Glück durch Unglück

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Autor: Johann Gottlieb Schildbach
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Titel: Glück durch Unglück
Untertitel: Ein Lustspiel in einem Aufzuge
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Erscheinungsdatum: 1808
Verlag: Wallishausser
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Erscheinungsort: Wien
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[Ξ]
Glück durch Unglück.




Ein
Lustspiel
in einem Aufzuge.


Von
Schildbach.




Für das k. k. privil. Theater an der Wien.



Wien, 1808.
Im Verlag bey Johann Baptist Wallishausser.


[Ξ]
Personen.

  • Hirsch, Judenrichter.
  • Rebekke, seine kleine Tochter.
  • Ester, seine Magd.
  • Moses, ihr Bruder.
  • Korporal Sturm.
Die Handlung geht in der Wohnung des Judenrichters vor.

[Ξ]
(Wohnung des Judenrichters.)


Erster Auftritt.
Ester allein, räumt im Zimmer auf.

So möcht’ ich doch nur wissen, warum Moses noch nicht kommt. Gleich wird es zehn Uhr seyn: Der Herr kommt bald zurück, und wenn er den Leuchter nicht sieht, so geht der Lärm von neuem an. – Wenn nur Moses einen findet, der dazu paßt, sonst muß ich wahrhaftig ein Paar neue kaufen. (man pocht) Herein!


Zweyter Auftritt.
Ester. Moses.

Moses. (guckt furchtsam herein) Mit Verlaub!

Ester. Da ist er.

Moses. Darf man herein?

Ester. Moses, bist du’s?

Moses. Ja, Esterle, ich bin’s.

Ester. Komm herein!

[4] Moses. Bist du allein? Ist der Herr Richter nicht zu Hause?

Ester. Nein.

Moses. Die kleine Rebekke auch nicht?

Ester. Nein.

Moses. Ich muß dir etwas sagen: komm heraus zu mir.

Ester. Komm herein!

Moses. Ich getraue mich nicht.

Ester. Warum wirst du dich nicht getrauen? Bin ich doch ganz allein.

Moses. Ich fürchte mich.

Ester. Warum wirst du dich fürchten, du Chamerkopf! was stehst du da unter der Thüre? (zieht ihn herein) Da komm herein!

Moses. Nun, da bin ich.

Ester. Hast du gefunden?

Moses. Ja, gefunden hab’ ich.

Ester. So gieb her den Leuchter.

Moses. Was für einen Leuchter?

Ester. Habe ich dir nicht gestern gesagt, daß mir ein Leuchter aus der Küche gestohlen worden ist? Hab’ ich dir nicht gesagt, du sollst mir einen andern gleichen dazu kaufen, daß der Herr Richter nichts davon erfährt? Hast du gesucht bey den Trödlern auf dem Markt?

Moses. Nein.

Ester. Warum nicht?

Moses. Darum, weil ich vergessen habe.

Ester. So geh deiner Wege! Geh und sieh dich um! Ich sag’s ja, zu nichts kann man dich brauchen, du Mamser!

[5] Moses. Was bin ich ein Mamser? Warum?

Ester. Darum, weil du deiner Schwester gar nichts zu Gefallen thust.

Moses. Was heißt das Geserre? Sey stat, Esterle, ich bring dir was.

Ester. Mein! Moses? Was bringst du mir? Gieb her!

Moses. Stat! – Du weißt, Esterle, daß ich bis jetzt gehandelt habe mit Hemdeknöpfen, Feuersteinen, alten Kleidern, Messing, Kupfer und Eisen.

Ester. Nu, das weiß ich. Was geht das mich an?

Moses. Stat! Du weißt, daß mein ganz Kapital besteht aus zwanzig Gulden, und daß ich damit kaum eine Wassersuppen und einen Barches verdienen kann.

Ester. Nun, was kann ich dafür? Hast du nicht alle Schabbes etwas zu essen bey mir, was ich mir von Munde abspare?

Moses. Ich weiß es. Du bist ein gutes Mädel. Aber stat! du weißt, daß ich vom frühen Morgen bis in die Nacht durch alle Straßen laufe, um einige Groschen zu verdienen, damit ich als ein ehrlicher Kerl leben kann.

Ester. Nun, daß weiß ich doch alles schon lange. Arbeiten muß jeder Mensch, wenn er leben will.

Moses. Stat! Laß dir sagen. Wenn du mir versprichst, keiner Seele etwas zu verrathen, will ich dir etwas vertrauen.

[6] Ester. Was werd’ ich verrathen?

Moses. Gieb mir die Hand drauf.

Ester. Da hast du sie. Nun, was vertraust du mir?

Moses. (sich ängstlich umsehend) Wir sind doch allein? Es ist doch kein Horcher an der Wand?

Ester. Mach fort, sonst kommt der Herr Richter. Was hast du?

Moses (geheimnißvoll) Höre zu: Bin ich heute morgen früh ausgegangen auf Massematten. Bin ich gekommen zu gehn in der Gasse, wo man gebaut hat den neuen großen Tanzsaal. Ist es doch noch gewesen ganz dunklicht: bin ich gegangen a so in meinen Gedanken meinen Weg, hab’ in einige Häuser gerufen: Handeln was? so liegt an der Mauer im Winkel bey einem Eckstein, wo man geht in eine kleine Gasse, etwas rothes auf der Erde.

Ester. Mein! Was ist gelegen? ich bitte dich.

Moses. Stat, sag ich. Einer muß reden. Ich habe mich umgesehen, bald rechts, bald links, bald vorn, bald hinten: kein Mensch ist gegangen: was hab’ ich gethan?

Ester. Nun? Was hast du gethan?

Moses. Habe ich mich gebückt, langsam und stat, hab’ ich niedergelegt mein Bündel, und aufgehoben ein feines rothes ledernes Brieftäschel, was einer von die Ballgäste muß verloren haben.

