 an das Karthäuserkloster, das die Gügellinschen Güter in Grenzach gekauft hatte.

In der Nähe dieser beiden Steinbrüche lag die nach dem großen Stadtbrand von 1417 eröffnete Gipsgrube Basels. Auch wegen dieser erhob der Markgraf Ansprüche, sodaß sich der Rat 1422 zur Zahlung eines Zinses verstehen mußte; 1473 erneuerte er diese Verpflichtung; 1477 erweiterte er die Grube durch den Kauf anstoßenden Rebgeländes. Mit dieser Gipsgrube zu Grenzach aber ist einer der besten Namen der Basler Baugeschichte verbunden: 1428 wurde sie vom Rat an Konrad Labahurlin, den Vater Jacob Sarbachs, 1452 an Götz Labahurlin verpachtet.

Die Grenzacher Brüche genügten jedoch nicht. Namentlich die Fortifikation erforderte ungeheure Steinmassen, so daß sich der Rat nach weitern Fundstellen umsah. Er erwarb 1388 vom Junker Peterman von Heidegg die Weihermatte bei Rheinfelden, setzte auf ihr einen offenbar sehr ergiebigen Steinbruch in Betrieb und führte mit dem hier gewonnenen Material nicht nur die Stadtummauerung aus, sondern in der Folge auch andre große Werke, z. B. den Neubau des Rathauses 1504—1513.

Der Transport der bei Grenzach und Rheinfelden gebrochenen Steine nach Basel war ein eigener Teil der Verwaltung; das Steinschiff kam und ging den Rhein ab und auf; es hatte sein bestimmtes, durch „Gefecht“ festgestelltes Maß von Ladung, und wir erfahren, daß mit diesem obrigkeitlichen Schiff auch Steintransporte für Private geschahen.

Neben den Steinen die Bauhölzer. Für diesen Bedarf kaufte der Rat ganze Forste: 1361 einen zweihundertsiebenundzwanzig jugera umfassenden Wald bei Olsberg, 1390 den Mettenberg bei Augst, 1419 das Pfaffenholz bei Leimen; außerdem wiederholt, 1438, 1453, 1481, 1483, große Bestände in den Säckinger Eichenwäldern.

Wie fast immer ersichtlich ist, standen diese Erwerbungen, von Steinbrüchen sowohl als Wäldern, in unmittelbarem Zusammenhang mit einem [288] bestimmten Unternehmen, so z. B. mit der Vollendung der äußern Stadtmauern und mit dem Bau ganzer Stadtteile nach dem Erdbeben 1356 und dem Brand 1417. Durch letztern veranlaßt war außer der Eröffnung der Grenzacher Gipsgrube die gleichzeitige Einrichtung zweier Gipsmühlen in Basel selbst, 1418, im Hause Weißegasse 22 und in der Spiegelmühle zu St. Alban.


Endlich die Ziegelhöfe.

Der älteste Ziegelhof des Rates lag an der Utengasse (Nr. 30); 1404 wurde er erweitert; er hieß der „niedere“, der „innere“ Ziegelhof.

1418 trat ein zweiter öffentlicher Ziegelhof hinzu, gleich den Gipsmühlen ein Teil der Anstalten für bauliche Verbesserung der Stadt, zu denen der große Brand gezwungen hatte. Den erforderlichen Platz verschaffte die eben diesen Jahren durchgeführte Erneuerung der Enceinte zwischen Riehentor und Rhein; hier auf der Allmend neben dem Tor, zwischen den beiden Gräben, wurde der „äußere“ Ziegelhof eingerichtet.

Mit diesen Höfen verbunden waren die Ziegeläcker, ein sechzehn Jucharten großer Komplex im Kleinbaselbann, im Niedern Holz. Jedem der beiden Höfe wurde eine Hälfte der Äcker als Pertinenz zugewiesen.

Aber die Stadt ziegelte nicht selbst. Sie verlieh die Liegenschaften Häuser und Einrichtungen an Ziegler, und diese Pächter standen in Allem — Betrieb Gewerbepolizei Lieferungen — auf gleicher Linie mit den privaten Ziegeleien.

Solcher Privatziegelhöfe finden wir eine Mehrzahl: den alten Ziegelhof der von Hiltalingen an der Rheingasse (Nr. 39); den „obern“ Ziegelhof an derselben Gasse (Lindenberg 12), der anfangs gleichfalls den Hiltalingern, später den Schälern oder Scholern zustand, einem in mehreren Generationen das Zieglergewerbe übenden Geschlechte, das zu Zeiten auch den innern Ziegelhof der Stadt in Pacht hatte; ferner einen Ziegelhof an der Utengasse, der ebenfalls den Scholern und zeitweise (1520—1533) dem Rate gehörte; in Großbasel sodann die Haasische (1494), später Meyerische (1500) Ziegelei in der Spalenvorstadt, den Ziegelhof auf dem Holee u. a. m.

Für alle diese Ziegelhöfe, städtische und private, galten dieselben Tarife, die Vorschriften über Größe und Beschaffenheit der Ziegel, die jährlich am Aschermittwoch durch Meister und Vorgesetzte der Spinnwetternzunft geschehende eidliche Verpflichtung der Ziegler auf die Ordnung. Wie die städtischen Höfe gleich den übrigen an Private lieferten, so bezog der Rat seinen Bedarf bei allen Höfen, nicht nur bei den städtischen. Zahlreiche [289] Abrechnungen zeigen uns diesen Verkehr sowie die Kategorien des Fabrikats: Dachziegel Firstziegel Känelziegel Mauersteine Estrichsteine Wölbsteine Kaminsteine. Das Schönste darunter waren jene bunten glasierten Ziegel, deren Pracht Enea Silvio bewunderte. Für das Dach des neuen Rathauses wurden sie durch Stefan Haas gefertigt, und auch die Nachbarschaft bezog sie: 1422 hatte Eberhard Ziegler fünftausend „verlasierter flacher ziegel und so viel virstziegel als nötig“ auf die Kirche in Breisgauisch Neuenburg zu liefern.


Als Leiter dieses Bauwesens finden wir im XIV. Jahrhundert die zwei Baumeister oder Bauherren der Stadt; sie werden jährlich gewählt, gehören aber dem Rate nicht an; sie haben wöchentlich den Siebnern Rechnung abzulegen. Um das Jahr 1410 tritt eine Änderung ein: statt der zwei Bauherren wird nur einer, mit höherer Besoldung, angestellt und diesem ein zweiter Beamter, der Lohnherr, untergeordnet. Die weitere Entwickelung ist nicht ganz klar. Der Titel Bauherr verschwindet in den 1440er Jahren, bald ist nur ein Lohnherr im Amte, bald sind es ihrer zwei; erst gegen Ende des Jahrhunderts wird die Zweizahl Regel.

Hans von Hegenheim, Wernli Ereman, Hans Bremenstein, Hans Zscheckabürlin erscheinen als Lohnherren der früheren Zeit; später wird die Stelle meist aus dem Handwerkerstande besetzt. In dieser langen Reihe tritt nur Einer deutlich hervor: Hans Sattler. Ein viel angefeindeter Mann; man warf ihm vor, am Tage der Schlacht von St. Jacob feige aus der Liestaler Besatzung geflohen zu sein, und weil er gelbe Handschuhe trug, erhielt er den Spottnamen „neuer Henker“. Aber drei Jahrzehnte lang, nach 1450, führte er das wichtige Amt, und mehrere Bauinschriften (des Rheinbrückenjoches, des Kornhauses am Rheinsprung, des Zeughauses) verkünden seine Tätigkeit noch heute.

Seit Beginn des XV. Jahrhunderts scheinen die Bau- oder Lohnherren dem Rate angehört zu haben; später wurde Übung, nur einen Lohnherrn aus dem Rate, den andern aus der Gemeinde zu nehmen. Fachleute waren sie nicht, aber Sachverständige. Außer der Leitung des Bauwesens und Brunnwesens hatten sie die Vertretung der Stadt in baupolizeilichen Dingen, im Schutze der Allmend u. dgl. Ihre Oberbehörde war der Rat. Aber zu Ende des XV. Jahrhunderts wurden zur speziellen Aufsicht über sie zwei Bauherren geordnet. Auch behalf man sich dann öfters mit einem einzigen Lohnherrn. Die Entwickelung zur Beamtung hier, zur Baubehörde dort war gegeben.


Das öffentliche Bauwesen wurde ergänzt durch Ordnung und Beaufsichtigung des Privatbaus.

[290] Das Früheste in dieser Richtung sind die Fünfer, die schon im Jahre 1300 genannt werden. Der Rat greift aber auch sonst ein.

Mit dem Willen, seine Stadt in gutem Ansehen zu erhalten, wendet er sich gegen private Saumsal aller Art. Risse Löcher u. dgl. in den Hausmauern werden nicht geduldet; wiederholt wird, namentlich in der spätern Zeit, getadelt, daß viele baufällige Häuser in der Stadt seien, daß diese in merklichen Mißbau und in Unehre gerate. Neben gewöhnlicher Nachlässigkeit tragen offenbar die Eigentums- und Zinsverhältnisse die Schuld an Vielem; weder der alte Eigentümer noch der Zinsmann wollen Aufwendungen machen. So entstehen die herrenlosen Ruinen, die das Bild der Stadt schänden, und der Rat muß einschreiten; er verlangt, daß der Eigentümer innert kurzer Frist erkläre, ob er bauen wolle; tue er das nicht, so werde die Hofstatt an die Stadt fallen.

Namentlich aber geben häufige Brandkatastrophen immer wieder Impulse. Am 3. Juli 1327 verbrannte Kleinbasel; am 1. Mai 1354 wiederum Kleinbasel, sodaß seine Bürger für zehn Jahre von der Steuer befreit wurden; am 26. Februar 1377 der Marktplatz, zwei Tage darauf der Spalenberg. Verheerender noch als diese Brände und von dauernder Wirkung war das Ereignis vom 5. Juli 1417: im Hause zur Tanne an der Streitgasse brach Feuer aus; bis zum Äschenschwibogen hinauf, um den Münsterplatz her, die Albanvorstadt hinaus wütete es; an der Freien Straße verbrannten die Häuserreihen bis hinab zum Zunfthause der Maler. Mehrere Menschen kamen um, die Ulrichskirche und das Albankloster wurden zerstört, bei zweihundertfünfzig Hofstätten lagen verwüstet.

Weit im Lande ringsum regte sich das Mitgefühl; von allen Seiten bezeugten Nachbarn und Freunde ihr Beileid. Die Delsberger schenkten einen hundertjährigen Wald zum Wiederaufbau der Häuser; König Sigmund entließ die Basler um dieser Heimsuchung willen aus der Pflicht des Heerzugs gegen Herzog Friedrich. Noch im Oktober sah der Florentiner Poggio, als er vom Konstanzer Konzil kommend am andern Ufer des Rheines ritt, neugierig und bedauernd die weiten Trümmer liegen.

Zur Ausdehnung des Brandes hatte geholfen, daß die Häuser großenteils hölzern waren, vorstehende Geschosse, weit ausladende Schindeldächer, allerhand Anhängsel und Anbauten hatten. Was früher, nach dem Erdbeben, hierüber verfügt worden war, hatte offenbar wenig Beachtung gefunden. Um so strenger schritt der Rat jetzt ein. Er bestimmte das Maß der Vorsprünge, der Dachhimmel, der Ladenanbauten, der Verkaufsbänke. Er befahl die Ersetzung der Holzwände durch Wände von Kalk [291] oder Lehm, die Überwölbung jeder Herdstatt mit einem „Feuerhut“. Die Zerlegung der Parzellen in kleine Teile wurde untersagt, da in den engen Häuslein der Bau ordentlicher Kamine unmöglich war; die Haftbarkeit der Dienstboten für Feuerverwahrlosung wurde geregelt, eine Delegation bestellt für Beaufsichtigung aller Feuerstätten und Kamine. Wichtig war die Aberkennung der Schindeldächer überhaupt, die Aufstellung eines Obligatoriums für Ziegeleindeckung, die Einrichtung einer Kontrolle hierüber durch spezielle Dachbeschauer. Damit allen diesen Vorschriften mit Ernst und Sorgfalt nachgekommen werde, hatte Jeder, in dessen Haus Feuer ausging, so daß „über ihn gestürmt“ werden mußte, eine Buße von zehn Pfund zu entrichten.

Hiezu kam die Förderung, die der Rat dem Wiederaufbau der in Asche liegenden Stadtteile gab. Die alte Bestimmung über die zulässige Gesellenzahl der Baugewerbe wurde gemildert. Auch Fremde sollten hier werken dürfen. Für rasche Produktion von Baumaterial wurde gesorgt durch Einrichtung eines zweiten Ziegelhofs, einer Gipsgrube, zweier Gipsmühlen, der Preis der Ziegel ermäßigt. Noch jahrelang gab der Rat Bedürftigen Beiträge an die Kosten ihres Ziegeldachs. Die aber in der Dachänderung säumig waren, — die Gesellschaft zum Imber, den Pfäffinger Kirchherrn u. A. — wies er mit Strenge zur Ordnung.

So wurde nicht nur die hölzerne Stadt allmählich zu einer steinernen. Die ganze Auffassung wurde verschärft, die Pflicht des einzelnen Hausbewohners und die Sorge der Behörde erweitert. Was seitdem als Feuerpolizei geübt wurde in Feuerschau Kaminschau Ziegelschau, in konstantem Hinwirken auf eine Melioration des Bauzustandes, ging zurück auf dies eine schwere und unvergeßbare Erlebnis. Namentlich verdient Erwähnung die immer strenger werdende Polizei gegenüber den Feuergewerben. 1463 wurde den Hafnern und Zieglern, 1466 den Glockengießern verboten, in ihren Häusern zu brennen oder zu gießen; sie sollten Solches tun „an offenen weiten Enden in den Vorstädten oder Gärten“. Bald nahm man überhaupt daran Anstoß, daß Hafner Küfer Bäcker in der Altstadt wohnten, so daß 1486 sämtliche Bäcker (mit Ausnahme Bomharts und Guldenknopfs), 1487 alle Hafner und Lebkücher in die Vorstädte ziehen mußten. 1534 wurden die Öfen der Branntweinbrenner ins St. Albantal, in die Steinenvorstadt und auf Rappoltshof hinter der Claramühle verwiesen.


Anordnungen für den Fall von Brandausbruch sind aus dem XIV. Jahrhundert und vom Jahre 1411 bekannt. Aber nur als Teile der allgemeinen Alarmordnungen, wobei nicht die Feuersnot, sondern die Feindesnot im [292] Vordergrunde stand. Beide hingen ja zusammen; Brandstiftung war ein beliebtes Mittel bei Fehden, und jede Feuersbrunst gefährdete die Sicherheit der Stadt, auch wenn sie ohne Zutun der Feinde geschehen war. Daher die Bewachung der Stadt, die Sammlung von Zünften und Vorstadtleuten, das Umreiten der Häupter mit dem Rennfähnlein als die Hauptsache, der Löschdienst nur nebenbei erwähnt wird. Handwerksknechte sollen zum Feuer gesandt werden mit Äxten, um zu helfen; dort sollen die Ratsknechte dafür sorgen, daß Jeder beim Löschen und Retten Hand anlege und keine Gaffer herumstehen; auch ist die Vorschrift, daß in jedem Haus ein Eimer und ein Feuerhaken sein müssen.

Erst der große Brand von 1417 brachte auch hier eine Neuerung. Die Stadt schaffte sechzig Ledereimer an, nach einem aus Frankfurt bezogenen Muster; jede Zunft mußte vier Eimer, jeder Stubenherr zwei Eimer anschaffen. Auch Feuerleitern wurden angefertigt und an verschiedenen Orten der Stadt aufgehängt, Wasserzüber beschafft und vier Zuberern in Verwahrung gegeben, Karren mit Wasserfässern im Marstall, im Spital und in Klöstern bereit gestellt. 1422 sodann erließen die Räte eine große Feuerordnung, klar, eingehend, die Grundlage des Löschwesens auf lange Zeit. Auch in ihr steht die Sorge für die Sicherheit der Stadt an der Spitze; dann folgt die Organisation des Löschdienstes.

Wenn man mit den Glocken der Kirchen und Klöster stürmt (während das Stürmen mit der Ratsglocke Feindesnot ansagt), sollen die alten Häupter, denen einige Herren aus dem Rat und als Ordonnanzen die Söldner beigegeben sind, zum Feuer reiten und dort die Löscharbeit leiten; die Handwerke der Zimmerleute und Maurer haben ebenfalls zur Brandstelle zu eilen und dort zu arbeiten; von den übrigen Zünften sind Einzelne ausgelegt, um die Leitern zu tragen, die Züber zu holen, die Wasserfässer zu füllen usw. Wer weder zum Banner gehört noch zum Feuer laufen muß, soll auf sein Dach gehen und dieses bewahren, die Andern Solches durch ihr Gesinde tun lassen. Alle die, so Leuchter an ihren Häusern haben, sollen diese anzünden. Die Polizei auf dem Brandplatz ist den Ratsknechten befohlen; auch einer der Schreiber des Rates hat dort zu sein, um die Müßigen zu notieren. Während dessen stehen die am Löschdienst nicht Beteiligten auf dem Markte beim Banner versammelt oder besetzen die Ringmauern.

Die spätern Feuerordnungen, aus den 1440er Jahren, von 1463, 1473, 1479, wiederholen diese Anordnungen in der Hauptsache; die Ordnung von 1531 berücksichtigt, jüngster Erlebnisse eingedenk, daneben auch die Wassersnot.

[293] Im Einzelnen ist zu erwähnen, daß der Rat den Löschmannschaften einen Sold zahlt, sowie dem Ersten, der das Feuer meldet, und dem Karrer, der das erste Wasserfaß bringt, eine Prämie. Zu den Hilfeleistenden gehören vor allem die „Freiheiten“, sowie Weiber und Mönche.

Als Löschgeräte dienen Eimer Züber Leitern Äxte; erst im XVI. Jahrhundert treten Spritzen hinzu. Am frühesten, 1527, werden solche im Besitze der Gartnernzunft erwähnt; 1532/33 bezieht die Stadt sechsundzwanzig Feuerspritzen von Frankfurt, sechsunddreißig von Nürnberg und gibt sie an die Zünfte und Gesellschaften sowie einzelne Privatpersonen ab.


Wie sich der Rat für Sauberkeit der Gasse bemühte, zeigen viele Nachrichten; ebenso sein Einschreiten gegen die auf die Allmend gerichteten Känel und Wassersteinausläufe. Dagegen ist seine Sorge für das unterirdische Basel, vor allem hinsichtlich der Wegführung der menschlichen Abgänge, wenig bezeugt.

Der Birsig war von jeher die große Kloake; ähnliche Funktionen hatten die Gewerbeteiche, unter diesen namentlich der Rümelinbach mit dem an ihn sich schließenden Netz von Rünsen Gräblein Leitungen und Schwemmkanälen. Kleinbasel hatte seinen Teich und seit 1365 die aus ihm gespeisten Bächlein in den Gassen. Diesen natürlichen oder künstlichen Wasserläufen an die Seite trat jenes den ganzen Untergrund der Stadt füllende vielverzweigte System, das in Form von Dohlen Agden Gruben Abtrittürmen u. dgl. mittelalterliche Zustände bis ins XIX. Jahrhundert festgehalten hat.

Die Spärlichkeit der Aufzeichnungen zeigt, daß die Behörde diese Dinge gehen ließ und nur selten eingriff; sie stellte sozusagen Alles den Privaten als den Nächstbeteiligten anheim. Wir können daher nur sehr Vereinzeltes namhaft machen. Vor allem die Organisation der Genossenschaften, in denen die Interessenten je einer Privatdohle sich zusammenfanden; am genauesten bezeugt ist sie bei der großen Dohle, die mit einem auch sonst beliebten Euphemismus „Goldbrunnen“ hieß und vom Andreasplatz in den Rhein ging. Sodann zahlreiche Streitigkeiten über die Besorgung solcher Privatdohlen, wobei immer wieder der Grundsatz zur Geltung gebracht werden mußte, daß die Stadt zu Nichts verpflichtet sei, vielmehr alle „Aufsäßen“, denen eine Dohle diene, nach Anzahl ihrer Stühle und Röhren schuldig seien, die Dohle in der Allmend auf gemeinsame Kosten, jeder einzelne Interessent aber den Arm von seinem Stuhl bis in die Dohle auf seine Kosten zu unterhalten.

Die „Beschlieffung“ und Räumung der Dohlen und die Leerung der Gruben war Sache der Totengräber oder Kohlenberger, als ihr ausschließliches [294] Recht; jährlich mußten sie der Behörde einen Eid schwören, die „heimlikeit“ der Dohlen nicht zu offenbaren; dies wahrscheinlich der Dohlenausflüsse in den Rhein oder durch die Stadtmauern wegen, die einem Feind als Eingang dienen konnten.


Wir betrachten endlich noch die großen Gebiete der Bewachung Verteidigung Kriegführung, auf denen die Behörde nicht allein, wie im bisher geschilderten Wesen fast durchweg, sondern mit der Gemeinde zusammen handelt, ja wo die Sorge der Gemeinde für sich selbst beinah als die Hauptsache, die leitende Tätigkeit der Behörde als die Ergänzung erscheint. Die Gemeinde ist dargestellt durch die Zünfte; diese bewachen die Stadt und sind das Heer.


Vorerst ist an dieser Stelle zu beachten, wie bei den Geschäften der Stadtbewachung, aber auch weit über diese hinaus in Leben und Arbeit Alles gehalten und eingedämmt war durch einzelne Momente, die in bestimmten Intervallen kamen und gingen und nicht als beliebige Satzungen gelten konnten, sondern als nur menschlich vermittelte Äußerungen der unerschütterlichen und über Alles mächtigen Zeit.

Basel besaß eine öffentliche, mit Schlagwerk versehene Uhr seit den 1370er Jahren, vielleicht schon früher, im Martinsturm, seit 1475 im Georgsturm des Münsters; sie war wohl ein Werk des berühmten Basler Uhrenschmieds Heinrich Halder, der auch 1372 die Turmuhr des Straßburger Münsters, 1385 die Uhr auf dem Grackentor in Luzern anfertigte. Neben diese Münsteruhr traten mit der Zeit mehrere rein bürgerliche Werke: 1407 wurde ein „Orlei“ auf dem Rathaus eingerichtet, 1436 ein solches auf der Niklausenkapelle beim Kleinbasler Richthaus, 1451 im Turm zu St. Martin.

Alle diese Uhren haben wir uns als Gewichtsuhren mit Horizontalpendelhemmung zu denken. Regulatoren für das Richten, das zuweilen einem Uhrmacher, in der Regel den Turmwächtern übertragen wurde, waren die Sonnenuhren, und da auf diesen von der ersten Zeit ihrer Anlage her, dann gegenüber dem Verfahren der andern Welt wohl absichtlich festgehalten, unter der Mittagsschattenlinie nicht Zwölf, sondern Eins stand, so ergab sich die bekannte Eigentümlichkeit der Basler Uhren; sie war eine von der gewöhnlichen Sitte abweichende Stundenbezeichnung im Sinne der beginnenden, nicht der abgelaufenen Stunde.

Durch die Uhren wurde Jedermann die Zeit gewiesen. Sie regelten aber namentlich das Geläute, das wir in mannigfaltigen Zeichen vieltönig [295] vernehmen; die Glocken der Kirchen und Klöster hatten, neben ihrer Bedeutung für die an diesen Orten selbst versammelten Gemeinschaften, das tägliche Leben der ganzen Stadt zu leiten.

