Juedischer Krieg/Buch IV 8-11

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Juedischer Krieg
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[335]
Achtes Capitel.
Vespasian drängt auf die Entscheidung. Operationen in Judäa und Idumäa. Beschreibung des Jordanthales, der Umgebung Jerichos und des Asphaltsees.

440 (1.) Unterdessen kommt die Nachricht von der aufständischen Bewegung in Gallien, wo Bindex im Bunde mit den einheimischen Fürsten sich gegen Nero empört hatte, worüber in den Specialschriften das Nähere zu finden ist. 441 Diese Neuigkeit spornte Vespasian zur größten Eile in seinen kriegerischen Operationen an, weil er bereits die kommenden Bürgerkriege und die Gefahren für das ganze Reich voraussah und angesichts derselben wenigstens durch die früher erzielte Pacificierung des Orientes die besorgniserregende Lage Italiens erleichtern zu können glaubte. 442 Die unfreiwillige Ruhe während des Winters hatte er dazu benützt, die unterworfenen Dörfer und Städtchen durch Besatzungen besser zu sichern, von denen die ersteren Decurionen, die Städte aber Centurionen als Commandanten bekamen. Auch hatte er viele verwüstete Ortschaften wieder wohnbar machen lassen. 443 Gegen Eintritt des Frühjahres aber stellte er sich selbst an die Spitze seiner Hauptmacht und führte sie von Cäsarea gegen Antipatris, wo er, um Ordnung zu schaffen, zwei Tage verweilte. Am dritten Tage nahm er seinen Vormarsch wieder auf und verheerte alle Ortschaften ringsherum mit Feuer und Schwert. 444 Nachdem er so das ganze Gebiet im Kreise von Thamna sich unterworfen, marschierte er gegen Lydda und Jamnia, welche beide schon früher in seine Hände gekommen waren, und die jetzt eine entsprechende Zahl solcher Juden zu Bewohnern erhielten, die zu den Römern übergegangen waren. Hierauf kam er nach Emmaus 445 und bemächtigte sich der dortigen Pässe, die nach der Hauptstadt führen. Er ließ daselbst in einem befestigten Lager die fünfte Legion zurück und rückte mit den übrigen Streitkräften gegen den Bezirk von Bethleptephä heran, 446 den er, wie auch den benachbarten Kreis, sengend und brennend durchzog. Ferner ließ er auch im ganzen Umkreis des idumäischen Gebietes die an besonders geeigneten Punkten gelegenen Festungen noch verstärken, 447 während er zwei Dörfer, im Herzen von Idumäa gelegen, Betaris und Kaphartobas mit bewaffneter Hand wegnehmen musste, wobei er über 10.000 Bewohner niedermetzelte, 448 über 1000 gefangen nahm und den Rest verjagte. Die Besatzung, die er aus den eigenen Truppen in nicht unbeträchtlicher Stärke hieher verlegte, sollte dann das ganze Bergland abstreifen und verheeren. 449 Hierauf kehrte Vespasian mit den übrigen Truppen nach Emmaus zurück, um von da durch Samaria über Neapolis, bei den Eingebornen Mabartha genannt, nach Korea hinabzuziehen, wo er am zweiten des Monates Däsius sein Lager [336] aufschlug. 450 Am nächsten Tage erreichte er Jericho, wo sich bereits Trajan, einer seiner Unterfeldherrn, an der Spitze der Truppen von Peräa mit ihm vereinigen konnte, da das jenseits des Jordans gelegene Gebiet jetzt in den Händen der Römer war.

451 (2.) Der größte Theil der Bevölkerung hatte sich noch bei Zeiten vor den anrückenden Römern aus Jericho in das Gebirgsland, Jerusalem gegenüber, geflüchtet, aber ein nicht unbedeutender Rest, der sich verspätete, fiel unter dem feindlichen Schwerte. 452 Die Stadt hatten die Römer sonst ganz ohne Vertheidiger getroffen. Jericho selbst liegt auf einer Ebene, aber der Stadt gegenüber erhebt sich ein langgestrecktes, kahles und unfruchtbares Gebirge, 453 das sich nach Norden hin bis zum Gebiete von Scythopolis, im Süden aber bis zum Lande von Sodom und dem Ende des Asphaltsees ausdehnt. Es ist von wild grotesken Formen und hat infolge seiner Unfruchtbarkeit keine Ansiedler. 454 Diesem Gebirge liegt der Höhenzug am Jordan gegenüber, der von Julias und den dortigen Bergen im Norden ansetzt und parallel mit ihm gegen Süden verläuft bis Gomorra, das schon die Grenze gegen das Gebiet von Petra in Arabien bildet. Zu diesem Gebirgszuge gehört auch der so genannte Eisenberg, der sich bis zur Moabitischen Landschaft erstreckt. 455 Der zwischen beiden Gebirgsketten in der Mitte liegende Streifen Landes heißt die große Ebene. Sie reicht von Ginnabris bis zum Asphaltsee 456 und hat eine Länge von 1200 und eine Breite von 120 Stadien. Sie wird vom Jordan mitten durchflossen und besitzt zwei Seen von ganz entgegengesetzter Natur, den Asphaltsee und den See von Tiberias, von welchen der erste salzig und ohne Leben, der von Tiberias aber ein Süßwassersee voll lebender Wesen ist. 457 Zur Sommerszeit wird die Ebene förmlich ausgesengt, so dass sie infolge der außerordentlichen Trockenheit stets eine ungesunde Dunsthülle über sich gelagert hat. 458 Alles ist ja dann nur eine einzige wasserlose Steppe, mit Ausnahme des Jordanlaufes, woher es auch kommt, dass die Palmen an den Flussrändern viel üppiger blühen und eine reichlichere Ernte tragen, als die weiter abstehenden, die weniger ergiebig sind.

459 (3.) Nur in der Nähe von Jericho gibt es eine reichliche und für Bewässerungsanlagen äußerst ergiebige Quelle. Sie entspringt bei dem alten Jericho, der ersten Stadt, die Jesus, der Sohn des Nave, der Anführer der Hebräer, im Chanaaniterlande mit stürmender Hand genommen. 460 Von dieser Quelle wird überliefert dass sie anfänglich nicht allein Boden- und Baumfrüchte, sondern selbst die Leibesfrucht erstickt und überhaupt nach jeder Hinsicht sich als gesundheitsschädlich und verderblich erwiesen habe, dann aber von dem Propheten Elisäus [337] ihrer unheilvollen Kraft beraubt und ins Gegentheil, in ein sehr gesundes und befruchtendes Wasser verwandelt worden sei. Als Schüler und Nachfolger des Elias 461 hatte er bei den Einwohnern Jerichos nicht bloß eine Herberge gefunden, sondern war auch von den Leuten dort äußerst freundlich behandelt worden, was er ihnen, wie der ganzen Gegend, mit einer Wohlthat für ewige Zeiten lohnte. 462 Er gieng nämlich zur Quelle hin und senkte ein Thongeschirr voll Salz in die Flut hinab, worauf er seine unbefleckte Hand zum Himmel emporstreckte und ein heilkräftiges Trankopfer auf die Erde hingoss, mit der Bitte an die letztere, sie möchte nach Gottes Willen der Flut ihre Herbigkeit nehmen und süßere Wasseradern eröffnen: 463 an den Himmel aber, er möchte seine würzigsten Lüfte um die Quellflut spielen lassen, den Eingebornen reichen Ernte- und Kindersegen gewähren und nicht gestatten, dass dies in zweifacher Hinsicht lebenspendende Wasser jemals wieder versiege, so lange sie gerecht blieben. 464 Durch diese Gebete in Verbindung mit vielen, nur Eingeweihten bekannten, Handlungen, die er vornahm, verwandelte er die Natur der Quelle, deren Wasser von da an reichen Kindersegen und Wohlstand verbreitete, wie es in früherer Zeit Kinderlosigkeit und Hungersnoth verschuldet hatte. 465 Es entwickelt nämlich bei der Bodenbewässerung eine solche Kraft, dass es selbst durch eine oberflächliche Benetzung des Erdreiches wohlthätiger wirkt, als andere Quellen, die bis zur völligen Durchtränkung im Boden sitzen bleiben. 466 Während also der Nutzen, den man von anderem Wasser auch bei reichlicherer Verwendung erzielt, oft nur ein unbeträchtlicher ist, genügt von diesem nur ganz wenig zu einem großen Ertrage. 467 Denn diese Quelle bewässert für sich allein eine größere Strecke, als alle übrigen zusammengenommen, da sie sich auf eine Ebene von 70 Stadien Länge und 20 Stadien Breite vertheilt und auf ihr die schönsten und buschigsten Baumgärten hervorzaubert. 468 Die Palmenarten, die an ihrem Wasser gedeihen, sind sehr mannigfaltig und haben, wie den verschiedensten Geschmack, so auch unterschiedliche Benennungen. Die fetteren Fruchtarten geben beim Keltern sogar reichlichen Honig, der dem gewöhnlichen Honig an Güte nicht viel nachgibt. 469 Uebrigens bietet die Gegend auch Bienenschwärmen reiche Nahrung, wie sie auch den Balsam, bekanntlich das kostbarste aller dortigen Erzeugnisse, außerdem noch den Cyperbaum und die Behennuss trägt, so dass man nicht zu viel behaupten würde, wenn man sagt, es sei ein geradezu himmlisches Stück Erde, da das allerseltenste und allerschönste so üppig hier gedeiht. 470 Denn es dürfte wohl, was Fruchtbarkeit anbelangt, nicht leicht eine andere Gegend auf der uns bekannten Erde sich mit Jerichos [338] Umgebung vergleichen lassen: so groß ist der Ueberfluss, mit dem sie den ihr vertrauten Samen wieder zurückgibt! 471 Die eigentliche Ursache hievon liegt meines Erachtens nur in den linden Lüften und in der belebenden Kraft des dortigen Wassers, indem jene die Pflanzen zunächst aus der Erde hervorlocken und dann nach allen Seiten hin zur Entfaltung bringen, während die Feuchtigkeit hinwieder einer jeden Pflanze ein starkes Einwurzeln ermöglicht und die für den Sommerbrand so nothwendige Widerstandsfähigkeit verleiht. Die Sommerhitze ist an diesem Orte überall so gewaltig, dass Niemand ohne Noth das Haus verlässt. 472 Hingegen wird das Wasser, das man vor Sonnenaufgang geschöpft hat und dann im Freien stehen lässt, ungemein frisch und nimmt so die der umgebenden Luft gerade entgegengesetzte Temperatur an. Umgekehrt wird dort das Wasser im Winter laulicht, so dass es sich darin sogar ganz angenehm baden lässt. 473 Auch die Luft ist dann so linde, dass die dortigen Bewohner sich zur selben Zeit in Linnenkleider hüllen, wo es im übrigen Judäa schneit! 474 Von Jerusalem ist Jericho 150 Stadien, vom Jordan 60 Stadien entfernt. Die Strecke von Jericho bis Jerusalem ist wüste und voll rauher Felsen, die Gegend bis an den Jordan und den Asphaltsee dagegen mehr eben, sonst aber ebenso öde und unfruchtbar. Doch es dürfte das Bisherige genügen, um sich ein klares Bild von dem überaus gesegneten Jericho zu machen.

