Kaiser Friedrich II. Der Wegbereiter der Renaissance/II. Die Sehnsucht nach der Wiedergeburt der Welt

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II. Die Sehnsucht nach der Wiedergeburt der Welt

„Da liegt das Ungeheuer, der Auszug und Widerspruch der Zeit! Ihr Kind und die Züge der Mutter verleugnend, ihr vorausgeeilt und hinter ihr zurückgeblieben, der Gründer des Staates und der Verächter!“ So läßt in einem hinterlassenem Fragment Konrad Ferdinand Meyer den Petrus de Vinea im Angesicht des schlafenden Kaisers sprechen. Der ahnungsvolle Dichtergeist hätte fast mit diesem kurzen Worte die weltgeschichtliche Stellung des Staufers erfaßt. Friedrich II. gehört mehr dem um ihn herum leidenschaftlich bald hier bald dort aufstrebenden Neuen als der versinkenden Welt des Mittelalters an. Das große Sehnen seiner Zeit nach dem Neuwerden hat er mit dem Instinkte des Genies erkannt, das Wesensverwandte davon in sich aufgenommen und das Wesensfremde sich dienstbar gemacht.

Dieses Sehnen ist so alt wie das armselige und königliche Geschlecht der Erdenkinder. Es wird erst mit diesen verwehen. In der mittelalterlichen Weltanschauung nimmt es erhabene Formen an: einmal in der Lehre von den Sakramenten der Wiedergeburt, sodann in den Erwartungen, daß ein großer gewaltiger Kaiser-Heiland vor dem Ende der Tage die Welt von dem Fluch, der auf dem eisernen Zeitalter liegt, in dem die Menschen stets zu leben wähnen, befreien wird.

Das gewaltige Ringen der Heinriche und Friedriche mit den Gregoren und Innocenzen wühlte einen großen Teil der abendländischen Geisteswelt in seinen tiefsten Tiefen auf. Die mittelalterliche Verquickung von Geistlichem und Weltlichem, mochte sie auch eine zwangsläufige Folge der geschichtlichen Entwicklung sein, warf ihre verhüllenden Schatten auf die rein geistige Idee des allgemeinen zu Gott strebenden Seelenstaates. Als das von weiteren Kreisen erkannt wurde, erwachte die Sehnsucht nach der Ursprünglichkeit des Christentums in der apostolischen Zeit. Und das um so mehr, als die Kreuzzüge wie ein Gottesgericht über die Verweltlichung der Kirche erschienen. Das rührende kindliche Vertrauen der zur heiligen Heerfahrt Ausziehenden, daß der von der Autorität der Kirche behauptete Erfolg eintreten müsse, wurde furchtbar enttäuscht. Man fing an, irre zu werden an dieser Kirche. Es kam hinzu, daß man im Morgenlande auch bei den Heiden eine Sittlichkeit kennen lernte, welche freigeboren sich auch frei betätigte und nur zu oft die Christen beschämte. Es gab also auch außerhalb der kirchlichen Erziehungsanstalt gute Menschen. Hier quälte seit alledem eine furchtbare Gewissensnot, dort nagte zerstörender Zweifel. Während hier leidenschaftlich die Idee des Papsttums und der Kirche als Prinzip der alle menschlichen Lebensäußerungen beherrschenden geistigen Ordnung der Welt immer schärfer herausgearbeitet wurde, kehrt dort eine nicht mehr verstummende Kritik den gefährlichen Stachel zuerst gegen die weltlichen Bestrebungen des Papsttums, dann aber auch gegen die dogmatische Grundlage des mittelalterlichen Kirchentums. Viele ziehen sich – zu schwach oder zu müde für geistige Kämpfe – in die Einsamkeit zurück, um sich selbst zu suchen und zu finden, viele aber, denen die Lehre der Kirche in ihrer Ausprägung durch das Papsttum keine Befriedigung mehr bot, mühen sich ab, in freier Gedankenarbeit eine echte christliche Lehre aus dem Gewirr der Dogmen herauszuschälen. Diese Wahrheit will man, gelöst vom Gängelbande der Kirche, in das Leben überführen.