Ester. Gotteswunder! Ein Brieftäschel?

[7] Moses. Bin ich gekrochen gleich in ein kleines Haus darneben, hab’ ich gesucht, was drinn ist, und hab’ ich drinn gefunden hundert Gulden Bankozettel und eine Menge papierne Schriften dabey.

Ester. Mein! Moses, wo hast du’s?

Moses. Da hab’ ich’s.

Ester. Moses, mein Herz! Gieb her das Brieftäschel!

Moses. Was willst du damit?

Ester. Ich werde dir’s aufheben.

Moses. Das Brieftäschel will ich dir ja geben, verstehst du mich, aber mit dem Gelde werd’ ich gleich anfangen auf der Stelle einen großen Handel.

Ester. Aber das Geld gehört doch nicht dein. Als sich einer meldet, der’s verloren hat; so mußt du’s zurück geben.

Moses. Und mit der Großen Handelschaft ist’s vorbey?

Ester. Freylich.

Moses. So geb’ ichs nicht zurück.

Ester. Weh! Zurückgeben mußt du’s. Ich will keinen Ganif zum Bruder haben.

Moses. Habe ich’s doch nicht geganift: hab’ ich’s doch gefunden auf die ehrlichste Art beym Eckstein. Kann ich’s wenigstens so lange behalten im Handel und Wandel, bis ich ein Stück Geld damit verdient habe.

Ester. Auch dazu hast du kein Recht.

Moses. Ich weiß, aber – ich habe doch auch schon verloren allerhand, Schnupftüchel, [8] Tabackdosen und andre Sachen, a wade, und nichts zurück bekommen. Und wer weiß, ob es einer verloren hat, der’s zurück verlangt.

Ester. Das wird man sehen. Nun gieb her; ich will dir’s indeß aufheben, daß du’s nicht etwa auch wieder verlierst.

Moses. Ich werd’s nicht verlieren.

Ester. Oder wer weiß: Es kann’s Einer gewahr werden bey dir, und kann meinen, du hast es gestohlen.

Moses. Kri über ihn!

Ester. Oder es kann Einer gehen hinter dir, und zieht dir’s sauber aus der Tasche, und du hast nichts.

Moses. Hast recht, Esterle! Ich werde dir geben das Brieftäschel in Verwahrung, aber 50 Gulden nehme ich heraus (er thut es) indeß, und –

Ester. Was thust du? (will ihm die Brieftasche wegnehmen, es fällt, ohne daß beyde es bemerken, ein zusammengelegtes Loos von der großen Lotterie heraus) Wozu wirst du so viel fremdes Geld bey dir tragen?

Moses. (hält die Brieftasche fest) Werd’ ich gleich gehn in eine Lizitation, und kaufen altes Gold und Silber, Uhren und Ringe. Heute ist ein glücklicher Tag für mich, ich kann gewinnen ein schönes Stück Geld dabey. Siehst du? 50 nehm ich heraus, und das übrige hebst du auf mitsammt dem Brieftäschel. (er wickelt sie wieder zusammen, und steckt das Geld ein, nimmt zugleich einige Paar Hemdknöpfe und kleine messingene [9] Ringe heraus) Dafür kauf ich dir auch von meinem Rebach einen schönen Leuchter, den man dir gestern gestohlen hat. Aber das sag ich dir, sey gescheid, und sage keiner lebendigen Seele ein Wort von dem Brieftäschel.

Ester. Was soll ich sagen? Werd’ ich doch stumm seyn wie ein Fisch darüber. (steckt die Brieftasche ein.)

Moses. (läßt ein Paar Hemdknöpfe fallen, bückt sich, und hebt sie nebst dem Loose auf) Das Papier kann ich ja brauchen. (wickelt die Hemdknöpfe und Ringe drein, und steckt sie zu sich.)


Dritter Auftritt.
Vorige. Hirsch, dann Rebekke.

Hirsch. (im Seitenzimmer) Rebekke!

Ester. (etwas erschrocken) Reb Hirsch ist heim gekommen. Geh fort.

Moses. Morgen früh komm ich her, und bring dir –

Hirsch. (inwendig) Rebekke! Warum kommst du nicht herein?

Ester. Geh fort, sag’ ich.

Moses. Gieb gut Acht auf’s Brieftäschel! verstehst du?

Ester. Ja, sag’ ich. Geh nur fort. (stößt ihn nach der Mittelthüre) Mach mich nicht mischüge.

Moses. (unter der Thüre zurückredend, indem [10] er sie aufmacht) Nu, a wade, was stößt du mich so?

Rebekke. (tritt ein) Was ist das? Ich meine, du bekommst Visiten, wenn niemand zu Hause ist?

Ester. Es ist doch mein leiblicher Bruder Moses.

Reb. Was macht er da im Zimmer bey dir?

Moses. Gar nichts, meine schöne Jungfer Rebekke, gar nichts. Ich befehle mich. (ab)

Reb. Was hat er gewollt?

Ester. Gar nichts. Er ist vorbey gegangen, und da hat er mich ein bischen heimgesucht.

Reb. Ist der Tati daheim? Ich hab’ ihn verloren.

Ester. Ich meine, er ist über die hintere Stiegen gekommen: Hat er doch schon gekrischen in seinem Zimmer zweymal Rebekke! Rebekke!

Reb. (öffnet die Seitenthüre) Tateleben! Da bin ich.

Hirsch. (kommt heraus) Du kleine Fitsch! Wo laufst du herum?

Reb. Gar nichts lauf ich herum. Hab’ ich doch nur gekauft für’n Tati einen frischen Taback. (giebt ihm eine Düte mit Taback)

Hirsch. Ist’s doch wahr! (leert ihn auf dem Tische aus, und sieht ein Blatt Papier liegen) Gieb her! – Was ist das für ein Papier? (nimmt die Brille)

[11] Ester. Ein gedruckter Zettel: es hat ihn einer gebracht.

