Itasca Lake; die Quellen des Mississippi
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Es geht mit dem Großen in der Natur, wie mit dem Großen im Menschen. Das Edelste verbirgt seinen Ursprung, die höchsten Berge sind unerstiegen, die Quellen der größten Strome blieben am längsten ein Räthsel. Noch hat kein Forscherauge die Wiege des Nils gesehen, noch ist der Streit über die Quellen des Maranhon unerledigt; und während der Vater der Ströme schon tausend Schiffe auf seinem Busen trug und hundert Städte in seinen Spiegel schauten, war sein Ursprung noch den Menschen ein Geheimniß. Erst vor wenigen Jahren hat sich der Schleier gelüftet, und haben die Quellen des Mississippi ihren Entdecker gefunden.
Westlich vom obern See, im Norden der Staaten Iowa und Wisconsin, liegt das Territorium Minnesota, unter den Sternen der Union der jüngste. Von Thalstufe zu Thalstufe steigt das Land zu einer Hochebene auf. Es ist in seiner Mitte angefüllt mit unzähligen Seen und überwachsen mit Urwald, der noch keinen Axtschlag hörte. Diese Landschaft, halb so groß als Frankreich, ist eine der merkwürdigsten Stromscheiden Amerika’s. Ihre nördlichen Gewässer sendet sie in das Polarmeer und die Hudsonbai; der obere See und der Golf von Mexiko empfangen die übrigen. Bis auf die neueste Zeit war diese Gegend gänzlich unerforscht und unbekannt. Nur der kühne Pelzhändler drang zuweilen in das Dickicht der Wälder, um mit den Indianerstämmen Felle zu tauschen. Der wissenschaftlichen Betrachtung war sie ein verschlossenes Buch.
Erst in den zwanziger Jahren, als die Kolonisation in Iowa und Wisconsin sich in den Thälern des obern Mississippi und seiner Nebenströme rasch mehrte und bis zu den Katarakten oberhalb St. Paul tief in das Gebiet der Chippewayer und Sioux vordrang, wurde das höhere Quellenland das Ziel beharrlicher Untersuchung. Die Unionsregierung in Washington schickte ihre Boten an die Häupter der wilden Stämme, um Grenzangelegenheiten [2] zu reguliren, Streitigkeiten mit den Nachbarstämmen zu schlichten und über Gebietsabtretungen für die herandringende Einwanderung zu verhandeln. Sie wählte zu diesen Aufträgen wissenschaftlich gebildete Männer von hervorragender Stellung. – General Caß, einer der Kandidaten für die nächste Präsidentschaft, leitete Jahre lang persönlich den Verkehr mit den Indianern in Minnesota und widmete der eifrigen Durchforschung dieses fruchtbaren und gesunden Landstrichs Mühen und Gefahren. Die Auffindung der Mississippiquelle machte er zum besondern Ziel seines Ehrgeizes. Er verfolgte den jungen Strom auf seinen labyrinthischen Windungen von See zu See; – was er inzwischen für die Mississippiquelle selbst hielt und die Welt dafür hinnahm, wies sich später nur als der Ursprung eines Nebenflusses aus. Erst im Jahre 1831 konnte Schoolcraft die für die Geographie so interessante Frage lösen, den Ursprung des Stroms sicher bezeichnen und den Ehrenkranz des Entdeckers um seinen Scheitel legen.
