Jakob Clement
An einem schönen Frühlingstage des Jahres 1719 fuhr eine vom königlichen Schlosse kommende offene Chaise die Lindenpromenade zu Berlin entlang. Bei der Friedrichsstraße angelangt, bog der Wagen in dieselbe ein, eilte bis zum Weidendamme und hielt hier plötzlich still. Außer dem Kutscher trug das Fuhrwerk zwei Männer in Militairuniform. Hintenauf standen zwei Pagen. Nur eine der beiden im Innern des Wagens sitzenden Personen stieg aus, unterredete sich eine kurze Zeit lang mit den Andern und schritt dann eilig den Weidendamm entlang, bis in die Nähe der Oranienburger Barrière. Einige Vorübergehende wichen dem finstern Herrn mit scheuer Miene, unter ehrfurchtsvollen Begrüßungen aus. Der Spaziergänger blieb endlich vor einem Gartenthore stehen, warf einen kurzen, prüfenden Blick auf die Umgebung des Hauses, zu welchem der Garten gehörte, rückte unwillkürlich den an seiner Hüfte befindlichen langen Infanteriedegen zurecht und trat dann festen Schrittes durch die Thüre, welche in das Innere einer ziemlich dicht bewachsenen Baumpflanzung führte.
Dieser Mann war König Friedrich Wilhelm I. von Preußen.
Die zurückgebliebenen Personen seines Gefolges, welche die ordre hatten bis zu seiner Rückkehr an der bezeichneten Stelle zu warten, vertrieben sich die Zeit auf verschiedene Weise. Die beiden Pagen belustigten sich, von dem damals noch sehr flachen Spreeufer aus sogenannte Butterbrode mit Steinen zu werfen. Der Kutscher dehnte sich auf dem Bocke halb schlafend; nur die Militairperson, welche neben dem Könige im Wagen gesessen hatte, stand in tiefem Nachdenken versunken, über das Brückengeländer gebeugt und stierte in das Wasser. Es war der Herr von Forcade, Generalmajor und Commandant von Berlin. Herr von Forcade war besorgt über das lange Ausbleiben seines Königs. Plötzlich, geheimnißvoll, hatte er den Befehl erhalten, den Herrscher zu begleiten. Keine Andeutung, zu welchem Zwecke die Ausfahrt nach einem Stadttheile unternommen wurde, der selten vom Könige besucht ward, war ihm zugegangen. Während der ganzen Fahrt hatte Friedrich Wilhelm von den gleichgültigsten Dingen wie absichtlich gesprochen und sich dann eilig entfernt, nur den Befehl hinterlassend: ihn hier, an dem Damme, zu erwarten. Forcade sah mit Besorgniß die Sonne immer tiefer hinter die letzten Häuser der Spandauer Vorstadt sinken; er machte eine kleine Promenade den Weidendamm hinauf und hinunter. Der König war nirgends zu erblicken. Welch Geheimniß verbarg der Monarch so sorgfältig? Schon wollte der Commandant, bei der zunehmenden Dunkelheit immer unruhiger werdend, Nachforschungen über den Verbleib des Königs anstellen, als er plötzlich den Herrscher hinter einem kleinen, durch Zaun- und Pfahlwerk gebildeten Vorsprunge hervorkommen und die Straße gewinnen sah. Bald war Friedrich Wilhelm bei den Seinigen angekommen. Ohne ein Wort zu sprechen, stieg er in den Wagen, der sogleich davon rollte. Forcade wagte es nur von der Seite den Monarchen anzublicken. Das frische, wirklich schöne Gesicht Friedrich Wilhelm’s war bleich und verstört, seine Augen traten starr aus den Höhlen, sein Anzug war augenscheinlich in Unordnung. Bald neigte sich der König vornüber, dann warf er sich wieder in die Kissen des Wagens. Von Zeit zu Zeit ließ er ein kurzes Stöhnen hören und trommelte mit den Fingern auf seinen Knieen herum. Forcade faßte sich endlich ein Herz, um zu fragen: „Ob Se. Majestät unwohl sei?“ Ein tiefer, wehmüthiger Seufzer war die ganze Antwort. Endlich hielt der Wagen vor dem Schlosse. Forcade und die Pagen wollten den König begleiten; er verhinderte es. Statt dessen trat er dicht an den Wagen und sprach in festem Tone, so laut, daß es der Kutscher hören mußte: „Wer von Euch ein Wort über den heutigen Abend und darüber, daß ich ausgestiegen bin – spricht – dem geht es an den Kragen. Merkt’s Euch. Gute Nacht.“ – Langsam schritt er zwischen den salutirenden Wachtposten hindurch in das Schloß. – Der König schloß sich sofort in sein Zimmer. Den ganzen folgenden Tag verweilte er allein darin. Er sprach Niemanden, selbst nicht die Königin. Gegen Abend fuhr er wieder die Linden entlang zu jenem Garten. – Hören wir nun, welche beunruhigenden Geheimnisse, und durch wen, dem Könige offenbart worden waren.
