Herodes/Herodes Archelaos
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Herodes Archelaos (eigentlich Iulius Herodes Archelaos s. S. 19), ältester Sohn Herodes I.; aus seiner Ehe mit der Samariterin Malthake (Joseph. bell. Iud. I 562. II 39; ant. Iud. XVII 20. 250; vgl. S. 175). Er scheint überhaupt der älteste Sohn aus den späteren nach der Hinrichtung der Hasmonäerin geschlossenen Ehen seines Vaters gewesen zu sein (Ewald IV³ 586 und Keim 38 irren, wenn sie Herodes, den Sohn der 2. Mariamme, für den älteren halten; s. dagegen Joseph. bell. Iud. I 664, auch 646). Da nun Herodes I. aus seiner Ehe mit Mariamme II. bereits etwa im J. 22 v. Chr. sein Sohn Herodes geboren sein kann, so könnte man die Geburt des Archelaos schon etwa um 23 v. Chr. ansetzen (s. über die Reihenfolge der Heiraten Herodes’ I. S. 131f.). Viel früher allerdings auch nicht, da Archelaos etwa im J. 5 v. Chr. von seinem ältesten Bruder Antipatros noch als μειράκιον bezeichnet wird (Joseph. bell. Iud. I 602; ant. Iud. XVII 81) und seine νεότης damals ausdrücklich herausgehoben wird (Joseph. bell. Iud. I 604). Zu der Geburt um 23 v. Chr., d. h. zu einem Alter von etwa 18 Jahren, würde es auch gut passen, daß die Beendigung seines Studienaufenthaltes in Rom – auch ihn sandte sein Vater, wie einst die Mariammesöhne, zur Vollendung der Erziehung in die Hauptstadt – etwa in den Beginn des J. 5 v. Chr. gefallen ist (Joseph. bell. Iud. I 602f.; ant. Iud. XVII 20. 80).
Schon während seines römischen Aufenthaltes scheint sich das besonders enge Verhältnis zu seinem Stiefbruder Philippos angeknüpft zu haben, das wir auch in der Folgezeit finden. Beide zusammen, deren φρόνημα hervorgehoben wird, sind bald Antipatros verdächtig geworden; sie schienen ihm ihrer ganzen Anlage nach offenbar geeignet, anders als die anderen Brüder, seinen eigenen Aussichten auf den väterlichen Thron gefährlich zu werden. So hat er Archelaos und Philippos noch während der letzten Zeit ihrer Anwesenheit in Rom und auch später nach ihrer Heimberufung durch Briefe römischer Helfershelfer und eigene Schreiben aus Rom verleumdet, sie seien gegen ihren Vater, ähnlich wie die Mariammesöhne, erbittert und hätten dem auch offen Ausdruck gegeben (Joseph. bell. Iud. I 602–605; ant. Iud. XVII 80f.).
Die Verdächtigung – ob irgend etwas Tatsächliches ihr zugrunde lag, ist nicht zu entscheiden – hat, trotzdem damals gerade Antipatros’ Tücke entlarvt wurde, ihre Wirkung auf den mißtrauischen König nicht verfehlt, und so hat dieser bei der Neuordnung der Nachfolge den Archelaos trotz dessen Alters ebenso wie Philippos zunächst ganz übergangen (Joseph. bell. Iud. I 646; ant. Iud. XVII 146. Die Behauptung [166] des Joseph. bell. Iud. I 606, daß man damals in dieser Verdächtigung bereits allgemein einen zweiten Brudermord erkannt hätte, ist mit ihrem Erfolge nicht zu vereinen; sie nimmt offenbar die erst allmählich sich bildende Erkenntnis vorweg. Der im J. 4 v. Chr. in der einen Anklagerede vor Augustus von den Gegnern des Archelaos genannte Grund für seine Nichtberücksichtigung, seine Grausamkeit, dürfte kaum für die Entscheidung des Königs in Betracht zu ziehen sein [Joseph. bell. Iud. II 31; ant. Iud. XVII 237f.]). Kurz vor seinem Tode scheint aber Herodes I. noch die wahre Natur der Verdächtigung erkannt zu haben – oder sollte etwa auf die Änderung ein äußerer Faktor, Rom, von Einfluß gewesen sein? (s. die Vermutung auf S. 149) –, jedenfalls hat er Archelaos zu seinem Nachfolger in der βασιλεία bestimmt, d. h. ihm die Oberherrschaft über das jüdische Reich zugedacht, von dem allerdings die Landschaften Galiläa und Peräa, sowie Gaulanitis, Trachonitis, Batanaia und Panias als Vasallenteilfürstentümer (Tetrarchien) seinen Brüdern Antipas und Philippos zufallen sollten (Joseph. bell. Iud. I 664. 668; ant. Iud. XVIII 188f. 194. XVIII 93). Daß die Einheit des Reiches gewahrt werden sollte, geht auch daraus deutlich hervor, daß von Herodes ein Sonderbesitz für Archelaos nicht festgelegt worden ist (s. auch Joseph. bell. Iud. II 38; ant. Iud. XVII 249. Nikol. Damasc. frg. 5 [FHG III 353] und S. 175 und 177. Strab. XVI p. 765 drückt sich hier nicht korrekt aus).
