John Wilkes

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Die Zeiten. Zwei Blätter – Zweites Blatt W. Hogarth’s Zeichnungen, nach den Originalen in Stahl gestochen/Zweite Abtheilung (1840) von Franz Kottenkamp
John Wilkes
Der Klopffechter Churchill
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John Wilkes.
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JOHN WILKES ESQR.

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John Wilkes.
(John Wilkes.)




Wie erwähnt, hatte John Wilkes bei Hogarth angefragt, bevor das erfte Blatt der „Zeiten“ herausgegeben wurde, ob er und seine Freunde auf demselben verspottet wären. Hogarth hatte dies abgeläugnet, allein hinsichtlich Pitt’s und Lord Temple’s eingestanden. Wilkes brach alles freundschaftliche Verhältniß mit dem Künstler ab, und schrieb in der sechzehnten Nummer seines berüchtigten North Briton einen Artikel gegen denselben, worin nicht allein das herausgegebene Blatt Hogarth’s bitter kritisirt war, sondern worin sich auch eine Menge Ausfälle gegen seine Person, und Bemerkungen über die Sigismunda befanden, worüber sich Hogarth um so mehr ärgern mußte, da zugleich seine Frau als Modell zu jenem Bilde verspottet war. Am meisten aber fand sich der Künstler durch den Beifall gekränkt, welcher unter den damaligen Verhältnissen des berühmten Demagogen jenem Artikel zu Theil wurde, sowie durch die Beweise der Abneigung, welche das [882] Publikum ihm täglich gab. Er rächte sich an Wilkes durch dieses Porträt, welches den Charakter dieses Mannes, wie er geschichtlich überliefert ist, vollkommen darstellt; man erkennt sogleich den ausgelebten Wüstling ohne alle Grundsätze, welcher die Volksgunst, die er durch Umstände und Keckheit gewann, ausschließlich als Handelsspekulation benutzte, durch die er sich ein gutes Einkommen sicherte. Man erkennt auch neben dem Heuchler im Patriotismus den kecken Spötter, der bei keiner Gelegenheit um derben und treffenden Witz verlegen war. Kurzum, die Figur könnte für einen Mephistopheles gelten; auch hat Hogarth den vorderen Theil der Perrücke so gesetzt, daß die Erhöhungen einige Aehnlichkeit mit Teufelshörnern haben. Hogarth hat die Figur porträtirt, als Wilkes während des Processes, der ihn zum Helden der Freiheit machte, vom Tower vor den Gerichtshof der Common pleas gebracht und dort freigesprochen wurde. Man sollte das Bild für eine Carrikatur halten; dies ist aber nicht der Fall, denn alle Zeitgenossen erkannten sogleich die vollkommenste Aehnlichkeit. Wilkes besaß auch genügendes Bewußtsein über den schlimmen Eindruck, den seine Figur machen mußte. Die Corporation der City, welche sich zu der entschiedensten Opposition hielt, hatte ihn ersucht, dem berühmten Maler Sir Joshua Reynolds zu sitzen, weil sie sein Porträt im großen Saale von Guildhall aufhängen wolle. Wilkes hatte aber diese Ehre unter allerlei Vorwänden abgelehnt, und zwar kurz vorher, als Hogarth ihn auf die genannte Weise beim größeren Publikum und bei der Nachwelt einführte. Das Blatt erschien während der Aufregung, die Wilkes’ Proceß bewirkte, und hatte deßhalb einen solchen Erfolg, daß mehrere tausend Abdrücke in der ersten Woche abgesetzt wurden. Ein englischer Erklärer braucht über Wilkes’ Charakter, Stellung und Wirksamkeit, sowie über die Umstände nichts Näheres zu berichten. Jene, für die innere Entwickelung bedeutsame Zeit der englischen Regierungsperiode Georg’s III. mit allen Verhältnissen der Krone und der Parteien, sowie Wilkes’ Persönlichkeit, den man mit Recht einen Krämer in Popularität (dealer in popularity) gegenwärtig nennt, sind den Briten zur Genüge bekannt. In Deutschland dagegen sind die Zeiten Georg’s III. und sogar diejenigen Georg’s IV. bei der Mehrzahl vergessen; nur [883] wenige sind jetzt noch vorhanden, welche mit der inneren Geschichte Großbritanniens in jener Periode vertraut sind. Somit scheint hier eine Schilderung der Persönlichkeit von Wilkes zur Verständniß des Blattes von Hogarth eben so nothwendig, wie die Darstellung der Verhältnisse, welche die zwei Blätter der „Zeiten“ veranlaßten.

