Im Congoland/Eine Kitanda am oberen Congo

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Autor: Dr. Pechuel-Loesche
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Titel: Im Congoland
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aus: Die Gartenlaube, Heft 20, S. 324–327
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Im Congoland.

Von Dr. Pechuel-Loesche.

Von allen seit Jahren in Afrika thätigen Expeditionen, welche durch das hochherzige Eintreten des Königs Leopold des Zweiten von Belgien in’s Leben gerufen worden sind, erregt keine ein so allgemeines Interesse, als die unter H. M. Stanley’s Commando am Congo von Westen her nach Centralafrika vorgedrungene.

Im verflossenen Jahre war ich unter Anderem auch mit der Durchforschung des Congogebietes betraut und hatte bei Stanley’s durch schwere Erkrankung gebotener Heimkehr die Leitung der Expedition zu übernehmen. Zur Durchführung meiner Aufgaben hatte ich mir in Europa zwei bereits wohlerfahrene deutsche Afrikareisende [325] erwählt: Herrn Botaniker F. Teusz und Herrn Architekt P. Gierow, Beide aus Berlin. Ersterer hatte Herrn Major von Mechow bei seiner Erforschung des Kuangolaufes, letzterer Herrn Ingenieur Schütt auf seinem mehr nach Osten gerichteten Zuge begleitet. Während ich Herrn Gierow mit besonderen Aufträgen an der Küste zurückließ, nahm ich Herrn Teusz mit mir und hatte ihn auf allen meinen Wanderungen nach dem Inneren als einzigen, aber ausgezeichneten Gefährten in guten und schlimmen Stunden zur Seite. Herr Teusz verweilt gegenwärtig noch in Centralafrika.

Meine Karawane zählte nicht viele, aber erlesene Leute und führte, um größter Beweglichkeit willen, nur das Nothwendigste mit sich. Als Träger hatte ich zur Verfügung siebenzehn Sansibari von der Ostküste, darunter mehrere Veteranen Stanley’s, und drei Cabindaleute, die, als die ersten ihres Stammes, mit mir nach dem Inneren zu gehen wagten. Außerdem waren mit uns noch zwei zu persönlichen Dienstleistungen bestimmte Knaben der Loangoküste und der Sohn eines unweit Vivi, der von Stanley gegründeten ersten Station am Congo, residirenden angesehenen Häuptlings. Er war mir vom Vater anvertraut, da ich den ungemein intelligenten, [326] eben dem Knabenalter entwachsenen Lutete für die Zwecke der Expedition gewissermaßen erziehen wollte.

Mit Ausnahme eines braven Sansibari, Djuma, welcher in einem Kampfe erschossen wurde, brachte ich alle meine Leute wohlbehalten aus dem Inneren zurück.

In einer Reihe von Einzelschilderungen will ich versuchen, den Lesern der „Gartenlaube“ ein übersichtliches Bild von Land und Leuten der besuchten Gebiete zu geben. Eine große Anzahl von Abbildungen, von Herrn Professor A. Göring nach meinen möglichst getreu an Ort und Stelle ausgeführten Farbenskizzen gezeichnet, wird mich vom zweiten Artikel an darin unterstützen.




1.0 Eine Kitanda am oberen Congo.

Wir befanden uns zwei Tagemärsche östlich von Manyanga, der dritten von Stanley am Congo gegründeten Station, und nördlich von dem zwischen steil abfallenden Höhenzügen verborgenen Strome, im Lande der Babuende.

In ermüdender Einförmigkeit ruhte um uns das Gebirge. Seiner Natur nach gleicht es viel mehr einem sehr schwierigen Hügellande: eng gedrängt, aber durch mehr oder minder tiefe Einschnitte von einander geschieden, ragen bis etwa zweitausend Fuß über dem Meere die gerundeten Kuppen der Berge auf. Statt anmuthender Thäler, wo in blumigen Auengeländen sich Wasserläufe entlang winden, gähnen allenthalben steilwandige, enge Schluchten, welche zur Regenzeit nach jedem Gewitter mit tosenden Fluthen angefüllt sind. Darum liegen auch die Wohnsitze der Eingeborenen wie Raubnester auf den unbequemen Höhen, wo allein Raum und Sicherheit zu finden ist.

Es war Milte August, die trockenste Zeit des Jahres. Die Gräser, welche wie überall im Congogebiete den weitaus größten Theil des Bodens beherrschen, waren abgestorben und verliehen der eigenartigen Gebirgslandschaft eine ausgeprägt herbstliche Stimmung. Ockerfarben, leicht sepiabraun abgetönt, im Sonnenlichte goldig schimmernd, bekleiden die lockeren Bestände Gipfel und Hänge. Vereinzelt lugen kümmerlich belaubte Büsche und charakteristische Zwergbäumchen aus den wogenden Halmen. Wie Riesenmuster liegen zart graue oder schwarze Streifen und Flecken in dem warmen Gelb, wo verheerende Grasbrände ihren Lauf nahmen. Die Ferne verschwimmt in bläulichem Dufte. Freundliches, mannigfach schattirtes Grün, vielfach gehoben durch die Blüthenpracht üppig wuchernder Lianen, findet sich tief versteckt zwischen den Bergen, in Bodensenkungen und Schluchten. Je unzugänglicher die Stellen, um so reicher ist die Vegetation entwickelt. Formenreiche Farne und schönlaubiges Buschwerk umkränzen klaffende Regenrisse: starre Ananasdickungen klimmen an Steilhängen empor. Palmengruppen, lauschige Haine und langgestreckte Gehölze füllen die engen Gründe: sie bergen in ihrem Schatten das spärliche Naß vielgewundener Bachrinnen, umsäumen die Ufer felsiger Flußbetten, in welchen die klaren Gebirgswasser rauschend und gurgelnd zum Congo eilen.