Der sterbende König hatte alle diese Bestimmungen mit dem Vorbehalt der Bestätigung durch Augustus getroffen (Joseph. bell. Iud. I 669. II 2f. 26. 35; ant. Iud. XVII 195. 202. 231f. 236. 244. 246f. und hierzu die staatsrechtlichen Ausführungen auf S. 65f.); Archelaos mußte es sich also angelegen sein lassen, diese Zustimmung baldigst einzuholen. Nach dem Tode des Königs hat er sich als der vorläufige Reichsverweser, obwohl seine Gegner ihn in Rom später des Gegenteils bezichtigten (Joseph. bell. Iud. II 26ff.; ant. Iud. XVII 230ff.), sicherlich ganz korrekt benommen, um nicht durch Anmaßung ihm nicht zustehender Rechte in Rom anzustoßen; wären die Vorwürfe der Gegner berechtigt gewesen, so hätte sich Augustus nicht später zu ihm so freundschaftlich gestellt. Archelaos hat denn auch das ihm vom jüdischen Heere angebotene Diadem als das Zeichen der Königswürde abgelehnt und ebenso auf den Königstitel verzichtet (Joseph. bell. Iud. II 3; ant. Iud. XVII 202). Die Führung der Regierungsgeschäfte hat er allerdings in vollem Umfange übernommen (Joseph. bell. Iud. II 27ff.; ant. Iud. XVII 232ff.). Daß er hiermit nichts Ungehöriges getan hat, geht auch aus dem Verhalten des syrischen [167] Statthalters Varus hervor; dieser hat nämlich die Forderungen des Procurators Sabinus, der auf die Kunde vom Tode Herodes’ I. sozusagen als römischer Ministerresident zur Kontrolle hingesandt worden war, als zu weitgehend sistiert: der jüdische Staatsschatz und die Festungen sollten vorläufig nicht mit Beschlag belegt werden (Joseph. bell. Iud. II 16f.; ant. Iud. XVII 221f. Eine besonders enge Verbindung des Varus mit Archelaos darf nicht allein als Grund des Vorgehens des Statthalters angenommen werden; s. bell. Iud. II 80; ant. Iud. XVII 300).
Archelaos hat zunächst den Versuch gemacht, das jüdische Volk für sich zu gewinnen; dies schien ihm in Anbetracht der Unsicherheit seiner noch nicht bestätigten Stellung besonders wichtig. Vor einer großen Volksversammlung im Tempel zu Jerusalem versprach er die Abstellung der Unbilden des bisherigen Regiments, vor allem Abgabenerleichterung und eine Amnestie (Joseph. bell. Iud. II 1–4; ant. Iud. XVII 200–205). Durch die Nachgiebigkeit ermutigt, hat dann das Volk, das noch über die erst vor kurzem von Herodes I. verfügte Hinrichtung der Schriftgelehrten Juda und Matthia (s. S. 147) aufs höchste erregt war, weitere Forderungen gestellt, und zwar Absetzung des soeben von Herodes I. eingesetzten mißliebigen Hohenpriesters und Bestrafung der Räte des verstorbenen Königs, überhaupt die Beseitigung des hellenistischen Elementes am Königshofe (s. speziell Nikol. Damasc. frg. 5 [FHG III 353]). Es hat also auch das kulturelle Moment, das jüdische Nationalgefühl, auf die damaligen Vorgänge bestimmend eingewirkt.
Archelaos, der seine Autorität durch weitere Bewilligungen aufs Spiel gesetzt hätte, hat zunächst noch versucht, das Volk durch Verhandlungen von seinem Verlangen abzubringen; er kommt den Juden also sehr weit entgegen. Auch als das Verhalten des Volkes bereits den Charakter des Aufstandes annahm, der infolge der zum bevorstehenden Passafeste in Jerusalem zusammenströmenden Volksmengen besonders gefährlich werden konnte, ist er anfangs mit Zwangsmaßregeln nur zögernd vorgegangen und hat erst, als die Gefahr zu handgreiflich wurde, sich mit seinen Truppen gegen die Volksmassen gewandt, nun aber auch mit aller Energie; der Aufruhr ist in Blut erstickt worden (Joseph. bell. Iud. II 5–13. 30; ant. Iud. XVII 206–218. 237. Nikol. Damasc. a. a. O.). Die Juden haben damals dieses Vorgehen des Archelaos gegen sie herausgefordert; irgendwelche Schuld an dem Blutbade scheint ihn nicht zu treffen (sehr wichtig für das Urteil ist das Zugeständnis in der einen Anklagerede gegen Archelaos vor Augustus, Joseph. ant. Iud. XVII 231: ὧν καὶ ἀδικούντων).