Das religiöse Ringen der Zeit wird persönlich in Joachim von Fiore. Ein Phänomen in seinem Jahrhundert, eine geistige Großmacht wie Augustinus! Wie wenige kennen ihn, den grübelnden Denker, den Abt des weltentlegenen Klosters Fiore in Kalabrien. Während er lebte und seine Bücher schrieb, drang sein Name nicht über die Mauern seines Klosters im Silagebirge hinaus. Etwa 1130 wurde er geboren; er starb 1202 in seiner Abtei. Die Legende erzählt – und sie mag recht haben –, daß er sich am sizilischen Königshofe, wo neue geistige Gedanken sich zu regen begannen, in seiner Jugend aufgehalten habe, [14] daß er eine Fahrt zum Heiligen Lande unternahm und auch die Kaiserstadt am Bosporus und die Haarspaltereien der dortigen Theologen kennen lernte. Wir wissen, daß er zu Heinrich VI. in Beziehung stand und auch zu einigen Päpsten.

Das Leben dieses strengen Asketen, der das Mönchtum straffte, der mit Kirche und weltlichen Mächten in einem guten Einvernehmen stand, hat gewiß nichts besonders Anziehendes; aber seine Schriften sollten ihn überleben und berühmt machen. Die in diesen niedergelegten Gedanken, die schon in den Zeiten Friedrichs II. – weniger in ihrem echten Gehalte, mehr in tendenziöser Verzerrung – so unendlich das geistige Leben beeinflussen sollten, offenbaren die überraschende Tatsache, daß jener die heiligen Schriften deutende Grübler die Kräfte des kommenden Jahrhunderts in sich wirksam fühlte, daß er „kein Fanatiker seiner Überzeugung, kein Ketzer im Sinne des Kirchenglaubens, aber ein Unzeitgemäßer“ war, dessen Ideen, wenn sie ausreiften, wenn sie von anderen aufgegriffen und für den Kampf des Tages verarbeitet wurden, der gesamten mittelalterlichen Weltanschauung ungemein gefährlich werden konnten.

Joachims Lehre verdankt ihren wesentlichen Begriff des „Ewigen Evangelium“ „der pneumatischen Lehre des Johanneischen Christus von der inneren Wiedergeburt im heiligen, göttlichen Geist der Wahrheit“. Entsprechend der göttlichen Trinität entwickelt Joachim, die Bücher des Alten und Neuen Testaments typologisch deutend, seine Dreizeitenlehre. Das erste Zeitalter Gott des Vaters ist das Zeitalter des Alten Testaments, des Gesetzes, des Wissens, des knechtischen Sinns, der Furcht; das zweite Zeitalter Gott des Sohnes ist das Zeitalter des Neuen Testaments, der Gnade, der Weisheit, des kirchlichen Dienstes, des Glaubens; das dritte Zeitalter Gott des Heiligen Geistes ist das Zeitalter des Ewigen Evangelium, der reicheren Gnade, der Vollkommenheit des Intellektes, der Freiheit, der Caritas. Das Buchstabenevangelium ist zeitlich; das ewige ist im Geiste und deshalb unvergänglich. Das sind die wesentlichsten Teile der Lehre dieses Kalabreser Denkers. Weltgeschichtlich an dieser Lehre war, daß Joachim „im Evangelium Christi nicht den letzten Grad aller irdisch möglichen Wahrheit erblickte, daß er den augustinischen Katholizismus zur Vorstufe eines irdischen Vollkommenheitszustandes herabdrückte. Das bedeutete die Loslösung von einer Jahrhunderte alten Tradition, einer Tradition, die nicht nur das gelehrte Wissen, sondern auch die religiös-philosophische Lebenshaltung einer ganzen Kultur leitete.“ Joachim vertröstete nicht auf ein zeit- und raumtranszendentes Jenseits; er glaubte an ein diesseitiges Zukunftsideal; er überträgt den Gedanken der Vervollkommnung aus der himmlischen Transzendenz in die Zukunft der Menschheit. Das Zeitalter des Neuwerdens des leiblichen Menschen sieht er hier auf Erden. Lauter denn irgend ein anderer zuvor rief er das zündende, folgenschwere Wort: „Reformation“ in die Welt. Seine Lehre von der wiedergeborenen, auf sich selbst gestellten Menschheit eines dritten Reiches des Geistes, nicht im Übersinnlichen, sondern in der Wirklichkeit dieser Erde, sollte eine zunächst verborgen und geheimnisvoll wirkende Triebkraft werden und sich schließlich im vergeistigten apollinischen Imperium der Renaissancekultur, das dem weltlichen und geistlichen folgen sollte, vollenden. Für die religiöse Bewegung der Folgezeit bedeutsam war auch Joachims Lehre, daß die Quelle der aus dem Herzen aufsteigenden Frömmigkeit nicht im engen Umkreis des kalten, unwandelbaren Dogmas, sondern in dem von der lebendigen Sonne bestrahlten grenzenlosen Lande der menschlichen Phantasie zu suchen sei: „Der wahre Mönch“, so sagt er, „soll nichts sein Eigen nennen als seine Harfe!“ Die abgeklärte Heiterkeit des gottbegeisterten Sängers spricht aus diesem einen Worte.