Vom Münster und von St. Leonhard tönten Morgens und Abends die Torglocken, Öffnen und Schließen der Stadttore ankündigend; ebendorther und aus den Türmen aller übrigen Gotteshäuser schallte Abends (im Winter um acht, im Sommer um neun Uhr) das Kompletläuten, das den Feierabend, den Schluß der lauten Arbeit auf Werkplätzen und in Häusern gebot, an gewissen Tagen auch den Beginn der Wässerung aus den Gewerbekanälen. Ihm folgte (im Winter um zehn, im Sommer um elf Uhr) das „Glöcklein“, „das hinterste Glöcklein“, nach dessen Geläute alles Spiel aufhören mußte. Niemand ohne Laterne auf die Gasse gehen durfte, die Wirtshäuser geschlossen wurden usw. Die Torglocke zu St. Leonhard hieß auch die Feuerglocke; gemäß einer 1377 nach dem großen Spalenbergbrand eingeführten Ordnung befahl ihr Läuten im Sommer um neun Uhr, im Winter um acht Uhr Abends das Löschen aller Herd- und Ofenfeuer. Und da sie die Glocke des Tagesschlusses war, so gab ihr Geläute auch den Termin für Auszahlung von Leibgedingszinsen an den Fronfasten. Das Primläuten auf Burg war das Zeichen für den Schluß des St. Albanklostergerichts, das Schlagen der Rathausuhr um acht Uhr Morgens im Sommer, um neun Uhr im Winter das Zeichen für den Beginn des Kornmarkts. daß die Ratsglocken des St. Martinsturmes die Räte zur Sitzung riefen, ist schon gesagt worden; die Dauer ihres Geläutes (das erste Zeichen währte eine Viertelstunde, das zweite eine halbe Stunde) wurde gemessen durch Sanduhren.

Alles dies geschah zu bestimmten Stunden. Aber unversehens erging das Sturmgeläute in Augenblicken der Not, mit den Glocken von Kirchen und Klöstern bei Feuersnot, mit der größern Ratsglocke, wenn die Stadt durch Feinde bedroht war.

Ergänzung des Geläutes waren die durch die Turmwächter gegebenen Zeichen. Drei Hochwachen bestanden: auf dem Münster, auf der Martinskirche, auf der Kleinbasler Niklauskapelle; sämtliche als Nachtwachen; vom Rate der Stadt bestellt und besoldet; die zwei ersten früher meist nur mit je einem Wächter, seit 1493 regelmäßig mit je zwei Wächtern besetzt. Sobald auf Burg die Abendglocke ausgeläutet hatte, sollten die Wächter „die Nacht hornen oder blasen in rechter ordentlicher Länge“ und dann die ganze Nacht durch jedem Stundenschlag der Uhr ein Anschlagen ihrer Glocke oder einen „Hornblos“ folgen lassen bis zum Läuten der Torglocke, worauf sie den [296] Tag bliesen und ihre Türme verließen. Ihre Pflicht war überdies, Nachts fleißig über die Stadt auszuschauen; sahen sie irgendwo Feuer durchs Dach brechen, so mußten sie Sturm läuten und „hurnen“.


Andrer Art waren die Wächter auf den Türmen der Stadttore, die aber nicht ständig, sondern nur „bei sorglichen Läufen“ angestellt gewesen zu sein scheinen. Diese Türmer hatten ihren Dienst bei Tage; sie sollten fleißig in das Feld und auf die Landstraßen ausschauen, argwöhnische Leute oder Rotten, die sich näherten, durch Glockenzeichen ankündigen, bei Auflauf oder Gefahr die Torgatter hinunterfallen lassen.

Die Toreingänge selbst waren den ständigen Torhütern anvertraut, die Schlüssel Nachts einzelnen nahe wohnenden Bürgern.

Für Sicherheit und Ordnung auf den Gassen im Innern der Stadt sorgten Tagsüber die Wachtmeister, während der Nacht die durch die Zünfte und die Gesellschaften bestellte Scharwacht. Diese, die im Gegensatz zu den festbesoldeten Turmwächtern vom Rate nur ein Trinkgeld („umb win“) erhielt, bezog Abends die Wache auf dem Rathause, wo jeweilen einer der Sechser den Befehl hatte, der oberste Ratsknecht oder der Richthausknecht namens des Rates Aufsicht führte; sobald der Wächter zu St. Martin die Nacht geblasen hatte, trat die erste Patrouille ihren Gang durch die Stadt an. Andere Patrouillen folgten nach der Ordnung. Sie hatten die Wachsamkeit der Wächter auf den Kirchtürmen durch Anrufen zu kontrollieren und in den Gassen auf alles Ungebührliche zu merken. Auch Stadtknechte wachten im Rathause, deren Pflicht war, das vorzeitige Weglaufen der Zünftler von der Wacht zu hindern.

Die Zünfte versahen die Scharwacht der Reihe nach, je mit fünfzehn Mann, welche Zahl aber durch den Rat „nach Gelegenheit der Läufe“ gemindert oder gemehrt werden konnte.

Grundsatz war die allgemeine Hut- und Wachtpflicht. Die in der Altstadt wohnenden Zünftigen erfüllten diese Pflicht im Verband ihrer Zunft, die in den Vorstädten und in Kleinbasel wohnenden Zünftigen im Verband der betreffenden Gesellschaft. Die Zunftlosen waren ebenfalls den Gesellschaften zugeteilt, und zwar die in der Altstadt wohnhaften nach topographischer Ausscheidung der Gesellschaft der angrenzenden Vorstadt. Weiber, die das Handwerk oder Gewerbe einer Zunft trieben, hatten die Wache durch Stellvertreter zu versehen. Aber diese Stellvertretung beliebte auch Männern. Und nicht nur Stellvertretung, sondern Befreiung überhaupt. Wiederholt beschloß der Rat, daß Keiner der Wacht gefreit sein und Jeder mit seinem eigenen [297] Leibe wachen solle. Ein Satz, der schwer durchzuführen war. Bei Krankheit, Kindbett der Frau, Abwesenheit u. dgl. gab sich die Notwendigkeit eines Stellvertreters von selbst, und zu Ende des XV. Jahrhunderts bestand geduldet schon vielfach die Übung, die Leistung der Wachtpflicht durch eine Zahlung an die Zunft („Wachtgeld“) zu ersetzen, einen „Lohnwächter“ zu stellen. Etwas Anderes war grundsätzliche Befreiung von der Pflicht. Sie konnte nicht durch die Zunft, sondern nur durch den Rat gewährt werden und geschah nicht um der Person, sondern um eines Amtes willen. So waren befreit die Ratsherren, die städtischen Werkmeister und Härnischer, die Züberer, die Verwahrer der Torschlüssel und die mit Besorgung der Straßenketten und der Straßenleuchter Betrauten. Andere Fälle waren die Befreiung eines Arztes 1472 und einiger Färber, deren Niederlassung in Basel der Rat begünstigen wollte, 1454; hier galt die Befreiung nur für eine gewisse Zeit. Ebenso kam vor, daß Solche, die Leibgedinge oder Zinse von der Stadt kauften, sich dabei Wachtfreiheit ausbedangen.

Dies waren die Wachteinrichtungen ruhiger Zeiten. Sie änderten sich beträchtlich bei Kriegsgefahr.


Sobald Basel zum Kriege greifen wollte oder mußte, entstand die Notwendigkeit einer konzentrierteren Leitung. Was 1529 ausgesprochen wird, „daß in diesen Dingen mit höchster Heimlichkeit“ gehandelt werden müsse, das galt jederzeit. Eine Behandlung von Kriegssachen durch den vielköpfigen Rat war undenkbar. Schon die Heimlicher von 1373 waren ein Kriegsrat gewesen, und dieser wiederholte sich in den Neunern, in den Dreizehnern, bis wieder zu den neun Kriegsherren des XVI. Jahrhunderts und den von diesen im kritischen Jahr 1529 bestellten fünf Heimlichern.

Diese Übertragung von Regierungsgewalt auf Wenige war die einzige Konzession, zu der sich der Rat verstand. Sie geschah aber kaum nur zur Geheimhaltung der Beschlüsse, sondern jedenfalls auch deswegen, weil auf keinem Gebiete so sehr wie auf diesem nur sachkundige Männer zu brauchen waren und sachunkundige nirgends so schwer schädigten wie auf ihm. Die natürliche Ergänzung dieses heimlichen Rates wäre daher jeweilen die Uebergabe des Kommando an einen Berufssoldaten, einen Condottiere gewesen. Aber so konsequent zu handeln war unmöglich. Nicht allein, daß aus einer frühern Zeit her noch die Gewohnheit oder gar die Überzeugung lebte, der Adlige, weil er im Waffenwesen aufwachse und zu fechten verstehe, sei auch Heerführer und daher der Bürgermeister der gegebene Kommandant; es schien auch untunlich, Demjenigen, der im bürgerlichen Leben das Haupt war, nicht [298] auch im militärischen den Oberbefehl zu geben. Und weil die ganze Kriegsorganisation auf den Zünften sich aufbaute, so war auch die Beteiligung ihrer Ratsherren und Meister nicht auszuschließen; sie waren die Hauptleute bei der Stadtbewachung wie im Auszug und der Kriegsrat im Felde. Kriegsleute von Beruf fanden sich nur unter den Söldnern, aber als solche hatten sie keine Autorität. So stand es um Führung und Kommando; es war ein System der übelsten Art, aber mit dem gesamten politischen System gegeben, und eine völlig vereinzelte, nur durch die Angst und Not des Augenblicks erzwungene Ausnahme konnte sein, daß Basel im Herbst 1475 den kriegserfahrenen Herman von Eptingen zum Stadthauptmann machte, seine Geschicke ganz in dessen Hand legte.

Wohl nirgends sonst treten die Zünfte als eine große Einheit und zugleich als die wirklichen Träger des Gemeinwesens hervor wie hier. Sie bewachten die Stadt und zum Feldzuge stellten sie die Hauptmacht; die Gliederung der Bürgerschaft nach Zünften und Kleinbasler Gesellschaften gab auch die Einteilung für das Militärische.

Zu Grunde aber lag die allgemeine Wehrpflicht. Dem Aufgebot gegenüber handelte es sich nicht um Freiwilligkeit und nicht um Sold. Wachen und Reisen (ins Feld ziehen) war ein und dieselbe Pflicht, die jedem Bürger oblag; nur in den schon erwähnten Fällen wurde Stellvertretung oder Loskauf gestattet.

Wie die Wehrpflicht allgemein war, so die Wehrhaftigkeit. Jeder mußte Harnisch und Waffen haben, aus eigenen Mitteln und ohne Weiteres für den Kriegsdienst gerüstet sein. Dieser Besitz war Voraussetzung der Zünftigkeit. Auch wer das Bürgerrecht verdienen wollte durch Teilnahme an einem Kriegszuge der Stadt, mußte diesen Dienst tun in seiner eigenen Wehr. Den Harnisch durfte man weder verkaufen noch versetzen, und bei Kriegsgefahr war erste Pflicht der Zunftvorsteher, die Ausrüstung der Zunftgenossen zu mustern. Daher in den Inventaren bürgerlichen Hausrates die Eisenhüte Blechhauben Panzer Brustbleche Armzeug Beingewand Schilde Schwerter Mordäxte Helmbarten Armbrüste stehen; daher beim gegenseitigen Vermächtnis der Fahrhabe die Ehefrau stets ihre Tüchlein und Kleider ausnimmt, der Mann seinen Harnisch.

Eine Ergänzung dieses allgemeinen Gerüstetseins ist die Verpflichtung Einzelner zum Halten von Kriegspferden. Aus dem XIV. Jahrhundert, dann wiederholt aus den 1420er Jahren und 1440er Jahren sind solche Bestimmungen und Rötel überliefert. Je nach dem Vermögen sind ein Pferd oder mehrere Pferde und außer diesen auch noch reisige Knechte zu stellen.

[299] Aber auch jede Zunft als solche hat ihr Arsenal, mit dem sie bei Gelegenheit aushelfen kann, das sie in Stand hält, nach Bedarf erneuert und vermehrt, und wo neben Harnischen und Waffen die Zelte nicht fehlen. Wie ansehnlich einzelne dieser Rüstkammern waren und wie mit der allgemeinen Entwickelung auch sie sich änderten, zeigen die Inventare.

Mächtiger war der Waffenbesitz der Stadt selbst. 1361 hatte sie im Rathause hundertfünfzehn Geserfe, hundertzweiundfünfzig Panzer, hundertsechsundvierzig Waffenröcke, hundertdreiundvierzig Armbrüste usw. liegen. Hochbewegte Zeiten folgten, deren Wirkung wir auch an diesen Waffenverzeichnissen der Stadt wahrnehmen. 1415 besitzt sie zweihundertfünfzig Geserfe, hundertvierundsechzig Panzer, dreihundertvierundzwanzig Armbrüste, hundertachtundneunzig Schilde und Tartschen, sechzigtausend Pfeile ohne die alten, zweihundertfünfzig Feuerpfeile usw. All das lagert im Rathause. Auch die Panzer sind dabei, die der Rat 1409 in Frankfurt gekauft hat. Später bezieht er die Rüstungen aus Nürnberg. Bis er zu Ende des Jahrhunderts sich von dieser fremden Produktion frei zu machen sucht durch Anstellung städtischer Härnischer (Panzermacher Haubenschmiede) und Einrichtung von Draht- und Baliermühlen für diese. Der Beachtung wert ist die große Zahl der Armbrüste, die der Rat besitzt. Mit ihnen sind seine Söldner ausgerüstet. Die Edelleute, die hier Bürgerrecht, und Diejenigen, die ein gutes Amt erhalten, haben der Stadt eine Armbrust zu liefern oder ihren Wert in bar. Ein städtischer Armbruster, vom Rate bestellt, hält diese Waffen in Stand.

Von Beginn des XV. Jahrhunderts an, durch die lange Reihe der wöchentlichen Rechnungen hindurch, lassen sich die nie ruhenden Ausgaben des Rates für sein Kriegsmaterial verfolgen. Geradezu eine städtische Manufaktur begegnet uns in der beständigen Vereitung von Pulver, in der Anfertigung von Pfeilen u. dgl. und dem häufigen Verkauf solchen Materials an Städte Adlige Eidgenossen. Einzelheiten von Belang sind der 1498 erwähnte Schwert- oder Sichelwagen, sowie das große Staatszelt der Republik, ein reich und zierlich ausgestattetes Gebäude mit buntbemaltem Glockenhause darauf, mit Eisenwerk und funkelnden Knöpfen; 1417, dann wieder 1453 macht der Rat dafür beträchtliche Aufwendungen.

Das Wichtigste waren doch die gewaltigen Schleuder- und Schießwaffen. Ihre früheste Art die Springolfe und Gewerfe zum Schleudern von Pfeilen oder Steinen. So jenes 1365 gebaute „herrliche“ Gewerf, zu dessen Transport vierundzwanzig Wagen und hundertvierundvierzig Pferde nötig waren. 1369 liehen es die Basler dem Herzog Leopold zur Belagerung [300] von Hericourt, erhielten es aber nicht mehr zurück. Das dann neu gebaute Werk brach 1374 die Mauern von Falkenstein. Die dritte Wurfmaschine endlich, von der wir wissen, deren Bild sogar uns überliefert ist, 1424 gezimmert, arbeitete 1445 bei der Belagerung des Steins Rheinfelden.

Aber schon seit den 1360er Jahren kannte Basel das Schießpulver und verwendete es in Geschützen. 1371 ist von mehreren Büchsen die Rede, vom Guß neuer Büchsen, von einem Büchsenmeister. 1387 stehen achtzehn Büchsen auf den Mauertürmen, und 1415 besitzt die Stadt außer dieser Armierung der Türme noch im Werkhaus acht kupferne und neun eiserne Büchsen und zweiundvierzig Büchsen auf Gerüsten usw. usw. Was in solchen Listen für uns lebt, ist weniger das Bild dieser langen dunkeln Reihen von Geschützen, als die Gewißheit, daß die Stadt dadurch endgültig stärker geworden ist als alle ihre Nachbarn. Was vermochte die Kraft des Adels gegen die Donnerbüchsen! Und welcher Herr und Fürst dieser Lande konnte solche Aufwendungen machen? Nur die Stadt konnte es. Ganz deutlich wird das Geschützwesen für sie eine Sache des Stolzes, des Ehrgeizes. Im November 1409 zieht sie mit sieben Büchsen vor Rheinfelden wie zur Parade; vor Hericourt 1425 liegen vier große Basler Büchsen usw. Basel will es den Andern zuvortun. Daher die große Zahl von Büchsenmeistern, die der Rat oft nebeneinander in Dienst hat, und die zum Teil ungewöhnlich freigebige Art, mit der er sie anstellt. Dem entspricht denn auch der Ruhm der Basler Artillerie. Schon 1396 leiht die Stadt ihre Büchsen den Straßburgern, wie sie 1444 den Eidgenossen vor Farnsburg tut. In den Feldzügen der Bünde, denen sie angehört, hat sie die größte Kraft, weil sie zahlreiches und starkes Geschütz mitbringt. Sie prunkt damit; vor Fürstenstein Hohkönigsburg Grandson zeichnen sich ihre Büchsenmeister aus. Nicht nur dem Basler Chronisten fällt auf, daß bei der Sammlung des großen Heerzuges gegen Burgund 1474 die Eidgenossen zwar schöne Mannschaft schicken, Basel aber die mirabilia machinamenta seiner Büchsen; sondern noch fünfzig Jahre später weiß der Sankt Galler Rütiner zu rühmen, daß Basel durch sein Geschütz selbst das kriegsgewaltige Bern übertreffe.

Fast individuell berühmt sind einzelne dieser Geschütze: der Rüde, der Drache, der Widder, die Häre, vor allem die schicksalsreiche Rennerin, Basels drittgrößte Büchse, eckig, zentnerschwere Steine schießend.

Die 1490er Jahre brachten neue Aufgaben und verlangten neue Formen; sie nötigten Basel, auch seinen alten ruhmreichen Geschützpark zu modernisieren. 1491 wurde die Rennerin zerbrochen, wurden neue Schlangen gegossen; von Herrn Herman von Eptingen kaufte der Rat einige Büchsen; [301] dann 1498 wurde das gesamte „alte unnütze gezüg von buchsen“ gemustert und zerschlagen und der Neuguß aller Stücke begonnen. Meist durch Thomas Scholer den Hafengießer. Die Rechnungen zeigen, wie ein Stück ums andere gefertigt wurde, lauter Schlangen, bis zu den herrlichen Prachtkarthaunen, die der Rat 1514 durch den Straßburger Büchsenmeister Jerg von Günthein gießen ließ; 1525 kamen die durch Michel Koberger gegossenen Stücke dazu.

Die hohe Bedeutung all dieser Dinge für Ehre und Bestand des Gemeinwesens läßt begreifen, daß die Verwaltung des Kriegsmaterials einer der ansehnlichsten Dienstzweige wurde. Im XIV. Jahrhundert war sie den Siebnern übertragen, später den mit merkwürdig weiter Kompetenz ausgerüsteten Zeugherren. Große Wichtigkeit hatte auch das Amt der stolzen, durch geheimnisvolles Wissen ausgezeichneten Büchsenmeister; ihnen lag nicht nur ob, der Stadt zu dienen mit der „Kunst aus Büchsen zu schießen“; sie waren meist auch Geschützgießer und überdies Pulvermacher, dazu mit der Aufsicht über die Munitionsvorräte und die Büchsen samt Zubehör betraut. Bemerkenswert ist die enge Verbindung dieser Geschäfte mit dem Bauwesen; zu Zeiten sind Büchsenmeister und Werkmeister dieselbe Person, und der Lohnherr erscheint gelegentlich auch als Zeughausverwalter. Es konnte dies geschehen, weil die Geschütze, mit Ausnahme der im Rathaus und auf den Mauern stehenden, im Werkhaus verwahrt waren, sodaß dieses auch Zeughaus oder Büchsenhaus hieß. Es war der Stolz Basels, eine seiner berühmten Sehenswürdigkeiten. 1433 bewunderten dort die Venezianer die sechsundsechzig großen, auf Wagen liegenden, bronzenen Bombarden; kein hoher Besuch kam nach Basel, den die Räte nicht hinauf in ihr Zeughaus führten und diesen Prunk stattlicher Kriegswerkzeuge beschauen ließen.


Welcher Art aber war die Anwendung aller dieser Kräfte und Mittel?

Kriegerisches Wesen erregte und steigerte zu Zeiten schon die üblichen Wachtanstalten. Das waren die Zeiten der „sorglichen Läufe“, da zwar noch keine bestimmte Gefahr drohte, aber das Land in Bewegung und deren Ziel ungewiß war, da Warnungen und Gerüchte kamen, Kriegsvolk sich in der Nähe sammelte. Zeiten, die nicht selten waren, vielmehr immer wieder sich erneuerten und zuweilen Jahre lang dauerten. Aber auch sonst kam Basel sozusagen nie zu einer getrosten Ruhe; denn unkriegerische außergewöhnliche Vorfälle wie die Jahrmesse, ein Kaiserbesuch, das Turnier des Juan de Merlo u. dgl., die viel Fremde in die Stadt brachten, zwangen in gleicher Weise wie jene Kriegsbefürchtungen dazu, auf der Hut zu sein. Jedenfalls hatte die Schule solcher stets wechselnder Erlebnisse die Wirkung, [302] daß das Verfahren des Rates sich immer sicherer entwickelte und zu einer Virtuosität der Vorsicht wurde.

Zu dem Normalen der „Wacht zu gemeinen Zeiten“ traten die außerordentlichen Maßregeln der „Wacht, wenn man in Sorge ist“: Verstärkung der Scharwacht und ihrer Patrouillen, Bestellung von Nachtwachen auch auf den Toren durch Vorstadtleute, einer berittenen Nachtwache durch Herren der Hohen Stube; außerdem wurden die Torhüter angewiesen, ihren Dienst im Harnisch zu tun und ihr Handwerk zu lassen; sie erhielten Verstärkung durch Zuwachten aus den Zünften; die Tore wurden später geöffnet und früher geschlossen als gewöhnlich, die Gitter bei den Einflüssen von Birsig und Teichen verwahrt, der Rhein durch Wachmannschaft auf Kähnen behütet. Eine durch die Häupter angeordnete heimliche Wache, die auch Nachts umging und auch außerhalb der Tore streifte, übte Aufsicht und Kontrolle. Durchweg galt strenge Handhabung der Wachtpflicht; Befreiung wurde nicht gewährt. Eine Spezialität endlich, die zu solchen Zeiten in Wirkung trat, waren die Straßenketten. Diese waren zu Beginn des Konzils eingerichtet worden, wohl nach dem Beispiel der Pariser Ketten, die ja in den dortigen Unruhen eine so wichtige Rolle spielten, und auf Anraten von dort kommender Konzilsleute. Für den Fall von Auflauf und Getümmel ließ der Rat solche Ketten an den Gassen anbringen, die „dem Kornmarkt zustoßen“, damit dieser Alarmsammelplatz vor „Überrennen“ gesichert sei; die Schlösser zum Schließen der Ketten wurden Anwohnern übergeben.

Mit diesen Mitteln suchte sich Basel vor Überraschungen zu sichern; es wendete bald nur das eine, bald nur das andere, bald alle an, je nach dem Maß seiner Befürchtungen. Die letzte Stufe war dann der Zustand, der in den Alarmordnungen vorgesehen ist.

Wenn Glocken der Kirchen und Klöster stürmten, so war Feuer ausgebrochen; wenn die Ratsglocke, so war Feindesnot. Es drohte die nahe Gefahr eines Überfalls, einer Belagerung, eines Aufruhrs im Innern der Stadt selbst.

Aber auch dieses Alarmwesen zeigt sich uns in einer Entwickelung.

Zunächst scheidet hier das Jahr der Vereinigung mit Kleinbasel, 1392, zwei Perioden.

