Käthchen Murat, die amerikanische Prinzessin

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Autor: L. B.
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Titel: Käthchen Murat, die amerikanische Prinzessin
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 32, S. 504–506
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Käthchen Murat, Gattin von Napoléon Achille Murat
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Käthchen Murat, die amerikanische Prinzessin.


Vor einigen Wochen heirathete Miß Elise Dillon, ein bildschönes Mädchen aus St. Louis in Missouri, den Grafen Roger de la Vaulx, den sie auf einer Reise durch Frankreich kennen gelernt hatte. Die Hochzeit wurde auf dem Schlosse des Schwiegervaters, Château de Rosoy, in der Nähe von Paris, mit fürstlichem Pomp gefeiert. In allen fashionablen Familien der ganzen Union war die gräfliche Heirath für ein paar Tage lang der herrschende Gegenstand der Unterhaltung. Die englischen Zeitungen erzählten den Vorgang mit großem Wohlbehagen und von manchen süßen Lippen drangen Hoffnungsworte in die Herzen der Väter und Mütter nach einer Reise in’s Land

Wo die Barone blüh’n,
In Grafenkronen Diamanten glüh’n!

In der That, die amerikanische Demokratie hat ihre wunderlichen Seiten. Die Amerikaner nennen sich ein Volk von Souverainen. Die Töchter der Souveraine freien Barone, Grafen, Herzöge und Fürstensöhne! Auch die Schweizer sind Republikaner, auch die Römer, die Athenienser und die Spartaner waren es, ja die „Republik“ Frankfurt a. M. entlockte zur Zeit ihrer Einverleibung mit Preußen dem dortigen amerikanischen Consul, Herrn Murphy, eine spröde Beileidsthräne; doch wußte ich nicht, daß sich die Bürger von irgend einer dieser Republiken jemals Souveraine genannt, und nur die Amerikaner bezeichnen meines Wissens mit diesem Ausdruck das ihnen eigenthümliche stolze Bürgerthum.

Sehen sich Deutsche oder Franzosen irgendwo in Europa nach demokratischen Elementen um, so richten sie ihre Blicke gewöhnlich tief unten nach den dunkelsten Schichten der Gesellschaft. Sie begreifen kaum, daß die Demokratie auch auf den Höhen des Reichthums und der Bildung hausen könne. Unter den „Armen und Elenden“ suchen sie die Demokratie. Nur der Amerikaner sucht sie um sich und über sich. Er drängt sich auf Reisen an die Höfe, zu den reichen, gebildeten, unabhängigen Classen, zu denen, die den Souverainen am nächsten stehen, zu seines Gleichen. Er findet durchaus nicht, daß es in Europa zu viele Herren gäbe, nur weniger Diener wären nach seinem Geschmack. Doch ist jeder Souverain ein Aristokrat – und so ist es auch der Amerikaner. Aber gerade diese Erscheinung, die ein ganz eigenes, neues und tüchtiges republikanisches Leben verräth, wird in den Köpfen kleiner Menschen nur allzuhäufig zur Caricatur, und es ist gewiß eine widerliche Verzerrung eines Bildes von demokratischer Souverainetät, wenn reiche amerikanische Familien, die ihr Glück und ihre souveraine Existenz gerade ihrem siegreichen Kampfe gegen das alte Feudalwesen verdanken, ihren Glanz dadurch zu erhöhen streben, daß sie sich mit alten europäischen Adelsfamilien verbinden und mit der Schönheit und Liebenswürdigkeit ihrer Töchter, oft sogar nur mit ihrem Reichthum, eine Grafen- und Herzogskrone als Emblem für ihren Kutschenschlag erkaufen.

Nur äußerst selten, wenigstens sind mir die Fälle nicht bekannt, heirathet einer unserer amerikanischen Crösusse eine europäische Dame von Adel. Ist die europäische Adelige reich, so [505] findet sie leicht einen Gatten ihres eigenen Standes, ist sie arm, so denkt der unromantische amerikanische Crösus viel zu positiv, um nicht eine begüterte amerikanische Souverainin einem europäischen Stammbaume vorzuziehen, zumal ihm die Verbindung nicht einmal einen Titel einbringt; die reiche Amerikanerin dagegen, die ihre Bildung ausschließlich aus Romanen geschöpft, empfängt soviel als sie giebt. Durch ihren Reichthum kann sie den Glanz einer abgehausten Adelsfamilie wieder erneuern, während sie selbst durch die Verbindung wenigstens zu einer Titular-Baronin, Gräfin oder Fürstin wird.