Hirsch. (nimmt das Papier, setzt die Brille auf) Was ist’s denn schon wieder?

Reb. Gieb her, Tati! Laß mich lesen!

Hirsch. Geh fort; was willst du? (liest) „Beschreibung einer in Verlust gerathenen Brieftasche!“

Ester. (bey Seite) A wade! da ist mein Aches in Brunn gefallen!

Hirsch. (liest weiter) „Heute morgen ist von der neuen Kaserne bis in die Stadt eine rothlederne Brieftasche verloren gegangen. Es befanden sich darinn zwey Bankozettel von 50 fl.“

Ester. (für sich) A wade! a wade!

Hirsch. (liest weiter) „Mehrere wichtige Papiere, Kompagnielisten und ein Loos von der Hundertgulden-Lotterie in Gold und Silbermünze. Dem redlichen Finder, oder jedem, der Nachricht davon geben kann, werden hiemit, wenn er die Brieftasche unversehrt mit allen, was darin befindlich ist, zurückstellt, für’s erste 50 Gulden Belohnung zugesichert, und wenn das Loos in der eben vorgenommenen Ziehung mit einem Gewinnst von wenigstens tausend Gulden herauskommt, noch überdieß 10 pro Cent oder der zehnte Theil des Gewinnstes ausgefolgt werden. Ausfindig zu machen, und am gehörigen Orte die Anzeige zu machen.“

Ester. (springt freudig herum) Das ist ein Glück! das ist ein Massel! Das ist ein Aches!

[12] Reb. Esterle! was thust du?

Hirsch. Ich meine, du bist verrückt im Ponem. Was treibst du für Sprünge mit den Füßen?

Reb. Was ist dir geschehen?

Ester. Hundert Gulden sind in dem Brieftäschel?

Hirsch. Ja!

Ester. Und 50 schenkt man dem Finder?

Hirsch. Da stehts gedruckt mit schwarzen Buchstaben.

Ester. Masseltoff! das Brieftäschel ist da.

Hirsch.
(schnell) Gotteswunder! wo ist es?
Reb.

Ester. (zieht es hervor) Da ist es.

Reb. Gieb her, Esterle! Laß mich sehen.

Hirsch. Wo kommt es zu dir?

Ester. Mein Bruder Moses hat es gefunden. (öffnet die Brieftasche)

Reb. Darum war er bey dir?

Ester. Er hat herausgenommen derweile 50 fl., und das Brieftäschel hat er mir gegeben zum Aufheben.

Hirsch. Reb. (greifen darnach, und zerren zu beyden Seiten an der Brieftasche, so daß die Papiere auf die Erde fallen, und Ester die leere Brieftasche in der Hand behält) Gieb her! Laß sehen!

Ester. Geduld! werd’ ich’s doch hergeben. – Nu da haben wir’s.

Hirsch. Kribere! du Fitsch! was hast du gemacht?

[13] Reb. Sey gut, Tateleben. Ich heb’s auf.

Hirsch. Da leg her alles auf den Tisch. Ich werde suchen das Lotterieloos. (alle Papiere werden auf den Tisch gelegt) Da gieb her alles miteinander. (er sucht)

Reb. (steht am Tische, und sieht neugierig auf die Papiere) Laß mich suchen, Tateleben. Ich werd’s gleich finden.

Hirsch. Geh fort. (sucht) Da ist es nicht: da auch nicht.

Reb. (greift nach einem Papiere) Da wird es seyn.

Hirsch. Geh fort, sag’ ich dir.

Reb. Ich meine, das kann es seyn. (greift nach einem andern Papier.)

Hirsch. (schlägt nach ihrer Hand) Geh fort, sag’ ich. Ich gebe dir einen Patsch, als du mich mischüge machst. (sucht) Da ist kein Beinchen von einem Lotterieloos. Nichts ist da, als ein Bankozettel von 50 fl.

Ester. Weh geschrien! Wo soll es seyn?

Hirsch. Du mußt es ja haben, als er dir’s gegeben hat zum aufheben.

Ester. Nichts hat er mir gegeben, als das Brieftäschel mit den 50 fl. und die papierne Schreiberey.

Hirsch. So hast du’s herausgenommen?

Ester. Nichts hab’ ich herausgenommen bey meinem Leben. Krank will ich werden, wenn ich habe aufgemacht das Brieftäschel, und herausgenommen ein einziges Fleckchen Papier.

Hirsch. So hat es der Moses.

[14] Reb. Ja, der muß es haben.

Hirsch. Was thut man damit? Hintragen werd’ ich teküf auf der Stelle das Brieftäschel zum Kommissär von den verlornen Sachen, und anzeigen, daß es der Moses gefunden hat. Man wird ihn suchen lassen, und fragen, wo er’s hingethan hat.

Ester. Mir hat er sonst nichts gegeben, darauf kann ich ablegen einen juramentalischen Eid.

Hirsch. Als er wiederkommt, und bringt das Loos, so kommst du gleich zum Kommissär mit ihm, damit er bekommt seine 50, wie es da auf dem Zettel steht. Als er aber nicht hergeben will das Loos, so sperr die Thüre zu, und laß ihn nicht fort, bis ich wieder heim komme, verstehst du mich?

Reb. Ja, Tateleben.

Hirsch Scholem lechem. Ich bin gleich wieder da. (ab)


Vierter Auftritt.
Ester. Rebekke.

Reb. Beheme müssen wir seyn, wenn er kommt zu gehn. Ich meine, der Ganif hat es herausgenommen für sich, und hat dir nichts gewollt sagen davon.