Nach der Niederwerfung des Aufstandes hat sich Archelaos eilends nach Rom begeben, um dort die Anerkennung als König zu erlangen. Die durch den Volksaufstand schon an und für sich bedenkliche Situation des neuen Regiments begann sich jedoch immer bedenklicher zu gestalten; denn sein Bruder Antipas erhob gleichfalls Ansprüche auf die βασιλεία und wollte sich auf Verhandlungen nicht einlassen. Auch dieser ist nach Rom aufgebrochen, um die Entscheidung des Augustus anzurufen [168] (s. S. 175ff.). Es war ein Glück für Archelaos, daß der Reichskanzler Ptolemaios (s. S. 63) und Nikolaos von Damaskos unbedingt auf seiner Seite standen, der letztere von großer Wichtigkeit infolge seiner intimen Kenntnisse der römischen Verhältnisse und durch seine diplomatische Redegabe. Auch sein Bruder Philippos stand treu zu ihm; ihn ließ Archelaos als Reichsverweser zurück, und dieser hat ihn dann auch später in Rom unterstützt (Joseph. bell. Iud. II 83; ant. Iud. XVII 303. Keim S. 39 urteilt nicht richtig, wenn er auch Philippos als Prätendenten gegen Archelaos bewertet). Ebenso schien die alte Heuchlerin, Archelaos’ Tante Salome, mit ihrem Anhang anfangs seine Sache unterstützen zu wollen; sie reiste mit ihm nach Rom, um sich dort, ebenso wie die anderen συγγενεῖς, allerdings sofort von ihm abzuwenden und ihre eigenen selbstsüchtigen Pläne zu verfolgen, welche unter Zerstückelung des Reiches auf die Begründung eigener kleiner Herrschaften hinausliefen (Joseph. bell. Iud. II 14–22; ant. Iud. XVII 219–227. Nikol. Damasc. a. a. O.). Gegen Archelaos versuchte in Rom außer den eigenen Verwandten schließlich auch das jüdische Volk zu wirken. So erschienen bald nach seiner Ankunft 50 jüdische Gesandte in der römischen Hauptstadt (Joseph. bell. Iud. II 80; die Entsendung ist noch vor dem neuen Aufstande der Juden erfolgt. Nikol. Damasc. frg. 5 [FHG III 354]. Ewald IV³ 592. Keim 39 u. a. setzen fälschlich die Entsendung erst nach dem Aufstande – durch die Anordnung des Josephus bewogen –, was zu falschen allgemeinen Urteilen und zu falscher Chronologie führen muß). Man wollte gegen alle Herodeer als Herren protestieren und um die direkte Unterordnung unter das römische Regiment bitten; man erstrebte eben die Abschaffung der einheimischen weltlichen Herrschaft und wollte anstatt ihrer offenbar nur ein geistliches jüdisches Regiment, d. h. man hat hier pharisäische Tendenzen vor sich. Sowohl diese jüdische Partei als die der Salome waren im Notfall, wenn ihre eigenen Wünsche unerfüllbar erschienen, bereit, für Antipas gegen Archelaos einzutreten (Joseph. bell. Iud. II 22; ant. Iud. XVII 277. Nikol. Damasc. a. e. a. O.). Man darf dies wohl dadurch erklären, daß man von Archelaos ein strengeres Regiment als von Antipas befürchtete, ein Regiment, das die eigenen Wünsche ganz zunichte machen würde, und darf es nicht auf irgendwelche Urteile über die Moral der beiden Brüder oder über ihre mangelhafte Regentenfähigkeit zurückführen (Joseph. ant. Iud. XVII 227: λυσιτελέστερον Ἀρχελάου τὸν Ἀντιπᾶν λογιζόμενοι). Schließlich sind auch, um die ganze Situation für Archelaos noch weiter zu erschweren, Gesandte der zu Herodes’ I. Reich gehörenden griechischen Stadtgemeinden nach Rom gekommen, welche Befreiung von der jüdischen Herrschaft und Eingliederung in das römische Provinzialregiment forderten (Nikol. Damasc. a. e. a. O.); ob es sich hierbei nur um die Städte Gaza, Gadara und Hippos handelt, die Augustus bei seiner Entscheidung der jüdischen Erbschaftsangelegenheit tatsächlich unter die unmittelbare Oberhoheit Roms gestellt hat (Joseph. bell. Iud. II 97; ant. Iud. XVII 320), oder ob noch weitere Städte um Autonomie, wenn auch erfolglos, gebeten haben, [169] ist kaum zu entscheiden (s. freilich die ausdrückliche Charakterisierung der genannten Städte bei Josephus als Ἑλληνίδες πόλεις, obwohl auf einige der bei Josephus vorher genannten Orte auch diese Charakterisierung zuträfe, und die gleiche Bezeichnung, allerdings ohne Namensangaben, bei Nikolaos).