Handelt es sich gar um Ehen zwischen amerikanischen Erbinnen und Angehörigen des neuen europäischen Adels, dann stehen die Contrahenten nahezu aufs demselben Plan. Hier begegnet der Parvenu dem Parvenu auf halbem Wege, und jüngst erst angeflogener Reichthum ist ein ganz passender Tauschwerth für jüngst erst erworbenen Adel. Im Gegentheil scheinen mir solche Ehen auf’s Allerprägnanteste die Brücke von der Scheinmonarchie in die wirkliche Republik zu bezeichnen. Dort hat die echte Monarchie bereits ihr Fundament verloren, hier hat die wahre Demokratie ihr echtes Fundament noch nicht gefunden, so daß sich in der That zwei sehr nahe befreundete Principien alliiren, wenn sich die Enkel Napoleons mit den Enkeln George Washington’s vermählen.

Und in der That besteht neben vielen Verbindungen dieser Art eine Ehe in den Vereinigten Staaten, welche den Gründer der Monarchie der Parvenus mit dem Gründer der Republik der Parvenus auf demselben Stammbaum sehr nahe vereinigt. Ich spreche von der Ehe zwischen dem Prinzen Napoleon Achille Murat, dem ältesten Sohn des berühmten Parvenu-Königs von Neapel, also einem Neffen des Kaisers, und Fräulein Käthchen Willis, einer Großnichte von George Washington. Wären Kinder aus dieser Ehe hervorgegangen, sie würden unter ihren Seitenverwandten vom Vater her Napoleon den Ersten und den Dritten, und von der Mutter her den Vater dieser Republik in ihrem Stammbaume aufführen können. Ich will die Geschichte dieser Verbindung erzählen, sie macht meine deutschen Leserinnen mit einem vortrefflichen amerikanischen Weibe bekannt.

Frau „Kate“ Murat, oder kurzweg „die Prinzessin“, wie sie Jedermann in Florida heißt, war die Tochter eines Doctors Byrd Willis, eines Neffen von George Washington, der als Flottenbeamter in Pensacola stand und ein bedeutendes Vermögen besaß. Im Alter von fünfzehn Jahren verheirathete sich Käthchen. Mit sechszehn Jahren ward sie Mutter. Nach wenigen Monaten starb ihr Mann und bald darauf auch ihr Kind. Sie litt eine Zeit lang an schwerem Herzeleid, doch raffte sie sich wieder auf und es war ihr dann, als sei sie zum zweiten Mal Mädchen geworden. Als Frau inmitten einer hochgebildeten virginischen Familie hatte Käthchen entdeckt, daß sie in allen Schulkenntnissen weit hinter ihren Standesgenossinnen zurückgeblieben, und sie besuchte deshalb auf’s Neue eine zwei Meilen von ihrer Wohnung im Walde gelegene Schule, wohin sie jeden Tag mit ihren Cameradinnen, beladen mit Büchern und Rechentafel, wallfahrtete.

Um die Zeit ihrer wiedergewonnenen Ruhe verlor ihr Vater einen Proceß und damit sein ganzes Vermögen. Unfähig, mitten unter reichen Bekannten in Südcarolina blos von seinem Amte zu leben und zeigen zu müssen, daß er nur das Brod des Arbeiters esse, verließ Herr Willis mit seiner Familie die alte Heimath, wanderte nach Florida aus, baute sich mitten im Wald aus Baumstämmen ein Haus und versuchte es, durch ärztliche Praxis seinen Unterhalt zu verdienen und vielleicht auf’s Neue den Wohlstand seiner Familie zu begründen.

Käthchen fand sich mit bewundernswerthem Gleichmuthe und Geschick in die neue Lage. Statt der eleganten Gespielinnen ihrer Jugend verkehrte sie mit Indianermädchen und befreundete sich die Thierwelt des Waldes. Statt der Perlen und Diamanten, die sie im Haar getragen, schmückten jetzt Anemonen ihre blendenden Schläfe. Sie war es, die junge Wittwe von sechszehn Sommern, die das Herz ihrer gebeugten Mutter aufrichtete, und am Abend erquickte sie den von fernen Besuchen heimkehrenden Vater durch heitere Rede und ihre freudige Zuversicht.