Ester. Moses ist kein Ganif, denn er ist mein Bruder. Hat er mir gebracht das Brieftäschel, so hätt er mir auch das Loos gebracht. [15] Wer weiß, ob er das Loos kennt; denn er kann nicht lesen. Aber als er’s vielleicht Einem gezeigt hat, der’s kennt, so hat es ihm vielleicht der Eine herausgezogen. Ich werde eine eitle Närrinn vor Leid, als das Loos nicht kommt zum Vorschein. Mein Moses kann darüber eingesperrt werden unschuldig ins Katzeloch und bekommen anstatt 50 fl. 50 Makkes obendrein.


Fünfter Auftritt.
Vorige. Sturm.

Sturm. (tritt erhitzt ein) Guten Tag beysammen!

Ester.
(erschrecken) Weh geschrieen! Ein Balmachome! Was will er?
Reb.

Sturm. Wohnt hier der Judenrichter?

Reb. Ja!

Ester. Er ist nicht daheim.

Reb. Was soll er?

Sturm. Ich möchte ihn gern sprechen. Ich muß ihn sprechen.

Ester. Er ist ausgegangen.

Reb. Er wird aber bald wiederkommen. In einer Stunde kann ihn der Herr treffen.

Sturm. Ich will lieber hier auf ihn warten. (setzt sich)

Reb. (leise) Was macht er? Er setzt sich.

Ester. (leise) Er thut, als wäre er daheim [16] in der Kaserne. (laut) Das wird dem gestrengen Herrn zu lange dauern.

Sturm. Thut nichts. Ich gehe nicht von der Stelle, bis er kommt.

Reb. Ich bin die Tochter vom Richter. Sagen Sie mir, was Sie wollen. Ich werd’s haarklein ausrichten.

Sturm. (sitzt düster vor sich hinstarrend da) Verdammtes Geschick!

Ester. Mir wird Angst.

Reb. Was fürchtest du dich?

Sturm. (springt auf) Mein Entschluß ist gefaßt. Ist alles verloren, so bin auch ich’s. (geht mit starken Schritten im Zimmer herum.)

Reb. Was sagt er?

Ester. Verloren, sagt er.

Reb. (leise) Vielleicht das Brieftäschel. Verrathe dich nicht: ich will ihn fragen. (geht ihm nach) Hören Sie, Herr Soldat!

Sturm. (dreht sich rasch zu ihr) Was ists?

Reb. (erschrickt) Was schreyen Sie mich so an? Was hab’ ich Ihnen gethan?

Sturm. (faßt sich, freundlich) Verzeih mir, liebe Kleine. Aber ich bin heute in einem schrecklichen Humor. Gestern noch war ich froh und lustig, voll Munterkeit und Muth. Goldne Träume zeigten mir eine glückliche Zukunft. Ach und der heutige unglückselige Morgen hat mir alles – alles geraubt. Muth, Frohsinn, Hoffnungen, ach vielleicht auch Ehre und – Leben.

[17] Ester. Mein Gott! Was ist Ihnen geschehen?

Reb. Reden Sie, vielleicht können wir Ihnen helfen.

Sturm. (sie mitleidiglächelnd betrachtend) Ihr mir helfen? Ha ha! Eine wohlthätige Kugel, ja!

Reb. So reden Sie doch nur.

Sturm. Was nützt es? Wenn dein Vater mir nicht helfen kann? und wie kann ich das hoffen? Ehrlichkeit ist jetzt eine verrufene Münze. Sie wird nicht mehr geprägt, und weil sie im Kurs verliert, so verachtet man sie, und Niemand handelt damit. Nun meinethalben. Ich will’s euch sagen. Ich weiß zwar, daß es vergebene Worte sind; aber doch – Ich bin Korporal, habe viele Feldzüge mitgemacht, habe mich wacker für meinen Monarchen geschlagen, habe Wunden erhalten, und die Zufriedenheit meiner Offiziere und die Liebe meiner Kameraden aus dem Felde mitgebracht. Selbst in Feindesland war ich geschätzt, und ein braver Jude, den ich von Plünderung gerettet, hieß mich oft seinen Engel. Da ich keine Belohnung von ihm annehmen wollte, schickte er mir vor ein Paar Monaten ein ansehnliches Geschenk zu. Ich hatte Aussicht, dadurch vielleicht ein großes Glück zu machen, und diese Hoffnung war mein größtes Gut. Diesen Morgen giebt mir mein Hauptmann die Löhnung für die Kompagnie in 2 großen Bankozetteln; ich gehe nach der Stadt, um kleine Münze einzuwechseln – [18]

Ester. Merken Sie was?
(leise zu einander)
Reb. Nur still!

Sturm. Und ich Unglückseliger, ich Dummkopf, verliere meine Brieftasche, die Löhnung, und das Geschenk des braven Juden, den Inbegriff meiner Hoffnungen, mein ganzes Vermögen. Es war ein Lotterielos von hundert Gulden in Gold und Silbermünze. Ich komme in die Stadt, kaufe mir die Liste der gestern gezognen Nummern, um nachzusehn, ob mein Loos dabey ist, und – stellt euch meinen Schrecken vor – vermisse meine Brieftasche. Eine halbe Stunde lang lief ich wie ein Rasender herum; endlich besann ich mich, gieng zum Kommissär und machte die Anzeige. Ueberall ist sie bereits angeschlagen und ausgerufen. Da fiel mir ein, daß der Finder vielleicht das Loos bey einem Juden verkaufen könnte, und wie der Blitz eilte ich hieher, um den Richter in dieser Sache um seine Verwendung zu bitten. Aber, o Gott! –

Ester. Die Beschreibung ist schon da.

Reb. Und das Brieftäschel auch. Seyn sie guten Muths!

Ester. Mein Bruder hat es gefunden.

Reb. Und Tati ist schon damit zum Kommissär gegangen.

Sturm. (vor Freude starr) Wie? gefunden? Da? o guter Gott!

Reb. Ein guter Engel hat Sie daher geführt.

Sturm. (küßt rasch Rebekke) Du bist mein guter Engel, liebes Mädchen.