Dorthin hat sich um diese Jahreszeit das ärmliche Thierleben des Gebirges zurückgezogen. Von dort herauf dringen die traulichen Rufe wilder Tauben, der laute Flötenton des Würgers, bisweilen auch der dumpfe Lärm der Kukuke, die fröhliche Strophe einer Drossel. Auch die unschönen Stimmen umherschweifender Nashornvögel lassen sich vernehmen. Seltener verräth auffälliges Prasseln des Laubwerkes, ein hallendes Grunzen, Gezwitscher und Gekeife das lustige Treiben einer Affenschaar. Der geübte Blick mag dann in der Tiefe heftig bewegtes Gezweig unterscheiden oder wohl auch die scheuen Vierhänder erspähen, wie sie mit komischen Sprüngen über nackte Bodenstellen huschen und im Grase verschwinden.

Auf den Höhen dagegen ist es öde und stille. Eine von Westen kommende Windsbraut fährt sausend durch die Halme; vielleicht klingen auch einmal gedehnte Rufe und wirre Kinderstimmen von hochliegenden fernen Wohnsitzen der Eingeborenen herüber. Ein bunter Schmetterling gaukelt am Wege; etliche Heuschrecken schwirren vor dem Wanderer her, und bisweilen scheucht er einen lerchenähnlichen Vogel auf, der sich mit auffallend klappernden Flügelschlägen in die Lüfte schwingt.

In ununterbrochenem Auf- und Absteigen, über Berggipfel und durch Schluchten ziehend, hatten wir nach beschwerlichem Marsche die Landschaft von Mpakambendi durchmessen und den überaus ermüdeten Trägern zu Liebe an hohem Berghange Halt geboten. Vor uns lag ein selbst für das so unwegsame Congogebirge ungewöhnlich bedeutender Einschnitt, welcher die natürliche Grenze bildet zwischen dem westlichen sehr schwierig zu begehenden District von Mpakambendi und der ostwärts sich dehnenden weniger zerrissenen Landschaft von Nsinga.

Drüben lag auf breitem Höhenrücken zwischen Frucht- und Schattenbäumen versteckt das große Dorf Nkunga. Beim Grauen des folgenden Tages kletterten wir in die tiefe Doppelschlucht hinab, passirten das Flüßchen Ngombe, den Bach Miongo und stiegen dann unter Trompetengeschmetter, ermunternden Zurufen, Jauchzen und Lachen an theilweise außerordentlich steilen Gehängen 800 Fuß hoch empor.

Oben empfing uns der Häuptling mit dem üblichen Gefolge. Gewohnheitsmäßig flüchteten bei unserem lärmenden Einzuge Hunde, Katzen, Ziegen, Hühner und was sonst noch an Gethier vorhanden war. Die menschlichen Dorfbewohner dagegen kamen zutraulich herbei, die Weißen anstaunend, fragend, antwortend. Sie begannen bald sich höchlich an den Scherzen der beiden anerkannten Witzbolde unserer Sansibari zu ergötzen; namentlich der bildhübsche unverwüstliche Nkombo wurde sogleich, wie allerorten, der erklärte Liebling des weiblichen Geschlechts.

Es herrschte ein ungewöhnlich reges Leben in Nkunga. Viele Frauen und Mädchen im Putz standen in Gruppen oder verkehrten zwischen den Hütten; andere zogen eilfertigen Schrittes vorüber, mit Nahrungsmitteln hoch bepackte große Strohschüsseln, Körbe, Töpfe oder Holztröge auf den Köpfen balancirend. Ein Markt, Kitanda, wurde auf dem Platze Nkenge-ntandu bei dem unweit gelegenen Dorfe Muyanga abgehalten.

Diese Märkte sind höchst bezeichnend für das Volksleben im Congogebirge; das Küstengebiet hat nichts Aehnliches aufzuweisen. An beliebten und wichtigen Punkten kommen Tausende von Eingeborenen zusammen, vorzugsweise aus der Nachbarschaft, in geringerer Anzahl aber auch aus ferneren Gegenden herbeieilend. Sie tauschen unter sich aus, was sie an Feldfrüchten, Hausthieren und sonstigen Nahrungsmitteln sowie Werkzeugen und Geräthen besitzen oder begehren. Die für den europäischen Handel wichtigen Landesproducte: Elfenbein, Kautschuk, Palmöl und andere finden dagegen keinen Absatz und werden überhaupt nicht auf den Platz gebracht. Die Kitanda entspricht sonach unserem Wochenmarkte oder dem Jahrmarkte.

Selbstverständlich spielen die Frauen die Hauptrolle. Es finden sich aber auch viele Männer ein, Angehörige aller Schichten der Bevölkerung. Bekanntschaften werden angeknüpft, interessante Neuigkeiten besprochen; man zeigt sich im Staate, man schwatzt und lacht, ißt und trinkt mit einander, handelt und amüsirt sich. So gewinnt eine Kitanda zugleich den Charakter eines eigenartigen Volksfestes.

Durch einen Marktmeister wird auf dem Platze die Ordnung streng aufrecht erhalten, jeder Streit sogleich geschlichtet. Verpönt sind alle Vorkommnisse, welche den öffentlichen Frieden stören, eine Panik der erregten Menschenmenge erzeugen könnten, und schwer geahndet werden Prügeleien oder schlimmere Vorfälle. Ueberdies denkt kaum Jemand daran, sich ungezogen oder gar unanständig zu betragen, sich wider die althergebrachten, bewährten Gebräuche und Formen des Verkehrs aufzulehnen. Daher bleibt das lärmende Treiben, das tolle Gedränge der Marktbesucher geradezu musterhaft harmlos, und ein Bruch des Marktfriedens ist ein die ganze Gegend für lange Zeit aufregendes Ereigniß.