Die frühere Zeit teilte für Alarmfälle die Stadt in vier Bezirke, deren jeder ein Stück der „rechten stat“ und eine Vorstadt oder zwei Vorstädte umschloß; die in einem Teil Gesessenen hatten sich an dessen Sammelplatz beim Hauptmann einzufinden, der ein Banner der Stadt trug; diese Sammelplätze waren der Fischmarkt, der Kornmarkt, der Rindermarkt, die Straßenkreuzung [303] vor dem Spital. Also eine Organisation ohne Rücksicht auf die Zünfte, rein topographisch und hiebei Altstadt und Vorstädte zusammengreifend. Anders später.

Zum ersten Mal in der Alarmordnung vom August 1392 wurde bestimmt, daß die in der Altstadt und nicht in den Vorstädten gesessenen Zünftigen auf den Kornmarkt rennen und dort Jeder beim Banner seiner Zunft, dessen Ort das an einem Haus angebrachte Zunftmappen wies, zu stehen habe, bei Feuersnot mit Ausnahme derjenigen, die als Löschmannschaft Dienst taten vor dem Rathause nahmen die neuen Häupter mit dem Stadtbanner Aufstellung, bei ihnen die Räte, die Hohe Stube und alle Unzünftigen der Altstadt. Die in den Vorstädten Gesessenen aber, sie waren zünftig oder nicht, sollten dort bleiben und die Vorstädte hüten unter dem Befehl ihrer Hauptleute.

Diese Neuerung ist bemerkenswert. Wir irren kaum, wenn wir darin eine Wirkung des Erwerbs von Kleinbasel erkennen. Was im rechtsrheinischen Basel vielleicht schon lange als Organisation für Alarmfälle bestand, wurde jetzt den Vorstädten gegeben, denen gegenüber die alte innere Stadt von „nun an dieselbe gesonderte Stellung in diesen Dingen einnehmen sollte wie der neuerworbenen Kleinbasler Vorstadt gegenüber, und es war hiebei nur natürlich, diese Alarmorganisation der Altstadt auf die Zünfte zu basieren.

Die Vorschriften der folgenden Zeit sind in der Hauptsache derjenigen von 1392 gleich. Eine auffallende Abweichung besteht jedoch darin, daß zum Hauptbanner auf dem Markt nur einige Zünfte sich einfinden, als Bannerwache und Reserve, die Mehrzahl aber, bei Brandfällen mit Ausnahme der zum Löschdienst Verpflichteten, auf die Ringmauern eilt und diese besetzt. So geschah im Frühjahr 1409, als der Krieg mit Österreich drohte, und 1425 vor dem Kriege mit Diebold von Neuchatel.

Die schweren langen Nöte der 1440er Jahre sodann bringen uns eine kaum übersehbare Fülle von Ratschlägen Verordnungen Nachrichten über die Bewachung der Stadt. Die furchtbare Hast dieser Geschäfte, Drang und Aufregung leben noch deutlich in ihnen, auch in ihren Widersprüchen und Ungleichheiten. Wieder bestimmen hier die Alarmordnungen, daß beim Stadtbanner vor dem Rathaus einige Zünfte, die Hohe Stube und die Zunftlosen der rechten Stadt sich sammeln; den übrigen Zünften aber befehlen sie die Aufstellung um den Marktplatz her. Der Rat will offenbar die ganze Macht hier in der Hand haben, um je nach dem Stande der Dinge aus der Stadt zu ziehen zur Feldschlacht oder die Mannschaft auf die Mauern zu werfen. Das ist jetzt Regel und daneben das Neue, daß [304] nicht die Glocken das Sturmzeichen geben, sondern Trommel und Trompete, sowie daß die Reisigen statt auf dem Kornmarkt sich auf dem Fischmarkt sammeln sollen. Eine völlige Änderung aber, durch die höchste Gefahr eines einzelnen Tages — 28. August 1444 — gefordert, ist der Erlaß, daß, wenn Sturm geläutet werde, Jeder sogleich auf die Mauern laufen solle, bei Alarmblasen der Trompeter aber auf die Sammelplätze Kornmarkt und Fischmarkt.

Im Sinne der gewöhnlichen Ordnung — Sammlung der ganzen Macht, bei Brandfällen stets mit Ausnahme der Löschmannschaften, auf dem Markte, mit gesonderter Stellung einiger Zünfte, der Hohen Stube und der Unzünftigen beim Stadtbanner — sind wieder die Ordnungen der folgenden Zeit erlassen, in den Jahren 1463, 1473, 1479. Dann belieben Änderungen: 1499 werden alle Zünfte auf den Markt beordert ohne Ausscheidung einer Reserve beim Banner, die Ordnung vom Oktober 1531 aber, unter dem Drucke schwerer Sorgen erlassen, nimmt das Verfahren von 1409 und 1425 auf mit Ausscheidung der Reservetruppe, aber sofortiger Besetzung der Mauern durch die übrigen Zünfte; während die Ordnung von 1534 wieder zu der in den 1440er Jahren gegebenen Norm zurückkehrt.

Aus der Masse der Einzelvorschriften, die durch anderthalb Jahrhunderte hindurch die Hauptsätze dieser Ordnungen begleiten, greifen wir hier Einiges heraus.

Zunächst, daß dies Alarmwesen die geschilderten Einrichtungen verstärkter Wacht nicht ausschließt, sondern neben sie tritt. Wir sehen dieselbe Zunft, die des Aufgebots zum Banner gewärtig ist, Nachts die ihr zugewiesenen Türme bewachen, Tagsüber die Hut unter einem Tore versehen und außerdem in bestimmten Nächten „mit ganzer Zunft“ die Scharwacht besorgen.

Wir sehen ferner als konstanten Brauch, daß Stadtbanner und oberste Leitung bei den neuen Häuptern sind, die alten Häupter dagegen auf der Brandstätte, an den Toren oder wo sonst Gefahr droht das Nötige vollziehen.

Endlich die Mauerbewachung, die bald in erster Linie steht bald vorbehalten wird, immer aber zum Alarmdienst gehört. Schon eine Ordnung von 1374 regelt sie: bestimmte Tore und Mauerstrecken sind den Bewohnern der nächsten Vorstadt zur Bewachung zugewiesen, die da zwischen liegenden Strecken einzelnen Zünften. Dann, nach 1392, wird die Mauerbewachung in Großbasel ausschließliche Pflicht der Zünfte. Die Ringmauer ist in fünf Teile geteilt, deren jeder einigen Zünften anvertraut wird.

Für die fünf Vorstädte gilt seit 1392, daß ihre Bewohner bei Alarm die Vorstadt nicht verlassen, sondern unter dem Befehl der Hauptleute sich [305] sammeln sollen, deren zwei für jede Vorstadt bestellt sind; Einer von diesen trägt das mit dem Stadtwappen gezeichnete Gerfähnlein der Vorstadt. Neben ihnen kommandiert am Tore selbst der Hauptmann der Torwache.

In Kleinbasel hat sich die Mannschaft vor der Niklauskapelle bei den Hauptleuten und dem Banner zu versammeln. Der Mauerring ist in zwei Teile zerlegt, für deren jeden ein Hauptmann zu sorgen hat. Auch hier funktionieren daneben die Torwachen unter eigenen Hauptleuten.


Wenn Etwas uns ermöglicht, in die Lage des damaligen Basel uns hineinzudenken, so ist es diese Flut von Reglementen, mit denen der Rat, rastlos erfinderisch, die Sicherheit seiner Stadt zu wahren sich bemühte. Sie zeigen uns die unerbittliche unermüdliche, gar nie nachlassende Feindschaft, der Basel ausgesetzt war; sie zeigen uns auch, wie wechselnd diese Befeindung auftrat, bald in der bald in jener Form, bald auf dieser bald auf jener Seite, die ganze lange Zeit hindurch von den Engländereinfällen bis zu den Kämpfen der Reformationszeit. Unaufhörlich erschüttert wurde das Gemeinwesen, das Leben jedes Einzelnen. Freilich auch erzogen gehärtet gestählt durch das Bewußtsein, daß jeder neue Tag wieder Alles in Frage stellen konnte. Nie die Freude völlig beruhigten Daseins, nie das Gefühl sichern Besitzes. Denn wie wenig durfte eine Stadt auch sich selbst trauen, die so gewaltige Vorkehrungen traf nicht nur gegen Widersacher draußen, sondern auch gegen innere Empörung, die in jedem Feuerausbruch die Tat eines Feindes vermuten konnte und ihren Löschdienst fast erdrückte durch das gleichzeitige militärische Aufgebot.

Kein Zweifel, daß dieses beständige Gerüstetseinmüssen Basels ein Teil seines geschichtlich gegebenen Wesens und unausweichlich war. Aber weshalb ein Gerüstetsein fast immer mit dem Schilde und so selten mit dem Schwert! Die Basler Militärakten sind Zeugnisse vor Allem der Defensive. Wir vernehmen unendlich viel mehr von Alarmvorschriften, von Anstalten für Bewachung und Verteidigung, als von der Organisation kriegerischer Auszüge oder gar vom Impetus kühnen spontanen Losbrechens.


Wie die Wacht so ruhte der Auszug völlig auf den Zünften und den Kleinbasler Gesellschaften. Sie waren die städtische Miliz. Sie hoben aus, musterten und stellten die Mannschaft zum Kriege, verpflichteten sie vor dem Auszug auf die Kriegsartikel; sie gaben die Form für die Bildung des Heeres.

Frühes Zeugnis hievon ist die Kriegsordnung von 1364, die vier Heerhaufen aufstellte, jeden aus mehreren Zünften gebildet und unter dem Kommando eines Ritters und eines Achtburgers stehend.

[306] Wir nehmen an, daß diese Organisation gedauert habe bis 1410. In diesem Jahre, anläßlich des Sturms der Zünfte gegen das Regiment der Rotberg und Ehrenfels, kurz vor Errichtung des Ammeistertums, kam es zu einem Beschluß über Führung der städtischen Streitmacht. An die Stelle der vier Ritter und vier Achtburger sollten vier Hauptleute treten, deren Wahl sich der Rat vorbehielt, und neben jeden der Hauptleute ein Kriegsrat von zwanzig Mitgliedern, die größtenteils dem Rat angehörten und an deren Wille der Hauptmann gebunden war. Da hiebei zwar die Hohe Stube nicht ausgeschlossen, die Mehrheit der Zünftler aber beträchtlich war, so ergab sich eine Beteiligung Vieler am Kommando, die zu den Vorgängen des Jahres 1410 durchaus paßt. Die gesamte Großbasler Mannschaft, mit Einschluß der Vorstadtleute, wurde nach den Kirchspielen in vier Haufen geteilt und jedem dieser ein Sammelplatz angewiesen: Fischmarkt, Kornmarkt, Straße beim Richtbrunnen, Straße vor dem Spital. Kleinbasel sollte sich gesondert versammeln, erhielt aber weder Hauptmann noch Kriegsrat, sondern hatte die Befehle von Großbasel abzuwarten.

Dies war die Ordnung der vier Banner, deutlich die alte Alarmordnung der Zeit vor 1392 hier für die Organisation des Auszuges aufnehmend. Als charakteristisch und neu erweist sich an ihr vor Allem die Schaffung eines Kriegsrates. Diese geschah im Unmut über die Mißordnung des gemeinen Wesens, über die Schwäche und Ordnungslosigkeit, die sich beim kaum geendeten Kriege gegen Oesterreich gezeigt hatten, und offenbarte den Willen, wie im Rate so nun auch im Felde die Herren die Gewalt der Majorität fühlen zu lassen. Daß man hiebei das ganze herkömmliche System preisgab, an Stelle des Zunftgefüges eine rein topographische Gliederung setzte, läßt sich allerdings nur aus der Absicht einer gänzlichen Neuerung erklären. Aber von Dauer war diese Änderung nicht; schon bei den Rüstungen gegen Diebold von Neuchatel 1425 traten wieder die Zünfte in ihre alten Rechte, und die vier Teile der Ordnung von 1410 galten nur noch für die Unzünftigen. Bald fiel aber auch dies dahin, und in den folgenden Zeiten ist von den vier Teilen keine Rede mehr, sondern nur noch von Hoher Stube, Zünften und Kleinbasler Gesellschaften. Einzig der Kriegsrat blieb, wenn auch in beschränktem Maße, als Errungenschaft des Jahres 1410.

Eine wichtige Ergänzung dieser städtischen Kriegsmacht brachten seit 1400 die von der Stadt erworbenen Gebiete. Wiederholt bediente sich ihrer der Rat, um die Besatzung der Stadt zu verstärken. Namentlich aber war ihre Kraft von Wert im Auszuge; wir sehen, wie jede Erwerbung einer [307] neuen Herrschaft sofort die Zahlen der Mannschaftsrötel steigert, bis zuletzt diese bewaffneten Untertanen die Kontingente der Zünfte an Umfang weit übertreffen.

Neben dem Landvolk marschierten zu Zeiten auch Zuzüger aus den mit Basel verburgrechteten Landschaften, so 1425 aus dem Delsberger Tal, 1529 und 1531 aus Laufen und den fünf Dörfern.

Während im Alarmwesen auch die angesessenen Zunftlosen bestimmte Funktionen haben konnten, war im Auszug das Verhältnis ein anderes[.] Neben der festen Geschlossenheit der zu Stadt und Land Ausgehobenen sowie der Soldtruppen stand hier eine keinem Verband angehörende, z. T. auch keinem Verband anzupassende Menge, die aber mitziehen und mitkämpfen wollte. Soweit wir sehen, gliederte sich die große Mehrzahl dieser Freiwilligen den Zünften und Gesellschaften an, zu denen ihr Beruf sie wies und in deren Verband sie dann auch das Bürgerrecht erlangten. Anderer Art waren die berittenen Knechte, die durch Edelleute und reiche Bürger gestellt wurden und sich der übrigen Reiterei, Herren und Söldnern, anschlossen. Endlich ein lauter bunter, im Einzelnen kaum zu deutender Haufe von Leuten aller Art, die sich herbeigemacht hatten, weil eine Fahne wehte und eine Trompete ins Feld rief; unter ihnen auch die „Freiheiten“ der Stadt Basel selbst, die Angehörigen jener zu Jedermanns Dienst stehenden, halb rechtlosen Einwohnerklasse, von der noch zu reden sein wird. Um ihretwillen führt dieses gesamte Anhängsel in den Röteln den Namen „Freiheit“, - aber sie selbst waren weniger Freiwillige als die Andern. Der Rat bot sie auf und gab ihnen ein eigenes Fähnlein. Aber auch die Andern konnten, wenn sie zahlreich genug waren, sich zu einer Freischar zusammentun, als solche nebenher oder voraus ziehen und nach geendetem Zuge beim Rat ein Geschenk holen.


Die Miliz war für Auszüge nur zu haben, wenn diese nicht zu weit gingen und voraussichtlich nicht lange währten. In diesen beiden Fällen zogen an ihrer Statt Soldtruppen, die entweder bezahlte Mannschaft aus Stadt und Land Basel selbst oder angeworbene Fremde waren. So z. B. im Mühlburger Krieg und im Zuge vor Neuß.

Aber auch außerdem finden wir Söldner seit früher Zeit als die unentbehrliche Ergänzung der städtischen Bürgerwehr. Der Rat bedurfte einer solchen kriegsgeübten Mannschaft, einer wenn auch kleinen, stehenden Truppe von Berufssoldaten unaufhörlich. Das waren die Ratssöldner Wochensöldner, die schon geschildert worden sind. Fehden fehlten nie, das Land um Basel war allezeit unsicher; im täglichen kleinen Krieg, bei Späherdiensten [308] Handstreichen Streifzügen war Verwendung für solche Leute, die zudem, sobald ein größeres Unternehmen nötig wurde, schon zur Hand waren und die Kerntruppe bildeten, an die sich Neugeworbene anschließen konnten.

Solche Anwerbungen für einzelne Kriege, über die ständige Söldnertruppe hinaus, begegnen uns seit der Mitte des XIV. Jahrhunderts. Bei der Abwehr der Engländer, bei den Kämpfen mit Johann von Vienne, bei den Schlachten des schwäbischen Städtebundes waren stets Söldner Basels tätig. Und so wieder in den vielfachen Unternehmungen der 1420er Jahre, im Sankt Jacoberkrieg, in den zahlreichen Kämpfen der folgenden Jahrzehnte, im ungarischen Reichskrieg. Oft in ansehnlicher Zahl. Freilich vernehmen wir von ihnen nicht viel mehr als die Namen und die Verrechnung der auf sie gehenden Kosten. Sie sind teils Fußknechte teils Reiter. Meist Fremde, oft aus weiter Ferne her verschlagen, Edle und Unadlige, nicht selten dunkle Existenzen. Aber auch einzelne vertraute Gestalten, wohlbekannte Söhne aus den Basler Herren- und Bürgergeschlechtern. Der Eine für sich allein, der Andre als Haupt einer Kompagnie, „mit sinen gesellen“. Allen aber gemeinsam, daß sie ihre Kunst und ihre Kraft der Stadt Basel verkauft haben und nun unter deren Zeichen durchs Land ziehen oder als Besatzungen in den Grenzschlössern liegen, Schlachten durchkämpfen, fechten rauben brennen. In ihren Reihen reiten nun auch die ständigen Söldner des Rates, die sonst bei ihrem gewöhnlichen Dienste keine Figur machen, hier nun aber neues erhöhtes Leben gewinnen.

Zuverlässige Angaben, umfassender Art und für verschiedene Zeitpunkte gleichmäßig gegeben, über die Größe der wehrfähigen Mannschaft fehlen. Wir müssen uns mit vereinzelten Zählungen und Aufstellungen begnügen. So war 1365 Basel bei der elsässischen Rüstung gegen die Engländer zur Stellung von zwölfhundert Gewaffneten und zweihundert Schützen veranschlagt. 1424 zog es mit tausend Mann vor Mühlburg und zu gleicher Zeit mit einem größern Heere, „mit ganzer Macht“, gegen Ludwig von Chalon; diese Stärke war möglich, weil auch die Landschaft aufgeboten war. 1445 betrugen die Kontingente der Zünfte und Kleinbasler Gesellschaften gegen zweitausend Mann, zu welcher Zahl noch hinzukamen die Reisigen der Hohen Stube, die Handwerksknechte, die Söldner, die „Freiheiten“, die Landschaft. Ähnliche Zahlen finden sich aus den Jahren des Kampfes mit Burgund. 1499 schlug der Rat selbst die Landschaft auf mehr als fünfzehnhundert Kriegsknechte an. Und bei allen diesen Zahlen ist daran zu denken, daß nicht die ganze wehrfähige Mannschaft auszog, sondern ein Teil zur Bewachung der Stadt zurückblieb.

[309] Von der Organisation ist wenig zu sagen. Wenn man mit dem Banner auszog, stand der Oberbefehl beim jeweiligen alten Bürgermeister, der in früherer Zeit meist zugleich auch Führer der Reiterei war. Über das Fußvolk waren in der Regel zwei Hauptleute geordnet. Zu diesem Stab der „obern Hauptleute“ gehörte auch der Bannerherr mit seinem Vertreter dem Vorvenner. Jede Zunft und Kleinbasler Gesellschaft stand unter zwei Hauptleuten, die ihre Befehle von den obern Hauptleuten empfingen. Außerdem waren mit der Führung bestimmter Teile oder der Besorgung bestimmter Geschäfte betraut die Hauptleute über das Geschütz, die Hauptleute über das Fuhrwesen, die Speismeister oder Lieferherren, zu denen im XVI. Jahrhundert noch traten der Hauptmann und der Venner der Schützen, der Hauptmann über die „so schufel und bickel tragen“ usw. Ferner gehörte zum vollständigen Auszug ein Schreiber des Stabes, ein Feldprediger, der Scharfrichter; das XVI. Jahrhundert fügte den Koch hinzu. Die Kriegssanität wurde besorgt durch die Scherer, die im Haufen der Zunft zum Sternen und Himmel zogen.

Vom Kriegsrate, den die Ordnung der vier Banner 1410 eingeführt hatte, ist schon gesprochen worden. Daß er in der dort verlangten Größe von achtzig Mitgliedern unbrauchbar war, mußte sich bald ergeben; 1476 sehen wir einen Kriegsrat von achtzehn Mitgliedern; 1529 besteht er beim „Banner“ aus den anwesenden Mitgliedern des alten Rates, beim „Fähnlein“ aus drei Miträten. Die Kommandanten waren bei wichtigen Entscheiden (über Weiterziehen oder Umkehren, Belagerung Waffenstillstand u. dgl.) an den Beschluß dieses Kriegsrates gebunden.

Die in früherer Zeit das Fußvolk zuweilen in großer Zahl begleitende Reiterei, aus den Mitgliedern der Hohen Stube und reichen Zunftbürgern sowie Söldnern bestehend, zeigt sich seit Ende des XV. Jahrhunderts nicht mehr. Vom Fußvolke erscheint gelegentlich als ausgesondert der an der Spitze marschierende „Blutharst“. Auch die Schützen bildeten schon frühe eine Gruppe neben den mit Spieß oder Hellebarte bewaffneten Fußgängern; im XVI. Jahrhundert ziehen sie unter ihrem eigenen Schützenfähnlein.

Von besonderer Wichtigkeit waren stets die Geschütze, die Karren und Fuhrwerke, ein überaus großer schwerfälliger Train. Außer Feldgeschützen wurden oft schwere Belagerungsgeschütze und Wurfmaschinen mitgeschleppt; dazu kamen die mit Munition Harnischen Waffen Werkzeug Zelten Proviant usw. beladenen Wagen. Auch diese waren ursprünglich durch die Zünfte zu stellen; in den 1440er Jahren aber wurde Regel, die Klöster zur Lieferung von Wagen und Bespannung anzuhalten; ferner war das Spital dazu verpflichtet; [310] auch Zünfte gaben jetzt noch Wagen; im Übrigen aber nahm man soweit nötig Fuhrleute in Sold.

Beim Fußvolk stand das Banner der Stadt, zu dessen Geleit und Schutz sechsundsechzig Bewaffnete (von jeder Zunft vier und von Kleinbasel sechs Mann) bestimmt waren. Es wies den schwarzen Baselstab im weißen Feld und trug seit Ende des XIV. Jahrhunderts am obern Rande einen roten Schwenket oder „Flügel“, bis dieser nach dem Murtensiege durch Herzog Renat von Lothringen abgeschnitten und das Banner dadurch „streitbar“ gemacht wurde, zu Anerkennung der Tapferkeit der Basler in dieser Schlacht.

Vom Banner verschieden war das Fähnlein der Stadt. Ihm folgte die Mannschaft der kleinern, nicht „mit ganzer Macht“ geschehenden Züge. Es trug daher auch nicht das Ehrenzeichen des Baselstabs, sondern in zwei Streifen die Stadtfarben schwarz und weiß. Auch hier war ein roter Schwenket angebracht; Herzog Renat befreite das Fähnlein von dieser Zutat nach der Schlacht bei Nancy.

Außerdem sah man im Zuge die Gerfähnlein der Zünfte und der Kleinbasler Gesellschaften, „von varwen, one Zeichen“; ferner die Fähnlein der sisgauischen Herrschaften, ein Fähnlein der „Freiheiten“, ein Fähnlein der Schützen.

Neben diesen Feldzeichen des Fußvolks wehte das Fähnlein der Reiter, das städtische Rennfähnlein, geschmückt mit dem Bilde des heiligen Mauritius.

Das Banner wurde meist für einen Auszug neu angefertigt, und das eigentliche Stadtbanner blieb im Rathause daheim. Dieses sahen wir beim Feuer- und Feindesalarm verwendet.