[19] Reb. Lassen Sie mich doch gehen. (wischt sich die Wange ab.)

Ester. Laufen Sie geschwinde zum Kommissär! Der Richter ist mit dem Brieftäschel schon dort.

Reb. Das Geld und die Schriften sind da; aber das Loos ist nicht dabey.

Sturm. Wie? das Loos nicht? Wer hat das also?

Ester. Das wissen wir nicht. Ich habe gar keins gesehen.

Sturm. Keins gesehen?

Ester. Vielleicht ist es gar nicht drinn gewesen.

Sturm. So wahr meine Seele lebt, es war drinn.

Reb. Ich sag’s ja, der Moses muß es haben.

Ester. Wenn er’s gefunden hat, so werden Sie’s auch wieder bekommen. Laufen Sie nur geschwinde zum Kommissär.

Sturm. Das will ich. Ist das Loos dahin, je nun, so muß ich denken: Einer hat’s gegeben, der andre genommen. Ist doch das Geld wieder da, und somit der schwerste Stein von meinem Herzen gewälzt. Dem Himmel sey Dank dafür! Lebt wohl, Kinder! Wir sehn uns wieder, sobald ich den Richter gefunden habe. (ab)

[20]
Sechster Auftritt.
Ester. Rebekke.

Ester. Ich bin begierig, ob das Loos zum Vorschein kommt.

Reb. Ich auch. – Du Ester! komm her! (hält ihr die Wange hin) Sieht man etwas?

Ester. Nein! Was denn?

Reb. Das Küßchen von dem gestrengen Herrn Korporal, meine ich.

Ester. Nein, gar nicht.

Reb. Ich muß mich waschen. Bring mir Wasser herein! Ein Kuß von einem Chaseresser ist doch treefe. (von außen wird getrommelt, sie erschrickt) Was ist das? Feuer in der Judenstadt? Weh geschrieen!

Ester. (schreyt und läuft ans Fenster) Gott soll behüten! wo brennt’s?

Reb. (auch am Fenster auf einem Sessel) Schau den Trommler! Er geht nicht von der Stelle. Wie angewachsen steht er da.

Ester. Einer steht bey ihm, mit einem Papier in der Hand.

Reb. Man ruft etwas aus. (Die Trommel hört auf) Vielleicht das Brieftäschel.

Ester. Kann seyn.

Reb. Hörst du etwas?

Ester. Nein.

Reb. Verstehst du was?

Ester. Nein.

[21] Reb. Ich auch nicht. (machts Fenster auf) Ich meine, dort steht der Moses.

Ester. Wo steht er?

Reb. Dort, neben dem Trommler. Sieh, was macht er für ein Gesicht?

Ester. Ich muß hinunter.

Reb. Was willst du hinunter? Du sollst da bleiben: ich rufe ihn herauf. Moses! Moses! Komm herauf!

Ester. Ich geh hinunter. Ich bring ihn herauf.

Reb. Da wirst du bleiben. Er kommt schon zu gehn. (springt vom Sessel, und eilt an die Mittelthüre.)

Ester. Nun, ich werde doch nicht gehen aus der Welt.

Reb. Komm herein, Moses!


Siebenter Auftritt.
Vorige. Moses.

Moses. Da bin ich, Jungfer Rebekke! Mit Verlaub, ich habe nur ein einziges Wort mit Schwester Esterle zu reden. (halblaut zu Ester) Wo hast du das Brieftäschel? Gieb’s her geschwind!

Ester. Was willst du damit? Ich hab es nicht mehr.

Moses. Krie über dich! Wo hast du es hingethan?

[22] Reb. Der Tati hat’s genommen, und hingetragen zum Gerichtskommissär.

Moses. Weh! Was hat er zu nehmen? Was hat er zu tragen? Das Brieftäschel hab’ ich gefunden.

Ester. Ich weiß, aber wo ist das Lotterieloos?

Moses. Im Brieftäschel wird es seyn unter die papierne Schriften.

Ester. Gar nichts ist drinn.

Moses. So hast du’s heraus genommen?

Ester. Nichts hab’ ich heraus genommen.

Moses. Krie über dich! Wo ist es also hingekommen?

Ester. Das mußt du wissen.

Reb. Du mußt es haben.

Moses. Ich hab’ es nicht. Verschwarzt soll ich liegen, als ich habe herausgenommen mehr als ein einziges Bankozettel von 50 fl.

Ester. Wo soll es seyn? Der Korporal sagt doch bey seinem Leben, es ist drinn gewesen.

Reb. Du Moses, sag mir: Als du das Brieftäschel gefunden hast, so hast du doch geschaut, was drinn ist?

Moses. Ja, hab’ ich gesehen auf die Minuten die zwey Bankozettel von 50 fl.

Reb. So wirst du auch gesehen haben das Lotterieloos?

Moses. Nichts hab’ ich gesehn! Was weiß ich von dem Loos, und von die Papiere? Hab’ ich mich doch mein Lebtag nicht bekümmert [23] um die Kritzlerey von die Goyim. Ist es schwarz auf weiß, oder weiß auf schwarz: was weiß ich?

Ester. Schabbesschmüß, du mußt es wissen: du mußt es haben, du mußt es herausgeben.

Moses. Nein, du mußt es haben, du mußt es herausgeben. Schaff mir wieder das Brieftäschel, oder ich mache ein Gekreisch, daß die Gasse zusammen lauft.

Reb. Das Brieftäschel ist schon bey Gericht.

Moses. So laufe ich auch hin.

Reb. Du wirst nicht laufen: Du wirst da bleiben, bis der Tati kommt.

Moses. Ich will mein Brieftäschel wieder haben.

Reb. Du wirst’s bekommen. Wart ein wenig. Aber als du das Loos nicht beschaffen kannst, wird man dich einsperren in einen Kasten von vier Mauern, bis du’s herausgiebst.

