Ins Riesengebirge

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Autor: Max Heinzel
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Titel: Ins Riesengebirge
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aus: Die Gartenlaube, Heft 11, S. 339-343
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Ins Riesengebirge.

Ein Wanderbild von Max Heinzel.0 Mit Zeichnungen von Olof Winkler.

Wahrhaftig, hätte ich einen Gewinn in der Lotterie gemacht, hätte mir die unliebenswürdige Fortuna endlich einmal gelächelt, ich hätte mich nicht glücklicher fühlen können als in dem Augenblick, da ich in den Bahnzug gestiegen war. Freiherr, Gebieter über meine Zeit, kein Sklave des Berufes mehr, saß ich in meiner Ecke – ein geller Pfiff, das eherne Dampfroß bewegte sich, keuchend, schwerfällig zuerst, und schnaubte dann in beflügelter Eile zum Bahnhofe hinaus, um mich nach Hirschberg zu bringen.

Nach Hirschberg – das bedeutet eine fröhliche Wanderfahrt ins Riesengebirge, den Stolz des Schlesierlandes, in Rübezahls wunderreiches, weltabgeschiedenes Revier, in die schöne, waldumrauschte Einsamkeit, wo sich der Tag so reizend verträumt, wo man das Leben, und wenn es auch nichts weiter ist als Mühsal, Arbeit und wieder Arbeit, so von Herzen lieb hat, wo man sich seiner so unendlich freut wie sonst niemals, ausgenommen mit den Kindern unter dem leuchtenden Weihnachtsbaum.

Bald hatte ich mein Ziel erreicht. Einen lachend blauen Himmel über mir, umfächelt von frischer, kräftiger Bergluft, zog ich mit einem lärmenden Touristenvölkchen in die alte, entzückend gelegene, gemüthliche Stadt ein, die sich durch die Anlage zahlreicher geschmackvoller Villen so hübsch modisch herausgeputzt und ihrem steinernen Antlitz einen freundlich ansprechenden Ausdruck verliehen hat. Ihre nächste Umgebung, so reizvoll wie nicht bald eine zweite Stadt sie aufzuweisen vermag, bietet namentlich auf dem Kavalierberge und dem Hausberge einen hochlohnenden Blick auf das liebliche Thal, das Boberkatzbachgebirge und den mächtigen Wall des Riesengebirges.

Nachdem ich lieben Freunden, die in der alten Leineweberstadt wohnen, die Hand geschüttelt, reite ich auf Schusters Rappen nach Warmbrunn (der Leser wolle von jetzt ab die Wanderung auf den Bildern unseres künstlerischen Mitarbeiters begleiten), nach dem altberühmten Bade, das ungezählten Tausenden schon das leicht verlorene, kostbare Gut der Gesundheit wieder verliehen hat. Wie sehr es einst in Blüthe stand, mag u. a. die fast märchenhaft klingende Thatsache bezeugen, daß im Jahre 1687 die Gemahlin des Königs Johann Sobieski von Polen mit einem Gefolge von 1000 Personen in dem Kurorte weilte. Nun, wer weiß, ob nicht ein neuer Glücksstern dem schönen Sudetenbade leuchtet, wenn erst die geplante Zahnradbahn, die von ihm aus nach der Schneekoppe geführt werden soll – zum Schmerze freilich mancher feinfühliger Naturschwärmer – ihre Verwirklichung gefunden hat. – Von Warmbrunn, dessen segensreiche schwefelhaltige Quellen vor kurzem um eine sehr ergiebige vermehrt worden sind, führt mich mein Weg nach Hermsdorf. Ueber diesem Dorfe erhebt sich auf gewaltigem Unterbau der Kynast, die sagenumsponnene Ruine jener berüchtigten Burg, wo so viele ritterliche Thoren, verblendet von der Schönheit eines wahnwitzigen Weibes, um die Ringmauer geritten und in den tiefen. schauerlichen „Höllenschlund“ hinabgestürzt sind. Die ziemlich mühsam zu erklimmende, melancholisch düster ins Land schauende Burg, die einst der Blitz mit seinem vernichtenden Feuer getroffen hat, gewährt eine ungemein fesselnde Aussicht von der Zinne ihres Thurmes herab. Wir erblicken den Riesenkamm in seiner ganzen Ausdehnung; die [340] stolze, hoch zum Himmel aufragende Koppe, das Hohe Rad, die Schneegruben – und zu unseren Füßen den schreckhaft gähnenden Abgrund, in dem Kunigundens waghalsige Freier ihr elendes Ende gefunden haben. Ein biederer Schuster hat darauf einen Vierzeiler gedichtet, welcher lautet:

„Das Weibsbild kunnde
Uf Knie’n mich bitten –
Ich wär’ mit da Rittern
Ni mitte geritten.“

Es war bereits dämmerig geworden; feuchte Schleier umwoben Thal und Gebirg, als ich wieder ins Dorf hinabschritt. In den alten, trübsinnig dreinschauenden Nadelbäumen flüsterte es seltsam, und es war schier, als ob der ruhelose Geist des stolzen, grausamen Edelfräuleins, das einst da oben sich gesonnt im Glanze seiner Schönheit, leise an mir vorüberschwebe. –

*  *  *

Der Morgen ist thaufrisch und sonnig. Ein fröhliches Wanderlied klingt mir durch den Sinn, indem ich auf Petersdorf, die stattliche, obstgesegnete, industriereiche Ortschaft, zumarschire. Nachdem ich dieselbe erreicht, muß ich mehrmals den Zacken überschreiten, in dessen Bett sich noch immer die Spuren der letzten Ueberschwemmung zeigen. Am Ende des Dorfes nimmt die Landschaft ein völlig anderes Gepräge an; eine kühle, erfrischende Waldluft weht mir aus der engen Felsenschlucht, die ich betreten habe, entgegen. Langsam, in gleichmäßiger Steigung, geht’s bergan. Der üppigste Pflanzenwuchs gedeiht in dem feuchten Grunde; Birken, Buchen, Ahornbäume und Fichten, nur hin und wieder dem nackten Stein Raum lassend, sich vorzudrängen, heben ihre Gipfel empor; unzählige Wasserstürze schäumen an mir vorüber. Hier ist ein wahres Wunderland für Maler, jeder Schritt bietet ein neues, herrliches Bild. Aber die Krone von allem ist der Kochelfall, der einige hundert Schritt von der Straße in tiefster Waldeinsamkeit von hundertjährigen Bäumen beschattet, mit seinem goldbraunen Wasser in eine rief eingewaschene Felsenrinne hinabstürzt.

Wenn man dann auf die Straße zurückkehrt und noch eine halbe Stunde am Zacken aufwärts gewandert ist, so erweitert sich mit einem Male die dunkle Schlucht, und Schreiberhau, die bestrickend schöne Sommerfrische des Riesengebirges, liegt vor unsern Augen. In bunter Abwechslung grüßen uns freundliche Häuser und prachtvolle, vornehme Villen, auf blumenreichen Wiesen verstreut, über denen der Reifträger emporsteigt und die Felsenrippen der Schneegruben sich erheben.

In kurzer Zeit gelangt man nach der Josephinenhütte, einer weitberühmten Glashütte, die vorzugsweise Luxusglaswaren erzeugt, und von da geleitet uns ein wundervoller Waldweg nach dem Zackenfalle, der 26 Meter hoch, freilich nicht ohne künstliche Spannung wie alle Wasserstürze des Riesengebirges, in die Tiefe tost. An granitenen Wänden, wo üppiges Moos, Lattichblätter und Farnkräuter wuchern, über sich hochanstrebende Tannen und Fichten, stürzt er in blendender, diamantenstäubender Pracht hinab in sein nächtliches Bett, in Schaum und Gestrudel.

Vom Wassersturz des Zacken führt der Weg allmählich auf den Kamm des Gebirges, das wie eine granitene Mauer Schlesien, mein schönes Heimathland, von Böhmen trennt. Der Wald wird, je höher man steigt, immer niedriger, die Fichten schrumpfen mehr und mehr zusammen und das Gebiet des Knieholzes, der Zwergkiefer, die ohne eigentlichen Stamm buschartig ihre Aeste an der Bodenfläche ausstreckt, beginnt. Auf meiner Wanderung begegne ich der ersten „Baude“, der „Neuen Schlesichen Baude“. So werden die auf Stein ruhenden Blockhäuser genannt, in welchen die gutmüthigen, treuherzigen Gebirgsbewohner hausen und auch der müde Bergsteiger labende Erfrischung, Atzung und Herberge findet. Diese Bauden, die ohne Ausnahme von einer üppigen, sorgfältig gepflegten Wiese, dem „Garten“, umgeben sind, werden in Sommer- und Winterbauden geschieden, d. h. in solche, deren Insassen mit ihrem Vieh im Winter in die Thäler ziehen, und in solche, die das ganze Jahr bewohnt bleiben. Früher ließen sie manches, oder sagen wir lieber: vieles zu wünschen übrig; die fortschreitende Zeit hat