In Anbetracht dieser zahlreichen Gegner hat Nikolaos dem Archelaos geraten, nicht gegen alle anzukämpfen, sondern die griechischen Städte aufzugeben und sich mit seinem Bruder zu einigen (s. Nikol. a. e. a. O. und S. 176). Es ist sehr wohl möglich, daß Archelaos diesen Rat schließlich befolgt hat. Wir wissen jedenfalls nur von Verhandlungen vor Augustus, in denen Nikolaos die Sache seines Herrn gegenüber den Ansprüchen und Anschuldigungen der Salomepartei und der Juden vertreten hat (Joseph. bell. Iud. II 25–36. 80–92; ant. Iud. XVII 229–247. 304–316 und S. 176f.). Augustus hat sich von Anfang an dem Archelaos gnädig gezeigt (Joseph. bell. Iud. II 37; ant. Iud. XVII 248), aber auch von Anfang an scheint er die schließlich gefällte Entscheidung, die Aufhebung der jüdischen βασιλεία, d. h. Beseitigung der Einheit des jüdischen Reiches im Auge gehabt zu haben (Joseph. bell. Iud. II 38; ant. Iud. XVII 249. 303). Der jüdische Vasallenstaat ist eben der römischen Regierung zu mächtig erschienen, zumal er den Mittelpunkt der großen jüdischen Weltgemeinde darstellte. Die inneren Verhältnisse waren ferner besonders heikel, und offenbar glaubte man nur bei einer Persönlichkeit wie Herodes I. ohne Gefahr für sich den Einheitsstaat dulden zu können. Und so hat sich denn Augustus zur Teilung entschieden. Er hat nicht, wie allgemein angenommen wird, das Testament Herodes’ I. im wesentlichen bestätigt. Denn für Archelaos wurde ausdrücklich nur die Hälfte der alten βασιλεία bestimmt, nicht diese ganz, wie es sein Vater erhofft hatte. Es wurden ihm Judäa, Samaria und Idumäa, abgesehen von einigen der Salome zugedachten Ortschaften, zugewiesen; die andere Hälfte der βασιλεία wurde ihm ganz entzogen und seinen Brüdern, Herodes Antipas und Philippos, als selbständige Fürstentümer zugeteilt. Archelaos wurde ferner auch nicht βασιλεύς, sondern nur ἐθνάρχης, eine Würde, welche einst schon Hyrkanos II. bekleidet hatte, aber anders wie dieser Hyrkanos Ethnarch auch nur über den ihm zugefallenen Besitz; der jüdische Einheitsstaat war beseitigt (Joseph. bell. Iud. II 93–99; ant. Iud. XVII 317–321; s. speziell § 93: τὸ μὲν ἥμισυ τῆς βασιλείας Ἀρχελάῳ δίδωσι ἐθνάρχην προσειπών; § 317: Ἀρχέλαον βασιλέα μὲν οὐκ ἀποφαίνεται, τῆς δ’ ἡμίσεως χώρας ἥπερ Ἡρώδῃ ὑπετέλει ἐθνάρχην καθίσταται und vgl. hiermit die Bestimmungen des Testaments und die Forderungen des Archelaos [die Stellen auf S. 166 u. 177]. Matth. II 22 nennt fälschlich Archelaos βασιλεύς). Im Falle des Wohlverhaltens wurde freilich Archelaos der Königstitel für die Zukunft versprochen. Die ihm zugewiesene Hälfte des Landes war übrigens der bei weitem wertvollste Teil des alten Reiches, da sie, obwohl Augustus für die Landschaft Samaria wegen ihrer Treue während des letzten Aufstandes eine 25%ige Herabsetzung der Steuern verfügt hatte, doppelt so viel eintrug als die Gebiete der beiden Brüder zusammen, nämlich 600 Talente (Joseph. ant. Iud. XVII 320; im bell. Iud. [170] II 97 lesen wir allerdings nur von 400 Talenten, s. aber S. 91 *[WS 1]). Das Talent beträgt 10000 attische Drachmen, s. S. 91). Diese Entscheidung mag um die Mitte des J. 4 v. Chr. gefallen sein (s. S. 178).