Moses. Ich laufe davon.

Reb. Nein, sag’ ich. Esterle, geh hinaus in die Küche, und sperr die Thüre zu, daß er nicht fort kann.

Ester. Gleich. (geht durch die Mittelthüre ab)

Reb. Nun lauf fort, wenn du kannst. (stellt sich vor die Thüre.)

Moses. Seh den kleinwinzigen Gedanken von einer Keefe, das Breferl von einer Richterstochter! Was macht sie für ein Geserre? Was treibt sie für Vexirerey! Laßt mich hinaus.

Reb. Du wirst da bleiben.

[24] Moses. Ich mach einen Lärm, daß die Welt zu Grunde geht. Ich springe zum Fenster hinaus.

Reb. (lachend) Probir’s! Brich dir den Hals!

Moses. Ich schlage alle Fenster entzwey; ich breche alles Küchengeschirr zu kleinen Scherben. Ich gebe der Ester einen Wurf durch die Thür, daß das Haus in des Nachbars Zimmer hinunter fällt.

Reb. Gieb das Lotterielos heraus, hernach kannst du gehn!

Moses. (fast weinend) Ich hab’s nicht. Wirblicht will ich werden wie eine kranke Fliege am Lauberhüttenfest; Erbsen will ich essen eine halbe Metze, und eine jede soll werden zu einer Bombe in meinem Bauch, und zerplatzen, wenn ich etwas weiß von dem verdammten Loos. Die Ester muß es haben, und wenn sie’s nicht herausgiebt, so soll man ihr’s schneiden mit Federmessern aus der Haut.

Reb. Sag, was du willst. Ohne Loos kommst du nicht aus dem Zimmer; bis der Tati daheim ist.


Achter Auftritt.
Vorige. Hirsch. Ester.

Hirsch. Er will nichts gestehn? Schon gut.

Reb. Da ist der Tati. Nun wirst du sehn, was man dir thut.

[25] Moses. Was wird er mir thun, der Gewaltsmann von Richter? Scholem lechem, Herr Richterleben! Wo ist das Brieftäschel, was ich gefunden habe?

Hirsch. Das Brieftäschel ist da, wo es hingehört. Wo hast du die 50 fl., die du heraus genommen hast?

Moses. Da hab’ ich sie.

Hirsch. Gieb sie her!

Moses. Warum soll ich sie hergeben? Ich gebe sie nicht her.

Hirsch. Gieb sie her, sage ich.

Moses. Hat doch der Trommler ausgerufen, daß der Finder soll bekommen Douçeur 50 fl., als er zurückstellt das Brieftäschel mit die andern Fliribus von Papier.

Hirsch. Ich weiß; aber du hast doch nicht alles zurück gegeben. Du hast behalten allein für dich ein Lotterieloos, was drinn gewesen ist im Brieftäschel. Bis du das nicht herschaffst, mußt du zum Gericht abliefern das ganze Geld. Gieb her die 50 fl. in Gutem, ich sag’ dirs.

Moses. Aber mein Douçeur! wer giebt mir das?

Hirsch. Das wirst du bekommen bey Gericht in hartem Geld, sobald das Lotterieloos da ist. Von dem Gelde kann man dir nichts lassen, das hat verloren ein armer Mann, ein braver Soldat. Das Geld gehört nicht sein, das gehört für die ganze Kompagnie Soldaten; das muß man zurückgeben auf der Stelle den guten rechtschaffenen Leuten. Aber das Lotterieloos [26] gehört dem Korporal; das wird er versetzen oder verkaufen, damit du bekommst die 50 fl., die der Ausrufer versprochen hat. Gieb her das Geld und das Loos, sag’ ich dir zum letztenmale.

Moses. (vor Aerger fast weinend) Da ist das Geld: das Loos kenn ich nicht; ich hab’ es nicht gesehen, ich hab’ es nicht genommen. Wenn es im Brieftäschel gewesen ist, muß es noch drinn seyn.

Hirsch. Haben wir doch alle zweymal durch und durch gesehen jedes Stückel Papier, und nichts gefunden.

Moses. So muß es die Esterle haben. Ihr hab’ ich das Brieftäschel gegeben. Sie muß es herschaffen.

Ester. Du Mamser! Mir willst du so etwas sagen? Nun glaub ich erst, daß du es hast, weil du mich, deine Schwester –


Neunter Auftritt.
Vorige. Sturm.

Sturm. Vergeben Sie, mein Herr! Ich suchte Sie beym Kommissär. Sie sind doch der Richter?

Hirsch. Der bin ich, und da ist auch der Mann, der Ihre Brieftasche gefunden hat. Da hab’ ich ihm just das übrige Geld abgenommen. Aber von dem Loose will er durchaus nichts wissen.

[27] Moses. Ich weiß nichts davon. Ich hab’ es gar nicht gesehen.

Sturm. Das ist unmöglich. Daß es in der Brieftasche war, kann ich beschwören, weil ich es erst in dem Augenblick hineinlegte, da ich aus der Kaserne gieng. Du mußt also durchaus wissen, wohin es gekommen ist.

Moses. Versinken will ich auf der Stelle mit dem gestrengen Herrn zehn Klafter tief unter die Erde; blind will ich werden wie Tobias, und kein Glück soll ich haben im Handel mein Lebenlang, als ich etwas davon weiß. Ich hab’ es gegeben aufzuheben meiner Schwester Esterle, der Fitsch: sie soll es sagen.

Ester. Du Ganif! hast du mir gegeben das Loos? hast du mir gesagt ein Wort davon? Hab’ ich etwas herausgenommen, so lang du bey mir gestanden bist hier im Zimmer?

Moses. Nein, ich habe nichts gesehen.

Ester. Jungfer Rebekke! Sagen Sie als die Tochter vom Richter: hab’ ich das Brieftäschel aufgemacht, wie er fort war? hab ich’s nicht gegeben teküf dem Tati, als er gelesen hat die gedruckte Beschreibung?

