Handeln die Thiere nur nach Instinct oder auch mit Ueberlegung, Vorbedacht und Berechnung?

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Autor: V.
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Titel: Handeln die Thiere nur nach Instinct oder auch mit Ueberlegung, Vorbedacht und Berechnung?
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aus: Die Gartenlaube, Heft 46/50, S. 735–736;800
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[735] Handeln die Thiere nur nach Instinkt, oder auch mit Ueberlegung, Vorbedacht und Berechnung? Die interessanten Beobachtungen, welche mein alter Universitätsfreund Wilhelm von Waldbroel (von Z.) für letztere Ansicht mitgetheilt hat, veranlassen mich, zur Bestätigung der selben einige Thatsachen aus meiner eigenen Erfahrung anzuführen.

In früheren Jahren besaß ich einen Fuchs, welchen ich aufgezogen und auf dem Hofe an einer Kette liegen hatte. Von meinem Wohnzimmer aus konnte ich ihn den ganzen Tag beobachten und hatte dadurch Gelegenheit, während vier Jahren fast täglich folgenden Schelmenstreich zu constatiren. Sobald Meister Reinecke sein Mittagsmahl verzehrt hatte, fanden sich viele Vögel, besonders Rothschwänzchen, ein, welche die Reste seines Mahles verzehren wollten. Anfangs setzte sich der Fuchs in die Nähe seiner Schüssel und suchte, jedoch stets vergeblich, einen Vogel zu erhaschen. Nach mehreren vergeblichen Versuchen legte sich der Erzschelm auf den Rücken, schloß halb und halb die Augen und stellte sich schlafend, um die Vögel zutraulich zu machen, was ihm auch so gut glückte, daß er fast täglich einige, welche über ihn hin- und herflogen, erschnappte. Ebenso charakteristisch ist eine andere Thatsache. Im Jahre 1859 jagte ich in den Rheinbergen in der Nähe der vielbesungenen Lorelei. Während zwei Jagdfreunde mit mir die Rückkehr unserer Hunde abwarteten, sahen wir in einer uns gegenüberliegenden Bergwand, welche nur mit einzelnen kleinen Büschen bewachsen war, einen Fuchs herumschleichcn und beobachteten ihn fast eine Stunde lang. Der Fuchs ging den ganzen Berg ab von einem Busche zum andern, stellte sich der Länge nach quer gegen den Busch und schlug mit seiner Ruthe durch die dem Kopfe entgegengesetzte Seite, wodurch der darin sitzende Vogel veranlaßt wurde, auf der Seite hinauszufliegen, wo der Kopf des Fuchsen sich befand, so daß er oft von demselben gefangen wurde. Eine halbe Stunde später hatte ich die Freude, den Räuber zu erlegen. Die sofort vorgenommene Section des Magens ergab, daß er bei seiner originellen Treibjagd, welche meines Wissens noch nirgend erwähnt worden ist, sieben Vögel erbeutet hatte.

Der Oberforstmeister von Wildungen theilt in seinem Taschenbuch vom Jahre 1796 mehrere andere interessante Fälle mit.

Ein Jäger, Abends auf dem Anstande nach einem Hirsche, sieht einen [736] alten Fuchs mit kräftigen Anläufen auf einen nahen und hohen alten Stock mehrmals hinauf und wieder herabspringen und endlich davonschleichen. Bald darauf erscheint er wieder mit einem dicken Eichenast im Maule und wiederholt nun so den vorigen Versuch, der anfänglich einige Mal mißlingt, so lange, bis er, auch mit dieser Bürde beladen, ohne Anstoß hinauf kommen kann. Nun läßt er seinen Ast herabfallen, drückt sich oben auf der ersprungenen Warte platt nieder und bleibt in dieser Stellung unbeweglich liegen. Der aufmerksame Waidmann kann trotz alles Nachsinnens den eigentlichen Beweggrund zu diesen wunderbaren Operationen nicht errathen. Aber was geschieht? Bei einbrechender Dämmerung tritt eine starke Bache mit fünf noch ganz kleinen Frischlingen aus der nächsten Dickung hervor. Sorglos zieht sie dicht an jenem alten Stocke vorbei, indeß zwei ihrer Kleinen ein wenig zurückbleiben. Kaum haben aber auch diese die gefährliche Stelle erreicht, als Meister Reinecke wie ein Pfeil auf eines derselben herabstürzt und auch im Augenblicke mit ihm sich recht glücklich wieder hinaufschwingt. Bestürzt über das Angstgeschrei des armen Schlachtopfers kehrt die Bache wüthend zurück, versucht es vergebens, zu seiner Rettung den hohen Sitz des verwegenen Räubern zu erklimmen, und muß endlich, nachdem sie ihn bis tief in die Nacht bestürmt hatte, voll Verzweiflung davongehen.