Der Ethnarch dürfte nach ihr wohl schleunigst nach Hause zurückgekehrt sein, da hier inzwischen fast das ganze Reich in Aufruhr geraten war. Das Auftreten des römischen Procurators Sabinus, welcher entgegen den Weisungen des Varus die Auslieferung der Festungen und des königlichen Schatzes durchzusetzen versucht hatte, hatte schon bald nach der Abreise des Archelaos zu einem neuen, zweiten Aufstande der Juden geführt. Dieser war zwar von Varus schnell unterdrückt worden, aber das Verhalten des Sabinus, der die Juden rücksichtslos bedrückte, hatte beim Pfingstfest 4 v. Chr. den Aufstand um Jerusalem von neuem zum Ausbruch gebracht, und jetzt wurde das ganze Land, außer Samaria, von ihm ergriffen. Die jüdischen Truppen machten zum großen Teil mit den Aufständischen gemeinsame Sache; allenthalben erhoben sich Freischarenführer, und Sabinus mit seiner Schutztruppe wurde sogar in Jerusalem belagert[1]. Der Aufstand ist jedoch im wesentlichen noch vor der Rückkehr des Archelaos aus Rom von Varus mit blutiger Strenge niedergeworfen worden. Archelaos hatte nur noch gegen den einen Freischarenführer, Athronges, zu kämpfen; er hat sich persönlich an diesem Kampfe mit bestem Erfolg beteiligt, hat allerdings schließlich mit dem letzten Reste der Aufständischen paktiert (Joseph. bell. Iud. II 64. 66–79; ant. Iud. XVII 284. 286–298).
Als Ethnarch hat Archelaos ebenso wie sein Bruder Antipas als offiziellen Namen den Namen Herodes angenommen, was uns seine Münzen (Madden Coins of the Jews 114ff.) deutlich zeigen (auch Cass. Dio LV 27 nennt ihn Herodes, dagegen gebrauchen Josephus und Matthaeus [II 22] stets nur den alten Individualnamen. Aus der ganz verstümmelten Inschrift CIG III 4537 Add. sind, sollte sie sich wirklich auf Archelaos beziehen, keine Schlüsse über den Namen zu entnehmen. Über das prinzipiell Bedeutsame der Namensänderung s. S. 178).
Während seines Regiments ist der Ethnarch anscheinend von weiteren Aufständen seines Volkes verschont geblieben, obwohl dieses gegen ihn als den Schützling Roms nach den Ereignissen der letzten Monate, zu denen sein eigenes Vorgehen das Vorspiel gewesen war, von Anfang an besonders erbittert gewesen sein dürfte. Zur Erhaltung der Ruhe hat jedoch sicher sehr viel beigetragen, daß Varus nach Niederwerfung der großen Erhebung eine Legion als Besatzung in Jerusalem zurückgelassen hat (Joseph. bell. Iud. II 79; ant. Iud. XVII 299). Diese Stütze der [171] Herrschaft war allerdings eine weitere Beschränkung der Autonomie und wohl ein weiterer Anlaß zur Mißstimmung in jüdischen Kreisen, da seit dem Untergang des Antonius keine römischen Truppen mehr im Lande gestanden hatten (s. S. 58f.).
Archelaos hat auch anscheinend nichts getan, um die Unzufriedenheit seiner Untertanen zu heben. Sollte es ihm mit seinen Versprechungen nach dem Tode des Vaters wirklich ernst gewesen sein, was allerdings nicht zu beweisen ist, so hat er sie jedenfalls später nicht erfüllt. Die seinerzeit auch vom Volke geforderte Absetzung des augenblicklichen Hohenpriesters Joasar ist zwar erfolgt, aber nur weil ihn der Ethnarch des Einverständnisses mit den Aufständischen beschuldigte (so richtig Brann 249 gegenüber Grätz III 1⁵ 252); die beiden Nachfolger hat er jedoch auch nur kurze Zeit im Amte gelassen und hat schließlich sogar wieder auf Joasar, der eine durchaus servile Natur gewesen zu sein scheint, zurückgegriffen (Joseph. ant. Iud. XVII 339. 341. XVIII 3. 26).