Solche Gedanken des Fioreser Abtes konnten mit nicht allzuschwerer Umbiegung kirchlich-revolutionäre Färbung annehmen. Sie kamen dem von der verweltlichten Kirche sich abkehrenden Sehnen der sektirerischen Bewegung nach Vergeistigung ja weit entgegen. Alle, die da Zornesworte gegen die Kurie [15] schleuderten und in gellendem Aufschrei zur Buße mahnten, mochten sie sich Katharer, Amalrikaner, Ortliebiten nennen, schöpften mehr oder minder aus der Gedankenwelt Joachims. Durch die glühenden Bußpredigten dieser Häretiker wird der Gedanke der geistigen Wiedergeburt, der Reformation, der Selbsterhöhung, dem sie leidenschaftlich immer wieder Ausdruck geben, das Schlagwort einer erlösungsbedürftigen Zeit. Die Verweltlichung des kirchlichen Gedankens, der da nicht von dieser Welt sein sollte, drohte dessen Wirkungen zu hemmen, ja, lahmzulegen. Sie bedingte den geistigen Gegenspieler: die Idee der Notwendigkeit einer unbedingten Abkehr vom Weltlichen und völliges Aufgehen in einem mystischen Erleben des Göttlichen, das das Dogma nicht leugnete, aber hinter sich ließ.

Abb. 16. Friedrich II. Chron. reg. Colon.

Schon vor Joachim ging die Mystik eines Bernhard von Clairveaux, der ernstlich niemals daran dachte, den Boden seiner Kirche zu verlassen, in ein visionäres Gottschauen über: „Dich selbst gewissermaßen zu verlieren, als wärest du ein Nichts, dein eigenes Selbst nicht mehr zu fühlen und von dir selbst erlöst und fast vernichtet zu werden, das ist himmlisches Leben, kein menschlicher Zustand!“ In dieser göttlichen Trunkenheit werden die Begriffe zu nebelhaften Schemen. Der Weg von dieser Mystik zur Verneinung des Dogmas war nicht weit.