Der persönliche Charakter von Wilkes war nicht von der Art, daß eine bleibende Achtung einem Manne wie ihm hätte zu Theil werden können, obgleich er allerdings unter den Zeitgenossen eine wichtige Stellung einnahm. Es fehlte ihm sowohl an Consequenz in politischen Grundsätzen, wie an Moralität im öffentlichen und Privatleben. Er hatte eine gute Erziehung erhalten, war ohne Vermögen und gerieth oft während seiner Jugend in die Gesellschaft von Spielern und Verschwendern. Um sich emporzuhelfen heirathete er eine reiche Frau, die noch ein Mal so alt war, als er selbst, führte das Leben eines Wüstlings, verschwendete Jener Vermögen und suchte derselben sogar eine kleine Leibrente durch einen Proceß zu entziehen. Als ruinirter Wüstling versuchte er den Weg, welcher bei der damaligen Zusammensetzung des Parlamentes bis zur Reform gewöhnlich war; er bemühte sich in das Unterhaus zu kommen, um durch den Verkauf seiner Stimme und durch geschickte Benutzung derselben bei Parteikämpfen ein Amt von der Regierung zu bekommen. Dies gelang ihm in so weit, daß er sich für Aylesbury wählen lassen konnte. Pitt’s Schwager und College, Lord Temple, nahm sich seiner an, wahrscheinlich, weil er, neben Wilkes’ Stimme, dessen Fertigkeit in der Feder in der damals schon höchst wichtigen Zeitungspresse benutzen zu können glaubte; in anderer Art konnte Wilkes keine Dienste erweisen, denn ein Redner ist er nie gewesen. Auch Pitt scheint ihn nicht zurückgewiesen zu haben. Lord Temple machte ihn wenigstens zum Officier in dem Miliz-Regimente, das er selbst commandirte. Zuerst bewarb er sich um die Gesandtschaft in Constantinopel, alsdann um eine Stelle bei der Organisation des neueroberten Canada’s, allein der Einfluß Lord Bute’s war bereits überwiegend, und dieser neue Minister bewirkte, daß Wilkes abgewiesen wurde. Somit ward Wilkes zum Patrioten jener Art, wie sie Walpole’s Ausspruch bezeichnete, der jenen Charakter [884] durch die Worte: „abgewiesene Bittsteller um Aemter“ definirte. Er benutzte die freie Presse, und gab zuerst zwei Broschüren gegen Lord Bute heraus, wovon die eine besonders durch boshaften Witz allgemeine Aufmerksamkeit erregte. Seine hauptsächlichste Wirksamkeit begann jedoch mit seiner Zeitschrift: The North Briton. Diese wußte den Ton der damaligen Aufregung so wohl zu treffen, daß sie bald als die gefährlichste Waffe der Opposition von der Regierung erkannt wurde. Für den Charakter von Wilkes ist es übrigens bezeichnend, daß eine seiner hauptsächlichsten Waffen in der Aufregung der Vorurtheile des gewöhnlichen Engländers gegen die Schotten bestand, in derselben Weise, wie gegenwärtig eine Partei dies Manöver hinsichtlich Irlands versuchen will. Ueber schottische Günstlinge und Grundsätze, über schottische Verderbniß, Selbstsucht und gemeine Schlauheit war fast in jeder Nummer die Rede. An Lord Bute hat Wilkes übrigens durch dies Blatt genügende Rache genommen, denn jener Minister wurde hauptsächlich durch jene Artikel zur Niederlegung seines Amtes bestimmt. Durch persönlichen Einfluß des Königs wurde jedoch die Regierung bald bestimmt, einen Versuch zu dessen Unterdrückung zu machen. Die 45ste Nummer hatte nämlich einen boshaften Commentar über die Thronrede von 1763 enthalten, worin die Persönlichkeit Georgs III. in den Koth gezogen war. Die Minister benahmen sich bei dieser Angelegenheit auf eine Weise, welche der Neigung des Königs zur Willkühr entsprach; sie brachten ein altes Rechtsverfahren in Anwendung, welches während der tyrannischen Zeiten der Stuarts in solchen Fällen benutzt worden war. Der Staatssekretär des Inneren erließ einen sogenannten allgemeinen Verhaftsbefehl, (general warrant) gegen Schriftsteller, Drucker und Verkäufer. Wilkes wurde verhaftet und vor zwei Staatssekretäre, um verhört zu werden, gebracht. Dies Rechtsverfahren war schon lange nicht mehr gewöhnlich, und widerstrebte der Habeas corpus-Akte. Wilkes wußte dies sehr gut, und weigerte sich somit auf irgend eine Frage Antwort zu geben. Man brachte ihn in den Tower, allein mußte ihn bald darauf vor den Gerichtshof der Common pleas stellen, wo der Oberrichter Pratt die Ungesetzlichkeit der Verhaftung erklärte, so daß der [885] Gerichtshof seine Freigebung dekretirte. Der Hof hatte hierin um so unverständiger gehandelt, da Staatsmänner anderer Art, als Leute, die zur bloßen Volksmasse gehörten, oder die Wilkes aus Parteirücksichten vertraten, sich ebenfalls dieses Mannes annahmen, weil sie mit Recht in jenem Verfahren einen Versuch erkannten, die Willkühr im gerichtlichen Verfahren an die Stelle der rechtlichen Formen zu setzen. Zu Letzteren gehörte auch Pitt, mit seinem ganzen Anhange. Die Thorheit der Regierung erhöhte natürlich Wilkes Popularität, und gab dem Hofe außerdem eine bedeutende Blöße, denn die Minister wurden zu bedeutenden Entschädigungssummen verurtheilt, welche der König selbst an Wilkes bezahlte. Letzterer setzte hierauf sein Verfahren fort, welches ihm nicht allein zu Einfluß und Ehre, sondern auch zu bedeutendem Geldgewinn verholfen hatte. Er ließ den North Briton weiter drucken, und die Regierung ließ ihn wieder verklagen. Hierauf flüchtete sich Wilkes nach Frankreich, ward in seiner Abwesenheit aus dem Hause der Gemeinen gestoßen, und kehrte bald wieder zurück, um sich auf’s Neue für Middlesex wählen zu lassen. Er ward mit ungeheurer Mehrheit zum Parlamentsglied ernannt. Die Regierung hatte ihn wegen seines Nichterscheinens vor Gericht außer dem Gesetz (outlaw) erklären lassen, und mußte auf’s Neue die Demüthigung erleiden, daß dieser Beschluß für ungesetzmäßig erklärt wurde, obgleich Wilkes zur Strafe wegen Preßvergehen verurtheilt wurde. Das Parlament wies ihn zurück; Wilkes ward aber sogleich wieder gewählt. Jetzt erklärte das Unterhaus ihn für unfähig, einen Sitz einzunehmen. Allein die öffentliche Meinung war über das Unterhaus seit einiger Zeit schon bestimmt genug. Wilkes ward auf’s Neue zum Märtyrer; durch Subscriptionen wurden seine Schulden bezahlt, und bedeutende Summen ohnedem für ihn zusammengebracht. Die City, die sich bereits in heftiger Opposition befand, wählte ihn zum Alderman, wo er wieder Gelegenheit hatte, bei der stets sich mehrenden Aufregung neue Bewegungen zu veranlassen. Er erschuf der Regierung nicht allein durch seinen Widerstand und durch die Art, wie er die Corporation der City beherrschte, eine Menge unangenehmer Hindernisse, sondern er widersetzte sich ihr auch förmlich und offen, indem er einige [886] Drucker von Zeitungen, die nach königlicher Proclamation verhaftet worden waren, zugleich unter Mitwirkung des Lord-Mayor und eines andern Alderman in Freiheit setzte. Das Parlament glaubte hier einschreiten zu müssen; es ließ den Lord-Mayor und den andern Alderman in den Tower bringen, und citirte Wilkes vor seine Barre, damit er sich dort rechtfertige. Wilkes weigerte sich jedoch, zu erscheinen, und erwiederte keck: das Haus solle ihm zuerst den ihm gehörenden Sitz einräumen. Als der Lord-Mayor in den Tower gebracht wurde, entstand eine solche Aufregung in der Hauptstadt, daß ein Aufstand als nahe erschien. Die Gesetzgebung wagte deßhalb nicht gegen den Günstling des Volkes, der ihr mit Keckheit trotzte, weitere Schritte vorzunehmen, und vertagte die weiteren Beschlüsse über den Demagogen, oder mit anderen Worten, sie gab dieselben auf. – Als hierdurch seine Popularität noch vermehrt war, wurde er zuerst zum Sheriff von London und Middlesex, und dann zum Lord Mayor gewählt; 1776 wählte ihn Middlesex auf’s Neue zum Parlamentsglied; das Unterhaus wagte nicht, ihn wieder zurückzuweisen, und erlebte sogar die Schmach, daß es den Beschluß der Ausstoßung von Wilkes aus seinen Papieren streichen ließ. Endlich erlangte Wilkes die Stelle eines Chamberlain (Kämmerer) der City, ein sehr einträgliches Amt, welches ihm seine Popularität erworben hatte. Von der Zeit an war er mit seinem Loose gänzlich zufrieden, und wurde auch niemals wieder in den Bewegungen der Zeit bemerkt, mit Ausnahme von 1780, wo er übrigens eine ehrenvolle Rolle spielte. Er rettete nämlich während des furchtbaren und blutigen Pöbelaufstandes in jenem Jahre, der nach dem Namen eines Lord Gordon bezeichnet wird, und der in jedem andern Lande wie England wahrscheinlich mit einer Revolution geendet hätte, die englische Bank vor Plünderung. Vergebens ersuchten ihn seine ehemaligen Freunde, für die Sache der Reform aufzutreten, welche die Whigs in den neunziger Jahren aufgegriffen hatten, oder an den Parteikämpfen gegen die Politik der Regierung hinsichtlich Frankreichs Theil zu nehmen; Wilkes besaß eine zu behagliche Stellung, um sich auf’s Neue darin einzulassen. Er wurde bis zu seinem Tode 1797 nicht weiter bemerkt.