Die Quellwasser des Mississippi bilden einen kleinen See in Hufeisenform, der auf den Karten den Namen Itasca Lake trägt. Der neugeborne Strom ist so kräftiger Natur, daß er als ansehnlicher, 16 Fuß breiter Bach seine Wiege verläßt. Man schätzt die Höhe des Wasserspiegels von Itasca Lake über der Meeresfläche nur auf 1575 Fuß. Ihre Geringfügigkeit im Verhältniß zu der Länge des Stromlaufs (3000 Meil.) setzt in Verwunderung. Weil das Gefälle auf diesem Tafellande so klein ist, so schleicht der Bach in unzähligen Krümmungen langsam fort, bald zwischen majestätischem Urwald hin, bald durch mit Schilf und Riedgras bedeckte Gründe, von See zu See, bis er, mit andern Bächen vereint, zum Fluß erwachsen, die erste Thalstufe erreicht. Hier stürzt er in Katarakten nieder und begegnet dann, schnellern Laufs, den ersten Ansiedelungen der weißen Menschen. – Die Landschaft um den Itasca Lake ist mehr ernst als heiter, trotz der Jungfräulichkeit der Erde, trotz der strotzenden Ueppigkeit des Bodens. Kein nackter Fels, kein entblößter Fleck ist sichtbar; die Vegetation hat Alles bekleidet. Die erratischen Blöcke, welche an den Ufern des Sees herumliegen, sind mit wilden Reben und Brombeerstauden überwachsen, und junges, frisches Getriebe, Kräuter und Blumen, Schmarotzer- und Schlinggewächse keimen, sprossen und klettern überall an und auf den uralten Stämmen der Tannen und Eichen. Ihr helles, frisches Grün bringt Abwechselung in das Dunkel der Coniferen. Man könnte beim Anblick dieser stillen und doch so großen Natur an das Bild des Paradieses denken, wie es die nordische Mythe schildert. Die Natur ist hier ein von der Hand des Menschen noch unberührtes Heiligthum. „Ohne Scheu vor dem Herrn der Schöpfung“, – schreibt mir der Zeichner dieses Bildes, – „sahen wir die Hirsche in Rudeln an dem Gestade des Itasca grafen, und als ich mich niederbückte, um einen Labetrunk zu schöpfen, bemerkte ich ein junges Reh dicht neben mir schlummernd im Grase liegen“. –
Aber das Gefühl der Einsamkeit schmälert den Genuß dieser großen Natur. Die Geister, welche, nach der Indianersage, an diesen stillen Gewässern umgehen, sind nicht die Geister der Tradition und Romantik, welche das [3] Gemüth berühren und den Gedanken spannen. In den Urwäldern von Minnesota, an den Gestaden des Itasca, lauschten niemals die Hirten der Leyer eines Orpheus, auf seinen Wellen schifften nicht die Helden der Argo, kein Jason und keine Helena geben dem Dichter oder der Sage Stoff; nicht Völker, reich, mächtig, geistig hochgebildet und an Leib wie die Götter schön, wohnten jemals am großen Strome, und die Geschichte erzählt nicht von der Kultur und dem Reichthum vergangener Reiche. Was sie uns bewahrt, ist ein nüchterner Bericht von Büffel- und Bärenjagenden Rothhäuten, ihren kannibalischen Festen und Kriegen und ihrer Ausrottung durch das Feuerwasser und die Waffen der Weißen. Doch wie bald wird sich die Scene ändern! wie bald wird der Europäer mit seiner Gesittung auch in die stille Waldöde dringen: wie bald werden die Urwälder niederstürzen unter den Hieben seiner Axt; wie bald werden sich Städte in den klaren Quellseen spiegeln mit ihrem Handel und ihren Schätzen, mit ihrer Bildung und ihrem Wissen, – und wie lange wird es dauern, daß die weißen Erben jener rothen Bärenhäuter der alten Welt neue Gesetze schreiben! –