Die Kitanden wiederholen sich regelmäßig in schneller Folge, in größeren, dicht bevölkerten Districten sogar Tag für Tag. In diesem Falle wechseln sie ab an verschiedenen Orten. Die Sammelplätze liegen stets auf Höhen, selten unmittelbar neben Dörfern, niemals innerhalb derselben. Sie werden nach den Tagen der Woche benannt, deren in jenen Gebieten ebenfalls nur vier angenommen sind: Nsona, Nkandu, Nkonso, Nkenge. Findet in der Gegend gleichzeitig noch ein zweiter Markt statt, so wird jeder durch ein gewöhnlich auf die Oertlichkeit Bezug habendes Beiwort unterschieden.

So hieß der unweit Nkunga liegende Marktplatz Kitanda Nkenge-nkandu[WS 1], das heißt der an jedem vierten Tage wiederkehrende Markt auf der Campine oder Grasflur, der auf den Nkenge fallende Wiesenmarkt.

[327] Es war für uns ein glückliches Zusammentreffen, daß wir gerade an diesem Tage und in so früher Morgenstunde in Nkunga anlangten. Die nicht viel abseits von unserem Wege liegende Kitanda war noch nicht eröffnet, und wir beschlossen, die Verhältnisse nach Kräften auszunutzen, nicht nur um das volksthümliche Treiben zu beobachten, sondern auch möglichst viele freundschaftliche Beziehungen anzuknüpfen. Freilich war es nicht leicht, Zutritt zu dem Markte zu erlangen, da die Eingeborenen, zur Vermeidung von Unzuträglichkeiten, weit und breit als unverbrüchliches Gesetz aufgestellt hatten, daß Europäer und ihre bewaffneten Karawanen die Märkte nicht besuchen sollten. Wir aber beredeten den Häuptling, für uns zu wirken, gewannen die Weiber für unser Vorhaben und marschirten kurz entschlossen mit ihnen ab.

Wir bildeten einen buntgemischten Zug. Wohl an hundert schwer tragende Frauen, Mädchen und Kinder folgten wacker ausschreitend im Gänsemarsch dem schmalen, leicht abwärts führenden Pfade. Zwischen ihnen verstreut befanden sich meine Leute; wir beiden Europäer beschlossen die Karawane. Die Luft war noch frisch und erquickend, die grasigen Höhen glänzten im Strahle der Morgensonne, während die mit leichten Nebelschwaden erfüllten Schluchten noch im Schatten lagen. Plaudernd und scherzend ging es rüstig vorwärts. Zur Abwechselung improvisirte die eine oder andere der Frauen einen recitirenden Marktgesang, in welchen der Chor vollkräftig einfiel. Die eigenthümlichen, obwohl nicht immer harmonischen Klänge wirkten im Freien nicht übel und hallten weithin über Berg und Thal. Auch unsere Sansibari gaben etliche ihrer viel melodischeren Gesänge zum Besten. Von Nah und Fern, von den Höhen und aus den Tiefen kamen antwortende Stimmen und mancher herzhafte Jauchzer wurde doppelt und dreifach zurückgegeben.

Allenthalben sah man Menschen vereinzelt, zu mehreren sowie in Schaaren die vielgewundenen Pfade auf- und absteigen und dem vor uns liegenden Muyanga zustreben; singend, rufend und zeitweilig anhaltend, um nach uns herüberzuschauen. Mindele, Mindele (weiße Leute) verkündeten vielstimmige Rufe und pflanzten sich fort von Berg zu Berg.

Wo andere Pfade einmündeten, da warteten Gruppen von neugierigen Frauen und fügten sich dem lärmenden Zuge ein, der allmählich zu doppelter Länge anwuchs. Als wir in die letzte tiefe Schlucht kletterten, wurde uns auf halber Höhe Halt geboten. Unten in dem von üppigem Baumwuchs beschirmten Bächlein Miansi wusch und badete sich erst das weibliche Geschlecht, so lange hatten wir zu rasten. Kreischen, Gelächter und lustiges Geplätscher schallte herauf; Neckereien flogen hin und wieder, bis endlich der Weg freigegeben war.

Mühsam stiegen wir hinab, noch mühsamer wieder hoch hinauf. Oben von der Höhe schaute eine erregte, schreiende Menge auf uns nieder, unter welche sich die uns Voraneilenden mischten. Unsere Vorsicht, zur Beruhigung der Gemüther einen die Trompete blasenden Herold voraufzusenden, erwies sich als überflüssig: die längst von unserem Vorhaben unterrichteten Marktbesucher erhoben keinen Einwand. So legten wir denn wohlgemuth den Rest des Pfades zurück und gelangten auf den Berggipfel. Vor uns, zwischen Oelpalmen und Bananen versteckt, lag das Dörfchen Muyanga, dahinter ein Wäldchen von prächtig entwickelten Bäumen. Von jenseits desselben drang uns ein betäubender verwirrter Lärm entgegen, wie er entsteht, wenn Hunderte von Menschen mit Aufbietung aller Kräfte zugleich schreien und sprechen; manchmal schwoll derselbe zu unglaublicher Stärke an. Wir brauchten keinen Führer, um den Ort zu finden. Das Dorf und den Wald umgehend, betraten wir die Kitanda.