Ein anderer gottseliger Frommer, Franz von Assisi, will die Welt erobern, ohne ihr zu verfallen. Auch bei ihm bricht die Frömmigkeit aus dem Innersten seines Wesens hervor. Dogma und Buchstaben hält diese in Ehren, aber nennt sie nicht. Theologische Gelehrsamkeit ist dem Apostel der Armut eine Quelle des Hochmuts und ein Hemmschuh einer reinen, gottesfrohen Heiterkeit des Lebens. Die Gedanken Joachims haben ihn berührt. Auch er will, wie [16] dieser, die Menschen zur Einfachheit des apostolischen Lebens reformieren, zurückformen. Die Sehnsucht nach Wiedergeburt gewinnt mit dem tiefen Eindruck, den diese wunderliebliche Persönlichkeit machte, ungeheuer an Kraft. Noch ein Weiteres! Dieser Heilige steht inmitten der Wunder der Natur. Die Schönheit der Umwelt singt ihm das Lob des Schöpfers. Ein Fleckchen im Garten, so befiehlt er den Brüdern, soll nur mit Blumen bestellt werden. Die ganze Natur ist für ihn beseelt. Ein starkes, durch Gottesliebe vertieftes Naturgefühl ist in ihm wirksam. In allem Lebendigen spürt er den Odem Gottes. Mit ihm beginnt eine neue Epoche. Nicht den Heiligen, wohl aber die Nachgeborenen, die in seinem weiterwirkenden milden Banne standen, hat das durch Franz geweckte Naturgefühl, dieses lebendige Erfassen der Wirklichkeit der Außenwelt, von dem mittelalterlichen Zauber und Wunder weg zur voraussetzungslosen Erkenntnis der Natur rein um der Erkenntnis willen geführt. Die so von Franz eingeleitete Wiedergeburt der Zeiten kündete sich aber auch in seinem lebhaften Empfinden für Musik und Poesie an. Er nennt sich und seine Schüler Gaukler, fahrende Sänger des Herrn, die durch ihre Lobgesänge die Menschen erheben sollen. Ein tiefer innerlicher Drang machte ihn zum Sänger. Einer seiner Biographen erzählt: „Die süßeste Melodie des Geistes, die in ihm glühte, trat in französischen Lauten nach außen. Und die Ader göttlichen Flüsterns, die verstohlen sein Ohr aufnahm, brach in französische Jubelworte aus. Dann begleitete er sich wohl zum Schein selbst auf der Viola. Bisweilen nahm er, wie wir es mit unseren Augen gesehen, ein Stück Holz von der Erde auf, legte es auf den linken Arm und hielt in der Rechten einen mit einem Faden bespannten Stab. Dann zog er über das Holz wie auf einer Viola und sang, die passenden Gesten dazu machend, auf französisch vom Herrn. Häufig endeten diese Dreischrittänze in Tränen, und der Jubel wandelte sich in eine Mitleidsklage um den Herrn.“ Dieser des Gottes volle Mensch mußte zum Dichter werden. Sein Sonnenhymnus preist in der vielgestaltigen Schöpfung die Größe des Schöpfers. Die Gewalt des Empfindens, die diesem Hymnus das majestätische Leben gab, mußte auf seine Zeit und auf die Nachwelt wirken. Die Menschen mußten ergriffen werden von der reinen, ursprünglichen Menschlichkeit, die hier zu ihnen sprach. Das Gefühlsleben wurde mächtig angeregt. Die Kunst des Trecento läßt die Wirkungen erkennen. Nicht zuletzt wurde das Verlangen nach einer Reformation der Kirche durch das von Franz zu hohen Ehren gebrachte Prinzip der vollkommenen Armut gesteigert. Ohne es zu wollen, schmiedete er den nach ihm kommenden Vorkämpfern gegen Rom mit diesem Prinzip eine scharfe Waffe für den Kampf mit der verweltlichten Kirche.

Die Wiedergeburt des Einzelnen, die Reformation der Gesellschaft, der erwachende Glaube an die Möglichkeit eines irdischen Glücks – all das sind Vorstellungen, die eine Gegenwartsfreude wecken mußten. In dieser Zeitstimmung wandelte sich auch die Kaiseridee. Aus theokratischen Vorstellungen des Ostens geboren, war sie im Mittelalter die Trägerin allgemeiner religiös-sittlicher Hoffnungen gewesen. Wie aber dereinst der von den Semiten geformte und dann von den Iraniern veredelte allumfassende Herrschaftsgedanke durch den großen Alexander und dann durch die Augusti Roms im Geiste der hellenischen Lehre von dem göttlichen Adel des Menschen geläutert wurde, so sollte er am Schlusse der staufischen Epoche durch die umlaufenden Lehren von der Wiedergeburt des reinen Menschentums sich mit den Vorstellungen einer weltbürgerlichen Humanität erfüllen. Diese bedeutsame Wandlung der Kaiseridee wurde auch dadurch herbeigeführt, daß die letzten Staufer stärker als die meisten früheren Kaiser den Zusammenhang ihres Imperium mit der ewigen Roma betonten. Dadurch wurden die Blicke vieler Menschen zurückgelenkt in die Zeit der Cäsaren. Der Name Roma, der schon früher in Tagen kaiserlichen Glanzes höher gestimmte Geister geweckt hatte, dröhnte jetzt lauter denn je durch die Welt. Es regte sich das [17] zunächst noch schüchterne, ehrfurchtsvolle Begehren, daß nunmehr nach dem Wiederauferstehen der Herrschgewalt auch die sittliche Größe der Antike und deren gesamte Wunderwelt mit dem Imperium des neuen Augustus wieder heraufgeführt werden würde. Der ursprünglich geistliche mittelalterliche Wiedergeburtsgedanke hatte begonnen, sich vom Übersinnlichen und Göttlichen zu entfernen.

