Heiligenstädter Testament (Asow)

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Textdaten
Autor: Ludwig van Beethoven
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Titel: Heiligenstädter Testament (Asow)
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Entstehungsdatum: 1802
Erscheinungsdatum: 1957, 3. Aufl. 1975
Verlag: Doblinger
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Erscheinungsort: Wien - München
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Originalherkunft:
Quelle: Ludwig van Beethoven. Heiligenstädter Testament. Faksimile. Hg. Hedwig M. von Asow. Verlag Doblinger, Wien-München 1957, 3. Aufl. 1975, S. 8-11, ISBN 3-900035-12-1; der Nachtrag vom 10. Oktober nach der Erstausgabe: Verlag Eberhard Stichnote, Hamburg 1952, S. 19
Kurzbeschreibung:
Eine verlässlichere Transkription von Sieghard Brandenburg (1996) ist unter Heiligenstädter Testament zu finden.
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[8]

Für meine Brüder Carl und [Johann] Beethoven.

O ihr Menschen die ihr mich für feindselig störisch oder / Misantropisch haltet oder erkläret, wie unrecht thut ihr mir / ihr wißt nicht die geheime urßache von dem; was euch so / scheinet, mein Herz und mein Sinn waren von Kindheit / an für das Zarte Gefühl des wohlwollens, selbst große / Handlungen Zu verrichten dazu war ich immer aufgelegt, / aber bedenket nur daß seit 6 jahren ein heilloser / Zustand mich befallen, durch unvernünftige ärzte verschlimmert / von jahr zu jahr in der Hoffnung gebessert zu werden, / betrogen, endlich zu dem uberblick eines dauernden / Übels [daß durchstrichen] (dessen Heilung vieleicht jahre dauern oder / gar unmöglich ist) gezwungen, mit einem feuerigen / Lebhaften Temperamente gebohren selbst empfäng- / lich für die Zerstreuungen der Gesellschaft, muste ich früh / mich absondern, einsam mein Leben zubringen, wollte / ich auch Zuweilen mich einmal über alles das hinaussetzen, / o wie hart wurde ich dur[ch] die verdoppelte trauerige / Erfahrung meines schlechten Gehör’s dann Zurück- / gestoßen, und doch war’s mir noch nicht möglich den / Menschen zu sagen: sprecht lauter, schrejt, denn / ich bin taub, ach wie wär es möglich daß ich dann die / Schwäche eines Sinnes angeben sollte; der bej mir in / einem vollkommenern Grade als bej andern sein sollte, / einen Sinn denn ich einst in der größten Vollkommenheit / besaß, in einer Vollkommenheit, wie ihn wenige von / meinem Fache gewiß haben noch gehabt haben – o ich / kann es nicht, drum verzeiht,

[9] wenn ihr mich da zurück- / weichen sehen werdet, wo ich mich gerne unter euch mischte / doppelt wehe thut mir mein unglück, indem ich dabej verkannt / werden muß, für mich darf Erholung in Menschlicher Gesell- / schaft, feinere Unterredungen, wechselseitige Ergießun- / gen nicht statt haben, ganz allein fast nur so viel / als es die höchste Nothwendigkeit fodert, darf ich mich in gesell- / schaft, einlassen, wie ein Verbannter muß ich leben, nahe ich mich / einer Gesellschaft, so überfällt mich eine heiße ängstlich- / keit, indem ich befürchte in Gefahr gesetzt zu werden, meinen / Zustand merken zu laßen – so war es denn auch / dieses halbe jahr, was ich auf dem Lande zubrachte, / von meinem vernünftigen Arzte aufgefordert, so viel / als möglich mein Gehör zu schonen, kamm er [nur durchstrichen] fast meiner / jetzigen natürlichen Disposizion entgegen, obschon, vom Triebe / zur Gesellschaft manchmal hingerissen, ich mich dazu verleiten / ließ, aber welche Demüthigung wenn jemand neben mir / stund und von weitem eine flöte hörte und ich nichts hörte; / oder jemand den Hirten Singen hörte, und ich auch nichts hörte, [Seite 2] solche Ereignüsse brachten mich nahe an Verzweiflung, / es fehlte wenig, und ich endigte selbst mein Leben + nur sie die Kunst, sie hielt mich / zuruck, ach es dünkte mir unmöglich, die welt / eher zu verlassen, bis ich das alles hervorgebracht, / wozu ich mich aufgelegt fühlte, und so fristete / ich dieses elende Leben – wahrhaft elend; einen / so reizbaren Körper, daß eine etwas schnelle / Verändrung mich aus dem Besten Zustande in / den schlechtesten versezen kann – Geduld – / so heist es, Sie muß ich nun zur führerin / wählen, ich habe es – dauernd hoffe ich, soll mein