Reb. Sie hat nichts herausgenommen, soll ich leben und glücklich seyn.

Hirsch. Nun wart, ich will dem Prozeß gleich ein Ende machen. Zum letztenmale sag’ ich dir im Guten: Willst du herausgeben das Loos oder nicht?

Moses. Ich hab’ es nicht.

Hirsch. Es hilft dir zu nichts. Der Herr [28] Korporal geht jetzt mit mir zum Zeitungsschreiber, und läßt die Nummer von dem Loos amortisiren in der Zeitung, und als du kommst zu einem mit dem Loos, und willst es verkaufen oder versetzen, so wird man dich nehmen beym Kopf, und wird dich sperren ins Loch; man wird dir machen den Prozeß wie einem andern Ganif, und dich aufknüpfen wie du’s verdienst: am lichten Galgen mußt du kapores werden, wie sich’s gehört für einen Dieb.

Moses. Sagt was Ihr wollt, Herr Richterleben, ich bin unschuldig, ich weiß nichts davon.

Sturm. Das hilft alles nichts, lieber Mann; denn zum größten Unglück weiß ich gar nicht, was das Loos für eine Nummer hat.

Hirsch. Das ist schlimm. So müssen wir ein andres Mittel probiren. Geh hinunter, Rebekke, ruf mir den Wächter; er soll herauf bringen die Bank.

Moses. (ängstlich) Was soll der Wächter? Was soll die Bank?

Hirsch. Ich werde dich lassen binden auf die Bank, und werde dir geben lassen 15, 25, 50, so lange, bis du das Loos herausgiebst.

Moses. Weh geschrieen! Schlagen wollt Ihr mich lassen? Ist das recht? ist das erlaubt?

Hirsch. Geh hinunter, Rebekke!

Reb. Gieb’s heraus, Moses!

[29] Ester. Moses, ich bitte dich, gieb’s heraus, sonst bekommst du Makkes.

Moses. Herr Richterleben! ich bitte Euch – Herr Korporal!

Hirsch. Was stehst du? Geh hinunter um die Bank!

Sturm. Gieb’s heraus, Bursche, so geschieht dir nichts.

Moses. Esterle! gieb’s heraus, wenn du’s hast, sonst kommen wir alle zwey auf die Bank.

Hirsch. So geh fort, sag’ ich dir.

Reb. Teküf! – Moses, mir ist leid, aber –

Moses. Und wenn der gestrenge Herr läßt hundert und tausendmal anklopfen bey dem armen Moses, so fällt doch kein Lotterieloos heraus.

Sturm. Wie wär’s, Herr Richter, wenn wir den Burschen erst genau visitirten?

Moses. Ja, da bin ich. Sucht mich durch! Da sind meine Säcke, (kehrt sie um) da ist nichts. Da sind Erdäpfel, die ich mir zum Nachtmahl gekauft habe. Da ist nichts, da auch nichts. (nimmt das Papier mit den Ringen aus der Westentasche, und hält es in der Hand) Da auch nichts. (nimmts in die andere Hand) Nichts ist da. Nun!

Reb. Was versteckst du da mit der Hand?

Moses. Was werd’ ich verstecken? Das sind Ringe und Hemdknöpfel.

Hirsch. (nimmts ihm aus der Hand, und öffnet [30] es) Gieb her, laß sehn! – Gotteswunder! da ist es.

Sturm. Donnerwetter!

Moses. Was ist es?

Hirsch. Da ist das Loos. (hälts hin) Soll ich leben!

Sturm. Bey meiner Seele!

Moses. Das ist es? Z! Z! Z! Z! Gott soll behüten!

Reb. Laß mich schaun, Tati!

Hirsch. Geh fort, was wirst du schauen?

Reb. Die Nummer von dem Loos.

Hirsch. Die Nummer? 55691.

Sturm. Da hab’ ich die Liste von der gestrigen Ziehung.

Reb. Erlauben Sie, ich werde ein bischen nachsehn, (nimmt dem Korporal die Liste aus der Hand, geht zum Tisch und sieht sie durch) ob die Nummer dabey ist.

Sturm. Nun, du Schlingel! was sagst du jetzt?

Ester. Du Ganif! Du hast nichts herausgenommen?

Hirsch. Du bist ein Ganif! Du bist ein Dieb! Fi! bist du ein ehrlicher Jude? Schlemassel über dein Ponem! Verschwarzt sollst du liegen!

Moses. Mein! was hab’ ich gethan?

Hirsch. Wart ein wenig, ich will dir schon zeigen, was du gethan hast. Du bist ein Schandfleck für alle rechtschaffene Juden. Schließen werd’ ich dich teküf lassen mit Eisen an Händen [31] und Füßen, und dem Gericht übergeben. Man soll dich aufknüpfen, wie es recht ist: Du bist ein Dieb! Fi!

Moses. Herr Richterleben! Ich bitte um Gotteswillen: ich bin ein ehrliches Judenkind. Zerhacken soll man mir alle Finger am Leibe, verschwarzen will ich, als ich gewußt habe ein Wort davon, daß das Papier heißt ein Lotterieloos. Hab’ ich doch keins gesehen mein Lebtage mit meinen Augen. Hab’ ich ein einzigesmal gespielt in die Lotterie einen Groschen auf Numero 47, todt und lebendig, hat mir die Lotteriefrau gegeben ein kleines winziges Zettelchen drüber, und hab’ ich damit gewonnen einen Terno mit 14 Groschen. Hab’ ich doch mein Lebtag nicht gelernt lesen und schreiben, weder verschriebenes und verdrucktes auf Deutsch.

Sturm. Wie? Du kannst nicht lesen und schreiben?

Moses. Bey meiner Schome, nein!