Auf einem sanft geneigten Abhang dehnte sich ein großer Platz mit tennengleich festgetretenem Boden; die obere Hälfte wurde von einzelnen Bäumen beschattet, die untere war dem vollen Sonnenbrande ausgesetzt. Auf letzterer hatten sich die Markbesucher versammelt, Hunderte von Frauen, Mädchen und Kindern standen dort, mit ihren Lasten noch auf den Köpfen, schwatzend bei einander oder ruhten auf dem Boden hockend nach dem beschwerlichen Marsche. Hunderte zogen noch fern und nah auf den schmalen Pfaden heran. Die Anwesenden wendeten sich uns zu, wie gebannt die weißen Männer anstaunend, von denen die meisten bisher ja nur gehört hatten. Für einen Augenblick war eine fast unheimliche Stille eingetreten, dann aber erhob sich der gewaltige Lärm um so stärker. Niemand zeigte Furcht, auch das Staunen verwandelte sich bald in musternde Neugier, und nicht lange, so übte sich schon der immer bereite Witz des Völkchens an den seltsamen Fremdlingen.

Nach einer solchen Aufnahme konnten wir unbefangen am Rande des Wäldchens einen Lagerplatz wählen und das Zelt aufschlagen lassen. Unter einem Baume des oberen Platzes sitzend, vermochten wir das Treiben auf dem unteren mit Muße zu betrachten. Dort verkehrte man in altgewohnter Weise, als wären wir gar nicht vorhanden; die neu Hinzukommenden jedoch blieben immer wieder wie angewurzelt vor uns stehen oder näherten sich truppweise, um uns wie Schaustücke in Augenschein zu nehmen.

Es war höchst ergötzlich zu beobachten, welchen Eindruck wir auf die Leute machten, wie verschiedenartig unser plötzliches Erscheinen aufgefaßt wurde. Da war die ahnungsvolle Alte, die von ferne bedenkliche Blicke herüberwarf, dann kopfschüttelnd und murmelnd sich abwendete, mit dem dumpfen Gefühle, das habe sicherlich etwas zu bedeuten. Junge Weiber in Gruppen drängten sich dichter heran, darunter selbstbewußte und ernst aussehende; andere kichernd, sich gegenseitig anstoßend und nach uns weisend. Dreistere redeten uns sogar an und verlangten einzelne unserer Habseligkeiten zu betasten. Manche Kinder folgten zutraulich unserem Rufe und ließen sich in stummer Verwunderung eine Messingschelle in das Händchen legen, ein paar Glasperlen um den Hals hängen; andere wagten sich nicht zu uns und lugten, mit den Fingern im Munde, hinter ihren Müttern hervor. Viele der Kleinen aber erhoben ein Zetergeschrei, wenn sie von den willigen Angehörigen herbeigetragen werden sollten. Sie flüchteten sich vor dem weißen Manne, wie unsere Kinder sich vor dem schwarzen fürchten. Die jungen Mädchen befriedigten ihre Neugier ausnahmslos von Weitem, sich mit anmuthender Scheuheit zurückhaltend.

Hübsche Gesichter und Gestalten, welche sich unter den westlicher wohnenden Basundi häufig finden, konnten wir unter den Babuende nur selten entdecken. Das Weibervolk um uns bildete keine Ausnahme von der Regel. Trachten und Schmuck waren dagegen eigenartig und interessant. Die Kleidung beschränkte sich im besten Falle auf die mittlere Partie des Körpers, welche ein von der Hüfte bis zum Knie fallendes weißes oder buntes Stück Baumwollenzeug verhüllte.

Die Köpfe Vieler zeigten seltsame Frisuren. Theils war das Haar mittelst Oel und Kohle gewissermaßen zu locker liegenden Beeren und Würstchen vereint, theils war es ohne diese häßliche Beigabe in kurze, dünne Zöpfchen geflochten, die sich eng an den Kopf schmiegten. Bei Anordnung der letzteren hatten die Haarkünstler ihrer Phantasie freien Lauf gelassen, sie von oben nach unten, von vorn nach hinten und umgekehrt sowie in schräger Richtung reihenweis in die wunderlichsten Formen gezwungen. Manche Weiber hatten nicht nur ihr Haar, sondern auch die Gesichter mit Oel und Kohle schwarzglänzend eingerieben, andere wieder statt dessen eine leuchtend rothe Erde verwandt.

Geschmackvoller erwies sich der Schmuck. Hübsche fingerbreite Stirnbänder von weißen, rosafarbenen und blauen Zahlperlen standen manchen Gesichtern recht gut; auch um Hals und Oberarm getragene mehrfache Schnüre von größeren lasurblauen Bruchperlen wirkten sehr hübsch auf der warm dunkelbraunen Haut. Ein breites Band von Baumwollenstoff oder auch von bunten Perlen angefertigt, von dem öfters noch zahlreiche Perlenschnüre niederhingen, wurde vielfach unter den Armen um den sonst entblößten Oberkörper getragen. Darin steckte dann die unentbehrliche Pfeife, die bei Anderen im Hüftenkleide oder im Haare befestigt war. Mütter trugen ihre Säuglinge auf dem Rücken in das Hüftentuch eingebunden, wo nicht selten auch ein paar gackernde Hühner oder auch ein lustig krähender Hahn noch Platz fand.

Während des Beschauens und Beobachtens war die zehnte Stunde herangekommen. Der untere Platz war gefüllt, und der Markt hatte begonnen. Wir hatten uns genugsam betrachten lassen, hatten durch unser freundliches Entgegenkommen das Vertrauen der Marktgänger gewonnen und durften uns versichert halten, daß wir keine Störung verursachen würden. So mischten wir uns denn unbefangen in das Gewühl.