Die Entwickelung des Kulturlebens am Mississippi ist so riesenhaft wie seine Natur. Um jene zu fassen, muß man vor Allem diese betrachten. Wir hören wohl auch in unserer alten Welt erzählen, daß da und dort eine Bucht oder ein Hafen, in welche ein Fluß mündete, versandete: wir hören von Seestädten aus alten Zeiten, die heute ein oder zwei Meilen landeinwärts liegen; wir lesen von den Alluvien der Thäler des Po, des Rheins und der Donau und von den Veränderungen, welche durch Anschwemmung und Niederschlag im Laufe der Jahrtausende vorgingen; aber was will das sagen gegen die Eroberungen, welche der Mississippi gemacht hat und noch macht? Was bedeuten diese schmalen Landstreifen gegen die weiten Gebiete, welche der Vater der Ströme dem Ocean abgewonnen? Die Wogen des Golfs, welcher heute den Namen des Mexikanischen trägt, bespülten einst jene tief im Lande gelegenen Höhen, deren Ränder noch mit den Resten von Meerwasserschalthieren bedeckt sind. Heute tobt die Brandung desselben Meeres in ohnmächtigem Zorn über seine Verluste fast tausend englische Meilen fern von seinen alten Küsten. Fast die Hälfte jenes einst so großen Beckens, größer als Deutschland, die Schweiz, Holland und Dänemark zusammen, hat der Mississippi schon dem Meere abgenommen, und immer und immer weiter baut er festes Land von dem Boden des Meeres auf und vergrößert damit sein Territorium. „Der Mississippi ist in Wahrheit alle Zeit ein Mehrer seines Reichs!“ Die Zuckerfelder in den Niederungen Louisiana’s, das reiche Bottomland in den Staaten Mississippi, Tenessee, Illinois und Missouri, sie danken ihm allein ihren Ursprung. Ohne die vom Mississippi und den Nebenströmen beständig gemachten Eroberungen würde Nordamerika heute keinen Zucker und keine Baumwolle ernten und die reichen Marschen entbehren, auf welchen der Tabak Jahrhunderte lang ohne Dünger gedeiht und der Mais dem Bauer mit zweihundertfältiger Ernte lohnt. Es würden ihm die Güter entgehen, wodurch er sich die Welt zinsbar macht, und die Gebiete unerschöpflicher Fruchtbarkeit mangeln, in denen er Europa und der seines Jammers [4] müden Menschheit ein Asyl bietet, lockender als alle Paradiese der Tropenländer. Dem Geognosten zeigen jene tief in dem Lande sich erhebenden alten Felsgestade deutlich die vormalige Ausdehnung des Meeres, und dadurch ist er im Stande, die Eroberungen des Mississippi zu messen. Ihr Flächenraum ist 400,000 englische Quadratmeilen, eine ungeheure Zahl! Und dies große Reich ist des Mississippi eigenstes Werk. Er hat es geschaffen im Laufe der Jahrtausende, er hat es aufgemauert von dem Grunde des Oceans zum Tageslicht; 1000 englische Meilen fließt er durch selbst gemachtes Land. Was wir in dieser Art auf der übrigen Erde sehen, vergleicht sich dagegen wie Ameisenwerk zu den Thaten der Giganten. Dabei ist der Baumeister mit einer Regelmäßigkeit zu Werke gegangen, die Erstaunen erregt. Sein Bett grub er mit genau 3¼ Zoll Fall auf die englische Meile ein. Es ist dies ein großer Vortheil für die Schifffahrt; denn bei der geringen, kaum merklichen Neigung ist auf- wie abwärts der Bedarf an Triebkraft für die Bewegung der Fahrzeuge fast gleich; man schifft auf dem Mississippi wie auf der Ebene des Oceans.