[887] Gegenwärtig sind alle Stimmen in England über ihn einig. Man erkennt in ihm den unreinen Charakter, welcher die Aufregung des Volkes und die dadurch bewirkte Popularität zu seinem Vortheil benutzte, und der sich sogleich zurückzog, als er eine einträgliche Stellung erlangt hatte. Zugleich wird jedoch zugestanden, daß er durch seine Keckheit die fernere Anwendung der Willkühr durch einen sogenannten allgemeinen Verhaftsbefehl unmöglich machte, und ebenfalls durch seine zweite Widersetzlichkeit gegen die Regierung bei der Verhaftung von Zeitungsschreibern ein altes Gesetz umstieß, welches die Bekanntmachung der Parlamentsreden verbot. Allein hierauf beschränkt sich sein Verdienst. Sein persönlicher Charakter wurde schon von seinen Zeitgenossen verachtet, die seine Sache vertraten, z. B. von Pitt, wie man aus der kürzlich herausgegebenen Correspondenz dieses Staatsmannes ersieht. Gibbon, der ebenfalls für ihn im Parlamente stimmte, schreibt über ihn in einem Briefe, nachdem er mit ihm bei der Flasche zusammen gewesen war: „Ich habe kaum einen besseren Gesellschafter kennen lernen; er besitzt unerschöpfliche Laune, unendlichen Witz und viele Kenntniß. Er ist jedoch vollkommen liederlich in Grundsätzen und im Leben; sein bisheriger Lebenslauf ist mit jedem Laster befleckt, und seine Unterhaltung voll von Gotteslästerung und von Zoten. Er prahlt über diese seine Sitten; Schaam gilt ihm als Schwäche, die er schon lange überwunden hat. Er hat uns offen erklärt, er sei entschlossen, unter den jetzigen politischen Parteikämpfen sein Glück zu machen.“