475 (4.) Es verlohnt sich der Mühe, auch über die Beschaffenheit des Asphaltsees einiges anzuführen. 476 Er ist zwar, wie schon gesagt, ein Bittersee und ohne alles Leben, hat aber die Eigenschaft, dass er infolge seiner Dickflüssigkeit selbst die schwersten Gegenstände, die man ins Wasser wirft, an die Oberfläche treibt, so dass es einem selbst beim besten Willen nicht leicht wird, in die Tiefe hinabzutauchen. 477 So kam unter andern auch Vespasian aus Neugierde an diesen See und ließ daselbst einige Leute, die nicht schwimmen konnten, die Hände auf dem Rücken gebunden, in die Meerestiefe schleudern. Was geschah? Alle schwammen oben auf, als hätte sie ein Wirbelstoß heraufgetrieben. 478 Dazu kommt ein ganz wundervolles Farbenspiel, da der See dreimal des Tages sein Aussehen wechselt und unter dem Einfluss der Sonnenstrahlen einen gar bunten Widerschein gibt. 479 Indessen treibt er auch an vielen Stellen schwarze Asphaltklösse an die Oberfläche, wo sie, an Gestalt und Größe Stieren ohne Köpfe gleich, herumschwimmen. 480 Die am See beschäftigten Arbeiter fahren auf diese Klösse zu, machen sich an die dick geronnene Masse und ziehen sie in ihre Boote herein. Nicht so leicht ist es aber, die Masse wieder aus den damit gefüllten Booten herauszubefördern, da infolge seiner großen Zähigkeit das [339] Pech solange am Fahrzeuge haftet, als es nicht mit Menstruationsblut und Urin, die allein es wegbringen können, abgelöst wird. 481 Man verwendet es mit Nutzen nicht bloß zum Verpichen der Schiffe, sondern auch zur Heilung körperlicher Leiden, indem es einen Bestandtheil von einer Menge Heilmittel bildet. 482 Die Länge dieses Sees, der ja bis Zoar in Arabien geht, beträgt 580 Stadien, seine Breite 150. 483 An dem See liegt auch das Gebiet von Sodom, so glücklich einstmal wegen der Fruchtbarkeit seines Bodens und des Reichthums seiner Städte, jetzt aber vollständig versengt! 484 Wie man erzählt, wurde es zur Strafe für die Gottlosigkeit seiner Bewohner durch Blitzschläge verbrannt, und man kann jetzt noch die Brandmäler dieses göttlichen Feuers, und zwar die dunklen Umrisse von fünf Städten dort erblicken, ja auch noch die Asche, die sich im Innern der Früchte fort und fort entwickelt. Diese Früchte schauen ganz wie essbare aus, reißt man sie aber ab, so gehen sie einem unter den Händen in Rauch und Aschenstaub auf. 485 So erhält auf diese Weise die Ueberlieferung über das Sodomiterland eine sogar augenscheinliche Beglaubigung.


Neuntes Capitel.
Vespasian rüstet sich zur Belagerung der Hauptstadt. Tod Neros. Galba wird Kaiser. Simon, Sohn des Gioras, bildet neue Banden, besiegt die Zeloten und Idumäer, belagert vergebens Jerusalem. Galbas und Othos Tod. Weitere Eroberungen Vespasians. Zurückdrängung der Zeloten. Simons Einzug in Jerusalem.

486 (1.) Um die Einwohner Jerusalems von allen Seiten einzuschließen, errichtete Vespasian in Jericho, wie auch in Adida ein befestigtes Lager und besetzte es mit Abtheilungen von Römern und Bundesgenossen. 487 Auch nach Gerasa sandte er ein Reitergeschwader und ein starkes Corps Fußsoldaten unter der Führung des Lucius Annius. 488 Schon beim ersten Angriff nahm dieser die Stadt und ließ alle jungen Männer, die sich nicht rechtzeitig geflüchtet hatten, tausend an der Zahl, über die Klinge springen, während er ihre Familien zu Gefangenen machte und ihre Habe seinen Kriegern zur Plünderung überließ. Darauf äscherte er ihre Häuser ein und wandte sich gegen die Dörfer in der Runde. 489 Dort floh alles, was noch Kraft hatte; was zu schwach dazu war, ereilte das Verderben; an der verlassenen Stätte ward überall Feuer angelegt. 490 Da auf diese Weise das ganze Bergland und gesammte Flachland von den Feinden beunruhigt wurde, war den Bewohnern Jerusalems jeder Ausweg abgeschnitten: denn die, welche zu den Römern übergehen wollten, sahen sich von den Zeloten bewacht, jene aber, welche noch nicht mit den Römern sympathisierten, konnten eben wegen des römischen Heeres nicht fliehen, da dieses bereits von allen Seiten die Stadt umklammert hielt.