Der gewöhnlich in großartiger Ruhe dahin wogende Vater der Ströme kann aber auch zürnen. Wenn die Gewitter von den Prairien aufsteigen und sich unter Tage langem Donnern und Blitzen mit Wolkenbrüchen und Platzregen an den Gebirgen entladen, – wenn die tausend und aber tausend Schluchten und Rinnsale, bis an den Rand gefüllt, ihre trüben Fluthen dem Mississippi zuschicken, beladen mit den ausgerissenen Bäumen des Urwalds und den zertrümmerten Uferwänden: dann verliert der majestätische Strom den Charakter der Ruhe und der spendende, wohlthätige Gott wird ein Gott der Verwüstung. Man sieht dann die ungeheure Wasserfläche mit Bäumen, Sträuchern und Stücken bewachsenen Landes, wie schwimmende Eilande, bedeckt, und dazwischen treiben die fortgerissenen Häuser und Mühlen, die Balken, Breter, Umzäunungen, Ställe, Blockhäuser, Steine und Felsstücke und die Leichen der wilden und zahmen Thiere. Flöße, Boote und Fahrzeuge suchen dann irgend einen Schlupfwinkel an dem Ufer zu gewinnen, wo sie der Gefahr der Zertrümmerung weniger ausgesetzt sind; – viele aber gehen dennoch zu Grunde und ihre Trümmer und Ladungen vermehren des Chaos. Am schreckhaftesten ist der Anblick des Stroms unterhalb der Mündung des Missouri, der, wilder noch als sein Herr, das ganze Thal mit einer dicken, rothgelben Fluth gefüllt hat, in der er dem Gebirge das Material für die Bauten des Mississippi im Golf von Mexiko entführt. Wird dann das Bett des Mississippi streckenweise zu enge, um die ungeheure Fluth zu fassen, so wogt sie über das Land hin, hunderte von Quadratmeilen überströmend. Wie zwergige Büsche schauen dann die Spitzen der kolossalen Bäume aus der zum Meer gewordenen Ebene, und wenn sie der Sturm peitscht und das Wasser zerwühlt und in den Wipfeln des ersoffenen Urwalds heult, so wird das Bibelbild der Sündfluth lebendig.
Nur ein Wesen in der Schöpfung wagt’s, diesen wilden, losgelassenen Zerstörungskräften kaltblütig zu trotzen: der Mensch, der Mensch in seinem leichten vielstockigen Breterkasten, in welchem der Zauberer Dampf, des Menschen Knecht, die Wogen schlägt. Es ist einmal Yankeebrauch, vor keiner Gefahr zu flüchten, und mag [5] der Zustand des Mississippi seyn, welcher er wolle, die Fahrt fortzusetzen. Ob Menschenleben zu Hunderten bei dieser Marine der äußersten Gefahr preisgegeben werden, – das kümmert den Dampfer-Kapitän nicht; er schwimmt seinem Ziele entgegen, thut, was er kann, durch eine geschickte Leitung die Gefahr zu mindern und vertraut im Uebrigen seinem Glück. Am mißlichsten ist dann die Fahrt stromaufwärts. Wenn, so weit das Auge reichen kann, die gewaltigen Baumstämme, bald untertauchend, bald hoch die zottigen Häupter über den Wasserspiegel hebend, wie wilde Ungeheuer dem Boote entgegentanzen, da schwindet das Gefühl der Sicherheit bei den Reisenden, die ihr Leben dem Breterhause anvertrauten, und, hülflos, guckt jeder dem Tod mit Grausen in den Rachen. Nur der Kapitän und seine Mannschaft, an die Gefahr gewöhnt, zeigen durch ihre Kaltblütigkeit, daß sie Den nicht fürchten, den sie mit Geschick und Muth schon so vielmal glücklich bekämpft haben und, vergleichsweise, sind der Unfälle bei solchen Veranlassungen doch nur wenige. Viel häufiger sind die, welche durch Ueberheizung der Kessel bei dem tollen Rennen rivalisirender Boote auf dem Mississippi entstehen und jedes Jahr einigen Tausend Menschen das Leben kosten.
Um sich von der Größe der Gestein- und Erdmassen, welche auf dem Mississippi aus dem Gebirge nach dem Mexikanischen Golf auswandern, einen Begriff zu machen, muß man wissen, wie sich, im Mittel vielfacher und fortdauernder Untersuchungen, ergab, daß durchschnittlich nicht weniger als 1/3000 der ganzen Wassermasse des Missisippi aus festen Bestandtheilen besteht. Die Menge des Wassers selbst aber, welche er in jeder Minute in den Mexikanischen Golf ausgießt, ist über 7000 Millionen Kubikfuß. In jeder Minute führt also der Strom eine Erd- und Steinmasse von mehr als 2 Millionen Kubikfuß in’s Meer, welche, wegen ihrer größeren Schwere, in einem Halbkreise von etwa 30 engl. Meilen von seiner Mündung, (so weit kann man den Einfluß des trüben Stromwassers aus der Färbung des Meeres unterscheiden) und vereint mit der Unmasse von Vegetabilien (Baumstämmen, Sträuchern und verfilztem Gras), als Sediment den Meergrund beständig erhöhen, bis ihn als Land das Sonnenlicht bescheint und belebt. – Das größte Gebäude der Erde, die Pyramide des Cheops, hält 25 Millionen Kubikfuß und war, berechnet auf 1000 Arbeiter, das Werk von mindestens 20 Jahren. Der Mississippi aber, der stündlich über 120 Millionen Kubikfuß Erde und Gestein in’s Meer führt, mauert jeden Tag so viel als 120 jener Pyramiden von dem Meergrund auf.
