In den Liechtenstein-Klammen

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Autor: Oscar Kallwitz
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Titel: In den Liechtenstein-Klammen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 195–198
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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In den Pongau-Klammen der Salzburger Alpen.
Nach der Natur aufgenommen von Oscar Kallwitz.

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In den Liechtenstein-Klammen.
Von Oscar Kallwitz.
(Mit Abbildung.)

Der Zug hielt. „St. Johann!“ riefen die Conducteure, „zwei Minuten Aufenthalt!“ Ich folgte dem Drängen meiner Reisegefährten und stieg aus, nicht ohne ein gewisses Zögern. Mein Reiseziel nämlich war Zell am See, und dahin lautete auch meine Fahrkarte. Aber meine bisherigen Coupégenossen hatten mir von den wilden Klammen der Großarl, den sogenannten Liechtenstein-Klammen, so viel des Merkwürdigen erzählt, daß ich eben noch im letzten Momente meinen Reiseplan umänderte und die Klammen zu besuchen beschloß, um so mehr, als ich eigentlich Großartiges in dieser Art noch nicht gesehen hatte.

Die Klammen der Großarl sind von St. Johann nicht weiter als eine gute Stunde entfernt. Da wir nun jedenfalls (es war erst Nachmittag) im Verlaufe des Tages wieder von St. Johann weiter zu reisen gedachten, mietheten wir ein Gefährte und fort ging es, zunächst nach der genannten Stadt.

St. Johann, zum Unterschied von anderen Orten gleichen Namens „im Pongau“ zubenannt, ist der Hauptmarkt dieses Gaues und zählt fast 3000 Einwohner, die sich durch Rührigkeit und Wohlhabenheit vor vielen anderen Gebirgsbewohnern auszeichnen.

Von St. Johann aus führt die Fahrstraße nach Süden das rechte Ufer der wild dahin rauschenden Salzach entlang. Die Landschaft ist herrlich. Rechts und links und vor uns thaleinschränkende, kühngeformte und dichtbewaldete Berge, hinter uns in duftiger Ferne das rauh zerrissene, schroffe, schneebesprenkelte Tännengebirge, dessen Gerippe durch die von Sonnenschein des prachtvollen Augusttages hervorgerufene scharfe Begrenzung von Licht und Schatten besonders plastisch hervortrat.

Nach einer Fahrt von etwa einer halben Stunde, während deren wir am dem Dorfe Plankenau vorbei aus dem Salzachthal in das Nebenthal der Großarl eingebogen waren, hatte der Fahrweg sein Ende erreicht. Wir stiegen aus und überließen uns der Führung eines Fußweges, der uns durch Gebüsch und jungen Wald thalauswärts führte. Nicht mehr weit vor uns schien das Thal von einer senkrechten, fast tausend Fuß hohen Felswand sackgassenähnlich abgeschlossen zu sein, sodaß wir verwundert nach dem Durchbruche der unter uns im Sonnenschein glitzernd dahineilenden Ache forschten. Aber wir konnten nichts wahrnehmen; nur ein dumpfes, weithallendes Getöse ließ auf bedeutende Wasserstürze schließen.

Die Großarl ist ein wasserreicher Gebirgsbach von reichlich dreißig Kilometer Lauflänge und nimmt ihren Ursprung aus einem Gletscher, dem sogenannten Gstöß-Kees, nicht weit vom Ankogel, dem dominirenden Punkte der näheren Umgebung. Das Großarler Thal verdient unter den vielen schönen Seitenthälern hervorgehoben zu werden, welche sich quer in nördlicher Richtung mit seltener Regelmäßigkeit von jenem gewaltigen Gebirgszuge der Tauern herabziehen, der die in westöstlicher Richtung sich erstreckende, musterhafte Centralkette der Ostalpen darstellt. Ungefähr da, wo die hohen Tauern in die niederen oder Radstädter Tauern übergehen, steigt das Großarler Thal herab und mündet in das Längsthal der Salzach, wo dieses, den Charakter eines Querthales annehmend, nach Norden umbiegt. Die Klammen selbst, ausgezeichnet durch ihre Enge und Tiefe, liegen im unteren Theile des Thales, nicht weit vom Einflusse der Ache in die Salzach und waren bis vor Kurzem fast ganz unbekannt und unzugänglich.