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aus: Die Gartenlaube 1883, Heft 21, S. 339–343

[339] Es mochten über tausend Weiber versammelt sein. Die Verkäuferinnen hatten sich auf die Erde gesetzt und ihre Waaren in den landesüblichen, aus Oelpalmenwedeln geflochtenen langen und schmalen Körben, in bis einen Meter im Durchmesser haltenden flachen Strohschüsseln und Holztrögen rings um sich ausgelegt. Da gab es leckere Bananen, köstliche Ananas, feurig-rothe Amomumfrüchte, Erdnüsse, Hühner, Eier, Kohl und sogar römischen Salat, der wahrscheinlich von den portugiesischen Colonien im Süden bis hierher vorgedrungen war. In überwiegender Menge fanden wir jedoch Wurzelknollen und die aus diesen bereiteten Präparate der überaus nützlichen Maniokpflanze zum Verkaufe gestellt: besonders Mayaka, die gewässerten, käsigweißen [340] und scharf riechenden Knollen, und Tschikuanga, zerriebene und im Dampfe gekochte Mayaka. Diese war in Wecken und gerundeten Broden, in Würsten und Klumpen aufgestapelt, jedes Stück sauber in Blätter gewickelt. Abseits neben den die große Mehrheit bildenden Verkäuferinnen von Nahrungsmitteln boten die Töpferfrauen ihre Erzeugnisse feil: kleine und große halbrunde Näpfe, schön geformte Wasserkrüge mit engen schlanken Hälsen, andere mit weiten, kurz angesetzten Oeffnungen und sehr große Thongefaße, die einem der Spitze beraubten Ei glichen, aber noch mit einem schräg nach außen und oben vorspringenden Rande versehen waren. Die meisten dieser keineswegs ungeschickten Gebilde der Töpferkunst zeigten auf röthlich-grauem Grunde das sehr hübsch in dunkler Farbe nachgeahmte Muster der Zeichnung des Malachites.

Das Geschäft schien Niemandem besonders am Herzen zu liegen; nirgends wurde zum Kaufen eingeladen, nirgends wurde gefeilscht. Die Händlerinnen rauchten behaglich ihre Pfeifen oder schwatzten rechts und links mit den Nachbarinnen. Unbekümmert um Diebe tauchten sie auch wohl in das nach allen Richtungen fluthende Gedränge. Wo Bekannte sich trafen, wo eine große Neuigkeit verkündet wurde, da staute sich der Menschenstrom, da bildete sich flugs ein Kreis von Neugierigen um die verhandelnden Parteien. An anderen Stellen steckten Klatschschwestern die Köpfe zusammen zu wichtigen Erörterungen, zu vertraulichen Mittheilungen über Dorf- und Familienereignisse, über das Wetter und den Stand der Feldfrüchte, über Heirathen, Geburten, Todesfälle, gute wie böse Nachbarn, über umgehenden Spuk, bedenkiche Zufälle und Hexenwesen. Hier und dort wurden junge Weltbürger gezeigt und bewundert, unartige Kinder abseits in die Campine geschafft, hungrige vor Aller Augen unbefangen gesäugt. Lebenslustige Weiber improvisirten dann und wann Tänze, die sie mit Gesang und Händeklappen tactmäßig begleiteten. Zudringliche, die Lebensmittel gefährdende Dorfhunde, die man mit Drohungen sowie mannigfachen Wurfgeschossen zu vertreiben suchte, verirrte Kinder, entlaufendes Federvieh, bei der Verfolgung umgeworfene Körbe und Mulden erregten allenthalben kleine Tumulte. So füllte das unendliche Gewühl den ganzen unteren Platz, trotz heißer Sonne, mannigfaltiger übler Gerüche und des aufwirbelnden Staubes. Der Weiber Schwatzen, Lachen, Jauchzen, Singen, Rufen, der Kinder Geschrei, das Gackern und Klagen aufgegriffener Hühner, das lustige Krähen flügelschlagender Hähne vermischte sich zu einem so wüsten, ununterbrochenen Lärm, daß Nervenschwachen dabei wohl Hören und Sehen vergehen konnte.

Um die Mittagszeit begannen auch die Männer einzutreffen. Sie versammelten sich unter den Schattenbäumen des oberen Platzes in unserer Nähe. Auch sie boten mancherlei Waaren feil, indem sie dieselben gleich den Weibern auf der Erde auslegten oder mit sich herumtrugen: kleine und große, nicht selten am Hefte mit Messing hübsch verzierte Messer, eigenartig geformte Beileisen, alle im Lande selbst geschmiedet, von der Küste gebrachtes Steinsalz in Bastsäckchen, Schießpulver in Fäßchen, weiße und bunte Kattune. Auch einheimische Stoffe von naturfarbenem Blätterbast der Naphiapalme, auf primitiven Webstühlen gefertigt, kamen in Menge zu Markte, dazu das Rohmaterial, bündelweise in Ziegenfelle eingerollt. Ferner aus eben diesen Fasern genähte, gestrickte, geflochtene und geknotete Mützen, die theilweise außerordentlich fein gearbeitet sind, zierlich erhabene Muster zeigen und theuer bezahlt werden.

Fische vom Congo, theils frisch, theils getrocknet oder angeräuchert und stundenweit ohne jeglichen Schutz in der Sonnenhitze transportirt, bildeten nach unseren Begriffen keine verlockende Speise, fanden aber dennoch schnellen Absatz. Sie waren stets derartig in sich zusammengebogen, daß Kopf und Schwanz einander berührten. Die größeren wurden einzeln oder in Stücken verkauft, die kleineren aber zu acht bis zwölf, und zwar auf dünne Speiler von Wedelstielen der Palmen befestigt. In der ausnahmslos gefällig symmetrischen Anordnung derselben bekundete sich wiederum der manchmal so überraschend ausgebildete Schönheitssinn der Afrikaner. Durch Kopf, Schwanz und Körpermitte gespießt, sodaß jeder Fisch gewissermaßen eine Ellipse bildete, und dicht an einander geschoben, waren die Exemplare so gereiht, daß von der Spitze abwärts immer größere folgten, an die sich in abnehmender Größe wieder kleinere anschlossen, und zwar derartig, daß der Umriß der Gruppe noch oben sich sehr allmählich, nach unten plötzlich verjüngte.