Damals war es auch, im Herbst des Jahres 1821, als Prinz Napoleon Achille Murat den Boden Amerikas betrat. Vor sechs Jahren war sein tapferer Vater im Schlosse Pozzi durch ein Kriegsgericht zum Tode verurtheilt und in einem der Säle alsbald erschossen worden. „Zielt nach dem Herzen, Jungens,“ hatte er dem Peloton zugerufen, „und schont das Gesicht!“ denn der einstige Kellner im Hause des Vaters und der spätere Aufwärter in einem Pariser Café war der tapferste Soldat in des Kaisers Armee, aber auch der größte Geck in der damaligen Welt. In seiner Todesstunde dachte er an sein Paradebett, auf dem er nicht mit zerschossenem Gesicht sich sehen lassen wollte. Sein Sohn, der Parvenu-Erbe des Thrones, der so lange von den Vorfahren König Bomba’s geschändet wurde, flüchtete sich zuerst mit seiner Mutter Carolina, der liebenswürdigen Schwester des Kaisers, nach Oesterreich und wendete sich dann in seiner Sehnsucht nach noch tieferer Ruhe den Wäldern Nordamerikas zu. Er brachte wohl ein tüchtiges Stück Geld mit herüber und kaufte eine große Strecke Landes in Jefferson County, in Florida, wo er nach echter Franzosenart im vertrautesten Verkehr mit den Indianern lebte. Der Ruhm des Kaiserreichs war auch bis zu den Wilden in Florida gedrungen, dem flüchtigen Napoleoniden brachten sie Freundschaft und die Versicherung ewigen Friedens entgegen. Niemals, selbst als nach einigen Jahren der blutige Indianerkrieg in Florida geführt wurde, haben sie dem „französischen Häuptling“ das Wort gebrochen.

Prinz Achille war ein Weiberfeind. Auf den Höhen, auf denen Fürsten leben, lernt man nur selten die Frauen von der schönsten Seite kennen. Als ihn daher Oberst Gadsden, der noch heute in der Nähe der Plantage des Prinzen lebt, aufmerksam machte, wie er in der Gesellschaft der reizenden Käthe vielleicht über manche Stunde trüber Erinnerung wegkommen könne, da lehnte er es aus Weiberhaß ab, ihre Bekanntschaft zu machen. Doch führte ihn der Zufall auf einsamen Waldwegen kurz nach seiner Ankunft in der Gegend ihrem Vater zu. Es zeigte sich, daß beide Männer gleich große Verehrer Shakespeare’s und der classischen Dichter waren, und die Sehnsucht nach geistvoller Unterhaltung überwand am Ende seine Abneigung, der schönen Wittwe zu begegnen. Er ward bald der tägliche Gast im Hause des armen Arztes und dessen unentbehrlicher Liebling. Aber schon nach den ersten Tagen kam er nicht mehr des Vaters wegen. Er hatte ein wunderbares Wesen kennen gelernt, das alle seine Gedanken ausschließlich in Anspruch nahm. Käthe war das schönste Weib, das er jemals gesehen. Fast noch ein Kind, und doch voll hoher, reifer Weiblichkeit; nicht nur die zärtliche Tochter, sondern zugleich die hülf- und trostreiche Freundin ihrer Mutter; die zierlichsten Hände, und doch zogen sie an rostiger Kette den schweren Eimer in die Höhe; die zartesten Füße, und doch eilten sie durch knorrige Waldpfade der läutenden Kuh entgegen. Sie schien eine Fürstin, und doch that sie Dienste einer Magd. Sie hatte wenig gelernt, aber wenn sie sprach, so sprach sie mit der ganzen Sicherheit und Eleganz gebildeter Frauen. Wäre sie auch nur halb von dem gewesen, was sie wirklich war, auf dem Hintergrunde der Gesellschaft von Florida und in dem öden Herzen des Flüchtlings mußte sie doppelt liebreich und begehrenswerth erscheinen. Käthchen hatte ohne die entfernteste Absicht den Sohn des unüberwindlichen Mürat überwunden. Dem verarmten Kinde gegenüber war der flüchtige Königssohn immer noch reich, und so rasch sich sein Herz ihr zugewendet, glaubte er auch des klugen jungen Weibes Verstand zu seinen Gunsten bestimmt zu haben.