Ende des Jahres 1875 faßte die Section Pongau des deutschen und österreichischen Alpen-Vereins den Beschluß, die Klammen zugänglich zu machen, und schon in der Mitte des nächsten Jahres war ein Steig von eintausendachthundert Meter Länge durch den Haupttheil der Klammen fertig hergestellt. Am Pfingstmontage des Jahres 1876 wurden die Klammen feierlich eröffnet und zu Ehren des Fürsten Liechtenstein, der das Protectorat über die Anlagen übernommen, mit dem jetzt gebräuchlichen Namen belegt. Der Weg soll noch etwa eine halbe Stunde weiter auswärts geführt werden, wo eine zweite Reihe von Klammen und, was für die Weiterführung des Weges am maßgebendsten ist, warme Quellen sich befinden, welche man der leidenden Menschheit nutzbar machen will. Diese Quellen, als ganz gleich mit den im Nachbarthale von Gastein gelegenen befunden, sind übrigens schon seit alter Zeit bekannt. Zu Anfang des vorigen Jahrhunderts waren sie sogar zu einem Bade hergestellt, das allerdings sich in einem sehr primitiven Zustande befand und noch dazu, einen die Klammen umgehenden, steilen, lebensgefährlichen Zugang hatte, sodaß mancher, der hier Heilung seiner Leiden suchte, durch einen Sturz verunglückte. Es wurde leider nach einigen Jahren durch eine Ueberschwemmung zu Grunde gerichtet und später von Lawinen verschüttet.

Mittlerweile hat uns der Weg um einen Vorsprung des Thalhanges geführt, und nun sehen wir auch mit Staunen, welchen Weg die Ache genommen. Als ob die schon erwähnte thalabsperrende Felswand durch unterirdische Kräfte, durch irgend eine Erdrevolution gespalten worden wäre, gähnt dicht vor uns [197] eine ungeheuere Kluft die berghohe, senkrechte Wand herab, und aus ihrem Grunde schießen brausend und donnernd die schaumweißen Gewässer der Großarl. Wir überschreiten eine Brücke und treten sodann in die Schlucht ein. Dieselbe ist so eng (etwa drei bis vier Meter breit) und die Wände sind so glatt und steil, daß man die Schwierigkeiten sieht, welche sich hier der Bahnung eines Weges entgegenstellten. Der Steig, im Durchschnitt etwa einen Meter breit und durchgängig mit Geländern versehen, zieht sich mit Benutzung jedes Vorsprunges vermittels zahlloser Brücken bald auf das rechte, bald auf das linke Ufer und steigt mitunter, dem Gefälle des Wassers entgegenstrebend, in Stufen empor.

Je tiefer wir in die grause Schlucht eindringen, desto enger und dunkler wird sie. Die Felswände treten oben perspectivisch fast zusammen und lassen nur einen schmalen Himmelsstreif erkennen. Die Gewässer, in zahllosen Fällen über Felsblöcke hinabstürzend, verursachen ein Getöse, ein Gebrause, das, von den Windungen und Krümmungen der Felswände hundertfach verstärkt zurückgeworfen, unaufhörlichem Donner zu vergleichen ist.

Bald erweitert sich auf einmal die bisher fast dunkle Schlucht zu einem Kessel, indem die senkrechten Wände sich schräg abdachen und etwas zurücktreten. Wir sehen wieder blauen Himmel, Sonnenschein und Pflanzengrün und das Wasserrauschen verliert den Donnerton. Die Kesselseite zu unserer Rechten ist mit Gebüsch und Alpenblumen bewachsen.

Aber bald schließt sich wieder die Schlucht, und die Felswände treten enger als je zusammen. Die Scenerie wird noch wilder, noch düsterer und schauriger als zuvor. Alles Leben ist wieder verschwunden; keine Blume, kein Pflänzchen, kein Sonnenschein, kein Himmel ist zu erblicken. Da ist nichts als Wasser und Felsen, als Donner und Brausen, als Nacht und Grauen. Das ist der Weg zur Unterwelt, verkörperte Dante’sche Phantasie.

So geht es eine Weile fort; dann biegt plötzlich der Steig um eine Felsecke und ist zu Ende. Uns aber bietet sich ein Schauspiel dar, so erhaben schön, so voller Pracht und Majestät, wie es sich großartiger selbst die kühnste Phantasie nicht vorzustellen vermag.