Wenige Wochen vor dem ersten Besuche des Gartens an der Oranienburger Barrière durch den Monarchen hatte der erste Hofprediger desselben, der Bischof der reformirten Kirchen in Ungarn und Polen, Jablonsky, von Dresden aus einen Brief erhalten, welchem ein Schreiben an König Friedrich Wilhelm beigelegt war. In dem Briefe an Jablonsky beschwor der sich „Clement“ unterzeichnende Schreiber den Bischof, inliegenden Brief sofort dem Könige in die Hände zu liefern; wenn er Anstand nehme, solches zu thun, so sei er für alles Unheil verantwortlich. Jablonsky übergab dem Minister von Marschall beide Schriftstücke, welcher sie sofort dem Könige aushändigte. Friedrich Wilhelm las das an ihn gerichtete Schreiben. Er ward sehr ernst. Indessen enthielt das Schreiben nur die Versicherung, „daß der Unterzeichnete dem Könige von Preußen Sachen von äußerster Wichtigkeit mitzutheilen habe, die er aber dem Monarchen durchaus selber eröffnen müsse. Er bitte demnach um die schriftliche Zusicherung, daß Niemand Etwas [441] von seinem Aufenthalte in Berlin erfahre, daß er nur allein mit dem Könige zu verkehren brauche, daß es ihm endlich freistehen solle, jeder Zeit wieder abreisen zu dürfen, so oft seine Geschäfte es erforderten.“ Des Königs Gemüth, ohnehin schon zum Mißtrauen geneigt, ward mächtig erregt durch den geheimnißvollen Schleier, welcher sich über das Ganze breitete. Er gab dem Bischof einen Paß für Clement und befahl ihm zugleich zu schreiben daß Clement in Berlin willkommen sein werde. Jablonsky solle ihm entgegenreisen und ihn die erste Nacht in seinem Hause behalten. Clement kam also in Berlin an. Am folgenden Tage fuhr Friedrich Wilhelm zu der bereits mitgetheilten Unterredung in dem Garten am Weidendamme. – Der Inhalt derselben wirkte bedeutend genug auf einen Herrscher, der zwar rauh und eisern wie seine Zeit war, der aber an Redlichkeit, Geradheit und bestem Willen, an unerschütterlicher Charakterfestigkeit seines Gleichen sucht.[1]
Als der König, wie oben erzählt, in den Garten trat, bemerkte er nicht weit vom Eingange den Bischof Jablonsky. Dieser empfing den Herrscher und führte ihn durch einige Nebenwege in eine Art van Bosket. Hier sah der König sich einem im reiferen Mannesalter stehenden, ganz schwarz gekleideten Individuum gegenüber, welches ihn zwar artig, aber keinesweges unterwürfig grüßte. Das nahm den König schon sogleich ein. Er haßte jede Kriecherei.
Auf seinen Wink mußte Jablonsky sich entfernen. Der schwarzgekleidete Mann trat nun einen Schritt vor und präsentirte sich als den aus Ungarn gebürtigen Jakob Clement, Agent des sächsischen Ministers Flemming.
„Zur Sache!“ begann der König, „was habt Ihr mir zu berichten?“
Das äußerst intelligente Gesicht Clements nahm einen ernsten Ausdruck an. Er sah sich noch einige Male vorsichtig um, dann trat er auf Friedrich Wilhelm zu, der die Arme über der Brust gekreuzt, mit zusammengekniffenen Lippen, das Haupt vorgestreckt, dastand, begierig etwas Ungeheuerliches zu erfahren.
„Sire,“ begann Clement. „Ohne alle Einleitung denn, kurz und bündig: Sie schweben in der äußersten Gefahr.“
Des Königs Hand umkammerte den Degengriff, seine Augen blitzten, er richtete sich hoch auf und rief kurz: „Oho!“
„Nicht hier, Sire,“ beschwichtigte Clement, „nicht mit dem Degen in der Hand, nicht in der Schlacht wird gegen Sie agitirt. Nein, leider ist der Kampf nicht offen, den würden Sie nicht scheuen. Es besteht ein Complot gegen Ew. Majestät. Ein Complot, geschmiedet von den Höfen zu Dresden und Wien.“
Der König stöhnte vor Zorn und Ueberraschung.
„Man will,“ fuhr Clement fort, „Ew. Majestät Jagdliebhaberei, oder eine Reise benutzen, um sich Ihrer hohen Person zu bemächtigen. Sie sollen dann gefangen gehalten, der Kronprinz aber in der katholischen Religion, unter Vormundschaft des Kaisers, erzogen und auf Ihren Thron gesetzt werden. Bevor ich Ew. Majestät die verschlungenen Fäden des teuflischen Complots bloßlege, muß ich bemerken, daß ich selbst beauftragt bin, nach dem Haag zu gehen, um in dieser traurigen Angelegenheit Unterhandlungen einzuleiten.“
Friedrich Wilhelm’s Antlitz war purpurrot geworden; er lief in dem Bosket hin und her und hieb einige Male mit seinen Sporen in die Erde.
„Weiter!“ rief er. „Ich will Alles wissen.“
„Leider, Sire,“ meldete Clement, „sind die vornehmsten Generäle, die ersten Minister bereits gewonnen. Es kommt nur noch darauf an, die Seemächte für den abscheulichen Plan zu interessiren. Dies der Zweck meiner Reise in den Haag.“
Ein leichtes Mißtrauen stieg bei dem Könige auf.
