Zum Inhalt springen

Granada am Nicaragua-See

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
DCLXXXXIV. Die Ruine Alt-Boimeburg in der Pfalz Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfzehnter Band (1852) von Joseph Meyer
DCLXXXXV. Granada am Nicaragua-See
DCLXXXXVI. Die New-York-Erie-Eisenbahn
  Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
[Ξ]

Der MARKTPLATZ in GRANADA
am Nicaragua-See.
(MITTEL-AMERICA)

[143]
DCLXXXXV. Granada am Nicaragua-See.




Die Stadt Granada ist häßlich, liegt aber in einer Landschaft von überschwenglicher Schönheit. Gärten mit ewig grünenden und duftenden Bäumen und Sträuchern umringen sie von drei Seiten und ihre vierte ist dem herrlichem See geöffnet. Zunächst der Stadt ist das Terrain eben. Drei bis vier Meilen weit landeinwärts erhebt sich aber der Boden zu kegelförmigen Hügeln, die bis zu ihren Gipfeln mit Gras bewachsen sind. Von dem Fuße dieser Hügelreihe senkt sich eine mit Wald bedeckte Fläche allmählig nach dem See hinab. Zur rechten derselben steigt der Mombacho kühn vom Ufer empor, umgeben von einer Gruppe kleiner Eilande, den Isletas, und weiter hinaus liegt die Insel Zapatera mit ihren waldigen Höhen, und noch weiterhin erheben sich in der Ferne die beiden Pyramiden der Insel Ometébek, deren Spitzen sich in Wolken hüllen. Zur linken erstreckt sich die Fläche, gleichförmig bewaldet, und bewässert vom Rio Panaloya und dem Rio de Tipitapa, bis an den Fuß der erzreichen Gebirge von Matagalpa fort, welche die ganze nördliche Hälfte des Horizontes einnehmen. Diese ganze Landschaft steht auf dem Schütterkreise lebendiger, plutonischer Kräfte. Der Mombacho, jener Kegel im Hintergrunde unseres Bildes, ist, wie alle benachbarten Höhen, die Inseln eingeschlossen, vulkanischen Ursprungs. Auf der hinteren Seite öffnet sich ein weiter Krater, von welchem der auf dein Bilde sichtbare Kamm der nördliche Rand ist. Der südliche senkt sich tief hinab. Heiße Quellen sprudeln an seinem Fuße. Sein Gipfel ist noch unerstiegen.

[144] Unsere Abbildung gibt eine richtige Vorstellung von der Bauart und dem Leben in den Straßen einer centroamerikanischen Stadt. Die Kirchen sind große, massive, finster aussehende Gebäude. Von desto leichterer Bauart sind die Wohnhäuser. Meist einstöckig, sind sie von an der Luft getrockneten Lehmsteinen aufgeführt, deren weit vorspringende Dächer sich auf hölzerne Säulchen stützen. – Alle Häuser sind mit Höfen versehen, in welchen einige Orangenbäume, Jasmingesträuche, Oleander- oder Rosenbüsche zu stehen pflegen. Rund um den Hof geht eine Veranda, deren hölzerne Stützen und Bogen an den maurischen Baustyl erinnern. Auf derselben bringen die Hausbewohner den größten Theil des Tages zu. Im Schatten der Bäume wird die Mahlzeit eingenommen, und auf der Veranda sind die Hängematten ausgespannt für die Siesta. Größere Zimmer haben Fensteröffnungen mit hölzernem oder eisernem Gitterwerk. Glasfenster aber sind gänzlich unbekannt, und in die kleinern Räume des Hauses fällt das Licht bloß durch die Thüre. Alle Fußböden sind mit Ziegelplatten belegt, über welche zuweilen noch zierliche Matten aus Flechtwerk gebreitet sind, die von den Indianern von Massaya mit großer Geschicklichkeit und viel Geschmack verfertigt werden. Eine besondere Decke haben die Zimmer fast niemals. Das Dach bildet sie, so daß die Luft überall aus- und einzieht.