„Was dünkt meine Leser von dieser Geschichte,“ setzt Wildungen hinzu, „die ich gewiß selbst bis an mein Ende bezweifelt haben würde, wenn sie nicht deren Augenzeuge, einer der glaubwürdigsten Dianenpriester, die ich je gekannt habe, selbst noch in seinen letzten Stunden feierlichst bekräftigt hätte? Wenn die Thiere bloße Maschinen sind, wäre da nicht dieser Fuchs eine gar unbegreiflich kluge Maschine gewesen? Welche Speculationen, welche Erfahrungen, welche Vernunftschlüsse setzt dieser originelle Frischlingsfang nicht voraus! Hätte der scharfsinnige Mensch sich einen zweckmäßigern Plan ersinnen können, des leckern Bratens ohne Gefahr habhaft zu werden?“

Daß der Fuchs, wenn er sich mit einem Laufe in einem Eisen gefangen hat, sich den Lauf abbeißt, um sich zu retten, läßt sich ebensowenig durch den Instinct allein erklären, wie die Arbeiten der Ameisen, der Bienen, die ebenso künstlichen wie großartigen Wasserbauten der Biber, das Ausstellen der Schildwachen der wilden Gänse, Gemsen, Kraniche und Seekühe und viele ähnliche Erscheinungen bei anderen Thieren, welche alle auf Ueberlegung, Speculation und Berechnung hindeuten.

Am meisten zeichnet sich in dieser Beziehung der Hund, der treue Gefährte des Menschen in allen Welttheilen, aus, wie dieses schon durch die häufig vorkommenden Redensarten: „der Hund hat Menschenverstand“, „dem Hunde fehlt blos die Sprache“ etc., sowie durch das Epigramm:

„Hier liegt ein Hund, der fürwahr
Viel klüger als sein Jäger war –“

angedeutet wird. Es muß daher in der That Wunder nehmen, wie der Feder des Altmeisters Goethe das bittere Epigramm auf die Hunde entschlüpfen konnte:

„Wundern kann es mich nicht, daß Menschen die Hunde so lieben; Denn ein erbärmlicher Schuft ist, wie der Mensch, so der Hund.“ [800]
Einer meiner Freunde hatte einen jungen Fuchs aufgezogen und dergestalt gezähmt, daß ihm derselbe auf Spaziergängen durch Wald und Feld so getreu folgte, wie ein Hund. Bei aller Zahmheit konnte der Fuchs aber sein Gelüste nach frischen Hühnern doch nicht völlig bezwingen und machte, um sich diesen Genuß zu verschaffen, nicht selten nächtliche Exkursionen nach den benachbarten Hühnerställen, indem er die etwa sechs bis sieben Fuß hohe Umfriedigung des Hofes übersprang und sich einen leckern Braten aus der Nachbarschaft holte. Einige Male wurde der Schelm bei seinen Räubereien ertappt, und meines Freundes Geldbeutel mußte für den Strauchdieb büßen. Um diesem sein sauberes Handwerk zu legen, band mein Freund ihm in meinem Beisein einen etwa anderthalb Fuß langen und zwei Zoll dicken Knüttel am Halsbande fest, der, indem er zwischen die Läufe zu hängen kam, ihn wesentlich im Springen hindern mußte. Darauf wurde Meister Reinecke aus dem Stalle und in den Hof gelassen. Wir begaben uns hinaus in’s Zimmer, um ihn von dort aus zu belauschen. Er lief, offenbar sehr ärgerlich über das Hemmniß, mehrmals den Hof auf und ab. Dann blieb er stehen und betrachtete den Knüttel sehr nachdenklich, faßte ihn und warf ihn entrüstet zur Erde. Aber was konnte das helfen? Hierauf setzte er zu dem gewöhnlichen Sprunge an, doch umsonst; denn der Knüttel kam ihm dabei zwischen die Läufe und er kugelte wieder herunter, ohne sein Ziel erreicht zu haben.

Gleich darauf ein zweiter, ebenso vergeblicher Versuch. Was that der Schelm nun? Er betrachtete nochmals mit prüfenden Blicken lange Zeit den fatalen Knüttel, dann zog er ihn hervor, nahm ihn zwischen die Zähne und machte, den Knüttel hoch tragend, aus freier Hand mehrere Sprünge zur Probe, frei in die Luft. Mit einem Male, den gehörigen Anlauf nehmend und den Knüttel hoch im Maule tragend, flog er mit einem sichern Sprunge über die Hofmauer, und fort war er. –

Mein Hühnerhund, der mein täglicher Stubengenosse ist, hat eine große Passion, jeden auf die Diele des Zimmers fallenden Sonnenstrahl wahrzunehmen, um sich dort niederzulegen. Vor einigen Tagen stehe ich, mich rasirend, vor dem Spiegel und höre zu meiner Verwunderung – denn ich war allein im Zimmer – einen Stuhl rücken. Was gewahre ich durch den Spiegel? Durch das Fenster, über meinen Schreibtisch hinweg, fällt die Sonne unter einen Stuhl. Daneben steht mein Perdrix und schiebt mit seinem Rücken den Stuhl und zwar sehr vorsichtig und anständig, indem er sich von der Seite gegen den Sitz lehnt, allmählich so weit zur Seite, bis der von der Sonne beschienene Raum vollständig frei ist, auf dem er sich nun gemächlich niederstreckt. Ist das nur Instinct?
V.