Ester. Das ist wahr, Herr Soldat, das kann er nicht.

Hirsch. Aber warum hast du grade das Loos herausgenommen aus dem Brieftäschel, und hast es nicht wollen heraus geben?

Moses. Was hab’ ich gewußt, daß das Papier ist ein Loos, worüber man macht so ein Geserre? Da hab’ ichs gefunden, da ists gelegen auf der Erde; da hab’ ichs aufgehoben, weil ich gemeint habe, es ist ein altes Breserl Papier, und hab’ drein gewickelt meine Ringe und Hemdknöpfel.

[32] Hirsch. Was thut man mit dem Chamerkopf?

Sturm. Ich glaube fast selbst, daß der Bursche unschuldig ist. Seine Dummheit und Einfalt überzeugt mich beynahe. Gottlob, daß das Loos wieder da ist. Wir wollen jetzt alle drey zum Kommissär gehn. Was ich versprochen habe, dabey bleibts. Er soll seine 50 fl. haben, und wenn –

Reb. Tateleben! Tateleben! Geb her das Loos! Wie heißt es? Nummer 55 –

Hirsch. 55691.

Reb. Gotteswunder! Das ist ein Massel! Weißt du, was es gewonnen hat?

Moses. Nun, was hat es gewonnen?

Reb. Einen Fünfer mit vier Nullen.

Hirsch und Sturm. Was?

Moses. Nun, was heißt das? Ein Fünfer ist nicht einmal ein Sechser, und die Nullen heißen doch gar nichts in der Welt.

Hirsch. Du Schalksnarr! Die Nullen heißen nichts bey dir? (sieht in die Liste) Soll ich glücklich leben! das Loos hat den größten Gewinn von 50000 fl.

Sturm. (taumelt zum Tisch, und sieht in die Liste) So wahr ich lebe! – Gott! wie wird mir?

Hirsch. 50000 fl. in Gold! – Mir fällt was ein. (zieht schnell seine Brieftasche heraus, und sieht eine Liste durch.)

Moses. Das muß ein Haufen seyn wie ein Haus.

[33] Hirsch. Nein! (steck sie wieder ein) Bin ich schon erschrocken: hab’ ich gemeint, es ist eins von meinen Loosen: aber nein! – Gestrenger Herr! ich gratulire tausendmal zu dem mächtigen Gewinnst.

Sturm. (betäubt) Träum’ ich, oder wach’ ich?

Hirsch. Nein, sag’ ich: es ist gar kein Zweifel. Sie sind ein gemachter Mann. 50000 fl. in Gold, bedenken Sie! das heiß ich ein Aches.

Sturm. Guter Gott! Ich danke dir! Auch Euch, Ihr guten Leute! Auch dir, gutes Mädchen, du hast mir mein Glück angekündigt.

Reb. Nicht wahr? Was hab’ ich gesagt?

Sturm. Du sollst ein schönes Andenken von mir bekommen, das dich immer an den heutigen Tag erinnert. – Und du, guter Freund, bekommst deinen richtigen Theil vom Gewinnst: 10 pro Cent, wie ich’s gesagt habe.

Hirsch. Gott soll behüten! 5000 fl. in Gold.

Moses. Ich kriege die Frais vor Aches.

Reb. So ein dummer Bursche und so ein Glück!

Hirsch. Was redest du, mein Herz? Der Moses ist gescheider als wir alle. Denn wer 50000 fl. findet, der ist nicht dumm. Nun komm, Moses, wir wollen alle beyde mit dem Herrn Korporal in die Stadt zum Kommissär.

Sturm. Ja, das wollen wir. – Doch ehe wir zum Kommissär gehen, erlauben Sie [34] mir, den Namen dieses guten Freundes in meine Liste einzutragen.

Moses. Meinen Namen? eintragen? In eine Liste? warum eintragen? In was für eine Liste?

Sturm. In die Liste der braven Israeliten, die mir in meinem Leben einmal Gutes erwiesen haben.

Moses. Was hab’ ich ihm Gutes erwiesen? Gefundne Sachen zurückzugeben ist doch Schuldigkeit für einen ehrlichen Mann.

Sturm. Dein Name also, ehrlicher Mann?

Moses. Nu, den kann ich auch sagen: Moses Kreuznacher heiß ich.

Sturm. Kreuznacher? – Bist du von Kreuznach?

Moses. Ich nicht, aber mein Tati war von dort her.

Sturm. Sonderbare Fügung! – In Kreuznach schützte ich einst eine Judenfamilie vor Plünderung.

Hirsch. Was sagen Sie? Sie sind der brave Mann, der den alten Levi Hirsch in Kreuznach –

Sturm. Dies Loos ist ein Geschenk von ihm: und hier – steht sein Name in der Liste meiner Wohlthäter obenan.

Hirsch. Was reden Sie von Wohlthat? Der Wohlthäter sind Sie! Wissen Sie, der Levi Hirsch in Kreuznach ist meines Vaters Bruder. Sie waren sein guter Engel. Sie haben an ihm gehandelt schöner und besser als ein Kind [35] am Vater, als ein Bruder am Bruder. Adonai mag’s Ihnen vergelten.

Sturm. Er hat vergolten, reichlich vergolten.

Hirsch. Ich kann nichts thun, als diese Hand – an mein dankbares Herz drücken; und wenn Sie sich nicht schämen, einen Juden zu umarmen –

Sturm. Schämen? (umarmt Hirsch, dann Moses.)

Reb. (will ihm die Hand küssen.)

Sturm. (hebt sie auf und küßt sie) Das sey meine Antwort! (tritt zwischen Hirsch und Moses) Im Himmel und auf Erden haben wir ja einen Vater und Herrn: Warum wollen wir denn nicht Brüder seyn?

Hirsch. Wir sind’s ja.

Moses. Da kann man doch wohl sagen: Glück durch Unglück! Was meinen Sie?


Ende.