Vor uns die Ache, in wütenden Stürzen über fünfzig Meter hoch herabrollend und nach jedem Sprunge, wie betäubt von der Gewalt des ungeheuren Falles, einen Absatz, ein Becken mit horizontalen Niveau bildend, in dem es sich allmählich erholt, um daraus mit neuer Wuth, mit erneutem Ingrimme sich hinabzugießen, sodaß die zerstiebenden Wasser in Schaum und Gischt, in Dampf und Nebel aufwallen. Hunderte von Metern hoch bauen sich beiderseits daneben die starren, steilen Kalkfelsen auf. Hier ist die Herrschaft des Starren und des Flüssigen. Aber das Flüssige scheint mächtiger zu sein als das Starre, denn es hat seinen Charakter, seine Form dem Starren aufgedrückt. Wie versteinte Meereswellen, wie aufgerichtete Oceane sind sie anzuschauen, diese hohen, gigantischen Wände mit den kühn geschwungenen Erhabenheiten und Vertiefungen, wie Wellen, die, in stürmisch wallender Bewegung begriffen, auf das Geheiß einer naturgebietenden, wunderthätigen Macht plötzlich stillstanden und erstarrten.

Wie wir noch dastehen, in Anschauung und Bewunderung versunken, wird das Bild vor uns allmählich immer heller, leuchtender; die Wassergarben der Fälle erglänzen in blendendem Lichte, anfangs nur in ihren oberen Partien, dann aber immer tiefer herab, bis endlich die ganze tobende Wassermasse im intensivsten Weiß, im Glanze des flüssigsten Silbers erstrahlt. Es ist die Sonne, die diese Erscheinung hervorbringt. Für eine kurze Zeit, für nur eine halbe Stunde des Tages etwa, wirft sie, denn Culminationspunkt nahe, ihre Strahlen voll und blendend in diesen Theil der zickzackförmig sich windenden Schlucht.

Eine Viertelstunde des erhabensten und reinsten Naturgenusses, und wir waren wieder auf dem Rückwege. Etwa fünfzig Schritte weiter standen wir an der engsten, finstersten und unheimlichsten Stelle der ganzen Schlucht. Die Wände schließen sich, in der Höhe scheinbar zu einem Spitzbogengewölbe, und wie der Schlußstein zu einem Gewölbe hängt dort oben, von uns auf dem Hinwege unbemerkt, ein Stein, ein Felsblock, der höchstens zwei Cubikmeter stark sein mag, aber es schien uns, als halte er die beiden Wände auseinander, als müsse mit seiner Entfernung der ganze großartige Bau zusammenfallen. Er war wirklich unheimlich anzuschauen, dieser Stein, wie er so da hing, dem Anscheine nach ganz lose, nur an zwei Punkten wie von einer gigantischen Pincette festgehalten. Wenn er nun doch einmal hinabstürzte, die Wände vielleicht ihren Halt verlören, so – da auf einmal, was ist das? – ein Donnern, ein Getöse, wie wenn hundert Geschütze auf einmal ihren ehernen Mund öffneten, ein Gedonner, grauenvoll! Die Schallwellen umzitterten fühlbar den ganzen Körper, und an den Ohren gar vibrirte die Luft so heftig, als ob dort ein Nachtgespenst, ein Ungeheuer, ein Vampyr mit seinen Schwingen lächele. Hilf, Himmel! Was ist denn das? Sollte denn –? „Die Klamm stürzt ein,“ schreit auf einmal eine Stimme. Und wahrlich, was kann es denn Anderes sein? Alles zittert ja; Alles bebt. Dazu hören wir Felstrümmer fallen, von den Wänden abprallen, hin und wieder stürzen und in den Fluthen versinken.

Eilen wir! Vielleicht ist es noch Zeit, dem Verderben zu entrinnen. Vor uns ist der Weg ja noch frei. Und wir stürzen vorwärts, gleiten aus dem schlüpfrigen Wege dahin mit einer Hast und zugleich mit einer Sicherheit, die nur unsere blinde Furcht möglich machte. Da, indem wir in eine andere Schluchtwindung einbiegen, erblicken wir vor uns einen Mann in der kleidsamen Tracht der Bewohner dieser Gegend, der trotz des noch andauernden höllischen Getöses heiter und ruhig dasteht. Und wie er uns erblickt, umfliegt ein sarkastisches Lächeln seine Gesichtszüge und er spricht: „Fiarchten’s Iane net! Do is niks zu fiarchten – g’sprengt haben’s.“