Zusammengehalten aber und unter einerlei Pflicht gestellt wurde die ganze Auszugsmannschaft durch die Kriegsartikel, die jede Zunft den Ihrigen vor dem Abmarsche verkündete und zu halten befahl; sodann durch den „Eid in das Feld“, den die Ausgezogenen insgesamt schworen; dies geschah, sobald das Heer den Stadtbann verlassen hatte; es stand jetzt nicht mehr unter dem gewöhnlichen bürgerlichen Rechte, sondern unter Kriegsrecht.

Natürlich durfte der Auszug die Stadt nicht allen Schutzes berauben. „Die wacht, so die unsern zu velde ligent“ war eine sorgfältig geordnete Spezialität der Wachtanstalt; daß dabei auch das Banner zu Hause blieb und die Stadt mitbewachte, während nur sein Abbild ins Feld zog, ist schon erwähnt worden.


Wir vermögen nicht mit Bestimmtheit zu sagen, wann zum ersten Mal im Basler Heere Handfeuerwaffen gebraucht worden sind. Bei den [311] Schützen, die Basel 1364 nach Grandeviler und Straßburg, 1369 vor Hericourt, 1374 vor Falkenstein sandte, ist vielleicht an Armbrustschützen zu denken. Büchsenschützen dagegen finden wir zu Beginn des XV. Jahrhunderts hier sicher bezeugt, und die achtundsechzig „stabbüchsen“, die 1415 im Rathause lagerten, waren wohl Handrohre. Bei den Wachtordnungen der 1440er Jahre sodann spielen die Büchsenschützen eine große Rolle; ringsum auf den Türmen und Mauern sind sie postiert, und dies wiederholt sich beiden Rüstungen der Burgunderzeit, wo außer auf den Ringmauern die Schützen auch auf der Pfalz stehen. Ebenso 1499, 1518, 1531. Dazu kommt ihre in vielen Röteln bezeugte Teilnahme an den Auszügen.

Die militärische Wichtigkeit der Armbrust und noch mehr der Büchse war so groß, daß der Rat die Träger dieser Waffen nach Möglichkeit förderte. Schwert und Spieß konnte Jeder führen; hier aber war das Erfordernis besonderer Kunst und Fertigkeit. Um dieser willen hob der Rat die Schützen aus der Allgemeinheit der bewaffneten Bürgerschaft als eine Elite heraus, hielt sie zu unablässiger Übung im Gebrauch ihrer Waffen an, schenkte ihnen eine Pflege, die sowohl Unterstützung als Beaufsichtigung war. Auf diesem Weg entwickelte sich der fast offiziell zu nennende Charakter dieser Schützengesellschaften; in eigentümlicher Weise die Mitte haltend zwischen militärischer Truppe und freiem bürgerlichem Verbande wurden sie zu einem integrierenden Teil des öffentlichen Wesens.

Daher die Verpflichtung des städtischen Armbrusters, den Schützen ihr Schießzeug in Ordnung zu halten. Daher die Beschenkung der Schützen durch den Rat mit Hosen, zuweilen auch mit Wein. Diese Hosengaben geschahen ursprünglich in natura, im XV. Jahrhundert in Geld und wurden anfangs nur den Armbrustschützen, seit 1466 sowohl ihnen als den Büchsenschützen in geregelter Weise zu Teil, je im Betrage von zwölf Gulden im Ganzen für die vom Georgstag bis zum Gallustag währende Schießzeit, bis im XVI. Jahrhundert auch hier die Freude am weiß und schwarzen Tuch erwachte und die Spendung solchen Tuches, verschwenderisch, ballenweise, an die Stelle des Hosengeldes trat.

Auch die Zuweisung offizieller Schießplätze gehört hieher. Seit dem XIV. Jahrhundert hielten die Armbrustschützen ihre Übungen auf dem Petersplatz, wo ihnen der Rat Scheiben und Schießrain unterhielt; auch von einem Schützendächlein auf Rädern ist dort die Rede, dann von Schützenhaus und Schützenstube. Den Büchsenschützen dagegen wurde ein Schießplatz im innern Stadtgraben bei St. Leonhard eingerichtet, mit Schießrain Scheiben und Einschränkung. Schon zu Beginn des XV. Jahrhunderts finden wir sie dort [312] und dann ununterbrochen, bis ihnen 1498 eine neue „Zielstatt“ auf dem obrigkeitlichen Lande beim Teuchelweiher angewiesen und dort auch in diesen Jahren durch den Rat ein Schützenhaus gebaut wurde. Das war die seitdem gebrauchte „Schützenmatte“.

Ein Schießplatz war auch im Kleinbasler Stadtgraben, und die dortigen Schützen erhielten schon früh wöchentliche Geldspenden des Rates gleich denen Großbasels. Aehnlicher Art waren die Gaben in Schürlitztuch an die Schützen auf der Landschaft.

Bemerkenswert ist vor Allem, in welcher Weise der Rat die Truppe organisierte. Bei den Armbrustschützen war dies schon früh der Fall; wer hier mittun und um die Hosen schießen wollte, mußte sein eigenes Schießzeug haben; die Abhaltung der sonntäglichen Schießübungen war genau geregelt, ebenso die Art des Besuchs auswärtiger Schießen u. dgl.; aber dies Alles ruhte nur auf Herkommen, und eine verbindliche Aufzeichnung geschah erst im August 1466, anläßlich der kurz zuvor, im April, den Büchsenschützen als etwas Neues gegebenen Ordnung. Diese letztere bestimmte, daß jede Zunft und Kleinbasler Gesellschaft ihre Angehörigen nennen solle, die als Büchsenschützen dienen können; der Rat schrieb dann diese in ein Verzeichnis und ließ sie schwören, mit ihrer Kunst der Stadt gehorsam zu sein. Dafür lieh er Jedem eine Büchse und sagte zu, ihnen die Munition für drei Schüsse schenken sowie das Hosengeld gleich den Armbrustschützen geben zu wollen. So sicherte sich der Rat Bestand und Leistungsfähigkeit dieser wichtigen Heeresabteilung, indem er ihr die Formen eines dauernden Verbandes gab und unausgesetzte Übung in der Waffe zur Pflicht machte. Die 1466 gefertigte Liste zeigte sofort einundachtzig Namen, darunter Jacob Sarbach, den Papiermacher Bartholome, Werly Fäsch u. A. Damit auch die Zunftzugehörigkeit dieser Schützen die rasche Verfügung über sie nicht hindern könne, wurde den Zünften befohlen, Keinen der Büchsenschützen mit einem der Ämter in Alarmfällen zu beladen.

Dieser Sorge der Obrigkeit für das Schützenwesen war gemäß, daß schon die Jugend dazu herangezogen wurde. Auch sie hatte ihren Schießrain auf dem Petersplatz. Häufig sind seit dem Ende des XV. Jahrhunderts die Ausgaben der Stadt für das Schießen der Knaben „mit der yben“, für den Besuch der Liestaler Kirchweih durch die „jungen Knaben“; auch ihnen wird weiß und schwarzes Tuch in Fülle gespendet u. dgl. m. Wir werden inne, wie die Bilder waffentragender Jugend, die als Werke jener Zeit uns so heiter und phantastisch begegnen, keineswegs Dichtungen sind.

[313] Zum Schlusse endlich das Paradieren mit der Kunst des Schießens auf hiesigen und auswärtigen Festen, vom Rate gerne gesehen und auf alle Weise unterstützt. Vor Allem durch Beiträge an die Basler Schützen, die zu Schützentagen nach Konstanz Augsburg Ulm München Rotweil Colmar usw. usw. zogen. Den Hans Falkner, der 1527 zum Straßburger Schießen als Pritschmeister mitging, kleidete der Rat in feines Ehrentuch mit den Farben der Stadt, und freudig beschenkte er Jacob Spidler den Buchbinder und den Armbruster Lienhart Hagmeiger, als sie 1503 zu Köln mit Büchse und Armbrust die besten Gaben gewonnen hatten. Fremde Schützen, die auf Besuch zu den Baslern kamen, wurden durch die Stadt bewirtet. Aber das Höchste leistete sie bei den großen Schützenfesten, die hier selbst abgehalten wurden. So 1523 bei dem berühmten Schießen, da Basel in reicher Pracht, wohlig, alle Kräfte dieser seiner glücklichsten Zeit regend die Gastfreundschaft übte. Das Fest währte zwei Wochen, deren erste der Armbrust, die andere der Büchse gehörte, und war von weit her besucht durch Grafen Freiherren und Ritter, aus der Eidgenossenschaft und vielen Städten.


Hier ist noch der städtischen Rechtsordnung und Rechtspflege zu gedenken als einer Notwendigkeit des Lebens, der genügt wurde in bestimmten, durch die Eigenart der städtischen Existenz verlangten Formen.

Alles stand dabei unter der Meinung, daß Regiment und Recht, Verwalten und Indizieren Eins seien. Der Rat war im XIII. Jahrhundert zugleich Gericht. Aber auch nachdem eine Sonderung sich vollzogen, das Schultheißengericht sich gebildet hatte, waltete jene erste umfassende Anschauung noch lange vor. So in der dem Schultheißengericht erteilten Weisung, Fälle die ihm zu schwer seien vor den Rat zu bringen. Neben diesen Zug trat die Appellation an Ratsdeputierte. Weiterhin ist die Kriminaljurisdiktion des Rates zu nennen. Und über dies Alles hinaus, in weitem Umfange und sehr intensiv, übte der Rat noch eine eigene zivilrichterliche Tätigkeit. Wir sehen, daß er außer seinen häufigen Funktionen als kommissarischer, vom Kaiser bestellter Richter, außer seinem unaufhörlichen Schlichten und Richten auswärtiger Streitigkeiten sich zwischen Streitenden innerhalb Basels selbst Rechtes belud. Nicht ausnahmsweise, sondern immerfort erschienen solche Parteien vor ihm zu Recht und verlangten seinen Spruch in Ehesachen Erbschaftssachen Zinsstreiten Lohnstreiten usw.

Aber auch die Ordnung des Stadtgerichts trug noch in Manchem die Spuren der alten Einheit. Es war nicht eine Behörde dem Rate gleich und nebengeordnet, sondern eine Aussonderung von ihm, eine von ihm für die [314] Pflege des Rechts geschaffene Instanz. Daher die Besetzung der Richterbank durch den Rat und zum Teil aus seiner Mitte, die Verwahrung des Gerichtssiegels durch die Ratsdeputation der Ladenherren, die ursprüngliche Auffassung, daß z. B. der Gerichtschreiber nicht etwa dem Gerichte, sondern Räten und Meistern von „ihres Gerichtes wegen“ diene.

Dieses vom Schultheißen präsidierte Gericht hatte Zuständigkeit für die ganze Ziviljurisdiktion im städtischen Gerichtsbezirk, den vor den Mauern die Grenze von Zwing und Bann bezeichnete.

Der Schultheiß war Beamter des Bischofs, ursprünglich sein Organ für das gesamte Stadtregiment, später nur noch am Gerichte tätig. Gleich einem erblichen Rechte ging die Schultheißenwürde im Hause der Schaler von Geschlecht auf Geschlecht weiter; seit Beginn des XIV. Jahrhunderts folgten sich in ihr Peter Werner Rudolf. Nach des Letztern Tode gab Bischof Johann 1349 das Amt dem Konrad von Bärenfels, der auch Bürgermeister und auch Schultheiß in Kleinbasel war. 1371 kam das Amt an Konrads Söhne und blieb bei diesen bis zum Juli 1384. Dann erledigt fiel es an den Bischof zurück und wurde von diesem während einiger Monate unmittelbar verwaltet, bis er es am 3. Januar 1385 der Stadt verpfändete. Freilich saßen jene Adligen nur selten dem Gerichte vor; statt ihrer amteten die Unterschultheißen. Und zwar so sehr als die tatsächlichen Führer der Geschäfte, daß sie über die Dauer der einzelnen Schultheißen hinaus die Würde trugen. So Johann von Watweiler, der vier Jahrzehnte lang Unterschultheiß war an Stelle der drei Schaler und des Konrad von Bärenfels.

Wie der Schultheiß bis 1385 vom Bischof ernannter Beamter war, so blieb das Amt auch nachher noch, zweihundert Jahre lang, eine durch die Stadt nur als Pfand besessene bischöfliche Beamtung. Und dieser alte Charakter trat an verschiedenen Punkten zu Tage: bis ins XVI. Jahrhundert in der Mitwirkung des Schultheißen beim Martinszinseinzug sowie in seinem Funktionieren am Fronleichnamsfeste und bei der Ratswahl auf Burg.

Das Gericht selbst aber war tatsächlich kein bischöfliches sondern ein städtisches Gericht. Schon in früher Zeit. Daß es seit den 1270er Jahren zuständig war für die ganze Ziviljurisdiktion bei Allem, was städtische Personen sowie städtischen Boden betraf, und in Konkurrenz trat mit den geistlichen Gerichtshöfen, machte es zum eigentlichen Stadtgericht, so daß der Bischof selbst gelegentlich von dem judicium civitatis sprach. Dazu seine Natur eines Ausschusses aus der städtischen Gemeinde. Diese selbst, in ihren Vertretern den Urteilsprechern, bildete das Gericht. Nicht der Schultheiß sprach Recht; die Urteilsfindung geschah aus der Mitte der [315] Gerichtsgemeinde, der Stadtgemeinde, durch die Beisitzer; sie gaben dem Gerichte seinen Charakter.

Dem Allem entgegen nun die Tatsache, daß dieses städtische Gericht einem bischöflichen Beamten unterstand, der den Prozeß leitete, die Exekution hatte, die Gerichtsgelder bezog. Jedermann mußte diesen Zustand als einen geteilten empfinden; er wurde immer unausgeglichener und unhandlicher, je mehr Stadt und Bischof von einander gingen. Die notwendige Geschlossenheit wurde ihm erst wieder zurückerstattet durch den Übergang von Schultheißentum und Gerichtshoheit an den Rat.

Das Wesen des Gerichts und das Hauptsächliche seiner Organisation wurden durch diesen Übergang nicht berührt. Aber er gab doch Anlaß zu einer strafferen methodischen Führung. Und im Äußern war seine Wirkung beträchtlich. Schon an Einzelnem erkennbar, an dem städtischen Gerichtssiegel das die persönlichen Siegel der bisherigen Amtsinhaber ersetzte, an der auffallend rohen häßlichen Schrift in den Gerichtsurkunden wenigstens der ersten städtischen Jahre. Deutlicher noch ist ein Vergleich der Schultheißenlisten. Mit einem Schlag ist der Glanz erloschen, der von den Namen stolzer Adelsgeschlechter an der Würde haftete; jetzt versinkt sie rasch in kleinbürgerliches unscheinbares Wesen; auch die merkwürdig kurze Dauer dieser städtischen Schultheißen, die selten über ein Jahrzehnt im Amte bleiben, zeigt wie verschieden jetzt der Zustand ist vom alten. Selten treten diese Schultheißen im übrigen Leben der Stadt hervor; die bekannten und bedeutenden Männer finden wir auf der Bank der Urteilssprecher.

Wir betrachten noch Einzelnes dieses spätern Zustandes.

Der Schultheiß hatte zu geloben, daß er Jedem, der Recht vor ihm suche, dieses gewähren, die Anträge der Parteien den Urteilsprechern ehrbarlich, Niemandem zu Lieb noch zu Leid, vorlegen, sie um ihr Urteil fragen und ihnen nicht darein reden werde. An außergerichtlichen Verhandlungen über Sachen, die vor Gericht gehörten, sollte er nicht teilnehmen, mit Niemand essen der vor Gericht zu tun hatte, kein Schiedsamt übernehmen, sich keiner Vogtei über Frauen Kinder Geistliche usw. beladen.

Ein Schreiber des Gerichts wird seit den 1390er Jahren sichtbar. Johann Manzler, Bitterli, Konrad Sculteti folgen sich rasch; aus dem XV. Jahrhundert sind nennenswert der lange dienende Mang Phunser von Isny, dann Heinrich Hug von Calw, dann 1489—1502, zwischen dem Dienst auf der Ratskanzlei, der bekannte Johann Gerster.

Nur in allgemeinen Ausdrücken ist die Pflicht des Gerichtsschreibers formuliert. Er soll getreulich dienen, die Prozeßverhandlungen und Urteile [316] protokollieren, die Gefälle Bußen u. dgl. einschreiben, die Urkunden ohne Säumnis ausfertigen. Aber wie dem Stadtschreiber in dessen Bereich, so ist auch ihm eine nicht geringe Bedeutung zuzugestehen. Urteilsprecher und Schultheiß wechselten oft, während der Gerichtsschreiber Jahrzehnte lang an seinem Pulte blieb; er wars, der die Tradition festhielt und die Präjudizien kannte hier, wo kein Rechtsbuch sondern zumeist das Herkommen galt.

Ähnliches gilt von den Gerichtsamtleuten. Sie erscheinen seit Beginn zu Vieren. Wie der Schultheiß einst der Hauptbeamte des Stadtherrn war, so liegt auch der Ursprung dieser vier Ämter in der alten Hofhaltung und Administration des Bischofs. Deutliche Spuren weisen auf ihren Zusammenhang mit den vier hochstiftischen Erbämtern, und bis in späte Zeit hielten ihre Obliegenheiten bei der Ratswahl, am Fronleichnamstag, bei Erheben des Lorenzenheuergeldes und des Martinszinses die Erinnerung an solche Anfänge fest. Auch der den Ersten unter ihnen auszeichnende Titel Freiamtmann deutet auf die früheren Zustände. Aber diese alten Amtleute sind jetzt nur noch solche des Gerichts. Sie haben dem Schultheiß zu dienen für Vorladungen u. dgl.; vor Allem aber sind sie die Fürsprecher der Parteien. Nicht prozessualische Vertreter, nicht Advokaten; der Amtmann ist der Mund der Partei, tut die Rede für sie, die als solche nicht befugt ist vor den Schranken des Gerichts zu reden. Gleich dem Gerichtsschreiber haben die Amtleute den Vorteil der Kontinuität, den Vorzug besonderer Kenntnis des Rechtes. So daß sie von den Richtern selbst zu Auskunfterteilung und zu Aufklärung schwieriger Fragen berufen werden.

Andere Beamte waren der Gerichtsbote oder Gerichtsknecht, auch Stockwärter geheißen, und der Stadtkäufler. Dieser war der Auktionator; er hatte gefröhntes Gut sowie Pfänder, die von Amtswegen hinter ihn gelegt wurden, zu verkaufen oder zu verganten.

Die Wahl der Gerichtsbeamten stand seit 1385 dem Rate zu. Höchstwahrscheinlich ernannte er auch die Urteilsprecher, und zwar diese schon in der bischöflichen Zeit des Schultheißentums.

Aber ein bestimmtes Erkennen dieser frühern Zustände ist unmöglich. Was zuvor vom Rate galt, scheint jetzt hier zu gelten. Eine Ungleichmäßigkeit begegnet uns in den Listen der Urteilsprecher, die wie Regellosigkeit und Willkür aussieht. Sie nennen fünf sechs neun eilf Namen, selten zehn, in den meisten Fällen sieben. Aber diese Urkunden betreffen fast durchweg Akte freiwilliger Gerichtsbarkeit, bei denen vielleicht nur ein Ausschuß des Gerichtes neben sonstigen Beteiligten oder Zugezogenen mitwirkte. Auch sehen wir einen Wechsel der Besetzung nicht nur von Quartal zu Quartal, [317] sondern gelegentlich auch innerhalb des Quartals selbst, und als Regel ist nur wahrzunehmen, schon zu Beginn des XIV. Jahrhunderts, daß Ritter Burger Zünftige nebeneinander sitzen. Mehrere von ihnen, wie seit Mitte des XIV. Jahrhunderts stets nachgewiesen werden kann, sind aus dem alten Rate genommen, was auf Wahl der Urteilsprecher durch den Rat deutet. Dieser setzt auch schon in der bischöflichen Zeit den Eid der Urteilsprecher fest und nimmt ihn ab.

Der Übergang der Gerichtshoheit an den Rat brachte vielleicht Regeln, die bisher gefehlt hatten, jedenfalls aber schriftliche Aufzeichnungen von Regeln. Jetzt zum ersten Mal redet eine Ordnung von den zehn Urteilsprechern, und diese Vorschrift wurde zunächst auch wirklich befolgt und gab auch den Amtsnamen „Zehner“. Aber seit den 1420er Jahren erscheint diese Zahl meist als überschritten; wir finden vierzehn dreizehn, dann regelmäßig zwölf Urteilsprecher. Vorschrift war jetzt auch, daß ihrer fünf dem alten Rat angehören, die übrigen aus der Gemeinde genommen werden sollten. Anfangs wechselte die Besetzung, dem Herkommen gemäß, fronfastenlich; später halbjährlich auf Johann Baptist und Weihnachten.

Die Urteilsprecher mußten schwören, zu urteilen Niemandem zu Lieb noch zu Leid und so gut sie es vermöchten; außerhalb des Gerichts Keinen anzuhören noch zu beraten und, wenn sie es einem Freunde getan, sich des Rechtsprechens zu enthalten.

Jeden Wochentag, mit Ausnahme des Freitags, saß das Gericht. Beim ersten Ratsgeläute hatten sich die Amtleute im Rathaushof einzufinden, um hier Rede und Klage Derjenigen, die vor Gericht zu tun hatten, zu vernehmen; eine Stunde später, wenn das zweite „Zeichen“ verläutet hatte, begann die Sitzung in der hinter dem Rathaushof liegenden Gerichtsstube. Aber das Gericht konnte auch außerhalb dieser gehalten werden, wenn eine Partei nicht heranzubringen war: an Krankenbetten, vor Haustüren, häufig an einem der Kreuzsteine; mit Erlaubnis des Rates bestimmte in solchen Fällen der Schultheiß den Sitzungsort, und die Urteilsprecher hatten ihm dorthin zu folgen.

Es fällt auf, wieviel methodischer zusammenhängender die Tätigkeit des Gerichtes uns überliefert ist als diejenige des Rates. Eingehende sorgfältige Protokolle der Verhandlungen und über diese noch hinausgehende, zahlreiche Kategorien von Büchern füllende Aufzeichnungen bringen uns dies Wesen nahe. Alles gebannt in denselben, stets gleich bleibenden Rahmen, Alles gerichtet nur auf das Innere der städtischen Gemeinschaft und auf persönliche Angelegenheiten. Aber in dieser Beschränktheit eine gar nicht [318] auszuschöpfende Fülle des Lebens. Und mit dem lebhaftesten Interesse folgen wir auch hier einem Gange der Entwickelung. Die Gerichtsordnungen, die Anfangs (1405, 1411) nur Organisation und Prozeßgang regeln, werden allmählich (1457, 1518/19) zu eigentlichen, wenn auch unvollkommenen Kodifikationen des Prozeß- und Zivilrechts. Der Ausbildung eines Stadtrechts parallel wächst die Bedeutung des Schultheißengerichts als der Stätte, wo das Stadtrecht geschaffen und gehandhabt wird, und diese Rechtspflege tritt immer schärfer und bewußter in Gegensatz nicht nur zur geistlichen Jurisdiktion, sondern auch zu Regiment und Verwaltung. Wir nehmen eine Entwickelung auch in Anderm wahr: das Gericht nimmt Teil an der allgemeinen Umgestaltung des öffentlichen Wesens; es erlebt gleich dem Rate das Ausscheiden des adligen Elements. Während der ursprünglich im Gericht sitzende Ritter Statthalter des Schultheißen war, ist er seit den 1470er Jahren nicht mehr vorhanden, und nur der Form zu Liebe muß Einer der Bürger loco militis sitzen. Es ist die Zeit, in der die Bischöfe Johann und Caspar mit dem Rat um das Schultheißenamt kämpfen; ganz unzweifelhaft. Jedem spürbar ist das Gericht jetzt ein durchweg städtisches, ein bürgerliches, und auf diesen Zustand, da kein Edler mehr miturteilt und nicht mehr das ruhige höfliche Reden wohlerzogener Herren mehr im Gerichte vernommen wird, sondern nur noch die laute und oft wenig wählerische Mundfertigkeit von Handwerkern und Krämern, gehen Zorn und Hohn des Hans Friedrich von Reischach, der dies Basler Gericht eine Judenschule schilt.