„Und was veranlaßt Sie, mir das Complot, dessen Werkzeug Sie doch auch sind, zu enthüllen?“
„Weil ich,“ erwiderte Clement schnell, „die traurigen Folgen voraussehe, welche ein solches Verbrechen nach sich ziehen würde. Dann aber,“ hier heftete er seine Blicke fest auf den König, „weil ich den heftigsten Widerwillen gegen die katholische Religion empfinde und durchaus Protestant werden will.“
Friedrich Wilhelm’s Antlitz ward freundlicher. Clement hatte eine schwache Stelle glücklich getroffen. Er begann auch sogleich unaufgefordert weiter zu sprechen. „Die Hauptsache, Sire, ist aber die strengste Bewahrung des Geheimnisses. Ich bitte Ew. Majestät sich auf mich allein zu verlassen. Sie haben sonst nur Feinde um sich. Ich aber werde nun nach Holland gehen, Ihnen von dort Nachricht geben und die ehrgeizigen Pläne des Kaisers hintertreiben. Ich beweise vorher aber Alles durch die eigenhändigen in meinem Besitze befindlichen Briefe des Ministers von Flemming, Ihrer sämmtlichen Herren Minister und des Prinzen Eugen.“
„Der Prinz Eugen?“ schrie der König, „der auch? Pfui Teufel! Pfui Teufel! Von dem braven Kerl hätt’ ich das nicht gedacht. Ein Soldat und – Pfui Teufel“
Während der letzten Rede holte Clement verschiedene Briefe aus einem Portefeuille hervor und zeigte sie dem Könige. Da indessen die Dunkelheit einzutreten begann, so verzichtete der Monarch darauf sie anzusehen und verschob dies auf den folgenden Abend. Clement entwickelte nun noch sorgfältiger das ganze Gespinnst des Verrathes, und endlich schied der König von ihm mit Dankesworten, versprach Geheimhaltung und bestellte den Ungar zum nächsten Tage um dieselbe Stunde in den Garten.
Clement’s ganzes Wesen hatte auf den König den Eindruck der Treuherzigkeit und der Wahrheit gemacht. Auch konnte Friedrich Wilhelm sich nicht erklären, welche Gründe den fremden Mann, der weder ein Geschenk beansprucht, noch irgend eine Gnade verlangt hatte, bewegen sollten, sich zum Entdecker des furchtbaren Planes mit jedenfalls persönlicher Gefahr herzugeben, wenn dies nicht wirklich aus Liebe zum Könige geschehe. – Außerdem aber waren genug Ursachen vorhanden, welche Friedrich Wilhelm leicht an ein vom Wiener Hofe ausgehendes Complot glauben ließen. Bevor wir in unserer Erzählung weiter gehen, sei es erlaubt, einen Augenblick abzuschweifen, um die Stellung zu betrachten, welche der König von Preußen den beiden Höfen Dresden und Wien gegenüber einnahm. – Oesterreich hatte der Krone Preußen die Erwerbung Gelderns, ihr schon von Leopold I. zugesprochen, sehr erschwert. Obgleich Friedrich Wilhelm, getreu seiner Verpflichtung, sein Contingent zum Heere des Kaisers stoßen ließ, widersetzte sich der Hof zu Wien den Ansprüchen Preußens auf Limburg. In den Jülich’schen Angelegenheiten arbeitete das Cabinet Kaiser Karl’s ganz offen gegen den König. Jede Vereitelung seiner Pläne ward versucht. Die Protestanten wurden im katholischen Deutschland überall eingeschränkt. Besonders that sich hierin der Kurfürst Karl Philipp von der Pfalz hervor. Er verwandelte alle Kirchen der reformirten Gemeinden, sobald nur einige Katholiken in demselben Orte wohnten, in Simultankirchen.[2] Diese Dinge arteten zuletzt in förmliche Nachstellungen aus, und auf die Vorstellungen Friedrich Wilelm’s gab man nichts. Der König ergriff daher sehr energisch Repressalien. Er ließ verschiedene Klöster einziehen, den Dom zu Minden schließen u. s. w. Hannover und Hessen-Cassel folgten seinem Beispiele. Ein donnernder Brief des Kaisers, der mit allem Möglichem drohte, blieb ohne Wirkung auf den König, und es erfolgte nur die kurze Antwort: daß Preußen den Kaiser nicht eher als Richter anerkennen werde, bis derselbe auch über die Protestanten als gerechter Richter entscheide und sie vor Gewaltthat schütze. – Der Kaiser gab nach. – Ein genaues Eingehen auf die verschiedenen Intriguen würde zu weit führen. Nur mag es durch das Gesagte begreiflicher werden, daß der König sich für gefährdet durch Oesterreich und das ihm verbündete Sachsen hielt. Auch erklärt sich hieraus seine Antipathie gegen die katholische Religion. Was seine Minister betraf, so hatte er unter der Regierung seines Vaters Beobachtungen angestellt, welche ihm die Menschen nicht im allzugünstigen Lichte erscheinen ließen. – Kehren wir zu unsrer Geschichte zurück.