Das also war’s: gespregt haben’s. Ein Sprengschuß hat uns so in die Flucht gejagt. Und wir schauen uns an, verdutzt, verlegen und beschämt zugleich, daß wir uns so leicht hatten in’s Bockshorn jagen lassen. Auf unseren Wunsch führt uns der Mann sodann zurück, an dem Glanzpunkte und Abschlusse unserer Wanderung vorüber, zu der in unmittelbarster Nähe gelegenen Sprengstelle, einem in Arbeit stehenden und schon etwa zehn Meter tief eingesprengten schmalen Tunnel von etwas über Manneshöhe, dessen Eingang hinter einem Vorsprunge der linkshändige Felswand wir früher in unserem Enthusiasmus völlig übersehen hatten. Und dann setzen wir uns mit den Sprengern, die sich während der Detonation ganz in der Nähe an geeigneten Orte gesichert hatten, vermittelst eines Trinkgeldes in’s Einvernehmen, und nicht lange haben wir zu warten, und es ertönt abermals der grause, nervenerschütternde, schlachtenlärmübertönende Donner, der uns aber diesmal nur das Gefühl höchsten Interesses abzugewinnen vermochte.

Ohne daß uns ein weiteres Begebniß aufgestoßen wäre, verließen wir sodann die Klammen und trafen, begeistert von den empfangenen Eindrücken, nach mehrstündiger Abwesenheit wieder in St. Johann ein, von wo wir noch an demselben Tage unser vorläufiges gemeinsames Reiseziel, das herrliche gebirgsumschlossene Zell am See, erreichten.

Hiermit könnte ich eigentlich schließen, wenn ich mich nicht zu einem Nachtrage verpflichtet glaubte.

Das Wasser spielt, wie die Geologie lehrt, nicht nur als chemische, sondern auch ganz besonders als mechanisch wirkende Kraft eine bedeutende Rolle bei der dauernden Umgestaltung der Erdoberfläche, so ganz vorzüglich auch bei der Thalbildung. Ja, es läßt sich behaupten, daß, während allerdings ein nicht unbedeutender Theil der Thäler mit dem umgebenden Gebirge ursprünglich zugleich entstand und erst später durch die Einwirkung des Wassers wesentlich erweitert und umgestaltet wurde, ein anderer nicht minder großer Theil nur durch Auswaschung (Erosion) allein gebildet wurde. Diese letztere sind die eigentlichen, sogenannten Erosionsthäler. Allseitig und erschöpfend auf den interessanten Thalbildungsproceß einzugehen, kann wohl nicht die Aufgabe dieser Zeilen sein, aber es ist für das Verständniß der Klammbildung nothwendig, auch die Entstehung, beziehungsweise Fortbildung der Thäler wenigstens in großen Zügen anzudeuten.

Im Allgemeinen beginnt jeder Thalbildungsproceß damit, daß das von atmosphärischen Niederschlägen herrührende Wasser, dem Gesetze der Schwere gehorchend, auf dem mehr oder weniger geneigten Boden eines Berghanges den zufällig vorhandenen, vielleicht kaum bemerkbaren, rinnenartigen Vertiefungen folgt, und später, wenn bei andauernder Neigung einzelne Rinnen sich [198] vereinigt haben, eine bedeutendere, bis zum Fuße des Abhanges sich hinabziehende Furche bildet. Natürlich ist die Auswaschung da am stärksten, wo die größere Wassermenge wirkt, also am Fuße des Abhanges. Hier wird daher auch die Thalbildung ihren Anfang nehmen, indem das fließende Wasser, wenn es den Grund und die Seiten seines Bettes genugsam ausgewaschen hat, ein Nachstürzen der umgebenden Schuttmassen der Ufergehänge verursacht. Je lockerer diese Schuttmassen sind, desto flacher wird das Ufergehänge werden, je compacter, desto steiler. Ja, im Gestein von fester Structur können sie sogar senkrecht werden. Hat nun das Wasser in seinem unteren Laufe so viel ausgewaschen, daß sein ursprüngliches Bett sich zu einem Thale erweitert hat, dessen Sohle nicht viel höher als der Fuß des Abhanges liegt, so läßt hier in Folge des jetzt eintretenden geringen Gefälles die Kraft der Erosion nach, und das Wasser beginnt weiter oben in seinem Laufe, wo das Gefälle noch bedeutend ist, vorzugsweise auszuwaschen und zu nagen, wenngleich wegen seiner geringeren Menge in schwächerem Grade. Die Thalbildung schreitet somit von unten nach oben fort; unten verbreitert und vertieft sich das Thal; nach oben schneidet es sich weiter ein und vergrößert auf diese Weise sein Wasserabzugsgebiet.