Von Hausthieren führte man Ziegen und etliche Schweine auf. Erstere hatte man nicht selten originell herausgeputzt mit einer aus Palmfiedern verfertigten, strahlig abstehenden Halskrause; letztere waren nicht, wie es bei unserem Landvolke üblich, um einen Hinterlauf gefesselt, sondern wurden weit praktischer an einem primitiven, um Brust und Hals gelegten Geschirr von Baststricken geleitet. Rinder besitzen die Eingeborenen des Congogebietes gar nicht und Schafe nur äußerst selten. Das zahme Geflügel gehört vorzugsweise den Weibern und wird daher gewöhnlich auch von diesen auf die Kitanda gebracht.

Manche Männer hatten ihre Lieblingshunde bei sich, die sie im Gedränge an der Leine führten oder vorsichtig unter dem Arme trugen. Es waren hübsche, meist recht wohlbehaltene Thiere, fein gebaut, mit klugen Köpfen, spitzer Schnauze und aufgerichteten Ohren, dazu glatthaarig, weiß und gelb oder braun gefleckt, isabellfarbig oder hell silbergrau. Alte Hunde bilden keinen Handelsartikel, wohl aber junge, die eifrig begehrt und gut bezahlt werden, namentlich wenn sie von anerkannt guter Abkunft sind.

Der obere Platz füllte sich immer rascher mit Männern und Knaben, die wie vordem die Weiber uns musterten und neugierig das Zelt umstanden. Bewaffnete sah man äußerst selten. Der eine oder andere trug zwar einen mit Messing beschlagenen Speer in der Hand, benutzte ihn aber mehr als Stock oder Schaustück, und einige junge Leute mit eingeführten Steinschloßflinten auf der Schulter passirten wohl nur im Vorübergehen den Markt. Durchschnittlich waren alle reichlicher gekleidet als die Weiber, sowohl mit den schönen einheimischen Bastzeugen, als auch mit europäischen Baumwollstoffen. Glücklichere paradirten wohl auch in Tuchröcken und bunten Uniformstücken, in unseren Augen entschieden zu ihrem Nachtheile; denn in solchem Aufzuge sind sie ausnahmslos vollendete Caricaturen. Die jüngeren Leute ahmten gern die Haartrachten des weiblichen Geschlechts nach, und besonders selbstgefällige Stutzer glänzten wie Angehörige jenes in Oel und Ruß, leuchteten sogar in rother Schminke und waren nicht minder reich mit Perlen behangen, die selbst noch die Spitzen der zierlichen Zöpfchen schmückten. Einige Männer fielen uns auf durch die Zeichnung ihrer Wangen, die mittelst einer Anzahl langer, von oben nach unten geführter Schnitte verunstaltet waren. Wir erkannten darin das Stammeszeichen der Bateke, die am Congo um den Stanley-Pool und weiter binnenwärts sitzen.

Wie es ihre Würde erheischte, erschienen die Honoratioren der Gegend zuletzt. Dorfälteste im besten Staate, kleine Häuptlinge tauchten auf, und ein Elfenbeinmakler von jenseits des Congo stolzirte großthuerisch einher, mit gelbseidenem Unterkleide und einem Ueberwurf von himmelblauem Sammet angethan, auf dem Kopfe eine rothsammetne mit gelber Seide gestickte Mütze. An seiner rothseidenen Schärpe hing ein Ruthengeflecht, wie das Gerippe eins doppelten Körbchens anzuschauen und mit blauen Glasperlen verziert. Dieses seltsame Gerüst wird beim Schlafengehen über das Gesicht geklemmt, mit einem Stück dünnen Kattuns überdeckt und dient so als ein primitives, im Süden vielfach gebräuchliches Moskitonetz.

Der Ton mehrerer Klingeln, das rhythmische Klappern und Schlagen einheimischer eiserner Doppelglocken, die in Gestalt unseren Kuhglocken ähneln, verkündete die Ankunft hoher Häuptlinge. Gravitätisch unter grellfarbigen Regenschirmen sich bewegend, schritten zwei Mächtige der Gegend durch die Menge einher, uns zu begrüßen. Vor ihnen liefen Herolde, welche die Glocken, andere, welche die hübsch geformten, am Griff mit blanken Messingbeschlägen verzierten großen Messer trugen. Diese gelten, wie bei uns die Scepter, als Würdenzeichen. Hinter ihnen drängte sich ein zahlreiches Gefolge in so wunderlichem Aufputz, als wäre eine europäische Rumpelkammer geplündert worden. Bedientenfräcke, helle und dunkle, lange und kurze Röcke, Jacken, schimmernde Uniformen wechselten ab mit bunten Decken, altfränkisch geblümten Mänteln und allem möglichen Flitterkram, wie man ihn gelegentlich wohl auf Bühnen sieht. Auf den Köpfen thronten ordinäre Filzhüte, rothe und blaue Zipfelmützen, Käppis und Czakos verschiedener Art, die unbekümmert auch verkehrt getragen wurden; sogar ein zerknitterter und vor Alter fuchsig gewordener Cylinderhut tauchte auf als ein Beweis, wie weit schon die Requisiten der Civilisation vorgedrungen waren. Mehrere des Gefolges hatten Trompeten an rothen Schnüren umhängen, andere trugen theils lange glatte oder mit Messing umwundene Rohre, sowie [342] Unterdessen hatten sich, leider unbemerkt von uns, einige Fleischer in der Nähe eingerichtet. Ein paar Ziegen waren geschlachtet und zerwirkt worden. Die besten Stücke würden auf ausgebreiteten sauberen Bananenblättern zum Verkauf geordnet; die Eingeweide, nach einer nicht allzu gewissenhaften Reinigung, zerschnitten und sogleich in großen Töpfen an ein offenes Feuer geschoben.

