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Henri Dunant, der Begründer der Genfer Konvention

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Textdaten
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Autor: Max Wauer
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Titel: Henri Dunant, der Begründer der Genfer Konvention
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 40, S. 675
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1896
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Henri Dunant, der Begründer der Genfer Konvention.

Auf goldenen Tafeln, auf denen die Wohlthäter der Menschheit verzeichnet stehen, prangt auch der Name Henri Dunant, der Name des Begründers eines Werkes, das zu den Ruhmestiteln unseres Jahrhunderts zählt, des „Roten Kreuzes“.

Wenn man heute die Größe und umfassende Bedeutsamkeit dieser Schöpfung, ihre Ausdehnung über alle Kulturländer des Weltalls sich vor Augen hält, dann erscheint es fast unglaublich, daß all dies der Initiative eines einzigen Mannes zu danken ist, und zwar eines Mannes, der weder durch Stellung und Rang, noch durch Einfluß dazu berufen schien, ein Werk von so epochemachender Bedeutung ins Leben zu rufen. … Aber die Vollmacht, die ihm die Vorsehung mit auf den Weg gegeben hatte, war schwerwiegender als Rang und Einfluß – die echte, rechte Menschenliebe, die Begeisterung für das Gute und Edle, der Glaube an seine Berufung, die Idee, welche der Geist der Humanität ihm eingab, ins Werk zu setzen.

Henri Dunant ist am 8. Mai 1828 zu Genf, der Schweizer Stadt, die durch Bildung und Wohlthätigkeitssinn von jeher ganz besonders ausgezeichnet war, geboren.

Vor etwa 40 Jahren wies ein damals sensationelles Vorkommnis dem jungen Dunant den Pfad, den er nunmehr auf dem Gebiete der Caritas, der werkthätigen Nächstenliebe, zu seinem und der Menschheit Ruhm zu wandeln hatte. Die Engländerin Miß Florence Nightingale hatte im Krimkriege durch ihre Organisation der Krankenpflege Wunder gewirkt und die Pflege der Verwundeten im Kriege erst in ein gewisses System gebracht. Dieses Beispiel einer Frau wirkte anfeuernd auf den jugendlichen Dunant, als dieser nach Ausbruch des österreichisch-italienischen Krieges im Jahre 1859 auf das Schlachtfeld von Solferino eilte, um hier aus eigenen Mitteln und ganz auf sich angewiesen eine Verwundetenhilfe zu organisieren.

Henri Dunant.
Nach einer Aufnahme von Otto Rietmann in St. Gallen.

An den Namen Solferino knüpft sich nun der Beginn der großen Bewegung vom „Roten Kreuz“, die dazu bestimmt war, die Welt zu erobern, und auch heute noch nicht abgeschlossen ist, denn viele, sehr viele von den großen Wohlthätigkeitsgedanken, die Dunants Seele bewegten, sind noch in die That zu übertragen.

Auf dem Schlachtfeld von Solferino wurde zum erstenmal, von dem entflammenden Beispiel des jugendlichen Dunant wachgerufen, bei der Pflege der Verwundeten die Parole ausgegeben „Tutti fratelli!“ („Alles Brüder!“) und von den Einwohnern Cartigliones den Oesterreichern die gleiche Hilfe geleistet wie den Italienern und Franzosen. Hier wuchs aber auch in der Seele Dunants der heilige Entschluß, nicht eher zu ruhen, als bis die Neutralität, die Unverletzlichkeit der Verwundeten auf den Schlachtfeldern durch internationale Verträge den kriegführenden Völkern zur Pflicht gemacht worden.

Er hatte die Aufopferungsfähigkeit der Frauen kennengelernt und auf die Frauen aller Nationen suchte er nun sein Werk in erster Reihe zu stützen. In Wort und Schrift wirkte er für seine Ideen, er veröffentlichte unter dem Titel „Souvenir de Solferino“ ein Büchlein, welches den Zweck verfolgte, die Zeitgenossen für die Frage der Verwundetenpflege zu erwärmen, und diesen Zweck glänzend erreichte.

Sein Büchlein zündete in den Herzen aller, die für Humanität und Philanthropie zu begeistern waren; es ward in alle europäischen Sprachen übersetzt und trug den Namen Dunant in alle Länder. Aber dieser schriftstellerische Erfolg genügte der Feuerseele Dunants nicht; er, ein Seher und Prophet der praktischen Nächstenliebe, wird auch ihr glühender Apostel, der durch die Welt reist, um Jünger zu werben.