Abb. 17. Siegel Friedrichs II. nach Huillard-Bréholles, Hist. diplom. Frid. II.

Für die Kulturentwicklung des Abendlandes wurde es von folgenreichster Bedeutung, daß auch in den oberitalienischen Stadtstaaten das Sehnen nach Wiedergeburt des Einzelnen und der Gesellschaft seinen religiösen Gehalt einbüßte. Die geistigen Stürme, die das verweltlichte Rom entfesselt hatte und nicht mehr bannen konnte, waren besonders über die oberitalienischen Städte dahingebraust. Häretische Lehren hatten gerade hier die Geister hellsichtig gemacht für Menschentum und Umwelt. Dereinst im alten Hellas hatte der philosophische Gedanke von der erhabenen Würde der Kinder dieser Erde über die engen Mauern des Stadtstaates hinaus den Weg gefunden zu dem Gedanken des Weltbürgers. Die Betriebsamkeit der Bürger dieser italienischen Stadtstaaten aber gibt seit dem 12. Jahrhundert die Idee des Weltstaates auf, verdichtet sich auf die eine Stadt und findet im Drange zur kulturellen Gestaltung das Allgemeinmenschliche. Indem aber später in diesen Kommunen neue Auffassungen vom Staate, neue Anschauungen vom Schönen in Dichtung und Kunst geboren wurden, weitete sich das Gesamt dieser Städte doch wieder aus zur Welt des neuen Geistes. Während also draußen in Italien fromm denkende, ängstliche und überreizte Geister die tiefsten Probleme gläubig und zweifelnd erwogen, grünte in den vielen Bürgerschaften des neuen Lebens Baum.

Abb. 18. Die älteste erhaltene Papierurkunde von Friedrich II. aus dem Jahre 1228. Wien, Staatsarchiv. Aufnahme Quellenforschungen Feldhaus, Berlin

In der Kirche von St. Angelo in Peschiera hat Cola di Rienzo ein Gemälde anbringen lassen, das den „tiefsten Sinn und die tiefste Sehnsucht der Renaissance“ erkennen läßt. Aus einem hell zum Himmel auflodernden Feuer [18] wird die schon von der Glut ergriffene Matrone Roma durch einen Engel errettet. Aus dem brennenden Hause hinaus ins Freie! Das war schon lange vor dem Tribunen Roms die Losung vieler Bürgerschaften namentlich in Oberitalien. Hinaus in die weite, sonnige Welt, um dort nach Maßen, welche die eigene Kraft festsetzte und, nach einem Grundriß, welchen der frei sich auslebende Geist erdachte, ein neues Haus zu zimmern.

Jene, die in diesen städtischen Republiken das Überkommene verteidigten, die an der Staatsauffassung des kaiserlichen Rom festhielten, die von oben nach unten fortschreitend die kaiserliche Macht in einer Stufenfolge bis herab zur Masse des Volkes wirken läßt, nannte man gemeinlich Ghibelinen, die anderen aber, die da glaubten, daß Sinn und Inhalt des Staates durch die gegebenen Notwendigkeiten bestimmt seien, daß das immer klarer in die Erscheinung tretende Ziel des Staates die Kultur sei, hießen Guelfen. Streng grundsätzlich hat man zwar zwischen diesen beiden Namen nicht geschieden. Nur zu oft boten diese den Deckmantel für persönliches Begehren. Kein Wunder, daß die Sage erzählte, diese Namen rührten her von zwei Dämonen Gibel und Gualef, aber nicht von dem deutschen Feldgeschrei: „Hie Welf, hie Waiblingen!“ Dämonische Gewalten schienen es in der Tat zu sein, welche in diesen äußerlich so glänzend sich entwickelnden Städten und zwischen diesen Städten ihr Unwesen trieben. Immerhin! Ein lebendiger Gedanke zielbewußt handelnder Menschen, der sich selbst auf dieser fest gegründeten Erde ein staatliches Haus bauen möchte, steigt hier großartig empor in einer Zeit, die anfing, die immer noch machtvoll sich behauptende Idee des geistlichen Weltstaates als einen glänzenden Irrtum zu erkennen. Das weltliche Papsttum, aber auch die mittelalterliche Kaiseridee mußten im Kampfe mit dem Genius der Zukunft unterliegen.