Ein trotz des allgemeinen Lärmens deutlich vernehmbarer Jubel, die ungewöhnliche Erregung der nach einem Punkte hinströmenden Menge lockte uns nach der gegenüberliegenden Seite des Marktes. Hier entwickelte sich ein charakteristisches Stück Volksleben. Eine große Weiberschaar rückte eben auf den Platz, mit Aufbietung aller Kräfte und gellenden Stimmen einen scharf rhythmischen Gesang vortragend, die Hände klappend und wie eine Springprocession in gemessenem Tanzschritt vor und zurück hüpfend. Ein ungeheures nicht enden wollendes Jubelgeschrei der weiblichen Marktbesucher begrüßte sie. Die an dem grotesken Aufzuge Theilnehmenden waren wie das Gefolge der Häuptlinge mit allem nur irgend Verwendbaren, selbst mit Helmen und Czakos aufgeputzt, zudem aber noch vielfach roth, gelb und weiß bemalt, nicht nur im Gesicht, sondern auch auf den entblößten Stellen des Oberkörpers und der Glieder.

Wir hatten offenbar einen Triumphzug vor uns. In seiner Mitte gingen stolz erhobenen Hauptes zwei festlich gekleidete und mit Perlenschmuck überladene junge Frauen. Ein paar riesige für die am Congo heimischen Stämme auffallend dicke Weiber leiteten die Procession. Sich drehend und wendend, die Arme aufwerfend, große blinkende Messer schwingend und durch wilde Anrufe die Zuschauerinnen zu immer neuem Jubelgeschrei aufstachelnd, rückten die Angekommenen bis in die Mitte der Kitanda vor. Dort ordneten sie sich sogleich zum Tanze, den die Umstehenden singend und klatschend begleiteten. Da immer mehr Frauen und Mädchen nicht nur herzudrängten, sondern auch mittanzten, da die Procession sich überdies bald in verschiedene Abthheilungen trennte, die mit Gefolge auf der Kitanda umherzogen und immer weitere Kreise zur Betheiligung verlockten, gewann es fast den Anschein, als wolle das Markgewühl sich zu einem allgemeinen Tanzvergnügen umgestalten.

Wir hatten unterdessen erfahren, daß die beiden gefeierten Frauen von ihren Gatten der Untreue bezichtigt worden waren. Um ihre Unschuld darzuthun, hatten sie sich dem Gottesgericht unterworfen und die giftige Nkassarinde[1] genommen. Beide hatten jedoch das Ordal glänzend bestanden und waren demnach in aller Augen makellos. Um dies freudige Ereigniß entsprechend zu feiern und zugleich eine möglichst wirksame Demonstration gegen die bösen Männer in Scene zu setzen, hatte man diesen Triumphzug sorgfältig vorbereitet.

Gegen drei Uhr war der eigentliche Markt zu Ende. Die Frauen und Mädchen, welche nicht mittanzten oder sich nicht an den immer mehr zunehmenden Umzügen betheiligten, nahmen ihre Waaren auf und kamen nach dem oberen Platz. Hier in unmittelbarer Nähe unseres Zeltes oder weiter ab inmitten der Gruppen der Männer ließen sie sich nieder. Nun vermochte man auch die besonderen Vorgänge bei Abwickelung der Geschäfte eingehender zu beobachten. Es wurde betastet, geprüft und gekostet, gefeilscht wie auf unseren Wochenmärkten. Hin und wieder tauschte man verschiedenartige Waaren einfach aus. Andere wurden wohl auch mit Stücken von Kattun bezahlt, die man am Arm von den Fingerspitzen bis zu Schulter oder bis zur Mitte der Brust oder zwischen den ausgestreckten Armen abmaß. Dabei war man besonders bedacht die Arme recht weit auszuspannen, nach hinten zu strecken und durch die vorgebogene Brust das zu fordernde Stück Zeug möglichst lang ausfallen zu lassen. Natürlich konnten in Folge dieses Vorgehens große und kleine Personen sich am wenigsten schnell einigen über die verlangte und die bewilligte Länge des Stoffes, und der erste Abschluß des Handels ging gewöhnlich viel rascher von statten, als das darauf folgende Bezahlen des bedungenen Preises.

Die wichtigste Verkehrsmünze dagegen bildeten etwa erbsengroße eckige Bruchperlen, Nsimbu, von durchsichtigem, lasurblauem Glase, welche an der Südwestküste allgemein im Gebrauche sind. Zu hundert oder fünfzig auf Schnüre gereiht oder auch in kleineren Mengen gewissenhaft abgezählt, wechselten sie von Hand zu Hand.

Die Frauen kauften nun vielfach auch von den Männern, besonders von den Salzhändlern und Fleischern. Winzige, nach Gutdünken abgemessene Quantitäten von Salz wurden nach langem Hin- und Herreden, nachdem zögernd und unwillig noch einige Körnchen hinzugefügt waren, für etliche Nsimbu erstanden. Lustiger und lärmender ging es bei den Fleischern zu, wo hungrige Frauen sich schoben und stießen. Mit kleinen Näpfen versehen, kauften sie von dem nicht gerade appetitlichen Inhalte der brodelnden Töpfe, immer unzufrieden mit der Menge der ihnen für die Perlen zugemessenen Brühe und der Zahl der Fleischstückchen. Die Vorsteher der Garküchen walteten ihres Amtes mit bewunderungswürdiger Geduld und ließen sich oft genug durch allzu laute Beschwerden zu einer kleinen Zulage bestimmen.