Nicht immer aber geht die Thalbildung so regelmäßig und ohne alle Störung vor sich. Nicht selten stellen sich im Verlaufe der Thalauswaschung der Strömung des Wassers mächtige Querhemmnisse entgegen, sei es, daß diese in festeren, nicht so leicht zu erodirenden Gebirgstheilen oder in Bergvorsprüngen, sei es, daß sie gar in Hebungen des unteren Thalbodens oder in anderen Ursachen bestehen. Die Folge davon wird jedenfalls sein, daß das Wasser sich allmählich zu einem See ansammelt, dessen Abfluß dann, wenn jener das gehörige Niveau erreicht hat, an der niedrigsten Stelle des Querdammes stattfindet und sich über den in der Regel steilen Hang des Hemmnisses als Wasserfall hinabstürzt. Erst wenn das Hindernis, gänzlich durchwaschen ist, was jedenfalls außerordentlich lange Perioden erodirender Thätigkeit bedingt, wird der See entleert werden und sein Grund fortan wieder trockenen Thalboden bilden. Der Ort der Durchwaschung selbst wird sich gewöhnlich, besonders wenn das durchbrochene Material ein festes war, als eine enge Schlucht, als ein Felsdefilê darstellen. – Dies ist im Großen und Ganzen der Hergang bei der Thalbildung.

Eine besondere Erwähnung verdienen die Wasserfälle. Bei diesen muß natürlich die Erosion sich am kräftigsten zeigen, da das Wasser dort die stärkste mechanische Kraft äußert, wo es am schnellsten fließt. Stürzt es sich als Wasserfall über eine senkrechte Wand, so lassen sich wieder zwei Punkte seiner vornehmsten Wirksamkeit unterscheiden: oben die Schwelle seines Absturzes, unten die Stelle seines Aufpralles, während die senkrechte Wand direct desto weniger angegriffen wird, je weniger das im größeren oder kleineren Bogen herabschießende Wasser dieselbe berührt.

Daß das Wasser auf die Schwelle seines Absturzes und weiter oberhalb durch die ganz außergewöhnliche Schnelligkeit seiner Strömung einsägend wirkt, ist leicht einzusehen, besonders wenn man bedenkt, daß in Thälern mit steilem Gefälle das Wasser meistens Steingerölle, ja sogar mitunter mächtige Felsblöcke mit sich führt, welche nach Maßgabe ihrer Schwere den Boden in ausgiebiger Weise ausschleifen und ausnagen. An der Stelle seines Aufpralles wirkt das Wasser vorzugsweise ausgrabend. Zunächst bildet sich hier in Folge der besagen Stoßkraft des Wassers eine kesselartige Vertiefung, die sich mehr und mehr ausbreitet und namentlich den untersten Theil der Absturzwand selbst angreift, weil dem zwischen der Wand und dem herabfallenden Wasserstrome befindlichen, aufwallenden und wirbelnden Wasser durch den Strom selbst der Abfluß gesperrt wird. Diese Unterwühlung dauert nun so lange fort, bis endlich die unterminirte Felswand in Folge ihrer eigenen Schwere zusammenstürzt, worauf der ganze Vorgang von neuem beginnt. Selten jedoch wirkt die Erosion sowohl oben wie unten in gleichem Maße, meistens wird das Wasser, zufolge verschiedener Bedingungen, bald oben, bald unten überwiegend stärker angreifen. In beiden Fällen jedoch ist eine Folge der Erosion die, daß der Wasserfall, indem er vor sich, das heißt stromabwärts, eine Schlucht mit senkrechten Wänden zurückläßt, stetig so lange thalaufwärts rückt, bis er die Thalstufe gänzlich durchbrochen hat und nun das Wasser mit gleichmäßiger Schnelligkeit abwärts fließen kann. Es ist einleuchtend, daß die hier geschilderten Vorgänge in um so großartigerem Maße auftreten, je größer die Wassermasse und ihre Triebkraft und je weniger hart das ihrer Einwirkung unterliegende Gestein ist.