Am nächsten Abend trafen sich die drei Mitwisser des Geheimnisses wieder in dem Garten. Clement theilte dem Könige noch weitere Neuigkeiten mit. Endlich zeigte er ihm die Briefe Flemming’s, seiner Minister und des Prinzen Eugen.
Hastig ergriff der gefolterte Monarch die Papiere. Die Augen bohrten sich in die Schriftzüge. – Ja, er kannte sie. Das waren die eigenhändigen Briefe, die Siegel – er hatte sie in den Händen, die Beweise einer beispiellosen Verrätherei. Seine Zähne knirschten, als er las und den ganzen Plan herauslas, der einen Fürsten verderben sollte, dem die meisten der Anstifter zu Dank verpflichtet waren. „Hundeseelen!“ murmelte der König. „Von dem Lumpenpack habe ich freilich nicht viel erwartet.“ Seine Faust ballte sich. Plötzlich aber ließ er das Papier sinken. Sein Haupt [442] neigte sich gegen die Brust. Der Zorn wich. Eine Thräne stahl sich ganz heimlich und unwillkürlich in das trotzige, blaue Auge des Königs. Er hatte unter den Verschwörern einen Namen gefunden, dessen Lesung den Zorn verscheuchte, aber die Wehmuth in sein rauhes Soldatenherz trieb; den Namen seines alten Freundes, seines treuen Kriegsgefährten. Ja – auch er war mit im Complote: „Leopold von Anhalt-Dessau.“ Von nun an galt Clement dem Könige als Schutzengel. Er erhielt die glänzendsten Anträge, wies aber Alles zurück. „Was mir Eure Majestät auch bieten können,“ sagte er, „es würde nur ein unbedeutendes Geschenk gegen das Glück sein, welches dadurch über mich gekommen ist, daß ich Sie von großer Gefahr errettet habe.“
Er bat auf’s Inständigste, ihn nach dem Haag reisen zu lassen, wogegen der König protestirte, der seinen Freund gern in der Nähe behalten wollte. Clement machte aber geltend, daß er im Haag besser für des Königs Interesse arbeiten könne, auch würden die Höfe von Dresden und Wien Verdacht schöpfen, wenn er sich nicht auf den bestimmten Posten begebe. – So willigte der König endlich ein. Vor der Abreise hatte er noch einige Unterredungen mit Clement. In diesen zeigte der Ungar eine so genaue Kenntniß der inneren Verhältnisse des preußischen Staates, seine Ansichten über Finanzen, Ackerbau, Militär etc. waren so treffend, daß der König ihn für ein Genie halten mußte. Vollständig gefangen ward der Monarch durch die Uneigennützigkeit Clement’s. Ein Geschenk von zwölftausend Thalern, welches ihm geboten wurde, schlug der Agent hartnäckig aus, „da er noch Nichts gethan habe, um dasselbe zu verdienen.“ Er bat nur um Wiedererstattung der Kosten, welche ihm etwa durch die Bestechungen der Creaturen des Wiener Cabinets im Haag erwachsen möchten. Um endlich den König ganz für sich einzunehmen, schwur er vor Jablonsky die katholische Religion ab und ward reformirt. Dann reiste er nach Holland. Friedrich Wilhelm hatte aber nicht eher geruht, bis Clement die zwölftausend Thaler angenommen hatte.
Welche Beweggründe veranlaßten den Ungar Clement nun überhaupt eine solche Intrigue zu spielen? Er hatte schon in früheren Jahren die verwerflichsten Dienste als Spion, Fälscher und Ankläger geleistet. Unter dem Namen eines Barons v. Rosenau war er als Agent des Fürsten Rakoczy beim Utrechter Friedensabschlusse thätig. Er hatte diesem kühnen, unglücklichen Usurpator als Secretär gedient, begleitete ihn auf der Flucht nach Frankreich und der Türkei, stahl ihm aber in Constantinopel seine wichtigsten Papiere, entkam mit diesen nach Wien und lieferte sie dem Prinzen Eugen aus. Eugen zahlte gut; wie es den Verräthern aber gewöhnlich geht – so auch Clement – er ward verachtet, und von der Stellung, die er zu erreichen geträumt hatte, war keine Rede mehr. Wuth im Herzen verließ er Wien und ging nach Dresden, wo er sich durch verschiedene wichtige Spionagen dem Herrn von Flemming dienstbar zeigte. Er sollte angestellt werden, allein die vagabundirende Angeberei gefiel ihm besser. Er reiste umher, lediglich in der Absicht zu spioniren, und nahm dann und wann ein Sündengeld an, welches ihm nach geliefertem Rapporte hingeworfen ward. Daß ein solcher Mensch übrigens mit Talenten begabt sein mußte, versteht sich von selbst. Außer seinen geistigen Fähigkeiten besaß Clement auch viele technische.