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sie aber nicht unberührt gelassen, so daß sie nun, völlig in ihrer inneren Einrichtung umgewandelt, eine auch für anspruchsvollere Touristen recht behagliche Unterkunft gewähren können. Leider ist die Reihe der Tage, da es sich fröhlich leben läßt in diesen Behausungen, gar kurz; bald tanzen die weißen Schmetterlinge des Winters ihren wilden Reigen auf den Bergen, und dann wird’s dem armen Gebirgsbewohner, der da oben ausharren muß, zuweilen recht schwer, den Gleichmuth zu bewahren. Seine Hütte, die eisiger Sturm mit zornigem Geheul umbraust, liegt verschneit bis über die Fenster, durch die Thür kann er nicht mehr hinaus, er muß durch das Dach oder durch einen Stollen, wie ihn die Bergleute bauen, ins Freie zu gelangen suchen. Und wenn nun gar ein Mitglied der Familie in dieser Zeit stirbt, da ist des Elends kein Ende. Der Abgeschiedene kann nicht beerdigt werden, seine Ruhe auf dem Friedhofe nicht finden, bis es Frühling geworden ist.

Aber, wie rauh auch das Dasein des Baudenbewohners im fortwährenden Kampf mit den unfreundlichen Elementen sich gestalten mag, die Liebe zu seinen Bergen überwindet alles, das Schwerste und Bängste, und sie bleibt ihm unerschütterlich, unausrottbar bis zu seinem letzten Athemzuge. Er hadert mit seinem Geschick nicht. Er ist schlicht, bescheiden, genügsam und leicht zu harmlosem Frohsinn geneigt; er ist, damit ich’s richtig sage, der echte Urschlesier, wie er leibt und lebt.

Nach dieser kleinen Abschweifung wandere ich am Reifträger, an den Sau- und Quarksteinen, sowie an der Kesselkoppe vorüber nach der Grubenbaude, hinter der sich, wie ich gleich hinzufügen will, die Rübezahls- oder Teufelskanzel, eine mächtige Steinmasse, erhebt. Nachdem ich ersehnte Rast gehalten und meinem leiblichen Menschen Genüge gethan, schreite ich zur Besichtigung der Schneegruben, die zu den gewaltigsten und eigenartigsten Schöpfungen der Riesengebirgsnatur gehören. Es graut dem Blicke fast, sich hinabzusenken in diese wüsten, schauerlichen Abgründe, in denen oft der Schnee den ganzen Sommer lang liegen bleibt, und mancher Schönen, die dieser grausigen Steinwildniß gegenübertritt, klopft das kleine Herz angstvoll, als ob sich eine Geisterhand leise nach ihr ausstrecke, um sie hinab zu ziehen. Die Große Schneegrube, die von der Kleinen durch einen nackten Grat getrennt ist, hat mächtigere, seltsamer gestaltete, zerklüftetere Wände als diese, die nicht so steil abfällt und vermöge der in ihr wachsenden, farbenfrischen Pflanzen, die von Botanikern vielfach gesammelt und ihren Herbarien einverleibt werden, einen viel weniger wilden Eindruck macht. Sie ist übrigens wichtig durch eine geologische Merkwürdigkeit insofern, als eine ziemlich starke Basaltader in eine ihrer granitenen Wände eingesprengt ist.

Ein Abstecher, den ich von der Grubenbaude aus unternehme, führt mich alsdann zu dem großartigen Wasserfalle, den die jugendmuthige Elbe bildet. In kurzer Entfernung von ihrer steinumfaßten, von einem saftiggrünen Anger umgebenen Quelle stürzt sie 50 Meter hoch über wunderlich gezackte Felsblöcke wie in rasendem Zorn in den Elbgrund hinunter. In ihrem Laufe aufgehalten, verspritzt sie ihren weißen Gischt in langen Strähnen, kämpfend, ringend, tobend und brausend, bis sie in dem ausgewaschenen Granitgeröll, das ihr Bett bildet, endlich zur Ruhe kommt. Die waldlose, finster dreinschauende Umgebung verstärkt den Eindruck des Schauspiels in hohem Grade, das nur leider zu kurze Zeit den Beschauer fesselt. In der Nähe dieser Riesenkaskade befindet sich noch ein Wasserfall, der der Pantsche, der sogar 250 Meter erreicht, aber an Mächtigkeit weit hinter dem des schönen deutschen Stromes, der in Rübezahls Bergen entspringt, zurückbleibt.