[340] 491 (2.)  Als Vespasian nach Cäsarea zurückgekehrt war und sich eben anschicken wollte, mit seiner ganzen Kriegsmacht gegen Jerusalem aufzubrechen, kam ihm die Kunde von dem gewaltsamen Ende des Nero zu, das dieser Kaiser nach einer Regierung von dreizehn Jahren und acht Tagen genommen hatte. 492 Weiteres über denselben zu erzählen, in welcher Weise er nämlich sein Scepter geschändet, dass er die Staatsgeschäfte den schlimmsten Subjecten, einem Nymphidius und Tigellinus und anderen nichtswürdigen Freigelassenen anvertraute, 493 wie ihn dann eben diese Leute zu stürzen gesucht, und er, von allen seinen Leibwachen verlassen, nur von vier seiner treugebliebenen Freigelassenen begleitet, aus Rom entfloh und endlich noch im Weichbilde der Stadt sich selbst das Leben nahm, wie zuletzt auch jene, die ihn ins Verderben getrieben, nicht lange darauf ihre Strafe gefunden; 494 was für einen Ausgang dann der Krieg in Gallien genommen, und wie Galba, zum Kaiser ausgerufen, von Spanien nach Rom herüberkam, später aber von den Soldaten als Geizhals ausgeschrien, mitten auf dem Forum in Rom meuchlings erdolcht, und an seiner Stelle Otho zum Alleinherrscher erhoben ward; 495 vom Feldzug, den Otho hierauf gegen die Heerführer des Vitellius unternommen, und von seinem unglücklichen Ende, ferner auch von den Wirren unter Vitellius und dem Kampf um das Capitol, wie nämlich Antonius Primus und Mucianus den Vitellius sammt seinen germanischen Legionen niedergeworfen und auf diese Weise den Bürgerkrieg gedämpft haben: 496 von all’ dem eine ausführliche und genaue Schilderung zu geben, wollte ich mir ersparen, da es noch in aller Munde und von vielen Schriftstellern, griechischen sowohl wie römischen, aufgezeichnet worden ist. Doch wollte ich wegen des geschichtlichen Zusammenhanges und um in meiner Erzählung keine Lücke zu lassen, summarisch wenigstens die einzelnen Thatsachen vorführen. 497 Zunächst verschob nun Vespasian den Zug nach Jerusalem und wartete mit größter Aufmerksamkeit ab, wem sich nach dem Tode Neros das Zünglein der Weltherrschaft zuneigen werde. 498 Als er dann vernahm, dass Galba Alleinherrscher geworden sei, wollte er doch den Feldzug nicht früher eröffnen, bevor auch der neue Kaiser ihm eine diesbezügliche Weisung übermittelt haben würde, und sandte, um ihm seine Huldigung zu bezeigen und den kaiserlichen Bescheid hinsichtlich der Juden einzuholen, seinen eigenen Sohn Titus an ihn ab. Dem Titus schloss sich auf dieser Seefahrt zum Kaiser aus dem gleichen Grunde auch König Agrippa an. 499 Während sie aber unter Benützung von Kriegsschiffen eben Achaja passierten, welchen Weg sie wegen der Winterszeit wählten, hatte schon den Galba nach einer Regierung von nur sieben Monaten und ebensovielen Tagen ein gewaltsamer [341] Tod ereilt. Sein Scepter übernahm Otho, der nur auf dem Wege der Usurpation in den Besitz der höchstens Gewalt gelangt war. 500 Ohne sich nun im geringsten durch diese Umwälzung einschüchtern zu lassen, beschloss Agrippa, seine Fahrt nach Rom fortzusetzen, 501 Titus aber fuhr, wie auf einen höheren Wink, von Hellas nach Syrien zurück und kam schleunigst wieder zu seinem Vater nach Cäsarea. 502 Mit größter Spannung verfolgten dort beide die Weltlage, da es sich ja um nichts geringeres, als um die Erschütterung der römischen Herrschaft handelte, und ließen infolgedessen den Jüdischen Krieg ganz aus den Augen, indem sie in ihrer Angst um das eigene Vaterland einen Angriff auf das fremde Land für unzeitgemäß hielten.

503 (3.) Dafür erhob sich aber ein anderer blutiger Sturm gegen Jerusalem, den ein gewisser Simon, Sohn des Gioras, ein gebürtiger Gerasener erregte. Ein ganz junger Mann noch, that er es zwar an Verschlagenheit dem Johannes, der schon vor ihm die Hauptstadt unter seiner Faust hielt, nicht gleich, war ihm aber an Körperkraft und Verwegenheit überlegen. 504 Letzteres war auch der Grund gewesen, warum er vom Hohenpriester Ananus aus dem Bezirk von Akrabatene, wo er unumgeschränkt schaltete, verjagt worden war, worauf er sich zu dem in Masada, hausenden Raubgesindel begab. 505 Dieses traute ihm anfangs selber nicht recht und erlaubte ihm, wie den Frauen, die er mitgebracht hatte, nur den unteren Theil der Veste zu beziehen, während sie selbst im oberen ihre Behausung hatten. 506 Weil sich aber gleich und gleich gern gesellt, und man auf ihn bauen zu können glaubte, durfte er darum später auch mit ihnen auf Raubzüge ausgehen und that sein Redlichstes in der Verwüstung der Umgebung von Masada. 507 Doch gelang es seiner Ueberredungskunst nicht, sie zu einem größeren Schlage zu bewegen. Denn an den Aufenthalt in der Festung gewöhnt, wollten sie sich, wie die wilden Thiere von ihren Höhlen, nicht allzuweit entfernen. 508 Doch Simons Gedanken giengen auf die Herrschaft, und nur großen Zielen wollte er nachjagen. Kaum hatte er darum vom Tode des Ananus gehört, als er sich auch wieder von seinen bisherigen Genossen trennte und ins Bergland von Judäa zog, wo er durch seine Versprechungen, den Sclaven die Freiheit, den Freien aber Kriegsbeute zu verschaffen, alles Gesindel weit und breit um sich sammelte.

509 (4.) Als seine Schar bereits eine beträchtliche Stärke erlangt hatte, begann er Streifzüge auf die Dörfer des Berglandes zu unternehmen, und wagte sich endlich, da sich stets mehr und mehr ihm anschlossen, auch auf das flache Land hinab. 510 Selbst eigentlichen Städten war er schon furchtbar, weshalb sogar viele angesehene Personen angesichts seiner Macht und seines reißenden Waffenglückes sich in seinen unheil- [342] vollen Bann ziehen ließen, so dass Simons Heer sich schon nicht mehr aus bloßen Sclaven oder Banditen, sondern auch aus einer nicht unbedeutenden Anzahl von Bürgern recrutierte und wie eine disciplinierte königliche Truppenmacht sich ausnahm. 511 Das Gebiet, das er verheerte, war der Kreis von Akrabatene und alles Land bis Großidumäa. Zu diesem Zwecke hatte er auch bei einem Dorfe, namens Nain, Befestigungswerke angelegt, hinter die er sich zur Zeit der Gefahr verschanzte, 512 während er in der sogenannten Pharanschlucht viele dort vorhandene Höhlen, die er theils hatte erweitern lassen, theils aber schon geräumig genug vorgefunden hatte, zu Schatzkammern und förmlichen Diebsspeichern benützte. 513 Hier wurden von ihm auch die geraubten Früchte aufgestapelt, und hatten die meisten seiner Banden daselbst ihren Aufenthalt. Es war ihm aber offenbar nur um eine tüchtige Vorübung für seine Bande und ihre Ausrüstung zu thun, bevor er den entscheidenden Schlag gegen Jerusalem führen wollte.

514 (5.) Die Zeloten, welche einen Handstreich von Seite des Simon besorgten, gedachten jetzt dem für sie immer bedrohlicher sich gestaltenden Anwachsen seiner Macht zuvorzukommen und rückten mit dem größten Theil ihrer Leute kampfgerüstet aus der Hauptstadt. Allein Simon, der ihnen entgegen kam, brachte ihnen in dem sich nun entspinnenden Gefechte schwere Verluste bei und warf sie schließlich auf die Hauptstadt zurück. 515 Da er sich indes zu einem Angriff auf die Mauern noch nicht stark genug fühlte, musste er davon Abstand nehmen, machte aber dafür den Versuch, zunächst Idumäa in seine Gewalt zu bekommen. So zog er denn mit 20.000 Bewaffneten gegen die Grenzen dieses Gebietes. 516 In aller Eile scharten jetzt die Idumäerfürsten die tüchtigsten Krieger des Landes um sich, beiläufig 25.000 Mann, während sie durch die übrigen Haus und Hof gegen die Raubzüge der Sicarier von Masada bewachen ließen, und erwarteten Simon an der Grenze. 517 Hier stieß er auch wirklich mit ihnen zusammen und rang mit ihnen einen ganzen Tag, musste sich aber endlich, ohne Sieger geworden zu sein, allerdings auch selbst unbesiegt, von der Wahlstatt trennen und zog sich nach seinem Nain zurück, indes die Idumäer sich in ihre Heimatsdörfer zerstreuten. 518 Doch dauerte es nicht lange, dass Simon einen neuen Einfall, diesmal mit noch größerer Macht, in das Idumäerland versuchte. Da er sein Lager gerade bei einem Dorfe, namens Thekoa, aufgeschlagen hatte, in dessen Nähe sich die Burg Herodium befand, sandte er einen gewissen Eleazar aus der Zahl seiner Gefährten an die Besatzung derselben mit der Aufgabe ab, dieselbe zur Auslieferung der Veste zu bestimmen. 519 Die Wachen, die von dem eigentlichen Zwecke seines Kommens keine Ahnung hatten, [343] ließen ihn ohne alle Umstände ein: kaum aber hatte er nur ein Wort von „Uebergabe“ hören lassen, als sie auch schon das Schwert zogen und hinter ihm her waren, bis er keinen Ausweg zur Flucht mehr fand und sich von der Höhe der Mauer in die unter ihr gähnende Schlucht hinabstürzte, wo er auf der Stelle todt blieb. 520 Was nun die Idumäer betrifft, so hatten sie von der Macht des Simon von früher her einen gewaltigen Respect bekommen und hielten es für zweckmäßig, vor einem neuen Zusammenstoße erst die Stärke des feindlichen Heeres auszukundschaften.