Größere Gebäude haben wohl einen zweiten Hof, der von dem ersten durch einen Flügel des Gebäudes oder eine Mauer getrennt und durch ein Thor verbunden ist. Dieser zweite Hof enthält die Küche, wenn diese nicht in einer Ecke des Gebäudes selbst angebracht ist, und den Pferdestall. Dieser ist ein offener Schuppen, von hölzernen Säulen getragen, zwischen welchen die Thiere stehen.

Die Straßen und Plätze von Granada sind nicht gepflastert; doch haben sie erhöhte und mit Ziegelplatten belegte Trottoirs, die zwar den Fehler haben, daß sie schmal sind, dagegen den Vortheil bieten, von den weit vorspringenden Dächern gegen Sonne und Regen geschützt zu seyn. Die Straßen werden mit einem vulkanischen Sande bestreut, in welchem Magneteisenkörner einen Hauptbestandtheil bilden. Es ist der Rückstand von vulkanischem Tuff, aus welchem das Wasser die lehmigen Theile entfernt hat. Dieser schwarze Eisensand bildet am Ufer des Sees meilenweit fortlaufende, mächtige Bänke.

An die eigentliche Stadt schließen sich die Vorstädte, deren Gebäude aus niedrigen Lehmhütten mit Palmendächern bestehen. Nichts reizender als diese Häuschen unter beladenen Fruchtbäumen und zwischen blühenden Gesträuchen. Manche liegen so unvergleichlich schön, die Umgebung ist so reich, so harmonisch, so friedlich, der Gesichtskreis so groß und erhaben, die Welt umher so still, so selig, der Duft, welcher die Luft erfüllt, so süß und balsamisch, die Bewohner scheinen so zufrieden, die spielenden Kinder so glücklich, daß man eintreten und auf immer da bleiben möchte. „Wie oft“, – so berichtet mein Freund Fröbel – „ist mir der Gedanke gekommen: hier, an dieser Stelle, in dieser Hütte möchtest du leben und sterben! Wie oft hat es mir Ueberwindung [145] gekostet, mich loszureißen und weiter zu gehen! Und nicht ich allein habe diesen Eindruck empfangen. Jeder wird ihn haben, der solcher Eindrücke und Empfindungen überhaupt fähig ist. Oft bin ich Zeuge gewesen, wie selbst rohe, in den Minen Kaliforniens verwilderte Goldjäger durch solche Scenen tief ergriffen wurden“.

Als im Jahre 1522 Gil Gonzalez de Avila mit den ersten Spaniern nach Nicaragua kam, stand auf der Stelle des heutigen Granada eine indianische Stadt, deren Name, Salteba, sich in dem der Vorstadt Jalteva bis auf den heutigen Tag erhalten hat. Avila konnte sich auf diesem ersten Zuge, der von Panama aus unternommen wurde, nicht im Lande behaupten. Aber noch in dem nämlichen Jahre kehrten spanische Kolonisten zurück, und Francisco Fernandez de Cordova gründete das jetzige Granada.

Die Stadt hatte während der spanischen Herrschaft größere Wichtigkeit und einen bedeutenderen Handel, als gegenwärtig. Wie die meisten spanischen Niederlassungen, so ist auch Granada nach der Emancipation nicht im Stande gewesen, sich auf der Höhe zu erhalten, welche es unter der spanischen Kolonial-Regierung als Hauptstadt einer Provinz erlangt hatte. In neuester Zeit haben sich jedoch frische Keime der Wohlfahrt gebildet, und neue Impulse sind thätig geworden, die nicht ohne Erfolge bleiben werden. Die Lage an einer die beiden Oceane verbindenden Straße macht Granada wichtig für den Weltverkehr, und es sieht einer großen Zukunft entgegen. –

Die städtische Bevölkerung überstieg in den letzten Zeiten der spanischen Herrschaft 18,000; gegenwärtig ist sie nicht ganz 14,000. Als Hauptstadt des nicaraguensischen Ost-Departements ist sie der Sitz mehrer höheren Verwaltungs- und Gerichtsbehörden und eines Bischofs. Der Klerus war sonst sehr zahlreich und mächtig; seit der Revolution hat er einen großen Theil seiner Einkünfte und seines Einflusses verloren.