Um den von der Elbe gebildeten Fall in seiner ganzen Großartigkeit und Schönheit würdigen zu können, muß man eigentlich aus dem romantisch reizvollen Grunde, den sie durchschäumt, emporsteigen. Diesen nach ihr benannten Elbgrund zu durchwandern, bietet einen überaus köstlichen Genuß. Es wechselt in ihm Nadel- und Laubwald in prächtigstem Farbengemisch. Zwischen düster ernsten, wie in Traum und beschauliches Nachsinnen versunkenen Tannen erhebt die Buche ihre glänzende Blätterkrone, recken der Ahorn und die Birke ihre Aeste, während unten auf dem feuchten, triebkräftigen Boden hoch aufgeschossene Farne ihre anmuthigen Fächer ausbreiten und manche liebliche Blume gedeiht. Der Grund ist von dem Krokonosch und dem [342] schlesischen Hauptkamme eingeschlossen, in welchen letzteren die als die „Sieben Gründe“ bezeichneten Thäler eindringen, deren Wasser zum Theil der Elbe und zum Theill dem Weißwasser zugeht.

Wer nach Spindelmühl, dessen älterer Theil St. Peter genannt wird, gelangen will, den führt der Weg durch diesen stillen, schattigen Grund. Die beiden Orte an der Stelle, wo das Klausenwasser in die Elbe mündet, sind der Glanzpunkt auf der böhmischen Seite des Riesengebirges und, wie bekannt, alljährlich von einer wimmelnden Anzahl von Sommerfrischlern besucht. Eingeschlossen vom Ziegenrücken, Planur und Ausläufern des Krokonosch, mit ihren zum Theil sehr hübschen Häusern sich an saftigen Wiesenmatten hinziehend, liegen sie da wie ein entzückendes Idyll, ein friedliches Eden, in das kein mißtönender Laut von dem wirren Getriebe der Welt dringt – und nur schwer nimmt der Wanderer, der es mit seinen Augen geschaut, von seinem wunderbaren Frieden gekostet hat, wieder Abschied von ihm.

Vom Elbfalle zurückkehrend, überrascht mich ein Unwetter, das Rübezahl, das „neckrige Gespenst“, wie ihn die Leute nennen, beschert hat. Der Donner rasselt über meinem Haupte, der Blitz macht die Berge leuchten mit elektrischem Lichte, der Sturm durchjagt sie in wüthender Eile, die Regentropfen wie kleine spitze Nadeln in mein Gesicht treibend, und ich bin froh, in der Grubenbaude eine gastliche Herberge für die Nacht zu finden.

Noch heult und pfeift er, der unwirsche Sturm, als wollte er mir gruselig machen, wie ich schon schlafensmüd’ mich niedergelegt habe. Glücklicherweise schwimmt am frühen Morgen die ganze Bergnatur in eitel Glanz und Sonnenschein, und mit frischem Muth in der Brust und neuer Kraft in den Beinen wandere ich, mir den Hut mit einem blühenden Habmichlieb schmückend, über das Hohe Rad und die Große Sturmhaube, an den Gruppen der Manns- und Mädelsteine vorbei nach der geräumigen, nett eingerichteten Petersbaude und von da nach der Mädelwiese, von deren Einsattelung der schlesische Kamm in zwei Flügel getheilt wird. Versehen mit einem kräftigen Imbiß aus der Spindlerbaude, in welcher man die alte Eigenart des Baudenwesens noch ganz unverfälscht vorfindet, steige ich über die öde Kleine Sturmhaube, oft in die lachende Ebene des Thales schauend, nach dem Mittagssteine zu, einer wunderlich geformten, an der einen Seite einem angelehnten Menschen ähnlichen Felsmasse, um endlich bei dem Gegenstück der Schneegruben, den Teichen, ersehnte und wohlverdiente Rast zu halten.

Eine böse Strecke Weges habe ich hinter mir, erschöpft und schweißtriefend verlange ich nach Erfrischung, und mit Freuden begrüße ich das tüchtige neue Gasthaus, die Prinz-Heinrich-Baude, bei der unser Prinz gleichen Namens Pathe gestanden hat. Ein stattlicher, von Meister Kahl vortrefflich ausgeführter Bau, der nur mit unsäglichen Mühen und Beschwerden unter Dach zu bringen war, steht es an einem der wundervollsten Punkte, an dem Rande des Kessels, von welchem man auf den Wasserspiegel des Großen Teiches hinabsieht.