521 (6.) Für diese Aufgabe bot einer ihrer Anführer, namens Jakobus, freiwillig seine Dienste an, freilich nur darum, weil er einen verrätherischen Anschlag im Schilde führte. 522 Kaum war er nämlich von dem Dorfe Alurus, bei welchem eben das Heer der Idumäer vereinigt lag, aufgebrochen, 523 als er sich auch schon direct zu Simon begab und mit ihm zunächst ein Abkommen wegen Auslieferung seiner engeren Heimat traf, wofür er von Simon die eidliche Zusicherung empfieng, dass er für seine Person die ehrenvolle Stelle, die er dort bekleidete, immer behalten dürfe. Er gab übrigens Simon auch das Versprechen, ihm bei der Unterwerfung der anderen Theile Idumäas behilflich sein zu wollen. 524 Auf das hin wurde er von Simon wie ein Freund bewirtet, und dabei sein Ehrgeiz noch durch die glänzendsten Verheißungen geschwellt. Nachdem er nun wieder zu den Seinen zurückgekehrt war, suchte er vor allem eine vielfach übertriebene Vorstellung von der Stärke des Feindes durch seine Lügenberichte zu erwecken. 525 Hierauf knüpfte er mit den einzelnen Anführern, wie auch mit dem Heere selbst, aber nur immer mit einem kleinen Kreise, freundliche Gespräche an und brachte wirklich viele dahin, dass sie Simon aufzunehmen und ohne Widerstand ihm die Oberherrschaft zu überlassen bereit waren. 526 Aber noch während er mit der Durchführung seines Planes beschäftigt war, rief er auch schon durch seine Boten Simon herbei, indem er ihm versprach, die Idumäer zersprengen zu wollen. Das that er auch. 527 Denn als das Heer des Simon schon nahe war, war Jakob der erste, der auf sein Pferd sprang und mit dem gewonnenen verrätherischen Anhang die Flucht ergriff. Ein panischer Schrecken befiel bei diesem Anblick die große Masse des Heeres, 528 und bevor es noch zum Schlagen kam, hatte sich schon Alles aus Reih und Glied gelöst und war auf der vollen Flucht nach der Heimat.

529 (7.) Simon, der auf diese Art wider alles Erwarten ohne einen Schwertstreich über die Grenze Idumäas rücken konnte, nahm nun zuvörderst durch einen plötzlichen Angriff die Stadt Hebron weg, wo er sehr reiche Beute gewann und Früchte in Hülle und Fülle zum [344] Plündern fand. 530 Nach den Ueberlieferungen der Eingebornen soll Hebron nicht bloß die älteste unter den dortigen Städten, sondern sogar noch älter sein, als Memphis in Aegypten, da man für Hebron ein Alter von von 2300 Jahren ausgerechnet hat. 531 Nach alten Berichten war sie auch der Wohnort Abrahams, des Stammvaters der Juden, nach seiner Auswanderung aus Mesopotamien, wie auch von Hebron weg seine Nachkommen nach Aegypten hinabgezogen sein sollen. 532 Noch zur Stunde zeigt man in diesem Städtchen ihre Grabmonumente, die aus dem feinsten Marmor in herrlicher Arbeit gehauen sind. 533 Sechs Stadien von der Stadt zeigt man einen ungeheuren Terebinthenbaum, der nach der Sage schon seit den Tagen der Schöpfung stehen soll. 534 Von Hebron weg nahm Simon seinen Weg durch ganz Idumäa, wobei er nicht bloß die Dorfschaften und Städte verwüstete, sondern auch das ganze offene Land aussog, da nicht einmal die Lebensmittel mehr für die Masse seiner Leute hinreichten, indem ihm außer den Bewaffneten noch 40.000 Menschen Gefolgschaft leisteten. 535 Außer der nothwendigen Brandschatzung für das Heer war es noch die Grausamkeit seines Anführers und sein Hass gegen das Idumäervolk, unter welchen das Land bis zur völligen Verödung zu leiden hatte. 536 Gleichwie man unter einem Heuschreckenschwarm einen ganzen Wald hinterher vollständig kahl gefressen sehen kann, ebenso blieb im Rücken des Heeres von Simon nur mehr eine Wüstenei! 537 Was man anzünden konnte, ward verbrannt, was man untergraben konnte, demoliert, was aber auf dem Felde stand, entweder niedergetreten und so vernichtet oder abgeweidet, und der Culturboden durch die darüber marschierenden Massen noch härter gestampft, als es die unfruchtbare Steppe war. Um es kurz zu sagen, nicht einmal eine Spur verrieth, dass hier vor der Verwüstung jemals fruchtbares Land gewesen.

538 (8.) Diese Ereignisse in Idumäa brachten die Zeloten in eine neue Aufregung, und da sie sich nicht getrauten, dem Simon im offenen Felde entgegenzutreten, legten sie sich wenigstens an den Pässen auf die Lauer, und fiengen auch wirklich die Frau des Simon mit einer zahlreichen Dienerschaft dort ab. 539 Mit einer Freude, die nicht größer hätte sein können, wenn sie Simon selbst bekommen hätten, kehrten sie mit dem Fang nach der Hauptstadt zurück und erwarteten nun, dass Simon in Bälde die Waffen niederlegen und flehentlich um die Herausgabe seiner Frau ansuchen würde. 540 Der aber kannte kein Mitleid, sondern einzig nur das Gefühl der Rache für diesen Raub. So erschien er dicht vor den Mauern und ließ wie eine Bestie, dies man nur verwundet hat, nachdem er seine Feinde nicht mehr erreichen konnte, an den nächstbesten, die er traf, seinen Grimm [345] aus. 541 Denn mochte sich wer immer, z. B. nur um Kräuter oder ein dürres Holz zu sammeln, vor die Thore hinauswagen, auch Wehrlose und alte Leute, so ließ ihn Simon gefangen nehmen und martervoll hinrichten: fast hätte er in seinem maßlosen Grimme auch seine Zähne ins Fleisch seiner Opfer gehackt! 542 Vielen ließ er nur die Hände abhauen und schickte sie in diesem Zustand wieder in die Stadt zurück, weil er damit seinen Feinden Entsetzen einzuflößen und gleichzeitig das Volk gegen die eigentlichen Schuldigen aufzubringen gedachte. 543 Den Verstümmelten war von Simon bedeutet worden, den Einwohnern zu sagen, dass er bei Gott, dem allsehenden Herrn, es ihnen feierlich zuschwöre, er werde, falls sie nicht ehestens ihm sein Weib zurückgäben, nach Zertrümmerung der Mauer alle Bewohner ohne jede Rücksicht auf das Alter, Unschuldige und Schuldige durcheinander, in derselben Weise verstümmeln lassen. 544 Das machte nicht bloß auf das Volk, sondern selbst auf die Zeloten einen niederschmetternden Eindruck, und man sandte ihm die Frau zurück. Das begütigte Simon, und er hielt jetzt mit seinem ewigen Morden ein wenig inne.

545 (9.) Aber nicht bloß in Judäa, sondern auch auf Italiens Boden herrschte Aufruhr und Bürgerkrieg. 546 Nachdem Galba mitten auf dem römischen Forum niedergestoßen worden, musste auch der zum Kaiser ausgerufene Otho gegen seinen Rivalen Vitellius, den die Legionen in Germanien auf den Schild erhoben hatten, das Schwert ziehen. 547 Bei Bedriacum in Gallien kam es zwischen ihm und den Feldherrn des Vitellius, Valens und Cäcina, zur Schlacht. Am ersten Tage war der Vortheil auf Seite Othos, am zweiten dagegen auf Seite der Vitellianer. 548 Nach vielem Blutvergießen gab sich Otho in Brixellum, wo ihm seine Niederlage zu Ohren gekommen war, selbst den Tod, nachdem er nur drei Monate und zwei Tage die höchste Gewalt inne gehabt hatte. 549 Othos Truppen giengen zu den Feldherrn des Vitellius über, der nunmehr mit seiner Heeresmacht nach Rom hinabzog. 550 Um diese Zeit brach auch Vespasian am fünften des Monates Däsius neuerdings von Cäsarea auf, um seinen Angriff gegen die noch nicht unterworfenen Bezirke von Judäa zu richten. 551 Er zog in das Bergland hinauf und bemächtigte sich des sogenannten Gophnitischen Kreises und jenes von Akrabatene, hierauf der kleineren Städte Bethel und Ephraim, in die er Truppen legte. Bei dieser Gelegenheit ritt Vespasian bis Jerusalem heran. Viele, die in seine Hände geriethen, mussten sterben, viele wurden Kriegsgefangene. 552 Cerealis, einer von den Unterfeldherrn Vespasians, verwüstete in seinem Auftrages mit einer Abtheilung Reiterei und Fußvolk das sogenannte obere Idumäa, wo [346] er das Städtchen Kaphethra, eigentlich nur ein elendes Nest, im ersten Angriff nahm und verbrannte, während er ein anderes, namens Kapharabis, regelrecht belagern musste. 553 Da seine Mauer sehr stark war, so erwartete er, dass er hier längere Zeit werde verlieren müssen, als man ihm plötzlich von drinnen die Thore öffnete, und die Bewohner sich mit Oelzweigen nahten, um sich den Römern zu ergeben. 554 Nachdem er ihre Unterwerfung entgegengenommen, rückte er gegen eine andere Stadt, das altehrwürdige Hebron, das, wie ich früher gesagt, im Bergland, nicht weit von Jerusalem, liegt. Erst nach einem förmlichen Sturm gelangte er in die Stadt, wo er die ganze mannbare Bevölkerung, die er antraf, niederhauen ließ; die Stadt selbst gab er den Flammen preis. 555 Da auf solche Weise bereits Alles, mit Ausnahme von Herodium, Masada und Machärus, wo die Banditen sich festgesetzt hatten, in den Händen der Römer war, bildete nunmehr Jerusalem für sie das nächste Angriffsobject.