In dieser rastlosen Thätigkeit des Vaters der Ströme ist der Schlüssel zu der eigenthümlichen Bildung seines Thales gefunden. – Ungeheure Sümpfe (Swamps), mit grünem Fadenmoose überwachsen, oder mit haushohem Schilfe bestanden, in welchem Milliarden von Sumpfvögeln und Reptilien nisten, bedecken auf mehr als hundert Meilen von seiner Mündung halb Louisiana, und sie werden erst nach Jahrtausenden, wenn der Mississippi [6] die Landfeste seines Reichs hundert Meilen weiter in’s Meer vorgeschoben hat, verschwinden, wie sie weiter aufwärts, von der Arkansas-Mündung an, verschwunden sind. Dann werden diese pesthauchenden Niederungen, welche alljährlich mehrmals das Hochwasser auf Tage und Wochen in Seen verwandelt, und die jetzt die Geburtsstätte des gelben Fiebers und anderer Krankheiten sind, welche das Leben der Menschen verkürzen, fruchtbare Marschen werden, und erst dann wird New-Orleans, das mitten in jenen Morästen liegt und jedes Jahr seine Bevölkerung durch die Wechselfieber und Seuchen decimirt sieht, die Rolle einer Weltstadt spielen, welche ihre Einwohner nach Millionen zählt.
Doch Vieles kann und wird sich in der Zwischenzeit anders gestalten, als wir denken. Ist doch selbst die Existenz von New-Orleans durch die Möglichkeit in Frage gestellt, daß über kurz oder lang der alternde Strom die Kraft verlieren werde, seine ungebeure Aufgabe, den Mexikan. Golf auszufüllen, ohne Störung und Stockung fortzusetzen. Eine zu große Anhäufung der todten Massen an seinen Mündungen wird, so fürchtet man, seine Gewässer zurückstauen und Louisiana mit allem Lebendigen in den Fluthen begraben, bis der verstärkte Druck der Gewässer denselben neue Kanäle zum Meere öffnet. In der That nimmt die Verschlämmung der Mündungen im Mississippi-Delta täglich zu. Mehre haben sich bereits im Laufe des letzten Jahrhunderts geschlossen und die Kultur hat sich mit Hacke und Spaten vieler Stellen bemächtigt, auf welchen noch bei unserer Väter Gedenken die Piroque des Indianers sich schaukelte. Drohend rückt die Zeit heran, wo dies auch mit andern Ausflüssen der Fall seyn wird. Selbst der Hauptstrom hat, des Widerstandes seines Feindes, der Meerfluth, nicht mehr mächtig, seine Wassermasse schon in mehre Betten zertheilen müssen, um den Golf zu erreichen; er wühlt sich mühsam zwischen seinen eigenen Dämmen hinaus. Sollte sich auch einer dieser Kanäle verstopfen, so würden die Wasser zurücktreten müssen, – und sie zunächst New-Orleans verschlingen und alles Land, welches, dem Anbau gewonnen, jetzt 100fältige Ernten trägt. Dann beginnt der Kampf von Neuem zwischen den beiden Giganten, den azurnen Wogen des Golfs und den gelben Gewässern des Mississippi. Ueber die Entscheidung kann kein Zweifel seyn, und der Sieger in so vielen Jahrtausenden wird dann eine neue Aera beständiger Eroberung beginnen. Allein wer kann der Zerstörung Umfang berechnen, die vorausgeht? Wer kann den Zeitraum berechnen, in welchem diese Fehde ausgekämpft seyn wird zwischen den beiden Mächten? Wie lange werden sie brauchen die luftigen leichten Bundesgenossen des Stroms, um durch den Regen die Gebirgsmassen von der Erde zu waschen, welche zur völligen Ausfüllung des Golfs nöthig sind? Wann werden die Felsengebirge des Westens und der Alleghany des Ostens verschwinden vor den Fluthen des Himmels und auf dem Ohio, dem Missouri, dem Arkansas, dem Redriver und wie sie alle heißen die Zubringer des Mississippi, – ihre Emigration vollenden? Der Menschenverstand beugt sich vor der unfaßlichen Größe; er hört auf zu rechnen. – Unergründliche, [7] ewige Schöpfungskraft, wir sinken vor dir in den Staub und unser Kalkül endigt, wie die einfache Natur-Betrachtung des Kindes dieser Regionen – des rothen Menschen, – in stille Bewunderung und Anbetung!