Daß es da steht, daß man in seinen schönen, stilvollen, mit Bildern und Kunstwerken gezierten, selbst mit einem Pianino versehenen Räumen Einkehr halten kann, verdanken wir dem Riesengebirgsverein, der sich schon so unendliche Verdienste um unser schlesisches Hochgebirge erworben und den Natursinn, das Naturgefühl in immer weiteren Kreisen geweckt und gepflegt hat. Vor allen anderen aber verdanken wir es einem überaus thatkräftigen Manne, dem Dr. Baer in Hirschberg, der unerschütterlich blieb, wenn sich auch der Unternehmung thurmhohe Schwierigkeiten entgegenstellten, und immer wieder das Feuer des Eifers anfachte, wenn es schier in Asche begraben schien. Ihm bringe ich einen herzhaften Schluck aus meinem Glase, mit ihm singend:

„Unten brüten Sorgen,
Oben sind geborgen
Wir vor aller Erdennoth und Qual –
Unten schrei’n die Spötter,
Oben laden Götter
Uns zu ihrem hohen Freudenmahl.

Unten wohnt das Grauen,
Oben dürfen schauen
Wir, soweit der Horizont sich spannt –
Drum in allen Jahren
Laßt zu Berg uns fahren
In dem lieben, schönen Schlesierland!“

Doch nun zu den Teichen! Wie die Schneegruben sind auch sie zwei so erhabene Naturbilder, daß sie all unsere Gedanken zu lebhaftester Bewunderung hinreißen. Namentlich am Großen Teiche, vom Volke der „Schwarze See“ genannt, ist das der Fall. Starr, unheimlich, unbeweglich, in finsterem Schweigen schaut er zu uns herauf aus seiner von hohen Steinwänden und übereinandergeschichteten Trümmern umschlossenen Vertiefung. Wir meinen, in seinem Wasser könne kein Wesen gedeihen. Und doch regt sich auch in ihm, wie Dr. Zacharias bewiesen hat, ein Gewimmel von Geschöpfen, kleinen Krebsen, Würmern, Käfern und Alpensalamandern.

Der Kleine Teich, über dessen Wände wie über die des Großen Teiches nicht selten eine Lawine hinabdonnert, hat ein ganz anderes Gepräge als dieser. Schon seine nächste Umgebung ist viel anmuthender durch die frische Wiese, die um die Teichbaude sich ausdehnt. Sodann blickt dieses Bergauge nicht so eisig starr, so finster zu uns auf wie der todtöde Große Teich; im Gegentheil, es ist reges Leben in diesem Wasser, es bewegt sich, es bildet Wellen, und wenn die Sonne freundlich darauf scheint wie heut, so können wir die flinksten aller Fische, die Forellen, sich munter in ihm tummeln sehen. Der Kessel des Teiches ist an der einen Seite offen und gestattet dem Wasser einen Abzug, welcher mit dem aus dem nachbarlichen See vereinigt nachher die Große Lomnitz, im Volksmunde „Lunze“ genannt, bildet. Die Länge des Kleinen Teiches beträgt 240, seine Breite 150 Meter, während der Große Teich eine Länge von 550 und eine Breite von 160 Metern hat.

Ich setze den Wanderstab weiter, noch ganz von dem tiefen Eindruck befangen, den ich gehabt, und gelange endlich auf den Koppenplan, eine feuchte sumpfige Hochebene, auf der das Knieholz, das nur leider stark ausgerottet wird, vortrefflich gedeiht.