[10] Entschluß / sejn, auszuharren, bis es den unerbittlichen parzen / gefällt, den Faden zu brechen, vielleicht geht’s besser, / vielleicht nicht, ich bin gefaßt – schon in meinem / 28 jahre gezwungen Philoßoph zu werden, / es ist nicht leicht, für den Künstler schwerer als / für irgend jemand – gottheit du siehst herab auf / mein inneres; du kennst es, du weißt, daß menschenliebe / und neigung zum wohlthun drin hausen, – o Menschen, / wenn ihr einst dieses leset, so denkt, daß ihr mir unrecht / gethan, und der unglückliche, er tröste sich, einen seines / gleichen zu finden, der trotz allen Hindernissen der Natur, / doch noch alles gethan, was in seinem Vermögen stand, / um in die Reihe würdiger Künstler und Menschen / aufgenommen zu werden – ihr meine Brüder / Carl und [Johann], sobald ich tod bin und professor schmid / lebt noch, so bittet ihn in meinem Namen, daß er meine Krankheit / beschreibe, und dieses hier geschriebene Blatt / füget ihr dieser meiner Krankengeschichte bej, [ein unleserliches Wort durchstrichen] damit / wenigstens so viel als möglich die welt nach meinem Tode / mit mir versöhnt werde – Zugleich erkläre ich euch / beide hier für [meinen durchstrichen] die Erben des kleinen Vermögens, / (wenn man es so nennen kann) von mir, theilt es redlich, / und vertragt und helft euch einander, was ihr mir / zuwider gethan, das wist ihr, war euch schon längst ver- / ziehen, dir Bruder Carl danke ich noch insbesondere für / deine in dieser letztern spätern Zeit mir bewie- / sene Anhänglichkeit, Mein wunsch ist, daß [ich durchstrichen] euch / ein bessers sorgen[volleres durchstrichen] loseres Leben, als mir, werde, / emphelt euren [nach durchstrichen] Kindern Tugend, sie nur allein kann /

[11] glücklich machen, nicht Geld, ich spreche aus Erfahrung, / sie war es die mich selbst im Elende gehoben, ihr danke / [Seite 3] ich nebst meiner Kunst, daß ich durch keinen selbst- / mord mein Leben endigte – lebt wohl und / liebt euch, – allen Freunden danke ich, besonders Fürst Lichnowski und Professor Schmidt. – Die / Instrumente von Fürst L. wünsche ich, daß sie doch / mögen aufbewahrt werden bej einem von euch, doch / entstehe des wegen kein Streit unter euch, sobald / sie euch aber zu was nüzlicherm dienen können, / so verkauft sie nur, wie froh bin ich, wenn ich auch / noch unter meinem Grabe euch nüzen kann – / so wär’s geschehen – mit freuden eil ich dem Tode / entgegen – kömmt er früher als ich Gelegenheit / gehabt habe, noch alle meine Kunst-Fähigkeiten zu entfalten, so wird er mir trotz meinem Harten / Schicksal doch noch zu frühe kommen, und ich würde / ihn wohl später wünschen – doch auch dann / bin ich zufrieden, befrejt er mich nicht von einem / endlosen Leidenden Zustande? – komm, wann du / willst, ich gehe dir muthig entgegen – lebt wohl / und vergeßt mich nicht ganz im Tode, ich habe es / um euch verdient, indem ich in meinem Leben / oft an euch gedacht, euch glücklich zu machen, sejd es –

Ludwig van Beethoven
Heiglnstadt
am 6ten ot october
1802
L.S.

[19]

{am linken Rand, 90° gegen den Uhrzeigersinn gedreht}
Für meine Brüder Carl und [Johann]
nach meinem Tode zu lesen und zu vollziehen –


{horizontal gedruckt}
[Seite 4] Heiglnstadt am 10ten Ocktober 1802 so nehme / ich den Abschied von dir – und zwar traurig – / ja die geliebte Hofnung – die ich mit hieher nahm, / wenigstens bis zu einem gewissen Punckte / geheilet zu sejn – sie muß mich nun gänzlich / verlassen, wie die Blätter des Herbstes herabfallen, / gewelckt sind; so ist – auch sie für mich dürr / geworden, fast wie ich hieher kamm – gehe ich fort – / selbst der Hohe Muth – der mich oft in den Schönen / Sommertägen beseelte – er ist verschwunden – / o Vorsehung – laß einmal einen reinen Tag / der Freude mir erscheinen – so lange schon ist der / wahren Freude inniger Widerhall mir fremd – o wann – / o wann o Gottheit – kann ich im Tempel der Natur / und der Menschen ihn wider fühlen, – Nie? – – / nein – o es wäre zu hart.


{unter dem Text, 90° gegen den Uhrzeigersinn gedreht}
Erhalten am 21ten 9ber 1827 aus den Händen des Herrn Artaria et Comp. am Kohlmarkte.
Jak. Hotschevar

Erhalten aus den Händen des Herrn Jakob von Hotschevar.
Johanna van Beethoven.


Editionsrichtlinien:
  • Es gelten die allgemeinen Editionsrichtlinien
  • Die Rechtschreibung folgt dem Original.
  • Das überstrichene m wird zu mm aufgelöst.
  • Eckige Klammern [] sind Zusätze der Herausgeberin Hedwig M. von Asow
  • Geschweifte Klammern {} sind Zusätze des WS-Bearbeiters