Die Bevölkerung besteht aus allen Abstufungen der Raçe, welche aus der Mischung von Spaniern, Indianern und Negern hervorging. Diese Raçenmischung schreitet, da seit der Unabhängigkeit alle Einwohner, ohne Rücksicht der Abstammung, vollkommen gleiche politische Rechte haben und auch im geselligen Leben die Raçenaristokratie gar nichts mehr gilt, beständig fort. Familien von reinem spanischem Blute sind nicht mehr vorhanden. Eben so wenig ist die reine Negerraçe noch irgendwo zu finden. Vollblut-Indianer hingegen sind zahlreich; sie halten fest zu einander und bilden häufig besondere Gemeinden im Lande. Alle sind Christen und der Civilisation längst zugänglich geworden. Am meisten gemischt ist die Bevölkerung der Vorstädte, wo alle Farben und Raçe-Physiognomien in einander fließen. Zur Marktzeit kann man diese bunten Volkselemente, zu der alle Zonen und Welttheile gesteuert haben, auf dem Platze übersehen, welchen unser Bild darstellt. Es ist ein Gemälde, wie man es selten findet, und für den Beobachter nicht ohne Interesse. Vor allen sind es wieder die halbcivilisirten Ureinwohner, welche der Scene Leben und Farbe geben. Mit Hühnern, Eiern, Früchten, [146] Gemüsen, Mais, Zucker, Kakao, Reis, Stärkemehl, Honig, Wachs, Wasserkrügen, allerhand Thongeschirren und andern Erzeugnissen ihrer kleinen Landwirthschaft und Industrie kommen sie in Schaaren aus ihren Dörfern zur Stadt und versehen diese mit vielen unentbehrlichen Dingen. Sie machen durch ihre Haltung und Manieren immer einen angenehmen Eindruck und gelten als die fleißigste Klasse der Bevölkerung.

Aber das bunteste Leben auf dem Platze beginnt erst am Abend. Da nämlich fast jeder Tag ein Heiligen-Tag ist, so sieht man bei Eintritt der Nacht Prozessionen mit Laternen über den Markt ziehen, oder zu Ehren des Heiligen Feuerwerke abbrennen. Kanonenschläge erschüttern die Luft, Schwärmer prasseln unter die gedrängten Volkshaufen, die mit Jubel und Geschrei sich an den frommen Späßen ergötzen, Raketen und Leuchtkugeln steigen empor und werfen ihre grellen Streiflichter auf die Gesichter der buntfarbigen Menge. In den Pausen ertönt Musik auf dem Platze oder in der nahen Kirche.

Erst um Mitternacht wird es ruhig. Der Mond steht mit zauberhaftem Glanze am Himmel, dessen Reinheit durch keinen Hauch getrübt ist. Dunkel zeichnet sich die Gestalt des Mombacho am Firmamente. Still und leer ist der mild beleuchtete Platz. – Eine Figur schreitet über denselben hin. „Quien vive?“ ruft gebieterisch die Schildwache am Kommandantenhause. „La patria!“ ist die Antwort. „Que gente?“ fragt sie weiter. „De paz!“ der Nachtwandler und geht weiter.

Aus der Ferne dringt kaum vernehmbar noch der Gesang einer Stimme zum Geklimper einer Guitarre durch die Stille, bis auch sie verstummt. – Laue Kühlung weht durch die Straßen der Stadt und über den Platz hin. Es ist der belebende Hauch des frischen Morgens! – Mit feierlicher Stimme grüßt jetzt die zweite Stunde des jungen Tags des Nachtwächters letzter Ruf: „Vive Nicaragua! – Cielo sereno!“