Ich pflücke wie fast alle Koppenwanderer Anemone alpina, nach ihren langhaarigen Früchten. „Teufelsbart“ genannt, stecke mir auch einen Veilchenstein in die Tasche und schaue mir die Koppe, die sich wie eine kahle, riesenhafte Pyramide vor mir erhebt, erst einmal gründlich von unten an. Dann rüste ich mich zum Aufstieg, nachdem ich noch kurze Rast in der freundlich einladenden Riesenbaude gehalten habe. Der Herr der Berge scheint nicht bei bester Laune; unten im Melzergrunde hat er einen Sturm losgelassen, der das ohnehin beschwerliche Klimmen nach dem Ziele noch beschwerlicher macht. Ich stemme mich, soviel ich kann, gegen seinen brausenden Anprall, den Blick zur Kräftigung meines Willens immer auf das mächtig lockende Koppenhaus gerichtet, das über dem nach ihm emporführenden Zickzackwege in 1601 Meter Meereshöhe sich erhebt. Endlich habe ich’s, mit über das Gesicht rieselndem Schweiß, trotz der mich umwehenden, keineswegs mailauen Luft, erreicht! Lustiges Musikantenvolk, das sich da oben eingenistet hat mit einer ebenso lustigen, bunt zusammengewürfelten Gesellschaft, empfängt mich mit einer Millöckerschen Operetten-Melodie und frischt mir den Humor, der schon bedenklich zu ermüden begann, wieder auf – selbstverständlich in Verbindung und unter Mithilfe eines guten Tropfens. Ich bin so glücklich, ein Bett für die Nacht zu erobern; aber von Schlafen ist nicht viel die Rede. Das junge Volk in dem Hospiz, in dem ich übrigens auch den unvermeidlichen Skat spielen sah, schwingt, wer weiß wie lange, das Tanzbein. Frühzeitig schon ruft mich Glockenschall aus den Federn. Die Sonne geht auf! Ich bin einer von den wenigen Glücklichen, denen es vergönnt ist, zu schauen, wie das Licht des königlichen Tagesgestirnes von der Koppe nieder rosig von Berg zu Berg gleitet und dann in die Thäler hineinleuchtet, ein so über alle Beschreibung schöner, großer, wunderbarer Vorgang, daß sich kaum etwas mit ihm vergleichen läßt.

Wie gebannt stand ich ihm gegenüber und wie ich über die Berge hinsah, über diese stille, einsame Welt, in der die Seele sich, um mit der Königin Luise zu reden, Gott näher fühlt, da grüßt’ ich begeistert mein herrliches, schlesisches Land!

Allmählich kam die Zeit zum Abstieg. Noch einmal ließ ich an der kleinen, runden Laurentiuskapelle mein Auge umherschweifen weit in die Ferne, dann nahm ich Abschied von der erhaben thronenden Koppe, um noch einen Abstecher nach dem Riesengrunde, der vielleicht die großartigste Partie der Sudeten bildet, zu machen. Wenn ein Maler ihn durchwandert, muß er in Wonne schwelgen; denn soviel fesselnde Vorwürfe zu wirkungsvollen Bildern findet er nicht bald wieder beisammen.

[343] In verwirrendem Wechsel hat die bildende Hand der Natur in diesem Grunde – von dem unser Künstler als überaus lauschigen Punkt den an der Bergschmiede festgehalten hat – das Erhabene mit dem Lieblichen, das Düstere mit dem Heitern, das Farbenüppige mit dem Farbenstumpfen, das Todte, Oede mit sprudelnder Lebensfrische zu einer phantastischen Dichtung verschmolzen. Das kann man nicht schildern, mit keiner Feder, das muß man sehen!

Meinen Heimweg nehme ich über die Hampelbaude nach Krummhübel, durch die Gegenden, welche den Lesern der „Gartenlaube“ ja aus den meisterhaften Schilderungen Fontanes in seinem Roman „Quitt“ noch wohl vertraut sind. Auf diesem Wege berühre ich einen wundervollen Punkt, den ich mit ein paar Zeilen noch erwähnen muß. Ich meine das Kirchlein Wang, das die Gemeinde Brückenberg dem kunstsinnigen Könige Friedrich Wilhelm IV. verdankt. Gar traulich grüßt es mit seinem abseits stehenden Glockenthurm von Bergeshöh’ herunter, äußerlich wie innerlich mit einer Menge alterthümlicher Schnitzereien geziert. Die Lage des kleinen hölzernen Gotteshauses, das ursprünglich in Norwegen gestanden hat, ist eine ungemein anmuthige, zu träumerischer Rast unwillkürlich einladende.

Ich steige hinab nach Krummhübel. Das Dorf, wo einst die Laboranten ihre. Heilsäfte bereitet haben, liegt bezaubernd schön in einem tief eingeschnittenen Thale des Kammes, an der Großen Lomnitz, in deren Bett eine wahre Steinwüste sich aufgethürmt hat. Hier, in dieser gemüthlichen Sommerfrische, raste ich, im Angesicht der Koppe, und danke dem freundlichen Leser, daß er mich auf meiner Geist und Gemüth erfrischenden Bergfahrt bis hierher begleitet hat.