Und so führt der warme Forschungseifer des gebildeten Menschen überall, wo er in das Geheimniß der Schöpfung zu dringen versucht mit den Waffen der Wissenschaft und des Verstandes, allezeit an eine Grenze, wo er nicht weiter kann und er so rathlos da steht, als der Wilde, den Pfeil und Speer und die Kraft und das Geschick seines Arms zum Herrn der Natur macht, die ihn umgibt. Wir können in der Geschichte der Schöpfung nicht weiter lesen, als uns ihre Blätter offen liegen; ihre meisten sind verklebt und bleiben uns ein Geheimniß. Können wir jedoch auch die Gesetze ihres Waltens nicht allwärts ergründen, und sind wir auch schlechte Rechenmeister vor so vielen Exempeln, deren Lösung sie uns aufgibt – so spendet sie doch ihren Forschern und Freunden unendlichen Genuß und lohnt Alle mütterlich, die ihr mit Liebe und offenem Blick entgegen kommen und nicht bloß phantastisch in die Leere schweifen. Viele ihrer Gesetze, die ihre Erscheinungen regeln, sind uns klar, und jedes Lustrum läßt entweder neue entdecken, oder durch neue Wahrheiten die alten bestätigen. Wie einfach sind diese Gesetze, und wie wenig zahlreich sind die leitenden und wirkenden Kräfte für die unendliche Mannichfaltigkeit der Erscheinungen in Gottes Schöpfung! Alles Harmonie und Schönheit; alles Folgerichtigkeit und Unwandelbarkeit, und doch gleichzeitig Ringen nach Licht und Freiheit. So ist’s im Kleinsten, wie im Größten, im Weltkörper, wie im winzigen Wassertropfen, im Flechtenmoose, das den verwitterten Stein kleidet, wie in der Kokospalme des Sonnenlandes. Wenn doch alle Menschen in die immer offenen Pforten der Natur eintreten möchten, dann würde keiner vergeblich nach dem Gott der Liebe suchen, den er in den kalten Tempeln mit den steinernen Altären nicht findet. Dort fände auch der Mensch sich selbst wieder, den Menschen, der verloren ging in dem Labyrinthe und in den Einöden der Gesellschaft.
Ja – in ihren Einöden! – „Es verfolgt“, – so schließe ich mit den Worten Alexanders von Humboldt diesen Aufsatz, – „den Wanderer über den weiten Erdkreis, über Meer und Land, wie den Geschichtsforscher durch alle Jahrhunderte, das einförmige, trostlose Bild des entzweiten Geschlechts. Darum versenkt, wer im ungeschlichteten Streit der Völker nach Ruhe strebt, gern den Blick in das stille Leben der Pflanzen und in der heiligen Naturkraft inneres Wirken; oder, hingegeben dem angestammten Triebe, der seit Jahrtausenden die Menschenbrust durchglüht, blickt er ahnungsvoll aufwärts zu den hohen Gestirnen, welche in ungestörtem Einklange die alte Bahn vollenden“.