556 (10.) Was den Simon betrifft, so war er, nachdem er sich seine Frau aus den Zeloten herausgeholt hatte, wieder zu den Trümmern des Idumäervolkes zurückgekehrt und eröffnete nun eine allgemeine Treibjagd auf die Nation, die viele aus ihr zur Flucht nach Jerusalem zwang. 557 Doch folgte ihnen Simon auch nach der Hauptstadt, deren Mauern er zum zweitenmal umschloss. Alle Feldarbeiter, die bei ihrem Gang vor die Stadt hinaus in seine Hände fielen, ließ er niederstoßen. 558 Von außen war jetzt das Volk von den Römern und noch mehr von Simon bedroht, im Innern aber von einem Feinde, der schlimmer war, als beide, von den Zeloten, unter welchen sich wieder die galiläische Bande durch ihre Erfindungsgabe im Schlechten und die Verwegenheit in der Ausführung hervorthat. 559 Denn da sie es gewesen, die dem Johannes zur Macht verholfen hatten, so musste sie Johannes seinerseits wieder aus der gewonnenen Machtfülle dafür bezahlen, indem er ihnen alles zu thun erlaubte, was sich ein jeder nur wünschte. 560 Ihre Raublust kannte denn auch keine Grenzen, und ein Vergnügen war es für sie, die reichen Häuser zu durchstöbern, die Männer zu morden und die Frauen zu entehren. 561 Noch bedeckt vom Blute der Opfer, vertranken sie deren erbeutete Habe und entblödeten sich nicht, in ihrem Uebermuthe sich wie die Weiber zu geberden, indem sie sich das Haar gar zierlich kämmten, Frauenkleider anlegten, mit wohlriechenden Salben sich begossen und, um sich schöner zu machen, auch die Augen mit Schminke untermalten; 562 Aber sie ahmten nicht bloß die Putzsucht der Frauen, sondern; auch deren geschlechtlichen Umgang nach und verfielen in ihrer maßloßen Ausschweifung auf die verbotensten Lüste, in denen sie sich wälzten [347] als wäre die Stadt ein einziges großes Buhlenhaus, und mit deren unsauberen Werken sie die ganze Stadt besudelten. 563 So weibisch ihr Aussehen, so blutgierig war ihre Hand, und während sie sich in tänzelndem Schritte nahten, wandelten sie sich urplötzlich in feindliche Krieger, und aus den geckenhaften purpurgefärbten Oberkleidern blitzten Dolche auf, mit denen sie den nächstbesten durchbohrten. 564 Wer dem Johannes entkam, den empfieng der noch mordgierigere Simon, und wer glücklich dem Tyrannen innerhalb der Mauer entwischt war, ward vom Tyrannen vor den Thoren umgebracht. 565 Wer jetzt an ein Ueberlaufen zu den Römern dachte, dem war nun jeder Ausweg abgeschnitten.

566 (11.) Jetzt brach aber gegen Johannes von Seite seines eigenen bewaffneten Anhanges eine Meuterei los, indem sich das idumäische Element darin von dem Tyrannen lossagte und sowohl aus Neid gegen seine Macht, wie auch aus Hass wegen seiner Grausamkeit ihn zu stürzen versuchte. 567 Bei dem nun folgenden Zusammenstoß streckten die Idumäer viele Zeloten nieder, die übrigen jagten sie nach dem von der Grapte, einer Verwandten des Königs Izates von Adiabene erbauten Königshof, 568 drangen gleichzeitig mit ihnen dort ein und warfen die Zeloten auch von da hinaus gegen den Tempel zurück, worauf sie plündernd über die Schätze des Johannes herfielen. 569 Denn der obbemeldete Palast diente dem Johannes zur Residenz, wie auch zur Schatzkammer für die Beute seiner Tyrannei. 570 Unterdessen hatten sich die in der ganzen Stadt zerstreuten Scharen der Zeloten im Tempel um die geflüchteten Kameraden gesammelt, und Johannes rüstete sich an ihrer Spitze bereits zu einem Ausfalle auf das Volk und die Idumäer. 571 Letztere konnten sich einer gewissen Besorgnis nicht erwehren, nicht etwa vor einem offenen Angriff der Zeloten, dem sie sich ja überlegen fühlten, sondern vielmehr bei dem Gedanken an ihre zu allem fähige Stimmung, in der sie des Nachts möglicherweise aus dem Tempel herabschleichen und unter einem allgemeinen Gemetzel die Stadt an allen Ecken in Brand stecken konnten. 572 Man hielt darum eine gemeinsame Berathung mit den Hohenpriestern, wie man sich am besten gegen einen solchen Ueberfall schützen könnte. 573 Gott aber ließ nun gerade diese Pläne zu ihrem Verderben ausschlagen, indem das Heilmittel, das sie sich zu ihrer Rettung ausdachten, noch schlimmer war, als der Tod. Um sich nämlich den Johannes vom Halse zu schaffen, beschloss man, den Simon aufzunehmen und sich auf diese Weise mit vielem Bitten und Flehen – einen zweiten Tyrannen aufzuhalsen. 574 Dieser Beschluss ward auch zur That. Man schickte den Hohenpriester Matthias zu Simon hinaus und ließ den Gefürchteten bitten, in die [348] Stadt zu kommen, eine Bitte, die auch von jenen Bürgern Jerusalems unterstützt wurde, welche sich vor den Zeloten aus der Stadt hatten flüchten müssen, und die jetzt wieder zu Haus und Habe kommen wollten. 575 Mit stolzer Herablassung nahm Simon die angebotene Herrschaft an und hielt darauf, vom Volke als Retter und Schirmer gefeiert, seinen Einzug in die Stadt, scheinbar in der Absicht, Jerusalem von den Zeloten zu befreien: 576 sobald er aber mit seinem Heere drinnen war, nahm er einzig nur auf die eigene Herrschaft Bedacht, und galten ihm jene, die ihn herbeigerufen, nicht weniger als Feinde, wie diejenigen, gegen welcher er zu Hilfe gerufen worden war.

577 (12.) So hatte denn Simon im dritten Jahre des Krieges, im Monate Xanthikus, Jerusalem in seine Gewalt gebracht. Johannes aber und der Zelotenhaufe, denen jetzt der Weg aus dem Tempel in die Stadt abgeschnitten, und dazu die in letzterer gewonnene Beute verloren gegangen war, da die Anhänger Simons auf der Stelle ihre Kostbarkeiten geplündert hatten, befanden sich in einer sehr schwierigen Lage. 578 Unter Beihilfe des Volkes unternahm nun auch Simon einen Sturm auf das Heiligthum, bei welchem jedoch die Zeloten von den Säulenhallen und Zinnen herab so kräftig sich der Angreifer erwehrten, 579 dass eine Menge von den Leuten Simons ins Gras beißen, viele davon verwundet in die Stadt hinabgetragen werden mussten, da die Zeloten von oben herab einen leichten und sicheren Schuss hatten. 580 Zu der schon von Natur aus vortheilhaften Lage kamen dann noch vier gewaltige Thürme, welche die Zeloten zu dem Ende bauten, um von einem noch höheren Punkte aus ihre Wurfgeschosse schleudern zu können: einen bauten sie an der nordöstlichen Ecke des Tempels, 581 den zweiten gerade oberhalb des Xystus, den dritten bei einer anderen Ecke gegenüber der Unterstadt, 582 der letzte endlich ward auf der Zinne der Pastophorien errichtet, an der Stelle, wo nach alter Sitte immer der Priester stand, der mit einem Trompetensignal den Eintritt des Sabbathes am Abend zuvor ankündigte, und so auch wieder sein Ende zur nächsten Vesperzeit, um durch das erste Zeichen das Volk auf die Arbeitsruhe, durch das andere auf die wieder beginnende Arbeitszeit aufmerksam zumachen. 583 Auf diese Thürme vertheilten sie Katapulten und Ballistenmaschinen, Bogenschützen und Schleuderer. 584 Jetzt musste freilich Simon seine Belagerung immer lässiger betreiben, da dem größten Theil seiner Leute der Muth gebrochen war. Doch konnte er dank seinen überlegenen Kräften den Zeloten wenigstens die Wage halten. Was er aber nicht verhindern konnte, das war, dass ihm die weitertragenden Wurfmaschinen viele seiner Kämpfer niederschossen.