Dahin gehörte besonders die unheilvolle Gabe, Handschriften jeder Art auf’s Täuschendste nachahmen zu können. Kurze Zeit genügte für den gewandten Betrüger, um sich die Gewißheit zu verschaffen, daß die Höfe von Wien und Dresden in keinem besonderen Vernehmen mit dem Berliner Hofe standen. Sofort baute er sich einen Plan zusammen. Er wollte durch Erregung von Zwistigkeiten sein Glück machen, zugleich aber auch sich an dem Wiener Hofe rächen und dem Dresdner einen Beweis geben, wie wichtig seine Person durch die Verhältnisse werden könnte. – Seinen Aufenthalt in Berlin hatte Clement benützt, um sich Verbündete zu schaffen. Dies war ihm schnell gelungen. Er fand drei Subjecte, welche nicht vortheilhafter für seine Zwecke gedacht werden konnten. Der erste war der Baron und Finanzrath von Heidekam. Heidekam’s Vater war anfänglich Kammerdiener unter Friedrich I. gewesen und hatte es, später in das Finanzfach übergegangen, zu großen Reichthümern gebracht. Diese Schätze brachten den Sohn mit den Gesandtschaftsposten in Berührung, wodurch er sich gänzlich ruinirte. 1714 war er in größter Dürftigkeit. Durch den Heren von Ilgen erhielt der junge Heidekam eine Stelle zu Stralsund bei dem Könige von Schweden, welche fast dieselbe wie die durch Clement in Dresden verwaltete, d. h. die eines Spions war.
Nach seiner Rückkehr von Stralsund hatte Heidekam dasselbe Loos wie Clement. Niemand kümmerte sich um ihn. Die Freunde, welche während seines Wohlstandes mit ihm geschwelgt, kannten ihn nicht mehr. Dies Alles bewog ihn, mit Clement, zu dem er überhaupt gut paßte, sich zu vereinigen. Er gab demselben genaue Notizen über alle dem König Friedrich Wilhelm nahestehenden Personen, brachte auch eine Menge Briefe der Minister zum Vorschein, welche von Clement dazu verwendet wurden, die Handschriften der höchsten Staatsbeamten nachzumachen und dann in ihrem Namen Briefe zusammenzustellen, durch die sie als Mitglieder der Verschwörung gegen ihren Monarchen erscheinen mußten.
Der zweite Helfershelfer war der geheime Kriegssecretär Bube, er setzte Clement von Zuständen des Kriegswesens in Kenntniß. Der dritte im schönen Bunde endlich war ein gewisser Lehmann. Er galt in Berlin für einen Residenten des Herzogs von Sachsen-Weimar und hatte bedeutende Verbindungen mit den Domainen-Beamten, wodurch es ihm leicht ward, den Clement von der Finanzlage zu unterrichten. Hieraus erklärt sich die dem Könige so wundersam erscheinende Kenntniß der preußischen Verhältnisse, welche Clement bei den Unterredungen an den Tag legte. Man wird zugeben, daß die Täuschung sehr begreiflich war. Seine Hülfsarmee im Rücken war Clement also, das königliche Geschenk in der Tasche, nach dem Haag abgereist.
Sobald Clement Berlin verlassen hatte, verfinsterte sich die Laune des Königs vollständig. Durch die Räume seines Schlosses schritt er mit unheimlicher Hast. Seine Blicke waren unstät. Er mied selbst die Mitglieder seiner Familie, da er auch in ihnen nur Feinde sah. Man bemerkte, daß er sogar die militärischen Angelegenheiten nicht mit gewohnter Pünktlichkeit betrieb. Auf Leute seiner Umgebung, welche leise mit einander sprachen, trat er sofort schnell zu und fragte barsch: „Was sie mit einander zu tuscheln hätten?“ Der giftige Same des Argwohns, den Clement ausgestreut, wucherte so mächtig, daß der König sein Leben stets bedroht glaubte; er schlief daher nicht anders, als mit zwei unter seinem Kopfkissen befindlichen scharfgeladenen Pistolen. In der Folge sprach er fast gar nicht mehr und verfiel in eine Melancholie, die in der That seine ganze Umgebung, namentlich aber den „alten Dessauer“ tief rührte und nachdenklich machte.
Es war ein heißer Tag des Dienstes gewesen. Von der Parade kommend, schritt der Fürst Leopold von Anhalt-Dessau durch einen langen Corridor des königlichen Schlosses zu den Gemächern des Monarchen, woselbst noch eine Besprechung der höheren Officiere stattfinden sollte. Kaum war er in den Gang getreten, so gewahrte er am andern Ende desselben den König, der gerade auf ihn zukam. Friedrich Wilhelm bemerkte den Fürsten nicht. Er hatte den Kopf gesenkt, seine Blicke suchten den Boden, seine Arme hielt er auf dem Rücken. In diesem Corridor ging der Herrscher seit mehreren Wochen jeden Tag eine Stunde lang spazieren. Er mied die freie Gegend, welche Feinden zum Verstecke dienen konnte. Sobald die Schritte des Fürsten dem Könige hörbar wurden, hob er schnell das Haupt empor, blickte Leopold finster an, wandte sich mit unwilliger Gebehrde und schritt auf seine Zimmer zu.