So lange der deutsche Kaiser mit der Macht seines deutschen Königtums ernstlich in Italien imperialistische Politik treiben konnte, stand der Papst auf der Seite aller Guelfen in Iatlien wie in Deutschland. Als aber nach dem Zusammenbruch der staufischen Reichsidee das Papsttum selber geschwächt war, da wurde der Papst aus einem Guelfen zu einem Ghibelinen. Die Forderung des altrömischen Imperialismus: „Teile und herrsche“, wird dann der Grundsatz der inneritalienischen Politik der Kurie. Das Streben des geistlichen Machthabers, die Zerissenheit der Halbinsel zu einer dauernden zu machen, konnte aber dennoch die erstaunliche Lebenskraft in diesen Bürgerschaften nicht unterbinden.

So furchtbar und so entsittlichend die inneren und äußeren Kämpfe, die diese Stadtstaaten zu führen hatten, auch waren, sie erholten sich immer wieder rasch. Ein großes weltgeschichtliches Ergebnis hatte dieser Hader: Wer sich behaupten wollte, mußte sich zur Geltung bringen. Der Wert der Persönlichkeit wurde jetzt auch dem Geringsten offenbar. Durch die Auswirkung des guelfischen Staatsgefühls wurde nicht nur ein neuer Staatsbegriff geschaffen, sondern auch das Hinstreben der Einzelnen zu dem großen Ziele des Staates: zur Kultur erhielt mächtige Antriebe. Die Blüte von Handel und Gewerbe ermöglichte diese Kultur, die sich um 1200 vornehmlich auf dem Felde der bildenden Kunst, weniger auf geistigem Gebiete offenbarte. Noch ist diese nicht erfüllt von eigenen schöpferischen Gedanken; schon aber überrascht an den entstehenden Baudenkmälern „die Sicherheit des Geschmackes und die Neigung zu einfacher Regelmäßigkeit der Struktur“, die in die Epoche der Renaissance deutet. Dahin weist noch etwas anderes. Sobald der Städter zum Bewußtsein der eigenen Kraft gelangt ist, wird in ihm die Erinnerung an die Größe des republikanischen Rom sofort lebendig. Heidnische und christliche Gedanken und Vorstellungen vermischen sich in grotesker Weise. So verfaßte – um dafür ein Beispiel anzuführen – zu Anfang des dreizehnten Jahrhunderts ein Minorit in Mantua, Bongiovanni, ein langatmiges Lehrgedicht. Eine ganze Fülle von Reminiszenzen an die lateinische Literatur ist hier bunt durcheinander gewirbelt. Als der brave Bruder

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Abb. 19. Palermo. Ansicht von der Villa Belmonte. Aufnahme G. Brogi, Florenz

[20] aber zu der Jenseitsschilderung kommt, da stellt er an „das klaffende Höllentor anstatt der lärmenden und wilden Teufel die Harpyien, die Chimären, die Zentauren und daneben die ganze bleiche Schaar der vergilianischen Personifikationen“. Besonders die zahlreichen ketzerischen Bewegungen in den Städten fangen an, ihren kirchlichen Freiheitsgedanken eine antik-heidnische Begründung zu geben und die Verkündigung ihrer Lehre mit antiken mythischen Zieraten zu schmücken. Ein erster früher Strahl der Renaissance, der durch das noch wild durcheinander gejagte Gewölk am Himmel dieser leidenschaftlich bewegten Zeit bricht! Noch freilich ist der leuchtende Morgen fern. Politische, soziale und wirtschaftliche Forderungen und Leidenschaften hemmen noch den Persönlichkeitsdrang bei seinem Aufstieg zur Höhe der inneren Freiheit, der schöpferischen Kraft. Das geistige Leben Italiens im wesentlichen noch sich selbst im Stadtstaat genügend (wie im alten Hellas) gärt noch. Anzeichen einer wundervollen Klärung zeigen sich aber.