Er hatte sich geirrt. In der ganzen Familie liebte ihn aufrichtig und ganz nur der Vater. Den beiden Frauen war er bisher nur ein angenehmer, interessanter Gesellschafter. Der Prinz galt der stolzen virginischen Mutter als nichts Besonderes; der Fremde und der Flüchtling war ihr sogar anstößig. Die Tochter bedachte nicht einmal die äußere Lage ihres Bewerbers. Es war in ihrem Herzen noch kein Raum für ihn; da lebte noch die Liebe für den früh verlorenen Gatten und die Erinnerung an ihr süßes Kind. Des Prinzen stumme Bewerbungen blieben unerhört und unermuntert, und nach schwerem Kampfe mit sich selbst ermannte er sich und verließ das Haus der Geliebten; wie er dachte, für immer! Doch schon nach wenigen Wochen lenkte der Zufall seine Schritte wieder auf die Straße, die nach Käthchens Haus führte. Gerade wie er in sie einbog, lag eine eben getödtete mächtige Klapperschlange auf dem Wege. „Das ist ein gutes Zeichen,“ rief er aus. „Das Gift ist weg, aber schön ist sie noch, wie sie immer gewesen!“ Und frischen Muthes ritt er auf das Haus zu.

Erzählte ich einen Roman, so würde ich mich bemühen, meinen Lesern zu verrathen, was während des Ausbleibens des Prinzen im Herzen der jungen Amerikanerin vorgegangen. Errathen [506] könnte ich es vielleicht. Aber ich will es nicht, denn ich erzähle eine wahrhaftige Geschichte, die, wie jedes wirkliche Menschenleben, ihre ungelösten Räthsel hat. Als der Prinz eintrat, streckte ihm Käthchen ihre beiden Hände entgegen. Der Prinz preßte sie an seine Lippen und nach kurzer Verständigung war der Bund für’s Leben geschlossen.

Käthe war dem abenteuerlichen Manne eine treue Gattin. Sie war es, die der ganzen Oekonomie und dem weitläufigen, halb indianisch, halb europäisch fürstlich eingerichteten Haushalt vorstand; denn zwischen Studien, verschwenderischen Experimenten und wildem Indianerleben hätte neues Elend der jungen Ehe gewartet, wenn die „Prinzessin“ selbst nicht den Excessen ihres wunderlichen Gemahls die gefährlichen Spitzen abgebrochen hätte. Die Indianer blieben ihnen immer treu. Ein einziges Mal drang ein Häuptling mit fünf seiner bemalten Krieger in Abwesenheit des Prinzen in sein Haus. Sie forderten mit drohenden Geberden Whiskey. Käthe hörte den Lärm und trat mit den Worten: „Seid Ihr Räuber oder ehrliche Freunde des Prinzen?“ mitten unter sie. Ohne eine Silbe zu erwidern, entfernten sich die Wilden. Doch vermied man im Hause des Nachts Licht oder Feuer anzuzünden, um die umherschweifenden Banden nicht nach dem Hause zu locken. In einer jener trüben Nächte saß Käthchen am Bette ihres todtkranken Gatten. „Ich wagte nicht ein Licht anzustecken,“ erzählte die Prinzessin einem meiner Freunde, „und leise griff ich nach seinem Puls oder neigte mein Ohr zu seinem Mund, um zu fühlen und zu hören, ob er noch lebe, da ich ihn nicht sehen konnte!“

Im Jahre 1847 starb Achille, und seit den letzten zwanzig Jahren lebt die tapfere Frau durch alle Stürme muthig dahin, umgeben von ihren treuen Negern, die selbst heute, nach ihrer Freilassung, ihr Hausgesinde bilden. Während des Krieges verkaufte sie all’ ihr Silberzeug und Geschmeide und unterstützte mit dem Ertrage kranke Soldaten und die Wittwen und Waisen verunglückter Kämpfer für die „verlorene Sache“. The lost cause, so nennt man allgemein im Süden die große Rebellion. Nach Beendigung des Kampfes, der sie nicht weniger als den ganzen Landadel des Südens verarmt hatte, machte sie einen Besuch am Hofe in Paris, wo sie der Kaiser als eine nahe Verwandte mit größter Auszeichnung behandelte. Beim Abschiede sicherte er ihr eine lebenslängliche Apanage von zehntausend Dollars pro Jahr zu.

Der Hof der Tuilerien hatte keinen Reiz für Frau Mürat. Nach wenigen Monaten erfaßte sie eine unwiderstehliche Sehnsucht nach ihrem stillen Aufenthalt bei Talahassee und nach ihren getreuen Schwarzen. Dort haben sie erst kürzlich Verwandte aus meiner nächsten Bekanntschaft besucht und sie mir bei ihrer Rückkehr als eine Matrone von seltener Schönheit und vom einnehmendsten Wesen geschildert. „Eine republikanische Fürstin an Leib und Seele“ nannte sie einer ihrer jüngeren Vettern! Gern verstehe ich mich dazu, ihm zu glauben und ihm den paradoxen Ausdruck zu verzeihen.

     St. Louis.
L. B.