Der Fürst faßte einen raschen Entschluß. Er eilte hinter dem Könige her, es mußte endlich klar werden zwischen Beiden, die Gelegenheit war günstig. – Wenige Schritte hatten die Freunde gethan, als sich der König plötzlich umdrehte; seine Augen funkelten, im Nu sprang er zur Seite, lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand des Corridors, und im nämlichen Augenblicke blitzte auch schon der blanke Degen in seiner Rechten, während er selbst eine Fechterposition annahm. „Was haben Sie im Sinne?“ rief er, „was wollen Sie mir anthun?“ Der[3] Fürst, höchst betroffen von diesem unerwarteten Auftritte, sammelte sich jedoch sogleich. Ebenso schnell, als der König seinen Degen aus der Scheide gezogen hatte, nahm der Dessauer den seinigen aus dem Gehenke. Er warf ihn wohl zehn Schritte weit von sich, daß der Corridor dröhnte, und trat nun unbewaffnet dem König gegenüber. „Hier stehe ich, Majestät,“ rief der Fürst seine Weste aufreißend, „stoßen Sie mich nieder, aber halten Sie mich nicht für fähig, Ihnen nach dem Leben zu trachten. Lieber Herr, reden Sie offen. Welch’ ein Kummer drückt Sie? Wir sehen es Alle mit Wehmuth, und besonders ich, der ich mir Nichts vorzuwerfen habe. Das ist so wahr, daß ich meine Reichsfürstenwürde niederlegen und von Ihnen wie der [443] niedrigste Unterthan gerichtet sein will. Habe ich Etwas gegen Sie verbrochen, so mag mein Kopf dafür haften. Er gehört Ihnen, machen Sie damit, was Sie wollen.“
Die schlichte, aber eindringliche Sprache machte sichtbaren Effect auf den König. Die alte Freundschaft erwachte trotz allen Mißtrauens dennoch wieder. Er stieß den Degen in die Scheide. „Nehmen Sie Ihren Degen wieder auf, Leopold,“ sprach er mit bewegter Stimme.
„Nicht eher,“ entgegnete der Fürst. „bis ich weiß, was Sie mir vorzuwerfen haben.“
Der König trat vor den Fürsten, legte beide Hände auf dessen Schultern und sah ihm fest in’s Gesicht. „Darf ich Ihnen noch trauen?“ sprach er.
„Ja, Sire, Sie können es,“ rief der Fürst und fiel ihm zu Füßen. „Ich habe mich Ihren Diensten geweiht, und ich habe gezeigt, daß ich bluten kann für Sie.“
„Nun dann,“ versetzte der König, „hören Sie, ob ich Unrecht that, Ihnen zu mißtrauen.“
Er erzählte ihm nun die ganzen Verhandlungen mit Clement; Leopold von Dessau gerieth in eine Art von Wuth, welche ihn erstarren machte.
„Ich habe,“ schloß der König, „die Briefe vom Prinzen Eugen selbst gelesen, die Sie als Theilhaber der gegen mich angesponnenen Verschwörung bezeichnen. Was haben Sie einem solchen Beweise entgegen zu halten?“
„Nichts,“ fuhr der Dessauer in seiner bekannten derben Manier heraus, „als daß dieser Clement der verfluchteste Schw…d und Betrüger ist, der jemals existirt hat. Der Prinz Eugen kann mich eines solchen Verbrechens nicht beschuldigt haben, und ich selbst bin überzeugt, daß er einer solchen Hundsfötterei ebenso wenig fähig ist.“
Der König wurde stutzig. Noch war das Mißtrauen nicht ganz geschwunden. Der Fürst Leopold erbot sich nun freiwillig in’s Gefängniß zu gehen, bis man ihn mit Clement confrontiren könne. Das wirkte. Der König verabredete mit dem Dessauer, welche Mittel zu ergreifen seien, um Clement wieder nach Berlin zu bekommen. Jablonsky, der unschuldige Vermittler des ganzen Handels, wurde ausersehen, den Betrüger zu fangen. Man sendete ihn nach dem Haag. In seiner Begleitung befand sich ein Officier Namens Dumoulin, einer jener verwegenen Männer, die der Gefahr oder dem Scandal mit Gesang entgegengehen. Im Haag angelangt, fand man Clement sehr wohlauf. Jablonsky theilte ihm mit, daß er nach Holland gereist sei, um ein gewisses Werk drucken zu lassen. Der König habe ihm den Auftrag gegeben, Clement seiner Gnade zu versichern, zugleich aber auch den Wunsch ausgesprochen, der Agent möge sobald als möglich nach Berlin kommen, da der Monarch verschiedene sehr wichtige Dinge mit ihm besprechen müsse. Dasselbe bestätigte Dumoulin, der einige Tage nach Jablonsky im Haag eintraf und Clement einen Brief vom Könige überreichte, in welchem Friedrich Wilhelm sich erbot, nach Cleve zu reisen, wenn Clement nicht nach Berlin kommen wolle. Clement hatte die unerhörte Dreistigkeit, mit beiden Emissären nach Berlin zu reisen.