Dieses Stadtgericht war zuständig nur für die große Stadt und ihren Bann, und vor ihm waren die in Großbasel wohnenden Bürger zu suchen. Seine Parallele hatte es im Gericht Kleinbasels.

Dessen Anfänge sind erwähnt worden. Ebenso, daß der dortige Schultheiß sowohl Gemeinde- als Gerichtsbeamter war. Hier haben wir nur vom Gerichte zu reden.

Das Kleinbasler Schultheißenamt, das dem Bischof zustand gleich demjenigen der linksrheinischen Stadt, war zu Beginn des XIV. Jahrhunderts den Herren von Bärenfels verliehen, seit 1311 ihnen um Geldschuld verpfändet. Vier Generationen dieses Hauses hatten das Amt inne und ließen es durch ihre Nachschultheißen versehen, bis der Rat von Großbasel am 3. Januar 1385 mit dem Großbasler Schultheißentum auch dieses vom Bischof zu Pfand erwarb und es 1385/86 von den Bärenfelsischen löste. Nach einigen Jahren Pfandbesitzes machte der Übergang Kleinbasels an [319] Großbasel 1392 dieses Pfandrecht am Gericht zu Eigentum. Seine Vereinigung mit dem Großbasler Gericht konnte nicht geschehen, weil das letztere dem Rate nur verpfändet war; aber auch abgesehen hievon entsprach wohl das Bestehen eines eigenen Stadtgerichts von Minderbasel dem Wesen und Wunsch dieser Sondergemeinde.

Von der Organisation des Kleinbasler Gerichts ist hier wenig zusagen. In der Hauptsache bietet es dasselbe Bild wie das linksrheinische Gericht. „Wie man daz gerichte hiedisite haltet, als sol man es in allen stücken hinsite Rines ouch halten“, sagte der Rat 1411. Er wählte auch hier ohne Zweifel die Urteilsprecher; den Schultheiß ernannte er aus den Kleinbaslern und auf Vorschlag der dortigen Gemeinde.

Das Gericht saß in der Regel Montags Mittwochs Samstags; seine Stube war im Richthaus an der Rheinbrücke. Sechs Urteilsprecher funktionierten unter dem Präsidium des Schultheißen, ursprünglich wohl ein Ausschuß des Kleinbasler Rates. Die Vereinigung mit Großbasel ließ diesen Rat untergehen, nicht aber das Gericht, das nun nicht mehr nur Ratsausschuß war; einige seiner Mitglieder wurden von jetzt an aus Großbasel genommen. Dabei blieb zunächst die alte Sechszahl; aber seit Mitte des XV. Jahrhunderts finden wir eine regelmäßige Besetzung durch neun justiciarii.

Als Beamte des Gerichts werden schon frühe genannt der Schreiber und der Amtmann; Basels Herrschaft erhöhte die Zahl der Amtleute oder Fürsprechen auf zwei.

Die Pflichten von Urteilern und Beamten waren dieselben wie am Großbasler Tribunal. Und wie dort erfreut uns auch hier eine überaus reiche Dokumentierung der gerichtlichen Tätigkeit. Auffallend sind dabei die vielen auswärtigen Sachen, die in Fortsetzung des schon im XIII. Jahrhundert zu Beobachtenden eine weite Ausdehnung der Kompetenzen zeigen. Namentlich Riehen begegnet unaufhörlich im Kleinbasler Gerichtsbuch; aber auch das übrige Hinterland der Stadt bringt Geschäfte und Streitigkeiten in Menge vor diese Schranken. Und nicht nur die Bauern geben zu tun; wir finden, daß 1358 die Übertragung der Vormundschaft über Markgraf Rudolf von Hochberg und 1359 die Verleihung der Burgen Sausenberg und Brombach durch diesen vor dem Kleinbasler Gerichte geschah. Alte Zusammenhänge wurden hiebei lange festgehalten und selbst bestimmte gerichtsorganisatorische Verhältnisse der frühesten Zeit konnten noch nachwirken. So der Rechtszug, der vom Gericht in Istein an das Kleinbasler Gericht ging; er war begreiflich, solange der Bischof hier wie dort die Gerichtsherrschaft hatte; aber daß noch 1465 der Richter zu Istein die Parteien [320] gen Minder Basel an die alten Malstätten vor St. Niclaus oder auf dem Stein im Rappoltshofe wies und daß das Kleinbasler Stadtgericht diesen Zug annahm und tatsächlich als Obergericht im Rappoltshof auf dem Stein urteilte, war eine Seltsamkeit, ein wieder aufgegriffenes Überbleibsel vergangener Zustände. Dem entsprach auch das Aufsehen, das der Vorgang erregte; der Basler Rat, dem das Wiederaufleben eines solchen Rechtes gefiel, so daß er es auch später noch geltend zu machen suchte, ließ zum Andenken an diese merkwürdige Gerichtssitzung Brot unter die Jugend verteilen. Weiter ist hier die Teilnahme des Kleinbasler Schultheißen am Gerichte beim Neuen Haus zu erwähnen, in dessen Leitung er mit dem Vogt von Weil alternierte. Auch hiebei handelte es sich um alte Beziehungen; diese wurden neu geregelt 1488 im Vertrage Basels mit Markgraf Philipp.


Das Recht, das an diesen Gerichten galt, vermögen wir nicht darzustellen. Noch immer stützten sich die Sprüche vor Allem auf die alte gute Gewohnheit der Stadt, die Observanz, die Sitte. Zum Erstaunen eines Fremden von der Art des Enea Silvio, der dieses Leben unter einem nicht geschriebenen, herkömmlichen Rechte mehr lacedämonisch fand als athenisch. Weniges war in Ratsbeschlüssen fixiert; zu umfassenderer Kodifikation wurden die Gerichtsordnungen nur sehr allmählich benützt, hier allerdings in der Absicht, der intensiven Tätigkeit des geistlichen Gerichts gegenüber ein Stadtrecht auszubilden, die am Stadtgericht für die weltlichen Sachen zur Anwendung kommenden Grundsätze bestimmter zu normieren. In der Hauptsache war doch der Rechtsbesitz, den das rührige Stadtvolk sich selbst geschaffen und immerfort mehrte, in den Urteilen niedergelegt und erwahrt. „Die Schöffen waren lebendige Archive Chroniken Gesetzbücher, Alles in Einem, und richteten nach altem Herkommen und wenigen Statuten ihre Bürger und die Nachbarschaft.“ Bis gegen Ende des XV. Jahrhunderts durch die jetzt aufkommenden Advokatenplaidoyers von Juristen wie Helmut u. A. das fremde römische Recht, bisher schon durch das geistliche Gericht mächtig gefördert, nun auch in die Akten des weltlichen Gerichtes einzudringen begann.

Als Einzelheiten sind nur namhaft zu machen die zu gegenseitiger Ordnung von Recht und Verfahren getroffenen Abreden mit Nachbarherrschaften. Vor Allem mit der Herrschaft Oesterreich im Sundgau. Was im Verkehr mit ihr an Streit und Mißbrauch sich ergeben hatte, war durch den großen Vertrag von 1449 beglichen worden; eine seiner wichtigsten Bestimmungen, über das Pfändungsrecht der Basler im österreichischen Gebiet, fand 1457 wörtlich Aufnahme in die Basler Gerichtsordnung.

[321] Andere Vorkommnisse galten der gegenseitigen freien Aushingabe von Nachlässen an die Erben und von Bastardengut an den Herrn, in dessen Gebiet der Bastard gestorben war. Solche Verträge über Auslieferung von Erbschaften wurden auch geschlossen 1399 mit der Herrschaft Tierstein, 1428 mit der Herrschaft Farnsburg, 1434 mit der Herrschaft Rheinfelden, 1442 mit der Herrschaft Münchenstein-Wartenberg, und über die Auslieferung des Bastardengutes 1468 mit dem Bischof. Außerdem sind zu nennen die in früherer Zeit mit Städten geschlossenen Verkommnisse, daß die Angehörigen keine Arreste gegeneinander nehmen sollten, außer gegen den rechten Schuldner oder Bürgen oder den aus dem Rechte Weichenden; solche Abkommen traf Basel 1321 mit Zürich, 1323 mit Mülhausen und Freiburg, 1328 und 1389 mit Luzern, 1380 mit Laufenburg, 1407 mit Breisach, 1441 mit Bern und Solothurn. Nur mit Städten wurde dies wohl deshalb vereinbart, weil die Haltung des Gegenrechts nur bei solchen gesichert erschien.


Die Wahrung dieser Gerichtsbarkeit war für das städtische Regiment eine seiner Hauptaufgaben. Nicht erst seit Erwerb der Gerichtshoheit. Schon vorher galt als nicht zu bezweifelnder, durch Ordnung und Sicherheit, den Geschäftsverkehr der Bürger, das Ansehen der Stadt geforderter Beruf des Rates, seine Angehörigen von jedem fremden Richter frei zu machen und jedem fremden Richter den städtischen Gerichtsbezirk zu wehren.

Das Privileg des Papstes Innocenz von 1248, das den Baslern die Freiheit gab, durch apostolische Briefe nicht außerhalb ihres Gebietes vor Gericht gezogen werden zu können, dann das Reichsgesetz von 1274, das auch für Basel die gegen Bürger erhobenen Forderungen vor das städtische Gericht wies, gaben allen künftigen Bemühungen des Rates die Grundlage. Sofort nach dem Erdbeben, 1357, erhielt Basel ein Privileg Karls IV., wohl in Erneuerung älterer untergegangener Dokumente. Gleiches gewährte Karl 1365 der Stadt Kleinbasel. Wenzel folgte 1379, und nach dem Erwerb der Gerichtsgewalt Sigmund und Friedrich 1413, 1433, 1442, 1452. Übereinstimmend gewährten sie den Baslern, daß sie nirgend wohin geladen noch vor irgend einem Richter beklagt oder arrestiert werden könnten und nirgends zu Recht stehen sollten als vor ihrem Schultheißen zu Basel; nur wem hier das Recht verweigert würde, der sollte anderswo gegen sie zu klagen befugt sein.

Dies war „die goldene Bulle“ Basels, so geheißen von der kostbaren und glänzenden Besiegelung, die sich der Rat an die Privilegien Karls Sigmunds Friedrichs erkauft hatte.

[322] Eine zweite Gruppe von Königsbriefen, verwandten Inhaltes, stand daneben: das von Karl IV. 1377 und Wenzel 1379 der Stadt Basel erteilte, durch Sigmund 1413 und 1433, Friedrich 1442 und 1452 bestätigte Privileg, Ächter aufnehmen und hausen zu dürfen, in welchen Landgerichten auch immer sie verrufen oder verboten wären. Basel sollte nicht dulden müssen, daß fremde Gerichte Leute, die sie wegen Nichterscheinens geächtet, hier aufgreifen könnten. Auch hier also die Reinhaltung des eigenen Gebietes von der Amtshandlung eines fremden Gerichts.

Die Zahl dieser Privilegien zeigt, wie notwendig die stets neue Anerkennung des Rechtes war. Auch das ist zu beachten, daß der Stadt durch die Könige wiederholt Schirmer ihres privilegierten Gerichtsstandes gegeben wurden: mächtige Herren der Nachbarschaft, deren Pflicht war, die Verletzer des Privilegs zu büßen: 1377 Graf Walraf von Tierstein, 1414 Markgraf Rudolf von Hochberg, 1433 Markgraf Wilhelm von Hochberg. Aber trotz Privilegien Schirmherren Strafandrohungen mußte der Berechtigte unaufhörlich sein Recht selbst verteidigen.

Machen wir uns doch klar, wie für eine Stadt, deren Wesen im beschränkten Dasein, in den Vorfällen der Gasse, der Werkstatt und der Gemeindeflur bei Weitem nicht aufging, die ausgedehntes Gut in fremden Territorien besaß, deren beste Bürger stets draußen ritten und fuhren und deren Waren auf allen Straßen getroffen wurden, die Freiheit solcher Bewegung ein nicht zu missender Teil der Existenz, die Sicherheit solcher Bewegung eine Lebensnotwendigkeit war. Und wie nun gerade dieser Zustand überall und alltäglich zur Gelegenheit und Versuchung für ihre Feinde Neider und Konkurrenten wurde. Daher als Seitenstück zu Überfall und Beraubung die Vorladung vor auswärtige Gerichte und die Arrestierung durch solche als eine in den friedlichsten und rechtlichsten Formen mögliche Plage hundertfältig geübt wurde und im Munde ungefüger beleidigter Bürger selbst das Drohen mit solcher Vorladung etwas Übliches war. Allerdings ist zu beachten, daß Basel das Recht seiner Bürger, nur vor ihrem Richter gesucht werden zu können, auch durch Verträge zu sichern trachtete. So in den erwähnten Arrestvorkommnissen mit den Städten der Nachbarschaft, und wiederholt in Bündnissen wie denjenigen von 1441 mit Bern und Solothurn, 1493 mit Österreich, 1493 und 1501 mit den Eidgenossen. Außerdem aber besaßen die meisten andern Städte dieselben Privilegien wie Basel, so daß ihre Angehörigen schon um des Gegenrechts willen die Basler nicht belästigten. Die Tribunale, die Basel zu tun gaben, waren die Landgerichte.

Vor Allem natürlich das Landgericht im obern Elsaß. Daß noch im [323] XV. Jahrhundert Österreich das Recht prätendierte, die Tage dieses Gerichtes auch auf dem Basler Markt Platze öffentlich zu verkünden, war vielleicht Erinnerung alter Zusammengehörigkeit. Aber jetzt war es ein fremdes Gericht für Basel. Oft und viel wurden Basler vor seine Schranken gerufen, und wollte der Rat das Privileg geltend machen, so mußte er zunächst in allen Formen dartun, daß der Beklagte sein Bürger sei. 1363 gewährte Herzog Rudolf, daß solche Erklärung auch mit dem kleinen Stadtsiegel gegeben werden könne, und Kaiser Karl erweiterte dies 1372 für das Verfahren vor allen Landgerichten. Es waren formelle Erleichterungen und Nichts weiter. Hilfe gegen den Unfug selbst konnte auch hier nur das gemeinsame Handeln der gleichartig Bedrohten und Geschädigten bringen; 1391 verband sich Basel mit Herren und Städten des Elsaß zu einheitlichem Vorgehen gegen das Landgericht. Aber die Wirkung war von kurzer Dauer. Die Vorladungen von Baslern vor das Landgericht wurden bald wieder Übung, und bei den Verhandlungen der 1430er Jahre erhob der Rat heftige Beschwerden auch hierüber, - in den Schiedsgerichten 1447 und 1449 wurde wieder davon geredet; erst die um die Mitte des Jahrhunderts eintretende Besserung der Beziehungen Basels zu Österreich, vielleicht auch die allmähliche Ausbildung strafferer konsequenterer Administration und Justiz in den Herrschaftslanden selbst ließ die alten Klagen verschwinden.

Andere Gerichte, gegen deren Übergriffe der Rat zu kämpfen hatte, waren die Landgerichte im Klettgau, zu Stühlingen, zu Eigeltingen, zu Nürnberg, die österreichischen Landgerichte zu Kaisten und zu Stockach, die Tiersteinischen Gerichte usw. In den allermeisten Fällen, weil diese Gerichte Basler vor ihren Stab zu laden sich herausnahmen. Da zwischen etwa auch, weil sie ihre Ächter bis nach Basel hinein verfolgten und den hiesigen Einwohnern das Wegtreiben solcher Ächter geboten.

Mit dem Reichshofgericht, dann mit dem Kammergericht hatte Basel wenig zu schaffen. Wohl aber ist das Landgericht auf dem Hofe zu Rotweil zu nennen.

Seit der Mitte des XV. Jahrhunderts erscheint es wie das übliche Tribunal zur Vorladung von Baslern, wogegen der Rat stets auf seine Privilegien sich berief und zu deren Vertretung nicht nur seine Gesandten unaufhörlich nach Rotweil reisen ließ, sondern dort auch ständige Prokuratoren besoldete und dem Hofschreiber eine Kopie der Stadtfreiheit in Verwahrung gab.

Dieses Verhältnis zu Rotweil erhielt eine merkwürdige Wendung in dem Freiheitsbriefe Kaiser Friedrichs 1488. Basel gab hiebei die bis jetzt konsequent behauptete ausschließliche Zuständigkeit seines Stadtgerichtes preis, [324] in der Bestimmung, daß die Basler, wenn sie im Fall einer Klage nicht nach Laut ihrer Freiheit vor Stadtgericht Recht nehmen wollten, nur vor dem Kaiser oder vor dem Hofgericht zu Rotweil belangt werden könnten. In dieser Beschränkung wenigstens, die alle Landgerichte ausschloß, lag noch ein Vorrecht; aber daß die Bestimmung in dem Dokument gar nicht als Konzession Basels dasteht, sondern als Gnade und Gunst des Kaisers, erklärt sich aus den Verhältnissen. Der Rat lag in Streit mit Bischof Caspar und mußte mit der Möglichkeit rechnen, daß das Schultheißengericht wieder bischöflich werde; dieser Gefahr suchte er durch die Bestimmung des Privilegs auszuweichen, die den Baslern freistellte, sich dem Basler Gerichte zu entziehen und vor kaiserlichem Gerichte Recht zu nehmen. Ganz im Einklang mit der Tendenz der Antwerpner Verhandlungen, Basel enger als bisher ans Reich zu binden; hiezu paßte auch, daß dieselben Rotweiler Richter, denen gegenüber Basel in den letzten Jahrzehnten so oft seine Freiheiten gewahrt hatte, nun zu Schirmern eben dieser Freiheiten bestellt wurden. Aber der Vorgang blieb überhaupt ohne Wirkung, da Basels Streit mit dem Bischof keine Erledigung fand und das Schultheißengericht in Händen des Rates blieb, sodaß dieser gar nicht Anlaß hatte, von der Gewährung Gebrauch zu machen.

Vielmehr trat er nach wie vor beim Rotweiler Hofgericht für die ausschließliche Zuständigkeit seines Schultheißen ein, und auch nach dem Bunde von 1501 sehen wir ihn dort seine Prokuratoren halten, seinen Freiheitsbrief deponieren. Über Belästigungen seiner Bürger durch das Hofgericht hatte er noch 1515 und 1516 zu klagen und machte in heftiger Weise sogar die Stadt Rotweil dafür verantwortlich.


Einen Gegensatz besonderer Art gegen das „inlendige recht“ bildeten die westfälischen Fehmgerichte, die mit ernsten, von Geheimnis umgebenen Formen eine furchtbare Macht ausübten. Die deutschen Gebiete empfanden im Walten dieser Fehme die Kraft der alten Grafengerichte; auf ihre Eigenschaft königlicher, im Namen des obersten Gerichtsherrn amtender Gerichte sich berufend, durch die Schwäche der öffentlichen Gewalt begünstigt, hatten sie Geltung weit über Westfalen hinaus und im ganzen Reiche gewonnen, zunächst im Richten über Landfriedensbrecher, dann indem sie alle Klagen über Rechtsverweigerung im weitesten Sinne annahmen, durchweg mit dem Verfahren, daß sie den unentschuldigt ausgebliebenen Beklagten, sobald der Kläger die Schuld beschworen hatte, verfehmten und damit zur Hinrichtung durch Freischöffen, wo er nur betroffen würde, bestimmten.

[325] Auch für Basel waren die Fehmgerichte während einiger Jahrzehnte von großer Bedeutung. Auf überraschende Weise sehen wir dieses fremde Gerichtswesen sich in die Basler Verhältnisse eindrängen, unabtreiblich, durch keines der schönen Privilegien bekämpfbar. Vor dieser mit unerhörtem Terrorismus auftretenden Macht unterwarf sich das Gemeinwesen. Ja, in seinen höchsten Behörden selbst sahen zahlreiche Freischöffen, die jenen Gerichten geschworen hatten, durch Mitteilung der geheimen Erkennungszeichen „wissend“ gemacht waren, bei Ladungen der Fehme wie bei Vollziehung ihrer Todesurteile mitwirken mußten. Diese Zugehörigkeit von Magistraten zur westfälischen Gerichtsgenossenschaft, an sich befremdlich, lag doch im Interesse der Stadt selbst; durch den Ersten Besten konnte ja Basel wegen angeblicher Rechtsverweigerung nach Westfalen geladen werden und war bei Mißachtung dieser Zitation den schlimmsten Plagen ausgesetzt, während Freischöffen, die in den Räten saßen, die Sache der Stadt mit Erfolg vertreten konnten. Aber nicht nur dies. Freischöffe zu werden entsprach dem Interesse eines Jeden, des mit dem Amt verbundenen Einflusses und der großen prozessualischen Vorteile wegen, die das Schöffentum einem Angeklagten gab. Wer nur in Basel Ansehen und Namen hatte, wurde daher „Schöffe der freien heimlichen Gerichte zu Westfalen“: Heinrich von Ramstein, Friedrich Rot, natürlich auch der nirgends fehlende Henman Offenburg, dann Dietrich Sürlin, der Blumenwirt Peter Hans Wentikom, die Brüder Hans und Konrad von Laufen, Heinrich Halbisen, Mathis Eberler, Peter Gatz, usw. usw., all die Jahrzehnte hindurch bis zu Hans von Flachsland, Dietrich von Sennheim, Konrad Münch von Münchenstein und bis herab zum Notar Engelfrid, zum Söldner Conrat Sachs, zum obersten Knecht Hans von Prag usf. Auch Markgraf Wilhelm von Hochberg, Freiherr Rudolf von Ramstein, Graf Hans von Tierstein waren Freischöffen. Ebenso der vielgewandte Ratschreiber Gerhard Mecking; vielleicht ist dieser, gerade weil er Westfale war und als solcher in dieser nie ruhenden Heimsuchung der Stadt nützen konnte, in ihren Dienst genommen worden.

Überaus zahlreich sind die Fälle von Eingreifen dieser Gerichte. Die 1430er, 1440er, 1450er Jahre waren von ihrem Treiben erfüllt. Neben die Gewalttaten Überfälle Beraubungen, denen Basel die Seinen unaufhörlich auf allen Straßen ausgesetzt sah, traten gleichwertig und um Nichts besser die westfälischen Prozesse; sie vollzogen sich mit allen Prätensionen von Recht und Gerechtigkeit, und doch lag ihnen meist nichts Anderes zu Grunde als die schamlose Trölerei und Ungebühr irgend eines Widersachers der Stadt. Gerade die Nichtswürdigsten unter ihren Feinden griffen zum Mittel [326] der Klage in Westfalen und oft, wo der Rat am meisten in seinem Rechte war, hatte er der widerwärtigen Arbeit einer solchen Prozeßführung in der Ferne sich zu unterziehen. So im Streite mit Hans Witolf 1447—1453, Peter Blümlin 1431, Adam von Ansolzhein 1453, Hans Frankhuser von Luzern 1453—1455, Konrad Treyer 1458 usw. Wie der große Zank mit der Brigitta Balmoser in Basel begann, dann über die westfälischen Gerichte bis zum Schloß Ortenberg geschleppt wurde, ist geschildert worden. Von ähnlicher Lebendigkeit ist die Überlieferung des Streites, den der Rat 1433 mit seinem Bürger dem Küfer Hans Rafensburg zu führen hatte, wobei er zuerst Beklagter war und sich mit Erfolg verteidigte, dann aber seinerseits als Kläger vor dem Fehmgerichte zu Volmenstein auftrat und bewirkte, daß Rafensburg am 28. Juni 1436 verfestet und verfehmt, recht- und friedlos erklärt wurde, welches Urteil auch seinen Vollzug fand; denn am 31. Dezember 1438 bezeugten die Basler Freischöffen Hans Reich, Henman Offenburg, Dietrich Sürlin u. A., daß der geächtete Rafensburg auf ihr Geheiß durch Kunman Färber und dessen Helfer hingerichtet worden sei.