Außer diesem willkürlichen Schalten mit dem höchsten geistlichen Amt – er übt also wie sein Vater das ius circa sacra aus (ant. Iud. XX 149) – kennen wir noch eine das jüdische Empfinden aufs höchste verletzende Handlung des Archelaos, seine Heirat mit seiner Schwägerin Glaphyra, der Witwe seines Stiefbruders Alexandros, die von ihrem zweiten Gemahl, König Juba II. von Mauretanien, geschieden war. Diese stand am jüdischen Hofe infolge ihres Hochmuts in keinem guten Andenken, und vor allem verstieß diese Ehe des Schwagers mit der Schwägerin gegen das jüdische Gesetz, da Glaphyras Ehe mit Alexandros Kinder entsprossen waren. Archelaos hat damals seine erste Gemahlin Mariamme, die vielleicht seine Nichte war (s. die genealogische Tabelle), – die Zeit können wir leider nicht näher bestimmen, doch jedenfalls mehr gegen Ende der Regierung des Archelaos – verstoßen. Glaphyra ist übrigens bald nach dieser Heirat gestorben, was im jüdischen Volke als Gottesurteil gegolten zu haben scheint (Joseph. bell. Iud. II 114–116; ant. Iud. XVII 341. 349–353; der Traum, welcher Glaphyra ihren Tod ankündigt, ist wohl, zumal er von Josephus im Anschluß an einen Traum des Archelaos erzählt wird, als Produkt jüdischer Legendenbildung zu werten, an der die Essener besonders beteiligt gewesen zu sein scheinen [Joseph. ant. XV 373ff. XVII 346]).
Die uns in der Heirat so offen entgegentretende Verletzung des jüdischen Gesetzes darf uns jedoch nicht verleiten, in Archelaos einen besonders rücksichtslosen Übertreter jüdischer Sitte zu sehen. Das Schweigen unserer Archelaos nicht günstigen Überlieferung spricht schon dagegen, und noch entscheidender sind seine Münzen, auf denen er sich ebenso, wie sein Vater, gehütet hat, ein Menschenbildnis anzubringen. Seine Heirat darf man also wohl vor allem als ein Anzeichen einer über alle Sitte sich hinwegsetzenden Sinnlichkeit fassen. Auch sonst scheint er seinen Begierden zügellos nachgegangen zu sein; für große Trinkgelage hat er eine ganz besondere Vorliebe gehabt (Joseph. bell. Iud. II 29; ant. Iud. XVII 234. 344).
Ferner wird man den Ethnarchen ohne Bedenken [172] als rücksichtslosen, tyrannischen Herrscher bezeichnen können. Sein gewaltsames Vorgehen nach dem Tode des Vaters darf man freilich als Beleg hierfür nicht verwerten, da er sich zu diesem nur zögernd und notgedrungen entschlossen hat. Trotzdem wird man das allgemeine Urteil über die ὠμότης und τυραννίς seiner Regierung als gerecht anerkennen dürfen, und zwar nicht nur deshalb, weil hier die jüdische mit der christlichen Überlieferung zusammengeht (bell. Iud. II 111; ant. Iud. XVII 342. Matth. II 22. Luk. XIX 11ff.), sondern vor allem, weil gegen Ende der Regierung, als es galt, sich über diese bei Augustus zu beschweren, auch die Samaritaner, die zur Zeit des großen Aufstandes allein treu geblieben waren, sich gegen ihren Herrscher erhoben und zu seiner Beseitigung sogar mit ihren alten Todfeinden, den Judäern, zum erstenmal seit Jahrhunderten gemeinsame Sache gemacht haben.
Diese allgemeine Mißstimmung ist auch durchaus begreiflich, da das Regiment des Archelaos irgendwelche größere positive Leistungen anscheinend nicht gezeitigt hat. Denn die glänzende Restauration des in der Revolutionszeit zerstörten königlichen Palastes in Jericho, sowie die Gründung einer immerhin bedeutenden Ortschaft (κώμη), die er nach altem hellenistischem Herrschergebrauch nach sich Archelais benannt hat, selbst die hiermit in Verbindung stehende sorgsame und wirtschaftlich wertvolle Anlage von neuen Palmenpflanzungen in der Ebene von Jericho (Joseph. ant. Iud. XVII 340) sind als solche kaum zu werten (über Archelais und die dortigen Bewässerungsanlagen s. Guthe Mitt. u. Nachr. Deutsch. Paläst.-Ver. 1911, 65ff. und hierzu Thomsen ebd. 1912, 71ff. Vgl. die Bemerkungen S. 82 *[WS 2]).