Eine andere Anecdote mag ihn eben so sehr bezeichnen. Als er sich zum zweiten Mal um den Parlamentssitz von Middlesex bewarb, und mit seinem Gegner, Oberst Luttrel, auf dem Wahlgerüst saß, fragte er denselben: „Ob mehr Narren oder Schufte von seinen (Wilkes) Anhängern sich unter der Volksmasse befänden.“ Der Oberst antwortete: „Ich werde dies sogleich sagen, damit es mit Ihnen aus ist.“ – Als er aber bemerkte, daß Wilkes ruhig blieb, fügte er hinzu: „Sie können doch nicht daran denken, nur noch eine Stunde hier zu bleiben, wenn ich Ihre Worte bekannt mache.“ – „Gewiß, Sie würden keinen Augenblick länger leben.“ – „Wie so?“ – „Ich würde sagen, Sie hätten gelogen, und der Pöbel würde Sie im Augenblick todtschlagen.“

[888] Aus Allem dem wird man sehen, daß Hogarth mit diesem Manne auf ungleiche Waffen kämpfte. Man wird anerkennen, das Porträt sei dem geschilderten Charakter angemessen; alle Zeitgenossen bemerken an Wilkes, als hervorstechender Gesichtszug, ein boshaftes Schielen und teuflisches Lachen (malicions squint and demonial grin). Hier fällt dasselbe sogleich in die Augen. Wilkes schwingt den Freiheitshut, vor ihm liegen zwei Nummern des North Briton. Die berüchtigte Nummer 45, die ihn durch das willkührliche Verfahren der Regierung zum Freiheitshelden machte, und Nummer 16, die Hogarth unklugerweise hier anbrachte, indem er seine Rachsucht zeigte. Es war nämlich die Nummer, worin das erste Blatt von Hogarth’s „Zeiten“ kritisirt war.