Zur Speise war unterdessen auch Trank herbeigeschafft worden. Vom schnellen Laufe keuchende Männer erschienen auf dem Platze. Sie trugen riesige Flaschenkürbisse voller Palmwein, der wie Champagner perlte oder, wenn bereits zu weit in der Gährung vorgeschritten, durch den Blätterverschluß der Mündung siedend und schäumend hervorquoll. Der weiße süßliche Saft wurde um so eifriger gekauft, als es auf der Höhe sehr an Wasser mangelte und die Hitze groß war.

Das Gewühl um unser Zelt wurde fast unerträglich. Die sich zum Fortgehen anschickenden Menschen wollten noch einen letzten Blick auf die seltsamen Fremdlinge und deren Habseligkeiten werfen, die noch verweilenden hatten Muße, alle Einzelnheiten an und um uns auf das Genaueste in Augenschein zu nehmen. Wir hatten bald Grund genug, zu bereuen, daß wir am Platze selbst eine Lagerstätte gewählt. Wir vermochten uns vor den Zudringlichen, die sich allerdings harmlos genug betrugen, kaum noch zu retten. Selbst im Zelte waren wir nicht sicher. Jedermann wollte uns schreiben sehen und nicht zufrieden damit, durch die offene Thür hereinzublicken, hoben die Neugierigen auch noch die Seitenwände empor. Bald hier, bald dort schoben sich Köpfe in das Zelt, die eilfertig zurückgezogen wurden, wenn wir uns umwendeten.

Unsere Sansibari hielten zwar Wache, vermochten aber nichts gegen die immer wieder vordrängenden Massen auszurichten. Mauergleich standen die Menschen um uns, hin und her drängend, über die weit gespannten Stricke unseres wie im Sturme schwankenden Leinwandhauses stolpernd, lachend, gesticulirend und gutmüthig auch einmal anderen Schaulustigen Platz machend. Unser eifriges Schreiben schien für die Leute das Erstaunlichste zu sein; sie konnten die Blicke gar nicht wegwenden von dem Papier, den zum Tintenfaß geführten und dann wieder eifrig kritzelnden Federn. Aber auch ein aufflammendes schwedisches Zündhölzchen machte einen gewaltigen Eindruck, und wir mußten wohl oder übel, um den unablässigen Bitten zu genügen, zeitweilig einige derselben opfern. Das Aufsprühen des Zündstoffes, das plötzliche Erscheinen der Flamme wurde bewundert wie bei uns ein großartiges Feuerwerk.

Wer weiß, wie lange dieser harmlose, jedoch überaus lästige Belagerungszustand angedauert haben würde, wenn nicht ein komisches Ereigniß uns von den Zudringlichen befreit hätte. Ein Schmetterling flog heran und gaukelte vor der Thür des Zeltes. Herr Teusz, ein eifriger Sammler, ergriff sein Schmetterlingsnetz und sprang hinaus. Die hastige Bewegung, das hochgeschwungene Netz hatten auf die erregbare Menge eine ungeheure Wirkung. Die Massen stoben jäh aus einander. Alles läuft und springt zeterschreiend davon. Manche stürzen während der kopflosen Flucht nieder, Andere fallen über die Zappelnden hin; Kinder, Knaben, Mädchen werden niedergetrampelt, Körbe und Geschirre umgeworfen, Hühner, Hunde, Schweine, Ziegen losgelassen. Ein Höllenlärm tobt ringsum; das rennt und wirbelt, das zetert, quiekt, heult, gellt, belfert und Alles stürmt davon, hinaus in die Campine. Im Nu war rings um uns der Platz verlassen, in Staub gehüllt; wir standen mit den Unseren wie Sieger auf einem Schlachtfelde.

Der so komische Vorfall hätte leicht üble Folgen haben können. Wären nicht die Häuptlinge in unserer Nähe gewesen und hätten sie uns nicht beigestanden, die Gemüther zu beruhigen, so wäre die sinnlose Menge wohl gänzlich davon gelaufen. Die Mehrzahl der Leute kehrte überhaupt nicht wieder zurück, und obwohl der Rest schließlich die scherzhafte Seite des Tumultes begriff, so hielt man sich doch vorsichtiger abseits von uns, ohne uns fernerhin zu belästigen.

[343] Die Kitanda war nun vollständig aufgehoben. Die noch anwesenden Marktgänger suchten das angrenzende Gehölz auf, wo sie sich in Gruppen unter Bäumen und zwischen dem Gebüsch niederließen. Auch dort erinnerte ihr Thun und Treiben lebhaft an das unserer Jahrmärkte. Man setzte sich zu einander, um zu essen, zu trinken, zu rauchen und die Ereignisse des Tages zu besprechen. Allenthalben gingen Personen zwischen den verschiedenen Gruppen hin und wieder, sich in die Unterhaltung mischend, bei einem Trunke Bescheid thuend. Auch junge Leute beiderlei Geschlechts wußten sich zu finden, und manches Mädchens Marktkorb wurde von einem zuvorkommenden Liebhaber von der Kitanda nach Hause getragen.

Allmählich brachen die Familien auf und zogen davon, den Berg hinab. Als die Sonne sich zum Untergange neigte, hatten auch die letzten Nachzügler den Ort verlassen und in den Schluchten, über den Bergen verhallten die Stimmen der Heimkehrenden.


  1. Siehe: Ein Hexenproceß in Loango. Jahrgang 1877, Seite 177.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Nkenge-ntandu