Es ist bemerkenswert, daß wie hier so im Falle Ansolzhein der Rat sich nicht nur beklagen ließ, sondern selbst auch Klage in Westfalen erhob. So zog er gelegentlich aus dem Unfug nach Möglichkeit auch seinen Nutzen. Aber ein Unfug war und blieb dieses gewalttätige Hereingreifen fremder Richter, dieses sonst nirgends zulässige Verfahren, das in seiner Anwendung alter, gar nicht mehr passender Sätze eine Ungerechtigkeit war und jedem Taugenichts ermöglichte, an der Macht, die ihn gestraft hatte oder ihm nicht zu Willen gewesen war, durch Ladung nach Westfalen Rache zu nehmen. Allenthalben litt man darunter. Schon im Jahre 1436 sah daher Basel eine große Versammlung fürstlicher und städtischer Gesandter in seinen Mauern, die den Übergriffen der Fehme entgegenzutreten wünschten. Aber sie richteten Nichts aus. Gerade in den nächstfolgenden Jahren und Jahrzehnten erlebte Basel die ärgste Zeit der westfälischen Plage. Immer häufiger zeigen uns die Notizen des Ratsbuches und die oft umfangreichen Akten, wie Bürger und Behörden durch diese Willkür zu tun bekamen und geplagt wurden; jeder westfälische Ladungsbrief, der wieder Morgens vor einem der Stadttore im Grendel steckend gefunden wurde, mehrte die Erbitterung. Auch die Fürsten, auch Kaiser Friedrich griffen zu Maßregeln. Am 1. Dezember 1461 schlossen die oberrheinischen Mächte ein Bündnis zur Abwehr der Fehme; 1469 auf dem Städtetage zu Ulm wurde wieder darüber verhandelt, und Basel gab seine Meinung schriftlich zu den Akten, wie es dann auch 1481 die Niedere Vereinigung zum Einschreiten gegen die Westfalen aufforderte [327] und 1488 an einer Erneuerung der Liga von 1461 teilnahm. Diese allgemeine Reaktion brach zuletzt die Kraft der Fehmgerichte; sie wichen auf ihre heimatliche Erde zurück.


Der Rat war davon überzeugt, daß zu seiner Stadtherrschaft die ausschließliche Gerichtsbarkeit über den städtischen Bezirk gehören müsse. In dieser Anschauung kämpfte er wider die westfälischen Gerichte, die Landgerichte, die geistlichen Gerichte, erwarb er die bischöflichen Schultheißengerichte und das Schultheißengericht zu St. Alban.

Bischof Burchard hatte dem Kloster St. Alban bei der Stiftung die niedere Gerichtsbarkeit im ganzen Bereiche der Grundherrschaft zwischen Stadtmauer und Birs zugeteilt. Diese Gerichtsbarkeit wurde durch den Prior nicht persönlich geübt; er ernannte den Schultheiß sowie die zwei Amtleute. Urteilsprecher waren ursprünglich die Müller der zwölf Lehen am Teich. Die Zuständigkeit des Gerichts galt für alle Bewohner der Grundherrschaft; nur gewisse Angelegenheiten der Müller waren der Brotmeisterjurisdiktion vorbehalten.

Aber diese klösterliche Rechtspflege, die doch jahrhundertelang geübt wurde, ist uns in ihrer Tätigkeit kaum bekannt. 1383 ging sie vom Prior an den Rat der Stadt über. Wir vernehmen, daß die Einschließung der St. Albanvorstadt in die große Fortifikation den Anstoß hiezu gegeben und den Prior vermocht habe, solche Wohltat dankbar durch die Abtretung seines Rechts zu erwidern. Vielleicht sollte dieser Erwerb durch die Stadt auch eine Antwort sein auf den Erwerb der Biedertaler Jurisdiktion zu St. Alban durch Herzog Leopold 1380. Jedenfalls bringt der ganze wichtige Vorgang den Willen der damals nach schwerer Zeit sich wieder erhebenden Gemeinde deutlich zum Ausdruck.

Zunächst blieb der Gerichtssprengel St. Alban bestehen, und der Schultheiß saß an des Rates Statt zu Gericht. Aber nicht mehr lange Zeit. Im zweiten Jahrzehnt des XV. Jahrhunderts scheint dieses Sondergericht aufgehoben und die Kompetenz des städtischen Gerichts über die Vorstadt St. Alban ausgedehnt worden zu sein.

Dem Prior blieb nach der Abtretung seiner alten Jurisdiktion nur die Gerichtsbarkeit über die Lehenleute in Lehensachen. Dem Willen des Rates, die städtische Gerichtsbarkeit zu schließen und auf sich selbst zu stellen, entsprach auch die Ordnung des Appellationswesens.

[328] Sogleich nach dem Erwerb des Schultheißenamtes, 1387, erklärte der Rat, daß er nie Jemanden zwingen wolle, von einem mit Urteil und Recht erfolgten Schultheißenspruch zu lassen. Die Meinung war: um jede Berufung nach außen, vor Kaiser oder Bischof, abzuschneiden, wollte der Rat auch selbst nicht Berufungsinstanz sein. So sehr er sich als Quelle des Rechtes fühlte und von jeher, schon vor 1385, Sachen, die den Urteilsprechern zu schwer fielen und durch sie vor ihn gezogen worden waren, entschieden hatte, hier trat er zurück und verzichtete. Es sollte zu Basel in weltlichen Rechten überhaupt nicht appelliert werden, zum mindesten durch die Basler selbst nicht. 1454 verbot der Rat den Seinen, Bürgern wie Hintersassen, ausdrücklich jede Appellation von Urteilen des Schultheißengerichts und setzte die Verpflichtung hiezu in den jährlich am Schwörtag zu leistenden Eid.

Dieser nur ein einziges Tribunal anerkennende Satz war eine verständliche Äußerung der städtischen Politik und doch als Verhinderung jedes Instanzenzugs nicht ohne Bedenken. In der Tat erhob sich Widerspruch.

Zuerst von Seiten des Kaisers, der sein Recht geltend machte, als oberster Inhaber jeder Justiz auch Appellationsbehörde für alle Gerichte zu sein. Er lud daher im Oktober 1459 den Basler Rat zur Verantwortung vor den Burggrafen Michael zu Magdeburg als kaiserlichen Kommissär. Der Rat berief sich auf das alte Herkommen in Basel, wonach die Parteien bei Anhebung des Prozesses in des Schultheißen Hand gelobten, bei dem Urteil bleiben zu wollen. Daran sei zum Nutzen guten friedlichen Wesens festgehalten worden; nur einigen Fremden, die zur Appellation gegriffen, habe der Rat dies nachgesehen. Bei dieser Antwort blieb es; der Gesandte nach Magdeburg hatte Instruktion, eventuell mit Geld zu wirken, damit die Stadt bei ihrer Gewohnheit bleiben möge.

Wenige Jahre später, 1466, kam auch der Bischof mit Beschwerden. Er forderte, daß das Verbot der Appellation an ihn aufgehoben werde, und verlangte dann auch Zulassung der Appellation an das geistliche Gericht. Der Rat lehnte dies ab als eine Neuerung; das geistliche Gericht sei überdies keineswegs dem weltlichen übergeordnet. Zu einem Ausgleiche kam es nicht.

Aber der Rat hatte wohl eingesehen, daß der bisherige Zustand nicht zu halten sei. Um die Appellation an Reichs- oder geistliche Gerichte möglichst zu hindern, schuf er eine eigene Appellationsinstanz für Prozesse von Hiesigen mit Auswärtigen und von Laien mit Geistlichen, gebildet durch drei Delegierte aus der Mitte des Rates; für Prozesse, deren beide Parteien Basler waren, sollte das bisherige Wesen fortdauern. Diese Ordnung wurde am 16. Juli 1472 erlassen; sie schuf das seitdem geltende Recht.

[329] Nicht unwidersprochen. Gegen Bischof Johann 1477 und 1478, gegen Bischof Caspar 1481, gegen König Max 1495 hatte der Rat die Ordnung zu vertreten. Dem Bischof bestritt er die Oberherrlichkeit über das Schultheißengericht; dieses sei dem geistlichen Gerichte gleichgestellt und sein oberster Herr der Kaiser. Dem Letztern aber legte er dar, daß das Verbot der Appellation ja nur für Prozesse von Baslern gegen Basler gelte und, um diese vor Kosten zu behüten, erlassen worden sei; in gemischten Fällen sei der Weg der Appellation nicht benommen.

Nach der Ordnung von 1472 freilich nur an die drei Kommissarien des Rates. Daß aber nebenher auch an Königliche Majestät appelliert wurde und der Rat dies geschehen ließ, erhellt aus gelegentlichen Äußerungen. Bis 1517 jedes Appellieren an das Reichskammergericht ausdrücklich verboten wurde.


Das Stadtgericht bestand und waltete als das ordentliche Forum der Stadtgemeinde. Neben dieses Gericht oder ihm gegenüber traten die für einzelne Geschäfte oder gewisse Einwohnerklassen bestellten Spezialjurisdiktionen der Zünfte, der Gesellschaften, des Brotmeisters, der Kaufhausherren, der Marktämter, des Rabbiners, des Universitätsrektors, des Pfalzgrafen, des Dompropsts an der leimenen Stege, des Domdekans, der Offiziale, der Konservatoren, des Propsts zu St. Alban über die Lehenleute, des Richters im markgräfischen Hof, der Gescheide, der Fünfer usw. Sie alle werden an ihrem Orte beachtet werden; hier ist von den Fünfern und den Gescheiden zu reden.

Das Kollegium der Fünf, „die über die buwe hant gesworen“, „so von unser stette wegen über die buwe gesetzt sint“, begegnet schon im XIII. Jahrhundert; die Bautätigkeit und die Entwickelung der Eigentums- und Zinsverhältnisse machte diese offenbar rein städtisch, ohne Mitwirkung des Bischofs geschaffene Behörde nötig. Zum ersten Mal erwähnt werden die Fünfer im Jahre 1300; der Rat gab ihnen eine Ordnung, wohl eine frühere erneuernd, im Jahre 1360, dann wieder 1442 und 1500. Ihre Aufgabe war Entscheidung aller Streitigkeiten in Bausachen in der Stadt und deren Bann. Der Rat wählte sie jährlich, zum Teil aus seiner Mitte, und nahm meist drei Laien und zwei Werkleute (Maurer und Zimmermann); aber die Fünfzahl wurde nicht immer eingehalten. Wir finden vier sechs sieben acht Fünfer, bis die Ordnung von 1500 wieder die alte Regel einführte.

Die Fünfer waren ein Gericht. Sie vernahmen Klage und Antwort der Parteien, Dokumente und Zeugen, gingen auf den Augenschein, erkannten [330] zu Recht und schickten ihren Spruch dem Rate, der ihn bestätigte und über seinem großen Siegel verkündete. Seit dem Jahre 1605 liegt ein Protokoll über Verhandlungen und Entscheide dieses Fünfergerichtes vor.

Unübersehbar ist die Menge solcher Sprüche, der „Fünferbriefe“. Vor Allem im Streit von Privaten. Aber zahlreich ist auch das Urteilen der Fünfer bezeugt in Streitigkeiten der Stadt mit Einzelnen wegen Mißbrauchs der Allmend, Landfestenunterhalts an Rhein Birsig usw., Dohlen, Abwasser öffentlicher Brunnen, Schädigung öffentlicher Brunnen durch Sode usw. Eine den Fünfern zugewiesene Einzelheit war der Rümelinbach; wiederholt regelten sie die Benützung dieses Wassers, 1459 gaben sie den Lehen eine Ordnung.

Außer dem Entscheid von Streit lag ihnen ob, auf gefröhnten Liegenschaften Abwesender die Häuser zu schätzen, über die Teilung von Häusern zu wachen, die Konfiskation baufälliger, vom Zinsherrn preisgegebener Häuser zu verfügen.

Vor 1392 besaß jede der beiden Städte Basel ihr Fünfergericht. Doch scheint dasjenige Kleinbasels, dem der dortige Schultheiß präsidierte, nicht nur über Baustreit im Innern der Stadt, sondern auch über Grenzstreit in Feld und Flur, als Bescheid, gerichtet zu haben. Nach der Vereinigung der beiden Basel 1392 übernahmen die Großbasler Fünfer sofort auch die rechtsrheinische Baujurisdiktion, während die dortigen Fünfer von ihrer alten Kompetenz die Gescheidssachen behielten.

Ergänzung des Fünfergerichts waren die Wasserfünfer. Sie bestanden aus drei Müllern, einem Schleifer und einem Bauhandwerker und wurden durch die Schmiedenzunft ernannt. Ihnen lag ob, in den Gewerbewassern beider Städte die Schwellenhöhen zu bestimmen und zu beaufsichtigen, ohne eigene Jurisdiktion; bei Streitigkeiten über solche Dinge wurden sie durch die Fünfer als Experten zugezogen.


Gerichte wie die Fünferkollegien waren die Gescheide, die in der Stadtflur vor den Mauern zu urteilen hatten. Während aber das Fünferwesen auf dem bestimmten und fertigen Zustande städtischer Bebauung ruhte, wirkten bei den Gescheiden, der Natur der Sache gemäß, Anfangszustände noch nach Jahrhunderten. Was wir sehen, erinnert an alte Grundherrschaft, an den Übergang solcher Befugnisse vom Bischof auf den Dompropst, an Ausscheidung einzelner Bezirke aus einem ursprünglich einheitlichen und umfassenden Rechtsgebiet. Aber alles Nähere dieser Vorgänge ist verborgen.

Erkennbar wird erst Folgendes:

[331] 1. Das „große“ Gescheid. Neben den Gütern und Zehnten sowie dem Meiertum oder der Gutsverwaltung, zu der Bannwarte Hirten Zuchttiere u. dgl. gehörten, stand es dem Dompropst als Gerichtsbarkeit zu. Die acht Scheidleute, unter Leitung des dompröpstlichen Meiers, hatten über Häge Zäune Marksteine und Grenzen überhaupt zu erkennen, Grenzstreitigkeiten Feldfrevel und Beschädigungen zu beurteilen, Bußen zu erheben. Das Gebiet dieser Jurisdiktion war der Großbasler Stadtbann „von einem Rhein bis an den andern“, in dem auch jene Güter lagen und jene Rechte von Zehnten und Meiertum galten. Aber nicht dieser ganze Stadtbann.

2. Denn neben dem „großen“ Gescheide des Dompropstes amtete das „kleine“ Gescheid der Rebleute, wohl nur für Reben und Gärten und namentlich vor Äschen- und Steinentor zuständig. Die Schaffung dieses eigenen Gerichtes war vielleicht ein Teil der energischen Expansion des Rebgewerbes, der wir im XIV. Jahrhundert begegnen; ein Rechtsspruch von 1400 hieß sie gut und anerkannte die Befugnis dieser Scheidleute, über „Misbau (Übergreifungen) und andre Gebrechen“ an Reben und Gütern zu urteilen.

3. Ein zweites „kleines“ Gescheid war dasjenige von St. Alban. Zuständig für Urteilen über Grenzstreitigkeiten, Setzen von Marksteinen, Aussteinen der Allmendwege, Teilen von Liegenschaften im ganzen Bereiche der Grundherrschaft des Klosters, das auch, mit Ausschluß des Dompropstes, hier den Zehnten erhob. Es bestand aus einem Obmann und vier, seit 1486 sechs Scheidleuten; die Wahl stand dem Prior zu.

Die im großen Stadtbann dem dompröpstlichen Gescheid gleichfalls zustehende Judikatur über Feldfrevel und Beschädigungen war im Bezirke von St. Alban einer eigenen Behörde anvertraut, den fünf Einungsmeistern; diesen war auch die Sorge für Bannwart und Zuchtvieh zugewiesen.

Im XV. Jahrhundert ergreift eine Entwickelung diese Zustände.

Zunächst absorbiert das dompröpstliche Gescheid dasjenige der Rebleute. 1469 findet ihre Verschmelzung statt, zugleich mit Vermehrung der Zahl der Scheidleute auf zehn, unter dem Präsidium des dompröpstlichen Meiers. Sodann wird das Verhältnis dieses Gescheides zur Stadt geordnet. Der Dompropst legt mehr Wert auf die Zehnten als auf Meieramt und Jurisdiktion; diese geben Arbeit und keinen Ertrag. Der städtische Rat, der schon jetzt die Scheidleute wählt und aus dessen Mitte oft der dompröpstliche Meier genommen wird, der auch Meier Bannwarten und Hirten in Eid nimmt, der die vielfach das Gescheid berührende Fünfergerichtsbarkeit verwaltet, und der wohl schon die Fusion von 1469 veranlaßt hat, erscheint als der gegebene Erbe. Er übernimmt es, die säumigen Zehntpflichtigen [332] zur Zahlung an den Dompropst anzuhalten, und so kommt 1489 eine Abrede zu Stande: gegen jene Zusage des Rates will der Dompropst diesem das Meiertum und das Bescheid abtreten.

Seit 1491 finden wir nun den Rat im Besitze dieser Ämter. Aber die zugehörige Zehntsache findet ihre Erledigung nicht. Verhandlungen und Streitigkeiten folgen, und noch 1504 muß der Legat Raimund, 1512 Papst Julius an dies hängende Geschäft erinnern.

Das große Gescheid ist nun ein städtisches Tribunal; neben ihm besteht noch immer das Gescheid von St. Alban. Bis zuletzt, 1524, auch dieses, zugleich mit Einungsmeisteramt und Feuerschau, an den Rat übergeht.

Den Großbasler Gescheiden gleich amtet auf dem rechten Ufer im Banne Kleinbasels das dortige Feldgericht. Ursprünglich wohl identisch mit dem Baugericht des Städtleins, aber seit 1392 nur noch außerhalb der Mauern zuständig. Das sind die „Fünf so von unser stette wegen ze minren Basel über die buwe und scheidunge an dem felde gesetzt sind“. Sie werden regelmäßig gebildet durch den Schultheißen und vier Kleinbasler.

Feierliche Bezeugung von Recht und Gerichtsbarkeit war der Bannritt, den die Gescheide jährlich vollzogen.

In Großbasel am Himmelfahrtstage oder bei schlechtem Wetter am nächstfolgenden Sonntag oder Feiertag. Alle, die mit dem Feldbau zu tun hatten, die Verwaltungen der Klöster, des Spitals, der Elenden Herberge, sowie Ackerleute Rebleute usw., versammelten sich beritten vor der Ulrichskirche, deren Leutpriester, gleichfalls zu Pferde, das heilige Sakrament trug. Unter Führung des Meiers ritten Priester Scheidleute und Gemeinde um den Bann, „Gott zu Lob und Ehre, der Frucht zu Schirme und der Gemeinde zu Trost vor Ungewitter, auch um Behaltung und Handhabung der Weite Breite und Ferne des Bann mochte an den ersten Akt der Besitznahme erinnern; zugleich aber war der Bannritt feierliche Weihung der Flur und Wetterprozession, und die Teilnahme der Kirche hiebei erfolgte von St. Ulrich aus, weil dieses Gotteshaus dem alten Zehnt- und Gerichtsherrn des Bannes gehörte.

Gleicherweise ging in Kleinbasel der jährliche Bannritt am Kreuzauffindungstage (3. Mai), bei Regenwetter am Himmelfahrtstage, unter Führung des Pfarrers der Gemeindekirche St. Theodor um die Grenze des Banns der alten Dorfgemeinde. Dagegen zeigt uns der jährliche Umzug der Kleinbasler Ehrenzeichen, der nicht der Banngrenze folgt, sondern auf [333] die Stadt sich beschränkt und hier bis zur Brückenkapelle geht, den Bereich der Ansiedlerstadt.


Die Geschichte der Basler Strafjustiz teilt sich in zwei Perioden: da die Vogtei beim Reiche war; da der Rat sie hatte.

König Rudolf zog die alte bischöfliche Vogtei an das Reich, machte den Vogt zum Reichsbeamten. Als solchen finden wir Herrn Otto von Röteln, dann die Ritter Konrad und Werner Schaler, Konrad und Burchard Münch, zuletzt 1376—1386 den Herzog Leopold von Österreich, der zu seinem Statthalter den Ritter Lütold von Bärenfels machte.

Wie die edlen Schultheißen ihre Unter-Schultheißen zur Besorgung der Geschäfte hinstellten, so diese Herren ihre Untervögte: den Dietrich von Altenbach, Johann zum Luchs, Hug Löschbrant, Hugo Marschalk. Aber diese Untervögte begegnen uns selten bei der hohen Gerichtsbarkeit, häufiger dagegen als Beisitzer des Schultheißengerichts, dem außer den Zivilsachen die Polizeijurisdiktion über kleinere Frevel zustand. Deren Behandlung geschah durch einen Ausschuß des Schultheißengerichts unter Vorsitz des Untervogts. Der Vogt hatte die Strafsachen zu beurteilen, die an Leib und Leben gehen.

Das Wesentliche für uns ist hiebei, daß diese Vogtei Reichsvogtei, ein wichtiger Teil des öffentlichen Rechtes somit dem Bischof entzogen und der Stadt genähert und ihrer Kraft und ihrem Verlangen um so mehr zugänglich war, als der städtische Rat das Urteilerkollegium des Reichsvogtes bildete. Daher der Schwur, den die Bürger dem König leisteten auf Wahrung der Rechte seiner Vogtei und getreues Urteilen im Vogtsgericht. Spuren dieser richterlichen Tätigkeit des Rates haben sich vereinzelt erhalten: im Referat über Verlegung des Galgens auf den Gellert und die Verurteilung eines Diebs zum Tode durch den Rat, sowie fünfzig Jahre später, 1374, in der Geschichte vom gehängten aber nicht getöteten Faßbinder, dessen Exekution der Untervogt und eine Deputation des Rates beiwohnten. Neben diese Nachrichten stellen wir zahlreiche in den Büchern des Rates angemerkte Strafurteile, die wohl Urteile des Vogtsgerichtes sind. Auch daran ist zu erinnern, daß Vogt und Untervogt Besoldung vom Rat empfingen.

Allerdings war die Vogtei, weil sie dem oft fernen Reiche und nicht dem nahen Bischof zustand, wehrloser gegen städtische Ambitionen und Gelüste. Eine mit der Vogtsgewalt konkurrierende Tätigkeit des Rates als solchen machte sich stark geltend in der Handhabung des Stadtfriedens und in der Unzüchterjurisdiktion. Wir finden, daß der Kaiser 1359 diese Eingriffe des Rates in die Vogteikompetenz tadelte.