Er gewann in seiner Vaterstadt Genf die „Gemeinnützige Gesellschaft“, an deren Spitze thatkräftige Männer, wie General Dufour und Moynier, standen, für seine Ziele; er reiste zu Kongressen und an die Fürstenhöfe Europas, um die Mächtigen der Erde seinen Ideen geneigt zu machen; er wurde nicht müde, Schwierigkeiten, die besonders von seiten der Militärverwaltungen ihm erwuchsen, zu überwinden, und er, ein einzelner Privatmann, setzte es durch, daß im August 1864 die Delegierten der Kulturnationen in Genf zusammentraten, um die berühmte segensreiche „Genfer Konvention“ abzuschließen, welche die Neutralität der Kriegsverwundeten und ihrer Pfleger zur Sache des Völkerrechts machte.

Allerdings waren ihm hochmögende Gönner und Gönnerinnen erwachsen, von denen besonders die Kaiserin Augusta (damals noch Königin von Preußen) und ihre hochherzige Tochter, die Großherzogin von Baden, enthusiastisch für den Gedanken des „Roten Kreuzes“ eintraten. Dunant selber schreibt dem Eingreifen dieser edlen Frauen den hauptsächlichsten Teil des Erfolges zu.

Jetzt darf er die Freude erleben, daß sein Werk, das er allein begonnen, im Herzen von Hundertausenden der Besten unter den Zeitgenossen Wurzeln gefaßt hat und weiter emporblüht. Reiht sich doch jetzt dem Wirken des „Roten Kreuzes“ – abseits von den Zwecken für den Kriegsfall – auch vieles ein, was Dunants Seele ahnungsvoll voraussah, als er verkündete: „Der Einzelne ist ohnmächtig gegenüber der Riesengestalt, die Unglück und Elend heißt. Um nur einigermaßen zu helfen, muß man die ganze Menschheit gegen diese dunklen Schattengestalten in die Schranken rufen. Freilich nur sehr nebelhaft und verschwommen tauchte bei mir schon im Jahre 1849, als 21jährigem jungen Manne, der Gedanke an die Gründung eines großen internationalen Bundes zur Linderung des Unglücks aller Arten auf. Der Gedanke bat mich seither nicht mehr verlassen.“

Unter dem Banner des „Roten Kreuzes“ werden jetzt auch heilsame Friedenswerke geübt, welche die Not lindern sollen; die mächtige Bewegung zur Errichtung von „Volksheilstätten vom Roten Kreuz“, welche schon eigene Vereine und ein eigenes weitverbreitetes Organ (das „Rote Kreuz“ in Berlin) ins Leben rief, giebt davon beredtes Zeugnis.

Henri Dunant darf mit freudigem Stolz auf sein Lebenswerk blicken, aber nicht so freudig dürfen die Zeitgenossen den Lebensabend des Mannes betrachten, dem so unendlich Großes im Reiche der werkthätigen Menschenliebe zu danken ist.

Den größten Teil seines Vermögens hat der edle Menschenfreund an die Verwirklichung seiner humanitären Ziele gesetzt – widrige Schicksalsumstände haben ihm den anderen Teil geraubt, als verarmter Mann lebt derjenige, dem die Welt eine unschätzbare Wohlthat zu verdanken hat, fern von seiner Vaterstadt, deren Namen er mit unvergänglichem Ruhm geschmückt, jetzt im Spital von Heiden.

Den Lebensabend Dunants zu einem angenehmen und sorgenlosen zu gestalten, ist eine Ehrenpflicht aller Zeitgenossen, die ihm so hohen Dank schulden!

Es sind Sammlungen für ihn eröffnet worden und unter anderem nimmt auch die Geschäftsstelle des „Roten Kreuzes“ in Berlin, Lindenstraße 23, Gaben entgegen. Es ist schlimm genug, daß ein solcher Aufruf an die Oeffentlichkeit überhaupt nötig wurde. Hoffen wir wenigstens, daß nunmehr die Erinnerung an eine Ehrenschuld aller Kulturvölker nicht fruchtlos verhalle und in kürzester Zeit Dunant, dem Wohlthäter der Menschheit, eine würdige Ehrengabe überreicht werde! Dr. Max Bauer.