Neues Schwanken des Königs. – Er ward sogleich wieder für Clement eingenommen; wie hätte ein Betrüger es wagen können, sich einzustellen? Diese Frage lag in der That sehr nahe. In dem Cabinete des Königs fand die Unterredung statt, welcher der Dessauer, hinter einem Vorhange versteckt, beiwohnte. Der König behauptete, daß, da bis jetzt Nichts gegen ihn unternommen worden sei, er dem Wiener Hofe unmöglich die Absicht zutrauen könne. Clement berief sich auf die Briefe Eugen’s und Sinzendorf’s. Der König verlangte die Briefe noch einmal zu sehen. „Ich habe sie nicht bei mir, Majestät,“ entgegnete Clement, „aber sie sind im Haag in den Händen eines Freundes, der sie nur mir ausliefern darf. Befehlen Majestät sie zu sehen, so reise ich sofort zurück, sie zu holen.“
Unbegreiflich! – Man ließ Clement wieder nach dem Haag reisen. Zwar gab man ihm Dumoulin als Aufseher mit, der Officier hatte jedoch vom Könige den seltsamen Befehl erhalten, Alles zu thun, was Clement ihm heißen werde, der in Staatsangelegenheiten beschäftigt sei. Uebrigens aber solle Dumoulin ihn um jeden Preis wieder nach Berlin bringen. Beide Männer kamen im Haag an und logirten in einem Hause. Gleich am ersten Tage eröffnete Clement seinem Begleiter, daß die Agenten des kaiserlichen Hofes in der Nähe seien, Dumoulin müsse sich vor ihnen verstecken. Er schloß – seinen Wächter drei Tage lang ein! – Jetzt hätte er davongehen können, allein – soll man Frechheit oder Siegesgewißheit annehmen? – Clement blieb. Endlich reisten Beide wieder nach Berlin zurück. In Cleve angelangt merkte Clement, daß die Sache nicht geheuer sei, und wollte, unter dem Verwande Papiere vergessen zu haben, wieder umkehren, nun aber trat der Reisegefährte mit geladenen Pistolen auf. Es war zu spät.
Bei der Ankunft in Berlin führte Dumoulin seinen Pflegebefohlenen zum Staatsminister von Marschall. Man begegnete Clement mit großer Höflichkeit, und der Minister lud ihn zu Tische. Als Dessert aber zeigte er ihm den Verhaftsbefehl. Clement protestirte umsonst. Er ward noch denselben Nachmittag in die Hausvogtei abgeführt. Um Mitternacht öffneten sich die Thüren seines Gefängnisses. Er sollte das erste Verhör bestehen. Als er in das Verhörzimmer trat, befand er sich dem Könige gegenüber. Die richterlichen Functionen leitete der Generalauditeur Herr von Katsch. Clement antwortete mit großer Geistesgegenwart, wurde aber noch in derselben Nacht auf die Citadelle von Spandau geführt. Folgenden Tages begann das zweite Verhör, wieder in Beisein des Königs. Clement blieb fest bei seinen Aussagen. Er bestand darauf, Alles beweisen zu können, und berief sich auf die ihm von Wien und Dresden aus geschriebenen Briefe. Die staunenswerte Sicherheit, mit welcher er seine Vertheidigung führte, brachte den König fast dahin, den Proceß niederzuschlagen. Katsch, der ganz auf Seiten des Fürsten von Dessau stand, rief über den Tisch hinweg: „Keine Uebereilung, Majestät! noch ein oder zwei Verhöre und eine Portion Folter, dann sollen Sie bald wissen, woran Sie sind.“
Am dritten Tage, mitten im Verhöre, that sich plötzlich die Thüre auf. Der Henker, gefolgt von seinen Knechten, trat ein. Alle trugen die zur Folter gehörigen Geräthschaften. Beim Anblicke dieser entsetzlichen Maschinen schwand die Keckheit Clements. Er warf sich dem Könige zu Füßen und gestand seine Betrügereien ein. Er bekannte, daß die Höfe von Dresden und Wien niemals einen Plan zur Gefangennehmung des Königs gehegt hätten, daß ferner alle Schriftstücke gefälscht seien.
Es trat nun eine merkwürdige Veränderung in der Stimmung Friedrich Wilhelm’s ein. Der König hielt nämlich Clement’s Geständniß insofern nicht für aufrichtig, als er wirklich an das Bestehen einer Verschwörung gegen sich glaubte. Er behauptete, Clement leugne jetzt im Interesse der feindlich gesinnten Höfe, um diese frei zu sprechen. Erst als der Generallieutenant von Borck nach Wien und Dresden gesendet worden war und die feierlichen Proteste der Cabinete, der Minister und des Prinzen Eugen gegen den ihnen aufgebürdeten Verdacht zurückbrachte, beruhigte sich der König. Der Prinz Eugen hatte die Nachahmung seiner Handschrift so täuschend gefunden, daß er bekannte, er würde selbst seine eigenen Schriftzüge nicht zu unterscheiden vermocht haben, doch kränke es ihn, daß man in Berlin habe glauben können, er werde seinem ehrlichen Namen einen solchen Schandfleck anhängen. – Um den König von der heillosen Fertigkeit des Betrügers zu überführen, mußte Clement vor dem Monarchen dessen Handschrift nachahmen. Friedrich Wilhelm’s Schriftzüge und die gefälschten ließen sich nicht von einander unterscheiden, so trefflich verstand Clement sein Handwerk.