[349]
Zehntes Capitel.
Die Vitellianer in Rom. Die Legionen in Judäa rufen Vespasian zum Kaiser aus. Ihnen folgen Aegypten, Mösien und Pannonien. Beschreibung Aegyptens, speciell Alexandriens. Josephus wird von seinen Ketten befreit.

585 (1.) Um dieselbe Zeit hatte auch Rom unter ziemlich schweren Drangsalen zu leiden. 586 Vitellius war nämlich von Germanien her mit seinem Kriegsheere, das noch überdies einen großen Menschentross nach sich schleppte, in Rom erschienen. Da ihm die Kasernen, die sonst den Soldaten angewiesen waren, zu klein wurden, machte er ganz Rom zu einem Lager und füllte jedes Haus mit seinen Soldaten an. 587 Der Anblick des römischen Luxus, der sich da den Soldaten bot, war diesen etwas ganz ungewohntes, und kaum vermochten sie umglitzert auf allen Seiten von Silber und Gold, ihre Gier zu bezähmen, dass sie nicht plündernd darüber herfielen und deren Hüter niedermachten. In solcher Verfassung also waren damals die Dinge in Italien.

588 (2.) Als Vespasian nach der Eroberung der Umgebung Jerusalems wieder nach Cäsarea zurückgekehrt war, erhielt er daselbst die Kunde von den Wirren in Rom und der Thronbesteigung des Vitellius. 589 Obwohl er sich nun ebenso gut aufs Gehorchen, wie aufs Herrschen verstand, so versetzte ihn doch diese Nachricht in hellen Zorn, und er konnte gegen einen Mann, der das sich selbst überlassene Staatsruder zum Spielzeug seiner despotischen Raserei gemacht hatte, nur Verachtung empfinden. 590 Ganz vom Schmerz durchwühlt, vermochte er nicht länger der inneren Qual zu gebieten, noch auch den Krieg gegen eine fremde Nation zu betreiben, während sein eigenes Vaterland zerfleischt ward. 591 Aber so mächtig ihn auch der Unwille zur Rache für dasselbe anspornte, ebenso stark hielt ihn wieder der Gedanke an die große Entfernung von Rom zurück, da er sich sagen musste, es könnte das Geschick in seiner bekannten Tücke, ehe er noch Italiens Boden erreicht haben würde, besonders, da er zur Winterszeit hätte fahren müssen, schon längst wieder mehr als einen Wechsel vollzogen haben. Das war der Grund, dass er die schon aufzuckende Zornesglut noch niederhielt.

592 (3.) Dagegen besprachen sich seine Generäle und Soldaten bereits ganz unverhohlen über eine neue Wendung, die sie selbst den Dingen geben wollten, und schrieen im höchsten Zorne: „Wie? die Soldaten, die in Rom ein Schlaraffenleben führen und schon erzittern, wenn nur ein bloßes Kriegsgerücht ihnen um die Ohren schwirrt, diese schanzen den Männern ihrer Wahl die Herrschaft zu und ernennen sich einen Kaiser, je nach der Aussicht auf einen Gewinn? 593 und wir, die wir soviele Strapazen hinter uns haben, und deren Haar unter [350] dem Kriegshelm bleich geworden, wir sollten anderen Leuten die Macht in den Schoss werfen, obschon wir außerdem einen Mann unter uns haben, welcher des Thrones weit würdiger ist? 594 Wann werden wir denn je noch einen besseren Anlass finden, diesem Manne für das uns bewiesene Wohlwollen den schuldigen Dank zu erstatten, wenn wir diesen Augenblick unbenützt vorübergehen lassen? So hoch der Anspruch des Vespasian auf den Thron über dem des Vitellius, so hoch steht auch unser Recht auf die Kaiserwahl über dem der Vitellianer; 595 denn die Feldzüge, die wir durchgemacht haben, sind wahrhaftig nicht minder strenge gewesen, wie die der germanischen Soldaten, und wir haben uns auch unter den Waffen gewiss nicht weniger ausgezeichnet, als jene, die nur einen Tyrannen aus Germanien nach Italien geleitet haben. 596 Wir werden übrigens keine schwere Mühe haben. Weder der Senat noch das römische Volk wird sich lieber den liederlichen Vitellius statt des anständigen Vespasian gefallen lassen, und sicher werden sie nicht einen der grausamsten Tyrannen lieber zum Vorgesetzten haben wollen, als einen gütigen Kaiser, noch einen kinderlosen Mann, wenn sie einen Vater haben können. Bildet ja doch stets eine legitime Thronfolge die festeste Stütze des Friedens. 597 Soll nun das Scepter in der Hand eines erfahrnen Greises liegen, gut, so haben wir Vespasian, soll es in der kräftigen Faust eines Jünglings ruhen, gut, so haben wir dann den Titus: kurz, es werden sich die Vortheile, die das beiderseitige Alter mit sich bringt, hier miteinander paaren. 598 Wir werden endlich nicht die einzigen bleiben, die jetzt den Erkornen unsere Streitkräfte, in der Starke von drei Legionen sammt den Hilfstruppen der Könige, zur Verfügung stellen, sondern es werden gewiss der ganze Orient und auch Europa, soweit es nichts von Vitellius zu fürchten hat, sowie die zwei Bundesgenossen, die wir in Italien haben, ein Bruder des Vespasian und der andere Sohn desselben, sich auf unsere Seite stellen, 599 von denen der letztere für viele vornehme Jünglinge ein Anziehungspunkt sein wird, während dem andern die Stadtpräfectur anvertraut ist, ein Posten, der für die Besitzergreifung des Thrones nicht wenig entscheidend sein dürfte. 600 Mit einem Worte, wenn wir zaubern, so könnte es sich leicht ereignen, dass der Senat selbst die Ernennung des Mannes vornimmt, den seine eigenen Krieger, weil sie seinen Wert nicht kannten, auch nicht höher steigen lassen wollten.“

601 (4.) Diese und ähnliche Reden wurden unter den Soldaten zunächst nur gruppenweise gewechselt. Dann kam es zu einer allgemeinen Versammlung, in der die Soldaten endlich, einer vom andern angefeuert, Vespasian laut zum Kaiser ausriefen und ihn aufforderten, den wankenden Thron zu retten. 602 Hatte nun Vespasian auch schon [351] längst seine besorgten Blicke auf den römischen Kaiserthron gerichtet, so war es ihm doch keineswegs je in den Sinn gekommen, sich selbst darauf zu setzen, da er, wenngleich von seinen Verdiensten um denselben überzeugt, dennoch den sicheren Privatstand einem Leben voll der Gefahr im kaiserlichen Glanze entschieden vorzog. 603 Je mehr sich aber Vespasian sträubte, desto mehr drangen die Unterfeldherrn in ihn, die Soldaten aber umringten ihn von allen Seiten und drohten sogar mit dem Schwert in der Faust, ihm den Tod zu geben, wenn er nicht sein Leben der Ehre der Krone weihen wolle. 604 Zunächst suchte Vespasian viele Gründe geltend zu machen, die es ihm geböten, die Regierung auszuschlagen: als er aber damit nicht durchdrang, so fügte er sich endlich ihrem Rufe.