[334] In welcher Weise König Rudolf 1286 dem Rate die Gewalt über den Stadtfrieden gab, ist geschildert worden. Der Zweck war, die an sich straflose Selbsthilfe zu beschränken; das ordentliche Strafrecht wurde ergänzt, für das Stadtgebiet ein höherer Friede, der Stadtfriede, geschaffen, dessen Hüter und Richter nun der Rat sein sollte. Wichtigste Äußerungen hievon waren die großen Stadtfriedensgesetze, 1339 in der erregten Zeit der Kämpfe zwischen Kaiser und Papst erlassen. Sie galten für das Gebiet innerhalb der Kreuze und bedrohten mit Strafe den Todschlag, die Verwundung, das unbefugte und verdächtige Waffentragen Alarmieren Zusammenlaufen. Als Strafe war durchweg Verweisung angedroht; Schärfung trat ein, wenn der Stadtfriede Streitenden ausdrücklich geboten und dies Gebot von ihnen nicht beachtet worden war. Diese Stadtfriedensjustiz, die von Amtes wegen, nicht erst auf Klage geübt wurde, war nicht entstanden als Eingriff in die Vogtsgewalt; aber ihre Anwendung machte sie zu einem solchen Eingriff deswegen, weil mit dem Gedanken des Stadtfriedens sich eine zweite Tendenz verband: Schutz der Bürger vor nicht städtischem Richter. Indem der Rat den Bürger, der einen Todschlag begangen, „in Gehorsam nahm“, d. h. seine Bestrafung sich selbst vorbehielt, entzog er ihn dem Vogte. Schon 1366 berief er sich im Vogtsgericht anläßlich eines solchen Falles auf altes Recht, wonach der Vogt von Einem, den der Rat schon behandelt, nicht mehr richten dürfe; werde dieser dennoch von dem Vogte belangt, so solle ihn der Rat verantworten. Nur wenn ein Todschlag als „gar unredlich“ erkannt werde, könne der Rat den Vogt um Gericht bitten d. h den Verbrecher dem ordentlichen Verfahren überweisen, das mit der Todesstrafe endigte.

Das Zweite war die Gerichtsbarkeit der Unzüchter, eines durch den Rat bestellten Kollegiums. Schon frühe war dieses entstanden, wohl vor Eintritt der Zunftratsherren in den Rat, zum Zwecke, das Schultheißengericht zu entlasten oder dessen Geschäftsbesorgung, die dem Rate nicht rasch genug ging, durch das kürzere Verfahren einer kleinen eigenen Behörde zu ersetzen. Ein Ritter und zwei Burger, vierteljährlich wechselnd, hatten über „Unzuchten“, das ist Unfugen wie Messerzücken Schlägerei Beschimpfung u. dgl., zu urteilen und erhielten hievon den Namen. Sie konkurrierten also mit dem vom Untervogt geleiteten Ausschusse des Schultheißengerichts für Unrecht und Frevel, wobei dem Kläger die freie Wahl des Forums blieb. Auch wurde ihnen eine Exekution der Schultheißensprüche um Geldschuld gegeben.

Vielleicht aber blieb der Rat hiebei nicht stehen, sondern griff mit der Zeit auch über Stadtfriedens- und Unzüchterfälle hinaus in die Macht [335] des Vogtes, durch Beurteilung von Verbrechen, die eigentlich dem Vogtsgerichte zustanden.

So beschaffen war die Pflege der Kriminaljustiz, mit einer Mehrheit von Instanzen, die nebeneinander Befugnisse oder usurpierte Rechte übten. Ein Zustand, der nur denkbar ist als Stufe einer Entwickelung. Keiner der Beteiligten konnte es dabei bewenden lassen; wenn die Stadt wie überall so auch hier die Zukunft für sich in Anspruch nahm und dieses Ziel auch wirklich erreichte, so half ihr dazu nicht nur ihre Kraft, sondern vor Allem ihr Glück. Bei Sempach wurde der Vogt Leopold von Österreich vernichtet, und der Rat konnte eingreifen. Er verhandelte mit König Wenzel und gewann am 1. August 1386, anderthalb Jahre nach dem Erwerb der Schultheißengerichte, auch die Reichsvogtei.

Von nun an wurde der Vogt durch den Rat gewählt. Die Abstufung von Vogt und Untervogt bestand nicht mehr. Nur der Vogt war noch vorhanden, als subalterner Beamter. Kuni von Buchs z. B., der 1406 Vogt wurde, war vorher Gerichtsamtmann gewesen; der Vogt Peter Hertrich wurde 1450 Stadtknecht usw. Keines der großen Geschlechter finden wir mehr in der Liste; Gürtler Barbiere Seiler u. dgl., solche Leute konnten jetzt Vögte werden.

Der Vogt wohnte regelmäßig auch den Sitzungen des Schultheißengerichtes bei und hatte gleich den Zehnern Urteil zu geben. Seine Hauptaufgabe aber war hier, mit dem Gerichtsausschuß über die Frevelsachen zu richten. 1433 erhielt dieses kleine Vogtsgericht oder Nachgericht eine Organisation.

Daneben bestanden die Unzüchter konkurrierend weiter als Gerichtsinstanz für Polizeivergehen, „von Friedens und Frevels wegen“, wobei der Kläger zwischen ihnen und dem Gericht wählen konnte.

Die Wahrung des Stadtfriedens traf jetzt in der Hand des Rates mit der allgemeinen Strafjustiz zusammen, und Folge hievon mochte die Einschränkung des Stadtfriedensbegriffes sein, der wir begegnen. Während früher der Stadtfriede schon an sich selbst bestanden und die Nichtbeachtung ausdrücklichen Friedegebietens eine Strafschärfung bewirkt hatte, bildete sich jetzt die Anschauung, daß der Stadtfriede erst auf dem Friedegebot beruhe; dieses war die notwendige Voraussetzung. Nur an bestimmten Orten — im Rathause, im Kaufhause, in der School — galt der Stadtfriede schon ohne Friedebieten.

In dieser Weise setzte sich das alte Nebeneinander von Jurisdiktionen fort; aber bedeutungsloser, weil nun Alles beim Rate vereinigt war. Diesem [336] lag ob, der zersplitterten Rechtspflege, wenn er sie auch nicht äußerlich einte, doch die Einheit des Sinnes zu geben, außerdem aber, ihr Wesen, ihren Bestand und Umfang zu mehren. Hiezu gehörte auch die Beseitigung des österreichischen Gerichts zu St. Alban.


Die hohe Gerichtsbarkeit innerhalb der Grundherrschaft des St. Albanklosters stand dem bischöflichen Vogte zu, nach Übergang der Vogtei an das Reich dem Reichsvogte. Ein Weistum des XIII. Jahrhunderts und eine Kundschaft von 1340 bezeugen in der Hauptsache übereinstimmend das Verfahren, wonach bei blutiger Tat im Klostergebiete der Propst oder sein Stellvertreter der Klosterschultheiß und als Vertreter des Vogts der Stadtschultheiß zu Gerichte saßen und von den Bußen zwei Drittel dem Propst, ein Drittel dem Stadtschultheißen zukamen. Der Erwerb der Reichsvogtei durch den Rat gab diesem dann auch die hohe Gerichtsbarkeit zu St. Alban. Aber nicht unbeeinträchtigt.

Ein Anspruch auf diese Gerichtsbarkeit, den Graf Werner von Homberg kraft seiner Schirmvogtei über das Kloster erhoben hatte, war zwar 1221 schiedsrichterlich abgelehnt, aber durch den Grafen nicht aufgegeben worden. Er vermochte eine Gerichtsbarkeit zu usurpieren und zu üben, wenn auch nicht in der ganzen Grundherrschaft, doch in einem gewissen Bezirke derselben; nach seinem Tode scheint sich diese Jurisdiktion gleich andern Gütern weiter vererbt zu haben auf die Grafen von Habsburg-Laufenburg, denen sie im XIV. Jahrhundert zustand. Als deren Lehen war sie 1375 im Besitze des Konrad von Biedertan, 1380 im Besitze der Brüder Peterman und Rutschman von Biedertan. So dürftig diese Jurisdiktion war — Einer der Biedertan klagte bitter: „ich hab ein Gericht in der Vorstadt zu St. Alban und soll gar ein großer Herr sein, habe aber seiner nie nur eines Pfennigs groß genossen, außer daß mir einmal fünf Strohschaube wurden als Buße“ —, wurde sie doch geübt. Zu ihr gehörte noch die alte Vogteikompetenz auch für Immobiliarsachen, - sie hatte einen an Statt des Gerichtsinhabers präsidierenden Schultheiß, sowie Urteilsprecher und Amtleute; sie war nicht zu gering, um nicht 1380 durch Herzog Leopold den Biedertanern abgekauft zu werden.

Von Interesse ist das Verhältnis dieses Gerichts zu dem neben ihm in derselben Vorstadt zuständigen Niedergerichte des Propsts, dann der Stadt. Die beiden Schultheißen saßen gelegentlich nebeneinander zu Gericht und urkundeten gemeinsam; der Eine diente in des andern Gericht als Fürsprech der Parteien, oder der Eine nahm Kundschaften auf über Recht und [337] Kompetenz des andern Gerichts. Im engen Bezirk ein verwunderliches Beisammensein und sich Vertragen; doch war vielleicht dem österreichischen Gericht ein eigener kleiner Sprengel zugewiesen. Aber auch mit dem „innern“ Gerichte, dem Stadtgericht, leben diese beiden Vorstadttribunale zusammen; sein Amtmann ist im Vorstadtgericht anwesend, und seine Urkunden sind in den 1370er Jahren von demselben Schreiber geschrieben wie diejenigen des pröpstlichen und des Biedertanischen Gerichts. Von einem Konflikt hören wir nur ein einziges Mal, im Jahre 1401, als der österreichische Schultheiß die Gerichtsbarkeit über Totschlag prätendierte. Der Rat wies diesen Anspruch zurück, und kurz darauf scheint das österreichische Gericht, auf Wunsch der herzoglichen Beamten selbst, eingegangen zu sein.


Während der Gang der Ziviljurisdiktion, seit diese der Stadt gehörte, reichlich bezeugt ist, fehlen genauere Aufschlüsse über die städtische Strafjustiz. Im Allgemeinen zeigt sich, daß der Rat diese Gerichtsbarkeit völlig in eigner Hand hielt und den Vogt, der jetzt sein Beamter war, einschränkte. Früher hatte er dessen Gericht gebildet; jetzt war er selbst Gerichtsherr und als solcher befugt, wie Kaiser Friedrich 1488 ausdrücklich bestätigte, alle Übeltäter, die an Leib und Gut strafwürdig waren und in seinem Gebiete begriffen wurden, zu richten und zu strafen; mit der Vollmacht, dies je nach Bedarf und Gutfinden entweder im Rate geschehen zu lassen oder im Hofe. Hiemit sind die beiden Verfahren der städtischen Strafjustiz genannt.

Der Rat selbst urteilte, ohne Zutun des Vogtes, in der Mehrzahl der Fälle d. h. überall da, wo es sich nicht um todeswürdige Verbrechen handelte, wo man nicht über „Blut Hals und Halsbein“ zu richten hatte. Der Rat handelte hiebei entweder als Hüter des Stadtfriedens oder als Inhaber der hohen Gerichtsbarkeit; im Einzelnen überliefert sind uns nur solche seiner Urteile, die auf Verweisung lauten, und durchweg wird der Bürger anders behandelt als der Fremde. Völmi der Pfeifer muß 1420 in die Verbannung, weil er sein Weib totgeschlagen und getreten hat; „hätte er seines Bürgerrechtes nicht genossen, man hätte von ihm gerichtet.“

Einem andern, außerordentlichen Verfahren unterlagen die Fälle des Hofgerichtes. Sie waren seltener, sind aber gerade deswegen besser bezeugt. Der Prozeß begann mit dem „gichtigen“ (Befragen auf der Folter) der Angeschuldigten durch die Siebner, denen auch im Verfahren reiner Ratsjustiz diese Voruntersuchung zustand. Zur Hauptverhandlung wurde das Blutgericht gebildet, in dem Neuer Rat und Stadtgericht sich vereinigten [338] der Vogt den Vorsitz hatte, neben ihm der Schultheiß saß. Gerichtsstuhl und Schranken waren unter freiem Himmel aufgerichtet, im Hofe des Rathauses, der so die Fortführung der frühem, auf dem Markte vor dem alten Rathause gewesenen Gerichtsstätte bildete. Die Klage, auf Leib Leben und Gut des Angeschuldigten lautend, geschah im Namen des Rates durch die Ladenherren samt dem obersten Knecht; der Freiamtmann hatte ihnen als Fürsprech das Wort zu führen, der Ratschreiber das Geständnis des Angeklagten zu verlesen. War der Angeklagte abwesend, so erging zu drei Malen, in feierlichen Formen, auf den drei offenen und vom Gericht verbannten Straßen (Rheinbrücke, inneres Spalentor, inneres Äschentor) seine Vorladung durch die Amtleute; in Fällen von Mord ward auch das „Wortzeichen“ vor dem Gericht aufgestellt, das zuvor bei der Totenschau vom Leichnam war genommen worden und nun den Gemordeten leibhaft vertrat, „als vil als ob die bor ze gegen were“. Stellte sich der Beklagte, so hielt man ihm Recht; blieb er auf die drei Rufe aus und vertrat ihn sonst Keiner, so wurde er, nach Anhörung von Klage und Zeugenaussagen, als ein flüchtiger Mann vom Frieden in den Unfrieden erkannt, also daß er von der Sonne Aufgang bis zu ihrem Niedergang nirgends frei sein und Friede haben sollte; dem Richter wurde sein Gut zugesprochen, dem Kläger sein Leib. Alles dies nach des heiligen Reiches Recht. Ein eigenes Kriminalrecht besaß Basel nicht. Auch enthalten die Urkunden nur das Urteil in der hier gegebenen allgemeinen Fassung, nicht die Bestimmung der Strafart, die wohl erst nachher und durch den Rat geschah, dem als dem Kläger der Beklagte überlassen worden war, damit er mit ihm handle nach seinem Gefallen.


Wir betrachten noch einige Einzelheiten dieser Justiz. Zunächst die Strafen.

In der Regel gab es keine Haftstrafe. Nur vereinzelt begegnet uns diese, als Einsperrung für die Dauer eines Monats und zugleich als Schärfung einer sonstigen Strafe, oder als kurze rasche Bestrafung für eine Nacht, eine Woche, während dauernde jahrelange Inhaftierungen seltene Ausnahmen und dann wahrscheinlich Gnadenstrafen waren. In jedem Falle hatte da, wo mit der Haftentlassung die Strafe zu Ende ging, der den Kerker Verlassende Urfehde zu schwören d. h. den Verzicht auf Rache für das ihm Angetane zu geloben.

Im Übrigen dienten die Gefängnisse und „Käfige“ der Untersuchungshaft und der Verwahrung der zum Tode Verurteilten. Sie befanden sich in [339] den Tortürmen der alten Befestigung, in Kunos Tor, im Eschemerturm, im Eselturm und dessen Dependenzen, im innern Spalentor, im Rheintor. Die Türme enthielten auch Wohnungen von Stadtknechten oder Wachtmeistern; diese waren Gefangenenwärter und hatten die Folterung beim Verhör zu besorgen. Die Gefangenen zu binden und zu „tümen“ war nach dem Amtseid ihre Aufgabe; unaufhörlich ist vom „gichtigen“ der „armen Menschen“ die Rede; Rechnungen und Urfehdenbücher geben ein Bild des Zustandes und der oft schauerlichen Szenen, die diese Türme sahen.

Am öftesten genannt wird der Eselturm; hier meist lagen die zur Hinrichtung Bestimmten; wer in diesen Kerker kam, wußte, daß er nicht mehr zu Leben und Freiheit hinausgehen würde. Auch war diese Gefängnisanlage die ausgedehnteste; außer dem Eselturm selbst, an dem 1427 und 1491 gebaut wurde, hatte der Knecht den Wasserturm über dem Birsig zu besorgen sowie das in nächster Nähe am Fuße des Leonhardsberges gelegene, zur Einsetzung von Trunkenen Skandalmachern u. dgl. dienende Taubhäuslein. Im Eselturm befand sich auch die am meisten gebrauchte Folterkammer; wie hier gearbeitet wurde, zeigen die wiederholten Ausgaben für Ketten Seile Strecksteine, für das „rößlin“ und das „feßlin“; zu diesem Inventar des düstern Turmes paßten auch die „zwo tafel marterbild“, die der Rat 1484 dorthin stiftete. Einige Male hat der Eselturm auch zu dauernder Inhaftierung gedient; so für einen rätselhaften Gefangenen, den Bruder Niklaus, dessen vollen Namen Herkunft Verbrechen wir nirgends erfahren; von 1452—1468 lag er im Turme; Woche um Woche buchte die Kanzlei die kleine Ausgabe für seine Nahrung; zuletzt finden sich Kosten ärztlicher Behandlung, und dann wird Bruder Niklaus nicht mehr genannt.

Die häufigste Strafe war die Verweisung. Nicht das politische Exil, das z. B. 1376 über Hartman Rot, 1410 über Ehrenfels und Rotberg verhängt wurde; dieses war mehr als Strafe: Sühne, die doch nicht frei sein sollte von Schonung ja von Furcht, und zugleich Beseitigung eines Machthabers, für den daheim kein Platz mehr war. Ganz anders die Verweisung, eine namentlich im XIV. und beginnenden XV. Jahrhundert unzählige Male durch den Rat ausgesprochene Strafe, die ein „Leisten“ außerhalb der Stadt auferlegte und durch feierlichen Eid des Verurteilten geschirmt war; auf dem Bruch dieses Eides stand Blendung oder Enthauptung. Ursprünglich war die Verweisung die Strafe von Verletzung des Stadtfriedens; aber schon frühe wurden auch andre Übeltäter zum Leisten verfällt. Von den leichten Fällen der Verweisung auf kurze Zeit und kleine Entfernung abgesehen mußte sie für Viele eine schmerzliche Strafe sein, dem Bürger oft wohl [340] gleichbedeutend mit Vernichtung seiner bisherigen Existenz. Für den Rat selbst aber eine sehr brauchbare Maßregel und das beste Mittel zur raschen verächtlichen Säuberung der Stadt von Menschen, mit deren Bestrafung er sich nicht bemühen mochte. In Motiv und Wirkung tausendfach geartet, durch unendliche Variation der zeitlichen wie der örtlichen Begrenzung in jedem Falle der Eigenart des Verbrechens und der Persönlichkeit des Verbrechers angepaßt, liegen diese Leistungsurteile vor uns. Sie lauten auf ein halbes Jahr, ein Jahr, zwei Jahre, fünf Jahre usw., auf Ewigkeit. Oder bis zur Erlaubnis des Rates, auf Gnade des Rates. Es wird verwiesen auf eine Meile, fünf Meilen, zehn Meilen usw. scheibenweise um die Stadt, oder in eine der Vorstädte, vor die Kreuze, über die Birs, über den Hauenstein, über den Schwarzwald, über das lombardische Gebirge. Der Verwiesene darf nicht über Straßburg herauf, nicht über Konstanz herabkommen. Einer muß schwören, stracks „in diesen Fußstapfen“ sich von Basel weg zu tun, keine Nacht zu liegen wo er die andre Nacht lag, bis er übers lombardische Gebirge gekommen, und dann ewig drüben zu bleiben. Ein Gotteslästerer muß gleichfalls hinüber und darf nicht wiederkehren, ehe er in Rom gewesen.

Sodann die Ehrenstrafen. Wer meineidig erfunden wurde vor Rat oder Behörden, der sollte ewiglich ein verworfener Mensch sein, nicht als Zeuge genommen, weder in Rat noch Gericht noch an ein Amt gewählt werden können; zu dessen Gedächtnis wurde sein Name in das Todbuch der Stadt geschrieben. Oder dem zu Strafenden wurde mit der Ehre auch die Wehre abgesprochen; er sollte hinfort weder Schwert noch Degen tragen dürfen, sondern nur ein stumpfes abgebrochenes Brotmesser. Das Schwemmen im Rhein, das Stellen ins Halseisen auf dem Markte waren beschimpfende Strafen, die oft als Verschärfung zu einer peinlichen Strafe hinzutraten.

Mit Blenden, Ausreißen der Zunge, Abschneiden der Ohren, Abhauen einer Hand, Aufbrennen des Baselstabs, Brennen durch die Backen wurde oft gestraft. Auch sonst verstehen wir den Tadel des Enea Silvio über die Grausamkeit der Basler Justiz, wenn wir die zahlreichen Hinrichtungen betrachten. Neben Enthaupten Hängen Ertränken steht das häufige Rädern; das Vierteilen, dem das Herausschneiden des Herzens aus dem lebenden Leibe voranging; das Pfählen; das Verbrennen, als dessen stärkste Anwendung die gemeinsame Vernichtung von achtzehn Lombarden 1474 gelten kann; das lebendig Begraben, nur an Frauen vollzogen; das Todsieden der Münzfälscher in einem Kessel voll Öles 1406, 1433 zweimal, 1470.

[341] Die früheste Richtstätte war wohl auf dem Markte; sie wurde noch Jahrhunderte lang durch „die Steine“, „den heißen Stein“, neben dem Pranger bezeichnet, und in Festhalten dieser ursprünglichen Bestimmung und Auszeichnung des Ortes wurde er für Exekutionen politischer Verbrecher noch lange verwendet, während die übrigen Hinrichtungen vor der Stadt vollzogen wurden. Im XIII. Jahrhundert geschah dies auf dem Lisbüchel; hier stand der Galgen, der dann auf den Gellert verlegt wurde. Seit Beginn des XIV. Jahrhunderts war hier auf dem Gellert die Hauptrichtstätte für Hängen Enthaupten Rädern usw.; im XV. Jahrhundert finden wir neben ihr einen Platz vor dem Steinentor gebraucht; auf diesem wurden 1474 die Lombarden verbrannt, 1496 Heinrich Rieher enthauptet.

Nach den Vielen, die mit dem Verbrecher während der Prozedur zu tun bekamen — den Stadtknechten und Wachtmeistern, dem Folterer, den Inquirenten, den Anklägern, den Urteilern, dem Vogt Schultheis; Freiamtmann Beichtvater „Brüderlein“ —, war der Letzte, dem er in die Hände fiel, der Nachrichter.

Dieser Beamte hat eine durchaus ungewöhnliche Stellung. Er gilt als ehrlos und durch sein Gewerbe, das auch die Besorgung krepierter Tiere umfaßt, beschimpft; aber auch als schwer sündig. Will er sein Amt niederlegen, so muß er sich bekehren und öffentlich Buße tun für sein Handeln. Er wohnt abseits, auf dem Kohlenberge, bei dem Gesindel. Seine Person und seine Ehre gelten auch dem Rate Nichts, dem er doch dient; er wird nicht von diesem gewählt, hat keinerlei Berührung mit ihm, steht ausschließlich unter dem obersten Ratsknecht, dem ja auch die Hurenwirte, die Totengräber und im XV. Jahrhundert die Juden unterstehen; dieser ernennt ihn, entläßt ihn, beerbt ihn, leiht ihn aus der Stadt, Andern zu dienen. Bei alledem ist er nie und nirgends entbehrlich; auch wenn die Stadt unter ihrem Banner ins Feld rückt, muß der Henker mitziehen, damit Übel und Ungehorsam sofort gestraft werden können; ebenso bei großen Kirchweihbesuchen. Wie wichtig dieser Mann ist, zeigt sich auch darin, daß ihn die Nachbarn Basels gelegentlich brauchen, wenn sie selbst ohne Henker sind; sie lassen ihre Delinquenten in Basel abtun oder den Basler Nachrichter zu ihnen kommen. Als Besoldung hat der Nachrichter einen Wochenlohn, Außerdem für jede einzelne Verrichtung Bezahlung nach Tarif.