Ein sehr lehrreiches Beispiel von Wasserfällen, die vorzugsweise durch Unterminirung rückwärts schreiten, liefert der berühmte Wasserfall, welchen der Niagara in Nordamerika auf seinem Laufe vom Erie-See bis zu dem etwa hundert Meter tiefer gelegenen Ontario-See bildet. Die Fallwand besteht hier aus Schichten von härterem Kalkstein mit einer unterlagernden Schicht von weichem Schiefer (Niagaraschiefer). Von dem ungeheuren Wasserschwall wird der Schiefer bald weggewaschen, und die nun überhängende Kalkwand stürzt zusammen, sobald ihr die Unterlage in genügendem Maße entzogen ist. Nach Berechnungen von Hall und Lyell beträgt das Zurückschreiten des Niagarafalles im Durchschnitt etwa ein drittel Meter jährlich, und ist nach derselben Quelle die drei Stunden lange Schlucht mit den schroffen Wänden vom Falle abwärts bis Queenstown in der Nähe des Ontario, wo die von dem Strome durchflossene Hochebene plötzlich abfällt, in sechsunddreißigtausend Jahren gebildet worden, und wird der Fall den Erie-See in weiteren siebenzigtausend Jahren erreichen und denselben entleeren. Aehnliche Bewandtniß hat es mit dem Rheinfall bei Schaffhausen, der auch fortwährend rückwärts schreitet und so lange rückwärts schreiten wird, bis er den Bodensee erreicht und wenigstens theilweise entleert.

Die Klammen dagegen liefern Beispiele von Erosion, die vorzugsweise durch Einsägung von oben her wirkt, besonders dann, wenn die Wasserfallwand nicht geradezu senkrecht, sondern nur in höherem Grade steil ist oder wenn dieselbe aus gleichartig festem oder gar in ihren unteren Schichten aus härterem Gestein besteht. Hierher gehören denn auch die Klammen der Großarl, sowie die engen Schluchten in den benachbarten Tauernthälern. In diesen Thälern finden sich aber auch alle Vorbedingungen zur Klammbildung gegeben. Sie haben alle ein steiles Gesenke, ein bedeutendes Wassersammelgebiet, dieses letztere nicht sowohl wegen seiner Ausdehnung, als vielmehr deshalb, weil sie größtentheils aus Gletschern in Fülle gespeist werden und weil die atmosphärischen Niederschläge hier sehr reichlich sind. Fast alle stürzen mit ihrer Sohle kurz vor ihrem Eintritt in’s Salzachthal sehr steil oder geradezu senkrecht ab, wie das Großarler, das Gasteiner, das Rauriser Thal und andere. Dabei bestehen dieselben in ihrem unteren Gebiete aus nicht allzu hartem Kalkgestein.

Im Frühling ist es, wo sich hier die Erosion in vollster Thätigkeit zeigt. Nicht nur, daß dann unter der Einwirkung der die Schnee- und Eismassen des Gebirges schmelzenden Frühlingswärme die Wassermenge eine außergewöhnlich mächtige wird, die sich mit tobender Wuth und zerstörender Gewalt, Alles mit sich reißend, die steilen Thäler hinabstürzt, sondern es werden ihnen auch in reichlicherem Maße als sonst größere Felstrümmer dadurch zugeführt, daß das in die Fugen und Spalten des Gesteins der Thalwände einbringende Schneewasser bei dem zu dieser Jahreszeit besonders häufig eintretenden Temperaturwechsel sehr oft wieder gefriert und, da es in gefrorenem Zustande einen größeren Raum einnimmt, wie ein Keil absprengend und lösend thätig ist.

In dieser Weise hat das Wasser, der fallende Tropfen, seit unermeßlichen Jahren, seit Jahrtausenden gewirkt und in unermüdlicher, rastloser Thätigkeit, die einen Begriff von der Unendlichkeit beizubringen geeignet ist, im harten Fels diese unheimlichen Abgründe und Klüfte gegraben; so wirkt es noch fort, und so wird es weiter wirken, abermals Jahrtausende vielleicht, bis es endlich, gleichsam wie im demokratischen Nivellirungsdrange, einen Theil der Gebirge abgetragen und sich einen gleichmäßigen, bequemen Abfluß verschafft hat.