Wenn man sein Vorgehen in der Zeit der Reichsverweserschaft nicht als reine Heuchelei und das Versprechen des Augustus, ihn eventuell später zum βασιλεύς zu ernennen, nicht als bloße Redensart fassen will, so wird man das Urteil fällen dürfen, daß er als Herrscher das nicht gehalten hat, was er zu versprechen schien, und zwar wohl nicht allein den Untertanen, sondern auch Rom gegenüber. Denn es ist sehr wahrscheinlich, daß gegen Archelaos im J. 6 n. Chr.[2] nicht allein [173] wegen seines tyrannischen Regiments, sondern vor allem wegen nicht korrekter Erfüllung seiner Vasallenpflichten – sogar eine schwere Verfehlung erscheint nicht ausgeschlossen – von Rom die Anklage gegen ihn erhoben worden ist; er ist dorthin nebst seinen Brüdern zitiert worden (s. S. 178ff.). Man könnte übrigens zur Stütze dieser Annahme immerhin auch auf seine Münzen verweisen und sie als Zeichen seiner geringen Ergebenheit gegen Rom, eines gewissen Selbstbewußtseins, verwerten, da auf ihnen, anders wie auf denen seiner Brüder, nur sein eigener Name und niemals der Name des Kaisers oder wenigstens, wie auf den ersten Münzen des Antipas, eine auf den Kaiser hinweisende Bezeichnung (bei Antipas: Tiberias) erscheint (die Nichtanbringung des Kaiserbildes ist dagegen einfach als Ausfluß der Befolgung des jüdischen Gesetzes zu fassen, obwohl Philippos dem Kaiser zuliebe auch hiergegen verstoßen hat, allerdings nicht bei Münzen, die im jüdischen Kernland Judäa kursierten, Madden Coins of the Jews 123ff.). Archelaos folgt in seiner Münzprägung ganz dem Brauche des Vaters; es ist aber hierbei zu beachten, daß seitdem der Prinzipat weiter eingewurzelt war, und daß seine, des Duodezfürsten, allgemeine Stellung eine ganz andere war als die seines königlichen Vorgängers. Aber auch darauf kann man hinweisen, daß auch sonst von seiner Seite anders, als von seinem Vater und von seinen Brüdern, nichts erfolgt zu sein scheint, was nach außen seine Ergebenheit gegen den Kaiser hätte dokumentieren können; so ist die von ihm gegründete Ortschaft nach ihm, nicht nach Mitgliedern des Kaiserhauses benannt worden (anders handelt z. B. sein Bruder Philippos, der in derselben Zeit, und zwar unbedingt noch vor dem J. 2 v. Chr., dem Verbannungsjahre der Kaisertochter Iulia, zum mindesten eine Stadt Iulias, benannt nach der Tochter des Kaisers, gegründet hat, Joseph. bell. Iud. II 168; ant. Iud. XVIII 28; ähnlich Herodes Antipas, s. S. 181f.). Ob etwa auf seine Gesinnung gegen Augustus dessen seine Hoffnungen nur teilweise erfüllende Entscheidung vom J. 4 v. Chr. verstimmend und so für ihn verhängnisvoll werdend eingewirkt hat, das können wir uns leider nur fragen, aber nicht entscheiden.
Anders als seine Brüder hat sich Herodes Archelaos vor dem Kaiser nicht gegen die erhobene Anklage rechtfertigen können. Er ist zudem von diesen im Stich gelassen worden und scheint auch von seiner alten Gegnerin Salome in Rom angeschwärzt worden zu sein; denn das Geschenk der von Archelaos gegründeten Ortschaft Archelais an sie (Joseph. ant. Iud. XVIII 31) kann sehr wohl als kaiserlicher Dank für ihre Mitwirkung bei der Anklage des Neffen gedeutet werden (s. übrigens auch Joseph. ant. Iud. XVII 344: τινὲς κατήγοροι). Archelaos ist damals nicht [174] nur seiner Herrscherstellung entsetzt worden, sondern hat auch seinen gesamten Privatbesitz verloren. Das Gebiet des Ethnarchen wurde eingezogen und prokuratorische Provinz (Joseph. bell. Iud. II 111. 117. 167; ant. Iud. XVII 344. 355 [staatsrechtlich ist hier bemerkenswert die Unterscheidung zwischen dem der Provinz Syrien beigefügten Herrschaftsgebiet des Archelaos und seinem οἶκος, vgl. S. 72 *[WS 3] und S. 92]; XVIII 2f. 26). Archelaos wurde verbannt, und als Aufenthaltsort wurde ihm die Hauptstadt der Allobroger, Vienna, angewiesen. Hier ist er auch, und zwar wohl noch vor 18 n. Chr., gestorben (Strab. XVI 765: ἐν φυγῇ διετέλει. Die Stelle zeigt, daß Archelaos bei ihrer Niederschrift bereits tot war; über die Abfassungszeit von Strabons Geographika s. Christ-Schmid Griech. Literaturgesch. II 1⁵, 316). Wenn das später bei Bethlehem gezeigte Grab wirklich das des Archelaos gewesen ist, so muß man annehmen, daß sein Leichnam in die Heimat geschafft und dort beigesetzt worden ist (so scheint sich mir die Stelle des Hieronymus, Onomast. p. 101 ed. Lagarde mit Strabon auszugleichen). Kinder hat er allem Anschein nach nicht hinterlassen.