Es blieb nun noch übrig, die Mitschuldigen kennen zu lernen. Clement gab zunächst Heidekam, Lehmann und Bube an. Alle drei wurden nach Spandau transportirt. Das eine der drei Schlachtopfer entzog sich dem Arme der Justiz. Es war der Secretair Bube, der sich im Gefängnisse vergiftete. Die beiden anderen Verbrecher zogen in ihr Geschick eine Menge Privatpersonen hinein, und die Gefängnisse Spandau’s waren mit Inhaftirten gefüllt. Einige dieser Processe bilden wieder ganz pikante, für sich bestehende Episoden, ihre Darlegung würde jedoch den Raum dieser Blätter zu bedeutend in Anspruch nehmen. Die Verhandlungen dehnten sich so in die Länge, daß erst im folgenden Jahre die Entscheidung gefällt werden konnte. – Sie war blutig, furchtbar und den Rechtsbegriffen jener Zeit angemessen.
Am 18. April 1720 hatten die Berliner das grauenvolle Schauspiel eines Executionszuges innerhalb ihrer Stadtmauern. Von der Hausvogtei wurden die drei Sünder nach dem neuen Markte, dem Richtplatze, gebracht. Die Procedur begann um acht Uhr Morgens. Clement war der Erste im Zuge, dann folgte Lehmann. Den Exbaron Heidekam trugen zwei Gerichtsdiener auf einem Stuhle, da er zu schwach war, um gehen zu können. Auf [444] dem neuen Markte war ein Schaffot errichtet, welches die Drei bestiegen. Der Richter las Jedem sein Urtheil insbesondere vor. Heidekam ward zuerst gerichtet. Sein Urtheil lautete auf ewige Gefängnisstrafe, Verlust seines Adels und sonstiger Rechte. Demzufolge riß der Henker ihm den Degen ab und zerbrach denselben, dessen Stücke er dem Delinquenten vor die Füße warf. Dasselbe geschah mit dem Wappenschilde. Heidekam erhielt vom Henker zwei Ohrfeigen und ward dann mit Fußtritten die Treppe des Blutgerüstes hinabgestoßen. Unten erwartete ihn ein Wagen, der ihn nach Spandau führte. Dort lebte er noch zwei Jahre nach der Schändung, mit seinem erbärmlichen Schicksale ganz zufrieden.
Nach Heidekam’s Aburtheilung wurden Clement und Lehmann mit glühenden Zangen gerissen. Hierauf bewegte sich der Zug wieder durch die Stadt bis zum Hochgerichte vor dem Spandauer Thore. Lehmann ward hier enthauptet und sein Körper geviertheilt. Obgleich Clement der Anstifter der ganzen Scheußlichkeiten war, fiel sein Urtheil dennoch verhältnißmäßig gelinde aus. Er ward nur gehenkt, sein Körper noch an demselben Tage herabgenommen und anständig begraben. – Vielfach ist die Schuld Clement’s angezweifelt worden, allein es läßt sich auch nicht der geringste Beweis beibringen, daß wirklich gegen den König ein hochverrätherisches Unternehmen beabsichtigt worden sei.
Gewiß ist jedoch, daß Friedrich Wilhelm selbst bis zum letzten Augenblicke nicht vollkommen davon überzeugt war, Clement sei ein Betrüger. Er sprach es später offen aus, daß er ihm das Leben geschenkt haben würde, wenn er dem Andringen der beleidigten Höfe, die den Tod des Betrügers verlangten, hätte widerstehen können. Dieses Andringen mag wohl auch der Grund gewesen sein, Clement für ein Opfer der Cabinete zu halten, die sich des unhequemen Spions entledigen wollten, der jedenfalls nur den verdienten Lohn empfing für so manches Elend und Herzeleid, welches sein verruchtes Handwerk über viele Unglückliche gebracht hatte, die wohl noch in der Nacht ihrer Kerker seufzten, als der Betrüger unter dem Stricke des Henkers endete.
Daß der König gegen seine Beamten besonders streng verfuhr, ist erklärlich, und er schenkte dem Heidekam das Leben nur deshalb, weil, wie er sich ausdrückte, für diesen der Tod eine zu gelinde Strafe gewesen wäre. Wie oben bereits angeführt, täuschte sich Friedrich Wilhelm darin aber gänzlich. Heidekam war ganz zufrieden, mit dem Leben davongekommen zu sein. Clement’s Tod machte übrigens allen ferneren Untersuchungen ein Ende. Sämmtliche inhaftirte Personen wurden sofort in Freiheit gesetzt, und bald war die traurige Begebenheit in der Nacht der Vergessenheit begraben.
- ↑ Die Geschichte hat noch viel an Friedrich Wilhelm I. gut zu machen. Noch bis heute besitzen wir keine parteilose, genaue Schilderung dieses bedeutenden Mannes. Seine Schwächen werden fast immer hervorgehoben. Sie taugen trefflich für historische Zerrbilder. – Was er in der That seinem Lande war, bleibt unerwähnt.
- ↑ Kirchen zum gemeinschaftlichen Gebrauch zweier Confessionen.
- ↑ WS: Fehlendes D ergänzt.