605 (5.) Während nun Mucianus und die anderen Führer Vespasian gleich zu einem Angriff auf Vitellius zu bestimmen suchten, und das ganze Heer stürmisch gegen die feindliche Hauptmacht geführt zu werden verlangte, wollte der Kaiser zunächst mit Alexandrien Fühlung bekommen. Einmal wusste er ja zu gut, dass Aegypten wegen seiner Getreidelieferungen für den Besitz der Herrschaft geradezu ausschlaggebend wäre. 606 War er einmal Herr dieses Landes, so konnte er auch im Falle, dass er in offener Feldschlacht den Kürzeren ziehen müsste, sicher hoffen, Vitellius zu Boden zu werfen; denn das Volk in Rom konnte, wie er wusste, eines durchaus nicht ertragen – Hunger leiden! Außerdem wollte sich Vespasian mit den zwei in Alexandrien liegenden Legionen verstärken. 607 Ferner gedachte er gerade diese Provinz zu einer Vormauer gegen unberechenbare Schicksalsschläge zu benützen, da ein Einfall zu Land hier sehr schwierig ist, die Meeresküste aber keinen Hafen besitzt. 608 Gegen Westen sind dem Lande die wasserlosen Wüsten Libyens vorgelagert, nach Süden die Grenzscheide gegen Aethiopien hin, Syene mit den unpassierbaren Stromschnellen des Nil, dann von Osten her das rothe Meer, das es bis Koptus hin umspült, 609 während nach Norden das Land bis Syrien und das sogenannte ägyptische Meer, das ganz arm an Ankerplätzen ist, eine natürliche Schutzwehr für das Land bildet. 610 Auf solche Art ist Aegypten von allen Seiten hin durch die Natur selbst befestigt. Seine Längenausdehnung von Pelusium bis Syene beträgt 2000 Stadien, die Länge der Seeküste von Plinthine bis Pelusium aber 3600 Stadien. 611 Der Nil ist bis zur sogenannten Elephantenstadt hinauf schiffbar, darüber hinaus wird ein weiteres Vordringen durch die vorerwähnten Katarrakten verwehrt. 612 Was den Hafen von Alexandrien betrifft, so ist das Einlaufen schon zu Friedenszeiten für die Schiffe mit Schwierigkeiten verbunden, weil seine Einfahrt enge ist, und das Schiff zur Vermeidung unterseeischer [352] Felsen von der geraden Richtung abweichen muss. 613 Die linke Seite ist durch Quaimauern künstlich befestigt, auf der rechten Seite springt die sogenannte Pharusinsel vor, überragt von einem gewaltigen Thurm, der auf eine Entfernung von 300 Stadien den ankommenden Seefahrern seinen Feuerschein entgegenwirft, damit sie wegen der Schwierigkeit der Einfahrt des Nachts schon von weitem vor Anker gehen können. 614 Rings um dieses Inselchen sind künstliche Steindämme angelegt, an welchen sich die Meereswellen brechen, um dann mit den Wogen, die sich am Damme gegenüber zerschellt, durch die doppelte Brandung den Seeweg recht wild zu gestalten und die Einfahrt wegen ihrer Enge sogar gefährlich zu machen. 615 Im Innern dagegen ist der Hafen ganz sicher und besitzt eine Größe von dreißig Stadien. In diesem Hafen werden alle Producte zugeführt, die dem Lande zu seiner gedeihlichen Entwicklung abgehen, und umgekehrt wird von da wieder der Ueberfluss seiner heimischen Güter in die ganze Welt verfrachtet.

616 (6.) Nach all dem war es nur zu natürlich, dass Vespasian, um seine Kaisermacht auf festere Füße zu stellen, gerade in diesem Lande Herr zu sein wünschte. Er schrieb daher sofort einen Brief an den Procurator Aegyptens in Alexandrien, Tiberius Alexander, in welchem er ihm die Begeisterung seines Heeres meldete und erklärte, dass er selbst nur nothgedrungen sich der Bürde der Regierung unterzogen habe, und ihn nun zur Mithilfe und thätigen Unterstützung einladen möchte. 617 Sobald Alexander das Schreiben gelesen hatte, ließ er auch schon, und zwar mit voller Freude, die Legionen sowohl wie das Volk auf Vespasian beeiden, was beide gerne thaten, da man die Tüchtigkeit des Mannes in seiner Stellung als Feldherrn bereits aus nächster Nähe kannte. 618 Von Vespasian bereits bevollmächtigt, alle Anstalten zur Befestigung der neuen Herrschaft zu treffen, machte sich Alexander nunmehr daran, auch seiner Person einen entsprechenden Empfang zu bereiten. Ueber Erwarten schnell verbreitete sich allerorts das Gerücht von dem im Oriente auftauchenden Kaiser: jede Stadt hielt Freudenfeste für diese Botschaft und brachte Bittopfer für das Wohl des Kaisers dar. 619 Bei den Legionen von Mösien und Pannonien, die noch vor Kurzem wegen des Unterfangens des Vitellius in Gährung waren, herrschte natürlich eine noch größere Freude, da sie Vespasian als ihrem neuen Herrscher den Huldigungseid leisten konnten. 620 Vespasian brach nun von Cäsarea auf und begab sich nach Berytus. Hier erschienen vor ihm bereits viele Gesandtschaften, von Syrien sowohl wie von den andern Provinzen, um ihm im Namen der einzelnen Städte goldene Kränze und Glückwunschadressen zu überreichen. 621 Auch [353] Mucianus, der Statthalter von Syrien, machte ihm hier seine Aufwartung und berichtete ihm von der Begeisterung, die in allen Gauen herrsche, und wie die Eidesleistung in allen Städten ohne Anstand vor sich gienge.

622 (7.) Da die Sache Vespasians überall nach Wunsch gieng, und fast Alles sich ihm zugewendet hatte, so drängte sich ihm jetzt der Gedanke auf, dass er gewiss nicht ohne ein höheres Absehen die Zügel der Regierung in die Hand bekommen, sondern dass ein gerechtes Walten ihm die höchste Macht in die Hand gespielt haben müsse. 623 Er erinnerte sich nämlich jetzt aller Zeichen, die ihm seine Kaiserwürde vorbedeutet hatten, – und deren hatte er an den verschiedensten Orten viele bekommen – darunter aber insbesondere der Aussprüche des Josephus, welcher ihn noch zu Lebzeiten Neros mit dem Worte „Kaiser“ anzusprechen gewagt hatte. 624 Er war ganz erschrocken bei dem Gedanken, dass ein solcher Mann noch in Fesseln an seiner Seite verwahrt würde, und schickte nach Mucianus nebst den andern Führern und Freunden, denen er nun zunächst von dem kühnen Muthe des Josephus erzählte, der ihm die Eroberung von Jotapata so sauer gemacht: 625 hierauf kam er auf dessen Weissagungen, die er, der Kaiser, damals selbst nur für ein Fabricat der Angst gehalten habe, die aber von der Zeit und den Thatsachen als göttliche Eingebungen ausgewiesen worden seien. 626 „Es wäre nun“, schloss der Kaiser, „eine Schande für mich, wenn der, der mir die höchste Würde prophezeit hat und das Organ der Gottesstimme gewesen ist, noch weiter, wie ein anderer Kriegsgefangener, behandelt würde oder das Los eines Gefangenen tragen müsste“. Darauf ließ er den Josephus vor sich kommen und gab den Befehl, ihm seine Ketten abzunehmen, 627 ein Act der Dankbarkeit gegen einen Fremden, welcher natürlich die anwesenden Unterfeldherrn zu den glänzendsten Hoffnungen auch für ihre Person ermuthigen musste. In diesem Moment machte der gleichfalls anwesende Titus seinem Vater die Bemerkung: 628 „Es wäre nur ein Act der Gerechtigkeit, Vater, wenn man dem Josephus mit dem Eisen auch die Schmach nehmen würde. Denn wenn wir seine Schellen nicht einfach entfernen, sondern geradezu zerschlagen, so wird das für ihn soviel bedeuten, als wäre er überhaupt nie ein Gefangener gewesen“. Das pflegt nämlich bei solchen zu geschehen, die widerrechtlich gefesselt worden sind. Der Vorschlag fand Beifall: es musste einer herbeikommen und mit einem Beile die Handschellen durchhauen. 629 So erhielt Josephus zum Lohne für seine Weissagungen die volle Ehrenrettung und galt von jetzt an auch als glaubwürdiger Interpret der Zukunft.

[354]
Eilftes Capitel.
Mucian und Antonius Primus ziehen gegen Vitellius. Verrath des Cäcina. Sieg des Antonius bei Cremona. Sabinus, der Bruder Vespasians, fällt in Rom. Einzug des Antonius. Tod des Vitellius. Vespasian in Aegypten. Titus zieht von dort nach Judäa.

630 (1.) Als Vespasian die Audienzen der verschiedenen Gesandtschaften beendet und überall in gerechter Weise und durch würdige Persönlichkeiten die Verwaltungsstellen besetzt hatte, begab er sich nach Antiochien. 631 Bei näherer Ueberlegung, wohin er sich nun zunächst wenden sollte, hielt er es doch für ersprießlicher, sein Augenmerk der Lage Roms zu schenken, als eine Reise nach Alexandrien zu unternehmen, weil er letzteres ungefährdet, Rom dagegen unter dem Schrecken des Vitellius wusste. 632 Er sandte also an der Spitze einer starken Truppenmacht von Reitern und Fußvolk den Mucianus nach Italien, der sich aber, weil es tief im Winter war, nicht getraute, sein Heer auf dem Seeweg hinüberzubringen, sondern den Landweg über Kappadocien und Phrygien mit ihm einschlug.

