Jugendleben und Wanderbilder:Band 1:Kapitel 7

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Johanna Schopenhauer: Jugendleben und Wanderbilder
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Siebentes Kapitel.

[50] Es braus’t das Meer, die Wogenhäupter schäumen,
Die Brandung sturmt die Burg des Felsenstrandes,
Und mit dem großen Orlogschiffe treiben
Die Wind’ und Fluthen ihre wilden Spiele,

5
Wie Kinder mit dem leichten Federballe

Wilhelm Müller.

An schönen Sommerabenden, wenn die nur eben noch über dem Horizont schwebende Sonne zur guten Nacht die Erde noch einmal anlächelt, wie eine Mutter ihr entschlummerndes Kind, dann zeigt sich rings umher, im Wiederschein ihrer scheidenden Strahlen, so weit das Auge nur reicht, Alles in überirdischer Klarheit. Die weiteste Ferne ist uns näher gerückt, unverschleiert tritt sie in der nebelfreien Luft uns entgegen, und Gegenstände, an denen wir in der Frühe des thauigen Morgens vorübereilten, die wir später in den zitternden Dünsten, welche in der Hitze der Mittagsstunden der Erde entqualmen, völlig aus den Augen verloren, werden uns wieder sichtbar.

[51] So ist es auch am Abend unsers Lebens, wenn die Sonne desselben ihre letzten Strahlen ausspendet; die meinige neigt sehr merklich dem Untergange sich zu, und indem ich von ihr umleuchtet den Blick noch einmal dem weit hinter mir liegenden Aufgange zuwende, drängt ein buntes Gewimmel der mannigfaltigsten Erscheinungen sich mir entgegen, die ich mit wenigen Strichen leichthin zu skizziren versuchen will, ehe es ganz dunkel wird.

Ein großer Vorzug, der auch mir ward, und den man, wie jeden, mit dem die Natur uns freigebig beschenkte, gewöhnlich sehr spät erst erkennt, ist der, am Ufer des Meeres, im Angesicht desselben, möchte ich sagen, das Tageslicht zuerst zu erblicken. Wie oft habe ich das späterhin im Binnenlande sehnsüchtig empfunden, wenn Abends ein dunkelblauer, am flachen Horizont sich hinziehender Streifen mit lieber Illusion mich täuschte.

Was dem Schweizer seine Alpen mit ihrem würzigen Kräuterduft, das ist uns, am Ufer des Meeres Gebornen, sein frischer Hauch, der Anblick der ewig bewegten, unabsehbaren Fläche, das nie verhallende Gebrause seiner Wogen; entfernt vom Meer werden wir der Sehnsucht darnach niemals los. Kein Strom der Welt, nicht der Rhein mit [52] seinen paradiesisch schönen Ufern, nicht die Donau, sogar nicht die Elbe und die Themse mit ihren großen, prächtig einhersegelnden Seeschiffen und dem zum Himmel aufstarrenden Walde von Masten in ihren Häfen, vermag uns Ersatz dafür zu bieten.

Daß es Leute geben könne, welche die See nie gesehen, kam als Kind mir ganz fabelhaft vor, späterhin fühlte ich wahres Mitleid mit den Berlinern und andern Fremden, die zur großen, vier Wochen währenden Dominiksmesse nach Danzig gekommen, meine Eltern besuchten. Spät Abends stand ich, wenn im Hause alles stille war, am Fenster auf dem Gange, und lauschte mit einem ganz unaussprechlichen Gefühl auf die feierliche eintönige Melodie des bei gänzlicher Windstille aus den tiefsten Tiefen der spiegelglatten See zuweilen aufsteigenden Gebrauses, dieses Aufathmens der nächtlich ruhenden Natur.

Morgen giebt es schön Wetter, die See raart, sprach dann wohl Adam, oder wer sonst von unsern Leuten an mir vorüber ging, die See raart! mir graus’te ein wenig bei dem wunderlichen Wort, aber doch blieb ich an meinem Fenster.

Wie gern möchte ich nur noch einmal die See raaren hören! von so manchem, das mir lieb war, [53] bin ich jetzt unwiederbringlich geschieden, und weiß es; doch von dem Gedanken, daß mir so gar keine Hoffnung geblieben, jemals das Meer wieder zu sehen, wende ich immer mich ab.