„Auf Gnade des Rates“ wurde zuweilen die Verbannung ausgesprochen, d. h. ihre Dauer stand im Belieben der Behörde. Wir sehen aber den Rat sein Gnadenrecht auch sonst üben, wirksam in den Fällen todeswürdigen [342] Verbrechens, am eindrücklichsten da, wo der Strafvollzug gar nicht gelingt, Gott also ersichtlichermaßen den Tod des Sünders nicht will, sondern der Gehenkte lebend vom Strick, die Ertränkte lebend aus dem Rheine kommt; da wird Gnade geübt und das Leben gelassen. Im Übrigen begnadigte der Rat: wegen zarter Jugend; wegen Schwangerschaft; 1418 um der herrschenden Pestilenz willen; am häufigsten aber auf Gnadenbitten hin. Auf Fürbitte von Fürsten, von Verwandten und Freunden, „auf Fürbitte Vieler“. Als besonders schön erscheint die Fürbitte einer hohen Frau; so rettete 1483 die Markgräfin von Baden einen Jüngling, „der in Basel auf dem Wege zum Galgen war“, und als vor Ostern 1471 der Gerber Konrad Hennentaler wegen Diebstahls verurteilt und im Rathaushofe schon dem Nachrichter übergeben war, bat für ihn Frau Anna von Baldeck geborne von Thengen „umb diser heiligen zit, ouch siner jugend willen“, worauf ihm Gnade ward. Doch brachte die Gnade nicht völligen Strafnachlaß, sondern Strafumwandlung Straflinderung. Die an Stelle von Hinrichtung tretende Strafe bestand etwa in Haft, in Absprechung der Wehr, in Ausstellung am Pranger, meist aber in Verweisung; den Verurteilten, dem man das Leben geschenkt, wollte man hier nicht dulden, sondern schickte ihn fort, ins Elend. Die Verweisungsstrafe aber sehen wir etwa in eine Vermögensstrafe umwandeln; oder die Verweisung soll aufgehoben werden, wenn der Verbannte „etwas ernstlichs uf unser vigend geschaffet“ haben wird; am häufigsten sind die Fälle, daß Exilierte sowie Geächtete im Gefolge und unter dem Schutze des Kaisers, eines Fürsten, eines Kardinals usw., der feierlichen Besuch in Basel macht, mit hereinkommen und auf seine Verwendung vom Rate begnadigt werden.


Kleinbasel zeigt auch bei der Kriminaljustiz die Einrichtungen der Hauptstadt in verkürztem Maßstabe.

Die hohe Gerichtsbarkeit war hier zu Beginn Sache des Bischofs; von ihrer tatsächlichen Ausübung ist bestimmt die Rede, und 1360 verständigten sich die Räte der beiden Städte über Gegenseitigkeit des Verfahrens beim Richten über Totschlag und Wunden. 1392 geschah dann die Vereinigung. Aber sie hinderte auch hier nicht das Weiterdauern gesonderten Wesens.

Kleinbasel hatte sein eigenes Strafgericht, und seine eigenen Unzüchter, als eigenes Gefängnis den „Käfig“ im Richthaus, als eigene Richtstätte den Galgen auf dem Feld neben der Riehenstraße. Großbaslerisch war nur der Henker; wie dieser in der Landschaft die Urteile der Landgerichte vollzog, so hier die Kleinbasler Urteile.

[343] Eine abseits gelegene, wunderliche Provinz der städtischen Rechtspflege endlich finden wir im Gericht auf dem Kohlenberg. Es war keine Schöpfung der Stadt, sondern wurde wohl mit der Vogtei von ihr übernommen, als alte Gerichtsstätte des fahrenden unehrlichen Volkes.

Diese Gerichtsstätte lag auf dem Kohlenberg, wo die Fahrenden beim Vorbeistreifen Herberge und Freistatt fanden sowie in den dort Angesiedelten Solche, die ihnen selbst gleich oder verwandt waren. Das Gericht heißt zuständig für Frevel und Unzuchten (Schlag- und Schelthändel usw.) der Totengräber, der Bettler, der Gauner, des Henkers und seiner Knechte, ferner für Schuldsachen zwischen fahrenden Töchtern und Frauenwirten, während deren Frevel und Unzuchten vor das ordentliche Gericht unten in der Stadt gehören. Aber Urteiler und Richter sind weder Frauenwirte noch Totengräber noch der Henker noch Bettler und Gauner, sondern die Freiheitsknaben.

Auf dem offenen Kohlenberg, vor des Henkers Haus, unter der Linde ist der Ort des Gerichtes. Sieben Freiheiten sitzen auf der Bank, alle mit entblößtem rechtem Bein; der älteste unter ihnen präsidiert, den Gerichtsstab in der Rechten haltend, den Fuß des nackten Beines in einen neuen Zuber voll Wasser stellend. Dies ist Kohlenberger Recht; im Übrigen vollzieht sich Alles nach den Formen des ordentlichen Verfahrens. Der präsidierende Freiheit verkündet das Urteil im Namen des Rates und auf Befehl des Vogtes; dieser steht während der Verhandlung hinter ihm, unterweisend und leitend; auch die Amtleute und der Schreiber des Stadtgerichtes wirken mit.

So vollzieht sich dieses Gericht, von der städtischen Gerichtsgewalt zwar rings umgeben, doch auf sich selbst gestellt, in seiner Eigenheit geschlossen. Es bietet Rechtsordnung und Rechtspflege auch den verstoßenen, den fremden und schweifenden Leuten, mit deren Händeln das Stadtgericht sich nicht beladen noch beschmutzen mag oder über die es keinen Gerichtszwang hat.


Der Beruf von Obrigkeit auferlegte dem Rat ohne weiteres auch die Fürsorge für Ruhe Ordnung Anstand, die Beaufsichtigung und Lenkung des gewöhnlichen Lebens.

Kein bestimmtes Recht kam hiebei zur Anwendung, keine speziellen Organe bestanden für diese Geschäfte, aus deren Mannigfaltigkeit wir hier nur Vereinzeltes nennen können.

Unmittelbar auf dem Gedanken des Stadtfriedens ruhte die Ordnung über das Tragen von Waffen. Grundsatz war, daß Niemand „lange Messer“ [344] d. h. Schwerter und Degen von ungebührlicher Länge an sich haben solle. Das beständige Herumgehen mit großen Kampf- und Kriegswaffen erschien als untunlich, Tragen gewöhnlicher Wehr war aber Keinem untersagt und das zulässige Maß solcher am Rathause befestigt.

Daß diese Ordnung schon frühe galt, zeigt die Opposition der Domherren 1317. Sie machten für sich eine Freiheit vom Verbote der langen Messer geltend und führten wohl außerdem das Wort für andre, sich gleichfalls weltlich geberdende Kleriker sowie für Edelleute des Domstifts. Aber das Verbot scheint schon bald nach dieser Einsprache außer Kraft gesetzt worden zu sein. Wie es wiederholt in kriegerisch erregten Zeiten, wo die sofortige Schlagfertigkeit des Einzelnen nicht geschmälert werden sollte, suspendiert wurde, so offenbar auch während der Kämpfe Ludwigs des Bayern mit der Kurie; die Einungbriefe von 1339 bedrohten mit Strafe das geharnischt Herumgehen, nicht das Tragen langer Messer.

Dann aber scheint die Auffassung strenger und die Suspension seltener geworden zu sein. Einen Einspruch wiederum des Domkapitels vernehmen wir im Jahre 1366. Das Verbot war jetzt die Norm, allerdings eine viel mißachtete, sodaß es in den Proklamationen des Rates unaufhörlich wiederkehrte. Verschärfung der Strafe trat ein bei Schwerttragen zur Nachtzeit.

Die Gebietenden und die Ordnung Handhabenden mußten aber vom Verbote frei sein, und natürlich wuchsen die Listen dieser Privilegierten. Zu den Häuptern, den Ratsherren, den Wachtmeistern Söldnern Torhütern traten der Vogt, die Schultheißen, die Amtleute, der Brotmeister, später sämtliche Sechser, die Stubenmeister und die Stubenknechte. Von Anbeginn stand dies Schwertrecht auch den vier Erbämtern des Hochstifts zu und in früherer Zeit den Domherren sowie den Bütteln der geistlichen Gerichte.


Jederzeit begreiflich und allgemein giltig war das Verbot nächtlichen Lärmens, des „Nachtgeschreis“; ein besonderes Bedürfnis der unbeleuchteten und unsichern Stadt das Verbot, nach dem „Glöcklein“ ohne Laterne oder Fackel auszugehen; als einheimisch baslerische Eigenart würden gelten können, sind aber auch anderwärts in Menge und Mannigfaltigkeit zu betreffen die Spottverse, die Hohngesänge, die aufreizenden Lieder, die von Mund zu Mund gingen und der Behörde zu schaffen machten. Sie waren verschiedener Art: das Lied von der Geiß z. B. gab die Schneider dem Lachen preis; das Lied vom Toldrion scheint einem Einzelnen gegolten zu haben; vor Allem aber drängten Krieg und politischer Streit zur Äußerung im Liede, [345] und wir vernehmen von zahlreichen Produkten dieser Gattung, von den nur beiläufig uns bekannt werdenden, mit dem erregten Moment, der sie geschaffen, wieder vergehenden Epigrammen oder Gesängen bis zu den großen Kampf- und Triumphdichtungen des Sempacher- und des Dornacherliedes.


Nur unvollkommen, aus weiter Ferne her und durch Zwischenliegendes tausendfach gebrochen und geschwächt erreicht uns dieser Lärm. Er ist Genosse und Ergebnis einer erstaunlichen Kraft Sorglosigkeit Wildheit, der gegenüber all die Strenge der Behörde doch nur als etwas Unzulängliches erscheint. Die Leistungsbücher z. B, zeigen uns ein Jahrhundert lang eine nicht endende Menge von Gewalttaten aller Art: Verwundungen, wüste Worte, Totschläge, Aufbrechen von Häusern, mit Schwertern in und durch die Haustüren Stechen, ein Geläufe und Gereiße; und sie zeigen nur die stärksten Vorfälle aus der Masse. Daß dies gewaltsame Treiben alltäglich war, im öffentlichen Leben seine feste Stelle einnahm wie etwas Unvermeidliches, bestimmte Geist und Haltung der Friedenspolizei; sie konnte nicht an Beseitigen denken, nur an den Versuch, Schranken zu setzen. Wie die Arbeit, die Andacht, Unglück und Krankheit stets auf der Gasse zu sehen waren, so ergingen sich Lust Ungebühr Haß draußen, vor Aller Augen, in den breitesten Formen und ohne Scheu noch Rücksicht.

Immerhin ist im Verhalten des Staates zu diesen Dingen seit den Jahren des Konzils eine Änderung wahrzunehmen. Die strengeren Vorschriften, die in dieser Zeit zum ersten Mal aufgestellt wurden, trafen den weitesten Bereich von Lebensweise und Vergnügen des Volkes. Deutlich drängte das Konzil zu einer umfassenden Regelung der öffentlichen Sitte. In den Schriftstücken, mit denen es seine Forderungen stellte, ist nicht allein von Huren Kupplern Ehebrechern die Rede; auch Spiel, Tanz, Kauf und Verkauf an Feiertagen, Wirten zur Zeit der Messe, Waffentragen, unanständige Kleidung, Kinderzucht werden behandelt. Zu diesen Begehren der Kirche trat, was die Stadt dem vielgestaltigen und ungeberdigen Wesen dieser Masseneinquartierung gegenüber von sich aus anordnen mußte. Und von diesem ganzen Komplex momentaner Forderungen und Einrichtungen fand dann das Meiste, durch eine allgemeine Entwicklung getragen, nach und nach Eingang in die städtische Gesetzgebung. Der eigentümliche Reiz beim Betrachten dieser zahllosen Ratserlasse und Verbote ruht dann darin, daß der Schärfung der Polizei, der Ausbildung eines empfindlicheren Gefühls für Ordnung und Sitte eine außerordentliche Zunahme von Lebenslust Unbotmäßigkeit Leidenschaft antwortet.

[346] Spiel mit Würfeln, mit Karten und im Brett, in den zahlreichsten Abarten und Variationen, war ursprünglich keineswegs verboten. Nur einzelne Eingriffe in die Spielfreiheit beliebten schon frühe, auf Grund der Erwägung, daß das Spielen Anlaß gebe zu Streit und namentlich zu Gotteslästerung. Die Mandate gingen gemeinsam gegen Spielen und Fluchen. Daher war das Spiel verboten in der heiligen Fastenzeit, an hohen Festtagen, während des Läutens wider Gewitter. Die Verbote galten für das ganze Stadtfriedensgebiet innerhalb der Kreuzsteine.

Nun aber erhob sich das Konzil mit Vorschriften vor Allem gegen das Würfelspiel, das auch in der städtischen Gesetzgebung als das übelste der Spiele galt. Auch mochte die Falschspielerbande, deren man 1433 bei betrügerischem Kartenspiel habhaft wurde, zu denken geben. Jedenfalls finden wir schon bald nachher eine neue Spielpolizei. Während man bis dahin das Spiel geduldet und höchstens seinen Mißbrauch in der Form der „groben ufsetzigen“ Spiele getadelt hatte, wurde jetzt das allgemeine Verbot Grundsatz und Befreiung hievon ausdrücklich nur für ein gemäßigtes harmloses Spielen gewährt. Zur Kurzweil, mit kleinem Einsatz durfte noch im Brett gespielt oder „schlechtlich“ um einen Kreuzer gekartet werden.

Zu allen Zeiten aber war jedes Spielverbot aufgehoben und galt unbeschränkte Spielfreiheit für die Mitglieder der Hohen Stube.


Enea Silvio malt ein anmutiges Bild des Lebens auf den grünen schattigen Plätzen Basels, wo die Jugend zusammenkam und mit Wettlauf Wettsprung Reiten Bogenschießen Steinstoßen sich vergnügte; die zuschauende Menge lohnte die Sieger mit Kränzen: Gesang und Reigentanz vereinigte die Mädchen. Auch dem Kugelwerfen sah hier Enea zu und konnte es, wie vor ihm Poggio in Oberbaden, mit dem Ballspiel seiner schönen Heimat vergleichen.

Bei diesem Kugelwerfen hatten die Ratserlasse wiederholt zur Mäßigung zu mahnen, zur Schonung der Fensterscheiben und der Ziegel auf den Dächern. Auch vom Kegeln ist schon frühe die Rede, vom Barrenlauf, vom Springen durch Reife usw.; 1468 sehen wir Metzgerknechte auf dem Fischmarkte sich im Steinstoßen üben. Aber der klassische Ort Basels für solche Belustigungen war der Petersplatz.

Eigentum des St. Petersstifts und daher noch 1377 „der herren platz von St. Peter“ genannt, aber durch die Kapitularen schon früh allgemeinem Gebrauche geöffnet, erscheint dieser Platz durchaus als städtischer Lustgarten. Sein Gegenstück der bischöfliche Hof in Kleinbasel, der im XIV. Jahrhundert, [347] vor dem Übergang an die Karthause, der rechtsrheinische Festplatz Basels für Turniere Tänze Spiele war.

Schon daß der Petersplatz Schießrain und Haus der Armbrustschützen enthielt und an das städtische Arsenal grenzte, gab ihm Charakter. In seinen schattenreichen Laubgängen veranstaltete die Stadt gern ihre großen Feste; hier feierte sie 1445 die Papsttochter Margaretha, 1473 den Kaiser Friedrich. Ausdrücklich war den Anwohnern verboten, ihre Hühner und Kühe auf den Platz laufen zu lassen, dessen Vornehmheit gewahrt bleiben sollte und ihren passendsten Ausdruck in einem auserlesenen Baumschmucke fand. Unaufhörlich sind die Zahlungen für die Pflege der vielen Linden des Petersplatzes sowie der berühmten großen Eiche, die beim Brunnen vor dem Stachelschützenhause stand. Sie wurde wie ein heiliges Altertum behütet und besorgt; vielleicht der letzte Rest des Urwaldes, der einst diese Höhe bedeckt hatte. Nicht ragenden Wuchses, sondern niedergedrungen, von breitem Stamm und außerordentlich dichter Belaubung. Die starken Äste, in Mannshöhe kunstreich in die Breite gezogen und ausgeweitet, „zerlegt“, von mehreren Säulenreihen gestützt, trugen im Blätterschatten einen weiten runden Raum, zu dem eine Stiege hinaufführte. So war dieser gewaltige und ehrwürdige Baum eine der Sehenswürdigkeiten Basels, die zu bewundern kein Fremder unterließ, bis die zu gleicher Größe heranwachsende Linde der Münsterpfalz ebenfalls Ruhm zu erwerben begann.

Alljährlich im Frühling hatten die Stadtknechte den Spiel- und Festplatz zu St. Peter herzurichten, die Bänke unter den Linden aufzuschlagen. Aber die Lebensfreude und Kraft, die hier im prachtvollen geschlossenen Rahmen dieser Gebäude Baumgruppen und Büsche sich erging, erscheint als allverbreitet durch die ganze Stadt, ohne daß eine obrigkeitliche Bedenklichkeit oder Opposition sich vernehmen läßt. Erst während der aufs höchste gesteigerten Zeiten zu Beginn des XVI. Jahrhunderts werden mahnende Stimmen laut. Das Tanzen zu Pfeife und Saitenspiel auf offener Gasse wird verboten; dann das Tanzen überhaupt außer an Hochzeiten; aber auch das Schlittenfahren außer am Kohlenberg, das Schneeballwerfen u. dgl. m.


Im Tumulte dieses die Gesamtheit des Stadtvolks und sein nächstes tagtägliches Dasein umfassenden Treibens fand das uneheliche Geschlechtsleben zunächst wenig offizielle Beachtung. Es erschien als eine persönliche Sache, die ein Zugreifen von Polizei und Gesetz nur insoweit ertrug, als die öffentliche Ordnung oder das Recht dabei in Frage kamen; daher die obrigkeitliche Sorge für Bordelle, das Fortweisen herumschweifender Buhlerinnen, [348] die Maßregeln gegen ungebührliches Wesen ihrer Helfer der „Riffiane“, das Bastardenrecht. Dies Alles und die weitere Entwickelung des öffentlichen Verhaltens zu diesen Dingen wird bei der Schilderung der allgemeinen sittlichen und religiösen Zustände zu betrachten sein.


Völlig als eine Sache für sich erscheint die Polizei der Advents-, Neujahrs- und Fastnachtszeit, die in zahlreichen Erlassen des Rates sich ausspricht. Mehr als jede andre Sittenordnung macht sie den Eindruck des zugestandenermaßen vergeblichen Bemühens einem ganz unhemmbaren Drang und Willen des Volkes gegenüber.

In den Begehungen der ersten Jahreswochen wirkten zum Teil uralte Gewohnheiten weiter. Hinter ihren Lustbarkeiten lebte etwas Tieferes, aus der Beobachtung und Verehrung einer noch nahen Natur und dem scheuen Glauben an Dämonen erwachsen; dem Volke erschienen diese Lustbarkeiten als Anwendungen eines Rechtes, das nicht preisgegeben werden dürfe, und mancher Brauch konnte geradezu wie die Erfüllung einer geheimnisvollen Pflicht empfunden werden.

Die Neujahrsfeier, die dem Kirchenfeste und dem von der Kirche gebotenen Jahresanfang zu Weihnachten als weltlicher Beginn des neuen Jahres folgte, ist uns am lebendigsten überliefert in den Gebräuchen der Gesellschaften auf Zünften usw. „Alle Welt war an diesem Tage beieinander“, aß und zechte; auch das Schenken und Beschenktwerden, das die Neujahrszeit auszeichnete, fand in diesen Gesellschaften seine öffentlich sanktionierte und stilisierte Form: wer sein „Gutjahrgeld“ auf die Stube der Gesellschaft sandte, konnte dafür einen Teil der Gallerte erhalten, bei deren fast ritueller Bereitung in der Gesellschaftsküche die Sechserherren mit am Herde standen.

Von der Macht und Fülle des Behagens aber, der Erfindung und Lust, der wilden Naturfreude, die während der dem Neujahr folgenden Zeit bis zum Aschermittwoch die ganze Stadt erregte, ist nur schwer noch eine Vorstellung zu gewinnen. Ein wunderbares Gemenge alter Frühlingsgebräuche, eingebornen und römischen Wesens, religiöser Vorstellungen und weltlicher Fröhlichkeit, Alles gedrängt und gesteigert durch den Gedanken an die bevorstehenden langen Fasten, bildete das Fastnachtstreiben, das in den offiziellen Verboten und Strafmandaten allzu einseitig nur als Ausschreitung und Wüstheit geschildert wird. Neben den Gelagen und Schmausereien, als deren Spezialität die Fastnachtsküchlein sich bemerklich machen, beachten wir die solennen Besuche, die sich Zünfte und Gesellschaften, etwa in voller Harnischausrüstung, bei ihren Festen abstatten; dann das [349] Herumziehen Einzelner oder kleiner Gruppen durch die Gassen mit Trommeln Pfeifen Geschrei und Jauchzen; die Tänze; in früherer Zeit die Turniere des Adels; endlich als eigenartige, bald ausgelassene, bald erlesene Unterhaltung die dramatischen Spiele, in deren drastischer Behandlung von Stadtgeschichten Weltbegebenheiten und allgemeinen Lebenszuständen wenigstens die Satire zu ihrem Rechte kam. Alles dies haben wir uns umgeben zu denken von dem allgemeinen Bestreben, durch Änderung des Kleides, Schwärzen oder Maskieren des Gesichtes die Stadt mit einer neuen, völlig phantastischen Bevölkerung zu füllen.

Mit dem Aschermittwoch ging dies Fastnachtswesen zu Ende, die „heilige Zeit der höchstgebannten Fasten“ begann, und „jeder Christenmensch sollte schon diesen Tag mit Fasten begehen und sich unziemlicher Geberde enthalten“. Statt dessen ist allenthalben noch einmal, zum letzten Mal, großes Bankettieren, und die Gesellschaftsbrüder, die sich der Teilnahme weigern, werden dazu gezwungen; man holt sie mit Gewalt aus ihren Häusern, man wirft sie in die Brunnen. Wer ruhig seines Weges geht, kann erwarten, daß Mutwillige ihm das Gesicht mit Ruß schwärzen.

Drei Tage hernach dann, am Sonntag Invocavit, das Schönste: da Abends auf dem Petersplatz und in den Vorstädten Feuer entzündet werden und auf der Pfalz hinter dem Münster die Jugend brennende Holzscheiben in den Strom wirft; mit lodernden Fackeln zieht man durch die nächtliche Stadt.

Merkwürdig steht diesem alten Besitze das Neue gegenüber, das zu Beginn des XV. Jahrhunderts hier bekannt wurde und sofort Aufnahme fand: die Maskierungen und Bettelumzüge der Mittwinterzeit. Wir wissen nicht, woher dieser Import in die Stadt kam, ob nur vom umliegenden Lande oder von weiter her. Jedenfalls erhob sich der Rat sofort gegen diese „bösen Gewohnheiten“. Man zog zur Adventszeit in den Masken tierischer oder dämonischer Gestalten lärmend durch die Stadt; man legte Teufelshäute an, stellte auch Bischöfe oder Königinnen dar. Alle Welt nahm hieran Teil, Geistliche gleich den Laien und neben dem Volke die Edeln. Noch anstößiger waren der Behörde die Umzüge zur Weihnachtszeit; in den „Bochselnächten“ wurde herumgeschwärmt, an die Haustüren gepocht, mit Liedern um Würste oder Geld gebettelt. Unwillig tadelte der Rat, daß man mit diesem neuen Brauche die Stadt „zu einem Dorf mache“.


Hier würden uns auch das Spital, das Siechenhaus, teilweise die Armenpflege zu beschäftigen haben. Es handelt sich dabei um obrigkeitliche [350] Tätigkeit, um Anstalten, die in den städtischen Organismus eingefügt waren und durch den Rat und seine Organe geleitet wurden. Dennoch dürfen wir hier an dies ganze Gebiet nur erinnern. Die private Fürsorge und Hingebung, außerdem die Devotion bemächtigten sich des Gegenstandes in einem Maße, daß das Städtische für uns völlig Zurücktritt hinter der privaten Leistung und Gesinnung. Wir tun daher besser, diese Einrichtungen an andrer Stelle, nicht im Zusammenhangs des Stadtregiments, zu betrachten.