633 (2.) Unterdessen hatte sich auch Antonius Primus, der damals gerade eine Commandostelle in Mösien inne hatte, an die Spitze einer der dort stationierten Legionen, der sogenannten dritten Legion, gestellt und rückte in Eilmärschen zu einem entscheidenden Schlage gegen Vitellius heran. 634 Vitellius schickte ihm den Cäcina Alienus mit beträchtlichen Streitkräften entgegen, weil er in diesen Mann wegen seines Sieges über Otho ein großes Vertrauen setzte. In aller Eile brach Cäcina von Rom auf und traf bei Cremona, einer Stadt in Gallien, die aber schon an der Grenze von Italien liegt, auf Antonius. 635 Wie er nun hier die feindlichen Massen und ihre Schlagfertigkeit bemerkte, hatte er nicht den Muth, sich in ein Treffen einzulassen. Da er aber andererseits auch das Verhängnisvolle eines Rückzuges wohl erkannte, so spann er Verrath. 636 Zu diesem Zwecke berief er die Centurionen und Tribunen unter seinem Commando zu einer Berathung und suchte sie dadurch, dass er die Aussichten des Vitellius recht verkleinerte, die Macht des Vespasian dagegen übertrieb, auf die Seite des Antonius zu bringen. 637 „Vitellius“, sagte er, „besitzt ja nur mehr den glänzenden Titel, bei Vespasian aber ist die Macht. Es ist darum für uns das beste, dass wir bei Zeiten aus der Noth eine Tugend machen, und weil uns die bewaffnete Faust vor einer Niederlage nicht mehr retten kann, mit unserer Klugheit der Gefahr die Spitze abbrechen. 638 Denn, was Vespasian anlangt, so ist er stark genug, auch ohne uns das, was ihm noch abgeht, zu gewinnen, während Vitellius auch mit unserer Unterstützung das nicht mehr halten kann, was ihm noch geblieben ist“.

[355] 639 (3.) Aehnlicher Gründe brachte Cäcina eine Menge vor, bis er endlich durchdrang und mit seinem Heere zu Antonius übergieng. 640 Doch in derselben Nacht noch wurden die Soldaten von Reue ergriffen und bekamen wieder Furcht vor ihrem Kriegsherrn, falls er am Ende doch Sieger bleiben sollte. Mit gezückten Schwertern stürmten sie auf Cäcina ein, um ihn niederzustoßen, was sie auch ohne Zweifel gethan hätten, wenn nicht die Tribunen, sogar kniefällig, sie beschworen haben würden, ihm nichts zu thun. 641 Zum Morde kam es nun zwar nicht, doch fesselte man den Verräther, mit dem festen Entschlusse, ihn an Vitellius zu liefern. Sobald Primus von diesen Vorgängen gehört, ließ er auf der Stelle seine Leute aufbrechen und führte sie in Schlachtbereitschaft gegen die Meuterer. 642 Eine kurze Zeit hielten sich diese im Gefechte, dann aber wurden sie auf Cremona zurückgeworfen. An der Spitze seiner Reiter schnitt ihnen Primus überdies auch den Weg in die Stadt ab, umzingelte die Hauptmasse und hieb sie im Angesichte der Stadt zusammen. Mit dem Reste der Fliehenden drang er dann noch in die Stadt selbst ein und gab sie seinen Soldaten zur Plünderung preis. 643 Bei diesem Anlasse fanden eine Menge von fremden Handelsleuten und viele Einheimische, sowie das gesammte Heer des Vitellius, bei 30.200 Mann, ihren Untergang. Von seinen mösischen Truppen verlor Antonius 4500 Leute. 644 Cäcina kam wieder frei und ward zu Vespasian geschickt, um ihm das Geschehene zu melden. Er wurde von Vespasian freundlich aufgenommen und konnte nun mit seinen ganz unverhofft erlangten Auszeichnungen die Blöße seines schwarzen Verrathes zudecken.

645 (4.) Jetzt nahm sich auch Sabinus ein Herz, als er vernahm, dass Antonius schon ganz nahe stehe. Er zog die verschiedenen Abtheilungen der Polizeimannschaft, die für den Nachtdienst bestimmt war, zusammen und besetzte nächtlicherweile das Capitol. 646 Am anderen Tage schlossen sich viele vornehme Männer, darunter auch Domitian, sein Brudersohn, von dessen Einfluss man am meisten für den Sieg erwartete, dem Sabinus an. 647 Vitellius kümmerte sich nun weniger um Primus, war aber desto mehr über die abtrünnigen Anhänger des Sabinus aufgebracht, nach deren edlem Blute es ihn nach seiner angestammten Grausamkeit gelüstete. Er ließ darum auf das Capitol durch jene Truppencorps, die er selbst nach Rom mitgebracht hatte, einen Angriff unternehmen, 648 bei dem von dieser Seite sowohl, wie auch von den Vertheidigern des Tempelberges viele Proben außergewöhnlicher Kühnheit abgelegt wurden, bis endlich doch die germanischen Legionen infolge ihrer Uebermacht den Hügel erstürmten. 649 Domitian und viele römische Rangpersonen entgiengen dem Gemetzel [356] wie durch eine höhere Macht, aber die übrigen wurden sammt und sonders niedergehauen, auch Sabinus ward gefangen, vor Vitellius geführt und vor seinen Augen niedergestoßen. Die Soldaten plünderten sogar die Weihgeschenke und zündeten endlich den Tempel selbst an. 650 Schon am nächsten Tag drang Antonius mit seinen Truppen in die Stadt ein und schlug die Vitellianer, die sich ihm entgegenwarfen, in drei blutigen Zusammenstößen innerhalb der Stadt bis zur Vernichtung. 651 Noch trunken von Wein und noch reichlicher, als sonst – es war ja sein Armensündermahl! – an seiner üppigen Tafel gemästet, wankte Vitellius aus dem Kaiserpalaste, 652 wird aber vom Pöbel sofort durch die Stadt geschleift und nach den entsetzlichsten Misshandlungen und nach aller erdenklichen Schmach mitten in Rom hingeschlachtet, nachdem er acht Monate und fünf Tage regiert hatte, ein Mann, für dessen Schwelgerei nach meiner Meinung selbst das große Römerreich nicht mehr hätte aufkommen können, wenn er noch länger gelebt hätte. 653 Außer dem Kaiser gab es eine Zahl von über 50.000 Leichen! 654 Das hatte sich am dritten des Monates Apelläus abgespielt. Am darauffolgenden Tage rückte Mucianus mit seinem Heere in die Stadt ein und that der weiteren Schlächterei von Seite der Soldaten des Antonius Einhalt, da diese noch immer die Häuser durchstöberten und viele Soldaten des Vitellius, wie auch viele Bürger, die man für seine Anhänger hielt, niedermetzelten, wobei es natürlich der Grimm zu keiner genauen Untersuchung kommen ließ. Mucianus führte dann den Domitian öffentlich auf und stellte ihn dem Volke als Regenten bis zur Ankunft seines Vaters vor. 655 Erst jetzt, wo der Bann von der römischen Bürgerschaft gelöst war, begrüßte auch sie Vespasian als Kaiser und feierte unter einem den Sturz des Vitellius und die Einsetzung Vespasians.

656 (5.) Die Freudenbotschaft über die Vorgänge in Rom erreichte den Vespasian, da er schon in Alexandrien war, wohin denn auch Gesandte aus dem gesammten, ihm jetzt unterstehenden Erdkreise kamen, um ihre Glückwünsche darzubringen. Obschon die größte Stadt nach Rom, erwies sich doch Alexandria für diese Massen als zu klein. 657 Da nunmehr Vespasian seine Regierung im ganzen Reiche anerkannt und die Macht Roms wider alles Erwarten vollständig gesichert sah, wandte er sein Augenmerk wieder dem Rest der Rebellen in Judäa zu. 658 Doch hatte er für seine Person den Wunsch, sich am Ende des Winters nach Rom einzuschiffen, und suchte darum seine Angelegenheiten in Alexandrien rasch zu erledigen: dafür sandte er aber seinen Sohn Titus an der Spitze seiner besten Truppen zur Eroberung Jerusalems ab. 659 Titus marschierte zunächst bis Nikopolis, das von [357] Alexandrien zwanzig Stadien entfernt liegt. Hier schiffte er sich mit seinem Heere auf Kriegsfahrzeugen ein, um den Nil aufwärts zu fahren und bis zur Stadt Thmuis im Gau von Mendes zu gelangen, wo er landete, 660 und dann gieng es wieder zu Fuß nach Tanis, einem kleinen Städtchen, wo man campierte. Die zweite Station war Heracleopolis, die dritte Pelusium, wo er sein Heer zwei Tage rasten ließ. 661 Am dritten Tage durchzog er die Pässe von Pelusium und lagerte nach einem Tagmarsch durch die Wüste beim Tempel des Zeus Kasius, am folgenden aber bei Ostracine, einer ganz wasserlosen Station, wo die Eingebornen sich das Wasser weither bringen lassen müssen. Hierauf kam die Raststation Rhinokorura. 662 Von da gieng es auf dem vierten Marschtag nach Raphia, der ersten Stadt, die schon zu Syrien gehört. 663 Das fünfte Nachtlager bezog Titus in Gaza, worauf er nach Askalon, dann nach Jamnia, endlich nach Joppe und von da nach Cäsarea kam, wo er das ganze Belagerungsheer zu vereinigen gedachte.

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