Ein abschließendes Urteil über die Persönlichkeit des Archelaos ist nicht ganz einfach. Ausschweifend, sinnlich und grausam ist er unbedingt gewesen, darin der echte Sohn seines Vaters, obwohl wir nicht wissen, inwieweit seine Grausamkeit durch das Verhalten seiner Untertanen erst hervorgerufen worden ist (man beachte sein Handeln nach dem Tode seines Vaters). Aber ob man in ihm nur den rohen Tyrannen, wie es zumeist geschieht (nur Grätz III 1⁵ 252f. entschuldigt ihn), zu sehen hat, ist doch zweifelhaft, zumal wenn man die schwierige Lage berücksichtigt, in der er sich als Sohn Herodes’ I. und infolge des großen, so blutig niedergeworfenen Aufstandes seinen Untertanen gegenüber befunden hat. Es ist sehr wohl möglich, daß er sich auch große politische Ziele gesteckt hat, die ihn dann freilich von der unbedingt romfreundlichen Politik seines Vaters abgeführt hätten, und an denen er schließlich gescheitert wäre. Die zu größeren Plänen nötige Energie und Tatkraft scheint er immerhin besessen zu haben (s. das Vorgehen des Antipatros und später der Salomegruppe gerade gegen ihn). Mommsen R. G. V 509 dürfte ihm mit seiner Charakteristik ‚unwürdig und unfähig‘ doch nicht ganz gerecht werden.
Neuere Literatur: Ewald Gesch. d. Volk. Israel IV³ 585ff. Hausrath Neutest. Zeitgesch. II 284ff. Hitzig Gesch. d. Volk. Israel II 559ff. Grätz Gesch. d. Jud. III 1⁵ 246ff. Schürer Gesch. d. jüd. Volkes I³ 418ff. 449ff. Wellhausen Israel. u. jüd. Gesch.⁶ 339ff. Keim s. Archelaos in Schenkels Bibellexik. III 38ff. Brann De Herodis, qui dicitur magni filiis patrem in imperio secutis I, Bresl. Diss. 1873, 13ff. und Monatsschr. f. Gesch. u. Wissensch. d. Judent. XXII 241ff.; Prosop. imp. Rom. I 127 nr. 832; Encyclop. biblic. II 2031f. s. Archelaos.
- ↑ Joseph. bell. Iud. II 18. 39–65; ant. Iud. XVII 222. 250–285. Für die ersten Ereignisse ist, was von manchen fehlerhafterweise nicht geschehen ist, allein die Darstellung der antiquitates in Betracht zu ziehen. Die abkürzende des bellum widerspricht sich und ist auch an sich weniger wahrscheinlich. Über die Vorgänge in dem auch aufständischen Idumäa unterrichtet dagegen das bellum allein richtig.
- ↑ Für die Chronologie s. Schürer I³ 416 und 453, 13. Josephus’ Angabe über die Länge der Regierungszeit im bell. Iud. II 111 unterscheidet sich von der der ant. Iud. XVII 342 und vita 5, da nach der ersten der Sturz im 9., nach der zweiten im 10. Regierungsjahre erfolgt ist. Da in der an die Erzählung des Sturzes sowohl im bellum als in den antiquitates sich anknüpfenden jüdischen Legende das einemal die Zahl 9, das anderemal die Zahl 10 eine Rolle spielt (bell. Iud. II 112f.; ant. Iud. XVII 345–347), so scheint es sich nicht um ein Versehen in dem einen Falle, sondern um zwei Rechnungsweisen zu handeln. Nimmt man das 10. Jahr als das richtige an (mit dem 9. würde man übrigens auch noch auf das auch durch Joseph. ant. Iud. XVIII 26 und Cass. Dio LV 27 gesicherte J. 6 n. Chr. kommen), so erklärt sich die Angabe des 9. Jahres durch ein Mißverständnis oder eine Flüchtigkeit gegenüber der bekannten Tatsache von 9 bereits verflossenen Regierungsjahren, vielleicht WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt bedingt durch die jüdische Legende, bei der wohl die Zahl 9, d. h. die Zahl der vollen Regierungsjahre zunächst Verwendung gefunden hat.
Anmerkungen (Wikisource)
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